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EuGH: Health-Claims-Verordnung gilt auch für Mitteilungen bzw. Werbung die sich an medizinische Fachkreise und nicht an Endverbraucher richten

EuGH
Urteil vom 18.07.2016
C‑19/15
Verband Sozialer Wettbewerb e. V.
gegen
Innova Vital GmbH


Der EuGH hat entschieden, dass sich die Vorschriften der Health-Claims-Verordnung auch für Mitteilungen bzw. Werbung gilt, die sich an medizinische Fachkreise und nicht an Endverbraucher richten. Der EuGH geht also von einem weiten Anwendungsbereich aus und weist darauf hin, dass durch die HCVO ein hohes Verbraucherschutzniveau erreicht werden soll und Werbung gegenüber medizinischen Fachkreisen bewirken soll, dass die Produkte Verbrauchern empfohlen werden.

Tenor der Entscheidung:

Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1047/2012 der Kommission vom 8. November 2012 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben in kommerziellen Mitteilungen über Lebensmittel, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen, in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, auch wenn sich diese Mitteilungen nicht an den Endverbraucher, sondern ausschließlich an medizinische Fachkreise richten.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Verordnung Nr. 1924/2006 soll nämlich nach ihrem Art. 1 Abs. 1 das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts gewährleisten und gleichzeitig ein hohes Verbraucherschutzniveau bieten.

Wie insoweit aus den Erwägungsgründen 1 und 18 dieser Verordnung hervorgeht, gehört der Gesundheitsschutz zu den Hauptzwecken der Verordnung (Urteil vom 6. September 2012, Deutsches Weintor, C‑544/10, EU:C:2012:526, Rn. 45). Zu diesem Zweck sind u. a. dem Verbraucher die für eine sachkundige Entscheidung notwendigen Informationen zu liefern (Urteile vom 10. April 2014, Ehrmann, C‑609/12, EU:C:2014:252, Rn. 40, und vom 17. Dezember 2015, Neptune Distribution, C‑157/14, EU:C:2015:823, Rn. 49).

In diesem Sinne sieht Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1924/2006 vor, dass die Verwendung nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben nur zulässig ist, wenn anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Nachweise nachgewiesen ist, dass das Vorhandensein, das Fehlen oder der verringerte Gehalt eines Nährstoffs oder einer anderen Substanz, auf die sich die Angabe bezieht, in einem Lebensmittel oder einer Kategorie von Lebensmitteln eine positive ernährungsbezogene Wirkung oder physiologische Wirkung hat. Auch der 14. Erwägungsgrund der Verordnung ist in diesem Sinne formuliert.

Wie im 17. Erwägungsgrund der Verordnung dargelegt, sollte die wissenschaftliche Absicherung der Hauptaspekt sein, der bei der Verwendung nährwert‑ und gesundheitsbezogener Angaben berücksichtigt wird. Darüber hinaus heißt es im 23. Erwägungsgrund der Verordnung, dass gesundheitsbezogene Angaben für die Verwendung in der Union nur nach einer wissenschaftlichen Bewertung auf höchstmöglichem Niveau zugelassen werden sollten und dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit solche Bewertungen vornehmen sollte, damit eine einheitliche wissenschaftliche Bewertung dieser Angaben gewährleistet ist.

Die Verordnung Nr. 1924/2006 sieht somit ein Verfahren vor, mit dem nachgeprüft werden kann, ob eine Angabe im Sinne dieser Verordnung wissenschaftlich abgesichert ist.

Zwar kann davon ausgegangen werden, dass die medizinischen Fachkreise über umfangreichere wissenschaftliche Kenntnisse verfügen als ein Endverbraucher, also als ein, wie es im 16. Erwägungsgrund heißt, normal informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher. Nicht angenommen werden kann jedoch, dass diese Fachkreise in der Lage sind, jederzeit über alle speziellen und aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisse zu verfügen, die notwendig sind, um jedes einzelne Lebensmittel und die nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben, die bei der Kennzeichnung oder Aufmachung dieser Lebensmittel oder bei der Werbung für sie verwendet werden, zu bewerten.

Wie der Generalanwalt in Nr. 49 seiner Schlussanträge festgestellt hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die medizinischen Fachkreise selbst durch falsche, irreführende oder unwahre Angaben in die Irre geleitet werden.

Daher könnten die medizinischen Fachkreise falsche Informationen über die Lebensmittel, die Gegenstand der kommerziellen Mitteilung sind, völlig gutgläubig an die Endverbraucher weitergeben, mit denen sie in Verbindung stehen. Diese Gefahr verdient umso größere Beachtung, als die Fachkreise aufgrund des Vertrauensverhältnisses, das im Allgemeinen zwischen ihnen und ihren Patienten besteht, einen erheblichen Einfluss auf diese ausüben können.

Wenn an medizinische Fachkreise gerichtete nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben nicht in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1924/2006 fielen und damit verwendet werden dürften, ohne notwendig auf wissenschaftliche Nachweise gestützt zu sein, bestünde überdies die Gefahr, dass Lebensmittelunternehmer ihre Verpflichtungen aus dieser Verordnung dadurch umgingen, dass sie sich über Angehörige medizinischer Fachkreise an den Endverbraucher wendeten, damit diese ihre Produkte dem Endverbraucher empföhlen.

Folglich trägt die Anwendung der Verordnung Nr. 1924/2006 auf nährwert‑ oder gesundheitsbezogene Angaben in kommerziellen Mitteilungen an Fachkreise im Rahmen des Binnenmarkts, dessen ordnungsgemäßes Funktionieren die Verordnung gewährleisten soll, zu einem hohen Verbraucherschutzniveau bei.

Die von Innova Vital vorgetragenen Argumente sind nicht geeignet, diese Auslegung zu entkräften, wonach die Verordnung Nr. 1924/2006 für nährwert‑ oder gesundheitsbezogene Angaben in kommerziellen Mitteilungen auch dann gilt, wenn sich die Mitteilung ausschließlich an medizinische Fachkreise richtet.

Zwar ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006, dass die Verwendung nährwert‑ oder gesundheitsbezogener Angaben nur zulässig ist, wenn der durchschnittliche Verbraucher die positiven Wirkungen, die in der Angabe dargestellt werden, versteht.

Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass jede objektive Information über neue wissenschaftliche Entwicklungen, die Lebensmittelunternehmer unter Verwendung technischer oder wissenschaftlicher Terminologie – wie hier des Begriffs „atopische Dermatitis“ – an medizinische Fachkreise richten, verboten wäre.

Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 ist nämlich dahin zu verstehen, dass diese Bestimmung im Interesse einer sachkundigen Entscheidung des Endverbrauchers zur Anwendung gelangt, wenn die nährwert‑ und gesundheitsbezogenen Angaben unmittelbar dem Endverbraucher mitgeteilt werden. In einem Fall wie dem des Ausgangsrechtsstreits jedoch wird das solche Angaben enthaltende Schreiben, wie der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge festgestellt hat, nicht als solches dem Endverbraucher vorgelegt, sondern den medizinischen Fachkreisen übermittelt, die stillschweigend dazu aufgefordert werden, das betroffene Lebensmittel dem Endverbraucher zu empfehlen.

Darüber hinaus sieht der vierte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1924/2006 vor, dass die Verordnung auf Angaben in nicht kommerziellen Mitteilungen wie z. B. in den Ernährungsrichtlinien oder ‑empfehlungen staatlicher Gesundheitsbehörden und ‑stellen oder in nicht kommerziellen Mitteilungen und Informationen in der Presse und in wissenschaftlichen Veröffentlichungen keine Anwendung finden sollte.

Daher steht die Verordnung der objektiven Information medizinischer Fachkreise über neue wissenschaftliche Entwicklungen, die sich technischer oder wissenschaftlicher Terminologie bedient, nicht entgegen, wenn die Mitteilung nicht kommerzieller Art ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


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