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BGH: Kein Entschädigungsanspruch aus § 19 Abs. 1, § 21 Abs. 2 AGG wegen Verweigerung des Zutritts zu Musikveranstaltung aufgrund des Alters

BGH
Urteil vom 05.04.2021
VII ZR 78/20


Der BGH hat entschieden, dass kein Entschädigungsanspruch aus § 19 Abs. 1, § 21 Abs. 2 AGG wegen der Verweigerung des Zutritts zu einer Musikveranstaltung aufgrund des Alters besteht.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof zu einem Entschädigungsanspruch wegen Versagung des Zutritts zu einer Musikveranstaltung

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Werkverträge zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über eine Klage auf Zahlung einer Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen Versagung des Zutritts zu einer Musikveranstaltung entschieden.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

Der seinerzeit 44-jährige Kläger wollte im August 2017 ein von der Beklagten veranstaltetes Open-Air-Event in München besuchen, bei dem über 30 DJs elektronische Musik auflegten. Die Veranstaltung hatte eine Kapazität von maximal 1.500 Personen, ein Vorverkauf fand nicht statt. Ein Ticket konnte erst nach Passieren der Einlasskontrolle erworben werden. Dem Kläger sowie seinen beiden damals 36 und 46 Jahre alten Begleitern wurde der Einlass verwehrt.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit, Zielgruppe der Veranstaltung seien Personen zwischen 18 und 28 Jahren gewesen. Aufgrund der beschränkten Kapazität und um den wirtschaftlichen Erfolg einer homogen in sich feiernden Gruppe nicht negativ zu beeinflussen, habe es die Anweisung gegeben, dem optischen Eindruck nach altersmäßig nicht zur Zielgruppe passende Personen abzuweisen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass in der Verweigerung des Zutritts eine Benachteiligung wegen des Alters liege und ihm daher ein Entschädigungsanspruch gemäß § 19 Abs. 1, § 21 Abs. 2 AGG zustehe. Er hat von der Beklagten die Zahlung von 1.000 € sowie den Ersatz der Kosten eines vorangegangenen Schlichtungsverfahrens in Höhe von 142,80 €, jeweils nebst Zinsen, verlangt.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger sein Klagebegehren weiterverfolgt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen Schadensersatzanspruch des Klägers verneint, weil der sachliche Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG nicht eröffnet ist.

Der Vertrag über den Zutritt zu der hier betroffenen Veranstaltung ist kein "Massengeschäft" im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 AGG. Hierunter sind zivilrechtliche Schuldverhältnisse zu verstehen, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen. Das ist der Fall, wenn der Anbieter im Rahmen seiner Kapazitäten grundsätzlich mit jedermann abzuschließen bereit ist. Hingegen liegt ein Ansehen der Person vor, wenn der Anbieter seine Entscheidung über den Vertragsschluss erst nach Würdigung des Vertragspartners trifft. Ob persönliche Merkmale typischerweise eine Rolle spielen, bestimmt sich nach einer allgemeinen, typisierenden Betrachtungsweise, bei der auf die für vergleichbare Schuldverhältnisse herausgebildete Verkehrssitte abzustellen ist.

Eine Verkehrssitte, dass zu öffentlichen Veranstaltungen, die mit dem hier betroffenen Schuldverhältnis vergleichbar sind, jedermann Eintritt erhält, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei nicht festgestellt. Soweit öffentlich zugängliche Konzerte, Kinovorstellungen, Theater- oder Sportveranstaltungen im Regelfall dem sachlichen Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG unterfallen, weil es der Verkehrssitte entspricht, dass dort der Eintritt ohne Ansehen der Person gewährt wird, ist für diese Freizeitangebote charakteristisch, dass es den Veranstaltern - meist dokumentiert durch einen Vorverkauf - nicht wichtig ist, wer ihre Leistung entgegennimmt. Das unterscheidet sie maßgeblich von Party-Event-Veranstaltungen wie der vorliegenden, deren Charakter in der Regel auch durch die Interaktion der Besucher geprägt wird, weshalb der Zusammensetzung des Besucherkreises Bedeutung zukommen kann. Dass auch bei solchen Veranstaltungen gleichwohl nach der Verkehrssitte jedermann Eintritt gewährt wird, macht der Kläger nicht geltend.

Der Vertrag über den Zutritt zu der von der Beklagten durchgeführten Veranstaltung war auch kein "massengeschäftsähnliches" Schuldverhältnis im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 AGG. Diese Rechtsverhältnisse kennzeichnet, dass persönliche Eigenschaften des Vertragspartners zwar bei der Entscheidung, mit wem der Vertrag geschlossen werden soll, relevant sind, sie aber angesichts der Vielzahl der abzuschließenden Rechtsgeschäfte an Bedeutung verlieren, weil der Anbieter, von atypischen Fällen abgesehen, bereit ist, mit jedem geeigneten Partner zu vergleichbaren Konditionen abzuschließen. In welchem Umfang ein Ansehen einer Person relevant ist, bestimmt sich nach der Art des zu betrachtenden Schuldverhältnisses in seiner konkreten Ausprägung.

Bei Schuldverhältnissen wie öffentlichen Party-Event-Veranstaltungen kann die Zusammensetzung des Besucherkreises deren Charakter prägen und daher ein anerkennenswertes Interesse des Unternehmers bestehen, hierauf Einfluss zu nehmen. Soweit der Veranstalter deshalb sein Angebot nur an eine bestimmte, nach persönlichen Merkmalen definierte Zielgruppe richtet und nur Personen als Vertragspartner akzeptiert, die die persönlichen Merkmale der Zielgruppe erfüllen, kommt diesen Eigenschaften nicht nur nachrangige Bedeutung zu. Diese Willensentscheidung ist hinzunehmen; wenn dabei auch das Merkmal "Alter" betroffen ist, steht dies nicht entgegen.

Nach den in der Revisionsinstanz außer Streit stehenden Feststellungen des Berufungsgerichts lag eine solche Fallgestaltung bei der hier zu beurteilenden Veranstaltung vor. Ein Ansehen der Person hatte hiernach für die Gewährung des Zutritts nicht nur nachrangige Bedeutung, vielmehr war eine individuelle Auswahl der Vertragspartner nach dem Veranstaltungskonzept der Beklagten von vornherein vorgesehen, wurde durchgeführt und durch die Einlasskontrolle sichergestellt.

Vorinstanzen:

AG München - Urteil vom 10.Oktober 2018 - 122 C 5020/18

LG München I - Urteil vom 31. März 2020 - 13 S 17353/18

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 19 AGG

(1) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die 1. typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen …2. …ist unzulässig.(2) …

§ 21 AGG

(1) …(2) Bei einer Verletzung des Benachteiligungsverbots ist der Benachteiligende verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Benachteiligende die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der Benachteiligte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.(3) …


AG München: Nennung des Geburtsdatums einer Regisseurin und Drehbuchautorin bei Wikipedia ist keine Persönlichkeitsrechtsverletzung - öffentliches Interesse überwiegt

AG München
Urteil vom 30.09.2015
142 C 30130/14


Das AG München hat entschieden, dass Nennung des Geburtsdatums einer Regisseurin und Drehbuchautorin bei Wikipedia keine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt, da im Rahmen einer Güterabwägung das öffentliche Interesse überwiegt.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Die Pressemitteilung des Gerichts:

"Geburtsjahr im Internet

Persönlichkeitsinteressen müssen regelmäßig hinter der Meinungsfreiheit zurücktreten, wenn die Äußerung wahre Tatsachen betrifft und die Folgen der Äußerung für die Persönlichkeitsentfaltung nicht schwerwiegend sind.

Die Klägerin ist Drehbuchautorin und Regisseurin in München. Ihr Geburtsdatum wurde von einem Online-Lexikon veröffentlicht. Als Einzelnachweis für das Geburtsdatum führt das Online-Lexikon die Dissertation der Regisseurin an, in der das Geburtsdatum genannt wird.

Die Regisseurin verlangt von dem Online-Lexikon, dass die Nennung ihres Geburtsdatums unterbleibt. Sie ist der Ansicht, dass sie dadurch in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt wird. Sie sei keine prominente Person. Die Tatsache, dass sie an Arbeiten mitgewirkt habe, die öffentliche Aufmerksamkeit erfahren haben, mache sie nicht zu einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Durch die Veröffentlichung ihres Alters habe sie Nachteile, da die Branche der Medienschaffenden sehr stark von deutlich jüngeren Menschen geprägt werde. Die Altersangabe sei im Hinblick auf Fernsehsender problematisch, da dort die Vorgabe des Intendanten laute, junge Regisseure zu engagieren, um junges Publikum zu gewinnen.
Das Online-Lexikon weigerte sich, das Geburtsdatum zu löschen. Daraufhin erhob die Regisseurin Klage vor dem Amtsgericht München auf Unterlassung der Veröffentlichung eines Beitrags, in dem das Geburtsjahr der Klägerin angegeben ist.
Der zuständige Richter wies die Klage ab. Die Klägerin werde durch die Veröffentlichung nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dieses Recht „verleiht dem Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Hierunter fällt auch das Recht, grundsätzlich selbst darüber zu bestimmen, ob und welche Informationen über seine Person auf der streitigen Internetseite der Beklagten veröffentlicht werden“, zitiert das Urteil eine Entscheidung des Landgerichts Tübingen. Personenbezogene Daten würden aber zugleich einen Teil der sozialen Realität der Person sein. Regelmäßig müssten bei Daten aus dem Bereich der Privatsphäre die Persönlichkeitsinteressen hinter der Meinungsfreiheit zurückstehen, wenn die verbreiteten Tatsachen richtig sind, an der Veröffentlichung ein öffentliches Interesse im Sinn der Meinungsbildung bestehe und die Folgen der Veröffentlichung für den Betroffenen nicht schwerwiegend sind. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, ob die Informationen aus einer öffentlich zugänglichen Quelle stamme. Das Geburtsjahr gehöre zur Privatsphäre eines Menschen. „Ein öffentliches Interesse an dem Geburtsjahr besteht. Die Klägerin ist eine renommierte, in der Öffentlichkeit bekannte und stehende Dokumentarfilm-Produzentin. Insoweit ist es für die Öffentlichkeit von Interesse, in welchem Alter sie welchen Film produziert hat“, so das Gericht. Durch die Veröffentlichung des Geburtsjahres werde die Klägerin nicht erheblich beeinträchtigt. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte, dass die Klägerin dadurch sozial ausgegrenzt oder isoliert zu werden droht. „Für das Gericht ist ….nicht nachvollziehbar, inwieweit… der streitgegenständliche Eintrag eine Rolle bei der Produktionsvergabe spielen kann“, so das Gericht weiter. Auch „aus den Produktionsjahren ihrer ersten Filme, die öffentlich bekannt sind, (lässt sich) eine Alterseinstufung der Klägerin vornehmen ... Deshalb steht für das Gericht fest, dass die Klägerin durch die Veröffentlichung ihres Geburtsdatums nicht beeinträchtigt ist. Art 12 GG ist durch die Veröffentlichung nicht tangiert.“.

Urteil des Amtsgerichts München vom 30.09.2015 Aktenzeichen 142 C 30130/14

Das Urteil ist rechtskräftig."