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ArbG Hamburg: Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Gestattung der Nutzung von ChatGPT und anderer KI-Lösungen

ArbG Hamburg
Beschluss vom 16.01.2024
24 BVGa 1/24


Das ArbG Hamburg hat entschieden, dass kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Gestattung der Nutzung von ChatGPT und anderer KI-Lösungen besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
b) Der Antrag ist unbegründet, denn es fehlt bereits an einem Verfügungsanspruch des Beteiligten zu 1. (§§ 935, 940 ZPO, § 85 Abs. 2 ArbGG).

aa) Es kann dabei dahinstehen, ob ein Anspruch aus § 23 Abs. 3 BetrVG im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht werden kann (bejahend: LAG Rheinland-Pfalz vom 24.01.2019 – 2 TaBVGa 6/18; Fitting, § 23 BetrVG, Rn.76, Oetker, in: GK-BetrVG, § 23 BetrVG, Rn. 262; ablehnend: Besgen, in: Beck-OK Arbeitsrecht, § 23 BetrVG, Rn. 35; Koch, in: ErfK, § 23 BetrVG, Rn. 23; Thüsing, in: Richardi, § 23 BetrVG, Rn. 105), denn die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG liegen nicht vor. Die Beteiligte zu 2. hat mit dem Einstellen von Guidelines, Handbuch und KI-Richtlinien ohne zuvor den Konzernbetriebsrat beteiligt zu haben, keine groben Verstöße gegen ihre Pflichten aus dem BetrVG begangen.

(1) Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers hat die Beteiligte zu 2. mit den vorgenannten Maßnahmen, die zur Gestattung der Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer Konkurrenzprogramme durch die Mitarbeiter geführt haben, § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht verletzt.

Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Beschäftigten. Es beruht darauf, dass die Beschäftigten ihre vertraglich geschuldete Leistung innerhalb einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitsorganisation erbringen und deshalb dessen Weisungsrecht unterliegen. Das berechtigt den Arbeitgeber dazu, Regelungen vorzugeben, die das Verhalten der Beschäftigten im Betrieb beeinflussen und koordinieren sollen. Solche Maßnahmen bedürfen der Zustimmung des Betriebsrats. Dies soll gewährleisten, dass die Beschäftigten gleichberechtigt an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens teilhaben können (BAG vom

Gemäß der ständigen Rechtsprechung des BAG hat der Betriebsrat entgegen dem überschießenden Wortlaut nur mitzubestimmen bei Maßnahmen, die das so genannte Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffen. Dieses ist berührt, wenn die Maßnahme auf die Gestaltung des kollektiven Miteinander oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt (BAG vom 27.09.2005 - 1 ABR 32/04). Mitbestimmungsfrei sind dagegen Maßnahmen, die das so genannte Arbeitsverhalten der Beschäftigten regeln. Darum handelt es sich, wenn der Arbeitgeber kraft seines arbeitsver-raglichen Weisungsrechts näher bestimmt, welche Arbeiten auszuführen sind und in welcher Weise das geschehen soll. Mitbestimmungsfrei sind deshalb Anordnungen, mit denen lediglich die Arbeitspflicht konkretisiert wird (BAG vom 23.08.2018 – 2 AZR 235/18). Die Entscheidung, ob, wann und wie die vertraglich zugesagte Arbeit zu erledigen ist und wie deren Erbringung kontrolliert und gesichert wird, fällt nicht unter den Mitbestimmungstatbestand (BAG vom 15.04.2014 – 1 ABR 85/12).

Wendet man diese Grundsätze der ständigen BAG-Rechtsprechung an, so fallen die Vorgaben zur Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer Tools unter das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten (so auch: Holthausen, RdA 2023, S. 261 ff.; Kalbfus/Schöberle, NZA 2023, S. 251 ff.; Witteler, ZD 2023, S. 377 ff.). Die Beteiligte zu 2. stellt ihren Arbeitnehmern ein neues Arbeitsmittel unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung. Richtlinien, Handbuch usw. sind somit Anordnungen, welche die Art und Weise der Arbeitserbringung betreffen, weshalb kein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht.

Der Antragsteller hat in der mündlichen Verhandlung den Einwurf erhoben, dass durch die Erlaubnis der Beteiligten zu 2., die Arbeitnehmer können entscheiden, ob sie ChatGPT einsetzen, letztlich zwei Gruppen von Arbeitnehmern geschaffen wer/den, nämlich die Gruppe der Arbeitnehmer, die Künstlicher Intelligenz aufgeschlossen und die Gruppe, die dieser Entwicklung skeptisch gegenüberstehen, weshalb das Zusammenleben der Belegschaft und damit das Ordnungsverhalten betroffen seien. Eine solche Ansicht hätte zur Konsequenz, dass die nicht flächendeckende Einführung neuer Arbeitsmittel für vergleichbare Arbeitnehmer stets zu einer Zweiteilung führt, nämlich der Gruppe, welche das neue Arbeitsmittel einsetzt und der Gruppe, die noch mit den alten Arbeitsmitteln ihre Arbeitspflicht erfüllt, so dass in diesen Fällen der Betriebsrat zu beteiligen wäre, obwohl der Arbeitgeber nur Anordnungen getroffen hat, wie die Arbeit zu leisten ist. Dies ist mit dem gesetzgeberischen Willen, warum § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein Beteiligungsrecht begründen soll, nicht vereinbar.

(2) Auch das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat die Beteiligte zu 2. nicht verletzt. Nach § § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat u.a. mitzubestimmen bei der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Das Mitbestimmungsrecht ist darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schutzwerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und unverhältnismäßig sind (BAG vom 03.12.2016 – 1 ABR 7/15). „Überwachung“ im Sinne des Mitbestimmungsrechts ist ein Vorgang, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern seitens des Arbeitgebers erhoben und – jedenfalls in der Regel – aufgezeichnet werden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Die Informationen müssen auf technische Weise ermittelt und dokumentiert werden, so dass sie zumindest für eine gewisse Dauer verfügbar bleiben und vom Arbeitgeber herangezogen werden können. Die Überwachung muss durch die technische Einrichtung selbst bewirkt werden. Dazu muss diese aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar die Überwachung vornehmen. Das setzt voraus, dass die technische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über bestimmte Vorgänge erhebt, speichert und/oder verarbeitet. Ausreichend ist, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolgt. Zur Überwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungen, wenn sie objektiv geeignet sind, dass der Arbeitgeber Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer erheben und aufzuzeichnen kann. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an ((BAG vom 03.12.2016 – 1 ABR 7/15).

Vorliegend ist unstreitig, dass ChatGPT und die vergleichbaren Konkurrenzprodukte nicht auf den Computersystemen der Beteiligten zu 2. installiert wurden. Will ein Arbeitnehmer diese Tools nutzen, muss er diese wie jede andere Homepage auch, mittels eines Browsers aufrufen. Zwar wird der Browser die Einwahl regelmäßig aufzeichnen. Dies stellt aber keine Besonderheit von ChatGPT dar, sondern ergibt sich aus den Funktionsmöglichkeiten des Browsers, der den Surfverlauf des Nutzers abspeichert. Der Browser selbst ist somit eine technische Einrichtung, die geeignet ist, Leistungs- und Verhaltensinformationen der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Zur Nutzung von Browsern haben die Beteiligten eine Konzernbetriebsvereinbarung abgeschlossen, weshalb der Antragsteller sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG bereits ausgeübt hat.

Unstreitig ist, dass der Arbeitnehmer selbst einen Account bei ChatGPT anlegen und eventuell entstehende Kosten auch selbst tragen muss, weshalb die Beteiligte zu 2. keinerlei Meldung erhält, wann welcher Arbeitnehmer wie lange und mit welchem Anliegen ChatGPT genutzt hat. Dass der Hersteller etwa von ChatGPT die vorgenannten Daten aufzeichnet, ist zu unterstellen. Dies führt aber nicht zur Mitbestimmung, denn der dadurch entstehende Überwachungsdruck wird nicht vom Arbeitgeber ausgeübt. Die Beteiligte zu 2. kann auf die vom Hersteller gewonnenen Informationen nicht zugreifen. Mit der Nutzung von ChatGPT vergleichbar ist etwa „beck-online“ (Datenbank des Beck-Verlags), wenn der Nutzer seinen eigenen Account angelegt und die Kosten selber zu tragen hat.

Auch die Vorgabe der Beteiligten zu 2., dass Arbeitnehmer Arbeitsergebnisse, die mittels Unterstützung von Künstlicher Intelligenz entstanden sind, kennzeichnen müssen, führt nicht zu einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Wie ausgeführt muss die technische Einrichtung die Überwachung selbst bewirken, um eine Mitbestimmung auszulösen. Die Kennzeichnung und die damit verbundene Kontrollmöglichkeit der Beteiligten zu 2., wer Chatbots einsetzt, erfolgt aber hier durch den Arbeitnehmer selbst und nicht durch das Tool.

(3) Ebenfalls ist ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht ersichtlich. Voraussetzung für das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3a Abs. 1 S. 1 ArbStättV; § 3 Abs. 1 S. 1 ArbStättV ist eine vorliegende oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG festgestellte konkrete Gefährdung der Mitarbeiter (LAG Düsseldorf vom 09.01.2018 – 3 TaBVGa 6/17). Zu einer konkreten Gefährdung hat der Antragsteller nichts vorgetragen, sie sind auch sonst nicht erkennbar.

(4) Dahinstehen kann, ob die Beteiligte zu 2. die Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats nach § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BetrVG hinreichend erfüllt hat, denn ein einmaliger Verstoß gegen § 90 BetrVG stellt noch keine grobe Pflichtverletzung i.S.d. § 23 Abs. 3 BetrVG dar.

bb) Ein Verfügungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 87 Abs. 1 BetrVG. Zwar steht dem Betriebsrat zum Schutz seiner in § 87 Abs. 1 BetrVG aufgeführten Mitbestimmungsrechte ein negatorischer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch zu (BAG vom 23.03.2021 – 1 ABR 31/19; Richardi/Maschmann, in: Richardi, § 87 BetrVG, Rn. 134 ff.). Wie dargelegt ist aber im vorliegenden Fall kein Mitbestimmungsrecht des Antragsstellers berührt, weshalb auch kein Beseitigungsanspruch besteht.

cc) Aus § 90 BetrVG kann sich ein Verfügungsanspruch nicht ergeben, denn § 90 BertVG gewährt lediglich Unterrichtungs- und Beratungsrechte, aber kein Mitbestimmungsrecht, das den Arbeitgeber an einer einseitigen Durchführung der Maßnahme hindert. Daher würde eine einstweilige Verfügung gerichtet auf Beseitigung oder Unterlassen einer Maßnahme über den Hauptanspruch hinausgehen (vgl. nur: Fitting, § 90 BetrVG, Rn. 48).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwalt: Verbandsklagebefugnis für Verbraucherschutzverbände bei DSGVO-Verstoß - Verletzung der Informationspflicht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c, e DSGVO

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 25.01.2024
C‑757/22
Meta Platforms Ireland Limited
gegen
Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass die Verbandsklagebefugnis für Verbraucherschutzverbände bei DSGVO-Verstößen u.a. dann anzunehmen ist, wenn es um die Verletzung der Informationspflicht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO geht.

Ergebnis des EuGH-Generalanwalts:
Art. 80 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass

die Bedingung, wonach eine ermächtigte Einrichtung, um eine Verbandsklage nach dieser Bestimmung erheben zu können, geltend machen muss, dass ihres Erachtens die Rechte einer betroffenen Person aus der DSGVO infolge einer Verarbeitung verletzt worden sind, voraussetzt, dass diese Einrichtung eine Verarbeitung personenbezogener Daten sowie einen Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung und der Verarbeitung behauptet. Die Bedingung ist erfüllt, wenn die Klage im Zusammenhang mit einer Verarbeitung personenbezogener Daten darauf gestützt wird, dass der Verantwortliche die Informationspflicht gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO verletzt hat, da eine solche Verletzung die Verarbeitung rechtswidrig machen kann.

Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:


EuGH: Parlamentarischer Untersuchungsausschuss muss Vorgaben der DSGVO einhalten es sei denn die nationale Sicherheit ist betroffen

EuGH
Urteil vom 16.01.2024
C-33/22
Österreichische Datenschutzbehörde


Der EuGH hat entschieden, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Vorgaben der DSGVO einhalten muss, es sei denn, die Tätigkeit betrifft die nationale Sicherheit.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss muss grundsätzlich die Datenschutz-Grundverordnung einhalten

Dies gilt nicht, wenn er eine die nationale Sicherheit betreffende Tätigkeit ausübt.

Ein vom Parlament eines Mitgliedstaats in Ausübung seines Kontrollrechts der Vollziehung eingesetzter Untersuchungsausschuss muss grundsätzlich die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einhalten. Gibt es in diesem Mitgliedstaat nur eine Aufsichtsbehörde, ist diese grundsätzlich auch für die Überwachung der Einhaltung der DSGVO durch den Untersuchungsausschuss zuständig. Übt der Untersuchungsausschuss jedoch eine Tätigkeit aus, die als solche der Wahrung der nationalen Sicherheit dient, unterliegt er nicht der DSGVO und folglich auch nicht der Kontrolle durch die Aufsichtsbehörde.

Der Nationalrat, die Abgeordnetenkammer des österreichischen Parlaments, setzte einen Untersuchungsausschuss ein, um eine mögliche politische Einflussnahme auf das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung aufzuklären.

Dieser Untersuchungsausschuss befragte medienöffentlich eine Auskunftsperson. Das Protokoll dieser Befragung wurde auf der Webseite des österreichischen Parlaments veröffentlicht. Es enthielt den vollständigen Namen der Auskunftsperson, obwohl diese die Anonymisierung beantragt hatte.

Da die Nennung ihres Namens aus der Sicht der Auskunftsperson gegen die DSGVO verstieß, brachte sie bei der österreichischen Datenschutzbehörde eine Beschwerde ein. Sie legte dar, als verdeckter Ermittler bei der polizeilichen Einsatzgruppe für die Bekämpfung der Straßenkriminalität tätig zu sein. Die Datenschutzbehörde wies die Beschwerde mit der Begründung zurück, dass sie aufgrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes als Teil der Exekutive nicht kontrollieren könne, ob der Untersuchungsausschuss, der der Legislative zuzurechnen sei, die DSGVO einhalte. Die Auskunftsperson bekämpfte diese Entscheidung sodann vor den österreichischen Gerichten.

Der österreichische Verwaltungsgerichtshof möchte vom Gerichtshof wissen, ob der Untersuchungsausschuss, der der Legislative zuzurechnen ist und Tätigkeiten betreffend die nationale Sicherheit untersucht, der DSGVO und damit der Kontrolle der Datenschutzbehörde unterliegt.

Der Gerichtshof stellt fest, dass auch ein vom Parlament eines Mitgliedstaats in Ausübung seines Kontrollrechts der Vollziehung eingesetzter Untersuchungsausschuss grundsätzlich die DSGVO einzuhalten hat.

Zwar ist die DSGVO nicht auf Verarbeitungen personenbezogener Daten anwendbar, die von Behörden im Rahmen einer Tätigkeit vorgenommen werden, die der Wahrung der nationalen Sicherheit dient. Vorbehaltlich einer Überprüfung durch den österreichischen Verwaltungsgerichtshof scheint die in Rede stehende Untersuchung jedoch nicht als solche der Wahrung der nationalen Sicherheit zu dienen. Der Untersuchungsausschuss sollte nämlich eine mögliche politische Einflussnahme auf eine der Exekutive zuzurechnende Behörde prüfen, die für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zuständig war.

Allerdings können Beschränkungen der sich aus der DSGVO ergebenden Pflichten und Rechte im Wege von Gesetzgebungsmaßnahmen aufgrund der nationalen Sicherheit gerechtfertigt sein. Aus der Akte ergibt sich jedoch nicht, dass der in Rede stehende Untersuchungsausschuss dargetan hätte, dass die Offenlegung des Namens der Auskunftsperson für die Gewährleistung der nationalen Sicherheit erforderlich gewesen sei und auf einer Gesetzgebungsmaßnahme beruht habe. Es ist jedoch Sache des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs, die in diesem Zusammenhang erforderlichen Überprüfungen vorzunehmen.

Da Österreich entschieden hat, nur eine Aufsichtsbehörde im Sinne der DSGVO einzurichten, nämlich die Datenschutzbehörde, ist diese grundsätzlich auch für die Überwachung der Einhaltung der DSGVO durch einen Untersuchungsausschuss wie den in Rede stehenden zuständig, und zwar ungeachtet des Gewaltenteilungsgrundsatzes. Dies ergibt sich aus der unmittelbaren Wirkung der DSGVO und dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts, einschließlich gegenüber nationalem Verfassungsrecht.


Tenor der Entscheidung:

1. Art. 16 Abs. 2 Satz 1 AEUV und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass nicht angenommen werden kann, dass eine Tätigkeit allein deshalb außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts liegt und damit der Anwendung dieser Verordnung entzogen ist, weil sie von einem vom Parlament eines Mitgliedstaats in Ausübung seines Kontrollrechts der Vollziehung eingesetzten Untersuchungsausschuss ausgeübt wird.

2. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung 2016/679 im Licht des 16. Erwägungsgrundes dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass die Tätigkeiten eines vom Parlament eines Mitgliedstaats in Ausübung seines Kontrollrechts der Vollziehung eingesetzten Untersuchungsausschusses, die der Untersuchung der Tätigkeiten einer polizeilichen Staatsschutzbehörde aufgrund des Verdachts politischer Einflussnahme auf diese Behörde dienen, als solche nicht als die nationale Sicherheit betreffende Tätigkeiten im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind, die außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts liegen.

3. Art. 77 Abs. 1 und Art. 55 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 sind dahin auszulegen, dass diese Bestimmungen, wenn ein Mitgliedstaat im Einklang mit Art. 51 Abs. 1 DSGVO bloß eine einzige Aufsichtsbehörde eingerichtet hat, sie aber nicht mit der Zuständigkeit für die Überwachung der Anwendung dieser Verordnung durch einen vom Parlament dieses Mitgliedstaats in Ausübung seines Kontrollrechts der Vollziehung eingesetzten Untersuchungsausschuss ausgestattet hat, dieser Behörde unmittelbar die Zuständigkeit übertragen, über Beschwerden betreffend von diesem Untersuchungsausschuss durchgeführte Verarbeitungen personenbezogener Daten zu befinden.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Verpflichtungen der gemeinsam für eine Verarbeitung personenbezogener Daten Verantwortlichen sind nicht notwendigerweise vom Bestehen einer Vereinbarung abhängig

EuGH
Urteil vom 11.01.2024
C‑231/22


Der EuGH hat entschieden, dass die Verpflichtungen der gemeinsam für eine Verarbeitung personenbezogener Daten Verantwortlichen nicht notwendigerweise vom Bestehen einer Vereinbarung abhängig sind.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 4 Nr. 7 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass die für das Amtsblatt eines Mitgliedstaats zuständige Einrichtung oder Stelle, die nach den Rechtsvorschriften dieses Staates u. a. verpflichtet ist, Rechtsakte und amtliche Dokumente unverändert zu veröffentlichen, die von Dritten in eigener Verantwortung unter Einhaltung der geltenden Vorschriften erstellt wurden und anschließend bei einer Justizbehörde, die sie der Einrichtung oder Stelle zum Zweck der Veröffentlichung übermittelt, hinterlegt wurden, trotz fehlender Rechtspersönlichkeit als für die Verarbeitung der in diesen Rechtsakten und Dokumenten enthaltenen personenbezogenen Daten „Verantwortlicher“ eingestuft werden kann, wenn die Zwecke und Mittel der durch das Amtsblatt vorgenommenen Verarbeitung personenbezogener Daten durch das betreffende nationale Recht vorgegeben sind.

2. Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 7 und Art. 26 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass die für das Amtsblatt eines Mitgliedstaats zuständige Einrichtung oder Stelle, die als „Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO eingestuft wird, in Bezug auf die von ihr nach nationalem Recht vorzunehmenden Verarbeitungen personenbezogener Daten für die Einhaltung der in Art. 5 Abs. 1 DSGVO genannten Grundsätze allein verantwortlich ist, es sei denn, aus dem nationalen Recht ergibt sich in Bezug auf diese Verarbeitungen eine gemeinsame Verantwortlichkeit mit anderen Stellen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LAG Thüringen: Kein Anspruch auf Löschung einer Abmahnung aus der Personalakte nach Art. 17 DSGVO wenn die Abmahnung Gegenstand einer Schadensersatzklage ist

LAG Thüringen
Urteil vom 24.10.2023
5 Sa 424/22, 1 Ca 212/22


Das LAG Thüringen hat entschieden, dass kein Anspruch auf Löschung einer Abmahnung aus der Personalakte nach Art. 17 DSGVO besteht, wenn die Abmahnung Gegenstand einer Schadensersatzklage ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat ein Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch mehr auf Entfernung aus der Personalakte, selbst einer zu Unrecht erteilten Abmahnung. Ein solcher Anspruch kann nur ausnahmsweise gegeben sein, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, eine Abmahnung könne dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 51). Der Kläger hat vorliegend keine entsprechenden Gründe dargelegt.

Vielmehr verfolgt der Kläger mit demselben Verfahren Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Dabei spielt die streitgegenständliche Abmahnung die zentrale Rolle. Hieraus ergibt sich ein Dokumentationserfordernis der Beklagten, hier die Aufbewahrung der Abmahnung, zumindest bis zur endgültigen Klärung der Schadensersatzklage (vgl. auch Sächsisches LAG 31.03.2023 - 4 Sa 117/21 - Rn. 45).

Auch der Hinweis des Klägers auf die Vorschrift des § 17 DSGVO führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach Art. 17 Abs. 1 a DSGVO besteht ein Anspruch auf Löschung der betreffenden personenbezogenen Daten, sofern die personenbezogenen Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind. Da die vorliegende streitige Abmahnung Gegenstand der Schadensersatzklage ist, besteht zumindest bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens nach Art. 17 Abs. 3 a DSGVO kein Löschungsanspruch, da dieser zur Ausübung und Verteidigung von Rechtsansprüchen erforderlich ist.

2. Mit dem Berufungsvorbringen vermochte der Kläger auch das Bestehen eines Anspruchs auf Widerruf mittels öffentlichen Aushangs nicht begründen. Ein Widerrufsanspruch als quasinegatorischer Beseitigungsanspruch mittels öffentlichen Aushangs setzt voraus, dass der zu widerrufende Vorwurf auf gleiche Weise bekannt gegeben wurde. Nur in einem solchen Fall kann der Arbeitnehmer den Widerruf etwa durch öffentlichen Aushang verlangen (vgl. BAG 21. Februar 1979 - 5 AZR 568/77 - Leitsatz 1 und Rn. 16 – 20). Eine Bekanntgabe oder Veröffentlichung der gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe ist nicht vorgetragen worden. Vielmehr ist unstreitig, dass die Beklagte dem Kläger die Abmahnung im verschlossenen Umschlag übergeben hat. Die erste Instanz hat insoweit zu Recht sogar darauf hingewiesen, dass die Abmahnung weder betriebsintern bekannt geworden noch der Arbeitgeber ein etwaiges betriebsinternes Bekanntwerden zu verantworten habe.

3. Auch das Bestehen eines Schmerzensgeldanspruchs konnte der Kläger mit seinem Berufungsvorbringen nicht dartun. Zwar verweist er auf die maßgebliche höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach bei schweren Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ein Schmerzensgeldanspruch in Betracht kommt. Der Vorwurf des Verbreitens von Unwahrheiten stellt jedoch ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine Straftat dar. Wie bereits unter Ziffer 1 erläutert, ist der eigentliche Vorwurf in der Abmahnung, der Kläger habe nicht vor Dienstbeginn am 18.10.2021 seine Arbeitsverhinderung unverzüglich mitgeteilt, unbestritten. Mit dem Erstgericht ist die Kammer auch der Auffassung, dass eine fortwirkende Herabsetzung des Rufs des Klägers ohne die Beeinträchtigung in seinem beruflichen Fortkommen nicht erkennbar ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


VG München: DSGVO-Verstoß durch Erhebung und Speicherung von Drohnenaufnahmen zu Durchführung der Beitrags- und Gebührenerhebung im Rahmen der Abwasserbeseitigung

VG München
Beschluss vom 22.11.2023
M 7 E 23.5047


Das VG München hat entschieden, dass die Erhebung und Speicherung von Drohnenaufnahmen zu Durchführung der Beitrags- und Gebührenerhebung im Rahmen der Abwasserbeseitigung nicht mit der DSGVO vereinbar ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
3. Auch aus dem unionalen und nationalen Datenschutzrecht dürfte keine Ermächtigung zur Durchführung der streitgegenständlichen Maßnahmen folgen.

Der Anwendungsbereich der DSGVO ist eröffnet, da es sich bei den Informationen, die durch die streitgegenständlichen Maßnahmen erhoben werden sollen, um personenbezogene Informationen i. S. v. Art. 4 Nrn. 1 und 2 DSGVO handelt. Ein Personenbezug liegt nicht nur dann vor, wenn die Maßnahmen Personen möglicherweise (mit-)aufzeichnen, was hier durchaus im Bereich des Möglichen liegen könnte (vgl. OVG Saarl, U.v. 14.9.2017 ‒ 2 A 213/16 ‒ juris Rn. 23). Selbst wenn durch die streitgegenständlichen Maßnahmen tatsächlich keine Person mitaufgezeichnet würde, liegt der Personenbezug jedoch gleichwohl vor. Gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO bezeichnen „personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten etc. identifiziert werden kann. Die Informationen erfüllen die jeweils eigenständig zu prüfenden Merkmale (vgl. Klar/Kühling in Kühling/Buchner, DSGVO-BDSG, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 4 Rn. 11) des Personenbezugs und der Identifizierbarkeit der Person. Bei den bildlichen Aufzeichnungen und ihrer anschließenden Auswertung insbesondere durch Erstellen von Modellen handelt sich nicht um Sachdaten, sondern um Informationen, die sich auf eine natürliche Person beziehen. Wenn in der Information über eine Sache aufgrund individualisierender Identifikationsmerkmale, des Detaillierungsgrads oder der Einzigartigkeit der Sache ein Personenbezug angelegt ist, handelt es sich um ein personenbezogenes Datum (vgl. Klar/Kühling a.a.O. Rn. 13). Der Personenbezug ergibt sich bei den streitgegenständlichen Maßnahmen aus mehreren Erwägungen. Es handelt sich bei den bildlichen Aufzeichnungen von Grundstücken (und daraus erstellten Modellen) nicht lediglich um Sachdaten, sondern um personenbezogene Daten. Der Personenbezug ergibt sich aus der Georeferenziertheit der Daten und der nachträglichen Bearbeitung der Daten durch den Ingenieurdienstleister. Die bildlichen Aufzeichnungen („Rohdaten“) zeigen stets auch die exakten Positionsdaten der Drohne wie die Flughöhe im Augenblick des Bildes, die geographische Lagebestimmung, die Aufnahmerichtung und den Neigungswinkel an. Auch die nachträgliche Verknüpfung der bildlichen Aufzeichnung mit den Informationen wie Name, Anschrift und Flurstücknummer stellt den Personenbezug i. S. v. Art. 4 Nr. 1 DSGVO her (ausdrücklich für die Anschrift als individualisierendes Identifikationsmerkmal Klar/Kühling a.a.O. Rn. 13). Zudem weisen die beabsichtigten Aufnahmen einen hohen Detailgrad auf und es handelt sich bei den aufzuzeichnenden Informationen um Wohngrundstücke. Die Aufzeichnungen sollen u. a. Terrassen und Balkone erfassen. Durch (leicht) seitliche Aufnahmen werden bei dem beabsichtigten Vorgehen auch Fenster zu (Wohn-)Räumen erfasst. Auch wenn man zu Gunsten der Antragsgegnerin von einem Detailgrad von drei Zentimetern ausgeht, könnten konkrete Details der Wohnverhältnisse erfasst werden. Auf nicht-überdachten Flächen wie Terrassen könnten Gegenstände von einer Größe über drei Zentimeter erfasst werden. Unter überdachten Flächen ist die Aufzeichnung der Wohnverhältnisse nicht ausgeschlossen. Die (leicht) seitliche Perspektive würde auch das Erfassen der Wohnverhältnisse in der Nähe eines Fensters oder einer Glastür ermöglichen. Wie weit durch die seitliche Perspektive der Einblick in Fenster und Glastüren ermöglicht wird, hängt von der konkreten Flugroute, während der Aufzeichnungen angefertigt werden, sowie von der vorhandenen Bebauung, dem Abstand zwischen den Gebäuden und dem Baumbestand ab. Je größer der Abstand zwischen zwei Wohngebäuden und je geringer der Baumbestand wäre, desto umfassender wären die möglichen Aufzeichnungen der Wohnverhältnisse. Ob der Ingenieurdienstleister die Grundstücke einzelnen befliegt oder eine zusammenhängende Befliegung mehrerer benachbarter Grundstücke „am Stück“ bei durchgehender Aufzeichnung vornimmt, kann zumindest im Eilverfahren offenbleiben. Bei lebensnaher Betrachtung ergeben sich die Vorzüge der Drohnenbefliegung gegenüber anderen Möglichkeiten der Geschossflächenermittlung indes daraus, dass in einem oder wenigen einheitlichen Vorgängen eine Vielzahl von Grundstücken erfasst wird. Bei durchgehender Aufzeichnung während der Befliegung wäre eine besonders weitreichende Aufzeichnung der Wohnverhältnisse durch Fenster und Glastüren möglich. Der Antragsteller ist durch die verarbeiteten Informationen auch identifizierbar. Ausgehend von den durch den Ingenieurdienstleister erstellten Modellen und Plänen folgt die Identität des Antragstellers unmittelbar aus der Information selbst. Mit Blick auf die Rohdaten wie bspw. „Orthofotos“ ist der Antragsteller zumindest unter Zuhilfenahme weiterer Informationen identifizierbar.

Die Verarbeitung personenbezogener Daten dürfte auch nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e, Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO i. V. m. Art. 4 Abs. 1 BayDSG rechtmäßig sein.

Richtet sich die Datenverarbeitung gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e, Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO nach dem Recht der Mitgliedstaaten, handelt es sich bei Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e DSGVO nicht um die Rechtsgrundlage zur Datenverarbeitung, sondern um eine Vorschrift mit Richtliniencharakter. Die eigentliche Legitimationsgrundlage muss im (unionalen oder) nationalen Recht geregelt sein. Für öffentliche Stellen der Länder ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BDSG der Anwendungsbereich des Bayerischen Landesdatenschutzgesetzes eröffnet, vgl. auch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 BayDSG. Die von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO vorausgesetzte Rechtsgrundlage ist Art. 4 Abs. 1 BayDSG (vgl. Wilde/Ehmann/Niese/Knoblauch Datenschutz in Bayern, Stand: Juni 2018, BayDSG Art. 4 Rn. 3; Buchner/Petri in Kühling/Buchner, DSGVO-BDSG, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 6 Rn. 73).

Die streitgegenständlichen Maßnahmen dürften nicht gemäß Art. 4 Abs. 1 BayDSG zur Erfüllung einer der Antragsgegnerin obliegenden Aufgabe erforderlich sein. Da es sich bei Art. 4 Abs. 1 BayDSG um eine Durchführungsvorschrift handelt, richtet sich die Bestimmung der Begriffe „Aufgabe“ und „Erforderlichkeit“ nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e, Art. 23 Abs. 1 Buchst. a bis Buchst. e DSGVO (vgl. vgl. Wilde/Ehmann/Niese/Knoblauch Datenschutz in Bayern, Stand: Juni 2018, BayDSG Art. 4 Rn. 6). Die Durchführung der Beitrags- und Gebührenerhebung im Rahmen der Abwasserbeseitigung fällt unter den Auffangtatbestand von Art. 23 Abs. 1 Buchst. e DSGVO (vgl. Bäcker in Kühling/Buchner, DSGVO-BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 23 Rn. 22) als wichtiges Ziel des allgemeinen öffentlichen Interesses. Wirtschaftliche und finanzielle Interessen werden von Art. 23 Abs. 1 Buchst. e DSGVO explizit aufgeführt.

Die streitgegenständlichen Maßnahmen dürften jedoch nicht zur Durchführung der Beitrags- und Gebührenerhebung im Rahmen der Abwasserbeseitigung erforderlich sein. Bei dem Kriterium der Erforderlichkeit handelt es sich um einen autonomen Begriff des Unionsrechts (vgl. Albers/Veit in Wolff/Brink/v.Ungern-Sternberg, BeckOK Datenschutzrecht, 45. Edition, DSGVO Art. 6 Rn. 60). Die Voraussetzung der Erforderlichkeit stellt sicher, dass der Verantwortliche ein vorgegebenes Ziel nicht zum Anlass nimmt, überschießend personenbezogene Daten zu verarbeiten (vgl. Buchner/Petri in Kühling/Buchner, DSGVO-BDSG, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 6 Rn. 118, 81). Gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e DSGVO ist eine Datenverarbeitung erforderlich, wenn ohne die Verarbeitung die Erreichung des Zwecks nicht, nur unzulänglich, nicht mit angemessenem Aufwand oder nicht in angemessener Zeit erfolgen könnte. Nach Erwägungsgrund 39 zur DSGVO sollten personenbezogene Daten nur verarbeitet werden dürfen, wenn der Zweck der Verarbeitung nicht in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann. Ob Aufwand und Zeit angemessen sind, beurteilt sich nach einer Güterabwägung, in die einerseits die Schutzwürdigkeit der personenbezogenen Daten und andererseits der Verarbeitungszweck einzustellen ist (vgl. Wilde/Ehmann/Niese/Knoblauch in Datenschutz in Bayern, Stand Juni 2018, DSGVO Art. 6 Rn. 35).

Die streitgegenständlichen Maßnahmen dürften nicht erforderlich in diesem Sinne sein. Entgegen dem Vortrag der Antragsgegnerin dürften andere Verfahrensmöglichkeiten bestehen, mit denen der Zweck der Datenverarbeitung auch in zumutbarer Weise zu erreichen ist. So hat auch die Antragsgegnerin neben dem Befliegungsverfahren weitere Verfahrensmöglichkeiten zur Ermittlung der Geschossfläche in Betracht gezogen: die Grundstücksbegehung und das Selbstauskunftsverfahren.

Das Selbstauskunftsverfahren dürfte den Zweck hinlänglich, mit angemessenem Aufwand und in der angemessenen Zeit erreichen können. Es ist davon auszugehen, dass bei der letzten Beitragserhebung in 1995 über das Selbstauskunftsverfahren oder ein anderes geeignetes Verfahren ohne Befliegung und Aufzeichnung die Geschossflächenermittlung erfolgreich umgesetzt wurde. Es ist nicht ersichtlich, dass die Berechnung der Geschossfläche deutlich komplizierter wäre als die Berechnung der Wohnfläche. Der Großteil der Grundstückseigentümer dürfte bereits in der Grundsteuererklärung die Berechnung der Grundstücksfläche und ggf. der Wohnfläche vorgenommen haben und mit dem Selbstauskunftsverfahren vertraut sein. Zwar handelt es sich bei der Geschossfläche um einen anderen Wert als den der Wohnfläche, es dürfte sich jedoch bei beiden Flächen um Werte handeln, die ggf. durch händisches Messen der Bebauung unter Berücksichtigung des normativen Rahmens zu ermitteln sind. Die im Internet frei verfügbaren Berechnungshilfen für die Wohnfläche einerseits und die Geschossfläche andererseits dürften mit Blick auf ihre Anforderungen und die Komplexität des Vorhabens vergleichbar sein. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb bei der Ermittlung der Geschossfläche im Selbstauskunftsverfahren mit erheblichen Unrichtigkeiten und eventuell auch falschen Angaben gerechnet werden müsste. Bei Ermittlung der für die Herstellungsbeiträge erforderlichen Geschossfläche dürfte wie bei Ermittlung der für die Grundsteuer erforderlichen Wohnfläche (und anderen Angaben) davon auszugehen sein, dass die Beitragspflichtigen wie auch die Steuerpflichtigen wahrheitsgemäße Angaben machen, wovon die Antragsgegnerin grundsätzlich ausgehen können dürfte. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragsgegnerin bei Ermittlung der Werte im Selbstauskunftsverfahren in erheblichem Umfang mit bewussten oder unbewussten Falschangaben rechnen müsste. Die Antragsgegnerin hat in diesem Zusammenhang lediglich Vermutungen geäußert, ohne diese durch weiteren Vortrag plausibel zu belegen. Ob bspw. bei der letzten Erhebung des Beitrags und der dabei erfolgenden Geschossflächenermittlung Falschauskünfte zu verzeichnen waren, wurde nicht vorgetragen.

Das Selbstauskunftsverfahren dürfte auch mit angemessenem Aufwand und in der angemessenen Zeit durchführbar sein. Dies indiziert bereits ein der Antragsgegnerin vorliegendes Angebot einer anderen Kommunalberatung zur Kalkulation der Beiträge und Gebühren vom 23. Mai 2023, die ebenfalls mit einem (anderen) Ingenieurdienstleister zur Datenerhebung kooperiert. Nach dem Angebot dieses Ingenieurdienstleisters vom 19. Mai 2023 wurde zur Ermittlung der beitrags- und gebührenrelevanten Flächen vorgeschlagen, entweder auf die kostenpflichtig zu erwerbenden Bilder des Landesvermessungsamts zurückzugreifen und eine (lediglich ergänzende) Selbstauskunft durchzuführen („Alternative 1“) oder auf Grundlage des Amtlichen Liegenschaftskatasters ein reines Selbstauskunftsverfahren („Alternative 2“) durchzuführen. Für das als „Alternative 1“ bezeichnete Verfahren wurde wegen des geringen Baumbestands in der Gemarkung der Antragsgegnerin entgegen der üblichen Vorgehensweise vorgeschlagen, die Luftbilder des Landesvermessungsamtes zu erwerben. Auf dieser Grundlage würden die beitrags- und gebührenrelevanten Flächen ermittelt. Dadurch könnte direkt nach Erwerb der Luftbilder und damit deutlich schneller mit der Datenauswertung begonnen werden. Auch die Vorgehensweise in einem reinen Selbstauskunftsverfahren könnte in angemessener Zeit durchgeführt werden. Um die Rückgabe der Selbstauskunftsformulare zu beschleunigen, stünden der Antragsgegnerin verschiedene Möglichkeiten offen. Sie könnte Fristen setzen, Mahnungen aussprechen, Verspätungszuschläge erheben oder bei Einreichung innerhalb einer genannten Frist eine Reduzierung des Guthabens in Aussicht stellen. Auch der finanzielle Aufwand dürfte sowohl bei dem Rückgriff auf die Bilder des Landesvermessungsamtes als auch bei einem reinen Selbstauskunftsverfahren für die Antragsgegnerin und die Beitragspflichtigen nicht höher, sondern vielmehr niedriger sein.

Gegen die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung durch die streitgegenständlichen Maßnahmen spricht auch der Grundsatz der Speicherbegrenzung. Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. e DSGVO müssen personenbezogene Daten in einer Form gespeichert werden, die die Identifizierung der Betroffenen Personen nur solange ermöglicht, wie es für die Zwecke, für welche diese verarbeitet werden, erforderlich ist. Aus dem Grundsatz der Speicherbegrenzung folgt das Verbot der Datenerhebung und Datenspeicherung auf Vorrat (vgl. Wilde/Ehmann/Niese/Knoblauch Datenschutz in Bayern, Stand April 2023, DSGVO Art. 6 Rn. 36). Ist bei der Erhebung nicht absehbar, zu welchem Zweck sie irgendwann einmal benutzt werden könnten, handelt es sich um Datenerhebung und Speicherung auf Vorrat. Sofern die Antragsgegnerin mit der Datenerhebung weitere, zusätzliche Zwecke verfolgt wie die Ermittlung von Gebäudehöhen, Firsthöhen und Dachneigungen, rechtfertigen diese Zwecke die konkrete Datenerhebung und -speicherung nicht.


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VG Hannover: DSGVO gilt nicht für Altfälle bzw. Datenschutzverstöße vor Inkrafttreten am 25.05.2018

VG Hannover
Urteil vom 10.10.2023
10 A 5223/19


Das VG Hannover hat entschieden, dass die DSGVO nicht für Altfälle bzw. Datenschutzverstöße vor Inkrafttreten am 25.05.2018 gilt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Auf den vorliegenden Fall findet die Verordnung (EU) Nr. 2016/679 des Europäischen Parlamentes und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, hiernach: DS-GVO) keine Anwendung.

Grundsätzlich ist für Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, bei Leistungs- oder Verpflichtungsklagen – wie hier – auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. dazu Hamb. OVG, Urteil vom 7.10.2019 – 5 Bf 279/17 –, juris Rn. 40). Aufgrund der Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG sind dabei aber Rechtsänderungen, die vor der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts in Kraft getreten sind, bei der Entscheidung zu beachten, sofern das neu in Kraft gesetzte Recht nichts anderes bestimmt. Durch seine Auslegung ist zu ermitteln, ob das klägerische Begehren noch nach altem, also dem aufgehobenen oder nach dem inhaltlich geänderten Recht zu beurteilen ist (vgl. Decker in BeckOK VwGO, 66. Ed. 1.7.2023, VwGO § 113 Rn. 74.1; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.3.2004 – 8 C 5/03 –, juris Rn. 35 f.)

Danach findet die DS-GVO auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Die Anwendbarkeit der DS-GVO ist in deren Art. 99 Abs. 2 DS-GVO festgelegt. Danach gilt die DS-GVO erst seit dem 25. Mai 2018. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten beanstandet, dass sie betreffende medizinische Unterlagen im Jahr 2012 an einen Gutachter weitergegeben worden sind. Zu Sachverhalten, die sich vor Geltung der DS-GVO ereignet haben, enthält die DS-GVO keine expliziten Regelungen. Eine Übergangsvorschrift, die die Geltung der DS-GVO auch für Sachverhalte vor diesem Datum anordnet, existiert im deutschen Recht nicht. Im österreichischen Recht findet sich eine Regelung, welche die Anwendung des neuen Rechts, also der DS-GVO, explizit auch für Sachverhalte vor dem Inkrafttreten der DS-GVO anordnet, wenn die Fälle noch bei den Aufsichtsbehörden liegen (vgl. zu allem: VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 – AN 14 K 19.01274 –, juris Rn. 21 m.V.a. VGH der Republik Österreich, Beschluss vom 5.6.2020 - VwGO RO 2018/04/0023 -, abrufbar über das Rechtsinformationssystem des Bundes, https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Vwgh&Dokumentnummer=JWT_2018040023_20200605J00, zuletzt abgerufen am 10.10.2023).

Das Inkrafttreten der DS-GVO stellt nach deren Art. 99 eine klare Zäsur zwischen dem alten und dem neuen Recht dar. Da der deutsche Gesetzgeber keine Übergangsvorschrift erlassen hat, die unter bestimmten Umständen eine Anwendung des neuen Rechts auch auf vor deren Geltung begangene Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften angeordnet hat, unterliegen vor diesem Datum erfolgte Verstöße vollständig dem alten Recht (VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 – AN 14 K 19.01274 –, juris Rn. 44).

2. Aus der Nichtanwendbarkeit der DS-GVO auf den vorliegenden Fall folgt, dass die Rüge, welche die Klägerin wegen der Weitergabe sie betreffender, medizinischer Unterlagen im April 2018 gegenüber dem Beklagten erhoben hat, keine "Beschwerde" im Sinne des Art. 77 DS-GVO darstellen kann, sondern nur als eine "Eingabe" im Sinne des Art. 28 Abs. 4 der (inzwischen außer Kraft getretenen) Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr vom 24. Oktober 1996 (hiernach: RL 95/46/EG) anzusehen sein kann. Für vor dem 25. Mai 2018 liegende Verstöße gegen die Datenschutzrichtlinie werden Aufsichtsbehörden und Gerichte grundsätzlich nach dem bisherigen Rechtsregime tätig (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 – AN 14 K 19.01274 –, juris Rn. 38 m.V.a. Hornung/Spiecker in Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, 1. Auflage 2019, Art. 99 DS-GVO, Rn. 4).

3. Die Eingabe der Klägerin gemäß Art. 28 Abs. 4 RL 95/46/EG kann keinen Anspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten begründen.

Die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur hat die Auffassung vertreten, dass die Eingabe gemäß Art. 28 Abs. 4 RL 95/46/EG petitionsähnlich ausgestaltet gewesen ist und die gerichtliche Prüfung sich daher darauf beschränkt hat, ob die Eingabe entgegengenommen, sachlich und rechtlich geprüft und das Ergebnis mitgeteilt worden war (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 – AN 14 K 19.01274 –, juris Rn. 21 m.V.a. BayVGH, Beschluss vom 23.3.2015 – 10 C 15.165BeckRS 2016, 44250; Döhmann in Simitis, BDSG a.F., 8. Auflage 2014, § 21 Rn. 18; Gola/Schomerus, BDSG, Kommentar, 11. Auflage 2012, § 21 Rn. 6; Körffer in Paal/Pauly, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Auflage 2018, Art. 77 Rn. 5; Will, ZD 2020, 97; vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 23.7.2013 - 11 PA 145/13 -, n.v.). Ein Anspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten bestand dagegen nicht (Brink in BeckOK Datenschutzrecht, 22. Edition Stand 1.11.2017, § 38 BDSG, Rn. 51).

Die Regelungen der DS-GVO, aus denen sich nach Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über das "ob" und das "wie" eines aufsichtsrechtlichen Tätigwerdens der unabhängigen Aufsichtsbehörde und – im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null – auch einen Anspruch auf ein konkretes Einschreiten der Aufsichtsbehörde ergeben kann, sind hier nicht anwendbar (vgl. zum Prüfungsumfang des Gerichts nach der DS-GVO OVG Hamburg, Urteil vom 7.10.2019 – 5 Bf 279/17 –, juris Rn. 63 ff. m.w.N.; VG Stuttgart, Urteil vom 11.11.2021 – 11 K 17/21 –, juris Rn. 90 f.; VG Wiesbaden, Beschluss vom 31.8.2021 – 6 K 226/21.WI –, juris; Urteil vom 7.6.2021 – 6 K 307/20.WI –, juris Rn. 37; VG Hamburg, Urteil vom 1.6.2021 - 17 K 2977/19 -, juris; VG Mainz, Urteil vom 16.1.2020 – 1 K 129/19.MZ –, juris; zur gegenteiligen Auffassung vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.10.2020 – 10 A 10613/20 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.1.2020 - 1 S 3001/19 -, juris). Insoweit wird mit den Erwägungsgründen 11, 142 und 143 der DS-GVO und Art. 57 Abs. 1 lit. f DS-GVO, der den Aufsichtsbehörden für das Beschwerdeverfahren konkrete Aufgaben zuweist, argumentiert (vgl. statt vieler: OVG Hamburg, Urteil vom 7.10.2019 – 5 Bf 279/17 –, juris Rn. 63 ff.). Diese Argumente können aber für den vorliegenden Fall nicht herangezogen werden. Der Erwägungsgrund 142 stellt nur auf die "Rechte nach dieser Verordnung" ab. Die Sätze 4 und 5 des Erwägungsgrundes 143 nennen zwar nicht ausdrücklich "diese Verordnung", nach ihrem Sinn und Zweck stellen sie jedoch auf die durch die DS-GVO ab ihrem Geltungsbeginn geschaffene Rechtslage ab und sprechen damit ebenfalls gegen einen Gleichlauf des gerichtlichen Prüfungsumfangs vor und nach dem Geltungsbeginn der DS-GVO. Nach Erwägungsgrund 11 erfordert ein wirksamer Schutz von personenbezogenen Daten die Stärkung der Rechte der Betroffenen. Diese Stärkung der Rechte der Betroffenen soll aber, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, gerade durch die DS-GVO erfolgen. Demnach lässt sich für den hier zu entscheidenden Fall, in dem die beanstandete Weitergabe von medizinischen Unterlagen Jahre vor Inkrafttreten der DS-GVO stattgefunden hat, aus den Erwägungsgründen nichts für die Rechtsauffassung der Klägerin ableiten. Anhaltspunkte dafür, dass diese Stärkung der Rechte der Betroffenen auch für Verstöße vor dem Inkrafttreten der DS-GVO gegen das zu diesem Zeitpunkt maßgebliche materielle Datenschutzrecht gelten soll, lassen sich daraus aber wiederum nicht ableiten (VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 – AN 14 K 19.01274 –, juris Rn. 42).

Ebenso wenig kann Art. 57 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO für die Begründung eines über das alte Recht hinausgehenden Prüfungsumfangs herangezogen werden. Denn auch diese Bestimmung gilt nur für Beschwerden wegen einer Verletzung der DS-GVO i.S.v. Art. 77 DS-GVO. Dies ist aber nach den obigen Ausführungen hier nicht der Fall.

4. Danach ergibt sich bei Anwendung des hier einschlägigen Rechts, dass die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt ist, ob die Eingabe der Klägerin von dem Beklagten entgegengenommen, sachlich und rechtlich geprüft und dass der Klägerin das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt wurde. Dies ist hier der Fall. Der Beklagte hat den von der Klägerin im April 2018 mitgeteilten Sachverhalt an die D. weitergeleitet und diese zur Stellungnahme sowie ggf. zur Vorlage einer Schweigepflichtentbindungserklärung aufgefordert. Es ist zwar nicht erkennbar, dass sie auf Grundlage der Stellungnahme der Mecklenburgischen Versicherung eine eigene rechtliche Prüfung vorgenommen hat, bevor sie der Klägerin mitgeteilt hat, dass keine personenbezogenen Daten weitergegeben worden sind. Sie hat die D. aber jedenfalls auf den Widerspruch der Klägerin gegen die Einstellung des Verfahrens vom 12. Oktober 2018 erneut zur Stellungnahme aufgefordert. Deren umfangreiche Stellungnahme hat sie in dem Bescheid vom 1. Oktober 2019 gewürdigt, seine – in Teilen von der M. Versicherung abweichende – Rechtsauffassung kundgetan und das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt.


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EuGH: Längere Speicherung der Restschuldbefreiung als das öffentliche Insolvenzregister durch SCHUFA verstößt gegen DSGVO

EuGH
Urteil vom 07.12.2023
den verbundenen Rechtssachen
C-26/22 und C-64/22
SCHUFA Holding u. a. (Restschuldbefreiung)


Der EuGH hat entschieden, dass längere Speicherung der Restschuldbefreiung als das öffentliche Insolvenzregister (6 Monate) durch SCHUFA gegen die Vorgaben der DSGVO verstößt.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 78 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass ein rechtsverbindlicher Beschluss einer Aufsichtsbehörde einer vollständigen inhaltlichen Überprüfung durch ein Gericht unterliegt.

2. Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2016/679 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass er einer Praxis privater Wirtschaftsauskunfteien entgegensteht, die darin besteht, in ihren eigenen Datenbanken aus einem öffentlichen Register stammende Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung zugunsten natürlicher Personen zum Zweck der Lieferung von Auskünften über die Kreditwürdigkeit dieser Personen für einen Zeitraum zu speichern, der über die Speicherdauer der Daten im öffentlichen Register hinausgeht.

3. Art. 17 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass die betroffene Person das Recht hat, vom Verantwortlichen die unverzügliche Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten zu verlangen, wenn sie gemäß Art. 21 Abs. 1 dieser Verordnung Widerspruch gegen die Verarbeitung einlegt und keine zwingenden schutzwürdigen Gründe vorliegen, die ausnahmsweise die betreffende Verarbeitung rechtfertigen.

4. Art. 17 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass der Verantwortliche verpflichtet ist, personenbezogene Daten, die unrechtmäßig verarbeitet wurden, unverzüglich zu löschen.

Aus der Pressemitteilung des EuGH:
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) steht zwei Datenverarbeitungspraktiken von Wirtschaftsauskunfteien entgegen

Während das „Scoring“ nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, steht die längere Speicherung von Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung im Widerspruch zur DSGVO.

Mehrere Bürger fochten vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden Bescheide des zuständigen Datenschutzbeauftragten an, mit denen er sich weigerte, gegen bestimmte Tätigkeiten der SCHUFA, einer privaten Wirtschaftsauskunftei, vorzugehen, zu deren Kunden insbesondere Banken zählen. Sie wandten sich konkret gegen das „Scoring“ sowie gegen die Speicherung von aus öffentlichen Registern übernommenen Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung.

[...]

In Bezug auf die Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung entscheidet der Gerichtshof, dass es im Widerspruch zur DSGVO steht, wenn private Auskunfteien solche Daten länger speichern als das öffentliche Insolvenzregister. Die erteilte Restschuldbefreiung soll nämlich der betroffenen Person ermöglichen, sich erneut am Wirtschaftsleben zu beteiligen, und hat daher für sie existenzielle Bedeutung. Diese Informationen werden bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit der betroffenen Person stets als negativer Faktor verwendet. Im vorliegenden Fall hat der deutsche Gesetzgeber eine sechsmonatige Speicherung der Daten vorgesehen. Er geht daher davon aus, dass nach Ablauf der sechs Monate die Rechte und Interessen der betroffenen Person diejenigen der Öffentlichkeit, über diese Information zu verfügen, überwiegen.

Soweit die Speicherung der Daten nicht rechtmäßig ist, wie dies nach Ablauf der sechs Monate der Fall ist, hat die betroffene Person das Recht auf Löschung dieser Daten, und die Auskunftei ist verpflichtet, sie unverzüglich zu löschen.

Was die parallele Speicherung solcher Informationen durch die SCHUFA während dieser sechs Monate angeht, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die in Rede stehenden Interessen gegeneinander abzuwägen, um die Rechtmäßigkeit dieser Speicherung zu beurteilen. Sollte es zu dem Ergebnis kommen, dass die parallele Speicherung während der sechs Monate rechtmäßig ist, hat die betroffene Person dennoch das Recht, Widerspruch gegen die Verarbeitung ihrer Daten einzulegen, sowie das Recht auf deren Löschung, es sei denn, die SCHUFA weist das Vorliegen zwingender schutzwürdiger Gründe nach. Schließlich betont der Gerichtshof, dass die nationalen Gerichte jeden rechtsverbindlichen Beschluss einer Aufsichtsbehörde einer vollständigen inhaltlichen Überprüfung unterziehen können müssen.


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EuGH: SCHUFA-Scoring ist eine "automatisierte Entscheidung im Einzelfall" und damit Profiling im Sinne der DSGVO soweit Score maßgeblich für Kreditgewährung oder Vertragsschluss ist

EuGH
Urteil vom 07.12.2023
C-634/21
SCHUFA Holding (Scoring)


Der EuGH hat entschieden, dass das SCHUFA-Scoring eine "automatisierte Entscheidung im Einzelfall" und damit Profiling im Sinne der DSGVO ist, soweit der Score maßgeblich für Kreditgewährung oder Vertragsschluss ist.

Tenor der Entscheidung:
Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass eine „automatisierte Entscheidung im Einzelfall“ im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, wenn ein auf personenbezogene Daten zu einer Person gestützter Wahrscheinlichkeitswert in Bezug auf deren Fähigkeit zur Erfüllung künftiger Zahlungsverpflichtungen durch eine Wirtschaftsauskunftei automatisiert erstellt wird, sofern von diesem Wahrscheinlichkeitswert maßgeblich abhängt, ob ein Dritter, dem dieser Wahrscheinlichkeitswert übermittelt wird, ein Vertragsverhältnis mit dieser Person begründet, durchführt oder beendet.

Aus der Pressemitteilung des EuGH:
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) steht zwei Datenverarbeitungspraktiken von Wirtschaftsauskunfteien entgegen

Während das „Scoring“ nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, steht die längere Speicherung von Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung im Widerspruch zur DSGVO.

Mehrere Bürger fochten vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden Bescheide des zuständigen Datenschutzbeauftragten an, mit denen er sich weigerte, gegen bestimmte Tätigkeiten der SCHUFA, einer privaten Wirtschaftsauskunftei, vorzugehen, zu deren Kunden insbesondere Banken zählen. Sie wandten sich konkret gegen das „Scoring“ sowie gegen die Speicherung von aus öffentlichen Registern übernommenen Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung.

Das „Scoring“ ist ein mathematisch-statistisches Verfahren, das es ermöglicht, die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Verhaltens, wie etwa die Rückzahlung eines Kredits, vorauszusagen. Die Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung werden im deutschen öffentlichen Insolvenzregister sechs Monate lang gespeichert, während Verhaltensregeln der deutschen Wirtschaftsauskunfteien für ihre eigenen Datenbanken eine Speicherdauer von drei Jahren vorsehen. Das Verwaltungsgericht ersucht den Gerichtshof, den Umfang des Schutzes der personenbezogenen Daten, wie er von der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)1 vorgesehen ist, näher zu erläutern.

Der Gerichtshof entscheidet, dass das „Scoring“ als eine von der DSGVO grundsätzlich verbotene „automatisierte Entscheidung im Einzelfall“ anzusehen ist, sofern die Kunden der SCHUFA, wie beispielsweise Banken, ihm eine maßgebliche Rolle im Rahmen der Kreditgewährung beimessen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wiesbaden ist dies der Fall. Es obliegt diesem Gericht zu beurteilen, ob das deutsche Bundesdatenschutzgesetz im Einklang mit der DSGVO eine gültige Ausnahme von diesem Verbot enthält. Trifft dies zu, wird das Gericht außerdem zu prüfen haben, ob die in der DSGVO vorgesehenen allgemeinen Voraussetzungen für die Datenverarbeitung erfüllt sind. [...]


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EuGH: DSGVO-Geldbuße gegen Unternehmen durch Datenschutzbehörde setzt schuldhaften Verstoß voraus - Höhe richtet sich nach dem Jahresumsatz des Konzerns

EuGH
Urteil vom 05.12.2023, C-683/21 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


Der EuGH hat entschieden, dass eine Geldbuße gegen ein Unternehmen durch die Datenschutzbehörde wegen eines DSGVO-Verstoßes einen schuldhaften Verstoß voraussetzt. Die Höhe richtet sich bei Unternehmen, die einem Konzern angehören, nach dem Jahresumsatz des Konzerns.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Nur ein schuldhafter Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung kann zur Verhängung einer Geldbuße führen

Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, bemisst sich die Geldbuße nach dem Jahresumsatz des Konzerns

Der Gerichtshof präzisiert die Voraussetzungen, unter denen die nationalen Aufsichtsbehörden eine Geldbuße gegen einen oder mehrere für die Datenverarbeitung Verantwortliche wegen Verstoßes gegen die DatenschutzGrundverordnung (DSGVO) verhängen können. Insbesondere stellt er fest, dass die Verhängung einer solchen Geldbuße ein schuldhaftes Verhalten voraussetzt, der Verstoß also vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sein muss. Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, ist bei der Berechnung der Geldbuße auf den Umsatz des Konzerns abzustellen

Ein litauisches und ein deutsches Gericht haben den Gerichtshof ersucht, die Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO)1 auszulegen, und zwar im Hinblick auf die Möglichkeit nationaler Aufsichtsbehörden, Verstöße gegen diese Verordnung durch Verhängung einer Geldbuße gegen den für die Datenverarbeitung Verantwortlichen zu ahnden.

Im litauischen Fall wendet sich das Nationale Zentrum für öffentliche Gesundheit beim Gesundheitsministerium gegen eine Geldbuße in Höhe von 12 000 Euro, die ihm im Zusammenhang mit der Entwicklung (mit Unterstützung durch ein privates Unternehmen) einer mobilen Anwendung auferlegt wurde, die der Erfassung und Überwachung der Daten der dem Covid-19-Virus ausgesetzten Personen dienen sollte.

Im deutschen Fall wendet sich das Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen, das mittelbar rund 163 000 Wohneinheiten und 3 000 Gewerbeeinheiten hält, u. a. gegen eine Geldbuße von über 14 Mio. Euro, die ihm auferlegt wurde, weil es personenbezogene Daten von Mietern länger als erforderlich speicherte.

Der Gerichtshof entscheidet, dass gegen einen für die Datenverarbeitung Verantwortlichen nur dann eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen die DSGVO verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß schuldhaft – also vorsätzlich oder fahrlässig – begangen wurde. Dies ist dann der Fall, wenn sich der Verantwortliche über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht im Unklaren sein konnte, gleichviel, ob ihm dabei bewusst war, dass es gegen die Bestimmungen der DSGVO verstößt.

Handelt es sich bei dem Verantwortlichen um eine juristische Person, ist es nicht erforderlich, dass der Verstoß von ihrem Leitungsorgan begangen wurde oder dieses Organ Kenntnis davon hatte. Vielmehr haftet eine juristische Person sowohl für Verstöße, die von ihren Vertretern, Leitungspersonen oder Geschäftsführern begangen werden, als auch für Verstöße, die von jeder sonstigen Person begangen werden, die im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit in ihrem Namen handelt. Die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person als Verantwortliche darf nicht der Voraussetzung unterliegen, dass zuvor festgestellt wurde, dass der Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde.

Außerdem kann gegen einen Verantwortlichen eine Geldbuße auch für Verarbeitungsvorgänge verhängt werden, die von einem Auftragsverarbeiter durchgeführt wurden, sofern diese Vorgänge dem Verantwortlichen zugerechnet werden können.

Zur gemeinsamen Verantwortlichkeit von zwei oder mehr Einrichtungen führt der Gerichtshof aus, dass diese sich allein daraus ergibt, dass die Einrichtungen an der Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung mitgewirkt haben. Die Einstufung als „gemeinsam Verantwortliche“ setzt keine förmliche Vereinbarung zwischen den betreffenden Einrichtungen voraus. Eine gemeinsame Entscheidung oder übereinstimmende Entscheidungen reichen aus. Handelt es sich jedoch tatsächlich um gemeinsam Verantwortliche, müssen diese in einer Vereinbarung ihre jeweiligen Pflichten festlegen.

Schließlich muss sich die Aufsichtsbehörde bei der Bemessung der Geldbuße, wenn der Adressat ein Unternehmen ist oder zu einem Unternehmen gehört, auf den wettbewerbsrechtlichen Begriff „Unternehmen“ stützen. Der Höchstbetrag der Geldbuße ist daher auf der Grundlage eines Prozentsatzes des gesamten Jahresumsatzes zu berechnen, den das betreffende Unternehmen als Ganzes im vorangegangenen Geschäftsjahr weltweit erzielt hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-683/12 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


EuGH: Wird datenschutzrechtliche Aufsichtsbehörde mittelbar für Betroffenen tätig muss dieser gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Entscheidung haben

EuGH
Urteil vom 16.11.2023
C-333/22
Ligue des droits humains (Prüfung der Datenverarbeitung durch die Aufsichtsbehörde)


Der EuGH hat entschieden, dass dem Betroffenen ein gerichtlicher Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung der datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörde zustehen muss, wenn die Datenschutzbehörde mittelbar die Rechte des Betroffenen wahrgenommen hat.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Verarbeitung personenbezogener Daten: Beschlüsse, die eine Aufsichtsbehörde im Rahmen der mittelbaren Ausübung von Rechten der betroffenen Person erlässt, sind rechtsverbindlich

Die Gründe und Beweise, auf die sie sich stützen, müssen gerichtlich überprüft werden können.

Ein Bürger beantragte zu beruflichen Zwecken bei der belgischen nationalen Sicherheitsbehörde die Erteilung einer Sicherheitsbescheinigung. Das Dokument wurde ihm mit der Begründung verweigert, dass er an Demonstrationen teilgenommen habe. Unter Berufung auf sein Recht auf Auskunft über seine Daten wandte sich der Bürger an das Organ für die Kontrolle polizeilicher Informationen, das ihm mitteilte, dass ihm nur ein mittelbarer Auskunftsanspruch zustehe und es selbst die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung seiner Daten prüfen werde. Im Einklang mit dem belgischen Recht beschränkte sich das Organ nach Abschluss der Prüfung jedoch darauf, dem Bürger zu antworten, dass die erforderlichen Prüfungen durch die Aufsichtsbehörde erfolgt seien. Der Bürger erhob daraufhin Klage vor dem Gericht des ersten Rechtszugs, das sich für sachlich unzuständig erklärte.

Die vom Betroffenen und der Ligue des droits humains angerufene Cour d’appel de Bruxelles (Appellationshof Brüssel, Belgien) möchte vom Gerichtshof wissen, ob das Unionsrecht die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, der von der Verarbeitung ihrer Daten betroffenen Person die Möglichkeit zu geben, den Beschluss der Aufsichtsbehörde anzufechten, wenn diese Behörde die Rechte dieser Person in Bezug auf die Datenverarbeitung ausübt.

Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die zuständige Aufsichtsbehörde dadurch, dass sie die betroffene Person über das Ergebnis der Prüfungen unterrichtet, einen rechtsverbindlichen Beschluss erlässt. Gegen diesen Beschluss muss ein Rechtsbehelf eingelegt werden können, damit der Betroffene die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung durch die Aufsichtsbehörde und die Entscheidung zugunsten bzw. gegen die Ausübung von Abhilfebefugnissen anfechten kann.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Aufsichtsbehörde nach dem Unionsrecht verpflichtet ist, die betroffene Person „zumindest“ darüber zu unterrichten, „dass alle erforderlichen Prüfungen oder eine Überprüfung durch die Aufsichtsbehörde erfolgt sind“, und diese „über ihr Recht auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf“ zu informieren. Wenn die im öffentlichen Interesse liegenden Zwecke dem nicht entgegenstehen, haben die Mitgliedstaaten jedoch vorzusehen, dass die Unterrichtung der betroffenen Person über diese Mindestangaben hinausgehen kann, damit die betroffene Person ihre Rechte verteidigen und entscheiden kann, ob sie das zuständige Gericht anruft.

Außerdem müssen die Mitgliedstaaten in den Fällen, in denen die der betroffenen Person übermittelten Informationen auf das strikte Minimum beschränkt wurden, dafür Sorge tragen, dass das zuständige Gericht bei der Prüfung der Stichhaltigkeit der Rechtfertigungsgründe für eine solche Beschränkung der Informationen die im öffentlichen Interesse liegenden Zwecke (Sicherheit des Staates, Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten) und die Notwendigkeit, den Bürgern die Wahrung ihrer Verfahrensrechte zu gewährleisten, gegeneinander abwägen kann. Im Rahmen dieser gerichtlichen Kontrolle müssen die nationalen Vorschriften es dem Gericht ermöglichen, von den Gründen und Beweisen, auf die die Aufsichtsbehörde den Beschluss gestützt hat, aber auch von den daraus gezogenen Schlüssen Kenntnis zu nehmen.


Tenor der Entscheidung:

1. Art. 17 in Verbindung mit Art. 46 Abs. 1 Buchst. g, Art. 47 Abs. 1 und 2 und Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates sowie in Verbindung mit Art. 8 Abs. 3 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass dass eine Person, wenn ihre Rechte in Anwendung von Art. 17 dieser Richtlinie über die zuständige Aufsichtsbehörde ausgeübt worden sind und diese Behörde sie über das Ergebnis der durchgeführten Prüfungen unterrichtet, über einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen den Beschluss dieser Behörde, das Überprüfungsverfahren abzuschließen, verfügen muss.

2. Die Prüfung der zweiten Frage hat nichts ergeben, was geeignet wäre, die Gültigkeit von Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie (EU) 2016/680 zu berühren.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Hersteller müssen unabhängigen Wirtschaftsakteuren Fahrzeug-Identifizierungsnummern zur Verfügung stellen - personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO in Kombination mit Halterdaten

EuGH
Urteil vom 09.11.2023
C-319/22
Gesamtverband Autoteile-Handel (Zugang zu Fahrzeuginformationen)


Der EuGH hat entschieden, dass Fahrzeughersteller unabhängigen Wirtschaftsakteuren die Fahrzeug-Identifizierungsnummern zur Verfügung stellen müssen. Der EuGH führt weiter aus, dass es sich in Kombination mit Halterdaten dabei um personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO handelt, die Verpflichtung aber DSGVO-konform ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Fahrzeughersteller müssen unabhängigen Wirtschaftsakteuren Fahrzeug-Identifizierungsnummern bereitstellen.

Ermöglicht diese Nummer, den Halter eines Fahrzeugs zu identifizieren, und stellt sie daher ein personenbezogenes Datum dar, ist diese Verpflichtung mit der Datenschutz-Grundverordnung vereinbar.

Fahrzeughersteller sind nach dem Unionsrecht verpflichtet, unabhängigen Wirtschaftsakteuren, zu denen Reparaturbetriebe, Ersatzteilhändler und Herausgeber technischer Informationen gehören, die Informationen zugänglich zu machen, die für die Reparatur und Wartung der von ihnen hergestellten Fahrzeuge erforderlich sind.

Ein deutscher Branchenverband des freien Kfz -Teilehandels ist der Ansicht, dass weder die Form noch der Inhalt der Informationen, die seinen Mitgliedern vom Lkw-Hersteller Scania zur Verfügung gestellt werden, dieser Verpflichtung genügen. Um dieser Situation abzuhelfen, rief der Verband ein deutsches Gericht an. Dieses hat sich seinerseits an den Gerichtshof gewandt, da es sich über den Umfang der Verpflichtungen von Scania nicht im Klaren war. Es möchte u. a. wissen, ob Fahrzeug-Identifizierungsnummern personenbezogene Daten darstellen, zu deren Übermittlung die Hersteller verpflichtet sind.

Der Gerichtshof entscheidet diese Frage dahingehend, dass Fahrzeughersteller verpflichtet sind, Zugang zu allen Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen zu gewähren.

Diese Informationen müssen nicht unbedingt über eine Datenbankschnittstelle zugänglich gemacht werden, die eine maschinengesteuerte Abfrage und den Download der Ergebnisse ermöglicht. Ihr Format muss jedoch für die unmittelbare elektronische Weiterverarbeitung geeignet sein. So muss es das Format ermöglichen, die maßgeblichen Daten zu extrahieren und unmittelbar nach ihrer Erhebung zu speichern. Der Gerichtshof entscheidet außerdem, dass die Fahrzeughersteller verpflichtet sind, eine Datenbank zu erstellen, die die Informationen über die Teile umfasst, die durch Ersatzteile ausgetauscht werden können. Die Suche nach Informationen in dieser Datenbank muss anhand der Fahrzeug-Identifizierungsnummern und weiterer Merkmale wie der Motorleistung oder der Ausstattungsvariante des Fahrzeugs möglich sein.

Der Gerichtshof betont, dass die Fahrzeug-Identifizierungsnummern in der Datenbank enthalten sein müssen.

Diese Nummer ist als solche nicht personenbezogen. Sie wird jedoch zu einem personenbezogenen Datum, wenn derjenige, der Zugang zu ihr hat, über Mittel verfügt, die ihm die Identifizierung des Halters des Fahrzeugs ermöglichen, sofern der Halter eine natürliche Person ist. Der Gerichtshof stellt hierzu fest, dass der Halter wie auch die Fahrzeug-Identifizierungsnummer in der Zulassungsbescheinigung angegeben sind. Selbst in den Fällen, in denen die Fahrzeug-Identifizierungsnummern als personenbezogene Daten einzustufen sind, steht die Datenschutz-Grundverordnung dem nicht entgegen, dass Fahrzeughersteller verpflichtet sind, sie unabhängigen Wirtschaftsakteuren bereitzustellen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


VG Hannover: Videoüberwachung der Sitzbereiche eines Wettbüros weder nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO noch nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gerechtfertigt und somit rechtswidrig

VG Hannover
Urteil vom 10.10.2023
10 A 3472/20


Das VG Hannover hat entschieden, dass die Videoüberwachung der Sitzbereiche eines Wettbüros weder nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO noch nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gerichtfertigt und somit rechtswidrig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Die Klage ist zulässig. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz (hiernach: BDSG) ist für Rechtsansprüche aus der der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, hiernach: DS-GVO) nach Artikel 78 Abs. 1 und 2 der DS-GVO der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Das Verwaltungsgericht Hannover ist gemäß § 20 Abs. 3 BDSG örtlich zuständig. Die Klage gegen die Verfügungen des Beklagten aus dem Bescheid vom 20. Mai 2020 ist als Anfechtungsklage statthaft.

II. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 20. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die unter Ziffer 1 ausgesprochene Anweisung, die Ausgestaltung der von der Klägerin betriebenen Videoüberwachung so einzurichten, dass die Erhebung von personenbezogenen Daten von Personen in den Sitzbereichen während der Öffnungszeiten ausgeschlossen ist (Kameras 1,3, 4, 5 und 9) und die Überarbeitung der Kameraeinstellungen durch die Übersendung entsprechender Screenshots nachzuweisen, ist rechtmäßig.

a) Die Rechtsgrundlage für diese Anweisung findet sich in Art. 58 Abs. 2 lit. d DS-GVO. Danach verfügt die Aufsichtsbehörde über sämtliche Befugnisse, die es ihr gestatten, den Verantwortlichen anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit der DS-GVO zu bringen.

b) Der Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Der Beklagte ist für den Erlass des Bescheides zuständig. Dies ergibt sich aus § 40 Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes vom 30. Juni 2017 (BDSG), § 22 Satz 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes vom 16. Mai 2018 (NDSG) und Art. 55 f. DS-GVO. Die Klägerin ist vor Erlass des angegriffenen Bescheids angehört worden.

c) Die Anweisung ist auch materiell rechtmäßig. Die Videoüberwachung durch die fünf streitgegenständlichen Kameras steht in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht in Einklang mit der DS-GVO. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. a DS-GVO müssen personenbezogene Daten auf rechtmäßige Weise verarbeitet werden. Die hier in Rede stehende Videoüberwachung, bei der die im Wettbüro der Klägerin installierten Kameras 1, 3, 4, 5 und 9 als "verlängertes Auge" der Beschäftigten genutzt werden, verstößt gegen die DS-GVO, weil sie nicht nach Art. 6 DS-GVO gerechtfertigt ist.

aa. Die DS-GVO ist anwendbar. Nach Art. 2 Abs. 1 DS-GVO gilt diese Verordnung für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen.

Bei der Beobachtung der Gäste des Wettbüros durch Kameras, die als "verlängertes Auge" der Beschäftigten genutzt werden, handelt es sich um eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 und Nr. 2 DS-GVO. Nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO meint "Verarbeitung" jeden Vorgang, der mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten ausgeführt wird. Die sich an diese Begriffsbestimmung anschließende, ersichtlich umfassende Aufzählung von Vorgängen in Art. 4 Nr. 2 DSGVO zeigt, dass der Begriff der Verarbeitung jeglichen Umgang mit personenbezogenen Daten erfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2/18 -, juris Rn. 43). Die Daten sind nach Art. 4 Nr. 1 DS-GVO "personenbezogen", wenn es sich um Informationen handelt, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann. Die Aufzeichnung des Bildes einer Person durch Kameras ermöglicht es den Betrachtern der Bilder, die erfassten Personen zu identifizieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2/18 -, juris Rn. 43).

bb. Das hier eingesetzte Kamera-Monitor-System ist in seiner derzeitigen Ausgestaltung gemäß Art. 6 DS-GVO rechtswidrig. Danach ist die Verarbeitung nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der unter Art. 6 Abs. 1 lit. a - f genannten Bedingungen erfüllt ist. Dies ist nicht der Fall.

aaa. Zunächst haben die von der Videoüberwachung betroffenen Personen (s. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO) nicht nach Art. 6 Abs. 1 lit. a DS-GVO ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben. Eine Einwilligung ist gemäß Art. 4 Nr. 11 DS-GVO jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist. Damit betroffene Personen in Kenntnis der Sachlage ihre Einwilligung geben können, sollten sie mindestens wissen, wer der Verantwortliche ist und für welche Zwecke ihre personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen. Es sollte nur dann davon ausgegangen werden, dass sie ihre Einwilligung freiwillig gegeben haben, wenn sie eine echte oder freie Wahl haben und somit in der Lage sind, die Einwilligung zu verweigern oder zurückzuziehen, ohne Nachteile zu erleiden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 42 zur DS-GVO). Danach liegt im vorliegenden Fall keine Einwilligung der Gäste vor. Es kann bereits nicht angenommen werden, dass die Gäste beim Betreten des Wettbüros - auch nicht bei deutlich sichtbar angebrachten Hinweisen auf die Beobachtung - den Umfang und die Ausgestaltung der Videoüberwachung sowie deren Zwecke zur Kenntnis nehmen, sodass schon keine Willensbekundung "in informierter Weise" stattfinden kann (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.2.2007 - 1 BvR 2368.06 -, juris Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2.18 -, juris Rn. 23). Auch kann im Eintritt in das Wettbüro und den dortigen Aufenthalt ohne ausdrücklichen Protest keine unmissverständliche Willensbekundung erkannt werden (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.2.2007, a.a.O.). Schließlich haben die Gäste auch keine freie Wahl, ob sie mit der Videoüberwachung der Sitzbereiche während ihres Aufenthaltes in dem Wettbüro einverstanden sind; sie können sich nur zu ihrem Nachteil entscheiden, das Wettbüro gar nicht erst zu betreten.

bbb. Die Videoüberwachung ist auch nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c DS-GVO zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, welcher der Verantwortliche unterliegt. Gemeint ist damit die Verpflichtung kraft Rechts der Union oder eines Mitgliedstaates, vgl. Art. 6 Abs. 3 UAbs. 1. Die in einer Vorschrift des objektiven Rechts vorgesehene "rechtliche Verpflichtung" muss sich dabei unmittelbar auf die Datenverarbeitung beziehen; allein der Umstand, dass ein Verantwortlicher, um irgendeine rechtliche Verpflichtung erfüllen zu können, auch personenbezogene Daten verarbeiten muss, reicht nicht aus (Albers/Veit in: BeckOK DatenschutzR, 44. Ed. 1.5.2023, DS-GVO Art. 6 Rn. 48 m.w.N.). Nach diesem Maßstab vermögen die in § 7 Abs. 3 Nr. 1 Spielverordnung genannten Vorgaben, wonach Geld- oder Warenspielgeräte unter anderem dann unverzüglich aus dem Verkehr zu ziehen sind, wenn sie in ihrer ordnungsgemäßen Funktion gestört sind, keine rechtliche Verpflichtung in diesem Sinne zu bieten, weil diese rechtliche Vorgabe keinen unmittelbaren Bezug zu einer irgendwie gearteten Datenverarbeitung herstellt.

Die Videoüberwachung ist auch nicht zur Erfüllung der Verpflichtung aus § 10c des Niedersächsischen Spielbankgesetzes (NSpielbG) erforderlich. Nach § 10 c Abs. 1 Satz 1 NSpielbG sind zu den dort bestimmten Zwecken die Eingänge, die Ausgänge, die Bereiche, in denen üblicherweise der Transport, die Zählung oder die Aufbewahrung von Bargeld oder Spielmarken erfolgt, sowie die Spielräume der Spielbank, die Spieltische und Glücksspielautomaten der Spielbank mit Videokameras zu überwachen. Die Vorschrift ist bereits nicht anwendbar, weil es sich bei dem Wettbüro der Klägerin nicht um eine im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 NSpielbG zugelassene Spielbank handelt. Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf das Wettbüro der Klägerin kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil die Interessenlage nicht vergleichbar ist. Spielbanken sind Örtlichkeiten, in denen Spiele mit grundsätzlich hoher Manipulationsanfälligkeit und herausragendem Suchtpotenzial angeboten werden, zu denen traditionell Tischspiele mit und ohne Bankhalter wie Roulette, Black Jack und Poker sowie spezielle stationäre Automatenspiele gehören, welche den Einschränkungen des gewerblichen Spiels und des Online-Glücksspiels nicht unterliegen (vgl. Begründung zur Änderung des NSpielbG vom 13.10.2021, Landtag-Drs. 18/10075, S. 17). Derartige Spiele finden im Wettbüro der Klägerin nicht statt; soweit auch in ihren Räumlichkeiten Spielautomaten aufgestellt sind und in dem (der Öffentlichkeit nicht zugänglichen) Bürobereich mit größeren Mengen Bargeld umgegangen wird, hat der Beklagte die Videoüberwachung nicht beanstandet.

Unabhängig davon folgt eine Verpflichtung zu einer Videoüberwachung, wie die Klägerin sie derzeit betreibt, selbst dann nicht aus § 10 c NSpielbG, wenn man die Vorschrift auf den vorliegenden Fall analog anwenden wollte. Unter "Spielräumen" sind solche Bereiche zu verstehen, in denen sich Gäste zum Zwecke der Teilnahme an Spielen aufhalten. Bereiche wie die hier in Rede stehenden, die fast ausschließlich - mit Ausnahme vereinzelter Automaten, an denen Wetten abgegeben werden können - dem Aufenthalt oder dem Verzehr von Getränken dienen, sind dort gerade nicht angesprochen. Der Gesetzgeber hat zuletzt die zu überwachenden Bereiche angepasst und "die gegebenenfalls getrennt von den Eingängen vorhandenen Ausgänge" aufgenommen (vgl. Landtag-Drs. 18/10075, S. 37). Er hat sich also bewusst gegen die Aufnahme von anderen, dem Aufenthalt von Gästen dienenden Bereichen entschieden. Dafür, dass der Gesetzgeber beabsichtigt hat, solche vornehmlich dem Aufenthalt dienenden Bereiche gerade nicht mit der gesetzlichen Verpflichtung zur Videoüberwachung zu belegen, spricht auch, dass die Regelung überhaupt explizit Bereiche nennt, in denen die Videoüberwachung stattzufinden hat. Wäre die Videoüberwachung einschränkungslos auch in Bereichen obligatorisch, in denen keine manipulationsanfälligen Spiele stattfinden, hätte der Gesetzgeber anstelle einer expliziten Aufzählung von Bereichen schlicht die verpflichtende Videoüberwachung für die gesamte Spielbank anordnen können.

ccc. Die Videoüberwachung ist auch nicht nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO gerechtfertigt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

(1) Das berechtigte Interesse an der hier noch streitigen Videoüberwachung durch die Kameras 1, 3, 4, 5 und 9 ist anzunehmen.

Als berechtigt darf jedes rechtliche, tatsächliche, wirtschaftliche oder ideelle Interesse des Verantwortlichen angesehen werden, soweit es von der Rechtsordnung nicht missbilligt wird. Das berechtigte Interesse muss auf einen konkreten Verarbeitungs- oder Nutzungszweck gerichtet sein. Aus Art. 5 Abs. 1 lit. b DS-GVO folgt, dass das Interesse nur berechtigt sein kann, wenn die Verarbeitung legitim ist (vgl. Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO-BDSG-TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 129). Es muss zum Zeitpunkt der Datenverarbeitung entstanden und vorhanden sein und darf zu diesem Zeitpunkt nicht hypothetisch sein (EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 44). Der Verantwortliche hat sein berechtigtes Interesse substantiiert vorzutragen und zu belegen (vgl. Art. 5 Abs. 2 DS-GVO; Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO-BDSG-TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 135; vgl. auch EuGH, Urteil vom 24.2.2022 - C-175/20 -, juris Rn. 77; BVerwG, Urteil vom 2.3.2022 - 6 C 7.20 -, juris Rn. 50). Dieser speziellen Substantiierung bedarf es nur dann nicht, wenn eine Situation gegeben ist, die nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise gefährlich ist und der Überwachung bedarf. Eine solch abstrakte Gefährdungslage kann beispielsweise bei Einkaufszentren und Kaufhäusern anzunehmen sein (vgl. zur alten Rechtslage Nds. OVG, Urteil vom 29.9.2014 - 11 LC 114/13 -, juris Rn. 44; vgl. VG Hannover, Urteil vom 13.3.2023 - 10 A 1443/19 -, juris Rn. 57; vgl. zur Anwendbarkeit dieser Grundsätze auch im Anwendungsbereich der DS-GVO Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO-BDSG-TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 135).

Die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten stellen grundsätzlich berechtigte Interessen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO dar. Sie können eine Videoüberwachung jedoch nur dann als objektiv begründbar rechtfertigen, wenn eine Gefährdungslage besteht, die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht. Eine solche Gefährdung kann sich nur aus tatsächlichen Erkenntnissen ergeben; subjektive Befürchtungen oder ein Gefühl der Unsicherheit reichen nicht aus (vgl. zum alten Recht BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2/18 -, juris Rn. 28 m.w.N.). Allerdings kann bei der Beurteilung aller Umstände des jeweiligen Falles nicht zwingend verlangt werden, dass die Sicherheit des Eigentums und der Personen zuvor beeinträchtigt wurde (EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 44). Konkrete Vorfälle müssen nicht in jedem Fall beim Überwachenden selbst stattgefunden haben, sondern die Gefahrenlage kann sich auch daraus ergeben, dass vergleichbare Vorfälle oder Übergriffe in der unmittelbaren Nachbarschaft stattgefunden haben (vgl. Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen" der Datenschutzkonferenz - DSK - vom 17. Juli 2020, S. 8 f. m.V.a. Art. 5 Abs. 2 DS-GVO und EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 44; Leitlinien 3/2019 zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videogeräte des European Data Protection Board vom 29.1.2020, Rn. 18 ff.).

Danach hat die Klägerin - dies hat auch der Beklagte anerkannt - grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an der Videoüberwachung ihres Wettbüros dargelegt, um damit Straftaten zu unterbinden und nachzuverfolgen. Sie hat konkrete Straftaten benannt, die sich in den hier in Rede stehenden Räumlichkeiten ereignet haben und durch den Verweis auf Vorkommnisse in anderen Filialen dargelegt, dass (unter anderem) aufgrund der größeren Mengen Bargeld, mit denen in Wettbüros umgegangen wird, ein potentiell hohes Risiko für das Begehen von Straftaten besteht. Dementsprechend hat der Beklagte der Klägerin die Überwachung diverser Bereiche der Liegenschaft zugestanden (Kameras 2, 6, 7 und 8). Dabei hat der Beklagte die Videoüberwachung der Laufwege zugelassen, sodass etwaige Straftäter jedenfalls beim Verlassen der Räumlichkeiten erfasst werden, sowie die Orte, an denen mit Bargeld umgegangen wird (z.B. der Tresor). Außerhalb der Öffnungszeiten dürfen die Videoaufnahmen aufgezeichnet werden, um das unbefugte Betreten der Filiale abzuwenden oder ggf. nachverfolgen zu können.

(2) Die Videoüberwachung ist in ihrer derzeitigen Ausgestaltung zur Wahrung der Interessen der Klägerin aber nicht erforderlich. Die personenbezogenen Daten sollten für die Zwecke, zu denen sie verarbeitet werden, angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke ihrer Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein; sie sollten nur verarbeitet werden dürfen, wenn der Zweck der Verarbeitung nicht in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann (vgl. Erwägungsgrund 39 zur DS-GVO).Voraussetzung für die Erforderlichkeit der Videoüberwachung ist also, dass kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um die Interessen des Verantwortlichen zu erreichen (Buchner/Petri in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 147a). Die Einschränkungen beim Datenschutz müssen sich "auf das absolut Notwendige" beschränken (vgl. EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 46). Eine bloße Zweckdienlichkeit der Datenverarbeitung reicht jedenfalls nicht aus und auch das Ansinnen einer "bestmöglichen Effizienz" macht die Datenverarbeitung noch nicht zu einer erforderlichen. Entsprechend kann die Erforderlichkeit auch nicht allein damit begründet werden, dass es sich bei der beabsichtigten Datenverarbeitung um die aus Sicht des Verantwortlichen wirtschaftlich sinnvollste Alternative handelt (Petri in: Kühling/Buchner/Buchner, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 147a m.w.N.).

Nach diesem Maßstab ist die Videoüberwachung der Sitzbereiche durch die Kameras 1,3, 4, 5 und 9 nicht erforderlich. Es ist derzeit nicht ersichtlich, dass die Erhebung der dadurch gewonnenen personenbezogenen Daten überhaupt geeignet - also erheblich - ist, um die von der Klägerin verfolgten Zwecke zu erreichen. Auf Grundlage der bisherigen Unterlagen ist nicht erkennbar, dass die von der Beklagten konkret benannten Straftaten überhaupt im Zusammenhang mit einem Aufenthalt von Gästen in den Sitzbereichen gestanden haben. Die Klägerin stützt sich im Wesentlichen auf befürchtete Straftaten und sonstiges Fehlverhalten, welches in der "Szene" oder dem "Milieu", aus dem die Gäste der Klägerin stammen, üblich sein soll. Die von der Klägerin benannten Straftaten lassen teilweise eindeutig erkennen, dass sich der oder die Täter(in) vor der jeweils begangenen Tat gerade nicht in den Sitzbereichen aufgehalten oder die Tat als solche dort stattgefunden hat; dies gilt für die Öffnung des Tresors, der sich in dem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich befindet, sowie für die Entwendung von Bargeld durch Beschäftigte der Klägerin, einen Überfall unter Einsatz von Waffengewalt, eingeschmissene Schaufensterscheiben und das unberechtigte Betreten der Geschäftsräume außerhalb der Öffnungszeiten. Die übrigen von der Klägerin genannten Taten und Vorkommnisse lassen nicht erkennen, ob diese in den für Gäste vorgesehenen Sitzbereichen stattgefunden haben; dies gilt für die Angabe "milieubedingte Kriminalität in den Geschäftsräumen, zum Beispiel Übergabe von Drogen gegen Bargeld" und Trickbetrug durch das Erzwingen von Wechselgeldfehlern. Konkrete Vorfälle in der Nachbarschaft hat die Klägerin zwar behauptet, jedoch nicht substantiiert. Soweit sie sich auf die befürchtete Manipulation von Spielgeräten und die ihr glückspielrechtlich obliegende Verpflichtung, manipulierte Geräte unverzüglich aus dem Verkehr zu ziehen, beruft, hat sie derartige Vorfälle weder für die hier in Rede stehende noch für andere Filialen oder Einrichtungen in der Nachbarschaft vorgetragen. Es fehlen auch nähere Angaben dazu, wie "Vorbereitungshandlungen" für eine Manipulation von Spielgeräten konkret aussehen und aus welchem Grund sie befürchtet, dass solche gerade in den Sitzbereichen für Gäste stattfinden könnten. Den Konsum von und Handel mit Rauschgift hat sie bislang nur behauptet, aber nicht belegt. Auch hinsichtlich der weiteren, im Laufe des gerichtlichen Verfahrens genannten Straftaten, die sich im Zeitraum vom 3. August 2016 und dem 9. Oktober 2021 in der hier streitgegenständlichen Filiale ereignet haben sollen, nämlich eine Unterschlagung von Bargeld, ein Diebstahl von Bargeld durch einen Kunden, ein Diebstahl eines Gegenstandes durch einen Kunden und zwei Raubüberfälle, ist nicht erkennbar, dass diese Straftaten im Zusammenhang mit einem Aufenthalt in den Sitzbereichen des Wettbüros standen.

Es ist außerdem nicht erkennbar, dass die Videoüberwachung der Sitzbereiche überhaupt dazu geeignet wäre, die von der Klägerin genannten Straftaten - sowohl die in der Unternehmensgruppe als auch die in der hier in Rede stehenden Filiale begangenen - zu verhindern oder bei der Aufklärung dieser Straftat einen nennenswerten Mehrwert zu bringen. Dies gilt insbesondere für die genannten Raubüberfälle, Einbrüche und Sachbeschädigungen, die - soweit ersichtlich - nicht von Personen begangen worden sind, die sich zuvor in dem Wettbüro aufgehalten haben. Auch diejenigen Straftaten, die von Beschäftigten der Klägerin begangen worden sind, wie zum Beispiel das unberechtigte Betreten der Geschäftsräume außerhalb der Öffnungszeiten, die Unterschlagung von Bargeld oder die Öffnung der Tresore und Entwendung von Bargeld, ließen sich nicht durch eine Überwachung der Sitzbereiche für Gäste verhindern. Einzig denkbar wäre dies bezüglich des genannten Trickbetruges durch das Erzwingen von Wechselgeldfehlern oder den Handel mit sowie Konsum von Rauschgift. Insoweit ist aber fraglich, ob die Beschäftigten in der Lage wären, die Monitore derart aufmerksam zu beobachten, dass ihnen Wechselgeldfehler oder der Konsum von Rauschmitteln überhaupt auffallen könnte.

Die Fortsetzung der Videoüberwachung in ihrer jetzigen Form ist auch nicht deswegen erforderlich, weil andernfalls unzumutbar hohe Betriebskosten entstünden. Bei dem Bestreben, Kosten einzusparen, handelt es sich grundsätzlich um ein berechtigtes Interesse. Allerdings muss der Verantwortliche darlegen, dass er diese Kosten auch durch andere Vorkehrungen, insbesondere durch organisatorische Veränderungen anstelle der Videoüberwachung nicht vermeiden oder in einer hinnehmbaren Größenordnung halten kann. Die Kostenersparnis kann die Erforderlichkeit der Videoüberwachung jedenfalls nur dann begründen, wenn die ansonsten entstehenden Kosten im Verhältnis zu dem Umfang der geschäftlichen Tätigkeit ins Gewicht fallen oder gar deren Wirtschaftlichkeit in Frage stellten (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2.18 -, juris Rn. 32). Die Klägerin hat dazu nicht substantiiert vorgetragen. Aus dem von ihr hierzu zitierten Urteil des OVG des Saarlandes vom 14. Dezember 2017 ergibt sich nicht, ob der dortige Kläger substantiierte Angaben dazu gemacht hat, aus welchem Grund ihm der Einsatz von Wachpersonal wirtschaftlich nicht zumutbar ist (Az. 2 A 662/17 -, juris Rn. 47). Zudem ist der dortige Fall auch schon deswegen nicht mit dem hier zu entscheidenden vergleichbar, weil es sich bei dem dortigen Kläger um eine Apotheke gehandelt hat, die - im Gegensatz zu der Klägerin - nicht ohnehin Wachpersonal beschäftigt.

Die Klägerin kann ihrem berechtigten Interesse daran, dass kein Rauschgift in ihrer Filiale gehandelt oder konsumiert wird oder andere Straftaten begangen werden, auch durch mildere und gleich effektive Mittel begegnen. Dem Beklagten dürfte darin zu folgen sein, dass die bereits vorhandenen Beschäftigten in regelmäßigen Abständen die Sitzbereiche begehen könnten. Der Auffassung der Klägerin, die Präsenz von Wachleuten werde von Gästen als deutlich gravierenderer Eingriff wahrgenommen, sodass darin kein milderes Mittel zu sehen sei, kann nicht gefolgt werden. Anders als in der von der Klägerin dazu angeführten Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts steht hier keine "permanente Beobachtung" der Gäste durch Wachleute in Rede (vgl. Urteil vom 29.9.2014 - 11 LC 114/13 -, juris Rn. 57), sondern gelegentliche Rundgänge von ohnehin anwesendem Personal. Hinsichtlich der von der Klägerin bezweckten Abschreckungswirkung wirken auch nur gelegentlich die Räumlichkeit abschreitende Beschäftigte mindestens ebenso effektiv abschreckend wie die vorhandenen Kameras (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 12.3.2021 - 18 K 8202/19 -, n.v.). Ihre Beschäftigten können sich vor eventuell aggressiv auftretenden Gästen schützen, indem sie die Polizei kontaktieren, anstatt sie selbst anzusprechen oder des Hauses zu verweisen. Für die Beschäftigten dürfte der zeitliche und personelle Aufwand, die fünf streitigen Kameras neben ihren anderen Aufgaben dauerhaft aufmerksam zu beobachten, um die in den Sitzbereichen befürchteten Vorbereitungshandlungen für Straftaten zu entdecken, als ebenso hoch zu bewerten sein wie die Durchführung regelmäßiger Kontrollgänge durch die Sitzbereiche. Der Gefahr von durch Betrug erzwungenen Wechselgeldfehlern könnte die Klägerin begegnen, indem die Gäste ihre Getränke nur noch am Tresen bezahlen, der außerdem von der nicht mehr streitgegenständlichen Kamera 2 erfasst wird.

Aus dem bisherigen Vortrag der Klägerin ist auch nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund das von dem Beklagten vorgeschlagene mildere Mittel, die streitigen Kameras mit einer Folie zu versehen oder eine "Privatzonenmaskierung" einzurichten, sodass die sitzenden Gäste nicht mehr identifizierbar sind, nicht ebenso geeignet ist, wie die Videoüberwachung in ihrer derzeitigen Form. Ihr Vortrag, in dem Fall seien Vorbereitungshandlungen für eine Manipulation eines Spielgerätes schwieriger erkennbar, ist ohne konkretere Angaben dazu, wie solche Vorbereitungshandlungen aussehen, nicht nachvollziehbar. Unabhängig davon sind solche Manipulationsversuche offenbar bislang nicht vorgekommen; jedenfalls ist dies nicht vorgetragen worden.

Schließlich führt auch die in § 10 c NSpielbG zum Ausdruck gekommene Wertung des Niedersächsischen Gesetzgebers nicht dazu, die Videoüberwachung für das hier in Rede stehende Wettbüro als erforderlich anzusehen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen (s. II. 1. c. bb. bbb.).

(3) Im Übrigen und selbst für den Fall, dass die Verarbeitung der durch die Videokameras 1, 3, 4, 5 und 9 verarbeiteten personenbezogenen Daten zur Wahrung des berechtigten Interesses der Klägerin erforderlich wäre, überwiegen im vorliegenden Fall die Interessen der von der Videoüberwachung betroffenen Personen das Interesse der Klägerin. Ausgangspunkt der Abwägung sind einerseits die Auswirkungen, die eine Datenverarbeitung für die betroffene Person mit sich bringt, und andererseits die Interessen des Verantwortlichen oder Dritten. In diesem Zusammenhang sind Art, Inhalt und Aussagekraft der betroffenen Daten an dem mit der Datenverarbeitung verfolgten Zweck zu messen. Außerdem können die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Person einbezogen werden; entscheidend soll sein, ob die betroffene Person zum Zeitpunkt der Datenerhebung angesichts der näheren Umstände "vernünftigerweise absehen kann", dass eine Datenverarbeitung für einen bestimmten Zweck stattfinden wird (vgl. Petri in: Kühling/Buchner/Buchner, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 149 ff.)

Für die von der Videoüberwachung betroffenen Gäste streitet ihr Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten nach Art. 8 GRCh sowie ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK. Demgegenüber hat die Klägerin ein Interesse an dem Schutz ihres Eigentums, der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten sowie an der Gewährleistung der Einhaltung der ihr obliegenden gesetzlichen Verpflichtungen (Jugendschutz, gesperrte Spieler, glücksspielrechtliche Vorgaben bezüglich der Spielautomaten).

Zugunsten der Klägerin ist hier zu berücksichtigen, dass die Videoaufnahmen nicht gespeichert werden und ihr in der Vergangenheit durch begangene Straftaten erhebliche Vermögensschäden entstanden sind. Demgegenüber dienen die Bereiche einem längeren Verweilen von Gästen, die ganz überwiegend keinerlei böse Absichten hegen. Die Überwachung erfolgt anlasslos, regelmäßig und personengenau und betrifft in den allermeisten Fällen Personen, die weder die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten noch dem Eigentum der Klägerin schaden möchten (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 12.3.2021 - 18 K 8202/19 -, S. 23). Eine durchgängige Überwachung auch bei Beschäftigungen, die in keinem Zusammenhang zu der Art des Etablissements stehen, in dem sich die Gäste aufhalten, können sie auch nicht "vernünftigerweise" erwarten.

cc. Der Beklagte hat das ihm gemäß Art. 58 Abs. 2 DS-GVO zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen schließlich auch fehlerfrei ausgeübt. Gemäß Art. 58 Abs. 2 DS-GVO verfügt der Beklagte über sämtliche Abhilfebefugnisse, die es ihm gestatten, den Verantwortlichen anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit dieser Verordnung zu bringen (Buchstabe d) sowie eine vorübergehende Beschränkung oder Verbot der Verarbeitung zu verhängen (Buchstabe f). Die Aufsichtsbehörde kann von ihrer Abhilfebefugnis Gebrauch machen, wenn sie einen Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen festgestellt hat. Bei der Ausübung des ihr dann eingeräumten Ermessens hat sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Bei festgestellten Verstößen ist die Aufsichtsbehörde in der Regel gehalten, dagegen mit dem Ziel der Abstellung des Verstoßes vorzugehen. Hinsichtlich des Entschließungsermessens ist daher von einem intendierten Ermessen auszugehen, wenn die Aufsichtsbehörde - wie hier - einen Rechtsverstoß festgestellt hat.

Es ist auch kein Fehler bei der Ausübung des Auswahlermessens zu erkennen. Bei der Auswahl der geeigneten Abhilfemaßnahme nach Art. 58 Abs. 2 DSGVO muss die Aufsichtsbehörde den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten und insofern auch die Eingriffsintensität berücksichtigen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.1.2020 - VGH 1 S 3001/19 -, juris Rn. 61; VG Mainz, Urteil vom 24.9.2020 - 1 K 584/19.MZ -, juris Rn. 51). Das hier ausgesprochene Verbot der Videoüberwachung in den Sitzbereichen ist geeignet, um die beeinträchtigten Rechte der Gäste zu wahren. Es war auch erforderlich. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich. In Art. 58 Abs. 2 DS-GVO ist kein abgestuftes System dahingehend zu erkennen, dass der Beklagte zuerst eine Verwarnung hätte aussprechen müssen. Eine Verwarnung kommt regelmäßig bei einfachen Verletzungen der DS-GVO in Frage, welche zu keiner erheblichen Gefährdung des Datenschutzgrundrechts geführt haben. Eine Verwarnung wird eine Datenschutz-Aufsichtsbehörde aussprechen, wenn die Schwelle zur Verhängung einer Geldbuße noch nicht erreicht ist; die Verwarnung lässt sich daher auch als "kleine Schwester der Geldbuße" bezeichnen, also als Abhilfemaßnahme, die bei geringfügigen Verstößen gegen die DS-GVO oder sonstigen Gründen der Verhältnismäßigkeit "anstelle einer Geldbuße" (so explizit Erwägungsgrund 148 Satz 2 DS-GVO) verhängt werden kann (Selmayr in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DS-GVO Art. 58 Rn. 20 m.w.N.). Hier steht gerade kein geringfügiger Verstoß in Rede, sondern die Gäste des Wettbüros werden anlasslos und dauerhaft gefilmt und beobachtet. Der Beklagte hat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insofern schon im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens Rechnung getragen, als dass er die Videoüberwachung in weiten Teilen des Wettbüros nicht mehr beanstandet.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


PDF des Vortrags "Rechtliche Aspekte von Homeoffice, Hybrid Work und Mitarbeiterüberwachung" auf der Human X Work Conference in Hamburg am 19.10.2023

Zunächst möchten uns ganz herzlich bei allen Teilnehmern und Organisatoren der Human X Work Conference 2023 in Hamburg bedanken.

Sie finden Vortrag von Rechtsanwalt Marcus Beckmann

hier als PDF: Rechtliche Aspekte von Homeoffice, Hybrid Work und Mitarbeiterüberwachung

oder bei Slideshare: Rechtliche Aspekte von Homeoffice, Hybrid Work und Mitarbeiterüberwachung

ArbG Duisburg: Arbeitsgerichte sind für Ansprüche eines Bewerbers auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO und Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO sachlich zuständig

ArbG Duisburg
Beschluss vom 18.08.2023
5 Ca 877/23

Das ArbG Duisburg hat entschieden, dass für Ansprüche eines ehemaligen Bewerbers auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO und Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO die Arbeitsgerichte sachlich zuständig sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 17 a III S. 2 GVG war nach der Rüge des Rechtsweges vorab über die sachliche Zuständigkeit zu entscheiden.

Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit ergibt sich aus § 2 I Nr. 3 c ArbGG.

Danach sind die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger begehrt die Zahlung eines Schadensersatzes nach der DSGVO. Das nach Behauptung des Klägers verletzte Auskunftsbegehren liegt dabei inhaltlich in einer Bewerbung des Klägers aus dem Jahre 2017 begründet.

Die Bewerbung des Klägers stellt eine „Verhandlung über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses“ im Sinne des § 2 I Nr. 3 c ArbGG dar.

Zwar ist das Recht aus Art 15 DSGVO nicht an das Vorliegen einer arbeitsrechtlichen Beziehung geknüpft. Liegt eine solche jedoch vor, ist ein arbeitsrechtlicher Bezug gegeben, welcher die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründet. Der ordentliche Rechtsweg kommt bezüglich Ansprüchen aus der DSGVO hingehen in Betracht, wenn der geltend gemachte Anspruch nach dem anspruchsbegründenden Sachverhalt auf einem anderen, nicht mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehenden Rechtsverhältnis beruht (BAG, Beschl. v. 03.02.2014, 10 AZB 77/13, beck-online). Dies ist hier nicht der Fall.

Dem arbeitsrechtlichem Bezug steht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entgegen, dass die Bewerbung des Klägers sieben Jahre zurückliegt. Dies ändert nichts am inhaltlichen Sachzusammenhang.

Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist mithin gegeben.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: