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BVerfG: Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit wenn einstweilige Verfügung keine Ausführungen enthält weshalb Gericht von mündlicher Verhandlung abgesehen hat

BVerfG
Beschluss vom 12.03.2024
1 BvR 605/24


Das BVerfG hat in einem Eilverfahren entschieden, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit naheliegt, wenn eine einstweilige Verfügung keine Ausführungen enthält, weshalb das Gericht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolgreicher Eilantrag einer Zeitungsverlegerin gegen die gerichtliche Untersagung der Bebilderung zweier Presseartikel

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts dem Antrag der Verlegerin einer deutschlandweit erscheinenden Zeitung auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben. Sie wendet sich gegen eine ohne mündliche Verhandlung ergangene einstweilige Verfügung, mit der ihr die Bebilderung zweier Presseartikel teilweise untersagt wurde. Eine Entscheidung über die in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde steht noch aus.

Im Dezember 2023 berichtete die Beschwerdeführerin auf ihrer Internetseite in zwei Artikeln über einen Unfall. Beide Artikel waren mit Fotoaufnahmen bebildert, auf denen der bei dem Unfall Verstorbene – bis auf die Augenpartie unverpixelt – zu sehen war. Auf Antrag der Witwe des Verstorbenen untersagte das Landgericht der Beschwerdeführerin im Wege der – ohne mündliche Verhandlung ergangenen – einstweiligen Verfügung, diese Bilder zu veröffentlichen. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erhoben und hiermit verbunden beantragt, die Wirksamkeit des angegriffenen Beschlusses einstweilen außer Vollzug zu setzen. Der angegriffene Beschluss verletze sie insbesondere in ihrem Recht auf prozessuale Waffengleichheit.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet. Die vorzunehmende Folgenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen. Denn die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich der gerügten Verletzung der prozessualen Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren offensichtlich zulässig und begründet.

Weshalb das Landgericht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat, obschon eine solche auch vor der Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Regel ist, lässt sich seiner Entscheidung nicht entnehmen. Ihre Begründung lässt mangels jeglicher Ausführungen zu § 937 Abs. 2 ZPO nicht einmal erkennen, dass sich das Landgericht von den einfachrechtlichen Anforderungen an seine Verfahrensweise überhaupt leiten ließ. Soweit es damit sogar hinter einer nur formelhaft begründeten Verfahrenshandhabung zurückbleibt, die das Bundesverfassungsgericht in einem ähnlich gelagerten Fall desselben Spruchkörpers erst unlängst beanstandet hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Juni 2023 - 1 BvR 1011/23 -, Rn. 31 f.), ist deshalb ein bewusstes und systematisches Übergehen der prozessualen Rechte der Beschwerdeführerin nachvollziehbar dargetan.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Nürnberg: Sofortige Beschwerde des Antragstellers ohne Begründung lässt Dringlichkeit für einstweilige Verfügung entfallen

OLG Nürnberg
Beschluss vom 28.02.2023
3 W 290/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein sofortige Beschwerde des Antragstellers ohne Begründung die Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung entfallen lässt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 ZPO). Eine Begründung der Beschwerde ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Antragstellerin fehlt für die begehrte einstweilige Verfügung der Verfügungsgrund, weshalb es dahinstehen kann, ob ihr der geltend gemachte Anspruch zusteht.

Eine Dringlichkeitsvermutung besteht für die geltend gemachten Ansprüche nicht, weshalb der Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung aufgrund eines bloß summarischen Verfahrens einer besonderen Rechtfertigung bedarf (OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.10.2018 – 3 W 1932/18, juris-Rn. 15 – CurryWoschdHaus). Ein dabei maßgebliches Kriterium ist das Zeitmoment: Der Antragsteller bzw. sein Prozessbevollmächtigter hat alles in seiner Macht stehende zu tun, um einen möglichst baldigen Erlass der einstweiligen Verfügung zu erreichen. Daher besteht der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund nicht, wenn der Antragsteller mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet oder das Verfahren nicht zügig, sondern schleppend betreibt und damit selbst zu erkennen gibt, dass es ihm mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.10.2022 – 3 U 2178/22, juris-Rn. 10 – Kontolöschung).

Im vorliegenden Fall ergibt eine Gesamtschau der maßgeblichen Umstände, dass der Verfügungsgrund aufgrund des Prozessverhaltens der Antragstellerin zu verneinen ist.

1. Zum einen ist das erstinstanzliche Verhalten der Antragstellerin zu berücksichtigen.

Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Antragsteller durch sein prozessuales Verhalten zu erkennen geben, dass sein Begehren weiterhin dringlich ist. Dies ist mittels Gesamtbetrachtung seines Verhaltens zu eruieren. Auf einen Hinweis des Gerichts muss der Antragsteller, auch ohne Fristsetzung, so schnell wie möglich und geboten reagieren. Gesetzte Fristen sind einzuhalten (Voß, in Cepl/Voß, Prozesskommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Aufl. 2022, § 940 ZPO Rn. 91 m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund ist es im vorliegenden Fall als dringlichkeitsschädlich anzusehen, dass die Antragstellerin – obwohl ihr mit Verfügung des Landgerichts vom 02.01.2023 aufgegeben wurde, bis zum 09.01.2023 glaubhaft zu machen, Inhaberin der gegenständlichen Domains bzw. E-Mail-Postfächer zu sein – binnen dieser gesetzten Frist kein Mittel der Glaubhaftmachung einreichte. Mit Schriftsatz vom 09.01.2023 kündigte sie lediglich an, eine eidesstattliche Versicherung des Herrn A. nachzureichen. Diese ging jedoch erst nach Fristablauf, mithin am 10.01.2023, beim Erstgericht ein. Eine Berücksichtigung durch das Landgericht konnte nicht mehr erfolgen, da ausweislich der Verfügung der Vorsitzenden Richterin vom 11.01.2023 der Beschluss vom 10.01.2023 bereits vor Kenntnisnahme erlassen worden war.

2. Zum anderen ist in die Gesamtwürdigung das Verhalten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren einzustellen.

a) Die Pflicht zur zügigen Rechtsverfolgung setzt sich für den in erster Instanz unterlegenen Antragsteller in der Beschwerde- oder Berufungsinstanz fort.

So muss der noch ungesicherte Verfügungskläger im Berufungsverfahren den geltend gemachten Anspruch zügig weiterverfolgen. Ihm ist es daher jedenfalls zuzumuten, eine eingelegte Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zu begründen (OLG München, Urteil vom 30.06.2016 – 6 U 531/16, juris-Rn. 95) und nicht durch eigene Fristverlängerungsanträge das Verfahren zu verzögern (OLG Dresden, Beschluss v. 25.07.2019, 4 U 1087/19, juris-Rn. 2). Gleiches gilt für einen Terminsverlegungsantrag (OLG München, Beschluss vom 16.09.2021 – 29 U 3437/21 Kart, juris-Rn. 8).

Gleiches kann bei der Nichtbegründung einer Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist gelten. Zwar ist die Beschwerde – wenn sie nicht begründet wird – gleichwohl zulässig. Sie soll jedoch nach § 571 Abs. 1 ZPO begründet werden. Es entspricht daher einer sachgerechten Prozessführung, dem Rechtsmittelgericht gegenüber zeitnah zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013 – 11 W 13/13, juris-Rn. 20). Auch das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet und ob es ihr dementsprechend abhilft. Dies setzt in aller Regel – angesichts der vorangegangenen ablehnenden Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts – eine Beschwerdebegründung voraus (KG Berlin, Beschluss vom 20.09.2016 – 5 W 147/16, juris-Rn. 9). Insbesondere bei einem Rechtsmittelführer, der den Weg des einstweiligen Verfügungsverfahrens eingeschlagen hat, legt eine sachgerechte Prozessführung es nahe, die Beschwerdebegründung innerhalb der Beschwerdefrist oder jedenfalls im engen zeitlichen Zusammenhang mit ihr einzureichen (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013 – 11 W 13/13, juris-Rn. 20).

b) Im vorliegenden Fall ergibt eine Gesamtschau der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls, dass die Nichtbegründung der Beschwerde als dringlichkeitsschädlich anzusehen ist.

Das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet (was in aller Regel eine Beschwerdebegründung voraussetzt) und ihr dementsprechend abhilft. Auf diese Weise kann im Eilverfahren der Beschwerdeführer auf raschem Wege zu seinem Ziel – Erlass der zunächst abgelehnten einstweiligen Verfügung – gelangen, ist doch das Erstgericht bereits in den Fall eingearbeitet, kennt die Akten und vermag schnell zu beurteilen, ob und ggf. dass die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe durchgreifen und die Verfügung nunmehr zu erlassen ist. Dieser Möglichkeit des schnellstmöglichen Erreichens des Rechtsschutzziels hat sich die Antragstellerin begeben, indem sie dem Landgericht die Gründe ihrer Beschwerde vorenthalten hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 04.04.2008 – 5 W 51/08, juris-Rn. 7).

Auch gegenüber dem Senat entspricht es den Interessen des Rechtsmittelführers, der die Überprüfung im Rechtsmittelweg beantragt, dass er dem überprüfenden Gericht gegenüber zum Ausdruck bringt, was er an der angefochtenen Entscheidung beanstandet (vgl. Heßler, in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 571 Rn. 1). Dass die Antragstellerin – entgegen dieses Eigeninteresses – keine Beschwerdebegründung einreichte, zeigt, dass es der Antragstellerin mit der Erreichung ihres Rechtsschutzziels nicht (mehr) eilig ist.

Erschwerend kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass die Antragstellerin im Beschwerdeschriftsatz angab, dass sie zur Begründung ihrer Anträge mit gesondertem Schriftsatz ausführen werde. Die Antragstellerin sah daher im vorliegenden Fall selbst die Notwendigkeit, zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird.

Schließlich kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Senat mit Verfügung vom 09.02.2023 beiden Parteien Gelegenheit gab, bis 24.02.2023 zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Die Antragsgegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Eine Begründung der Beschwerde durch die Antragstellerin ging dagegen nicht ein.

Ein Anlass für die Nichteinreichung der Begründung und die damit entstandene Verzögerung ist von der Antragstellerin nicht dargetan.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:





EuGH: Entscheidung über Genehmigung von Telefonüberwachung muss keine individualisierte Begründung enthalten

EuGH
Urteil vom 16.02.2023
C-349/21
HYA u. a. (Begründung von Genehmigungen zur Telefonüberwachung)


Der EuGH hat entschieden, dass die Entscheidung über die Genehmigung von Telefonüberwachung keine individualisierte Begründung enthalten muss.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Eine Entscheidung zur Genehmigung der Telefonüberwachung muss keine individualisierte Begründung enthalten

Die Begründungspflicht ist nicht verletzt, sofern sich die Entscheidung auf einen eingehend und detailliert formulierten Antrag der zuständigen Strafverfolgungsbehörde stützt und die Gründe für die Genehmigung sich leicht und eindeutig erschließen, wenn der Antrag und die Genehmigung nebeneinander gelesen werden.

Im Jahr 2017 genehmigte der Präsident des bulgarischen Spezialisierten Strafgerichts aufgrund von eingehend, detailliert und mit Begründung formulierten Anträgen des für die Ermittlungen zuständigen Staatsanwalts die Überwachung der Telefone von vier natürlichen Personen, die schwerer vorsätzlicher Straftaten verdächtigt wurden.

Für die Begründung seiner Entscheidungen folgte der Präsident der geltenden nationalen Gerichtspraxis, wonach eine Textvorlage ohne individualisierte Begründung verwendet wird, die sich im Wesentlichen auf den Hinweis beschränkt, dass die Anforderungen der in ihr angeführten nationalen Regelung der Telefonüberwachung erfüllt seien.

Gegen die vier natürlichen Personen wurde sodann Anklage wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung erhoben und das Spezialisierte Strafgericht mit der Sache befasst.

Da der Inhalt der aufgezeichneten Gespräche von unmittelbarer Bedeutung für die Feststellung der Begründetheit der Anklagevorwürfe ist, hat das Spezialisierte Strafgericht zunächst die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zu überprüfen, das zu den Genehmigungen der Telefonüberwachung führte. In diesem Rahmen stellt sich das Gericht die Frage, ob die nationale Praxis betreffend die Begründung von Entscheidungen zur Genehmigung der Telefonüberwachung mit der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation in Verbindung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar ist.

Es hat daher den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht. In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass der die Überwachung genehmigende Richter nach der fraglichen nationalen Praxis auf der Grundlage eines mit Gründen versehenen ausführlichen Antrags entscheidet, der es ihm ermöglicht, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung erfüllt sind. Diese Praxis fügt sich in den Rahmen von Rechtsvorschriften ein, die von Bulgarien nach der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation erlassen wurden und die die Möglichkeit vorsehen, mit Gründen versehene gerichtliche Entscheidungen zu treffen, durch die der in dieser Richtlinie verankerte Grundsatz der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation und von Verkehrsdaten beschränkt wird.

Sodann führt der Gerichtshof aus, dass davon ausgegangen werden kann, dass der nationale Richter durch die Unterzeichnung einer Textvorlage, in der es heißt, dass die gesetzlichen Anforderungen erfüllt seien, die Begründung des bei ihm von der zuständigen Strafverfolgungsbehörde gestellten ausführlichen Antrags bestätigt und sich dabei vergewissert hat, dass diese Anforderungen erfüllt sind. In diesem Zusammenhang wäre es gekünstelt, zu verlangen, dass die Genehmigung für die Überwachung eine konkrete und detaillierte Begründung enthält, wenn bereits der dieser Genehmigung zugrunde liegende Antrag nach nationalem Recht eine solche Begründung enthält.

Sobald die betroffene Person über die Überwachung informiert worden ist, verlangt die Begründungspflicht nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, dass sowohl diese Person als auch der Richter des Hauptverfahrens, der für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Genehmigung der Überwachung zuständig ist, in der Lage sind, die Gründe für diese Genehmigung nachzuvollziehen. Deshalb müssen sie Zugang nicht nur zur Genehmigungsentscheidung haben, sondern auch zu dem Antrag der Behörde, die um Genehmigung ersucht hat.

Außerdem stellt der Gerichtshof fest, dass diese Personen, wenn sie die Genehmigung und den ihr beigefügten mit Gründen versehenen Antrag nebeneinander lesen, die genauen Gründe, aus denen die Genehmigung unter den tatsächlichen und rechtlichen Umständen des dem Antrag zugrunde liegenden konkreten Falls erteilt wurde, leicht und eindeutig nachvollziehen können müssen. Beschränkt sich die Genehmigungsentscheidung darauf, die Gültigkeitsdauer der Genehmigung anzugeben und festzuhalten, dass die Rechtsvorschriften eingehalten würden, so ist es zudem von grundlegender Bedeutung, dass sich dem Antrag alle erforderlichen Informationen eindeutig entnehmen lassen, anhand deren die betroffenen Personen erkennen können, dass der Richter, der die Genehmigung erteilt hat, allein auf der Grundlage dieser Informationen zu dem Schluss gelangt ist, dass alle gesetzlichen Anforderungen erfüllt seien, indem er sich die im Antrag enthaltene Begründung zu eigen gemacht hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG München: Sperrung eines Social-Media-Accounts muss begründet werden - Kein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO

OLG München
Urteil v. 20.09.2022
18 U 6314/20 Pre


Das OLG München hat entschieden, dass die Sperrung eines Social-Media-Accounts begründet werden muss. Zudem hat das Gericht entschieden, dass kein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO bei rechtswidriger Sperrung besteht.

Leitsätze des Gerichts:
1. Zum grundsätzlich bestehenden vertraglichen Anspruch des Nutzers eines sozialen Netzwerks gegen dessen Anbieter auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Beitragslöschung bei Fehlen einer Bestimmung in den Geschäftsbedingungen, wonach sich der Anbieter verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt (im Anschluss an BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20 und BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 192/20).

2. Der Antrag des Nutzers auf Unterlassung künftiger Sperren, ohne ihm unverzüglich den Anlass der Sperrung mitzuteilen, ist auf Unterlassung und nicht auf Erteilung einer - nicht selbständig einklagbaren - Information gerichtet (entgegen KG, Urteil vom 14.3.2022 - 10 U 1075/20).

3. Der Nutzer hat grundsätzlich Anspruch auf Unterlassung künftiger Sperren, ohne ihm unverzüglich den Anlass der Sperrung mitzuteilen. Eine weitergehende Begründung im Sinne einer rechtlichen Subsumtion, weshalb es sich um einen Verstoß handeln soll, kann er nicht verlangen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei Verhängung der Sperre wurde zudem ausweislich der Screenshots auf S. 18 der Klage (Bl. 18 d.A.) ein Grund hierfür nicht angegeben.

d) Bei der Verletzung von Vertragspflichten kann sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus § 280 Abs. 1 BGB ein Unterlassungsanspruch ergeben (vgl. BGH a.a.O., Rn. 102 m.w.N.). Ein solcher ist auch in der vorliegenden Konstellation, in der die Beklagte bereits einmal ihre Pflichten aus dem - fortbestehenden - Vertragsverhältnis verletzt hat, anzunehmen. Dies gilt ungeachtet der zwischenzeitlichen Löschung des Nutzerkontos (s. hierzu nachfolgend unter Ziff. III 1), nachdem der Kläger seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 16.07.2020 zufolge die Einrichtung eines neuen Kontos anstrebt.

Dem stehen auch nicht die Erwägungen des Kammergerichts Berlin in dem von der Beklagten zitierten Urteil vom 14.03.2022 (Az. 10 U 1075/20) entgegen. Das Kammergericht weist darin einen gleichlautenden Unterlassungsantrag des (dortigen) Klägers ab und führt zur Begründung aus, dass die vom Bundesgerichtshof angenommenen Informationspflichten der Beklagten gegenüber dem Nutzer nicht selbständig einklagbar seien. Da die Entfernungs- und Sperrvorbehalte in den Geschäftsbedingungen der Beklagten (unter anderem) den Anforderungen an die Informationspflicht nicht genügten, seien die genannten Vorbehalte gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam mit der Folge, dass eine vertragliche Grundlage für Löschungen und Sperrungen fehle. Gegen Löschungen von Beiträgen und Teilsperrungen seines Nutzerkontos könne der Nutzer im Klagewege vorgehen. Nur in diesem Zusammenhang komme den Informationspflichten eine Bedeutung zu. Da die Informationspflichten keinen eigenen Leistungszweck verfolgten, bestehe kein eigener, auf die Erfüllung der unselbständigen Unterlassungspflicht bezogener Unterlassungsanspruch (KG a.a.O.).

Anders als das Kammergericht meint, handelt es sich vorliegend jedoch nicht um einen auf Erteilung einer Information gerichteten Antrag, die nicht selbständig einklagbar wäre und die nicht zum Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs gemacht werden könnte. Denn der Kläger begehrt die Unterlassung einer erneuten Sperre, schränkt dies allerdings zulässigerweise in Übereinstimmung mit dem bereits erfolgten Vertragsverstoß dahin ein, dass er sich (nur) gegen eine erneute Sperre ohne Angabe eines Grundes wendet. Er begehrt mithin das Unterlassen der rechtswidrigen Sperre; ein isolierter Anspruch auf Erteilung einer Information wird damit nicht geltend gemacht.

Darüber hinaus sprechen auch prozessökonomische Gründe für die Zulassung des Antrags, da der Kläger andernfalls gezwungen wäre, trotz gleichbleibenden Sachverhalts bei unveränderten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten jeweils erneut gegen derartige Sperrungen im Klagewege vorzugehen.

e) In inhaltlicher Hinsicht kann der Kläger von der Beklagten verlangen, es zu unterlassen, ihn (erneut) zu sperren, ohne ihm unverzüglich den Anlass der Sperrung mitzuteilen. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht jedoch nicht.

aa) Hinsichtlich des Umfangs der Mitteilungspflichten kann der Kläger allein die Mitteilung verlangen, welches Verhalten zum Anlass der Sperre genommen wurde, nicht jedoch eine weitergehende Begründung im Sinne einer rechtlichen Subsumtion, weshalb es sich um einen Verstoß handeln soll. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit dem NetzDG: So soll nach dessen Gesetzesbegründung „die in den Beschwerdesystemen der sozialen Netzwerke übliche Multiple-Choice-Begründungsform“ im Rahmen der in § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG normierten Begründungspflicht ausreichen (BT-Drs. 18/12356, S. 23). Wenn die Sperre auf Gründe gestützt wird, die sich nicht auf rechtswidrige Inhalte nach dem NetzDG beziehen, kann insoweit kein strengerer Maßstab gelten.

Gleiches gilt für die vom Kläger geforderte Mitteilung „in speicherbarer Form“, die im NetzDG ebenfalls nicht vorgesehen ist. Es erscheint dem Kläger zumutbar, eine über die Plattform mitgeteilte Begründung ggf. durch einen Screenshot zu sichern.

bb) Die Mitteilung des Anlasses der Sperrung hat außerdem nach nochmaliger Prüfung unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur „unverzüglich“ (anstatt wie beantragt „zugleich“) zu erfolgen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Dem Bundesgerichtshof zufolge ist die erforderliche Anhörung des Nutzers - die neben der einleitenden Information über eine beabsichtigte Kontosperrung und der Mitteilung des Grundes hierfür auch die Möglichkeit des Nutzers zur Gegenäußerung mit einer anschließenden Neubescheidung umfasst - grundsätzlich vor der Sperrung des Kontos durchzuführen und nur in eng begrenzten, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen näher zu bestimmenden Ausnahmefällen kann von einer vorherigen Durchführung abgesehen werden (vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, Rn. 85 und 87). Die vom Kläger im Streitfall begehrte Mitteilung des Grundes bzw. Anlasses der Sperrung ist danach Teil des vom Bundesgerichtshofs geforderten Anhörungsverfahrens, das zwar regelmäßig, aber nicht ausnahmslos vor der Kontosperrung durchzuführen ist. Um auch die vom Bundesgerichtshof erwähnten Ausnahmefälle angemessen berücksichtigen zu können, erscheint es zu weitgehend, dem Kläger einen Anspruch auf Mitteilung „zugleich“ mit der Sperre - im Sinne von „gleichzeitig“ bzw. „zeitgleich“ - zuzubilligen. Vielmehr kann der Kläger als „Minus“ gegenüber seinem ursprünglichen Antrag nur eine unverzügliche Mitteilung des Anlasses der Sperrung verlangen. Damit wird zudem ein Gleichlauf mit der vom Bundesgerichtshof im Hinblick auf die Löschung eines Beitrags geforderten unverzüglichen nachträglichen Anhörung (vgl. BGH a.a.O., Rn. 88) sowie mit § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG erreicht, der in den unter das NetzDG fallenden Konstellationen ebenfalls eine unverzügliche Information und Begründung verlangt. In der Mehrzahl der Fälle dürfte das Erfordernis einer unverzüglichen Mitteilung allerdings faktisch ohnehin darauf hinauslaufen, dass die Begründung wiederum zugleich mit der Sperre zu erfolgen hat. Denn regelmäßig sollte die Prüfung im Zeitpunkt der Verhängung der Sperre auf Seiten der Beklagten bereits abgeschlossen und die Mitteilung des Grundes der Beklagten möglich und zumutbar sein.

[...]

c) Schließlich scheidet auch ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des immateriellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO aus.

Nach dieser Vorschrift hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen. Die Verarbeitung der Daten der Klägerin durch die Beklagte verstieß aber nicht gegen die DS-GVO; denn sie beruhte auf der vorab erteilten Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen der Beklagten im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO und auf Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO.

Im Übrigen gilt auch für diese Anspruchsgrundlage, dass ersatzfähig alle Nachteile sind, die der Geschädigte an seinem Vermögen oder an sonst rechtlich geschützten Gütern erleidet (vgl. Kühling/Buchner/Bergt, DS-GVO, 3. Aufl. 2020, Art. 82 Rn. 19). Ein solch immaterieller Schaden, der hier allenfalls an eine - ggf. auch weniger schwerwiegende - Verletzung des Persönlichkeitsrechts anknüpfen könnte (vgl. hierzu Becker in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Art. 82 DSGVO Rn. 4c; Wybitul, Immaterieller Schadensersatz wegen Datenschutzverstößen, NJW 2019, 3265, 3267), liegt jedoch wie dargelegt nicht vor. Die bloße Sperrung des klägerischen Nutzerkontos begründet einen solchen Schaden nicht


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


VG Wiesbaden legt EuGH vor: Darf Behörde Auskunft über verantwortliche Stelle der Datenverarbeitung ohne Begründung verweigern und ist dies mit Grundrechtecharta der EU vereinbar

VG Wiesbaden
Beschluss vom 30.07.2021
6 K 421/21.WI


Das VG Wiesbaden hat dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt, ob eine Behörde die Auskunft über die verantwortliche Stelle der Datenverarbeitung ohne Begründung verweigern darf und ob dies mit Grundrechtecharta der EU vereinbar ist.

Die Vorlagefragen:

II. Das Verfahren wird gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung dem Gerichtshof der Europäischen Union hinsichtlich der folgenden Frage vorgelegt:

1) Sind Art. 15 Abs. 3 und Abs. 1 i.V.m. Art. 14 der Richtlinie (EU) 2016/680 des europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (ABl.EU L vom 4.5.2016 S. 119; zukünfig: Richtlinie (EU) 2016/680) im Lichte von Art. 54 Richtlinie (EU) 2016/680 so auszulegen, dass er eine nationale Regelung zulässt,

a) nach der bei gemeinsamer Verantwortlichkeit für eine Datenverarbeitung die eigentlich für die gespeicherten Daten verantwortliche Stelle nicht benannt werden muss und

b) die es zudem zulässt, dass einem Gericht keine inhaltliche Begründung für die Auskunftsverweigerung gegeben wird?

2) Falls die Fragen 1a und 1b zu bejahen sind, ist Art. 15 Abs. 3 und Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2016/680 mit dem Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf aus Art 47 GRCh vereinbar, obwohl es dem Gericht so verunmöglicht wird

a) den nationalen Verfahrensvorschriften entsprechend in einem mehrstufigen Verwaltungsverfahren die weitere beteiligte und tatsächlich verantwortliche Behörde, die ihr Einvernehmen zur Auskunftserteilung erteilen muss, zum Verfahren beizuladen und

b) inhaltlich zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Auskunftsverweigerung vorliegen und durch die die Auskunft verweigernde Behörde korrekt angewandt wurden?

3) Wird durch die Verweigerung der Auskunft und somit eines wirksamen Rechtsbehelfs nach Art. 47 GRCh rechtswidrig in die Berufsfreiheit nach Art. 15 GRCh eingegriffen, wenn die gespeicherten Informationen dazu genutzt werden, eine betroffene Person von der angestrebten Tätigkeit wegen eines vermeintlichen Sicherheitsrisikos auszuschließen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach Art. 54 Richtlinie (EU) 2016/680 hat die betroffene Person einen Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf, so wie dies in Art. 47 Abs. 1 GRCh geregelt ist. Ein wirksamer Rechtsbehelf erfordert, dass es dem Gericht möglich ist, die behördliche Entscheidung zu überprüfen. Dies setzt voraus, dass eine Begründung der Verweigerung der Auskunft und bei einem gemeinsamen Verfahren, wie es vorliegend bei dem INPOL-System der Fall ist, eine Benennung der verantwortlichen Stelle, die für die streitgegenständlichen Daten verantwortlich ist und einer Beauskunftung widersprochen hat, erfolgt. Sie hat ihr Einvernehmen für die Auskunft zu erteilen oder gerade – wie hier zu verweigern. Die verantwortliche Stelle ist an dem „mehrstufigen“ Verwaltungsakt zwingende Mitwirkende und auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren notwendig beizuladen (§ 65 Abs. 2 VwGO), da das Gericht bei rechtwidriger Verweigerung des Einvernehmens dieses durch Urteil zu ersetzen hätte. Denn ohne das notwendige Einvernehmen dürfte das BKA keine Auskunft erteilen (§ 84 Abs. 1 S. 1 BKAG). Wenn dem Gericht im Verfahren über die Auskunft die verantwortliche Stelle jedoch schon nicht benannt wird, kann es diese nicht beiladen und über die Verweigerung des Einvernehmens ihr gegenüber nicht bindend entscheiden.

Ist eine Kontrolle des Verwaltungshandelns durch die Verwaltungsgerichte wegen der Verweigerung einer Begründung nicht möglich, muss die Rechtsschutzgarantie dadurch gewahrt werden, dass der Klage stattgegeben wird (ständige Rechtsprechung des VG Wiesbaden, vgl. Urteil vom 15. Februar 2016 – 6 K 1328/14.WI –, juris, Rn. 27; Urteil vom 04. September 2015 – 6 K 687/15.WI –, juris, Rn. 36 und ferner Urteil vom 26. März 2021 – 6 K 59/20.WI; so auch VG Köln, Urteil vom 18.4.2019 – 13 K 10236/16, juris, Rn. 54). Dies ist vorliegend aber nicht möglich, da das Einvernehmen der eigentlich verantwortlichen Stelle (Behörde) mangels notwendiger Beiladung nicht rechtwirksam ersetzt werden kann. Insoweit unterscheidet sich der Fall von den bisher entschiedenen Fällen, bei denen „nur“ die Auskunft über die Daten als solche verweigert wurde, die verantwortliche Behörde aber benannt worden war. Eine Verfahrensregelung für den vorliegenden Fall enthält die VwGO nicht. Sie enthält in § 99 Abs. 2 VwGO nur das sog. In-Camera-Verfahren bei der Verweigerung der Vorlage von Behördenakten. Hier wäre nach einer Sperrerklärung, welche aber auch zu begründen wäre, eine Vorlage und Prüfung durch das Bundesverwaltungsgericht möglich.

Vorliegend geht es aber schon vor der inhaltlichen Auskunft bzw. Überprüfungsmöglichkeit der Verweigerung derselben um die Benennung der verantwortlichen Stelle, um deren Daten es im INPOL-System geht. Sie ist unbekannt und das Bundeskriminalamt verweigert auch dem Gericht gegenüber die Angabe, um wen es sich handelt. Zwar hat der nationale Gesetzgeber Art. 21 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2016/680 insoweit umgesetzt, dass sich der Verantwortliche nach § 57 BDSG zur Auskunft der Daten bzw. Verweigerung derselben bezogen auf die betroffene Person verantwortlich zeigt und über § 84 Abs. 1 Satz 1 BKAG das Bundeskriminalamt als „Sprachrohr“ für die übrigen verantwortlichen Stellen über die Auskunft bestimmt. Die Auskunft bedarf aber des Einvernehmens der jeweils verantwortlichen Stelle.

Die Verweigerung der Angaben über die eigentliche verantwortliche Stelle, welche einer Auskunft über ihre Daten widerspricht und das Einvernehmen verweigert, geht jedoch weiter als die Einschränkung der eigentlichen Auskunft nach Art. 15 Richtlinie (EU) 2016/680. Denn damit wird dem Gericht die Möglichkeit einer effektiven wirksamen Rechtskontrolle vollständig genommen. Dies insbesondere, wenn auch keinerlei Begründung für diese Verweigerungshandlung erfolgt bzw. die Begründung sich auf allgemeine Aussagen einer Gefährdung der Aufgaben der Behörden und der Gefahrenabwehr bezieht. Mithin wird der nationale Gesetztext wiedergegeben, dem Gericht wird aber eine Subsumtion unter diese Norm und eine Kontrolle der Richtigkeit der Subsumtion der Behörde vollständig mangels Informationen genommen.

Zieht man die Parallele zu einer Verweigerung der Aktenvorlage im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, so würde die rein den gesetzlichen Verweigerungstatbestand wiedergebende Begründung nicht die Anforderungen erfüllen, wie sie für eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 2 VwGO notwendig ist. Hinzu kommt vorliegend, dass die eigentlich die Begründung liefernde Behörde anonym bleibt, mithin die Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO von dieser gar nicht abgegeben oder begründet werden könnte. Mindestens einer aussagekräftigen Begründung einer Sperrerklärung bedarf es aber bei der Verweigerung von Behördenakten, damit ein wirksamer Rechtsschutz gewährt werden kann (BVerwG Urt. v. 14.12.2020 – 6 C 11.18 Rn. 27 m.w.N.).

Zur Ermöglichung effektiven Rechtsschutzes hat eine Behörde, die die Auskunft verweigert, das Vorliegen der Verweigerungsgründe nach § 56 Abs. 2 i.V.m. § 57 Abs. 4 BDSG plausibel und substantiiert darzulegen. Eine diesen Anforderungen genügende Begründung wäre ausreichend, um die Berechtigung zur Auskunftsverweigerung darzutun (HessVGH 20.10.2019 – 10 A 2678/18.Z; zum alten Recht HessVGH 17.4.2018 – 10 A 1991/17). Die Wiedergabe oder nur Umschreibung der gesetzlichen Grundlage reicht dafür nicht aus (BVerwG Beschl. v. 29.10.1982 – 4 B 172/82, BVerwGE 66, 233 ff. Rn. 6; VG Wiesbaden Urt. v. 26.3.2021 – 6 K 59/20.WI).

Das Bundeskriminalamt und die unbekannte Behörde – bei der es sich nur um eine Polizeibehörde handeln kann – legen das nationale Recht so weit aus, dass die umzusetzenden nationalen Rechtsnormen, die aus der Richtlinie (EU) 2016/680 folgen, mit dem Wesensgehalt der Rechte und Freiheiten des Betroffenen in Konflikt gerät.

Dabei ist zu beachten, dass die Eintragung in INPOL ganz offensichtlich zu einer Art Berufsverbot durch die sog. Sicherheitsüberprüfung geführt hat, bei der u.a. auf die Daten von INPOL zurückgegriffen wurde. Damit wurde in Art. 15 GRCh eingegriffen, wonach jede Person das Recht hat, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben. Gegen dieses „Berufsverbot“ kann sich der Kläger auch nicht wehren, da ihm nicht bekannt gegeben wird, welche verantwortliche Stelle eine „negative“ Eintragung vorgenommen hat, geschweige denn welche Eintragung hier die Aufnahme des gewünschten Berufes hindert. Auch ist eine Überprüfung, ob die Eintragung überhaupt rechtmäßig ist, nicht möglich.

Eine wirksame gerichtliche Überprüfung der behördlichen Entscheidung ist dem vorlegenden Gericht nicht möglich, da unter Berufung auf eine nationale Rechtsnorm die verantwortliche Stelle die Auskunft auch gegenüber dem Gericht verweigert wird und das Gericht sich zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Sinne einer inhaltlichen Prüfung nicht in der Lage sieht. Hinzu kommt, dass auch die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgesehenen Mechanismen, wie vorliegend die notwendige Beiladung, durch Verweigerung der Benennung der verantwortlichen Stelle ausgehebelt werden. Eine nationale Rechtsnorm, die es dem Gericht ermöglicht, im Falle einer notwendigen Beiladung von einer solchen aus Geheimhaltungsgründen abzusehen, existiert nicht.

Damit ist wirksamer Rechtsschutz in zweifacher Hinsicht ausgeschlossen und es liegt auch ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK vor.

Das erkennende Gericht ist insoweit der Auffassung, die Verweigerung der Benennung der letztendlich verantwortlichen Stelle, insbesondere ohne jegliche nachvollziehbare Begründung, eine Überinterpretation des Art. 15 Richtlinie (EU) 2016/680 darstellt, welche allerdings durch den nationalen Gesetzgeber durch die sehr offene Regelung in § 57 Abs. 6 i.V.m. § 56 BDSG zugelassen worden ist, mit der Folge, dass die nationale Regelung in der sehr weiten Interpretation des Beklagten gegen Art. 8, Art. 15 und Art. 47, 52 und 54 GRCh sowie gegen Art. 14, 15 und 54 Richtlinie (EU) 2016/680 verstößt.


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OLG Dresden: Automatisierte Löschung eines Facebook-Beitrags durch Algorithmus allein begründet keine Wiederholungsgefahr

OLG Dresden
Beschluss vom 04.10.2021
4 W 625/21


Das OLG Dresden hat entschieden, dass die automatisierte Löschung eines Facebook-Beitrags durch einen Algorithmus allein keine Wiederholungsgefahr für einen Anspruch auf zukünftiges Unterlassen begründet. Erst wenn der Betreiber des sozialen Netzwerks die Löschung im weiteren Verlauf verteidigt, begründet dies die für einen Unterlassungsanspruch notwendige Wiederholungsgefahr.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Der Antragsteller wendet sich gegen die am 27.7.2021 erfolgte Löschung eines Beitrags auf dem sozialen Netzwerk "XXX" der Antragsgegnerin und gegen seine zeitweise Versetzung in den sog. read-only Modus. Die Sperre des Antragsstellers hat die Antragsgegnerin zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgehoben, der Post wurde wieder eingestellt. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Es wird insofern auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen. Mit der sofortigen Beschwerde erstrebt der Antragsteller den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 569 ZPO eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.

1. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung ist zulässig. Die internationale und örtliche Zuständigkeit hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, bejaht.

2. Ebenfalls zutreffend ist die Annahme des Landgerichts, das auf den streitgegenständlichen Vertrag deutsches Recht Anwendung findet (vgl. hierzu im Übrigen auch BGH, Urteil vom 29.7.2021 – III R 192/20, juris) und dass die von der Antragsgegnerin am 27.7.2021 vorgenommene Löschung des streitgegenständlichen Beitrags ebenso wie die Sperrung des Antragsgegners in Form der Versetzung seines Kontos in den sog. read-only Modus für einen Zeitraum von 30 Tagen rechtswidrig waren. Ob der Beitrag selbst gegen die Nutzungsbedingungen verstößt, kann im Anschluss an die o.a. aufgeführte Entscheidung des BGH dahingestellt bleiben, weil der in Ziff. 3.2 der Nutzungsbedingungen enthaltene Sperrungs- und Löschungsvorbehalt gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist, eine vertragliche Grundlage für die von der Antragsgegnerin ergriffenen Maßnahmen mithin nicht bestand (so ausdrücklich für den Parallelfall BGH, aaO. Rn 41ff.). Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin, der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens rechtliches Gehör gewährt wurde, auch nicht.

3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts scheitert vorliegend ein Verfügungsanspruch aber nicht am Fehlen der Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr. Wie der BGH in der o.a. Entscheidung ebenfalls ausgeführt hat, setzt ein vertraglicher Unterlassungsanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB - ebenso wie ein gesetzlicher Unterlassungsanspruch entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB - eine Erstbegehungs- beziehungsweise Wiederholungsgefahr voraus (vgl. Bodewig, Jura 2005, 505, 512; Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 2000, S. 106; Köhler, AcP 1990, 496, 508; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Aufl., Rn. 207; MüKo/Bachmann, BGB, 8. Aufl., § 241 Rn. 70). Dabei begründet ein einmal erfolgter Vertragsverstoß die tatsächliche Vermutung für seine Wiederholung. Die Verletzung einer Vertragspflicht begründet insofern die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für identische Verletzungsformen, sondern auch für andere Vertragspflichtverletzungen, soweit die Verletzungshandlungen im Kern gleichartig sind (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 192/20 –, Rn. 115 - 116, juris; Urteil vom 20. Juni 2013 - I ZR 55/12, NJW 2014, 775 Rn. 18; Beschluss vom 3. April 2014 - I ZB 42/11, NJW 2014, 2870 Rn. 12; jew. mwN). An die Entkräftung dieser Vermutung sind strenge Anforderungen zu stellen sind. Sie ist ausnahmsweise dann als widerlegt anzusehen, wenn der Eingriff durch eine einmalige Sondersituation veranlasst war (BGH, Urteil vom 27. April 2021 – VI ZR 166/19 –, Rn. 23, juris). Eine solche Sondersituation hat der BGH bezogen auf den vertraglichen Unterlassungsanspruch eines xxx-Nutzes gegen die Antragsgegnerin in der Entscheidung vom 29. Juli 2021 deshalb angenommen, weil von einer aus drei Sätzen bestehenden Äußerungen nur die beiden Sätze in die Rechtsmittelinstanz gelangt waren, die im Verhältnis zum dritten Satz wesentlich weniger scharf formuliert waren und daher für sich genommen keine Veranlassung geboten hätten, zu prüfen ob sie auch für sich genommen gegen die Nutzungsbedingungen der Antragsgegnerin verstoßen. Die vollständige Löschung des Beitrags sei nicht kerngleich zu einer denkbaren Teillöschung nur dieser Sätze und indiziere daher die Wiederholungsgefahr nicht. Dies gilt aber erst recht in den Fällen, in denen die Antragsgegnerin auf die Beanstandung eines Nutzes hin die gesamte, zunächst gelöschte Äußerung umgehend wiederherstellt und eine gegen den Nutzer verhängte Sperre aufhebt. Es ist zum einen gerichtsbekannt, dass die Löschung von Beiträgen regelmäßig zunächst durch eine algorithmusgesteuerte Künstliche Intelligenz (KI) erfolgt, die selbstständig in den sozialen Netzen der Antragsgegnerin Hassrede, sexuell provozierende Inhalte, Drogenangebote, Gewalt und Terrorpropaganda ausfiltert. Menschen greifen nur in Zweifelsfällen ein (vgl. etwa https://www.yyy.de/xxx, abgerufen am 30.8.2021). Diese Praxis ist, wie der BGH in der Entscheidung vom 29.7.2021 ebenfalls ausgeführt hat auch nicht zu beanstanden. Es ist gerade nicht zwingend geboten, den Nutzer bereits vor der Löschung eines posts anzuhören. Ausreichend ist vielmehr, wenn Netzwerkbetreiber in ihren Geschäftsbedingungen den Nutzern ein Recht auf unverzügliche nachträgliche Benachrichtigung, Begründung und Gegendarstellung mit anschließender Neubescheidung einräumen. Insoweit ist zum einen das Interesse der Netzwerkbetreiber zu berücksichtigen, einen vermeintlich rechtswidrigen Inhalt aus Haftungsgründen zügig nach Kenntniserlangung zu entfernen. Zum anderen steigt mit jedem Tag, an dem ein Beitrag auf der Kommunikationsplattform eingestellt bleibt, die Gefahr seiner Verbreitung und damit im Fall seiner Rechtswidrigkeit der Perpetuierung der Rechtsverletzung. Schließlich ist, wenn mit dem fraglichen Inhalt eine mögliche Rechtsverletzung Dritter einhergeht, auch deren Interesse an einer zügigen Entfernung zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 192/20 –, Rn. 99, juris).

Wird ein solches Verfahren eingesetzt, lässt eine automatisierte Löschung für sich genommen noch keinen Rückschluss auf ein zukünftiges Verhalten der Antragsgegnerin zu. Auch wenn subjektive Tatbestandsmerkmale wie ein Verschulden für die Wiederholungsgefahr grundsätzlich unerheblich sind, so knüpft diese Vermutung an ein Verhalten des Störers in der Vergangenheit an, das auf die objektive Besorgnis schließen lässt, dass es in der Zukunft zu weiteren gleichartigen Störungen kommen wird. Hiervon kann jedoch in einer Situation, in der die erstmalige Überprüfung der durch einen Algorithmus eingeleiteten Löschung unmittelbar zu einer Wiederherstellung eines Posts führt, nicht ausgegangen werden, weil die Antragsgegnerin hierdurch zu erkennen gibt, dass die Löschung auf einem technischen Versehen beruht und an die Wiederherstellung die tatsächliche Vermutung anknüpft, dass der Beitrag zukünftig von Löschalgorithmen nicht mehr erfasst wird. Sähe man dies anders, wäre die Antragsgegnerin gezwungen, eine – in der Regel kostenpflichtige – strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, obwohl sie ein von der Rechtsordnung gebilligtes Verfahren einsetzt und einen Fehler der von ihr eingesetzten KI unmittelbar bemerkt und ausgeräumt hat. Dies würde nicht zuletzt einer unerwünschten Abmahnindustrie Vorschub leisten.

Anders ist dies aber, wenn die Antragsgegnerin im Verlauf des Verfahrens die Löschung verteidigt oder durch ihr Verhalten zu erkennen gibt, sie inhaltlich nach wie vor für berechtigt zu halten. Da es auch für die Wiederholungsgefahr auf die Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung oder mündlichen Verhandlung ankommt, kann an ein solches nachgelagertes Verhalten eine eigenständige Vermutung anknüpfen, die sich mit der Löschung durch eine KI noch nicht verbindet. So liegen die Dinge hier. Wie der Antragsteller dargelegt und glaubhaft gemacht hat, hat er sich nämlich unmittelbar nach der Löschung an die Antragsgegnerin gewandt und von deren "Support" daraufhin die – in der Antragsschrift eingescannte - Nachricht erhalten, sein Beitrag sei "noch einmal geprüft" worden, entspreche jedoch nicht den Gemeinschaftsstandards. Erst zu einem späteren Zeitpunkt sei er ohne Angabe von Gründen wiedereingestellt worden. Aufgrund welcher hier zu beachtender besonderer Umstände des Einzelfalls dies erfolgt ist, lässt sich aus dieser kommentarlosen Wiedereinstellung nicht entnehmen. Die Annahme des Landgerichts, die Antragsgegnerin habe hiermit der Entscheidung des BGH vom 29.7.2021 Rechnung tragen wollen, ist spekulativ und lässt unberücksichtigt, dass die Entscheidungsgründe im dortigen Verfahren im Zeitpunkt der Wiedereinstellung des hiesigen Beitrags Anfang August 2021 noch gar nicht verkündet waren und die Antragsgegnerin daher den Umfang ihrer zukünftigen Verpflichtungen allenfalls grob absehen konnte. Überdies ist dem Senat aus zahlreichen vergleichbaren Verfahren bekannt, dass Betreiber weltweit verfügbarer sozialer Netzwerke mit mehreren Milliarden Nutzern Gerichtsentscheidungen mitunter nur zögerlich befolgen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 29. Juni 2021 – 4 W 396/21 –, juris). Zwar hat die Antragsgegnerin unter Vorlage der Anlage JS 2 im mit Schriftsatz vom 21.9.2021 behauptet, die Sperre sei noch am 30.7.2021 und damit vor dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wieder aufgehoben worden; diese Behauptung hat sie indes nicht durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht. Der weitgehend geschwärzten Anlage JS 2, bei der es sich um einen Screenshot aus dem internen System der Antragsgegnerin handeln soll, lässt sich überdies lediglich entnehmen, dass unter dem Datum "2021/07/30 2:31 pm" die "action:"lActionUnlimited Feature" und die "action: "lActionRestore" an einem Konto mit der owner_id: 100002031410019" vorgenommen worden sein soll, bei dem es sich um das Konto des Antragsstellers handeln soll. Weshalb gleichwohl der Antragsteller die Mitteilung erhalten hat, sein Antrag auf Aufhebung der Sperre sei nach "erneuter Prüfung" abgelehnt worden, bleibt offen. Eine Mitteilung, dass die Antragsgegnerin an ihrer Auffassung nicht mehr festhält, der Beitrag verstoße gegen ihre Nutzungsbedingungen, hat sie dem Antragsteller jedenfalls unstreitig zu keinem Zeitpunkt zukommen lassen. Im Schriftsatz vom 21.9.2021 hat sie überdies die Auffassung vertreten, der Beitrag habe aus der Sicht eines objektiven, unvoreingenommenen Lesers "jedenfalls zunächst" vertretbar als Angriff auf eine Gruppe von Menschen gedeutet werden können und könne ggf. in einem "anderen Kontext" als unzulässig angesehen werden. Ein eindeutiges Abrücken von der Sperr- und Löschungsentscheidung, das unter den hier gegebenen Bedingungen die Vermutung der Wiederholungsgefahr entfallen ließe, kann der Senat hierin nicht erkennen.

4. Entgegen der Auffassung des Landgerichts fehlt es hier auch nicht an einem Verfügungsgrund. Regelmäßig besteht dieser in der (objektiv begründeten) Besorgnis, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (vgl. Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 935 Rz. 10). Bei Unterlassungsansprüchen ergibt sich die „Dringlichkeit“ als Voraussetzung des Verfügungsgrundes zwar nicht schon aus der materiell-rechtlichen Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr (vgl. Zöller, a.a.O.), jedoch wird in Fällen des Presse- und Äußerungsrechts ein Verfügungsgrund, wenn - wie hier - keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, insbesondere durch Zuwarten, gegeben ist, regelmäßig bejaht (vgl. auch KG, Beschluss vom 22. März 2019, Az.: 10 B 172/18 - juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 23. Januar 2019, Az.: 4 U 214/18 - juris). Gleiches gilt bei Unterlassungsansprüchen gegen Betreiber sozialer Netzwerke wegen der Löschung eines Beitrags oder der Sperrung des Nutzers (Senat, Urteil vom 20. April 2021 – 4 W 118/21 –, Rn. 41, juris). Eine Leistungsverfügung, von der das Landgericht ausgegangen ist und die grundsätzlich nur bei Not- und Zwangslagen in Betracht kommt, wenn der Gläubiger darlegen und glaubhaft machen kann, auf die Erfüllung dringend angewiesen zu sein (vgl. nur Zöller-Vollkommer, ZPO, 33. Aufl. § 940 Rn 6; Senat, Beschluss vom 15. Februar 2021 – 4 U 2196/20 –, Rn. 5, juris), liegt hier schon deshalb nicht vor, weil es nicht darum geht, dem Antragsteller im Verfügungsverfahren eine zusätzliche Leistungsposition zu verschaffen, sondern die Antragsgegnerin lediglich vorläufig daran gehindert werden soll, ihn an der Ausübung seiner bereits durch den Nutzungsvertrag eingeräumten Rechte durch Sperrung und Löschung zu hindern. Unabhängig hiervon hat der Antragsteller auch glaubhaft gemacht, als Kandidat zum Deutschen Bundestag im Vorfeld der Bundestagswahl und darüber hinaus auf die von ihm betriebene Seite auf dem sozialen Netzwerk der Antragsgegnerin angewiesen zu sein.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Bei der Streitwertfestsetzung war zu berücksichtigen, dass ein Klageantrag, der sich gegen eine 30-tägige Sperre eines Facebook-Nutzerkontos richtet, mit 2500,- €, der Antrag auf Unterlassung einer künftigen Beitragslöschung und Kontensperrung neben einem andere Zeiträume betreffenden Antrag auf Unterlassung für zurückliegende Zeiträume lediglich mit 1500,- € zu bemessen ist (BGH, Beschluss vom 27.5.2021 – III ZR 351/20). Da hier allein Ansprüche auf Unterlassung einer künftigen Löschung und Sperrung verfolgt werden und bei dem Antragssteller zudem die Bedeutung des Rechtsstreits für seine Kandidatur zum Deutschen Bundestag zu berücksichtigen ist, da es andererseits aber allein um ein Verfügungsverfahren geht, hat der Senat in der Gesamtwürdigung den Streitwert mit 3000,- € angesetzt.


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LAG Köln: Umfangreiche private Internetnutzung am Dienst-PC während der Arbeitszeit trotz Verbot rechtfertigt außerordentliche Kündigung

LAG Köln
Urteil vom 07.02.2020
4 Sa 329/19


Das LAG Köln hat entschieden, dass die umfangreiche private Internetnutzung am Dienst-PC während der Arbeitszeit trotz Verbot eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt.

Aus den Entscheidungsgründen:

" a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

aa) Das Vorliegen eines wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist in zwei Stufen zu prüfen (vgl. bspw. BAG, Urteil vom 29. Juni 2017 – 2 AZR 597/16, Rn. 13, NZA 2017, 1179, 1180; BAG, Urteil vom 7. Juli 2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 ff.). Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist (1. Stufe). Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (2. Stufe) (st. Rspr., siehe bspw. BAG, Urteil vom 16. Juli 2015 – 2 AZR 85/15, Rn. 21 mwN, juris; BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 186/11, Rn. 20 mwN, NJW 2013, 104 ff.).

bb) Sowohl die Nichteinhaltung von vorgegebenen Arbeitszeiten als auch die Verrichtung von Privattätigkeiten während der Arbeitszeit unter Nutzung des dienstlichen PCs als auch ausufernde Privattelefonate während der Arbeitszeit können an sich einen wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. BAG, Urteil vom 31. Mai 2007 – 2 AZR 200/06, Rn. 19, NZA 2007, 922 ff.; BAG, Urteil vom 7. Juli 2005 – 2 AZR 581/04, Rn. 27 mwN, NZA 2006, 98 ff.; Kramer, NZA 2004, 457, 459; Mengel, NZA 2005, 752, 753). Bei einer privaten Internetnutzung ebenso wie Privattelefonaten oder der Verrichtung von Neben- und privaten Tätigkeiten während der Arbeitszeit verletzt der Arbeitnehmer seine arbeitsvertragliche (Hauptleistungs-)Pflicht zur Arbeit, nämlich die Pflicht zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung. Private Telefonate und die private Internetnutzung während der Arbeitszeit dürfen die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung nicht erheblich beeinträchtigen. Die Pflichtverletzung wiegt dabei umso schwerer, je mehr der Arbeitnehmer bei der privaten Nutzung des Internets seine Arbeitspflicht in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vernachlässigt (BAG, Urteil vom 31. Mai 2007 – 2 AZR 200/06, Rz. 19, juris; BAG, Urteil vom 27. April 2006 – 2 AZR 386/05, Rz. 25; BAG, Urteil vom 7. Juli 2005 – 2 AZR 581/04, Rz. 27, NZA 2006, 98 ff.; Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2018 – 7 Sa 406/17, Rn. 78, juris; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Januar 2016 – 5 Sa 657/15, Rn. 76, juris). Nutzt der Arbeitnehmer während seiner Arbeitszeit den Dienst-PC in erheblichem zeitlichen Umfang für private Angelegenheiten, kann er grundsätzlich nicht darauf vertrauen, der Arbeitgeber werde dies tolerieren. Er muss vielmehr damit rechnen, dass der Arbeitgeber nicht damit einverstanden ist, wenn sein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung in dieser Zeit nicht erbringt und gleichwohl eine entsprechende Vergütung dafür beansprucht (vgl. nur BAG, Urteil vom 7. Juli 2005 – 2 AZR 581/04, Rz. 27, NZA 2006, 98 ff.; Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 17. Juni 2016 – 16 Sa 1711/15, Rn. 84, juris).

cc) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zuzumuten ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 186/11, Rn. 21 mwN, NJW 2013, 104 ff.).

dd) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer entsprechenden Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 in Verbindung mit § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 186/11, Rn. 22 mwN, NJW 2013, 104 ff.).

b) Hieran gemessen stellt der dem Kläger durch die Beklagte vorgeworfene Arbeitszeitbetrug durch private Nutzung von Internet und E-Mail vom 28.11.2017, 29.11.2017 und 01.03.2018 sowie in den Monaten November 2017 bis einschließlich Februar 2018 einen an sich geeigneten Kündigungsgrund dar (1. Stufe). Die Täuschung des Arbeitgebers darüber, dass ein Arbeitnehmer gearbeitet habe, während tatsächlich – wegen Privattätigkeiten – keine Arbeitsleistung erbracht wurde, stellt regelmäßig einen Grund dar, der geeignet ist, das Arbeitsverhältnis durch Arbeitgeberkündigung ohne Einhaltung der Kündigungsfrist zu beenden (vgl. unter anderem Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 29. September 2014 – 2 Sa 181/14, Rn. 27, NZA-RR 2015 128, 129). Der Kläger hat den ihm vorgeworfenen Arbeitszeitbetrug zulasten der Beklagten zur Überzeugung der Berufungskammer begangen.

aa) Die Beklagte hat den Arbeitszeitbetrug des Klägers durch private Tätigkeiten während der Arbeitszeit, indem der Kläger entgegen des am 23.11.2017 – nachträglich – vereinbarten ausdrücklichen Verbots der Privatnutzung des dienstlichen Laptops zu privaten Zwecken im Internet „gesurft“ ist und E-Mails zu privaten Zwecke von Dritten gelesen und an diese geschrieben hat, in Ergänzung zu der unstreitigen E-Mail-Korrespondenz mit dem Vater am 29.11.2017, wie folgt begründet und dargelegt:

Am 28.11.2017 habe der Kläger ab 08:40 Uhr bis 17:17 Uhr über den Browser Mozilla Firefox insgesamt 616 Webseiten zu privaten Zwecken aufgerufen, zB. Facebook, Spiegel-Online, Whatsapp, Booking.com, Landal Ferienparks, Kinderhotels, Familien Parks, Bild.de, 1&1-Email (für Frau V W = Mutter des Klägers) und softeware–billiger.de (Suche für den Vater des Klägers, insgesamt 15 URLs im Zusammenhang mit einer Lizenz für Windows 10). Im Zeitraum von 11:47 Uhr bis ca. 15:42 Uhr entfallen nahezu sämtliche Web-Aufrufe auf die Homepages von Autoscout24, Autohaus S , Autohaus H , Peugeot, Autohaus K , RKG Autohaus, Autocenter D und automobile.de. Insgesamt wurden in dem zuletzt genannten Zeitraum über 290 URLs in Bezug auf Autorecherchen aufgerufen. Mit allen drei Browsern habe der Kläger an dem Tag über 860 URLs aufgerufen, dh. im Schnitt alle 33,49 Sekunden. Bzgl. der URL-Aufrufe wird auf den Internet-Browser-Verlauf auf Bl. 97-107 d.A. (= Anlage B 7 zum Schriftsatz der Beklagten vom 03.07.20118) Bezug genommen. Am 28.11.2017 habe der Geschäftsführer der Beklagten zudem einen auswärtigen Gesprächstermin gehabt, wo allein die Anreisezeit mit dem Auto zwei Stunden betrage, dh. der Kläger habe die Beklagte bewusst hintergehen wollen.

Am 29.11.2017 habe der Kläger zwischen 8:28 Uhr und 14:55 Uhr insgesamt 174 URLs im Zusammenhang mit Autorecherchen aufgerufen. Zwischenzeitlich erfolgte die unstreitige E-Mail-Korrespondenz mit dem seinem Vater, wobei der Kläger die in den E-Mails genannten URLs aufgerufen habe.

Am 01.03.2018 habe der Kläger zwischen 10:24 Uhr und 17:40 Uhr 205 Webseiten zu privaten Zwecken aufgerufen, ua. Facebook, Spiegel-Online, Kunde S D , Videos auf Youtube, Bild.de, Express.de. Insofern wird auf die Daten aus dem Log-File des Internet-Browsers auf Bl. 122-125 d.A. (= Anlage B 8 zum Schriftsatz der Beklagten vom 03.07.2018)

Ferner habe der Kläger in der Zeit vom 21.11.2017 bis zum 27.02.2018 über den Internet-Browser insgesamt 500 Aufrufe der Outlook Web App bzgl. einer E-Mail-Adresse aufgerufen, die bei seinem vormaligen Arbeitgeber (Firma S D ) gehostet wird. Bzgl. der Daten (Tag, Uhrzeit) der einzelnen Aufrufe wird auf Bl. 258-264 d.A. Bezug genommen.

Des Weiteren habe der Kläger im Zeitraum vom 06.11.2017 bis zum 28.02.2018 an 32 unterschiedlichen Tagen während der Arbeitszeit über 80 Änderungen an der Webseite der Mutter (https://www.m .de/) vorgenommen und dafür insgesamt rund 9 Stunden aufgewandt. Hinzu kämen noch rund 35 E-Mails an die Mutter bzgl. der Änderungen. Bzgl. der einzelnen Zeiträume der Änderungen wird auf Bl. 412-418 d.A. Bezug genommen.

Zwischen dem 02.11.2017 und dem 01.03.2018 habe der Kläger zudem 559 Mal sein E-Mail-Konto ( w @p .de) seiner privaten Firma (P ) von seinem Laptop aufgerufen, wobei der Kläger insofern 90 E-Mails bearbeitet habe. Diese Aufrufe fanden zu allen Uhrzeiten des Arbeitstages statt.

bb) Die diesbezüglichen Einlassungen des Klägers sind nicht erheblich. Der von der Beklagten vorgetragene Sachverhalt zum Umfang der privaten Nutzung von Internet und E-Mail über den dienstlichen Laptop ist daher gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. Einer Beweisaufnahme bedurfte es nicht.

Im Hinblick auf die allgemeinen Grundsätze der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess ist zunächst an den Wortlaut des § 138 ZPO zu erinnern, der wie folgt lautet:

„(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.“

Die aus Absatz 1 folgende Wahrheitspflicht obliegt den Parteien und ihren Bevollmächtigten im Interesse einer geordneten Rechtspflege dem Gericht und dem Gegner gegenüber. Sie ist Pflicht zur subjektiven Wahrhaftigkeit im Sinne eines Verbots der wissentlichen Falschaussage und erstreckt sich auf Behauptung und Bestreiten tatsächlicher Umstände. Ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht ist die bewusste Behauptung unwahrer Tatsachen, ebenso das Verschweigen bekannter Tatsachen, deren Vortrag für die begehrte Entscheidung erforderlich ist, sowie das eigener Überzeugung widersprechende Bestreiten. Erkennbar unwahres Vorbringen bleibt im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO unberücksichtigt.

Die Pflicht zum vollständigen Vortrag im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO besagt, dass die darlegungspflichtige Partei keine relevanten Tatsachen unterdrücken darf, was im Grunde schon aus der Wahrheitspflicht folgt, sich aber insbesondere auf die Frage auswirkt, wie umfangreich der Gegner nach § 138 Abs. 2 ZPO zu erwidern hat. Diese Erklärungslast des Gegners nach Abs. 2 ist in Bestehen und Umfang im Übrigen davon abhängig, wie die darlegungspflichtige Partei zuvor vorgetragen hat und welche Tatsachen unstreitig sind. Die Erklärungen müssen gleichermaßen den Anforderungen des Abs. 1 folgen, sie müssen also wahr und vollständig sein.

Die Verteilung der Darlegungslast zwischen der klagenden und der beklagten Partei folgt im Übrigen grundsätzlich aus der allgemeinen Beweislastregelung, der zufolge jeder, der sich auf eine ihm günstige Norm beruft, deren Voraussetzungen darlegen und beweisen muss. Dieser Grundsatz ist in den letzten Jahren zunehmend durch die Rechtsprechung des BGH zur sogenannten „sekundären Darlegungslast“ geprägt und teilweise aufgehoben worden. Ihr zufolge darf sich der Gegner der primär darlegungspflichtigen Partei nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufes steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1982 – VIII ZR 279/81, juris; BGH, Urteil vom 14. Juni 2005 – VI ZR 179/04, juris). In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (BGH, Urteil vom 17. Januar 2008 – III ZR 239/06, juris). Genügt er dem nicht, ist der gegnerische Vortrag gemäß Abs. 3 als zugestanden anzusehen (st. Rspr; vgl. nur BGH, Urteil vom 19. Februar 2014 – I ZR 230/12, juris; siehe hierzu und mit weiteren Nachweisen: Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 138 ZPO, Rn. 7 ff.; Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 31. Oktober 2018 – 6 Sa 652/18, Rn. 147, juris). In diesem Falle bedarf es also keiner Beweisaufnahme zum Beweis der von beweisbelasten Hauptpartei behaupteten Tatsachen.


cc) Hieran gemessen steht zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer iSv. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO aufgrund des konkreten Sachvortrags der Beklagten und des nicht hinreichend substantiierten Bestreitens des Klägers sowie der unstrittigen E-Mail-Korrespondenz zwischen ihm und seinem Vater fest, folgendes Ausmaß eines Arbeitszeitbetruges fest:

(1) Am 28.11.2017 hat der Kläger von 08:40 Uhr bis 17:17 Uhr über den Browser Firefox von seinem Laptop insgesamt 616 Webseiten zu privaten Zwecken – zB. Facebook, Spiegel-Online, Whatsapp, Booking.com, Landal Ferienparks, Kinderhotels, Familien Parks, Bild.de, 1&1-Email (für Frau V W = Mutter des Klägers) – und damit im Schnitt alle 50 Sekunden (= 517 Minuten = 31.020 Sekunden / 616) eine andere URL aufgerufen. Im Zeitraum von 11:47 Uhr bis ca. 15:42 Uhr entfallen 290 URL-Aufrufe auf die Homepages von Autoscout24, Autohaus S , Autohaus H , Peugeot, Autohaus K , RKG Autohaus, Autocenter D und automobile.de, was einen URL-Aufruf alle 49 Sekunden durchschnittlich bedeutet. Und mit allen drei Browsern hat der Kläger an dem Tag über 860 URLs aufgerufen, was im Schnitt alle 36 Sekunden einen URL-Aufruf bedeutet. Die Beklagte hat in der Anlage B 7zum Schriftsatz vom 03.07.2018 (Bl. 97-107 d.A.) die einzelnen URL-Aufrufe und die Uhrzeiten dargelegt. Hierzu gehören auf die 15 URL-Aufrufe im Zusammenhang mit der Lizenz für Windows 10 für den Vater des Klägers (www.software-billiger.de). Dem ist der Kläger nicht erheblich entgegen getreten. Er hat sich zu den einzelnen Seiten-Aufrufen nicht näher eingelassen, weil er es aus seiner Erinnerung heraus nicht mehr könnte. Dies ist mit § 138 ZPO nicht zu vereinbaren, denn die Beklagte kann nicht mehr tun, als die unerlaubten URL-Aufrufe aufzuzeigen. Soweit der Kläger behauptet, er habe URLs zu privaten Zwecken nur während der Pausenzeiten aufgerufen, ist dies offensichtlich unzutreffend, denn der Kläger hat nicht den ganzen Arbeitstag oder zumindest – soweit es die Autoseiten-Aufrufe betrifft – von 11:47 bis 15:42 Uhr Mittagspause gemacht. Der Kläger hat daher mittlerweile eine halbe Stunde insgesamt (dh. am 28./29.11.2017 zusammen) für Privatnutzung des Internets zugestanden, ohne allerdings klar darzulegen, wann diese im Einzelnen gewesen sein soll. Auch hat er nicht dargelegt, ob und wann er dann an dem Tag seine Mittagspause genommen soll. Insgesamt steht damit zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger den gesamten 28.11.2017 nicht gearbeitet hat, denn bei der durchschnittlichen Zeitspanne der einzelnen URL-Aufrufe kann dazwischen keine sinnvolle Arbeitsleistung des Klägers liegen. Soweit der Kläger behauptet, dass er während der Dauer des Arbeitsverhältnisses ganz viele und umfangreiche Projekte und Tätigkeiten ausgeübt hat, hat der Kläger nicht konkret dargelegt, welche Arbeitsleistung er denn konkret am 28.11.2017 erbracht haben will. Er hat sich im Übrigen auch nicht dagegen gewandt, dass der Zeitraum von 08:40 Uhr bis 17:17 Uhr Arbeitszeit gewesen wäre, denn der Kläger hat sich sogar einer Mehrarbeit an diesem Tag berühmt und er hat auch die Vergütung für diesen Arbeitstag erhalten.

(2) Am 29.11.2017 hat der Kläger – während er mit seinem Vater diverse E-Mails bzgl. des beabsichtigten Autokaufs schrieb – zwischen 8:28 Uhr und 14:55 Uhr insgesamt 174 URLs im Zusammenhang mit Autorecherchen aufgerufen, was durchschnittlich alle zwei Minuten einen URL-Aufruf bedeutet. Zwischenzeitlich erfolgte die unstreitige E-Mail-Korrespondenz mit seinem Vater, wobei der Kläger die in den E-Mails genannten URLs aufgerufen hat. Ausgehend von drei Minuten Arbeitszeit für das Lesen einer E-Mail und deren Beantwortung (vgl. hierzu Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 15. Mai 2010 – 12 Sa 875/09, Rn. 43, NZA-RR 2010, 505 ff. = MMR 2010, 639 ff.), ergibt sich bei isolierter Betrachtung der insgesamt 13 E-Mails bereits ein Zeitaufwand von 39 Minuten. Nach Überzeugung der Berufungskammer hat jedoch der Kläger auch an diesem Tag keine Arbeitsleistung erbracht. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger zwischen 8:28 Uhr und 14:55 Uhr insgesamt 174 URLs im Zusammenhang mit seiner Autorecherche aufrief und mit seinem Vater regen E-Mail-Korrespondenz betreffend die Autorecherche führte. Insoweit genügt das pauschale Bestreiten des Klägers zu den konkreten Vorhaltungen der Beklagten nicht, sondern hat gemäß § 138 Abs. 3 ZPO die Geständnisfiktion zur Folge. Dies folgt daraus, dass der Kläger selbst am 29.11.2017 um 09:47 Uhr an seinen Vater schrieb, dass bei ihm langsam aber stetig der Gedanke, sein Auto zu wechseln, reift. In der gesamten E-Mail-Korrespondenz zwischen ihm und seinem Vater, die sich über den gesamten Arbeitstag zog, ging es ausschließlich um die Anschaffung eines neuen Privatwagens. Zudem ergibt sich aus den E-Mails, dass der Kläger sich u.a. die von seinem Vater vorgeschlagenen Autos auch auf dem Firmenrechner der Beklagten während seiner Arbeitszeit ansah. Dies ergibt sich beispielsweise daraus, dass er in der E-Mail von 10:50 Uhr seinem Vater schrieb, dass beide Autos zu seinen Anforderungen passen. Hätte sich der Kläger die von seinem Vater vorgeschlagenen Kfz nicht angesehen, wäre ihm eine entsprechende Beurteilung nicht möglich gewesen. Dasselbe ergibt sich aus den E-Mails von 15:39 Uhr und von 15:57 Uhr, wo der Vater dem Kläger eine Kfz-Konfiguration samt Rabatt übersendet, auf die der Kläger antwortet. Auch hat der Kläger an diesem Tag Arbeitszeit darauf verbracht, selbst Kfz im Internet zu recherchieren. Dies zeigt sich unter anderem an seiner E-Mail an seinen Vater von 13.17 Uhr in der er schreibt: „Was hältst Du denn von dem Wagen"? Der E-Mail war ein Link auf ein bestimmtes Auto beigefügt. Des Weiteren schrieb der Kläger in dieser E-Mail, dass es ihm sehr gut gefällt, dass die Türen sich nach hinten öffnen, da er vor der Tür nicht so viel Platz hat. Eine Genehmigung für die Internetrecherche durch die Beklagte gab es nicht. Einen dienstlichen Zweck, wonach der Besuch u.a. der Internetseite Mobile.de zu Recherchezwecken für die Beklagte erfolgt sei, ist eine nicht näher dargelegt Behauptung des Klägers, die die Berufungskammer als reine Schutzbehauptung bewertet. Der Kläger hat nicht dargelegt, welche programmiertechnischen Features dieser Homepage für die – nach den Behauptungen der Beklagten zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnene – Skylife-App relevant gewesen sein sollen. Soweit der Kläger mittlerweile eine halbe Stunde insgesamt (dh. am 28./29.11.2017 zusammen) für die Privatnutzung des Internets zugestanden hat, hat er allerdings nicht dargelegt, wann diese im Einzelnen gewesen sein soll. Auch hat er nicht dargelegt, ob und wann er dann an dem Tag seine Mittagspause genommen soll, so dass es unsubstantiiert ist, wenn der Kläger behauptet, er habe die gesamte Suche nach einem Auto innerhalb seiner Pausenzeit vorgenommen. Dies würde nämlich bedeuten, dass der Kläger von 08:28 Uhr (Beginn der Internetrecherche zu Kfz) bis einschließlich 16:04 Uhr (= Uhrzeit der letzten E-Mails des Vaters des Klägers an diesem Tag) Pause hat. Die Berufungskammer ist zudem – ebenso wie das Arbeitsgericht – zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger sich nicht nur minutenweise mit dem Thema der Autorecherche an diesem Tag auseinandergesetzt hat, sondern vielmehr den gesamten Arbeitstag hierauf verwendete. Bei einem durchschnittlichen Aufrufe einer neuen URL alle zwei Minuten und einem durchgehenden und nicht nur knappen E-Mail-Verkehr mit dem Vater, wobei alle E-Mails jeweils auf die vorherige E-Mail antworten oder zumindest damit im Zusammenhang stehen, bleibt für eine Arbeitsleistung an diesem Tag nichts übrig. Die Auswertung der Angaben auf einer URL, auf der Gebrauchtwagen abgebildet und bei denen es teilweise um die genaue Autokonfiguration (zB. Klimaanlage, Navigationssystem, Sitzheizung) und den Endpreis, ggfls. mit Rabatt, geht, nimmt erheblich Zeit in Anspruch, wobei die Kammer insofern durchschnittlich drei Minuten veranschlagt. Dies entspricht der Lebenserfahrung der Berufungskammer, da alle erkennenden Richter bereits selbst Autorecherche im Internet vorgenommen haben. Soweit der Kläger behauptet, dass er während der Dauer des Arbeitsverhältnisses ganz viele und umfangreiche Projekte und Tätigkeiten ausgeübt hat, hat der Kläger nicht konkret dargelegt, welche Arbeitsleistung er denn konkret am 29.11.2017 erbracht haben will. Er hat sich im Übrigen auch nicht dagegen gewandt, dass der Zeitraum von 08:28 Uhr bis 16:04 Uhr Arbeitszeit gewesen wäre, denn der Kläger hat sich sogar einer Mehrarbeit an diesem Tag berühmt und er hat auch die Vergütung für diesen Zeitraume erhalten.

(3) Am 01.03.2018 hat der Kläger zwischen 10:24 Uhr und 17:40 Uhr 205 Webseiten zu privaten Zwecken aufgerufen, ua. Facebook, Spiegel-Online, Kunde S D , Videos auf Youtube, Bild.de, Express.de, dh. im Schnitt alle zwei Minuten eine neue URL. Die Beklagte hat in der Anlage B 8 zum Schriftsatz vom 03.07.2018 (Bl. 122-125 d.A.) die einzelnen URL-Aufrufe und die Uhrzeiten dargelegt. Dem ist der Kläger nicht erheblich entgegen getreten. Er hat sich zu den einzelnen Seiten-Aufrufen nicht näher eingelassen, weil er es aus seiner Erinnerung heraus nicht mehr könnte. Dies ist mit § 138 ZPO nicht zu vereinbaren, denn die Beklagte kann nicht mehr tun, als die unerlaubten URL-Aufrufe aufzuzeigen. Soweit der Kläger behauptet, er habe URLs zu privaten Zwecken nur während der Pausenzeiten aufgerufen, ist dies offensichtlich unzutreffend, denn der Kläger hat nicht den ganzen Arbeitstag von 10:24 bis 17:40 Uhr Mittagspause gemacht, zumal der Kläger nicht dargelegt hat, ob und wann er dann an dem Tag seine Mittagspause genommen soll. Insgesamt steht damit zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass der Kläger damit auch den gesamten 01.03.2018 nicht gearbeitet hat, denn bei der durchschnittlichen Zeitspanne der einzelnen URL-Aufrufe kann dazwischen keine sinnvolle Arbeitsleistung des Klägers liegen. Soweit der Kläger behauptet, dass er während der Dauer des Arbeitsverhältnisses ganz viele und umfangreiche Projekte und Tätigkeiten ausgeübt hat, hat der Kläger nicht konkret dargelegt, welche Arbeitsleistung er denn konkret am 01.03.2018 erbracht haben will. Er hat sich im Übrigen auch nicht dagegen gewandt, dass der Zeitraum von 10:24 Uhr bis 17:40 Uhr Arbeitszeit gewesen wäre, denn der Kläger hat auch die Vergütung für diesen Zeitraum erhalten.

(4) Ferner hat der Kläger in der Zeit vom 21.11.2017 bis zum 27.02.2018 über den Internet-Browser insgesamt 500 Aufrufe der Outlook Web App bzgl. einer E-Mail-

Adresse aufgerufen, die bei seinem vormaligen Arbeitgeber (Firma S D ) gehostet wird. Bzgl. der Daten (Tag, Uhrzeit) der einzelnen Aufrufe wird auf Bl. 258-264 d.A. Bezug genommen. Auch hier ist der Kläger dem Sachvortrag der Beklagten nicht erheblich entgegen getreten. Er hat sich mit den einzelnen Zeitangaben der Beklagten nicht näher auseinandergesetzt. Der Sachvortrag der Beklagten gilt insofern gemäß den obigen Ausführungen gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Eine dienstliche Veranlassung ist nicht zu erkennen. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang lediglich eine Konkurrenztätigkeit bei seinem früheren Arbeitgeber bestritten, nicht aber insofern die nicht-dienstliche und damit private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit. Die Kammer geht insofern bezogen auf den Login-Vorgang und den E-Mail-Check von durchschnittlich einer Minute aus und damit von insgesamt 500 Minuten (was mehr als ein ganzen Arbeitstag á acht Stunden ausmacht) an Zeit aus, die der Kläger in dem Zeitraum nicht gearbeitet hat und damit die Beklagte geschädigt hat.

(5) Ferner hat der Kläger im Zeitraum vom 06.11.2017 bis zum 28.02.2018 an 32 unterschiedlichen Tagen während der Arbeitszeit über 80 Änderungen an der Webseite der Mutter (https://www.m .de/) vorgenommen und dafür insgesamt rund 9 Stunden aufgewandt. Hinzu kommen noch rund 35 E-Mails an die Mutter bzgl. der Änderungen. Bzgl. der einzelnen Zeiträume der Änderungen und der E-Mails wird auf Bl. 412-418 d.A. Bezug genommen. Auch hier ist der Kläger dem Sachvortrag der Beklagten nicht erheblich entgegen getreten. Er hat sich mit den einzelnen Zeitangaben der Beklagten nicht näher auseinandergesetzt. Der Sachvortrag der Beklagten gilt insofern gemäß den obigen Ausführungen gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden Eine dienstliche Veranlassung ist nicht zu erkennen. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang lediglich eine Konkurrenztätigkeit bestritten, nicht aber insofern die nicht-dienstliche und damit private Nutzung. Auch dem von der Beklagten geschätzten Zeitumfang der Privatnutzung ist der Kläger nicht entgegen getreten und für die Berufungskammer erscheint dieser plausibel.

(6) Schließlich hat der Kläger im Zeitraum vom 02.11.2017 bis zum 01.03.2018 insgesamt 559 Mal sein E-Mail-Konto ( .w @ .de) seiner privaten Firma (P ) von seinem Laptop aufgerufen, wobei der Kläger insofern 90 E-Mails bearbeitet hat, wobei diese Aufrufe zu allen Uhrzeiten des Arbeitstages stattfanden. Auch hier ist der Kläger dem Sachvortrag der Beklagten nicht erheblich entgegen getreten. Der Sachvortrag der Beklagten gilt insofern gemäß den obigen Ausführungen gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden Eine dienstliche Veranlassung ist nicht zu erkennen. Ausgehend von geschätzten drei Minuten für das Lesen und Beantworten einer E-Mail (vgl. hierzu Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 15. Mai 2010 – 12 Sa 875/09, Rn. 43, NZA-RR 2010, 505 ff. = MMR 2010, 639 ff.) ist insofern von weiteren 270 Minuten und damit weiteren 4,5 Stunden auszugehen, an denen der Kläger nicht gearbeitet hat.

(7) Damit hat der Kläger im Ergebnis an drei Tagen (28.11.2017, 29.11.2017 und 01.03.2018) sowie im Zwischenzeitraum über kumuliert mehrere Stunden und damit an mehr als fünf kompletten Arbeitstagen, was wiederum mindestens einer Arbeitswoche entspricht, aufgrund von als exzessiv zu bewertenden privaten Tätigkeiten im Internet während der Arbeitszeit seine Hauptleistungspflicht verletzt.

(8) Soweit der Kläger den genannten URL-Aufrufen, die an den einzelnen Tagen bzw. in den genannten Zeiträumen erfolgt ist, generell entgegen hält, dass aus Erfahrung der gesuchten Seiten im Nachhinein die Webseite erneut besucht wurde um zu schauen, wie ein entsprechendes Feature programmiertechnisch umgesetzt wurde, ist dies für die Berufungskammer nicht nachvollziehbar. Entsprechendes gilt für seine Einlassung, wonach verschiedene Features für die App gewünscht gewesen seien, die auf diesen Seiten teilweise vorzufinden waren. Der Kläger hat damit keinen dienstlichen Bezug hinreichend substantiiert dargelegt. Er hätte dafür vielmehr darlegen müssen, mit welcher konkreten Tätigkeit er im Zeitpunkt des jeweiligen URL-Aufrufs betraut war und welches Feature von welcher URL er für seine Arbeit benötigt hätte, damit die Beklagte sich ihrerseits im Rahmen von § 138 ZPO darauf hätte einlassen können.

(9) Soweit der Kläger der Beklagten die Manipulation der Log-Dateien der Internet-Browser durch Veränderung der Zeitangaben vorwirft, ist dies als eine Behauptung ins Blaue hinein zu bewerten. Dieser Vorwurf ist durch nichts belegt. Selbst wenn es generell relativ einfach wäre, die Browserchronik zu verändern, bedeutet dies nicht, dass die Beklagte dies getan hätte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger dem Geschäftsführer der Beklagten ohnehin attestiert, ein Quereinsteiger in die IT zu sein und damit über keine IT-Kenntnisse zu verfügen. Soweit der Kläger einzelne URL-Aufrufe benannt hat, die nicht von ihm stammen können, weil sich aus den GPS-Standortdaten seines Mobiltelefons abweichende Ortsangaben ergeben sollen, ist darauf hinzuweisen, dass es um die Auswertung eines Laptops, dh. eines transportablen Computers geht. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er den Laptop nicht dabei gehabt hätte. Außerdem ist auch nicht zu erkennen, dass die Standortdaten des Mobiltelefons des Klägers zwingend richtig sind. Und selbst wenn einzelne URL-Aufrufe nicht vom Kläger stammen sollten, bedeutete dies nicht, dass die restlichen Angaben bzgl. der URL-Aufrufe unzutreffend wären. Der Kläger kann jedenfalls mit dem nicht belegten Manipulationsvorwurf seine sekundäre Darlegungs- und Beweislast nicht wiederum auf die Beklagte verlagern.

(10) Letztlich schließen auch etwaige geleistete Überstunden des Klägers entgegen dessen Auffassung den dargelegten Arbeitszeitbetrug nicht aus. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, er habe nicht alle tatsächlich geleisteten Überstunden geltend gemacht, so dass er Privattätigkeiten während der Arbeitszeit nicht „einfach“ mit Überstunden „verrechnen kann“. Abgesehen davon, dass schon nicht zu erkennen ist, ob diese behaupteten Überstunden überhaupt geleistet und von der Beklagten angeordnet oder zumindest geduldet wurden oder sonst wie zur Erbringungen der Arbeitsleistung erforderlich waren, ist der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung zur Ableistung der geschuldeten Arbeitszeit nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Arbeitsleistung ggfls. zu anderen Zeiten erbracht wurde (vgl. BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18, Rn. 22, juris).

dd) Soweit die vorliegenden Sachverhalte der Beklagten, gesetzlich vertreten durch ihren Geschäftsführer K , bei Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung am 07.03.2018 noch nicht – vollständig – bekannt gewesen sein sollten, sondern erst durch den IT-Sachverständigen und dessen Gutachten vom 01.07.2018 bekannt wurden, hat dies vorliegend keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Kündigung, da es durchweg um tatsächliche Umstände handelt, die bereits vor Ausspruch der Kündigung objektiv vorlagen. Wenn und soweit diese erst später bekannt gewordenen Umstände in den Kündigungsschutzprozess eingeführt werden, handelt sich insofern um ein sog. Nachschieben von Kündigungsgründen, das in nicht-mitbestimmten Betrieben – wie bei der Beklagten – nach der Rechtsprechung des BAG ohne weiteres zulässig ist. Dies gilt auch bei § 626 BGB, denn die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gilt nur für die Erklärung der Kündigung. Ist die Kündigung als solche rechtzeitig erklärt, schließt § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Nachschieben nachträglich bekannt gewordener Gründe nicht aus (BAG, Urteil vom 23. Mai 2013 – 2 AZR 102/12, Rn. 33, juris; siehe bereits BAG, Urteil vom 4. Juni 1997 – 2 AZR 362/96, zu II 3 b der Gründe, BAGE 86, 88). Für die Beurteilung, ob ein nachgeschobener Sachverhalt dem Arbeitgeber schon im Kündigungszeitpunkt bekannt war, kommt es auf den Wissensstand des Kündigungsberechtigten an, dh. vorliegend ausschließlich Herrn K . Zu fordern ist in sachlicher Hinsicht - wie im Rahmen von § 626 Abs. 2 BGB - eine positive, vollständige Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. In personeller Hinsicht kommt es hier - wie bei § 626 Abs. 2 BGB - auf die entsprechende Kenntnis in der Person des Kündigungsberechtigten an. Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich maßgeblich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs (siehe BAG, Urteil vom 18. Juni 2015 – 2 AZR 256/14 –, Rn. 48, juris).

ee) Einer prozessualen Verwertung der Inhalte der E-Mails auf dem dienstlichen Laptop und der Einträge in den Log-Dateien der Internet-Browser steht auch kein sog. prozessuales Verwertungsverbot (vgl. GMP/Prütting, 9. Aufl. 2018, § 58 ArbGG Rn. 34 ff, wobei die jüngste Rechtsprechung des 2. Senats des BAG dies umfassender als sein „Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot“ bezeichnet, vgl. BAG, Urteil vom 27 Juli .2017 – 2 AZR 681/16, Rn. 16, NZA 2017, 1327, 1328) entgegen. Auch wenn der Kläger als betroffener Arbeitnehmer sich vorliegend – vorsorglich – weder auf die Rechtswidrigkeit der Informations- und Beweismittelbeschaffung berufen noch deren prozessuale Verwertung gem. § 295 ZPO gerügt hat, um dadurch die Rechtswirkungen des § 138 Abs. 3 ZPO (siehe oben) zu verhindern (vgl. HWK/Lembke, 8. Aufl. 2018, Vorb. BDSG, Rn. 112; Pötters/Wybitul, NJW 2014, 2074 (2079); vgl. auch BAG, Urteil vom 16. Dezember 2010 – 2 AZR 485/08, Rn. 32 und 34, NZA 2011, 571, 574; Schreiber ZZP 122 (2009), 227, 241), müssen die erkennenden Gerichte aufgrund der verfassungsrechtlichen Determinierung von Amts wegen prüfen, ob ein prozessuales Verwertungsverbot eingreift, sobald sich aus dem Vorbringen des Prozessgegners und seiner Beweisantritte Anhaltspunkte für „Verwertbarkeitszweifel“ ergeben (Niemann, JbArbR Bd. 55 S. 41, 63 f.). Solche Zweifel werden vorliegend zugunsten des Klägers unterstellt, da er „massive Datenverstöße“ der Beklagten gerügt hat.

(1) Weder die ZPO noch das ArbGG enthalten – ausdrückliche – Regelungen zur prozessualen Unverwertbarkeit rechtswidrig erlangter Informationen oder Beweise. Vielmehr gebieten der Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG und der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO iVm § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG) durch die Tatsachengerichte grundsätzlich die Berücksichtigung des Sachvortrags der Parteien und der von ihnen angebotenen Beweismittel. Im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren gelten wie im Zivilprozess die Dispositionsmaxime und der Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz. Das Zivil- oder Arbeitsgericht darf nur die von den Parteien vorgebrachten Tatsachen verwerten. Umgekehrt ist es zugleich an den Vortrag der Parteien und einen ihm unterbreiteten, entscheidungserheblichen Sachverhalt gebunden. Der Tatsachenvortrag einer Partei kann nicht ohne gesetzliche Grundlagen unbeachtet und „unverwertet“ bleiben. Ordnungsgemäß in den Prozess eingeführten Sachvortrag muss das Gericht grundsätzlich berücksichtigen. Das Zivilprozessrecht kennt grundsätzlich kein Verbot der „Verwertung” von entscheidungserheblichem Sachvortrag. Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindern soll, einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage (BAG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12, Rn. 20, NZA 2014, 143, 145). Dies gilt ebenso für ein etwaiges Sachvortragsverwertungsverbot (BAG, Urteil vom 22. September 2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 21 mwN, NZA 2017, 112, 113; siehe auch Reitz NZA 2017, 273, 277). Prozessuale Verwertungsverbote stellen also die begründungsbedürftige Ausnahme dar (Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 286 ZPO Rn. 15 ff.).

Ein das Gericht bindendes Beweisverwertungsverbot oder ein Verbot, selbst unstreitigen Sachvortrag zu verwerten, kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn dies auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, oder weil dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist („verfassungsrechtliches Verwertungsverbot“) (Schreiber ZZP 122 (2009), 227, 229; BAG, Urteil vom 16. Dezember 2010 – 2 AZR 485/08, Rn. 29, NZA 2011, 571 ff.). Das Gericht tritt den Verfahrensbeteiligten im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Es ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung (Art. 20 Abs. 3 GG), insbesondere zur fairen Handhabung des Prozess- und Beweisrechts bzw. einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung (BAG, Urteil vom 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16, Rn. 16, NZA 2017, 1327, 1328) verpflichtet (BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2007 – 1 BvR 421/05, Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202ff. = NJW 2007, 753 ff.; BAG, Urteil vom 16. Dezember 2010 – 2 AZR 485/08, Rn. 31, NZA 2011, 571, 573). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG) Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten des Arbeitnehmers geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind (BAG, Urteil vom 22. September 2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 23, NZA 2017, 112, 113). Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von persönlichen Daten und Erkenntnissen, die bspw. heimlich beschafft wurden, mit datenschutzrechtlichen Belangen (insbesondere Art. 88 DSGVO iVm. § 26 BDSG) oder mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des hiervon betroffenen Beweisgegners vereinbar sind (BAG, Urteil vom 21. Juni 2012 – 2 AZR 153/11, Rn. 28, NZA 2012, 1025, 1027); BGH, Urteil vom 15. Mai 2013 – XII ZB 107/08, Rn. 21, NJW 2013, 2668 ff.), selbst wenn die rechtswidrige Beschaffung nicht vom Gericht veranlasst wurde. Auch wenn keine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, greift die Verwertung von personenbezogenen Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (BAG, Urteil vom 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16, Rn. 16, NZA 2017, 1327, 1328); BAG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12, Rn. 21, NZA 2014, 143, 145). Dem Schutz des Grundrechts eines jeden, selbst zu entscheiden, ob persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, dienen auch Art. 8 Abs. 1 EMRK sowie Art. 7 und 8 GRCh (BAG, Urteil vom 22. September 2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 23, NZA 2017, 112, 113). Im Ergebnis bedeutet dies eine Prüfung dahingehend, dass eine rechtswidrige Sachverhalts- bzw. Beweismittelbeschaffung wegen der Bindung an die Grundrechte der Gerichte nicht noch um eine grundrechtswidrige prozessuale Verwertung ergänzt werden soll.

Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Arbeitnehmers ein (1. Stufe), das – jedenfalls außerhalb des unantastbaren Kernbereich privater Lebensführung – nicht schrankenlos gewährleistet wird, überwiegt bei einer Güterabwägung das Interesse des Arbeitgebers an seiner Verwertung und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Umstände auf Seiten des Arbeitgebers hinzutreten (2. Stufe). Anderenfalls würde die (Grund )Rechtsverletzung, die der Arbeitgeber bei der Informationsbeschaffung begangen hat, durch das Gericht perpetuiert, weil mit der prozessualen Verwertung der Beweismittel durch Beweiserhebung ein – erneuter bzw. fortgesetzter – Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers einherginge (BAG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12, Rn. 19, NZA 2014, 143, 145). Mitentscheidend für die Frage der Perpetuierung ist auch die Intensität des Eingriffs (BAG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12, Rn. 26, NZA 2014, 143, 146); ErfK/Schmidt, 20. Aufl. 2020, Art. 2 GG, Rn. 96), wobei die Heimlichkeit typischerweise das Gewicht der Freiheitsbeeinträchtigung erhöht (BAG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12, Rn. 31 mwN, NZA 2014, 143, 147). Das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reicht für sich allein nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2007 – 1 BvR 421/05, Rn. 94, BVerfGE 117, 202ff. = NJW 2007, 753 ff.; BAG, Urteil vom 22. September 2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 24, NZA 2017, 112, 114), denn damit liefe der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht weitgehend leer. Vielmehr müssen diese weiteren Umstände gerade die Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt und damit als schutzbedürftig erweisen (vgl. BAG, Urteil vom 21. Juni 2012 – 2 AZR 153/11, Rn. 29,

LAG Rheinland-Pfalz: Außerordentliche Kündigung wegen privater Internetnutzung am Arbeitsplatz möglich - Rechtsverletzung muss im Prozess detailliert dargelegt und bewiesen werden

LAG Rheinland-Pfalz
Urteil vom 24.10.2013
10 Sa 173/13

Das LAG Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass die die unerlaubte private Internetnutzung am Arbeitsplatz (hier: Aufruf von Pornoseiten) eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnungen rechtfertigen kann. Im vorliegenden Fall hat das Gericht die Kündigung allerdings kassiert, da der Arbeitgeber die Internetaktivitäten des Arbeitnehmers nur pauschal und damit nicht ausreichend vorgetragen hatte.

Aus den Entscheidungsgründen:

" Soweit die Beklagte die fristlose Kündigung darauf stützt, dass der Kläger das Internet für private Zwecke genutzt habe, um sich Pornoseiten und sonstige private Seiten anzusehen, genügt ihr pauschaler Vortrag nicht, um das Gericht in die Lage zu versetzen, das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu beurteilen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 27.04.2006 - 2 AZR 386/05 - AP § 626 BGB Nr. 202), der die Berufungskammer folgt, kommt als kündigungsrelevante Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten bei einer privaten Nutzung des Internets oder des Dienst-PCs ua. in Betracht:

Das Herunterladen einer erheblichen Menge von Daten aus dem Internet auf betriebliche Datensysteme (“unbefugter download”), insb. wenn damit einerseits die Gefahr möglicher Vireninfizierungen oder anderer Störungen des -betrieblichen- Betriebssystems verbunden sein können oder andererseits von solchen Daten, bei deren Rückverfolgung es zu möglichen Rufschädigungen des Arbeitgebers kommen kann, bspw. weil strafbare oder pornografische Darstellungen heruntergeladen werden, die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internetanschlusses als solche, weil durch sie dem Arbeitgeber möglicherweise -zusätzliche- Kosten entstehen können und der Arbeitnehmer jedenfalls die Betriebsmittel -unberechtigterweise- in Anspruch genommen hat, die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internets während der Arbeitszeit, weil der Arbeitnehmer während des Surfens im Internet oder einer intensiven Betrachtung von Videofilmen oder -spielen zu privaten Zwecken seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringt und dadurch seine Arbeitspflicht verletzt.

Keine dieser Pflichtverletzungen hat die Beklagte in hinreichender Weise vorgetragen. Sie hat es auch zweitinstanzlich bei dem pauschalen und unsubstantiierten Vortrag belassen, der Kläger habe „Pornoseiten“ und sonstige private Seiten angesehen. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, in welcher Menge Daten aus dem Internet in das betriebliche Betriebssystem eingebracht wurden und es dadurch ggf. zu welchen -erheblichen- Belastungen oder Störungen der betrieblichen Datensysteme gekommen ist bzw. welche konkrete Störungsgefahr bestanden hat. Sie hat ebenfalls nicht vorgetragen, ob ihr durch die private Nutzung des Internets durch den Kläger zusätzliche Kosten entstanden sind. Schließlich hat sie auch nicht vorgetragen, in welchem konkreten Umfang der Kläger während der Ausbildungszeit unter Vernachlässigung seiner in diesem Zeitraum zu erfüllenden Arbeitspflichten seine geschuldete Arbeitsleistung nicht erbracht hat."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Bei Markenanmeldung müssen alle beantragten Waren- und Dienstleistungsklassen auf Unterscheidungskraft geprüft werden - Zur Anbringung des Symbols "R im Kreis"

BGH
Beschluss vom 17.10.2013
I ZB 11/13
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MarkenG § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 4

Leitsätze des BGH:


a) Auch wenn das Bundespatentgericht sich bei der Prüfung von Schutzhindernissen auf eine Begründung für Gruppen oder Kategorien von Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke Schutz beansprucht, beschränken kann, muss die Entscheidung erkennen lassen, dass sämtliche in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen in die Prüfung einbezogen worden sind.

b) Eine Marke kann im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG zur Täuschung geeignet sein, wenn sie das Symbol "R im Kreis" enthält und dieses nur einem Bestandteil der Marke zugeordnet ist, für den kein gesonderter markenrechtlicher Schutz besteht.

c) Eine Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und eine Zurückverweisung der Sache sind nicht erforderlich, wenn zwar nicht das vom Bundespatentgericht angenommene Eintragungshindernis vorliegt, das Rechtsbeschwerdegericht aufgrund der vom Bundespatentgericht getroffenen Feststellungen aber ein anderes Schutzhindernis annehmen kann.

BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - I ZB 11/13 - Bundespatentgericht

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: