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KG Berlin: Für Beschwerde gegen einen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss gilt Anwaltszwang nach § 78 Abs. 1 ZPO

KG Berlin
Beschluss vom 11.07.2023
5 W 69/23


Das KG Berlin hat entschieden, dass für die Beschwerde gegen einen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss nach § 78 Abs. 1 ZPO der Anwaltszwang gilt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist unzulässig, da sie dem Anwaltszwang gem. § 78 Abs. 1 ZPO unterliegt und von dem nicht postulationsfähigen Antragsteller eingelegt worden ist.

1. Eine Beschwerde gegen einen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss unterliegt dem Anwaltszwang nach § 78 Abs. 1 ZPO. Die Vorschriften der §§ 78 Abs. 3, 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO sehen eine Ausnahme vom Anwaltszwang nur dann vor, wenn der Rechtsstreit im ersten Rechtszug „nicht als Anwaltsprozess zu führen“ ist oder war. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

a) Eine Ansicht meint allerdings unter Hinweis auf §§ 936, 920 Abs. 3 in Verbindung mit § 78 Abs. 3 ZPO sowie § 922 Abs. 1 und 3 ZPO, das zulässigerweise ohne anwaltliche Beteiligung abzuschließende erstinstanzliche Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei nicht Anwaltsprozess im Sinne von §§ 78 Abs. 1, 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO (vgl. etwa OLG Celle, Beschluss vom 22. Januar 2009 – 13 W 135/08 –, Rn. 7, juris; OLG München, Beschluss vom 12. Juli 1995 – 28 W 1948/95 –, Rn. 2, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. Mai 1993 – 6 W 23/93 –, Rn. 3, juris; Kammergericht – ZS 25 -, Beschluss vom 15. August 1991 – 25 W 4373/91 –, Rn. 11, juris).

b) Nach der Gegenansicht ändert die nur für den Arrest- oder Verfügungsantrag geltende Befreiung vom Anwaltszwang gem. §§ 936, 920 Abs. 3 ZPO nichts daran, dass das Verfahren über den Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung, wenn es vor dem Landgericht anhängig ist, gem. § 78 Abs. 1 ZPO grundsätzlich ein Anwaltsprozess sei (OLG Frankfurt, Beschluss vom 7. Januar 2021 – 6 W 120/20 –, Rn. 2 ff., juris; Beschluss vom 28. Juni 2010 – 6 W 91/10 –, Rn. 2 ff., juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. März 2020 – 9 W 13/19 –, Rn. 16 ff., juris; OLG Hamm, Beschluss vom 29. November 2007 – 8 W 40/07 –, Rn. 7 ff., juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 17. März 1998 – 4 W 79/98 - 10 –, Rn. 7, juris; OLG Düsseldorf OLGZ 1983, 358; Heßler in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 569 Rn. 14).

c) Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung.

Aus dem Umstand, dass das erstinstanzliche Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne Anwalt eingeleitet, betrieben und beendet werden kann, folgt noch nicht, es handele sich um ein Verfahren, das „nicht als Anwaltsprozess zu führen ist”. Abgesehen davon, dass die Partei nach der etwa persönlich vorgenommenen erstinstanzlichen Antragstellung vor dem Landgericht nicht mehr beeinflussen kann, ob das Verfahren einen vom Anwaltszwang (weiterhin) freien Verlauf nimmt oder nicht, ist der Begriff „Anwaltsprozess” in § 78 Abs. 1 ZPO durch die amtliche Überschrift vom Gesetzgeber festgelegt. Er umfasst danach alle Verfahren vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten.

Dieser Charakter des Verfahrens vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten als Anwaltsprozess ändert sich nicht durch die Regelung der §§ 920 Abs. 3, 936, 78 Abs. 3 ZPO. Diese nimmt lediglich eine bestimmte Prozesshandlung vom Anwaltszwang aus und führt nicht dazu, dass das erstinstanzliche Eilverfahren insgesamt „nicht als Anwaltsprozess zu führen“ sei. Sie beruht auf der Erwägung, dass im Einzelfall wegen der besonderen Eilbedürftigkeit nicht genügend Zeit zur Verfügung stehen kann, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Januar 2004 – 2 W 1/04 –, Rn. 1, juris). Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass diese Eilbedürftigkeit während des gesamten weiteren Verfahrens (und sogar noch im Beschwerdeverfahren) gegeben ist.

Die auf einzelne Prozesshandlungen beschränkte Befreiung vom Anwaltszwang verwandelt den Rechtsstreit damit nicht in einen Parteiprozess. Das muss auch dann gelten, wenn das Gericht von einer mündlichen Verhandlung absieht und das Verfahren im schriftlichen Verfahren beendet wird, ohne dass auf Seiten der antragstellenden Partei ein Anwalt beteiligt werden müsste. Ob das Gericht eine mündliche Verhandlung anberaumt oder nicht, ist nämlich von Umständen abhängig, die nicht notwendig im inneren Zusammenhang mit der Frage des Anwaltszwanges stehen (OLG Hamm, Beschl. v. 29.11.2007 – 8 W 40/07, Rn. 8, juris). Denn das Landgericht ist nach Eingang eines Eilantrages prozessual nicht gehindert (sondern nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG sogar eher gehalten), den Antrag dem Antragsgegner zur schriftlichen Stellungnahme zuzuleiten (vgl. Köhler/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Auflage, § 12 Rn 2.23). Diese Stellungnahme des Antragsgegners unterliegt ebenso dem Anwaltszwang nach § 78 Abs. 1 ZPO wie eine etwa erforderlich werdende Gegenäußerung des Antragstellers. Jedenfalls kann die Ausnahmevorschrift des § 920 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 78 Abs. 3 ZPO nach ihrem klaren Wortlaut auf diese weiteren Prozesshandlungen nicht erstreckt werden. Auch diese Erwägungen sprechen dafür, dass das erstinstanzliche Eilverfahren (auch ohne mündliche Verhandlung) „Anwaltsprozess“ ist.

Auch der Sinn und Zweck der Regelung in §§ 569 Abs. 3 Nr. 1; 78 ZPO betreffend das Beschwerdeverfahren spricht für das dargelegte Verständnis dieser Vorschriften. Der Anwaltszwang dient einer geordneten Rechtspflege und der Sorge für eine interessengerechte Geltendmachung der Parteibelange. Beide Gesichtspunkte kommen auch in der vorliegenden Konstellation zum Tragen und sprechen für die Geltung des Anwaltszwanges im vorliegenden Fall. Dieses Verständnis der in § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO enthaltenen Regelung wird schließlich auch gestützt durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift (OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Juli 1997 – 16 W 33/97, Rn. 3, juris). Sie entspricht inhaltlich der vor der Reform der Zivilprozessordnung bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Vorschrift des § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO in der Fassung der Familienrechtsnovelle vom 14. Juni 1976. Vor dieser Novelle ordnete § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO eine Ausnahme vom Anwaltszwang für die Einlegung der Beschwerde nur an, "wenn der Rechtsstreit bei einem Amtsgericht anhängig ist oder anhängig war". Der Anwaltszwang für Beschwerden gegen die im Beschlusswege ergangenen, ablehnenden Entscheidungen der Landgerichte in Arrest- oder Verfügungsverfahren war demzufolge außer Streit. Mit der Familienrechtsnovelle ist § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO aF. in die inhaltlich bis heute geltende (und nunmehr in § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO niedergelegte) Fassung geändert worden, weil die Zuweisung der Familiensachen zum Amtsgericht statt zum Landgericht dies wegen der unverändert beabsichtigten Ausklammerung dieser Sachen aus den in § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO geregelten Ausnahmen vom Anwaltszwang erforderlich machte. Die Gesetzesänderung bezweckte also die unveränderte Aufrechterhaltung des Anwaltszwangs in Beschwerdesachen auch in den Familiensachen. Dazu musste der Anwaltszwang auch auf Beschwerden in diesen nunmehr vor dem Amtsgericht durchzuführenden Verfahren ausgedehnt werden. Eine Einengung des Anwaltszwanges in Beschwerdesachen war mit der Gesetzesänderung demgegenüber gerade nicht beabsichtigt. Eine Auslegung der Vorschrift, die in Teilbereichen eine Einengung des Anwaltszwanges zur Folge hätte, ist daher mit dem Gesetzeszweck nicht zu vereinbaren (OLG Hamm, Beschluss vom 29. November 2007 – 8 W 40/07 –, Rn. 9 f., juris).

Soweit sich die Vertreter der Gegenmeinung insoweit durch die Regelung des § 571 Abs. 4 ZPO gestützt sehen, wonach im Beschwerdeverfahren, wenn das Gericht eine schriftliche Erklärung anordnet, diese zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden kann, wenn die Beschwerde als solche von der Partei zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden darf, ist das nicht überzeugend. Die Argumentation beruht auf einem Zirkelschluss, weil es ja gerade um die Frage geht, ob für die Einlegung der Beschwerde die Einschaltung eines Rechtsanwalts erforderlich ist. Im Übrigen handelt es sich auch bei der Abgabe einer womöglich angeordneten schriftlichen Erklärung lediglich um eine einzelne Prozesshandlung und nicht um das Beschwerdeverfahren als Ganzes. Zudem haben die Parteien auch keinen Einfluss darauf, ob das Beschwerdegericht einzelne schriftliche Erklärungen überhaupt anfordert. Schließlich ist es Sache der Legislative, den Aspekt der Eilbedürftigkeit, den der Gesetzgeber bisher nur zum Anlass genommen hat, das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch ohne Rechtsanwalt in Gang bringen zu lassen (vgl. § 920 Abs. 3 ZPO), für eine Befreiung auch des weitergehenden Verfahrens als solches vom Anwaltszwang heranzuziehen. Zudem hätte eine andere Auslegung von § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO als hier vertreten zur Konsequenz, dass nach § 571 Abs. 4 ZPO das gesamte schriftliche Beschwerdeverfahren vom Anwaltszwang freigestellt wäre. Dies erscheint systemwidrig, wenn - wie ausgeführt - im erstinstanzlichen Verfahren die Ausnahme vom Anwaltszwang nur für die Stellung des Eilantrages, nicht aber für die Einreichung weiterer Schriftsätze gilt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Nürnberg: Sofortige Beschwerde des Antragstellers ohne Begründung lässt Dringlichkeit für einstweilige Verfügung entfallen

OLG Nürnberg
Beschluss vom 28.02.2023
3 W 290/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein sofortige Beschwerde des Antragstellers ohne Begründung die Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung entfallen lässt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 ZPO). Eine Begründung der Beschwerde ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Antragstellerin fehlt für die begehrte einstweilige Verfügung der Verfügungsgrund, weshalb es dahinstehen kann, ob ihr der geltend gemachte Anspruch zusteht.

Eine Dringlichkeitsvermutung besteht für die geltend gemachten Ansprüche nicht, weshalb der Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung aufgrund eines bloß summarischen Verfahrens einer besonderen Rechtfertigung bedarf (OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.10.2018 – 3 W 1932/18, juris-Rn. 15 – CurryWoschdHaus). Ein dabei maßgebliches Kriterium ist das Zeitmoment: Der Antragsteller bzw. sein Prozessbevollmächtigter hat alles in seiner Macht stehende zu tun, um einen möglichst baldigen Erlass der einstweiligen Verfügung zu erreichen. Daher besteht der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund nicht, wenn der Antragsteller mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet oder das Verfahren nicht zügig, sondern schleppend betreibt und damit selbst zu erkennen gibt, dass es ihm mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.10.2022 – 3 U 2178/22, juris-Rn. 10 – Kontolöschung).

Im vorliegenden Fall ergibt eine Gesamtschau der maßgeblichen Umstände, dass der Verfügungsgrund aufgrund des Prozessverhaltens der Antragstellerin zu verneinen ist.

1. Zum einen ist das erstinstanzliche Verhalten der Antragstellerin zu berücksichtigen.

Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Antragsteller durch sein prozessuales Verhalten zu erkennen geben, dass sein Begehren weiterhin dringlich ist. Dies ist mittels Gesamtbetrachtung seines Verhaltens zu eruieren. Auf einen Hinweis des Gerichts muss der Antragsteller, auch ohne Fristsetzung, so schnell wie möglich und geboten reagieren. Gesetzte Fristen sind einzuhalten (Voß, in Cepl/Voß, Prozesskommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Aufl. 2022, § 940 ZPO Rn. 91 m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund ist es im vorliegenden Fall als dringlichkeitsschädlich anzusehen, dass die Antragstellerin – obwohl ihr mit Verfügung des Landgerichts vom 02.01.2023 aufgegeben wurde, bis zum 09.01.2023 glaubhaft zu machen, Inhaberin der gegenständlichen Domains bzw. E-Mail-Postfächer zu sein – binnen dieser gesetzten Frist kein Mittel der Glaubhaftmachung einreichte. Mit Schriftsatz vom 09.01.2023 kündigte sie lediglich an, eine eidesstattliche Versicherung des Herrn A. nachzureichen. Diese ging jedoch erst nach Fristablauf, mithin am 10.01.2023, beim Erstgericht ein. Eine Berücksichtigung durch das Landgericht konnte nicht mehr erfolgen, da ausweislich der Verfügung der Vorsitzenden Richterin vom 11.01.2023 der Beschluss vom 10.01.2023 bereits vor Kenntnisnahme erlassen worden war.

2. Zum anderen ist in die Gesamtwürdigung das Verhalten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren einzustellen.

a) Die Pflicht zur zügigen Rechtsverfolgung setzt sich für den in erster Instanz unterlegenen Antragsteller in der Beschwerde- oder Berufungsinstanz fort.

So muss der noch ungesicherte Verfügungskläger im Berufungsverfahren den geltend gemachten Anspruch zügig weiterverfolgen. Ihm ist es daher jedenfalls zuzumuten, eine eingelegte Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zu begründen (OLG München, Urteil vom 30.06.2016 – 6 U 531/16, juris-Rn. 95) und nicht durch eigene Fristverlängerungsanträge das Verfahren zu verzögern (OLG Dresden, Beschluss v. 25.07.2019, 4 U 1087/19, juris-Rn. 2). Gleiches gilt für einen Terminsverlegungsantrag (OLG München, Beschluss vom 16.09.2021 – 29 U 3437/21 Kart, juris-Rn. 8).

Gleiches kann bei der Nichtbegründung einer Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist gelten. Zwar ist die Beschwerde – wenn sie nicht begründet wird – gleichwohl zulässig. Sie soll jedoch nach § 571 Abs. 1 ZPO begründet werden. Es entspricht daher einer sachgerechten Prozessführung, dem Rechtsmittelgericht gegenüber zeitnah zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013 – 11 W 13/13, juris-Rn. 20). Auch das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet und ob es ihr dementsprechend abhilft. Dies setzt in aller Regel – angesichts der vorangegangenen ablehnenden Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts – eine Beschwerdebegründung voraus (KG Berlin, Beschluss vom 20.09.2016 – 5 W 147/16, juris-Rn. 9). Insbesondere bei einem Rechtsmittelführer, der den Weg des einstweiligen Verfügungsverfahrens eingeschlagen hat, legt eine sachgerechte Prozessführung es nahe, die Beschwerdebegründung innerhalb der Beschwerdefrist oder jedenfalls im engen zeitlichen Zusammenhang mit ihr einzureichen (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013 – 11 W 13/13, juris-Rn. 20).

b) Im vorliegenden Fall ergibt eine Gesamtschau der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls, dass die Nichtbegründung der Beschwerde als dringlichkeitsschädlich anzusehen ist.

Das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet (was in aller Regel eine Beschwerdebegründung voraussetzt) und ihr dementsprechend abhilft. Auf diese Weise kann im Eilverfahren der Beschwerdeführer auf raschem Wege zu seinem Ziel – Erlass der zunächst abgelehnten einstweiligen Verfügung – gelangen, ist doch das Erstgericht bereits in den Fall eingearbeitet, kennt die Akten und vermag schnell zu beurteilen, ob und ggf. dass die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe durchgreifen und die Verfügung nunmehr zu erlassen ist. Dieser Möglichkeit des schnellstmöglichen Erreichens des Rechtsschutzziels hat sich die Antragstellerin begeben, indem sie dem Landgericht die Gründe ihrer Beschwerde vorenthalten hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 04.04.2008 – 5 W 51/08, juris-Rn. 7).

Auch gegenüber dem Senat entspricht es den Interessen des Rechtsmittelführers, der die Überprüfung im Rechtsmittelweg beantragt, dass er dem überprüfenden Gericht gegenüber zum Ausdruck bringt, was er an der angefochtenen Entscheidung beanstandet (vgl. Heßler, in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 571 Rn. 1). Dass die Antragstellerin – entgegen dieses Eigeninteresses – keine Beschwerdebegründung einreichte, zeigt, dass es der Antragstellerin mit der Erreichung ihres Rechtsschutzziels nicht (mehr) eilig ist.

Erschwerend kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass die Antragstellerin im Beschwerdeschriftsatz angab, dass sie zur Begründung ihrer Anträge mit gesondertem Schriftsatz ausführen werde. Die Antragstellerin sah daher im vorliegenden Fall selbst die Notwendigkeit, zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird.

Schließlich kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Senat mit Verfügung vom 09.02.2023 beiden Parteien Gelegenheit gab, bis 24.02.2023 zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Die Antragsgegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Eine Begründung der Beschwerde durch die Antragstellerin ging dagegen nicht ein.

Ein Anlass für die Nichteinreichung der Begründung und die damit entstandene Verzögerung ist von der Antragstellerin nicht dargetan.


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VG Mainz: Datenschutzrechtliche Beschwerde muss alle Informationen enthalten so dass datenschutzrechtliche Aufsichtsbehörde die Sache prüfen kann

VG Mainz
Urteil vom 22.07.2020
1 K 473/19.MZ


Das VG Mainz hat entschieden, dass eine datenschutzrechtliche Beschwerde alle Informationen enthalten muss, so dass die datenschutzrechtliche Aufsichtsbehörde die Sache prüfen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:

II. Die Klage hat ungeachtet dessen auch in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 26. April 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beendigung des vom Kläger erhobenen Beschwerdeverfahrens durch den Beklagten ist nicht zu beanstanden, weil der Kläger keine prüffähige Beschwerde beim LFDI erhoben hat. Dabei hat der Beklagte das Beschwerdeverfahren nicht etwa deshalb eingestellt – wie der Kläger wohl meint –, weil der Kläger nur die aus seiner Sicht bestehenden Missstände und seine Rechtsauffassung mitteilt, sondern weil die Beschwerde des Klägers mangels konkreter Informationen zu einem Datenschutzrechtsverstoß vom LFDI nicht geprüft werden konnte.

1. Eine Beschwerde kann gemäß Art. 77 Abs. 1 DSGVO bei der Aufsichtsbehörde – hier: LFDI – eingelegt werden, wenn die betroffene Person der Ansicht ist, dass die Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten gegen diese Verordnung verstößt. Der Beschwerdeführer hat nicht nur – wie es bei einer Petition der Fall wäre – ein Recht auf Beantwortung und Bescheidung seiner Beschwerde, sondern einen darüberhinausgehenden Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null einen Anspruch auf ein konkretes Einschreiten der Aufsichtsbehörde (vgl. VG Mainz, Urteil vom 16. Januar 2020 – 1 K 129/19.MZ –, juris, Rn. 35; VG Ansbach, Urteil vom 8. August 2019 – AN 14 K 19.272 –, BeckRS 2019, 30069, Rn. 25; Albrecht/Jotzo, Das neue Datenschutzrecht der EU, 1. Aufl. 2017, Teil 8, Rn. 6 f., beck-online; Mundil, in Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 30. Ed. Stand: 1. Februar 2017, Art. 78 DSGVO, Rn. 7). Eine Beschwerde kann formlos eingereicht werden, da Art. 77 Abs. 1 DSGVO keine ausdrücklichen Formerfordernisse regelt. Inhaltlich dürfen an die Beschwerde zwar keine zu strengen Anforderungen gestellt werden, damit das Beschwerderecht grundsätzlich einfach und unbürokratisch ausgeübt werden kann (vgl. Bergt, in: Kühling/Buchner, DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 77, Rn. 10; Körffer, in: Paal/Pauly, DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 77, Rn. 3). Gleichwohl muss die Beschwerde zumindest alle Informationen enthalten, die erforderlich sind, dass die Aufsichtsbehörde den Sachverhalt erfassen und gegebenenfalls weiter aufklären und etwaige Datenschutzrechtsverstöße prüfen kann. Die Beschwerde muss daher Angaben über die betroffene Person und den Verantwortlichen aufweisen und zumindest ansatzweise zum Ausdruck bringen, welcher Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften gerügt wird (vgl. Mundil, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 31. Edition, Stand: 1. Februar 2020, Art. 77, Rn. 7). Schließlich kann der Beschwerdeführer keine Ermittlungen ins Blaue hinein durch den LFDI beantragen. Dabei kann von der betroffenen Person zwar keine rechtliche Analyse erwartet werden, allerdings muss die Behauptung eines Rechtsverstoßes substantiiert durch Tatsachen dargelegt werden. Sofern die Beschwerde noch nicht hinreichend substantiiert ist, ist es Aufgabe der Aufsichtsbehörde den Beschwerdeführer hierauf hinzuweisen und auf eine Konkretisierung der Beschwerde hinzuwirken (vgl. Nemitz, in: Ehmann/Selmayr, DSGVO, 2. Aufl. 2018, Art. 77, Rn. 8).

2. Unter Anwendung des dargestellten Rechtsmaßstabs fehlt es hier an einer hinreichend substantiierten, überprüfbaren Beschwerde des Klägers. Der Kläger hat mit seiner Beschwerde vom 5. Februar 2019 zwar mitgeteilt, dass er Unterstützung bei seinem Auskunftsbegehren nach Art. 15 DSGVO benötige. Er habe verschiedene Behörden um Auskunft gebeten und verweise insofern auf seine beigefügten Anfrageschreiben an die jeweiligen Behörden sowie die Rückantworten des Sozialgerichts Mainz, des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz, der Staatskanzlei und der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz. Aus seinem Beschwerdeschreiben und auch der weiteren Korrespondenz mit dem LFDI sowie aus seinem Vortrag im Klageverfahren ergibt sich jedoch nicht, ob und warum er überhaupt von einer Datenverarbeitung durch die angefragten Stellen ausgeht (a)), ob ihm alle angefragten Behörden geantwortet haben bzw. welche Behörden sich nicht zurückgemeldet haben (b)) und warum die Rückantworten, die er erhalten und seiner Beschwerde beigefügt hat, nicht ausreichen (c)).

a) Sofern der Kläger nicht erklärt, dass (und warum) er von einer Datenverarbeitung durch die verantwortliche Behörde ausgeht und sich dies auch nicht aus den Umständen ergibt, kann der LFDI teilweise bereits seine Zuständigkeit nicht prüfen.

Art. 55 Abs. 3 DSGVO regelt, dass die Aufsichtsbehörden – hier: der LFDI – nicht zuständig sind für die Aufsicht über die von den Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen von personenbezogenen Daten (vgl. insofern auch Erwägungsgrund 20 der DSGVO). Das bedeutet, dass der LFDI keine Aufsichtsbefugnisse über Gerichte hat, sofern diese Tätigkeiten ausüben, die mit der gerichtlichen Entscheidungsfindung in Zusammenhang stehen (vgl. Selmayr, in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DS-GVO Art. 55 Rn. 12). Damit soll der verfassungsrechtlich gebotenen Unabhängigkeit der Justiz Rechnung getragen werden (vgl. Schaar, „Datenschutz und Rechtspflege“, DRiZ 2018, 166, beck-online). Die Gerichtsverwaltung ist von der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden hingegen nicht ausgenommen. Damit unterliegen die Verarbeitung personenbezogener Daten der Mitarbeiter der Justizverwaltung, die Datenverarbeitung bei der Mittelbeschaffung für die Gerichte sowie bei Justizverwaltungsakten und Rechtspflegetätigkeiten der Kontrolle des LFDI (vgl. Selmayr, in: Ehmann/Selmayr, DS-GVO, 2. Aufl. 2018, Art. 55, Rn. 14). In Bezug auf die Gerichte (Sozialgericht Mainz, Landessozialgericht Rheinland-Pfalz), an die der Kläger ein Auskunftsersuchen adressiert hat, konnte der LFDI mangels substantiierten Vortrags durch den Kläger nicht prüfen, ob sich die betroffene Datenverarbeitung – über die der Kläger eine Auskunft begehrt – auf die justizielle Tätigkeit der Gerichte oder die Gerichtsverwaltung bezieht. In seinem Schreiben vom 7. März 2019 führt der Kläger zwar aus, dass die jeweiligen Gerichtsverwaltungen Stellung zu seinen Anfragen genommen hätten. Es kommt für eine Überprüfung durch den LFDI jedoch nicht darauf an, wer das Auskunftsersuchen beantwortet, sondern wer die personenbezogenen Daten verarbeitet hat.

Ebenso war es dem LFDI nicht möglich, seine Zuständigkeit hinsichtlich der Beschwerde des Klägers in Bezug auf sein Auskunftsbegehren gegenüber dem Petitionsausschuss des Rheinland-Pfälzischen Landtags zu prüfen und positiv festzustellen. Gemäß § 2 Abs. 3 LDSG unterliegen der Landtag, seine Gremien, seine Mitglieder, die Fraktionen sowie deren Verwaltungen und deren Beschäftigte nicht den Bestimmungen dieses Gesetzes, soweit sie in Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben personenbezogene Daten verarbeiten. Der Landtag erlässt insoweit unter Berücksichtigung seiner verfassungsrechtlichen Stellung, der DSGVO und der Grundsätze des Landesdatenschutzgesetzes eine Datenschutzordnung. Soweit das Auskunftsersuchen des Klägers also eine Verarbeitung personenbezogener Daten betrifft, die im Rahmen parlamentarischer Aufgaben erfolgt ist, ist der LFDI als Aufsichtsbehörde nicht zuständig. Ob und inwieweit vorliegend eine Datenverarbeitung des Klägers im Bereich parlamentarischer Aufgaben von seinem Auskunftsersuchen betroffen ist, konnte der LFDI jedoch gar nicht erst prüfen, weil ihm insofern nicht hinreichende Informationen übermittelt wurden.

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der LFDI in seinen Schreiben vom 15. Februar 2019 und vom 1. April 2019 auf seine eingeschränkte Zuständigkeit hingewiesen und mitgeteilt hat, dass aus den Schreiben des Klägers ein Datenschutzverstoß nicht substantiiert erkennbar sei und deshalb um Konkretisierung der Beschwerde gebeten werde. Der Kläger wurde auf seine nicht prüffähige Beschwerde hingewiesen und hat zwei Mal die Möglichkeit erhalten, seine Beschwerde zu konkretisieren.

b) Aus der Beschwerde wird weiterhin nicht erkennbar, ob der Kläger von allen Behörden, an die er ein Auskunftsersuchen adressiert hat, eine Rückantwort erhalten hat. Er hat jedenfalls nur von manchen der angeschriebenen Behörden eine Antwort seiner Beschwerde beigelegt (Sozialgericht Mainz, Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Generalstaatsanwaltschaft Koblenz). In dem Schreiben des Sozialgerichts Mainz wird der Kläger nur darüber informiert, dass die Beschwerde zur Bearbeitung an die Gerichtsverwaltung weitergeleitet wurde, sodass nicht erkennbar ist, ob und in welcher Weise eine inhaltliche Beantwortung des Auskunftsersuchens später noch erfolgt ist und den rechtlichen Anforderung entspricht. In dem Schreiben des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Januar 2019 wird nur Bezug genommen auf eine mit Schreiben vom 8. Januar 2019 wohl vom Landessozialgericht erteilte Antwort. Dieses Antwortschreiben hat der Kläger nicht seiner Beschwerde beigelegt, sodass ein etwaiger Verstoß gegen das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO nicht überprüfbar ist. Ob es Rückantworten des Petitionsausschusses des Landtags, des Justizministeriums und der Staatsanwaltschaft Mainz gab, wird aus der Beschwerde nicht erkennbar. Etwaige fehlende Antworten werden vom Kläger auch nicht ausdrücklich gerügt.

c) Zur Begründung seiner Beschwerde führt der Kläger zwar an, dass aus den ihm zugegangenen Antworten (mit Ausnahme der Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz) nicht erkennbar sei, welche Dokumente er löschen lassen könne. Allerdings ist vom Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 lit. e) DSGVO allein umfasst, dass die betroffene Person über das Bestehen ihres Rechts auf Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten gemäß Art. 17 DSGVO informiert werden muss – wie es die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz in ihrem Auskunftsschreiben (dem einzigen Schreiben, das der Kläger neben der Antwort der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vorgelegt hat) im Übrigen auch in rechtlich hinreichender Weise getan hat. Ein Anspruch auf Mitteilung, welche konkreten Dokumente mit personenbezogenen Daten vorhanden sind und gegebenenfalls gemäß Art. 17 DSGVO gelöscht werden müssen, lässt sich aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO nicht ableiten. Aus seinem Auskunftsbegehren („ich nehme hiermit mein Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO wahr und bitte um Rückantwort innerhalb der im Gesetz vorgesehenen Fristsetzung.“) ergibt sich auch weder, dass der Kläger etwa gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO Kopien der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung bei dem jeweiligen Verantwortlichen sind, bekommen wollte, noch, dass er die Löschung seiner personenbezogenen Daten verlangt. Jedenfalls wäre es dem Kläger im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten zuzumuten gewesen, im Falle einer aus seiner Sicht unzureichenden Beantwortung gegenüber der Behörde sein Auskunftsersuchen zu präzisieren und beispielsweise ausdrücklich eine Kopie zu verlangen. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass eine betroffene Person für die Ausübung ihres Löschungsrechts nach Art. 17 DSGVO die Kenntnis bestimmter Dokumente benötigt; vielmehr dürfte es ausreichen die Löschung bestimmter personenbezogener Daten, die bei dem Verantwortlichen vorhanden sind, zu verlangen.

Darüber hinaus verlangt der Kläger aufgrund seiner Beschwerde offenbar, dass der LFDI Schulungen bei den verschiedenen Behörden durchführt. Hierauf hat der Kläger jedoch keinen durchsetzbaren Anspruch. Ebenso wenig kann er im Beschwerde- oder Klageverfahren eine einheitliche Rechtsanwendung durchsetzen, wobei insofern auch unklar ist, worin er anhand der verschiedenen, ihm zugegangenen Rückantworten der Behörden eine uneinheitliche Rechtsanwendung sieht.

Hinsichtlich der vom Kläger gerügten vermeintlich unvollständig und fehlerhaft geführte Verwaltungsakte ist nicht ersichtlich, in welcher Weise die Akte manipuliert sein soll und sich dieser Vorwurf auf das streitgegenständliche Verfahren auswirken könnte. In der Anpassung des Datums auf dem Bescheid vom 26. April 2019 (S. 77 der Verwaltungsakte) ist keine rechtswidrige Manipulation zu erkennen. Es ist offensichtlich, dass es sich bei dem Schreiben auf S. 77 der Verwaltungsakte um den finalen Entwurf des Bescheids handelte. Dies wird dadurch deutlich, dass der Landesdatenschutzbeauftragte Herr L. nur mit seinem Kürzel unterzeichnet hat und auf der Rückseite (S. 76 der Verwaltungsakte) eine interne Verfügung vermerkt ist. Dabei wurde in dem Schreiben das Datum der finalen Erstellung des Schreibens (Freitag, der 26. April 2019) über dem ursprünglich vermerkten Datum (24. April 2019) handschriftlich korrigiert. Diese Vorgehensweise wurde von dem Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2020 auch bestätigt (vgl. Protokoll über die öffentliche Sitzung der 1. Kammer am 18. Juni 2020). Aus einer Datumskorrektur kann nicht ohne weitere Anhaltspunkte auf eine Aktenmanipulation geschlossen werden, zumal es auf das genaue Datum, an dem der Bescheid verfasst wurde, hier nicht ankommt. Die Verwaltungsakte ist allein dahingehend unvollständig, als sie eine Kopie des originalen, an den Kläger abgesendeten Bescheids über die finale Entwurfsfassung hinaus nicht zusätzlich in Kopie enthält. Wenngleich es wünschenswert wäre, dass der Beklagte auch den Originalbescheid in Kopie in die Verwaltungsakte aufnimmt, lässt sich aus der bisherigen Verwaltungspraxis des Beklagten für den Kläger keine Rechtsverletzung ableiten, zumal das Schreiben auf S. 77 – bis auf das handschriftlich korrigierte Datum – inhaltlich identisch ist mit dem Bescheid, den der Kläger nachweislich (Bl. 1 (Rückseite) der Gerichtsakte) erhalten hat. Entgegen der Auffassung des Klägers muss die Verwaltungsakte auch nicht die innere Entscheidungsbildung der Behördenmitarbeiter im Einzelnen abbilden.

Dem Kläger wurde auch Akteneinsicht im Sinne von § 100 VwGO gewährt. Er ist zwei Mal im Verwaltungsgericht erschienen, um Einsicht in die Akte zu nehmen; ihm wurden weitere Möglichkeiten zur Akteneinsicht angeboten, die er nicht wahrgenommen hat. Darüber hinaus wurde dem Kläger zwar verwehrt Fotografien oder Kopien von der Verwaltungsakte selbst zu erstellen, ihm wurde aber angeboten, dass auf seine Kosten Kopien durch die Geschäftsstelle angefertigt werden. Von dieser Möglichkeit hat er keinen Gebrauch gemacht.

Im Übrigen geht der Verweis des Klägers auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Mainz vom 5. April 2017 (– 3 K 569/16.MZ –) fehl, da es darin nicht um eine Akteneinsicht in Gerichts- und Verwaltungsakten nach § 100 VwGO ging, sondern um die Gebührenfreiheit bei der Einsichtnahme in amtliche Informationen vor Ort nach § 13 Abs. 1 Satz 2 Landesinformationsfreiheitsgesetz – LIFG –.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Ab 01.05.2019 Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum - EUIPO nur noch eingeschränkt möglich

Ab 01.05.2019 sind Rechtsmittel gegen Entscheidungen des EUIPO, des CPVO, der ECHA und der EASA nur noch eingeschränkt möglich.

Es muss nunmehr ein Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels gestellt werden. Dieser muss das Bestehen eines Zulassungsgrundes schlüssig darlegen. Ein Zulassungsgrund liegt vor, wenn mit der Beschwerde für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Fragen zu klären sind.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Der Gerichtshof erlässt neue Vorschriften bezüglich der Zulassung von Rechtsmitteln in Rechtssachen, die bereits Gegenstand einer zweifachen Prüfung waren

Ein solches Rechtsmittel wird nur dann ganz oder teilweise zugelassen, wenn damit eine für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage aufgeworfen wird

Der Gerichtshof und das Gericht haben im Kontext der Reform des Gerichtssystems der Europäischen Union umfassende Überlegungen zu den von ihnen wahrgenommenen Zuständigkeiten angestellt und geprüft, ob es erforderlich ist, bestimmte Änderungen u. a. bei der Behandlung der Rechtsmittel durch den Gerichtshof vorzunehmen. Diese Prüfung hat ergeben, dass zahlreiche Rechtsmittel in Rechtssachen eingelegt werden, die bereits zweifach geprüft worden sind, nämlich in einem ersten Schritt durch eine unabhängige Beschwerdekammer und sodann durch das Gericht, und dass viele dieser Rechtsmittel vom Gerichtshof zurückgewiesen werden, da sie offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind.

Um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, sich auf die Rechtssachen zu konzentrieren, die seine ganze Aufmerksamkeit erfordern, wurde daher im Interesse einer geordneten Rechtspflege vorgeschlagen, für Rechtsmittel bezüglich Rechtssachen der genannten Art einen Mechanismus vorzusehen, der es dem Gerichtshof ermöglicht, ein Rechtsmittel nur dann ganz oder teilweise zuzulassen, wenn damit eine für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage
ufgeworfen wird.

Das Protokoll über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung des Gerichtshofs wurden daher entsprechend geändert. Diese Änderungen treten am 1. Mai 2019 in Kraft.

Gemäß den neuen Vorschriften steht die Prüfung von Rechtsmitteln EASAgegen Entscheidungen des Gerichts, die eine Entscheidung einer unabhängigen Beschwerdekammer einer der folgenden Einrichtungen betreffen, unter der Bedingung der vorherigen Zulassung des jeweiligen Rechtsmittels durch den Gerichtshof:

- Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) (Alicante, Spanien);
- Gemeinschaftliches Sortenamt (CPVO) (Angers, Frankreich);
- Europäische Chemikalienagentur (ECHA) (Helsinki, Finnland);
- Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit (EASA) (Köln, Deutschland).

In diesen Rechtssachen ist der Rechtsmittelschrift ein Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels mit einer maximalen Länge von sieben Seiten beizufügen, in dem der Rechtsmittelführer die für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage klar darlegt. Fehlt es an einem solchen Antrag, so wird das Rechtsmittel für unzulässig erklärt.

Erfüllt der Antrag die vorgeschriebenen formalen Voraussetzungen, so entscheidet der Gerichtshof
so rasch wie möglich durch mit Gründen versehenen Beschluss, der auf der Website des
Gerichtshofs veröffentlicht wird, über die Zulassung oder die Nichtzulassung des Rechtsmittels.
Diese Entscheidung wird auf Vorschlag des Berichterstatters nach Anhörung des Generalanwalts
von einer speziell zu diesem Zweck eingerichteten Kammer getroffen, deren Präsident der
Vizepräsident des Gerichtshofs ist und der darüber hinaus der Berichterstatter und der Präsident
der Kammer mit drei Richtern angehören, der der Berichterstatter zum Zeitpunkt der
Antragstellung zugeteilt ist.

Der Beschluss über die Zulassung des Rechtsmittels wird den Parteien der betreffenden Rechtssache vor dem Gericht mit der Rechtsmittelschrift zugestellt; wird das Rechtsmittel teilweise zugelassen, so sind in diesem Beschluss die Gründe oder Teile des Rechtsmittels anzuführen, auf die sich die Rechtsmittelbeantwortung beziehen muss.

Der Kanzler des Gerichtshofs benachrichtigt außerdem das Gericht und, sofern sie nicht Partei der betreffenden Rechtssache vor dem Gericht waren, die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament, den Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission von der Entscheidung, das Rechtsmittel zuzulassen.


BGH: Entscheidung die feststellt dass Beschwerde mangels Zahlung der Beschwerdegebühr nach § 6 Abs. 2 PatKostG als nicht eingelegt gilt ist statthafter Gegenstand einer Rechtsbeschwerde

BGH
Beschluss vom 31.01.2019
I ZB 58/18
Future-Institute
MarkenG §§ 66, 83 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 85 Abs. 5 Satz 1; PatKostG § 6 Abs. 2; RPflG § 23 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2

Der BGH hat entschieden, dass eine Entscheidung, die feststellt, dass die Beschwerde mangels Zahlung der Beschwerdegebühr nach § 6 Abs. 2 PatKostG als nicht eingelegt gilt, statthafter Gegenstand einer Rechtsbeschwerde ist.

Leitsatz des BGH:

Die Entscheidung, die feststellt, dass die Beschwerde mangels Zahlung der Beschwerdegebühr als nicht eingelegt gilt (§ 6 Abs. 2 PatKostG), kann als instanzbeendende Entscheidung im Beschwerdeverfahren statthafter Gegenstand der Rechtsbeschwerde sein. Die rechtliche Tragweite einer solchen Entscheidung kommt einer Verwerfung der Beschwerde als unzulässig gleich und muss deshalb in gleicher Weise anfechtbar sein. Das gilt unabhängig davon, ob das Bundespatentgericht die Entscheidung nach § 6 Abs. 2 PatKostG selbst trifft oder über eine Erinnerung gegen die Entscheidung des Rechtspflegers gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 4 RPflG entscheidet. Ausschlaggebend ist allein, dass die Entscheidung eine die Beschwerde insgesamt erledigende instanzbeendende Wirkung hat (Fortführung von BGH, Beschluss vom 24. April 1997 - I ZB 1/96, GRUR 1997, 636 [juris Rn. 10] = WRP 1997, 761 - Makol).

BGH, Beschluss vom 31. Januar 2019 - I ZB 58/18 - Bundespatentgericht

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



KG Berlin: Fristverlängerung für Beschwerdebegründung kann Dringlichkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren widerlegen

KG Berlin
Beschluss vom 20.09.2016
5 W 147/16


Das KG Berlin hat entschieden, dass eine Antrag auf Fristverlängerung für die Beschwerdebegründung im einstweiligen Verfügungsverfahren die Dringlichkeitsvermutung wiederlegen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Wer in Kenntnis der maßgeblichen Umstände und der ihm fortlaufend drohenden Nachteile ohne überzeugenden Grund längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs verzögert, hat damit zu erkennen gegeben, dass die Sache für ihn nicht so eilig ist. Dann lässt sich die Dringlichkeit nicht mehr vermuten (Hess in: Ullmann, juris BK-UWG, 4. Auflage, § 12 Rn. 122 mwN). Die aus § 12 Abs. 2 UWG folgende Dringlichkeitsvermutung kann dabei nicht nur durch zögerliche Verfahrenseinleitung, sondern auch dann widerlegt sein, wenn der Antragsteller (nach zunächst hinreichend zeitnaher) Verfahrenseinleitung durch ein späteres Verhalten zu erkennen gibt, dass die Sache für ihn nicht (mehr) eilig ist (Senat, KGR Berlin 2008, 551 f; Hess, aaO, § 12 Rn. 121 ff mwN). Eines Verfügungsanspruchs kann sich etwa begeben, wer die beim Eingangsgericht eingelegte Beschwerde gegen die Ablehnung seines Eilantrags nicht begründet, sondern dort mitteilt, eine Beschwerdebegründung erst nach der erstinstanzlichen Nichtabhilfe beim Beschwerdegericht einreichen zu wollen (Senat, aaO; Hess, aaO, § 12 Rn. 134).

[...]

Vorliegend hat die Antragstellerin mit ihrer am letzten Tag der Beschwerdefrist versendeten sofortigen Beschwerde beantragt, die Frist zur Begründung der Beschwerde um 15 Tage zu verlängern. Die Beschwerdebegründung ist dann am letzten Tag dieser Frist bei Gericht eingegangen. Dieses Verhalten führt vorliegend zu einer Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung.

a)

Nach § 571 Abs. 1 ZPO "soll" die Beschwerde begründet werden. Das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet und ob es ihr dementsprechend abhilft. Dies setzt in aller Regel - angesichts der vorangegangenen ablehnende Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts - eine Beschwerdebegründung voraus. Auch wenn es eine gesetzliche Frist zur Begründung der Beschwerde nicht gibt, führt ein Gesuch um ein Nachreichen einer Beschwerdebegründung regelmäßig - nicht zuletzt zur Wahrung des rechtlichen Gehörs - zu einer Verzögerung der Abhilfeentscheidung des Landgerichts und damit der Befassung der nächsten Instanz mit der Sache. Angesichts einer Beschwerdefrist von 14 Tagen ist eine weitere Verzögerung - wie vorliegend - um 15 Tage erheblich (jedenfalls, wenn schon die Beschwerdefrist vollständig ausgenutzt worden ist).

b)


Ein hinreichender Anlass für die zeitliche Verzögerung hat nicht bestanden.

aa)


Auch die Antragstellerin macht nicht geltend, die krankheitsbedingten Einschränkungen in der Belastbarkeit ihres Verfahrensbevollmächtigten seien völlig überraschend eingetreten. Im Übrigen verblieb ihrem Verfahrensbevollmächtigten eine tägliche Arbeitszeit von bis zu 14 Stunden.

Die krankheitsbedingten Personalengpässe mögen zwar die Arbeitsbelastung ihres Verfahrensbevollmächtigten erhöht haben. Die Antragstellerin trägt aber nicht konkret vor, ihr Verfahrensbevollmächtigter sei durch zeitlich vorrangige oder jedenfalls zeitlich gleichrangige dringliche Angelegenheiten an der Bearbeitung des vorliegenden Beschwerdeverfahrens innerhalb der Beschwerdefrist gehindert gewesen.

bb)

13
Die nachgereichte Beschwerdebegründung umfasst nur sieben Seiten und sie wiederholt im Wesentlichen den erstinstanzlichen Vortrag zur fehlenden Widerlegung der Dringlichkeit (im Zusammenhang mit der Kenntnis vom Testlauf im November 2015) sowie zur wettbewerblichen Eigenart ihres Gesundheitstickets. Auch unter Berücksichtigung der größeren Arbeitsbelastung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ist nicht ersichtlich, dass dieser Vortrag nicht - unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der vorliegenden Eilsache und unter Zurückstellung weniger dringlicher (etwa einer Fristverlängerung ohne weiteres zugänglicher) Sachen - innerhalb der Beschwerdefrist gehalten werden konnte.

c)

In einer Gesamtbetrachtung können zwar verschiedene einzelne - für sich nicht erhebliche - Verzögerungen insgesamt zu einer Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung führen. Ein vorangegangenes, an sich selbstverständlich verzögerungsfreies Vorgehen eines Antragstellers kann aber eine spätere erhebliche Verzögerung nicht rechtfertigen, auch nicht in einer Gesamtbetrachtung. Denn eine solche spätere Verzögerung legt - wie erörtert - die Annahme nahe, dass jedenfalls ab diesem Zeitpunkt die Sache für den Antragsteller nicht mehr eilig ist.

hier:

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BGH: Gegen Entscheidungen des BPatG über Kostenansatz kann nach § 11 Abs. 3 PatKostG weder eine Beschwerde noch eine Rechtsbeschwerde eingelegt werden - Überraschungsei

BGH
Beschluss vom 25.08.2015
Überraschungsei
PatKostG § 11 Abs. 3, § 9


Der BGH hat entschieden, dass gegen Entscheidungen des BPatG über den Kostenansatz nach § 11 Abs. 3 PatKostG weder eine Beschwerde noch eine Rechtsbeschwerde eingelegt werden kann.

Leitsätze des BGH:

a) § 11 Abs. 3 PatKostG schließt nicht nur eine Beschwerde, sondern auch eine Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen des Bundespatentgerichts über den Kostenansatz aus.

b) Die Frage, ob Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung niederzuschlagen sind, betrifft den Kostenansatz.

BGH, Beschluss vom 25. August 2015 - X ZB 8/14 - Bundespatentgericht

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BGH: Bereits die Anmeldung einer Marke ist eine abmahnfähige Markenrechtsverletzung auch wenn die Markenanmeldung vom DPMA zurückgewiesen wurde

BGH
Urteil vom 22. Januar 2014
REAL-Chips
MarkenG § 14 Abs. 2 Nr. 2


Der BGH hat nochmals bekräftigt, dass bereits die Anmeldung einer Marke eine abmahnfähige Markenrechtsverletzung ist. Dies gilt auch dann, wenn die Markenanmeldung vom DPMA zurückgewiesen wurde und der Anmelder keine Beschwerde gegen die Zurückweisung eingelegt hat. Die Entscheidung zeigt abermals, dass eine Marke nicht Recherche und rechtliche Beratung angemeldet werden sollte.

Leitsatz des BGH:

Die durch eine Markenanmeldung begründete Erstbegehungsgefahr entfällt nicht schon dann, wenn gegen die Zurückweisung der Markenanmeldung durch das Deutsche Patent- und Markenamt keine Beschwerde eingelegt wird.

BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 - I ZR 71/12 - OLG Köln - LG Köln

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