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OLG Celle: Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO ist nicht zweckgebunden und muss nicht aus den in Erwägungsgrund 63 der DSGVO genannten Gründen geltend gemacht werden

OLG Celle
Urteil vom 14.12.2022
8 U 165/22


Das OLG Celle hat entschieden, dass der Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO nicht zweckgebunden ist und nicht aus den in Erwägungsgrund 63 der DSGVO genannten Gründen geltend gemacht werden muss.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Auskunftsklage ist auch begründet. Entgegen der vom Landgericht und der Beklagten vertretenen Auffassung steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DS-GVO zu.

Nach Erwägungsgrund 63 Satz 1 der DS-GVO dient das Auskunftsrecht der betroffenen Person hinsichtlich der sie betreffenden personenbezogenen Daten dem Zweck, sich der Verarbeitung (zum Begriff vgl. Art. 4 Nr. 2 DS-GVO; zu dem vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung erfassten Bereich der Verarbeitung vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Nr. 6 DS-GVO) bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19).

Entscheidend für das Bestehen eines Auskunftsanspruchs ist daher, ob die von der Beklagten dem Kläger anlässlich der Beitragsanpassungen übersandten Nachträge zum Versicherungsschein Informationen nach diesen Kriterien enthalten (vgl. BGH, a.a.O.).

Gemäß Art. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 DS-GVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Diese Definition besitzt einen weiten Anwendungsbereich. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, wenn sie denn nur die in Rede stehende Person betreffen. Letzteres ist der Fall, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 - C-434/16 zu Art. 2 Buchst. a der RL 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995; BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19).

Schreiben des Versicherers an den Versicherungsnehmer sind grundsätzlich ihrem gesamten Inhalt nach als personenbezogene Daten gemäß Art. 4 Nr. 1 DS-GVO anzusehen. Die personenbezogene Information besteht bereits darin, dass sich die Beklagte dem Schreiben gemäß geäußert hat (vgl. BGH, a.a.O.).

Auch im vorliegenden Fall sind personenbezogene Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 DS-GVO Gegenstand des Auskunftsanspruchs. Die anlässlich der Beitragsanpassungen von der Beklagten an den Kläger übersandten Nachträge zum Versicherungsschein hatten den konkreten, zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag zum Gegenstand und gestalteten diesen inhaltlich teilweise neu. Auch die anlässlich der Beitragsanpassung übersandten Mitteilungsschreiben unterfallen in ihrer Gesamtheit dem Begriff der personenbezogenen Daten (vgl. BGH, a.a.O.).

Bei dem Auskunftsantrag des Klägers handelt es sich auch nicht um einen offenkundig unbegründeten oder exzessiven Antrag im Sinne von Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DS-GVO. In der Verordnung findet sich als Regelbeispiel für die Annahme eines exzessiven Antrags der Fall von häufiger Wiederholung. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil der Kläger mit seiner Klage die erstmalige Erteilung einer Kopie der maßgeblichen Unterlagen begehrt. Unmaßgeblich ist auch die Motivationslage des Klägers, weil die Verordnung den Auskunftsanspruch nicht von einer bestimmten Zielsetzung des Anspruchsinhabers abhängig macht und dementsprechend der Antrag auf Auskunftserteilung auch nicht begründet werden muss (vgl. BGH, EuGH-Vorlage vom 29. März 2022 - VI ZR 1352/20; OLG Köln, Urteil vom 13. Mai 2022 - 20 U 198/21; juris Simitis/Hornung/Spiecker, DS-GVO mit BDSG, Art. 15 DS-GVO, Rn. 11; Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022; DS-GVO Art. 15, Rn. 85).

Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren behauptet, der Kläger sei noch im Besitz der ihm ursprünglich übermittelten und nunmehr streitgegenständlichen Informationen (Bl. 143 d. A.), steht das einem Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DS-GVO nicht entgegen. Für den von ihr erhobenen Einwand hat die Beklagte bereits keinen Beweis angeboten. Unabhängig hiervon besteht der auf Art. 15 DS-GVO gestützte Auskunftsanspruch auch dann, wenn der Betroffene bereits über die geforderten Informationen verfügt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19; VG Schwerin, Urteil vom 29. April 2021 - 1 A 1343/19 SN; Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022; DS-GVO Art. 15, Rn. 52.3).

Einem auf Art. 15 DS-GVO gestützten Auskunftsanspruch steht auch nicht entgegen, dass die entsprechende Verordnung gemäß Art. 99 Abs. 2 DS-GVO erst am 25. Mai 2018 in Kraft getreten ist, während sich der Auskunftsanspruch des Klägers auf solche Informationen bezieht, die zu einem früheren Zeitpunkt erhoben und gespeichert wurden. Insoweit findet sich in der Verordnung bereits keine ausdrückliche zeitliche Begrenzung des Auskunftsanspruchs, was für einen unbeschränkten Auskunftsanspruch auch im Hinblick auf solche Informationen spricht, die vor dem 25. Mai 2018 erhoben und/oder gespeichert wurden. Darüber hinaus dient die Verordnung gemäß Art. 1 Abs. 2 DS-GVO dem Schutz der Grundrechte und der Grundfreiheiten natürlicher Personen und insbesondere deren Recht auf Schutz personenbezogener Daten. Ein solcher Schutz würde aber weitgehend leerlaufen, wenn er sich nur auf Informationen erstrecken würde, die nach dem 25. Mai 2018 erhoben wurden. Hierfür spricht auch, dass die Vorgängerverordnung 95/46/EG mit Wirkung vom 25. Mai 2018 aufgehoben wurde und etwaige Auskunftsansprüche hierauf nicht mehr gestützt werden können. Weiter handelt es sich jedenfalls bei dem Akt der Datenspeicherung um eine fortlaufende Datenverarbeitung, die unter der Voraussetzung einer nicht bereits zuvor erfolgten Löschung - auch über den 25. Mai 2018 hinaus andauert und damit spätestens ab diesem Zeitpunkt dem Anwendungsbereich von Art. 15 DS-GVO unterfällt (vgl. Kühling/Buchner; Datenschutz-Grundverordnung/BDSG, 2. Aufl., Art. 15, Rn. 8).

Der dem Kläger gegen die Beklagte zustehende Auskunftsanspruch ist nicht verjährt. Ob eine Verjährung des nebenvertraglichen Auskunftsanspruchs bzw. des Anspruchs gemäß Art. 15 DS-GVO überhaupt möglich ist und nach welchen Vorschriften sie sich ggf. richtet, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn selbst wenn der Auskunftsanspruch wie der auf § 242 BGB gestützte Auskunftsanspruch selbstständig und unabhängig nach der allgemeinen Frist des § 195 BGB verjähren sollte (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2020 - III ZR 136/18; BGH, Urteil vom 25. Juli 2017 - VI ZR 222/16), so könnte er aber jedenfalls nicht vor dem Hauptanspruch verjähren, dem er dient (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2020, a.a.O.; BGH, Urteil vom 25. Juli 2017, a.a.O.). Im vorliegenden Fall kann eine Verjährung sämtlicher, auf eine ggf. unwirksame Beitragsanpassung beispielsweise im Jahr 2013 gestützten Leistungsansprüche auch für die Zeit nach dem 1. Januar 2018 aber nicht festgestellt werden.

Inhaltlich ist der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO auf die Übersendung einer Datenkopie gerichtet. Dabei beschränkt sich der Anspruch nicht auf die Übermittlung von Informationen, die der von der Datenspeicherung betroffenen Person gemäß Art. 15 Abs. 1 DS-GVO zustehen. Der Senat folgt insoweit vielmehr der in der Rechtsprechung und der Literatur vertretenen extensiven Auslegung von Art. 15 DS-GVO (vgl. OLG München, Urteil vom 4. Oktober 2021 - 3 U 2906/20; OVG Munster, Urteil vom 8. Juni 2021 - 16 A 1582/20; LAG Baden-Württemberg, Urteile vom 17. März 2021 - 21 Sa 43/20 - und vom 20. Dezember 2018 - 17 Sa 11/18; Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022, DS-GVO Art. 15, Rn. 85; Schaffland/Holthaus, Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)/Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), Werkstand: 11. Ergänzungslieferung 2022; Artikel 15, Rn. 44b; a. A. Franzen in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 4. Aufl., EU (VO) 2016/679 Art. 15; Rn. 5; Paal in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 3. Aufl., DS-GVO Art. 15, Rn. 33a). Danach hat der Auskunftspflichtige die personenbezogenen Daten grundsätzlich in der Rohfassung zu übermitteln, in der sie bei ihm gespeichert sind. Denn Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO stellt insoweit eine eigenständige und von Art. 20 DS-GVO unabhängige Anspruchsgrundlage dar (vgl. Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022, DS-GVO Art. 15, Rn. 85).

Hieraus folgt zugleich, dass der Kläger auch eine Kopie von Versicherungsscheinen und Nachträgen zum Versicherungsschein verlangen kann, wenn sie denn als solche (und nicht nur deren reiner Informationsinhalt) bei der Beklagten gespeichert sind.

Sollte der Inhalt etwa eines Versicherungsscheins sowohl in der Form des Versicherungsscheins als auch in Gestalt lediglich der im Versicherungsschein enthaltenen Informationen gespeichert sein, sind von der Beklagten grundsätzlich beide Datensätze in Gestalt einer Datenkopie herauszugeben. Denn anderenfalls kann der Kläger die mit dem Auskunftsanspruch bezweckte Überprüfung einer ordnungsgemäßen Verarbeitung (aller!) von der Beklagten gespeicherten personenbezogenen Daten nicht sinnvoll ausüben.

Demgegenüber kann Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO kein gegen den Auskunftspflichtigen gerichteter Anspruch entnommen werden, die übermittelten Rohdaten zusätzlich aufzubereiten, damit diese von der betroffenen Person verwendet werden können. Das folgt bereits aus der Zielrichtung des Auskunftsanspruchs, den Berechtigten von einer Verarbeitung der ihn betreffenden Daten zu informieren und ihm die Gelegenheit geben, die Verarbeitung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. VG Schwerin, Urteil vom 29. April 2021 - 1 A 1343/19 SN; Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022, DS-GVO Art. 15, Rn. 2). Dieses Informationsbedürfnis kann aber nur durch Übersendung der Dateien in der Gestalt erfüllt werden, in der sie beim Auskunftspflichtigen auch gespeichert sind. Anders verhält es sich lediglich dann, wenn der Auskunftsberechtigte nur durch eine entsprechende Aufbereitung den Inhalt der gespeicherten Informationen zur Kenntnis nehmen könnte (vgl. Schaffland/Holthaus, a.a.O.; Schmidt-Wudy, a.a.O., Rn. 85).

Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht gegen die extensive Auslegung von Art. 15 DS-GVO auch nicht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. Juli 2014 - C-141/12 und C-372/12. Zwar hat das Gericht entschieden, dass die betroffene Person keinen Anspruch auf die Kopie eines Dokuments oder einer Originaldatei habe, wenn das mit dem Auskunftsrecht angestrebte Ziel durch eine andere Form der Mitteilung vollständig erreicht werden könne. Allerdings bezieht sich die Entscheidung des Gerichts nicht auf Art. 15 DS-GVO, sondern auf Art. 12 Lit. a) der RL 95/46/EG. Diese sah anders als Art. 15 Abs. 3 DS-GVO aber kein Recht auf eine Datenkopie vor, sondern lediglich einen Anspruch auf unter anderem eine "Mitteilung in verständlicher Form über Daten" (vgl. auch Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022, DS-GVO Art. 15, Rn. 85).

[...]

3. Der Senat hat zu D.2. die Revision sowohl wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 als auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zugelassen. Ob ein Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DS-GVO zweckgebunden ist oder unabhängig von der hiermit verbundenen Zielrichtung erhoben werden kann, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt. So wird teilweise die Auffassung vertreten, dass Zielrichtung der vom Versicherungsnehmer begehrten Auskunftserteilung gemäß Art. 15 DS-GVO ausschließlich sein dürfe, sich der Verarbeitung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten bewusst zu werden und die Rechtmäßigkeit dieser Verarbeitung überprüfen zu können (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 29. März 2022 - 4 U 1905/21; OLG Nürnberg, Urteil vom 14. März 2022 - 8 U 2907/21; OLG Hamm, Beschluss vom 15. November 2021 - 20 U 269/21).

Darüber hinaus besitzt die Frage einer Zweckgebundenheit des Auskunftsanspruchs gemäß Art. 15 DS-GVO aber auch grundsätzliche Bedeutung, weil sie sich über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (bzw. bereits stellt) und deshalb für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2022 - 1 BvR 832/21, 1 BvR 1258/21). Ebenfalls von grundsätzlicher Bedeutung ist die Frage, welchen Umfang der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DS-GVO besitzt und ob der Anspruch auf Übermittlung einer Datenkopie die Übermittlung sämtlicher beim Versicherer gespeicherter Daten umfasst.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Zum Geheimhaltungsinteresse einer privaten Krankenversicherung an Berechnungsgrundlage im Streit um Prämienanpassung

BGH
Urteil vom 09.12.2015
IV ZR 272/15
VVG § 203 Abs. 2; GVG § 172 Nr. 2, § 174 Abs. 3


Leitsatz des BGH:

Im gerichtlichen Verfahren über eine Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung gemäß § 203 Abs. 2 VVG (hier i.V.m. § 8b AVB/KK) kann einem berechtigten Geheimhaltungsinteresse des Versicherers an den technischen Berechnungsgrundlagen im Einzelfall durch den Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 172 Nr. 2 GVG und die Verpflichtung zur Verschwiegenheit gemäß § 174 Abs. 3 GVG Rechnung getragen werden (im Anschluss an BVerfG VersR 2000, 214, 216).

BGH, Urteil vom 9. Dezember 2015 - IV ZR 272/15 - LG München I - AG München

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: