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KG Berlin: Auch gegen juristische Person kann unmittelbar DSGVO-Bußgeld verhängt werden - Deutsche Wohnen

KG Berlin
Beschluss vom 22.01.2024
3 Ws 250/21, 161 AR 84/21, 3 Ws 250/21 - 161 AR 84/21


Das KG Berlin hat entschieden, dass auch unittelbar gegen juristische Person ein DSGVO-Bußgeld verhängt werden kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Mit Bußgeldbescheid vom 30. Oktober 2019 hat die Berliner Beauftragte für den Datenschutz (im Folgenden: BlnBDI) gegen das betroffene Unternehmen (im Folgenden: Betroffene) Geldbußen festgesetzt. Mit dem Bußgeldbescheid ist der Betroffenen vorgeworfen worden, es zwischen dem 25. Mai 2018 und dem 5. März 2019 vorsätzlich unterlassen zu haben, die notwendigen Maßnahmen zur Ermöglichung der regelmäßigen Löschung nicht mehr benötigter oder in sonstiger Weise zu Unrecht gespeicherter Daten von Mietern zu treffen. Weiter hat der Bußgeldbescheid den Vorwurf enthalten, personenbezogene Daten von mindestens 15 näher bezeichneten Mietern fortgesetzt gespeichert zu haben, obwohl bekannt gewesen sei, dass dies nicht oder nicht mehr erforderlich war. Wegen des vorsätzlichen Verstoßes gegen Art. 25 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 a), c) und e) DS-GVO hat die Geldbuße 14.385.000 Euro betragen. Wegen Verstößen gegen Art. 6 Abs. 1 DS-GVO sind 15 weitere Geldbußen mit Beträge zwischen 3.000 und 17.000 Euro festgesetzt worden.

Auf den Einspruch der Betroffenen hat das Landgericht Berlin das Verfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 206a StPO durch den angefochtenen Beschluss eingestellt. Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, der Bußgeldbescheid habe unter so gravierenden Mängeln gelitten, dass er nicht Grundlage des Verfahrens sein könne. Namentlich ist das Landgericht der Auffassung gewesen, eine juristische Person könne nicht Betroffene eines Bußgeldverfahrens sein, auch nicht in einem solchen nach Art. 83 DS-GVO. Da einer juristischen Person lediglich ein Handeln ihrer Organmitglieder oder Repräsentanten zugerechnet werden könne, könne diese in einem Bußgeldverfahren nur als Nebenbeteiligte fungieren. Die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person sei in § 30 OWiG abschließend geregelt, der über § 41 Abs. 1 BDSG auch für Verstöße nach Art. 83 Abs. 4 bis 6 DS-GVO Anwendung finde. Die in § 83 DS-GVO kodifizierte unmittelbare Unternehmenshaftung verstoße gegen das im deutschen Recht verankerte Schuldprinzip und könne daher nicht angewendet werden.

Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Berlin sofortige Beschwerde eingelegt. Der Senat hat das Verfahren durch Beschluss vom 6. Dezember 2021 ausgesetzt und nach Art. 267 Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union u.a. zu der Frage eingeholt, ob Art. 83 Abs. 4-6 DS-GVO dahin auszulegen sei, „dass es den Art. 101 und 102 AEUV zugeordneten funktionalen Unternehmensbegriff und das Funktionsträgerprinzip in das innerstaatliche Recht mit der Folge inkorporiert, dass unter Erweiterung des § 30 OWiG zugrundeliegenden Rechtsträgerprinzips ein Bußgeldverfahren unmittelbar gegen ein Unternehmen geführt werden kann und die Bebußung nicht der Feststellung einer durch eine natürliche und identifizierte Person, gegebenenfalls volldeliktisch, begangenen Ordnungswidrigkeit bedarf“. Der EuGH hat durch Urteil vom 5. Dezember 2023 (C-807/21 – [juris]) wie folgt entschieden: „Art. 58 Abs. 2 Buchst. i und Art. 83 Abs. 1 bis 6 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach eine Geldbuße wegen eines in Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSG-VO genannten Verstoßes gegen eine juristische Person in ihrer Eigenschaft als Verantwortliche nur dann verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß zuvor einer identifizierten natürlichen Person zugerechnet wurde“. In einem weiteren Ausspruch desselben Urteils heißt es, dass „eine Geldbuße nur dann verhängt werden darf, wenn nachgewiesen ist, dass der Verantwortliche, der eine juristische Person und zugleich ein Unternehmen ist, einen in Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO genannten Verstoß vorsätzlich oder fahrlässig begangen hat“.

Mit Beschluss vom Folgetag hat der Senat angeordnet, dass das Verfahren fortgesetzt wird.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Nach Maßgabe des in dieser Sache ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs ist die Betroffene unbeschadet ihrer Eigenschaft als juristische Person taugliche Adressatin eines Bußgeldbescheids (1.). Das durch das Landgericht angenommene Verfahrenshindernis eines unwirksamen Bußgeldbescheids besteht nicht (2.).

1. Dass die Betroffene als juristische Person taugliche Adressatin eines Bußgeldbescheids sein kann und als solche zudem unmittelbar und nicht nur als Verfahrens- oder Nebenbeteiligte bebußt werden kann, ergibt sich aus dem in diesem Verfahren ergangenen Urteil des EuGH (Urteil vom 5. Dezember 2023 – C-807/21 – [juris]). Der Gerichtshof führt aus, es sei möglich, „die in Art. 83 DSG-VO für solche Verstöße vorgesehenen Geldbußen unmittelbar gegen juristische Personen zu verhängen, wenn diese als für die betreffende Verarbeitung Verantwortliche eingestuft werden können“ (Rn. 44). Dies folgt, so der EuGH weiter, daraus, dass Unternehmen „nicht nur für Verstöße haften, die von ihren Vertretern, Leitern oder Geschäftsführern begangen wurden, sondern auch für Verstöße, die von jeder anderen Person begangen wurden, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit und im Namen dieser juristischen Personen handelt“ (Rn. 44). Die hierdurch – und zwar unabhängig von einem individualisierbaren Organisationsdefizit oder einer Aufsichtspflichtverletzung – möglich gewordene unmittelbare Bebußung von juristischen Personen wird auch durch die Verteidigung, soweit aus ihrem Schriftsatz vom 15. Januar 2024 ersichtlich, nicht mehr in Frage gestellt.

2. Der Bußgeldbescheid der BlnBDI erfüllt die Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 OWiG und stellt eine ausreichende Verfahrensgrundlage dar. Ein Verfahrenshindernis besteht insoweit nicht.

a) Nach § 66 OWiG muss der Bußgeldbescheid „die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften“ enthalten. Der Bußgeldbescheid muss den Tatvorwurf nach gefestigtem Verständnis formal und sachlich umgrenzen (Umgrenzungsfunktion) und den Betroffenen ausreichend über den Tatvorwurf unterrichten (Informationsfunktion) (vgl. BGHSt 23, 336; Senat Verkehrsrecht aktuell 2019, 123 [Volltext bei juris]; OLG Celle ZfSch 2015, 649).

b) Hier ist rechtstechnisch zusätzlich zu beachten, dass die in § 66 OWiG niedergelegten verfahrensbezogenen Anforderungen an die Gestaltung des Bußgeldbescheids den durch den EuGH formulierten Grundsätzen des materiellen Rechts folgen. Die vom EuGH entwickelten sachlich-rechtlichen Grundzüge der Verbandsgeldbuße überformen, prägen und gestalten das diesbezügliche nationale Verfahrensrecht. Formuliert der EuGH etwa, die Bebußung erfordere nicht, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46), so folgt daraus zwingend, dass sich die Bezeichnung einer solchen natürlichen Person auch nicht aus dem nationalen Verfahrensrecht, hier § 66 OWiG, ergeben muss.

Der Auffassung der Verteidigung, die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids als Verfahrensvoraussetzung bemesse sich nach § 66 OWiG, trifft damit allgemein zu, denn eine Suspendierung der gesamten Vorschrift steht auch angesichts des nun anzuwendenden europarechtskonformen Verantwortungs- und Haftungsregimes nicht in Rede. Vielmehr sieht Art. 83 Abs. 8 DSG-VO vor, dass die „Ausübung der eigenen Befugnisse durch eine Aufsichtsbehörde“ unionsrechtskompatiblen Verfahrensgarantien „einschließlich wirksamer gerichtlicher Rechtsbehelfe und ordnungsgemäßer Verfahren“ unterliegt. Daher verweist § 41 BDSG auf Verfahrensvorschriften des OWiG und der StPO, und auch § 66 OWiG ist als grundlegendes nationales Verfahrensrecht anwendbar. Seine Auslegung allerdings richtet sich hier nach den sachlich-rechtlichen Vorgaben des übergeordneten Europarechts in der durch den EuGH nun gegebenen Ausprägung.

c) Unter Zugrundelegung der Maßgaben aus der Vorabentscheidung des EuGH und ihrer Weiterungen auf das nationale Verfahrensrecht erfüllt der Bußgeldbescheid der BlnBDI die Voraussetzungen des § 66 OWiG. Ohne Weiteres grenzt der Bußgeldbescheid den Gegenstand des Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht ab, und die Betroffene kann mühelos erkennen, welcher konkrete Vorwurf gegen sie erhoben wird. Namentlich die durch § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG erforderten Essentialia, nämlich die „Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird“ sowie „Zeit und Ort ihrer Begehung“, sind bei der gebotenen funktional-normativen Betrachtung eingehalten.

Der Bußgeldbescheid wirft der Betroffenen vor, es zwischen dem 25. Mai 2018 und dem 5. März 2019 vorsätzlich unterlassen zu haben, die notwendigen Maßnahmen zur Ermöglichung der regelmäßigen Löschung nicht mehr benötigter oder in sonstiger Weise zu Unrecht gespeicherter Daten von Mietern zu treffen. Weiter wird ihr vorgeworfen, personenbezogene Daten von mindestens 15 näher bezeichneten Mietern fortgesetzt gespeichert zu haben, obgleich bekannt gewesen sei, dass dies nicht oder nicht mehr erforderlich war.

Diese – hier nur kursorisch zusammengefassten – Vorwürfe sind im Bußgeldbescheid ausgesprochen konkret und ausführlich dargestellt. Der Bußgeldbescheid bezeichnet die insgesamt 16 Tathandlungen auf mehr als 17 Seiten in einer ausdifferenzierten und nachgerade ziselierten Weise. Die Ausführungen vermitteln der Betroffenen präzise, was ihr vorgeworfen wird, und sie ermöglichen es ihr, sich hiergegen zu verteidigen. Dabei ist auch zu beachten, dass es sich bei den vorgeworfenen Handlungen (oder Unterlassungen) ersichtlich um keine Individualexzesse in einem Dunkelbereich des Unternehmens handelt. Gegenstand des Bußgeldverfahrens bildet die Speicherung bzw. Archivierung (oder Nichtlöschung) von Kundendaten. Es geht um einfach gelagerte und verständliche Sachverhalte und im Letzten um gewöhnliche Vorgänge in einem operativen Unternehmensbereich.

d) Nicht folgen kann der Senat der Überlegung der Betroffenen, der Bußgeldbescheid müsse konkretisieren, „welches Organ durch welche Handlung die Voraussetzungen des § 30 OWiG erfüllt hat“. Abgesehen davon, dass der Bußgeldbescheid die Rechtsverstöße auch in ihrer Entstehung („Handlung“) durchaus nachvollziehbar darstellt und umreißt, deduziert sich ein solches Erfordernis aus der überkommenen Vorstellung, eine Verbandshaftung erfordere das Verschulden eines Repräsentanten (§ 30 OWiG) oder eine Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG). Sie lässt die europarechtlichen Einflüsse auf das Verbandsanktionenrecht außen vor und missachtet die Rechtsprechung des EuGH im hiesigen Vorabentscheidungsverfahren. Wenn der EuGH ausdrücklich formuliert, die Bebußung erfordere nicht, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46), so stellt er klar, dass juristische Personen dafür verantwortlich sind, dass Daten im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit rechtmäßig verarbeitet werden (Rn. 44). Sanktioniert wird hiernach nicht (nur) eine fehlerhafte Organisation, sondern gerade die Pflichtverletzung des Verbands bzw. im Verband, als „genuine Verbandstat“ (vgl. als Kritik an der überkommenen nationalen Rechtslage: HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, 2. Aufl., § 30 Rn. 13). Nach der Vorabentscheidung des EuGH ist auch eine juristische Person schuldfähig, so dass es zu einem Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Haftbarkeit kommt (vgl. Grages/Strassemeyer, CR 2024, 10). Damit fallen alle Personen, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit handeln, in den abstrakten Verantwortungskreis der juristischen Person, und selbst eine normentsprechende Organisation führt – jedenfalls in aller Regel – nicht zur Exkulpation. Dies entspricht dem Effektivitätsgrundsatz des europäischen Rechts.

Dass der Verband (materiell-rechtlich) allein datenschutzrechtlich Verantwortlicher ist (vgl. Wünschelbaum, DSB 2024, 15), wirkt sich damit unmittelbar auf die verfahrensrechtlich gebotene Darstellungsdichte im Bußgeldbescheid aus. Insbesondere muss dieser gerade nicht bezeichnen, welchem Repräsentanten oder welchem „Organ“ welche konkrete Handlung oder welches konkrete Unterlassen zur Last fällt. Im Übrigen bleibt es aber auch insoweit dabei, dass der hier zu beurteilende Bußgeldbescheid die Tathandlungen bemerkenswert und – gemessen an den vom EuGH formulierten materiell-rechtlichen Haftungsvoraussetzungen ersichtlich – überobligatorisch konkret darstellt.

e) Auch kann sich der Senat der noch weitergehenden Überlegung der Verteidigung nicht anschließen, es sei sogar „unverzichtbar, dass ein Bußgeldbescheid die verfahrensmaßgeblichen Handlungen der natürlichen Person beschreibt“, um einen Vorwurf gegen den Verband „erkennen, abgrenzen, bewerten und sich gegen ihn verteidigen zu können“. Auch diese Auffassung verstößt eklatant gegen das im hiesigen Verfahren ergangene Urteil des EuGH. Das durch die Verteidigung erkannte Erfordernis geht darüber hinweg, dass eine Sanktionierung gerade nicht erfordert, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46). Dieses klare EuGH-Diktum ist mit der Forderung der Verteidigung, der Bußgeldbescheid müsse die „Handlung der natürlichen Person beschreiben“, ersichtlich unvereinbar. Allerdings gilt auch insoweit: Der Bußgeldbescheid beschreibt die vorgeworfenen Handlungen – zum großen Teil in der Form des Unterlassens der Löschung, teilweise als unterlassene Kennzeichnung von Daten – nachvollziehbar und deutlich. Der Betroffenen ist es möglich und unbenommen, im Bußgeldverfahren darzustellen, dass die Daten nicht gespeichert oder rechtmäßig gespeichert und ggf. rechtzeitig gelöscht wurden. Jedenfalls unter Zugrundelegung der vom EuGH umrissenen Grundzüge einer umfassenden Unternehmensverantwortung ist nicht ersichtlich, dass eine noch ausführlichere und noch „konkretere“ Darstellung der Tatvorwürfe im Bußgeldbescheid die Verteidigungsmöglichkeiten der Betroffenen substantiell erweitern könnte. Durch das EuGH-Judikat verringerte Exkulpationsmöglichkeiten sind nicht Folge eines unkonkret bleibenden Bußgeldbescheids, sondern einer dem Effektivitätsgrundsatz geschuldeten europarechtskonform erweiterten Verbandsverantwortung.

f) Folgerichtig ist der Verteidigung schließlich auch darin zu widersprechen, die Bezeichnung der dem Organ vorwerfbaren Tat sei unerlässliche Voraussetzung des Bußgeldbescheids. Dieses ehedem bestehende Erfordernis, das dem limitierten Haftungsregime des nationalen Rechts folgte, ist durch die im hiesigen Verfahren ergangene Vorabentscheidung des EuGH zu einer umfassenden Verbandsverantwortung nach kartellrechtlichem Vorbild obsolet. In dieser heißt es, „dass die Anwendung von Art. 83 DSG-VO keine Handlung und nicht einmal eine Kenntnis seitens des Leitungsorgans“ voraussetzt (Rn. 77).

3. Da kein Verfahrenshindernis besteht, war der angefochtene Beschluss aufzuheben, und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Funktional zuständig ist nicht die große Strafkammer (Wirtschaftskammer), sondern die Kammer für Bußgeldsachen (§ 47 Abs. 7 OWiG). Der Senat kann nachvollziehen, dass die Kammer entgegen einer analogen Anwendung des § 68 Abs. 1 Satz 2 OWiG nicht durch Einzelrichter entschieden hat, sondern – wohl entsprechend §§ 46 Abs. 1 OWiG, 76 Abs. 1 GVG – zuletzt eine Besetzung gewählt hat, die der einer großen Strafkammer entspricht (vgl. zur funktionalen Zuständigkeit und zur Besetzungsfrage Brodowski/Nowak in BeckOK Datenschutzrecht, 46. Edition, § 41 BDSG Rn. 16). Hierfür spricht, dass sich die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts (§ 41 Abs. 1 Satz 3 BDSG) aus dem Streben nach einer verbesserten Kontrolle ableiten dürfte, die sich jedenfalls im Leitbild aus der Beteiligung mehrerer (Berufs-) Richter ergibt.

4. Eine Kostenentscheidung ist in Bezug auf das Rechtsmittel nicht veranlasst (ex arg. BGH WuW 2020, 615). Über die Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens hat an sich das vorlegende Gericht zu entscheiden (Art. 102 EuGHVerfO). Das Vorabentscheidungsverfahren erweist sich aber lediglich als Zwischenverfahren des gleichfalls unselbständigen Beschwerdeverfahrens, durch dessen Entscheidung das Bußgeldverfahren nicht abgeschlossen wird. Da das Bußgeldverfahren beim Landgericht Berlin fortgesetzt und durch dieses entschieden wird, ist es angemessen, dass die Kammer für Bußgeldsachen in der abschließenden Kostengrundentscheidung über die Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens mitentscheidet (vgl. bei ähnlicher Konstellation BGH WM 1996, 1889 unter Bezug auf EuGH GRUR Int. 1996, 147).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: DSGVO-Geldbuße gegen Unternehmen durch Datenschutzbehörde setzt schuldhaften Verstoß voraus - Höhe richtet sich nach dem Jahresumsatz des Konzerns

EuGH
Urteil vom 05.12.2023, C-683/21 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


Der EuGH hat entschieden, dass eine Geldbuße gegen ein Unternehmen durch die Datenschutzbehörde wegen eines DSGVO-Verstoßes einen schuldhaften Verstoß voraussetzt. Die Höhe richtet sich bei Unternehmen, die einem Konzern angehören, nach dem Jahresumsatz des Konzerns.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Nur ein schuldhafter Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung kann zur Verhängung einer Geldbuße führen

Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, bemisst sich die Geldbuße nach dem Jahresumsatz des Konzerns

Der Gerichtshof präzisiert die Voraussetzungen, unter denen die nationalen Aufsichtsbehörden eine Geldbuße gegen einen oder mehrere für die Datenverarbeitung Verantwortliche wegen Verstoßes gegen die DatenschutzGrundverordnung (DSGVO) verhängen können. Insbesondere stellt er fest, dass die Verhängung einer solchen Geldbuße ein schuldhaftes Verhalten voraussetzt, der Verstoß also vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sein muss. Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, ist bei der Berechnung der Geldbuße auf den Umsatz des Konzerns abzustellen

Ein litauisches und ein deutsches Gericht haben den Gerichtshof ersucht, die Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO)1 auszulegen, und zwar im Hinblick auf die Möglichkeit nationaler Aufsichtsbehörden, Verstöße gegen diese Verordnung durch Verhängung einer Geldbuße gegen den für die Datenverarbeitung Verantwortlichen zu ahnden.

Im litauischen Fall wendet sich das Nationale Zentrum für öffentliche Gesundheit beim Gesundheitsministerium gegen eine Geldbuße in Höhe von 12 000 Euro, die ihm im Zusammenhang mit der Entwicklung (mit Unterstützung durch ein privates Unternehmen) einer mobilen Anwendung auferlegt wurde, die der Erfassung und Überwachung der Daten der dem Covid-19-Virus ausgesetzten Personen dienen sollte.

Im deutschen Fall wendet sich das Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen, das mittelbar rund 163 000 Wohneinheiten und 3 000 Gewerbeeinheiten hält, u. a. gegen eine Geldbuße von über 14 Mio. Euro, die ihm auferlegt wurde, weil es personenbezogene Daten von Mietern länger als erforderlich speicherte.

Der Gerichtshof entscheidet, dass gegen einen für die Datenverarbeitung Verantwortlichen nur dann eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen die DSGVO verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß schuldhaft – also vorsätzlich oder fahrlässig – begangen wurde. Dies ist dann der Fall, wenn sich der Verantwortliche über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht im Unklaren sein konnte, gleichviel, ob ihm dabei bewusst war, dass es gegen die Bestimmungen der DSGVO verstößt.

Handelt es sich bei dem Verantwortlichen um eine juristische Person, ist es nicht erforderlich, dass der Verstoß von ihrem Leitungsorgan begangen wurde oder dieses Organ Kenntnis davon hatte. Vielmehr haftet eine juristische Person sowohl für Verstöße, die von ihren Vertretern, Leitungspersonen oder Geschäftsführern begangen werden, als auch für Verstöße, die von jeder sonstigen Person begangen werden, die im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit in ihrem Namen handelt. Die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person als Verantwortliche darf nicht der Voraussetzung unterliegen, dass zuvor festgestellt wurde, dass der Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde.

Außerdem kann gegen einen Verantwortlichen eine Geldbuße auch für Verarbeitungsvorgänge verhängt werden, die von einem Auftragsverarbeiter durchgeführt wurden, sofern diese Vorgänge dem Verantwortlichen zugerechnet werden können.

Zur gemeinsamen Verantwortlichkeit von zwei oder mehr Einrichtungen führt der Gerichtshof aus, dass diese sich allein daraus ergibt, dass die Einrichtungen an der Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung mitgewirkt haben. Die Einstufung als „gemeinsam Verantwortliche“ setzt keine förmliche Vereinbarung zwischen den betreffenden Einrichtungen voraus. Eine gemeinsame Entscheidung oder übereinstimmende Entscheidungen reichen aus. Handelt es sich jedoch tatsächlich um gemeinsam Verantwortliche, müssen diese in einer Vereinbarung ihre jeweiligen Pflichten festlegen.

Schließlich muss sich die Aufsichtsbehörde bei der Bemessung der Geldbuße, wenn der Adressat ein Unternehmen ist oder zu einem Unternehmen gehört, auf den wettbewerbsrechtlichen Begriff „Unternehmen“ stützen. Der Höchstbetrag der Geldbuße ist daher auf der Grundlage eines Prozentsatzes des gesamten Jahresumsatzes zu berechnen, den das betreffende Unternehmen als Ganzes im vorangegangenen Geschäftsjahr weltweit erzielt hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-683/12 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


EuGH-Generalanwalt: Unmittelbare Verhängung einer Geldbuße gegen juristische Person nach Art. 83 Abs. 4-6 DSGVO möglich - § 30 OWiG gilt nicht

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom
C-807/21


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträge zu dem Ergebnis, dass die unmittelbare Verhängung einer Geldbuße gegen juristische Person nach Art. 83 Abs. 4-6 DSGVO möglich ist. § 30 OWiG greift insoweit nicht.

Das Ergebnis der Schlussanträge:
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Kammergericht Berlin (Deutschland) wie folgt zu antworten:

Art. 58 Abs. 2 Buchst. i der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) in Verbindung mit Art. 4 Nr. 7 und Art. 83 dieser Verordnung

ist dahin auszulegen, dass

die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person, die für die Verarbeitung personenbezogener Daten verantwortlich ist, nicht von der vorherigen Feststellung eines Verstoßes durch eine oder mehrere individualisierte natürliche Person(en), die im Dienst dieser juristischen Person stehen, abhängt.

Die Verwaltungsgeldbußen, die gemäß der Verordnung 2016/679 verhängt werden können, setzen voraus, dass festgestellt wird, dass das den geahndeten Verstoß begründende Verhalten vorsätzlich oder fahrlässig war.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

KG Berlin legt EuGH Fragen zu Art. 83 Abs. 4-6 DSGVO und dem Verhältnis zu § 30 OWiG zur Entscheidung vor - Bußgeldverfahren unmittelbar gegen Unternehmen

KG Berlin
Beschluss vom 06.12.2021
3 Ws 250/21


Das KG Berlin hat dem EuGH Fragen zu Art. 83 Abs. 4-6 DSGVO und dem Verhältnis zu § 30 OWiG zur Entscheidung vorgelegt. Insbesondere geht es um die Streitfrage, ob Bußgeldverfahren unmittelbar gegen Unternehmen geführt werden können.

Die Vorlagefragen:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 83 der Verord­nung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen beider Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der RL 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 83 Abs. 4-6 DS-GVO dahin auszulegen, dass es den Art. 101 und 102 AEUV zugeordneten funktionalen Unternehmensbegriff und das Funktionsträgerprinzip in das innerstaatliche Recht mit der Folge inkorporiert, dass unter Erweiterung des § 30 OWiG zugrundeliegenden Rechtsträgerprinzips ein Bußgeldverfahren unmittelbar gegen ein Unternehmen geführt werden kann und die Bebußung nicht der Feststellung einer durch eine natürliche und identifizierte Person, gegebenenfalls volldeliktisch, begangenen Ordnungswidrigkeit bedarf ?

2. Wenn die Frage zu 1. bejaht werden sollte ist Art. 83 Abs.4 - 6 DS-GVO dahin auszul­egen, dass das Unternehmen den durch einen Mitarbeiter vermittelten Verstoß schuldhaft begangen haben muss (vgl. Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettb­werbsregeln), oder reicht für eine Bebußung des Unternehmens im Grundsatz bereits ein ihm zuzuordnender objektiver Pflichtenverstoß aus („strict liability") ?



Volltext LG Berlin: 14,5 Millionen EURO DSGVO-Bußgeld gegen Deutsche Wohnen SE aufgehoben - § 30 OWiG gilt über § 41 Absatz 1 BDSG auch für DSGVO-Verstöße

LG Berlin
Beschluss vom 18.02.2021
(526 OWi LG) 212 Js-OWi 1/20 (1/20), 526 OWiG LG 1/20


Das LG Berlin hat das 14,5 Millionen EURO DSGVO-Bußgeld gegen die Deutsche Wohnen SE (siehe dazu Berliner Datenschutzbeauftragter: Bußgeld von 14,5 Millionen EURO gegen Deutsche Wohnen SE wegen DSGVO-Verstößen) aufgehoben. Das Gericht führt u.a. aus, dass § 30 OWiG über § 41 Absatz 1 BDSG auch für DSGVO-Verstöße gilt.

Die Entscheidungsgründe:
I. Die Betroffene ist ein börsennotiertes Immobilienunternehmen mit Sitz in Berlin. Sie hält über gesellschaftsrechtliche Beteiligungen mittelbar 162.700 Wohneinheiten und 3.000 Gewerbeeinheiten. Eigentümer dieser Einheiten sind Tochtergesellschaften der Betroffenen, sogenannte Besitzgesellschaften, die das operative Geschäft führen und die mit der Betroffenen einen Konzern bilden. Die Geschäftstätigkeit der Betroffenen konzentriert sich auf die übergeordnete Leitung, wie die Geschäftsführung, das Personalwesen oder das Finanz- und Rechnungswesen. Die Besitzgesellschaften vermieten die Wohn- und Gewerbeeinheiten, die Verwaltung der Einheiten erfolgt ebenfalls durch Konzerngesellschaften, die sogenannten Servicegesellschaften.

Im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit verarbeiten die Betroffene und die genannten Konzerngesellschaften unter anderem auch personenbezogene Daten von Mieterinnen und Mietern der Wohn- und Gewerbeeinheiten. Dies geschieht im Rahmen der Neuvermietung eines Objektes, der laufenden Verwaltung eines bestehenden Mietverhältnisses oder auch beim Erwerb von bereits vermieteten Immobilien und der Übernahme der mit diesen verbundenen Mietverhältnissen. Bei diesen Daten handelt es sich unter anderem um Identitätsnachweise (etwa Personalausweiskopien), Bonitätsnachweise (etwa Kontoauszüge), Gehaltsbescheinigungen, Arbeitsnachweise, Steuer-, Sozial- und Krankenversicherungsdaten sowie Angaben zu Vormietverhältnissen

Am 23. Juni 2017 wies die Berliner Beauftragte für den Datenschutz („BlnBDI“ oder „Behörde“) im Rahmen einer sogenannten Vor-Ort-Kontrolle nach § 38 Absatz 4 Bundesdatenschutzgesetz a.F. die Betroffene darauf hin, dass ihrer Auffassung nach Konzerngesellschaften der Betroffenen personenbezogene Daten von Mieterinnen und Mietern in einem elektronischen Archivsystem speicherten, bei dem nicht überprüft werden könne, ob eine erfolgte Speicherung zulässig oder erforderlich ist und bei dem nicht mehr erforderliche Daten nicht gelöscht werden könnten, obgleich dies nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu erfolgen habe. Im Hinblick auf diesen Umstand forderte die Behörde die Betroffene mit Schreiben vom 8. September 2017 auf, eine Vielzahl beanstandeter Dokumente aus dem elektronischen Archivsystem bis Jahresende 2017 zu löschen. Die Betroffene teilte daraufhin mit Schreiben vom 22. September 2017 mit, dass ihr die verlangte Löschung der beanstandeten Dokumente aus technischen und rechtlichen Gründen nicht möglich sei. Eine Löschung der Dokumente erfordere insbesondere zunächst die Überführung der alten Archivdaten in ein neues Archivsystem, welches wiederum Konformität mit den gesetzlichen handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungspflichten aufweisen müsse. Zu diesen Einwänden fand auf Wunsch der Betroffenen sodann am 1. November 2017 ein Gespräch zwischen Vertretern der Behörde und der Betroffenen statt, indem die Behörde insbesondere die Auffassung vertrat, dass es am Markt technische Lösungen gebe, die eine Umsetzung der begehrten Löschungen erlaube. Nachdem die Betroffene unter dem 30. November 2017 noch einmal schriftlich dargelegt hatte, dass die Löschungen innerhalb der gesetzten Frist nicht erfolgen könnten, forderte die Behörde die Betroffene mit Schreiben vom 20. Dezember 2017 dazu auf, die der Löschung entgegenstehenden Gründe, insbesondere einen etwaigen unverhältnismäßigen Aufwand schriftlich darzulegen. Die Betroffene beantwortete diese Aufforderung mit einer E-Mail vom 3. Januar 2018 und einem Schreiben vom 26. Januar 2018 und berichtete über den vorgesehenen Aufbau eines neuen Speichersystems, mit dem das bisherige beanstandete System ersetzt werden sollte.

Am 5. März 2020 nahm die BlnBDI sodann eine Prüfung in der Konzernzentrale der Betroffenen vor, bei der insgesamt 16 Stichproben im Datenbestand der Betroffenen entnommen wurden und die Betroffene die Behörde unterrichtete, dass das beanstandete Archivsystem zum 13. Februar 2020 außer Betrieb gesetzt worden sei und die Migration der Daten auf das neue System unmittelbar bevorstehe. An diesen Termin schloss sich weiterer Briefwechsel zwischen der Betroffenen und der Behörde an, insbesondere hat die Behörde die Betroffene um zahlreiche Auskünfte ersucht, die die Betroffene in mehreren Schreiben bedient hat.

Mit Schreiben vom 30. August 2020, zugestellt am 2. September 2020, hörte die Behörde die ... als Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit an und teilte ihr mit, gegen sie ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet zu haben. Mit der Anhörung verlangte die Behörde Auskunft über die vertretungsberechtigten Leitungspersonen der Betroffenen, die die Betroffene mit Schreiben vom 12. September 2020 beantwortet hat. Nach Stellungnahme der Betroffenen mit Schreiben vom 30. September 2020 erließ die BlnBDI am 30. Oktober 2020 sodann den verfahrensgegenständlichen Bußgeldbescheid gegen die Betroffene, der dieser am 31. Oktober 2020 zugestellt worden ist. Die Behörde verhängte mit dem Bußgeldbescheid vom 30. Oktober 2020 gegen die Betroffene wegen „vorsätzlicher“ Verstöße gegen Artikel 25 Absatz 1, Artikel 5 Absatz 1 lit. a), c) und e) sowie gegen Artikel 6 Absatz 1 DS-GVO ein Bußgeld in Höhe von EUR 14.549.503,50. Die ... als Betroffene habe es danach zumindest im Tatzeitraum zwischen dem 25. Mai 2018 und dem 5. März 2019 unterlassen, die notwendigen Maßnahmen zur Ermöglichung der regelmäßigen Löschung nicht mehr benötigter oder in sonstiger Weise zu Unrecht gespeicherter Daten von Mietern zu treffen. Die ... habe ferner personenbezogene Daten von mindestens fünfzehn näher bezeichneten Mietern fortgesetzt gespeichert, obgleich ihr bekannt gewesen sei, dass die Speicherung nicht oder nicht mehr erforderlich war und sie habe damit bewusst in Kauf genommen, Datenschutzgrundsätze zu verletzen. Hinsichtlich der Tatvorwürfe habe die ... vorsätzlich gehandelt.

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 7. November 2020 legte die Betroffene gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein, der der Behörde noch am selben Tage durch Faxschreiben zuging und den die Betroffene mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 14. August 2020 begründete. Sie führt neben Einwänden zu den tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen der vermeintlich verletzten Bußgeldvorschriften insbesondere aus, dass bereits ein Verfahrenshindernis bestehe, da der Bußgeldbescheid die ... als Betroffene führe, was im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht vorgesehen sei.

Wegen des weiteren Sachstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Verfahren war nach § 206a StPO in Verbindung mit §§ 46, 71 OWiG durch Beschluss einzustellen, da ein Verfahrenshindernis besteht.

1. Der Bußgeldbescheid der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 30. Oktober 2019 leidet unter derart gravierenden Mängeln, dass er nicht Grundlage des Verfahrens sein kann.

a) Der Bußgeldbescheid wurde gegen die ... erlassen, mithin gegen eine Europäische Gesellschaft, eine juristische Person des Privatrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit i.S.v. § 1 Absatz 1 AktG in Verbindung mit §§ 1 ff. SEAG in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft. Die ... wurde von der BlnBDI als Betroffene im Sinne des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten behandelt. Ihr wurde im Bußgeldbescheid an zahlreichen Stellen die vorsätzliche Verwirklichung von Ordnungswidrigkeitstatbeständen vorgeworfen. In der Stellungnahme der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 28. Oktober 2020 zur Einspruchsbegründung der Betroffenen hat die Behörde bekräftigt, der Bescheid richte sich allein gegen die ..., vertreten durch ihre Geschäftsführung.

Eine juristische Person kann indes nicht Betroffene in einem Bußgeldverfahren, auch nicht in einem solchen nach Artikel 83 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung oder DS-GVO), sein. Denn eine Ordnungswidrigkeit kann nur eine natürliche Person vorwerfbar begehen. Der juristischen Person kann lediglich ein Handeln ihrer Organmitglieder oder Repräsentanten (der natürlichen Personen) zugerechnet werden. Sie kann deshalb im Bußgeldverfahren nur Nebenbeteiligte sein. Die Verhängung einer Geldbuße gegen sie ist in § 30 OWiG geregelt, der über § 41 Absatz 1 BDSG auch für Verstöße nach Artikel 83 Absatz 4 bis 6 DS-GVO Anwendung findet. Danach kann entweder in einem einheitlichen Verfahren gegen die juristische Person eine Geldbuße festgesetzt werden, wenn wegen der Tat des Organmitgliedes oder Repräsentanten, also der natürlichen Person, gegen diese ein Bußgeldverfahren durchgeführt wird, oder aber nach § 30 Absatz 4 OWiG in einem selbständigen Verfahren. Voraussetzung ist dann freilich, dass wegen der Tat des Organmitgliedes oder Repräsentanten der juristischen Person ein Verfahren nicht eingeleitet oder ein solches Verfahren eingestellt wird. Allerdings muss, da die juristische Person selbst eine Ordnungswidrigkeit nicht begehen kann, auch in diesem sogenannten selbständigen Verfahren eine vorwerfbare Ordnungswidrigkeit eines Organmitgliedes der juristischen Person festgestellt werden.

Der verfahrensgegenständliche Bußgeldbescheid vom 30. Oktober 2019 wurde offensichtlich nicht als selbständiger Bescheid gemäß § 30 Absatz 4 OWiG erlassen. Die BlnBDI war sich der dargestellten Rechtslage nicht bewusst und vertritt die Auffassung, eine juristische Person könne im Ordnungswidrigkeitenrecht wie eine natürliche Person behandelt werden. Der Bußgeldbescheid erging daher in einem Verfahren, das im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten nicht vorgesehen und daher nicht zulässig ist. Der Bescheid ist deshalb unwirksam (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 1. Februar 1993 – 4 Ss 573/92, MDR 1993, 572).

aa) Dabei übersieht die Kammer nicht, dass in der rechtswissenschaftlichen Literatur und vom Landgericht Bonn (Urteil vom 11. November 2020 – 29 OWi 1/20, BeckRS 2020, 35663) vertreten wird, Artikel 83 DS-GVO allein sei hinreichende Rechtsgrundlage für eine sogenannte unmittelbare Verbandshaftung juristischer Personen (vgl. etwa: BeckOK DatenschutzR/Holländer DS-GVO Art. 83 Rn. 9; Kühling/Buchner/Bergt, DS-GVO BDSG, DSGVO Art. 83 Rn. 20; BeckOK DatenschutzR/Brodowski/Nowak, § 41 BDSG Rn. 11). Nach dieser Auffassung besteht für die Datenschutz-Grundverordnung ein Anwendungsvorrang vor nationalen Vorschriften, da es andernfalls zu ungewünschten Wettbewerbsverzerrungen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Hinblick auf die Durchsetzungen der europarechtlichen Datenschutzregeln kommen könne. Nationale Vorschriften wie § 41 Absatz 1 BDSG in Verbindung mit §§ 30, 130 OWiG, seien wegen des Grundsatzes der praktischen Wirksamkeit (effet utile) so auszulegen, dass ihre Anwendung nicht zu Vollzugsdefiziten führen könne – und wo dies nicht gelänge, seien sie gar nicht anzuwenden. Schließlich gäben die Erwägungsgründe der Datenschutz-Grundverordnung Hinweis darauf, dass der europäische Verordnungsgesetzgeber das Sanktionsregime des europäischen Kartellrechtes habe nachbilden wollen, dem eine unmittelbare Verbandshaftung zugrunde liege. Danach bedarf es gerade nicht der Feststellung einer Tathandlung durch eine natürliche Person, die dem Verband zugerechnet werden müsste (sogenannte Anknüpfungstat). Vielmehr sei die juristische Person selbst Täter und nach dem insoweit unmittelbar anwendbaren Unionsrecht auch schuldfähig.

bb) Dieser Auffassung vermag sich die Kammer indes nicht anzuschließen.

Nach Artikel 83 DS-GVO in Verbindung mit Artikel 4 Nr. 7 und 8 DS-GVO sind Geldbußen für Verstöße gegen die DS-GVO gemäß Artikel 83 Absätze 4 bis 6 DS-GVO nicht nur gegen natürliche Personen, sondern auch gegen juristische Personen als „Verantwortlicher“ im Sinne des Artikel 4 Nr. 7 DS-GVO oder „Auftragsverarbeiter“ im Sinne des Artikel 4 Nr. 8 DS-GVO zu verhängen. Nähere Bestimmungen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen für von ihnen zurechenbaren natürlichen Personen begangene Verstöße gegen die Datenschutz-Grundverordnung enthält die Verordnung indes nicht.

Auf das von der BlnBDI geführte Ordnungswidrigkeitsverfahren für die Verhängung einer Geldbuße nach Artikel 83 Absatz 4-6 DS-GVO findet nach § 41 BDSG aber das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Anwendung. Die Norm dient – neben der allgemeinen Umsetzungsverpflichtung europäischen Rechts aus Artikel 197 Absatz 3 Satz 1, 291 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) – der Umsetzung des spezifischen Regelungsauftrages aus Artikel 83 Absatz 8 DS-GVO. Danach haben die Mitgliedstaaten für die Ausübung der Befugnisse gemäß Artikel 83 DS-GVO durch die zuständige Aufsichtsbehörde angemessene Verfahrensgarantien einschließlich wirksamer gerichtlicher Rechtsbehelfe und ordnungsgemäßer Verfahren vorzusehen. § 41 Absatz 1 BDSG erklärt daher die Anwendung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten für die Verstöße nach Artikel 83 Absatz 4 bis 6 DS-GVO und damit für das „ob“ einer Tatbestandsverwirklichung unter Ausnahme der §§ 17, 35, 36 OWiG, für anwendbar. § 41 Absatz 2 BDSG regelt sinngleiches für das Verfahren wegen eines Verstoßes gegen Artikel 83 Absatz 4 bis 6 DS-GVO. Die Regelung ist erforderlich, da das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten nach dessen § 2 Absatz 2 Satz 2 nur für Bundes- und Landesrecht gilt. Der Nichtanwendungsbefehl für die §§ 17, 35, 36 OWiG folgt dabei daraus, dass in der diesen Normen zugrundeliegenden Regelungsmaterie, namentlich der Bußgeldhöhe und der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde, die Datenschutz-Grundverordnung abschließende Regelungen getroffen hat (vgl. BT-Drs. 18/11325, S. 108 zu § 41). Für den Bereich der Zurechnung schuldhaften Verhaltens ist dies freilich nicht der Fall, weshalb die §§ 30, 130 OWiG auch im Rahmen von Verstößen nach Artikel 83 Absatz 4 bis 6 DS-GVO anwendbar bleiben (vgl. Gola, Datenschutzgrundverordnung, Art. 83, Rn. 11; Sydow/Popp DS-GVO Art. 83 Rn. 5, Art. 84 Rn. 3; Piltz, BDSG Praxiskommentar für die Wirtschaft, § 41 Rn. 7 ff.; Schantz/Wolff, Das neue Datenschutzrecht, Rn. 1128, 1132-1135; zur vergleichbaren Rechtslage in Österreich: ÖVwGH, Erkenntnis vom 12.5.2020 – Ro 2019/04/0229, ZD 2020, 463; BVwG, Spruch vom 19. August 2019 – W211 2217629-1/10E Rn. 29 ff.; Spruch vom 23. Oktober 2019 – W258 2227269-1/114E, sub. 3.11).

Die Regelung der Zurechnung der durch natürliche Personen begangenen Verstöße ist erforderlich, da die juristische Person selbst nicht handelt, ihre Organe und Vertreter tun dies für sie. Eine Ordnungswidrigkeit aber ist eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, welches die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt (vgl. § 1 Absatz 1 OWiG). Insoweit ist die Feststellung eines vorwerfbaren Verhaltens einer natürlichen Person die notwendige Grundvoraussetzung für die Begründung einer Verantwortlichkeit des möglicherweise pflichtigen Rechtsträgers.

Der Wortlaut des § 41 Absatz 1 Satz 1 BDSG, der für Verstöße nach Artikel 83 Absatz 4 bis 6 der DS-GVO die „sinngemäße“ Anwendung der Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vorsieht, liefert – entgegen der Auffassung der Behörde – keinen Hinweis darauf, dass die Normen des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten „eingeschränkt“ oder gar selektiv überhaupt nicht anzuwenden wären. Es handelt sich bei diesem Verweis vielmehr um eine gängige Inbezugnahme außerhalb des Ausgangstextes liegender Vorschriften. Hierzu stehen dem Gesetzgeber verschiedene Formen des Verweises zur Verfügung. Einer von ihnen ist die sogenannte Analogieverweisung, die rechtsförmlich zutreffend mit dem Wort „sinngemäß“ oder „entsprechend“ verbunden wird. Damit soll bestimmt werden, dass der Bezugstext – hier das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten – nicht wörtlich, sondern nur sinngemäß angewandt wird, was immer dann angezeigt ist, wenn der Bezugstext nicht wörtlich passt. Eine inhaltliche Einschränkung dahingehend, dass bestimmte Normen des Bezugstextes gar nicht gelten, ist davon indes nicht erfasst. Grundsätzlich wird vielmehr der Bezugstext Bestandteil der verweisenden Regelung (zum Ganzen: Handbuch der Rechtsförmlichkeit, BAnz. Nr. 160a vom 22. September 2008, Rn. 218 ff., 232 ff.). Dementsprechend lässt sich aus dem Analogieverweis auf die Normen des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten auch keinesfalls ableiten, dass die §§ 30, 130 OWiG nicht oder einschränkt auf den hiesigen Sachverhalt anwendbar wäre.

Zu keinem anderen Ergebnis führt es, dass § 41 Absatz 1 Satz 1 BDSG die einschränkende Wendung „soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt“ enthält. Anders als die Behörde meint, ist mit der Bezeichnung „dieses Gesetz“ nicht etwa die DS-GVO gemeint. Nicht nur wäre die DS-GVO als „Gesetz“ rechtsförmlich unzutreffend bezeichnet worden. Das verweisende Gesetz – hier das Bundesdatenschutzgesetz – wird stets als „dieses Gesetz“ bezeichnet (vgl. Handbuch der Rechtsförmlichkeit, BAnz. Nr. 160a vom 22. September 2008, Rn. 275 f., 310).

Der historische Gesetzgeber des Bundesdatenschutzgesetzes ist denn auch augenscheinlich von der Anwendbarkeit der §§ 30, 130 OWiG im Falle eines Verstoßes gegen die DS-GVO ausgegangen. Denn während der erste Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und –Umsetzungsgesetz EU) in § 39 Absatz 1 Satz 2 BDSG-RefE noch die ausdrückliche Nichtanwendung der §§ 30, 130 OWiG vorsah, ist dieser Normbefehl in der Gesetz gewordenen bedeutungs- und im Übrigen wortlautgleichen Vorschrift des § 41 Absatz 1 Satz 2 BDSG gestrichen worden und auch nicht durch die letzte Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes, durch das zweite Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts vom 20. November 2019, geändert worden. Dabei war sich der Gesetzgeber mindestens durch die Entschließung der 97. Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder vom 3. April 2019, mit dem für eine „klarstellende“ Ergänzung des § 41 Absatz 1 Satz 2 BDSG und die Nichtanwendung der §§ 30, 130 OWiG geworben wird, der Folgen seiner Entscheidung bewusst.

Die insoweit unzweideutige Entscheidung des Gesetzgebers findet einen guten Grund in den Grenzen der verfassungsmäßigen Ordnung. Denn Hintergrund des Erfordernisses der Anknüpfung an die Handlung einer natürlichen Person ist das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz (GG), aus Artikel 103 Absatz 2 GG, der allgemeinen Handlungsfreiheit des Artikel 2 Absatz 1 GG sowie der Menschenwürde in Artikel 1 Absatz 1 GG folgende Schuldprinzip. Ohne eine Anknüpfung an eine schuldhafte Handlung ist ein staatlicher Strafausspruch nicht möglich. Wobei jede Strafe, nicht nur die Strafe für kriminelles, sondern auch die strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht, die Elemente von Repression und Vergeltung beinhaltet, die ein Übel wegen eines rechtswidrigen Verhaltens verhängt, dem Schuldprinzip unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1966 – 2 BvR 506/63, NJW 1967, 195; Urteil vom 30. Juni 1976 - 2 BvR 435/76, NJW 1976, 1883; Beschluss vom 14. Juli 1981 – 1 BvR 575/80). Dieses gilt daher auch im Ordnungswidrigkeitenrecht. Die schuldhafte Handlung des Einzelnen setzt aber dessen eigene Verantwortung und die Willensfreiheit voraus, sich für Recht oder Unrecht entscheiden zu können. Diese Entscheidung vermag die juristische Person nicht zu treffen, weshalb es insoweit immer der Anknüpfung an die Handlung einer natürlichen Person bedarf. Auf dieser Linie liegt es, wenn auch das aktuelle Gesetzgebungsverfahren zu einem Verbandssanktionengesetz in der Entwurfsfassung des § 3 VerSanG-E (vgl. BT-Drcks. Drucksache 19/23568, S. 11) auf die Begehung einer Straftat durch eine Leitungsperson oder die Verletzung einer Aufsichtspflicht abstellt und insoweit am bestehenden Konzept der Notwendigkeit der Verantwortlichkeit einer natürlichen Person festhält.

Der Hinweis darauf, der europäische Verordnungsgesetzgeber habe mit der Datenschutzgrundverordnung das Sanktionsregime des europäischen Kartellrechts nachbilden wollen, weshalb – wie dort – eine unmittelbare Verbandsverantwortlichkeit in Betracht komme, überzeugt ebenfalls nicht.

Zunächst ist das europäische Kartellrecht davon geprägt, dass es nach Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (KartellVO) grundsätzlich von der europäischen Kommission kraft eigener Kompetenz umgesetzt wird, wohingegen die DS-GVO durch nationale Aufsichtsbehörden exekutiert werden soll. Mag auch Artikel 5 KartellVO eine Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts begründen, so ist doch für die Reichweite dieser behördlichen Befugnisse weiterhin das innerstaatliche Recht maßgeblich. Die nationalen Behörden können dementsprechend Verstöße gegen europäisches Recht nur verfolgen, soweit es nationale Bestimmungen zulassen. Dies gilt im Besonderen auch für die bußgeldrechtliche Haftung eines Unternehmens im Sinne des weiten Unternehmensbegriffs nach europäischer Rechtsprechung (zu diesem: EuGH, Urteil vom 10. September 2009 – C-97/08EuZW 2009, 816, 821 [Akzo Nobel u. a./Kommission], Rn. 54 ff.; EuG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – T-259/02, BeckRS 2006, 140069, Rn. 21). Denn für das deutsche Recht hat der nationale Gesetzgeber sich für das Rechtsträgerprinzip entschieden, wie es etwa in § 30 OWiG zum Ausdruck kommt. Die Verhängung einer allgemeine Unternehmensgeldbuße durch deutsche Kartellbehörden ohne Anknüpfung an die Tat eines Repräsentanten kommt danach nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2014 − KRB 47/13, NZKart 2015, 272, 275 f. [Silostellgebühren III]; Beschluss vom 10. August 2011 – KRB 55/10, NJW 2012,164, 165 [Versicherungsfusion]; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. Dezember 2012 − V-1 Kart 7/12 (OWi)- NZKart 2013, 166, 167 ff. [Silostellgebühren II]). Das nationale Kartellbußgeldrecht enthält auch nach der jüngsten Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) keine Ausnahme von diesem Rechtsgrundsatz. Nach den §§ 81 ff. GWB setzt die Bebußung eines Unternehmens voraus, dass die Tat durch eine Leitungsperson selbst oder zwar durch eine andere Person begangen wurde, aber die Leitungsperson sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) schuldig gemacht hat. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die Vorschriften der §§ 81a bis 81c GWB. Soweit danach eine gegen ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung zu verhängende Geldbuße in Rede steht, geht es dabei – wie bereits in der Vorgängernorm des § 81 Absatz 4 Satz 2 GWB – insbesondere um die Bußgeldbemessung, ohne dass damit die in § 30 OWiG vorgesehene Begrenzung der Ahndung einer Organtat gegenüber derjenigen juristischen Person, deren Organ die Tat begangen hat, aufgehoben wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2011 – KRB 55/10, NJW 2012, 164, 166 [Versicherungsfusion]).

Insoweit vermag auch der Hinweis auf Erwägungsgrund 150 zur DS-GVO nicht die Annahme rechtfertigen, der europäische Verordnungsgesetzgeber der DS-GVO habe die Übernahme des gesamten supranationalen kartellrechtlichen Sanktionsregimes gewollt. Denn Erwägungsgrund 150 (Satz 3) zur DS-GVO betrifft die Bemessung einer möglichen Bußgeldhöhe allein. Er verhält sich damit zur Rechtsfolge eines Verstoßes und keinesfalls – wie etwa der die europäische Kommission ermächtigende Artikel 23 KartellVO – auch zu dessen Voraussetzungen. Satz 3 des Erwägungsgrundes lautet: „Werden Geldbußen Unternehmen auferlegt, sollte zu diesem Zweck der Begriff „Unternehmen“ im Sinne der Artikel 101 und 102 AEUV verstanden werden.“ Die Formulierung setzt zunächst voraus, dass überhaupt eine Buße gegen ein „Unternehmen“ verhängt wird. Zur Frage der Bemessung der Höhe dieser Buße nimmt Erwägungsgrund 150 erkennbar Bezug auf Artikel 83 Absatz 4 bis 6 DS-GVO und möchte damit erreichen, dass im Falle der Verhängung einer Buße gegen ein „Unternehmen“ eben nicht allein der erzielte Jahresumsatz des (unmittelbar) betroffenen Rechtsträgers zur Bemessungsgrundlage gemacht wird, sondern vielmehr – i.S.v. Artikel 101 f. AEUV und des kartellrechtlichen, weiten Unternehmensbegriffs – der Umsatz der handelnden wirtschaftlichen Einheit (vgl. Immenga/Mestmäcker/Zimmer, Wettbewerbsrecht, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 9 ff.). Diese Ausdeutung wird in systematischer Hinsicht durch Satz 4 des Erwägungsgrundes gestützt, der sich mit der Bemessung der Bußgeldhöhe – und dieser allein – bei natürlichen Personen befasst.

Nach Auffassung der Kammer erlaubt es zudem das Gesetzlichkeitsprinzip des Artikel 103 Absatz 2 GG nicht, die Frage der Verantwortlichkeit einer juristischen Person im Rahmen einer staatlichen Sanktionsanordnung durch die eine europäische Verordnung begleitenden Erwägungsgründe zu manifestieren, die zudem erkennbar nicht Bestandteil der Verordnung selbst sind.

Schließlich ist für die Kammer auch nicht erkennbar, dass sich aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot (Art. 197 AEUV) eine Pflicht zur Übernahme des unionsrechtlichen Modells der Verbandsverantwortlichkeit ergeben sollte. Denn dieses belässt den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des Sanktionsregimes einen Ermessensspielraum, der verfassungskonform, hier insbesondere unter Beachtung des Schuldgrundsatzes auszufüllen ist (vgl. zum Kartellrecht: Böse, ZStW 126 (2014), 132, 155).

Zwar wird wohl zutreffend darauf hingewiesen, dass es zur effektiven Durchsetzung der Regelungsziele der Datenschutzgrundverordnung erforderlich ist, dass das nationale Recht wirksame und hinreichend abschreckende Sanktionen zulässt, womit die Pflicht der nationalen Gerichte einhergehen dürfte, das einzelstaatliche Recht möglichst so auszulegen, dass bei einer Zuwiderhandlung gegen die DS-GVO effektive Sanktionen verhängt werden können. Die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung findet aber in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit, insofern ihre Schranken, als sie nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem, also entgegen den nach nationalem Recht zulässigen Methoden richterlicher Rechtsfindung, dienen darf (vgl. EuGH, Urteil vom 16.Juli 2009 - C 12/08, BeckRS 2009, 70805, Rn. 61 [Mono Car Styling]; BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/0, BGHZ 179, 27 Rn. 19 ff. mwN). Besondere Geltung beanspruchen diese Grundsätze für Vorschriften auf dem Gebiet des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts (EuGH, Urteil vom 16. Juni 2005 - C-105/03, NJW 2005, 2839 Rn. 47 [M. Pupino]; KK-OWiG/Rogall, § 3 Rn. 83 m.w.N.), bei deren Auslegung dem im deutschen und auch europäischen Verfassungsrecht verankerten Gesetzlichkeitsprinzip (Artikel 103 Absatz 2 GG, Artikel 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [2007/C 303/01]; Artikel 7 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten) und somit auch der Wortsinngrenze besondere Bedeutung zukommt. Eine gesetzlich nicht vorgesehene strafrechtliche Verantwortlichkeit kann danach auf eine unionsrechtskonforme Auslegung selbst dann nicht gestützt werden, wenn die in Rede stehende nationale Regelung sich andernfalls als unionsrechtswidrig erweisen könnte (EuGH, Urteil vom 28. Juni 2012 – C-7/11, BeckRS 2012, 81321 [Caronna]; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2014 − KRB 47/13 – Silostellgebühren III, NZKart 2015, 272, 274).

Die hier anzuwendenden Bestimmungen in §§ 30, 130 OWiG i.V.m. § 41 BDSG schließen die bußgeldrechtliche Inanspruchnahme der Betroffenen auf der Grundlage des verfahrensgegenständlichen Bescheides aus. Denn nach ihrem Wortlaut ist für die Verantwortlichkeit der juristischen Person eine schuldhafte Handlung eines ihrer Repräsentanten erforderlich. Dieses Erfordernis kann nicht im Wege der Auslegung der Norm oder durch die Annahme einer Verbandsverantwortlichkeit „sui generis“ entfallen, ohne die Wortlautgrenze zu überschreiten und damit einen Verstoß gegen das Analogieverbot des Artikel 103 Absatz 2 GG zu begründen (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 – 1 BvR 713/83, BeckRS 1986, 50, Rn. 65).

Es ist überdies lediglich pauschal dargetan worden, dass der Nachweis der Begehung einer Ordnungswidrigkeit durch das Erfordernis des Nachweises einer pflichtwidrigen Organhandlung i.S.v. §§ 30, 130 OWiG erschwert sei. Nicht dargetan ist indessen, dass sie den handelnden Aufsichtsbehörden dadurch nicht möglich wäre. Es ist im hiesigen Falle im Besonderen verwunderlich, dass die verfahrensgegenständlichen Verstöße gegen Datenschutzgesetze durch die Behörde bereits im Jahre 2017 – und damit vor Inkrafttreten der DS-GVO – festgestellt worden sind, verschiedene Vor-Ort Termine stattgefunden haben, Auskünfte, etwa über technische Details der Datenverarbeitung verlangt worden sind, und die Betroffene auch entsprechende Auskünfte erteilt hat, dass jedoch von der Behörde keine hinreichenden Ermittlungen zu den unternehmensinternen Verantwortlichkeiten für die beanstandeten Verstöße erfolgt sind. In diesem Falle dürfte es naheliegen, dass bereits eine Offenlegung der Organisationsstruktur im Unternehmen der Betroffenen zu einer Ermittlung von für die Datenverarbeitungsvorgänge verantwortlichen Personen geführt hätte und so möglicherweise etwa eine Aufsichtspflichtverletzung hätte dargelegt werden können. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass unter Beachtung der §§ 30, 130 OWiG keine wirksamen und abschreckenden Sanktionen verhängt werden können.

b) Auch bei einer Umdeutung des Bescheids in einen selbständigen Bußgeldbescheid gemäß § 30 Absatz 4 OWiG genügte dieser nicht den Anforderungen, die an einen solchen als Verfahrensgrundlage zu stellen wären.

Der Bußgeldbescheid, der im gerichtlichen Verfahren anstelle des Anklagesatzes tritt, begrenzt nach Person und Sache den Prozessgegenstand. Aus ihm muss sich die tatsächlich und rechtlich näher bezeichnete Beschuldigung ergeben (vgl. § 66 OWiG). Voraussetzung für die Festsetzung einer Geldbuße gegen eine juristische Person im selbständigen Verfahren gemäß § 30 Absatz 4 OWiG ist, wie bereits dargelegt, zudem, dass eines ihrer Organe eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, die der juristischen Person zuzurechnen ist.

Der Bußgeldbescheid vom 30. Oktober 2019 erfüllt diese Abgrenzungsfunktion nicht. Der Tatvorwurf ist nicht bestimmt. Es fehlt etwa die Angabe von Tatzeit und -ort sowie des Organmitgliedes, das schuldhaft und der Betroffenen zurechenbar die Einrichtung eines den datenschutzrechtlichen Anforderungen genügenden EDV-Systems unterlassen oder aber eine rechtzeitige Löschung relevanter Daten nicht veranlasst haben soll. Der Bescheid enthält – mit Blick auf die Rechtsauffassung der Behörde konsequent – auch sonst keine Angaben zur konkreten Tathandlung selbst oder ihrer Unterlassung. Ihm lässt sich nicht entnehmen, worauf ein Vorwurf, die datenschutzrechtlichen Anforderungen seien nicht eingehalten worden, gestützt wird. Dies wäre aber umso mehr erforderlich, als, wie aus der Akte ersichtlich ist, die Behörde zu den Vorwürfen bei der Betroffenen Ermittlungen geführt hat und über einen längeren Zeitraum mit dieser über die gegenständlichen Vorwürfe in Kontakt stand, sich etwa schriftlich und in persönlichen Gesprächen Fragen von Mitarbeitern des Unternehmens beantworten ließ. Insoweit wären Ausführungen dazu möglich und notwendig gewesen, aus welchen Umständen die Behörde eine Verantwortlichkeit der Betroffenen herleiten möchte. Der Bußgeldbescheid enthält gleichwohl keinen konkreten Tatvorwurf gegen ein Organ der juristischen Person. Dieser Mangel kann auch nicht mehr gemäß §§ 71 Absatz 1 OWiG, 265 StPO durch einen Hinweis des Gerichts behoben werden. Auch bei Umdeutung des Bußgeldbescheides in einen selbständigen Bescheid nach § 30 Absatz 4 OWiG müsste deshalb das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt werden.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 71 OWiG, 467 Absatz 1, Absatz 3 StPO. Es erscheint nicht unbillig, der Staatskasse die notwendigen Auslagen der ... aufzuerlegen, da das Verfahrenshindernis von Anfang an bestand.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Berliner Datenschutzbeauftragter: Bußgeld von 14,5 Millionen EURO gegen Deutsche Wohnen SE wegen DSGVO-Verstößen

Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit hat gegen die Deutsche Wohnen SE wegen DSGVO-Verstößen ein Bußgeld von rund 14,5 Millionen EURO verhängt.

Die Pressemitteilung des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit:

Berliner Datenschutzbeauftragte verhängt Bußgeld gegen Immobiliengesellschaft

Am 30. Oktober 2019 hat die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit gegen die Deutsche Wohnen SE einen Bußgeldbescheid in Höhe von rund 14,5 Millionen Euro wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) erlassen.

Bei Vor-Ort-Prüfungen im Juni 2017 und im März 2019 hat die Aufsichtsbehörde festgestellt, dass das Unternehmen für die Speicherung personenbezogener Daten von Mieterinnen und Mietern ein Archivsystem verwendete, das keine Möglichkeit vorsah, nicht mehr erforderliche Daten zu entfernen. Personenbezogene Daten von Mieterinnen und Mietern wurden gespeichert, ohne zu überprüfen, ob eine Speicherung zulässig oder überhaupt erforderlich ist. In begutachteten Einzelfällen konnten daher teilweise Jahre alte private Angaben betroffener Mieterinnen und Mieter eingesehen werden, ohne dass diese noch dem Zweck ihrer ursprünglichen Erhebung dienten. Es handelte sich dabei um Daten zu den persönlichen und finanziellen Verhältnissen der Mieterinnen und Mieter, wie z. B. Gehaltsbescheinigungen, Selbstauskunftsformulare, Auszüge aus Arbeits- und Ausbildungsverträgen, Steuer-, Sozial- und Krankenversicherungsdaten sowie Kontoauszüge.

Nachdem die Berliner Datenschutzbeauftragte im ersten Prüftermin 2017 die dringende Empfehlung ausgesprochen hatte, das Archivsystem umzustellen, konnte das Unternehmen auch im März 2019, mehr als eineinhalb Jahre nach dem ersten Prüftermin und neun Monate nach Anwendungsbeginn der Datenschutz-Grundverordnung weder eine Bereinigung ihres Datenbestandes noch rechtliche Gründe für die fortdauernde Speicherung vorweisen. Zwar hatte das Unternehmen Vorbereitungen zur Beseitigung der aufgefundenen Missstände getroffen.

Diese Maßnahmen hatten jedoch nicht zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustands bei der Speicherung personenbezogener Daten geführt. Die Verhängung eines Bußgeldes wegen eines Verstoßes gegen Artikel 25 Abs. 1 DS-GVO sowie Artikel 5 DS-GVO für den Zeitraum zwischen Mai 2018 und März 2019 war daher zwingend.

Die Datenschutz-Grundverordnung verpflichtet die Aufsichtsbehörden sicherzustellen, dass Bußgelder in jedem Einzelfall nicht nur wirksam und verhältnismäßig, sondern auch abschreckend sind. Anknüpfungspunkt für die Bemessung von Geldbußen ist daher u. a. der weltweit erzielte Vorjahresumsatz betroffener Unternehmen. Aufgrund des im Geschäftsbericht der Deutsche Wohnen SE für 2018 ausgewiesenen Jahresumsatzes von über einer Milliarde Euro lag der gesetzlich vorgegebene Rahmen zur Bußgeldbemessung für den festgestellten
Datenschutzverstoß bei ca. 28 Millionen Euro.

Für die konkrete Bestimmung der Bußgeldhöhe hat die Berliner Datenschutzbeauftragte unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Aspekte die gesetzlichen Kriterien herangezogen.

Belastend wirkte sich hierbei vor allem aus, dass die Deutsche Wohnen SE die beanstandete Archivstruktur bewusst angelegt hatte und die betroffenen Daten über einen langen Zeitraum in unzulässiger Weise verarbeitet wurden. Bußgeldmildernd wurde hingegen berücksichtigt, dass das Unternehmen durchaus erste Maßnahmen mit dem Ziel der Bereinigung des rechtswidrigen Zustandes ergriffen und formal gut mit der Aufsichtsbehörde zusammengearbeitet hat. Auch mit Blick darauf, dass dem Unternehmen keine missbräuchlichen Zugriffe auf die unzulässig gespeicherten Daten nachgewiesen werden konnten, war im Ergebnis ein Bußgeld im mittleren Bereich des vorgegebenen Bußgeldrahmens angemessen.

Neben der Sanktionierung dieses strukturellen Verstoßes verhängte die Berliner Datenschutzbeauftragte gegen das Unternehmen noch weitere Bußgelder zwischen 6.000 – 17.000 Euro wegen der unzulässigen Speicherung personenbezogener Daten von Mieterinnen und Mietern in 15 konkreten Einzelfällen.

Die Bußgeldentscheidung ist bisher nicht rechtskräftig. Die Deutsche Wohnen SE kann gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegen.

Maja Smoltczyk:
„Datenfriedhöfe, wie wir sie bei der Deutsche Wohnen SE vorgefunden haben, begegnen uns in der Aufsichtspraxis leider häufig. Die Brisanz solcher Missstände wird uns leider immer erst dann deutlich vor Augen geführt, wenn es, etwa durch Cyberangriffe, zu missbräuchlichen Zugriffen auf die massenhaft gehorteten Daten gekommen ist. Aber auch ohne solch schwerwiegende Folgen haben wir es hierbei mit einem eklatanten Verstoß gegen die Grundsätze des Datenschutzes zu tun, die die Betroffenen genau vor solchen Risiken schützen sollen. Es ist erfreulich, dass der Gesetzgeber mit der DatenschutzGrundverordnung die Möglichkeit eingeführt hat, solche strukturellen Mängel zu sanktionieren, bevor es zum Daten-GAU kommt. Ich empfehle allen datenverarbeitenden Stellen, ihre Datenarchivierung auf Vereinbarkeit mit der DS-GVO zu überprüfen.“


Früherer Ministerpräsident Mappus hat Anspruch auf Löschung von E-Mail-Dateien seines Outlook-Postfachs gegen das Land Baden-Württemberg

VGH Mannheim
Urteil vom 30.07.2014
1 S 1352/13


Die Pressemitteilung des VGH Mannheim:

"Früherer Ministerpräsident Mappus hat Anspruch auf Löschung von E-Mail-Dateien

Kurzbeschreibung: Im Streit um die Kopien von E-Mails aus dem Herbst 2010 hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe bestätigt: Der frühere Ministerpräsident Stefan Mappus kann vom Land Baden-Württemberg verlangen, dass dieses drei Dateien mit "Arbeitskopien“ des Outlook-Postfachs sowie sämtliche Kopien dieser Dateien löscht, nachdem diese zuvor dem Landesarchiv zur Übernahme als Archivgut angeboten worden sind.

Im Herbst 2010 erstellte ein Mitarbeiter des IT-Bereichs des Staatsministeriums eine Kopie des auf dem Server dieses Ministeriums liegenden und Stefan Mappus zugewiesenen Original-Outlook-Postfachs. Dies geschah, weil technische Probleme bezüglich des elektronischen Terminkalenders dieses Postfachs aufgetreten waren. Nachdem der Fehler nicht hatte gefunden werden können, blieben die kopierten Postfach-Daten gespeichert. Demgegenüber wurden die Original-E-Mail-Accounts von Stefan Mappus nach dem Regierungswechsel auf dem Server des Staatsministeriums endgültig gelöscht. Erst im Sommer 2012 wurde das Staatsministerium auf die nach seinen Angaben zwischenzeitlich in Vergessenheit geratenen kopierten Dateien wieder aufmerksam.

Im Oktober 2012 erhob Stefan Mappus Klage auf Löschung der Dateien mit der Begründung, die Dateien mit "Arbeitskopien“ seines früheren Outlook-Postfachs seien personenbezogene Daten nach dem Landesdatenschutzgesetz (LDSG) und daher zu löschen, weil ihre Kenntnis für das Staatsministerium zur Erfüllung seiner Aufgaben nicht mehr erforderlich sei. Das beklagte Land wandte hiergegen ein, sowohl die Speicherung der Dateien als auch deren Nutzung seien zur Erfüllung staatlicher Aufgaben erforderlich, da Stefan Mappus seine dienstliche E-Mail-Korrespondenz pflichtwidrig nicht vollständig zu den Sachakten genommen habe.

Das Verwaltungsgericht gab der Klage überwiegend statt und ließ die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 LDSG habe Stefan Mappus Anspruch auf Löschung der Daten in den von seinem damaligen Outlook-Postfach gefertigten "Arbeitskopien“. Die Sicherungskopien seien ausschließlich zum Zweck der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs einer Datenverarbeitungsanlage erstellt worden. Sie dürften daher gemäß § 15 Abs. 4 LDSG nur für diesen Zweck verwendet werden. Vor der Löschung der Dateien seien diese jedoch gemäß § 23 Abs. 3 LDSG dem Landesarchiv zur Übernahme als Archivgut nach Maßgabe des § 3 Landesarchivgesetz anzubieten. Der in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommende "Vorrang des Archivrechts“ vor dem allgemeinen Datenschutzrecht begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Land Berufung eingelegt mit dem Ziel, dass die Klage auf Löschung der Dateien vollständig abgewiesen wird. Zur Begründung hat es geltend gemacht, das Verwaltungsgericht habe die Zweckbindung der angelegten Sicherungskopien zu eng verstanden. Stefan Mappus hat seinerseits Berufung eingelegt; er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Löschung der Dateien, ohne dass diese zuvor dem Landesarchiv als Archivgut angeboten würden.

Der 1. Senat hat mit den Beteiligten heute bekannt gegebenem Urteil vom 30. Juli 2014 beide Berufungen zurückgewiesen. Stefan Mappus habe einen Anspruch auf Löschung der drei Dateien mit "Arbeitskopien“ des Outlook-Postfachs sowie sämtlicher Kopien dieser Dateien, nachdem diese dem Landesarchiv zur Übernahme als Archivgut angeboten worden sind. Die Dateien seien personenbezogene Daten und zur Erfüllung der Aufgaben des Staatsministeriums nicht mehr erforderlich. Hierfür komme es auf den datenschutzrechtlichen Zweck der Sicherungskopien an, den diese bei ihrer Erstellung gehabt hätten. Der habe darin bestanden, technischen Probleme im Outlook-Terminkalender von Stefan Mappus zu begegnen. An diese Zweckbestimmung sei der Beklagte gebunden. Der Löschungsanspruch bestehe selbst dann, wenn man zugunsten des Landes unterstelle, es habe ein allgemeiner Zweck der Datensicherung bestanden. Denn eine Wiederherstellung der Originaldateien aus der Sicherungskopie sei unzulässig, wenn der Zweck, zu dem die Originaldateien gespeichert worden seien, inzwischen weggefallen sei. Dies sei hier der Fall. Im Staatsministerium habe keine Regelung zur Speicherung von E-Mails bestanden. Die Speicherung von Postfachinhalten habe nach der allgemeinen Praxis im Staatsministerium den persönlichen Belangen des Postfachinhabers gedient; dieser Zweck könne nach dem Ausscheiden von Stefan Mappus aus dem Amt nicht mehr erreicht werden.

Dem datenschutzrechtlichen Löschungsanspruch könne im Einzelfall der Einwand des Rechtsmissbrauch entgegenstehen, wenn der Betroffene seinerseits offenkundig und schwerwiegend gegen eine gegenüber der die Daten speichernden Stelle bestehenden Pflicht oder Obliegenheit verstoßen habe, die im sachlichen Zusammenhang mit den zu löschenden Daten stehe. Dies sei hier jedoch nicht festzustellen. Zwar habe Stefan Mappus möglicherweise gegen seine Pflichten, vollständige Akten zu führen, verstoßen. Jedoch fehle es an einem offenkundigen und schwerwiegenden Verstoß. Denn es habe bereits eine eindeutige und klare Regelung zur Aktenführung gefehlt.

Der Löschungsanspruch sei jedoch dadurch beschränkt, dass die Dateien zuvor dem Landesarchiv als Archivgut anzubieten seien. Es handele sich entgegen der Auffassung von Stefan Mappus nicht um Archivgut eines Privaten, das nur mit dessen Einvernehmen dem Landesarchiv angeboten werden könne. Die Anbietungspflicht ergebe sich aus § 23 Abs. 3 LDSG. Die Regelungen des Archivrechts genügten dem Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung und seien verfassungsgemäß.

Das Urteil vom 30. Juli 2014 (1 S 1352/13) ist nicht rechtskräftig. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils durch Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden."

OLG Hamm: YouTube muss identifizierende Berichterstattung über einen Verkehrsunfall mit fahrlässiger Tötung nicht unterbinden

OLG Hamm
Beschlüsse vom 07.08.2013
und vom 23.09.2013
3 U 71/13
nicht rechtskräftig (BGH VI ZR 472/13)


Aus der Pressemitteilung des OLG Hamm:

"Das öffentliche Informationsinteresse kann eine identifizierende Berichterstattung über einen Verkehrsunfall mit fahrlässiger Tötung durch auf YouTube hochgeladene Videos rechtfertigen. Dem Betroffenen steht dann kein Löschungsanspruch gegen den Betreiber der Internetplattform YouTube zu. Das hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschlüssen vom 07.08.2013 und 23.09.2013 entschieden und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Münster bestätigt.
[...]
Die Berichterstattung sei auch nicht deswegen rechtswidrig, weil sie noch im Jahre 2012 bei YouTube zu sehen sei. Mit zeitlicher Distanz zur Straftat
nehme zwar das Interesse des Täters zu, mit seiner Tat nicht mehr konfrontiert zu werden. Jedoch bestehe auch ein Interesse der Öffentlichkeit, geschichtliche Ereignisse von besonderer Bedeutung recherchieren zu können. Soweit die Berichterstattung bei ihrer Veröffentlichung rechtmäßig gewesen
sei, dürften die Berichte auch in Online-Archiven weiter zum Abruf bereitgehalten werden, wenn das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht aufgrund
der Umstände des Einzelfalls überwiege. Letzteres treffe auf den vorliegenden Fall nicht zu. Die Berichterstattung sei ausdrücklich als Altmeldung erkennbar.
Der Resozialisierung des Klägers stehe sie nicht entgegen, weil nur ältere Fotografien verwandt worden seien und der Kläger bereits vor Klageerhebung
seinen Namen geändert habe."


Die vollständige Pressemitteilung des OLG Hamm finden Sie hier:



OLG Düsseldorf: Wettbewerbsverstoß nur noch im Google-Cache als Bagatellverstoß

Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 03.07.2007 I-20 U 10/07 entschieden, dass Wettbewerbsverstöße, die lediglich über den Google-Cache auffindbar sind, nicht geeignet sind, den Wettbewerb mehr als unerheblich zu beeinflussen. Es liegt insofern ein wettbewerbsrechtlich nicht relevanter Bagatellverstoß vor.



Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: "OLG Düsseldorf: Wettbewerbsverstoß nur noch im Google-Cache als Bagatellverstoß" vollständig lesen