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OLG Frankfurt: Bevollmächtigter nach ProdSG haftet ab Inkenntnissetzung als Störer und Gehilfe für Schutzrechtsverletzung durch Inverkehrbringen des Produkts

OLG Frankfurt
Urteil vom 16.03.2023
6 U 189/22


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass der Bevollmächtigter nach dem ProdSG ab Inkenntnissetzung als Störer und Gehilfe für Schutzrechtsverletzungen durch Inverkehrbringen des Produkts haftet.

Bevollmächtigten nach ProdSG für Schutzrechtsverletzungen

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung hat in der Sache im Ergebnis keinen Erfolg. Allerdings war der Antrag der Antragstellerin dahingehend umzuformulieren, dass er die Verletzungshandlung der Antragsgegnerin umschreibt. In der Sache ist damit keine Teilabweisung des Verfügungsantrages verbunden, da sich aus der Antragsschrift ergibt, dass das tenorierte Verbot dem Petitum der Antragstellerin entspricht.

A) Der Verfügungsanspruch folgt aus Art. 10, 19 Abs. 1, 89 Abs. 1 lit. a, 90 Abs. 1 GGV.

Die Antragsgegnerin ist passivlegitimiert.

1.) Die Antragsgegnerin verwirklicht dadurch, dass sie als Bevollmächtigte im Sinne des ProdSG für A fungiert, nicht selbst die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Geschmacksmusterverletzung. Eine täterschaftliche Haftung nimmt auch die Antragstellerin nicht an.

2.) Streitig ist, nach welchem Recht die Passivlegitimation von nicht täterschaftlich handelnden Personen zu beurteilen ist. Während Eichmann/Jestaedt (Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung Art. 89 Rn. 4) die Auffassung vertreten, mangels einer Regelung in der GGV sei gemäß Art. 88 Abs. 2 GGV auf nationales Recht zurückzugreifen, meinen Ruhl/Tolkmitt (Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung Art. 89 Rn. 21), die Frage der Haftung sei „durch eine geeignete Auslegung des Benutzungsbegriffs in Art. 19“ zu lösen. Dieser Begriff des Unionsrechts sei autonom und einheitlich auszulegen, er umfasse auch Gehilfenbeiträge und solche mittelbaren Handlungen, die nach deutschem Recht unter den Begriff der Störerhaftung fallen würden.

Im Streitfall erfolgt die Prüfung der Passivlegitimation anhand der Grundsätze der Teilnehmerhaftung. Es besteht kein Grund für die Annahme, dass die Beurteilung der Passivlegitimation zu einem Ergebnis führen könnte, das nicht auf Artikel 19 GGV zu übertragen ist.

3.) Die Antragsgegnerin ist als Teilnehmerin an den von A begangenen Geschmacksmusterrechtsverletzungen zu qualifizieren.

Als Teilnehmer haftet auf Unterlassung, wer zumindest bedingt vorsätzlich den Rechtsverstoß eines anderen fördert; dabei gehört zum Teilnehmervorsatz nicht nur die Kenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale, sondern auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der Haupttat (so für das Wettbewerbsrecht BGH, Urteil vom 03.07.2008, I ZR 145/05 - Kommunalversicherer - Rn. 15, juris).

Indem die Antragsgegnerin als Bevollmächtigte der Firma A im Sinne des ProdSG fungiert, fördert sie deren Rechtsverstoß, denn bei den streitgegenständlichen Lunchpots handelt es sich um Verbraucherprodukte, die gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 ProdSG in Europa nur auf den Markt gebracht werden dürfen, wenn der chinesische Hersteller auf dem Produkt den Namen und die Kontaktanschrift eines - in Europa ansässigen - Bevollmächtigten anbringt. Es ist unerheblich, dass die Antragsgegnerin die Lunchpots nicht selbst importiert und hier in den Verkehr bringt. Haftungsauslösend für ihre Gehilfenstellung ist, dass sie sich als EU-Bevollmächtigte zur Verfügung stellt und damit den Rechtsverstoß der Fa. A fördert.

Der Antragsgegnerin ist zumindest bedingter Vorsatz vorzuwerfen.

Die Bestimmungen des ProdSG dienen dem Schutz der Verbraucher, die davor bewahrt werden sollen, mit unsicheren Produkten in Berührung zu kommen (BGH, Versäumnisurteil vom 12. Januar 2017, I ZR 258/15 - Motivkontaktlinsen - Rn. 24, juris; Senat, WRP 2015, 996, 997). Dementsprechend hat der Bevollmächtigte gemäß § 6 Abs. 2 ProdSG die Aufgabe, Vorkehrungen für geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von Risiken zu treffen, die mit dem Verbraucherprodukt verbunden sein können. Das heißt, er ist verpflichtet, sich mit den einzelnen Produkten des Herstellers auseinanderzusetzen, dessen Bevollmächtigter er ist. Zu seinen Aufgaben zählt es allerdings nicht, die Produkte auf mögliche Schutzrechtsverletzungen zu untersuchen. Auch wenn nicht vorgetragen ist, wie viele Produkte A in Deutschland anbietet und für wie viele Unternehmen die Antragsgegnerin als Bevollmächtigte fungiert, kann bis zum Zeitpunkt der Abmahnung nicht von einem Gehilfenvorsatz ausgegangen werden.

Das für den Gehilfenvorsatz erforderlich Bewusstsein der Rechtswidrigkeit kann jedoch durch eine plausibel begründete Abmahnung herbeigeführt werden (BGH, Urteil vom 3 Juli 2008, I ZR 145/05 - Kommunalversicherer - Rn. 47, juris).

Mit Schreiben vom 13. Juli 2022 hat die Antragstellerin die Antragsgegnerin mit einer ausführlichen Begründung abgemahnt (Anlage KRT 12). Sie hat die Designverletzung im Einzelnen begründet und dargelegt, dass die Antragsgegnerin als EU-Bevollmächtigte für den Rechtsverstoß mitverantwortlich ist, weil das Produkt ohne ihre Mitwirkung in Deutschland nicht vertrieben werden könnte. Die Antragsgegnerin reagierte mit E-Mail vom 18. Juli 2022 und erklärte, sie könne die geforderte Unterwerfungserklärung nicht abgeben, da sie die Lunch-Pots weder importiere noch verkaufe. Mit E-Mail vom 22. Juli 2022 erklärte sie gegenüber den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, die chinesische Herstellerin habe sich bereits mit der Antragstellerin in Verbindung gesetzt und diese gebeten, die Abmahnung gegenüber der Antragsgegnerin zurückzunehmen. Sie, die Antragsgegnerin gehe davon aus, dass sich die Sache damit erledigt habe. Die Antragstellerin trägt unwidersprochen vor, dass es diese Kontaktaufnahme tatsächlich nicht gegeben hat. Jedenfalls bis zur Beantragung der einstweiligen Verfügung wurde der Lunchpot von der Fa. A weiterhin bei Amazon angeboten.

Ab Zugang der Abmahnung handelte die Antragsgegnerin zumindest bedingt vorsätzlich und im Bewusstsein der Rechtwidrigkeit: Die Geschmacksmusterverletzung ist eindeutig und wird auch von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogen. Auch die Haftung der Antragsgegnerin wird zutreffend und gut nachvollziehbar begründet.

4.) Wollte man eine Haftung der Antragsgegnerin als Gehilfin verneinen, so wäre sie jedenfalls als Störerin passivlegitimiert.

Als Störer kann nach der Rechtsprechung des 1. Zivilsenats des BGH bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt. Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden kann, die die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Verhaltenspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung oder Überwachung zuzumuten ist. Das richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Funktion und Aufgabenstellung des als Störer in Anspruch Genommenen. Bei der Auferlegung von Kontrollmaßnahmen ist zu beachten, dass Geschäftsmodelle, die nicht in besonderer Weise die Gefahr von Rechtsverletzungen schaffen oder fördern, nicht wirtschaftlich gefährdet oder unverhältnismäßig erschwert werden dürfen (BGH, Urteil vom 21. Januar 2021, I ZR 20/17 - Davidoff Hot Water IV - Rn. 37, juris, unter Verweis auf BGH, Urteil vom 12. Mai 2010 - I ZR 121/08, BGHZ 185, 330 Rn. 19 - Sommer unseres Lebens; Urteil vom 26. November 2015 - I ZR 174/14, BGHZ 208, 82 Rn. 21 - Störerhaftung des Accessproviders; Urteil vom 3. März 2016 - I ZR 140/14, GRUR 2016, 936 Rn. 16 = WRP 2016, 1107 - Angebotsmanipulation bei Amazon; Urteil vom 7. März 2019 - I ZR 53/18, GRUR 2019, 947 Rn. 15 = WRP 2019, 1025 - Bring mich nach Hause).

Dabei hat der BGH angenommen, dass es grundsätzlich unzumutbar ist, einem Unternehmen, das Waren für eine Vielzahl von Kunden einlagert, eine anlasslose Überprüfung sämtlicher von ihm in Besitz genommenen Waren auf mögliche Rechtsverletzungen abzuverlangen. Allerdings muss auch derjenige, der keiner allgemeinen, proaktiven Prüfungspflicht unterliegt, tätig werden, wenn er auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden ist (BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 - I ZR 20/17 - Davidoff Hot Water IV - Rn. 38, juris). Entsprechendes hat der 10. Zivilsenat des BGH für den Spediteur entschieden, der von der Klägerin oder der Zollbehörde darauf aufmerksam gemacht worden war, dass es sich bei der von ihm transportierten Ware um patentverletzende Erzeugnisse handele „oder jedenfalls handeln könne“ (Urteil vom 17. September 2009, Xa ZR 2/08 - MP3-player-Import - Rn. 42, juris).

Gemessen an diesen Maßstäben war die Antragsgegnerin verpflichtet, ihre Unterstützungshandlungen für den geschmacksmusterverletzenden Vertrieb des Lunch-Pots durch die Fa. A einzustellen, sei es dadurch, dass sie sie erfolgreich auffordert, den Vertrieb einzustellen oder notfalls durch Beendigung ihrer Stellung als Bevollmächtigte im Sinne des ProdSG.

5.) Es besteht auch eine Wiederholungsgefahr. Das streitbefangene Produkt ist nach wie vor bei Amazon aufrufbar und wird lediglich als „derzeit nicht verfügbar“ deklariert. Dies hindert eine Fortsetzung der Geschmacksmusterrechtsverletzung nicht. Abgesehen davon würde selbst eine Löschung des Angebots bei Amazon und anderenorts die Wiederholungsgefahr nicht entfallen lassen, da die Verletzungshandlung jederzeit wieder aufgenommen werden könnte.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Schadensersatzansprüche bei Schmiergeldabrede durch Bevollmächtigten ohne Wissen des Betroffenen und die Darlegungslast

BGH
Urteil vom 18.01.2018
I ZR 150/15
BGB § 826; ZPO § 138

Leitsätze des BGH:


a) Der Kläger, der Schadensersatzansprüche auf eine ohne sein Wissen von seinem Bevollmächtigten getroffene Schmiergeldabrede stützt, genügt seiner Darlegungslast, wenn er ausreichende Anhaltspunkte für den Abschluss einer derartigen Vereinbarung darlegt. Von ihm können im Rechtsstreit keine näheren Darlegungen hierzu mit der Begründung verlangt werden, er müsse sich die Kenntnis des Bevollmächtigten zurechnen lassen.

b) Hat der Kläger hinreichende Anhaltspunkte für eine Schmiergeldabrede vorgetragen, trägt der Beklagte die sekundäre Darlegungslast für seine Behauptung, eine solche Schmiergeldabrede habe nicht vorgelegen.

c) Ein von dem Sachvortrag des Klägers abweichendes Vorbringen des Beklagten, das der Klage ebenfalls zur Schlüssigkeit verhilft, kann zugunsten des Klägers nur verwertet werden, wenn er es sich hilfsweise zu eigen macht und seine Klage hierauf
stützt. Der Kläger, der geltend macht, eine bestimmte Person habe als sein Beauftragter zu seinen Lasten überhöhte Vergütungen verabredet, macht sich das Vorbringen der Beklagtenseite, eine andere Person habe die beanstandeten Vereinbarungen getroffen, nicht zu eigen, wenn er deren Behauptung bestreitet.

BGH, Urteil vom 18. Januar 2018 - I ZR 150/15 - OLG Hamburg - LG Hamburg

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