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OLG Stuttgart: Vorstandsmitglieder der Deutschen Umwelthilfe haben keinen Anspruch gegen Mercedes-Benz AG auf Unterlassung des Vertriebs von PKW mit Verbrennungsmotoren ab dem 31.10.2030

OLG Stuttgart
Urteil vom 09.11.2023
12 U 170/22


Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass die Vorstandsmitglieder der Deutschen Umwelthilfe keinen Anspruch gegen Mercedes-Benz AG auf Unterlassung des Vertriebs von PKW mit Verbrennungsmotoren ab dem 31.10.2030 haben.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
OLG Stuttgart weist Berufung von Vorständen der Deutschen Umwelthilfe e.V. in Klimaschutzklage gegen Mercedes-Benz zurück

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat unter seinem Vorsitzenden Dr. Ulrich Groß eine Berufung von Vorstandsmitgliedern der Deutschen Umwelthilfe e.V. gegen die Mercedes-Benz AG zurückgewiesen. Damit hat der Senat ein klagabweisendes Urteil des Landgerichts Stuttgart bestätigt.

Die Kläger wollen erreichen, dass den Beklagten untersagt wird, nach dem 31. Oktober 2030 bzw. unter bestimmten Voraussetzungen schon ab heute neue Personenkraftwagen mit Verbrennungsmotor in den Verkehr zu bringen. Sie machen geltend, werde die Beklagte nicht zu einem Unterlassen verurteilt, stehe zu befürchten, dass der deutsche Gesetzgeber Maßnahmen zum Klimaschutz ergreife, durch die die Kläger in ihren Grundrechten erheblich beeinträchtigt würden. Der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich zur Reduktion des Treibhausgasausstoßes verpflichtet. Die Kläger sind der Ansicht, die Beklagte sei zur Unterlassung verpflichtet, obwohl das Inverkehrbringen der Fahrzeuge nicht gegen gesetzliche Vorgaben verstoße.

Der Senat hat die Berufung der Kläger als offensichtlich unbegründet erachtet und deswegen gemäß § 522 Absatz 2 ZPO durch Beschluss entschieden, dass den Klägern ein sog. quasinegatorischer Anspruch nach §§ 12, 862, 1004 BGB analog nicht zusteht. Ein solcher Anspruch setze voraus, dass das gerügte, als solches rechtmäßige Verhalten, nämlich das Inverkehrbringen von neue Personenkraftwagen mit Verbrennungsmotor, zumindest zu einem rechtswidrigen Zustand führe. Daran fehle es. Ein rechtswidriger Zustand könne sich allenfalls unter Berücksichtigung einer mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten ergeben. Die Drittwirkung von Grundrechten gegen Private könne aber nicht weiterreichen als die unmittelbare Drittwirkung, die den Staat selbst verpflichte. Die Kläger hätten nicht aufgezeigt, dass der Staat verpflichtet sei, der Beklagten das Inverkehrbringen von neuen Personenkraftwagen mit Verbrennungsmotor nach dem 31. Oktober 2030 bzw. unter Umständen schon ab heute zu untersagen. Der Gesetzgeber sei seiner Verpflichtung, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, nachgekommen. Im Rahmen des EU-Klimaschutzpakets „Fit für 55“ sei geregelt worden, dass in der Europäischen Union ab 2035 keine Fahrzeuge mehr neu zugelassen werden dürfen, deren Betrieb zu Treibhausgasemissionen führe (sog. Verbrennerverbot). Aus dem Vorbringen der Kläger ergebe sich nicht, dass der Gesetzgeber zur Ergreifung von Maßnahmen verpflichtet sein könnte, die die Kläger in ihren Grundrechten beeinträchtigen, falls die Beklagte noch bis Ende 2034 neue Personenkraftwagen mit Verbrennungsmotor in den Verkehr bringe.

Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Er kann beim Bundesgerichtshof mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden.

Aktenzeichen
OLG Stuttgart - 12 U 170/22
LG Stuttgart - 17 O 789/21



OLG München: Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe hat keinen Anspruch gegen BMW auf Unterlassung des Vertriebs von PKW mit Verbrennungsmotoren ab dem 31.10.2030

OLG München
Urteil vom 12.10.2023
32 U 936/23


Das OLG München hat entschieden, dass der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe hat keinen Anspruch gegen BMW auf Unterlassung des Vertriebs von PKW mit Verbrennungsmotoren ab dem 31.10.2030 hat und damit Vorinstanz bestätigt (siehe dazu: LG München, Urteil vom 07.02.2023 - 3 O 12581/21).

LG Braunschweig: Kein Anspruch gegen Volkswagen auf Unterlassung des Vertriebs von PKW mit Verbrennungsmotoren zur Verringerung der CO2-Emmissionen

LG Braunschweig
Urteil vom 14.02.2023
6 O 3931/21


Das LG Braunschweig hat entschieden, dass kein Anspruch gegen Volkswagen auf Unterlassung des Vertriebs von PKW mit Verbrennungsmotoren zur Verringerung der CO2-Emmissionen besteht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Zivilklage wegen Verringerung der CO2-Emissionen gegen die Volkswagen AG (Az. 6 O 3931/21)

Hier: Verkündung einer Entscheidung - Abweisung der Klage

In dem Zivilverfahren 6 O 3931/21 hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig heute ein Urteil verkündet.

Es hat die Klage abgewiesen.

Maßgeblich waren dabei insbesondere die folgenden Erwägungen: Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des Bundesklimaschutzgesetzes (KSG) seinen sich aus den Grundrechten ergebenen Schutzpflichten gegenüber den Bürgern genügt. Die Verpflichtungen eines privatwirtschaftlich handelnden Unternehmens reichen nicht weiter als die dem Staat aus den Grundrechten unmittelbar erwachsenen Schutzpflichten. Die Beklagte hält sich an die geltenden Vorschriften. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sind die Klägerin und die Kläger zur Duldung einer etwaigen Beeinträchtigung ihrer Rechtsgüter verpflichtet.

Zum Hintergrund:

In diesem Zivilverfahren nehmen die Klägerin und die beiden Kläger die Volkswagen AG in Anspruch. Sie werden dabei vom Greenpeace Deutschland e.V. unterstützt. Sie möchten mit der Klage insbesondere erreichen, dass es der Beklagten ab dem Jahr 2030 untersagt wird, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren in den Verkehr zu bringen. Weiter soll die Beklagte verpflichtet werden sicherzustellen, ihre CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 um 65 % gegenüber dem Jahr 2018 zu reduzieren.

Die Kläger argumentieren insbesondere mit dem sogenannten Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 24.3.2021, 1 BvR 2656/18) und behaupten, infolge des von der Beklagten mitverursachten Klimawandels in ihrem Eigentum, ihrer Gesundheit und ihrem Recht auf Erhalt treibhausgasbezogener Freiheit verletzt zu sein. Die Beklagte bestreitet insbesondere den von der Klägerin behaupteten Kausalzusammenhang zwischen ihren CO2-Emissionen und dem Klimawandel und den behaupteten Rechtsgutsverletzungen. Eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage für das Begehren der Kläger sei nicht ersichtlich.

Am 10.1.2023 hat die mündliche Verhandlung stattgefunden, in der die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert wurde.

Die Entscheidung:

Mit dem heute verkündeten Urteil hat die Kammer die Klage abgewiesen. Die Klage ist zwar in wesentlichen Teilen zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Kammer hat offengelassen, ob die Kläger bereits hinreichend konkret in ihren Rechtsgütern betroffen sind, ob die Beklagte als verantwortliche Störerin im Sinne des § 1004 BGB anzusehen ist und ob das Verhalten der Beklagten für die von den Klägern behaupteten Beeinträchtigungen ihrer Rechtsgüter kausal ist.

Jedenfalls sind die Kläger nach § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung einer etwaigen Beeinträchtigung ihrer Rechtsgüter verpflichtet.

Bei der Auslegung der Vorschrift des § 1004 BGB und der Bestimmung der Reichweite der Duldungspflicht sind die grundrechtlichen Positionen sowohl der Kläger als auch der Beklagten zu berücksichtigen. Grundrechte entfalten als sogenannte Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat grundsätzlich nur in diesem Verhältnis eine unmittelbare Wirkung. Im vorliegenden Fall, in dem sich die Kläger als Privatpersonen und die Beklagte als privatwirtschaftlich handelndes Unternehmen gegenüberstehen, sind die Grundrechte aber mittelbar im Sinne eines übergeordneten Wertekanons zu berücksichtigen. Die Verpflichtung der Beklagten kann dabei nicht weiterreichen als die dem Staat aus den Grundrechten unmittelbar erwachsenen Schutzpflichten.

Nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts in dessen Beschluss vom 18.1.2022 hat der Gesetzgeber mit der Einführung des zum 31.08.2021 in Kraft getretenen Bundesklimaschutzgesetzes (KSG) seinen aus den Grundrechten ergebenen Schutzpflichten gegenüber den Bürgern genügt. Die Beklagte hält sich auch an die geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften.

Nach alledem haben die Kläger die von der Beklagten verursachten CO2-Emissionen zu dulden.


LG München: Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe hat keinen Anspruch gegen BMW auf Unterlassung des Vertriebs von PKW mit Verbrennungsmotoren ab dem 31.10.2030

LG München
Urteil vom 07.02.2023
3 O 12581/21


Das LG München hat entschieden,dass der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe keinen Anspruch gegen BMW auf Unterlassung des Vertriebs von PKW mit Verbrennungsmotoren ab dem 31.10.2030 bzw. gegenwärtig auf Beschränkung des Vertriebs hat.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
"Deutsche Umwelthilfe"

Das Landgericht München I hat heute eine Klage gegen einen Münchner Automobilhersteller abgewiesen, wonach dieser verpflichtet werden sollte, den Vertrieb von PKW mit Verbrennungsmotoren ab dem 31. Oktober 2030 zu unterlassen, soweit nicht sichergestellt ist, dass durch Produktion und Nutzung dieser PKW keinerlei Anstieg von Treib-hausgasen in der Atmosphäre zu erwarten ist. Für den Zeitraum bis zum 31. Oktober 2030 sollte der Vertrieb von Personenkraftwagen beschränkt werden anhand eines zulässigen Höchstmaßes an Treibhausgasemissionen aller verkauften PKW (Az. 3 O 12581/21).

Die Kläger sind Geschäftsführer bzw. stellvertretende Geschäftsführer des Deutschen Umwelthilfe e.V.. Sie machen mit der Klage geltend, der PKW-Vertrieb des beklagten Automobilherstellers führe zu Treibhausgasemissionen, die zu zwingenden rechtswidrigen Eingriffen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger führten. Produktion und Vertrieb der PKW seien daher, zeitlich gestaffelt, auf ein Höchstmaß an Treibhausgasemissionen zu begrenzen. Ein darüber hinaus gehender weiterer Vertrieb von PKW durch das beklagte Automobilunternehmen sei zu untersagen.

Der beklagte Automobilhersteller ist der Auffassung, der von den Klägern aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Anspruch scheitere schon daran, dass die Begrenzung von Fahrzeugemissionen auf europarechtlicher Ebene harmonisiert sei. Die europäischen Regelungen, die der beklagte Automobilhersteller umfassend befolge, gingen dem hier geltend gemachten Unterlassungsanspruch vor. Jedenfalls sei auch der Vortrag der Kläger zu den zukünftigen Auswirkungen der Treibhaus-gasemissionen auf das soziale Leben und den damit einhergehenden zu befürchtenden Ein-schränkungen zu abstrakt, um darauf Unterlassungsansprüche zu stützen. Schließlich ergebe sich im Rahmen einer Gesamtabwägung mit den grundrechtlich verbürgten Berufs- und Eigentumsfreiheiten des beklagten Automobilherstellers, dass die beantragte Vertriebsunterlassung nicht zu begründen sei.

Das Landgericht hat entschieden, dass der von den Klägern geltend gemachte Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht von vorneherein ausgeschlossen ist. Derzeit drohe jedoch noch kein rechtswidriger Eingriff in den Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Nach jetziger Abwägung aller Umstände seien die geltend gemachten Unterlassungsansprüche zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung deshalb unbegründet.

Zu berücksichtigen sei bei der gebotenen Interessenwägung, dass sowohl der nationale als auch der europäische Gesetzgeber eine Vielzahl von Regelungen erlassen habe, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Diesen Regelungen lägen umfassende Abwägungen der Interessen und Belange aller Beteiligten zu Grunde. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, mit Gesetzeskraft entschieden, es könne aktuell nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber seinen durch die Grundrechte vorgegebenen Spielraum insofern überschreite.

Ausgehend auch von dieser aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts seien keine Besonderheiten ersichtlich, die gegenwärtig zu einer abweichenden zivilrechtlichen Bewertung führten. Über die öffentlich-rechtlichen Pflichten hinausgehende zivilrechtliche Pflichten der Beklagten, etwa wegen Fehlens einer gesetzlichen Regelung, bestehen nach Auffassung der Kammer jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Regierung wie Gesetzgeber werden zudem stets die Effektivität ihrer Maßnahmen zur Sicherung der Klimaschutzziele zu überprüfen haben, wobei gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen sein werden.

Im Ergebnis sei daher der von den Klägern geltend gemachte, auf ihr intertemporales Allgemeines Persönlichkeitsrecht gestützter Abwehranspruch derzeit nicht begründet.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Zum Hintergrund:

Das Bundesverfassungsgericht erklärte mit Beschluss vom 24.3.2021, Az. 1 BvR 22656/18, die Regelungen in § 3 Abs. 1 S. 2 und § 4 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Anlage 2 KSG für mit dem Grundgesetz unvereinbar und gab dem Gesetz-geber auf, die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume nach 2030 bis zum 31.12.2022 unter Beachtung der Maßgaben dieses Beschlusses näher zu regeln.Das Bundesverfassungsgericht führte insoweit unter anderem Folgendes aus:

„Jeder konkrete Verbrauch verbleibender CO2-Mengen verringert das Restbudget und die Möglichkeiten weiteren CO2–relevanten Freiheitsgebrauchs und verkürzt zugleich die Zeit für die Initiierung und Realisie-rung soziotechnischer Transformation.“ „Als intertemporale Freiheitssicherung schützen die Grundrechte die Bf. hier vor einer einseitigen Verlage-rung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft.“ „Die Grundrechte verpflichten den Gesetzgeber, die nach Art. 20a GG verfassungsrechtlich gebotenen notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend so zu gestalten, dass die damit verbundenen Freiheitseinbußen trotz steigender Klimaschutzanforderungen weiterhin zumutbar ausfallen und die Reduktionslasten über die Zeit und zwischen den Generationen nicht einseitig zulasten der Zukunft verteilt wird.“ (Az 192)„…Art. 20a GG ist eine justiziable Rechtsnorm, die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die besonders betroffenen künftigen Generationen binden soll.“ „Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz.“ „Wenn Regierung und Gesetzgeber danach davon ausgehen, dass bei einer Begrenzung des Anstiegs der Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst 1,5 °C (§ 1 Satz 3 KSG) die Folgen des Kli-mawandels in Deutschland durch Anpassungsmaßnahmen so weit gelindert werden könnten, dass das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebotene Schutzniveau gewahrt wird, überschreiten sie jedenfalls gegenwärtig nicht ihren durch die grundrechtliche Schutzpflicht belassenen Entscheidungsspielraum.“

In der geänderten Fassung vom 18.8.2021 sieht das Bundesklimaschutzgesetz (KSG) nunmehr in § 3 folgen-de Regelung vor:
„(1) Die Treibhausemissionen werden im Vergleich zum Jahr 1990 schrittweise wie folgt gemindert: 1. bis zum Jahr 2030 um mindestens 65 %,2. bis zum Jahr 2040 um mindestens 88 %. (2) Bis zum Jahr 2045 werden die Treibhausgasemissionen so weit gemindert, dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht wird. Nach dem Jahr 2050 sollen negative Treibhausemissionen erreicht werden.“



EuGH: Deutsche Umwelthilfe darf EG-Typengenehmigung für Fahrzeuge mit möglicherweise verbotener Abschalteinrichtung vor Gericht anfechten

EuGH
Urteil vom 08.11.2022
C-873/19
Deutsche Umwelthilfe (Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen)


Der EuGH hat entschieden, dass Umweltvereinigungen wie die Deutsche Umwelthilfe die EG-Typengenehmigung für Fahrzeuge mit möglicherweise verbotener Abschalteinrichtung vor Gericht anfechten dürfen.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Anerkannte Umweltvereinigungen müssen eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge, die mit möglicherweise verbotenen „Abschalteinrichtungen“ ausgestattet sind, vor Gericht anfechten können

Eine Software für Dieselfahrzeuge, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei üblichen Temperaturen und während des überwiegenden Teils des Jahres verringert, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar

Die Deutsche Umwelthilfe, eine nach deutschem Recht zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigte anerkannte Umweltvereinigung, ficht vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht die Entscheidung des Kraftfahrt-Bundesamts an, mit der für bestimmte Fahrzeuge der Marke Volkswagen1 die Verwendung einer Software zur Verringerung des Recyclings von Schadstoffen nach Maßgabe der Außentemperatur genehmigt wurde.

Die fragliche Software legt ein Thermofenster fest, bei dem die Abgasrückführungsrate bei einer Umgebungstemperatur unter – 9 Grad Celsius bei 0 % liegt, zwischen – 9 und 11 Grad Celsius bei 85 % und über 11 Grad Celsius ansteigt, um erst ab einer Umgebungstemperatur von über 15 Grad Celsius 100 % zu erreichen. Bei der in Deutschland festgestellten Durchschnittstemperatur, die im Jahr 2018 10,4 Grad Celsius betragen haben soll, liegt die Abgasrückführungsrate also nur bei 85 %.

Nach Auffassung der Deutschen Umwelthilfe stellt ein solches Thermofenster eine gemäß dem Unionsrecht unzulässige Abschalteinrichtung dar. Die Bundesrepublik Deutschland, gegen die sich die Klage richtet, macht geltend, dass die Deutsche Umwelthilfe für eine Anfechtung der streitigen Entscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung geändert wird, nicht klagebefugt und ihre Klage daher unzulässig sei. Im Übrigen sei das in Rede stehende Thermofenster mit dem Unionsrecht vereinbar.

Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht, das in Bezug auf diese beiden Punkte Zweifel hat, hat den Gerichtshof um Auslegung zum einen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Verbindung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und zum anderen der Verordnung Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge ersucht.

Mit seinem heutigen Urteil antwortet der Gerichtshof erstens, dass das Übereinkommen von Aarhus in Verbindung mit der Charta dahin auszulegen ist, dass es einer Umweltvereinigung, die nach nationalem Recht zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigt ist, nicht verwehrt werden darf, eine Verwaltungsentscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, die möglicherweise gegen das Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von
Emissionskontrollsystemen verringern, verstößt, vor einem innerstaatlichen Gericht anzufechten.

Das Übereinkommen von Aarhus verpflichtet nämlich in Verbindung mit der Charta die Mitgliedstaaten dazu, einen wirksamen gerichtlichen Schutz zu gewährleisten, und verbietet es ihnen, Umweltvereinigungen jede Möglichkeit zu nehmen, die Beachtung bestimmter Vorschriften des Unionsumweltrechts überprüfen zu lassen. Zweitens erinnert der Gerichtshof, was das fragliche Thermofenster betrifft, daran, dass er in Bezug auf ein identisches Thermofenster bereits entschieden hat , dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1 000 Höhenmetern erfolgt, eine
„Abschalteinrichtung“ darstellt.

Nach der Verordnung Nr. 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Jedoch kann eine Abschalteinrichtung, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Ob dies hier der Fall ist, hat das vorlegende Gericht zu prüfen.
Außerdem ist, wie der Gerichtshof ebenfalls bereits entschieden hat, eine solche „Notwendigkeit“ der Verwendung einer Abschalteinrichtung nur dann gegeben, wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann.

Der Gerichtshof weist jedenfalls darauf hin, dass selbst bei Vorliegen der oben beschriebenen Notwendigkeit die Abschalteinrichtung, wenn sie während des überwiegenden Teils des Jahres unter normalen Fahrbedingungen funktionieren sollte, unzulässig ist. Ließe man nämlich eine solche Einrichtung zu, würde dies dazu führen, dass die Ausnahme häufiger zur Anwendung käme als das Verbot, wodurch der Grundsatz der Begrenzung der Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen unverhältnismäßig beeinträchtigt würde.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Zwangshaft gegen Verantwortliche nationaler Behörden wegen Nichtumsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität nur bei hinreichend präziser Rechtsgrundlage und Wahrung der Verhäl

EuGH
Urteil vom 19.12.2019
C-752/18
Deutsche Umwelthilfe ./. Freistaat Bayern


Der EuGH hat entschieden, dass die Verhängung von Zwangshaft gegen Verantwortliche nationaler Behörden wegen Nichtumsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität nur bei hinreichend präziser Rechtsgrundlage und Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig ist. Dies habe ier Bayerische Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall nun zu prüfen.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Um die Verantwortlichen des Freistaats Bayern dazu anzuhalten, in München Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität (wie ein Verkehrsverbot für bestimmte Dieselfahrzeuge) zu treffen, kann nur dann Zwangshaft gegen sie verhängt werden, wenn es dafür im nationalen Recht eine hinreichend zugängliche, präzise und in ihrer Anwendung vorhersehbare Rechtsgrundlage gibt und wenn die Zwangsmaßnahme verhältnismäßig ist

Es ist Sache des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind

Mit seinem heutigen Urteil hat sich der Gerichtshof erstmals dazu geäußert, ob die nationalen Gerichte befugt oder sogar verpflichtet sind, Zwangshaft gegen die Verantwortlichen nationaler Behörden zu verhängen, die sich beharrlich weigern, einer gerichtlichen Entscheidung nachzukommen, mit der ihnen aufgegeben wird, ihre unionsrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen.

Der Gerichtshof ist im Rahmen eines Rechtsstreits angerufen worden, den die Deutsche Umwelthilfe, eine deutsche Umweltschutzorganisation, gegen den Freistaat Bayern wegen dessen beharrlicher Weigerung führt, zur Umsetzung der Richtlinie 2008/50 über Luftqualität die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit in der Stadt München der Grenzwert für Stickstoffdioxid eingehalten wird. Der Freistaat Bayern wurde im Jahr 2012 dazu verurteilt, seinen für diese Stadt geltenden Luftreinhalteplan zu ändern. Im Jahr 2016 wurde er unter Androhung von Zwangsgeld aufgefordert, seinen Verpflichtungen nachzukommen, u. a. durch Verkehrsverbote für bestimmte Fahrzeuge mit Dieselmotor in Teilen des Stadtgebiets. Da der Freistaat sich jedoch weigerte, diese Anordnungen zu befolgen, wurde im Jahr 2017 ein Zwangsgeld in Höhe von 4 000
Euro gegen ihn festgesetzt, das er beglich. Er weigert sich weiterhin, die Anordnungen zu befolgen, und seine Vertreter haben öffentlich erklärt, dass er seinen Verpflichtungen nicht nachkommen werde. Deshalb beantragte die Deutsche Umwelthilfe zum einen, gegen ihn ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 4 000 Euro festzusetzen. Diesem Antrag wurde mit Beschluss vom 28. Januar 2018 stattgegeben. Zum anderen beantragte sie, gegen die Verantwortlichen des Freistaats (die Staatsministerin für Umwelt und Verbraucherschutz oder, hilfsweise, den Ministerpräsidenten) Zwangshaft zu verhängen. Dies wurde mit Beschluss gleichen Datums abgelehnt. Der vom Freistaat angerufene Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Festsetzung des Zwangsgelds bestätigt und den Gerichtshof um Vorabentscheidung darüber ersucht, ob
Zwangshaft verhängt werden kann. Er hat ausgeführt, die Auferlegung von Zwangsgeldern sei nicht geeignet, an dem Verhalten des Freistaats etwas zu ändern, da sie ihm wieder zuflössen und nicht mit einer Vermögenseinbuße einhergingen. Überdies sei die Verhängung von Zwangshaft aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dem Gerichtshof daher die Frage vorgelegt, ob das Unionsrecht, insbesondere das durch Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, dahin auszulegen ist, dass es die nationalen Gerichte zum Erlass einer solchen Maßnahme ermächtigt oder sogar verpflichtet.

Der Gerichtshof hat entschieden, dass unter Umständen, die durch die beharrliche Weigerung einer nationalen Behörde gekennzeichnet sind, einer gerichtlichen Entscheidung nachzukommen, mit der ihr aufgegeben wird, eine klare, genaue und unbedingte Verpflichtung zu erfüllen, die sich aus dem Unionsrecht, etwa aus der Richtlinie 2008/50, ergibt, das zuständige nationale Gericht Zwangshaft gegen die Verantwortlichen des Freistaats Bayern zu verhängen hat, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen muss es im innerstaatlichen Recht eine hinreichend zugängliche, präzise und in ihrer Anwendung vorhersehbare Rechtsgrundlage für den Erlass einer solchen Maßnahme geben. Zum anderen muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.

Insoweit hat der Gerichtshof zunächst darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Unionsrechts zu gewährleisten haben, dass das sowohl in Art. 47 der Charta als auch, für den Umweltbereich, in Art. 9 Abs. 4 des Aarhus-Übereinkommens verankerte Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewahrt ist. Dieses Recht ist umso bedeutsamer, als das Unterbleiben der von der Richtlinie 2008/50 vorgegebenen Maßnahmen die Gesundheit von Personen gefährden würde. Nationale Rechtsvorschriften, die zu einer Situation führen, in der das Urteil eines Gerichts wirkungslos bleibt, verletzen aber den Wesensgehalt dieses Rechts und nehmen ihm jede praktische Wirksamkeit. In einem solchen Fall muss das nationale Gericht sein nationales Recht so auslegen, dass es so weit wie möglich im Einklang mit den Zielen der genannten Bestimmungen steht; ist es dazu außerstande, muss es jede nationale Bestimmung unangewendet lassen, die dem unmittelbare Wirkung entfaltenden Unionsrecht entgegensteht.

Der Gerichtshof hat jedoch hinzugefügt, dass die Beachtung der letztgenannten Verpflichtung nicht dazu führen darf, dass ein anderes Grundrecht verletzt wird, und zwar das durch Art. 6 der Charta garantierte und durch die Zwangshaft eingeschränkte Recht auf Freiheit. Da das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz kein absolutes Recht ist und nach Art. 52 Abs. 1 der Charta Einschränkungen unterliegen kann, ist eine Abwägung der in Rede stehenden Grundrechte vorzunehmen. Um den Anforderungen von Art. 52 Abs. 1 der Charta zu genügen, muss eine Rechtsvorschrift, die es einem Gericht gestattet, einer Person ihre Freiheit zu entziehen, zunächst hinreichend zugänglich, präzise und in ihrer Anwendung vorhersehbar sein, um jede Gefahr von Willkür zu vermeiden; dies zu beurteilen ist Sache des vorlegenden Gerichts. Überdies darf auf die Verhängung von Zwangshaft, da mit ihr ein Freiheitsentzug verbunden ist, aufgrund der Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben, nur zurückgegriffen werden, wenn es keine weniger einschneidende Maßnahme (wie z. B. mehrere hohe Geldbußen in kurzen Zeitabständen, die nicht letzten Endes dem Haushalt zufließen, aus dem sie stammen) gibt; auch dies hat das
vorlegende Gericht zu prüfen. Nur für den Fall, dass die mit der Verhängung von Zwangshaft verbundene Einschränkung des Rechts auf Freiheit diesen Voraussetzungen genügt, würde das Unionsrecht den Rückgriff auf eine solche Maßnahme nicht nur gestatten, sondern gebieten. Hinzu kommt, dass ein Verstoß gegen die Richtlinie 2008/50 vom Gerichtshof im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage festgestellt werden und zur Haftung des Staates für die daraus resultierenden Schäden führen kann.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




Volltext BGH: Wettbewerbsrechtliche Abmahnungen der Deutschen Umwelthilfe sind nicht rechtsmissbräuchlich

BGH
Urteil vom 04.07.2019
I ZR 149/18
Umwelthilfe
UWG § 3 Abs. 1, §§ 3a, 8 Abs. 1 Satz 1, § 8 Abs. 3 Nr. 3, § 8 Abs. 4 Satz 1; Pkw-EnVKV § 5 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1; UKlaG § 4


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Abmahnungen der Deutschen Umwelthilfe sind nicht rechtsmissbräuchlich - Abmahnung eines Autohauses wegen fehlender Verbraucherinformationen zu Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen in der Werbung über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Ob ein beanstandetes Verhalten eines Verbraucherverbands bei der Anspruchsverfolgung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§ 8 Abs. 4 Satz 1 UWG) oder unter dem Gesichtspunkt der Klagebefugnis (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 und 3 UWG) zu prüfen ist, richtet sich danach, ob der Vorwurf auf das Vorgehen im konkreten Fall zielt oder auf die allgemeine Ausnutzung der durch die Eintragung nach § 4 Abs. 2 UKlaG erworbenen Rechtsposition.

b) Die für die Klagebefugnis qualifizierter Einrichtungen gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG konstitutiv wirkende Eintragung in die Liste nach § 4 Abs. 1 UKlaG obliegt dem Bundesamt für Justiz. Bei der Prüfung, ob eine rechtsmissbräuchliche Anspruchsverfolgung vorliegt, können Zivilgerichte einen vom Bundesamt für Justiz bereits geprüften Umstand aber berücksichtigen, wenn dieser als doppelrelevante Tatsache auch einen Anhaltspunkt für einen Rechtsmissbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG geben kann.

c) Überschüsse aus einer Marktverfolgungstätigkeit und ihre Verwendung (auch) für andere Zwecke, als die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen im Verbraucherinteresse, sind jedenfalls solange kein Indiz für eine rechtmissbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen, wie der Verbraucherschutz durch Marktüberwachung als Verbandszweck nicht lediglich vorgeschoben ist, tatsächlich aber nur dazu dient, Einnahmen zu erzielen und damit Projekte zu finanzieren, die nicht dem Verrbraucherschutz durch die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen dienen.

BGH, Urteil vom 4. Juli 2019 - I ZR 149/18 - OLG Stuttgart - LG Stuttgart

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Abmahnungen der Deutschen Umwelthilfe sind nicht rechtsmissbräuchlich - Abmahnung eines Autohauses wegen fehlender Verbraucherinformationen zu Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen in der Werbu

BGH
Urteil vom 4. Juli 2019
I ZR 149/18


Der BGH hat entschieden, dass die Abmahnungen der der Deutschen Umwelthilfe (DUH) nicht rechtsmissbräuchlich sind. In dem Rechtsstreit ging es um die Abmahnung eines Autohauses wegen fehlender Verbraucherinformationen zu Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen in der Werbung.

Die Pressemitteilung des BGH:

Zum Einwand des Rechtsmissbrauchs gegenüber der Deutschen Umwelthilfe

Der unter anderem für Ansprüche aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass einer Unterlassungsklage der Deutschen Umwelthilfe gegen die Werbung eines Autohauses, die nicht alle gesetzlich vorgeschriebenen Verbraucherinformationen zum offiziellen Kraftstoffverbrauch und den CO2-Emissionen enthält, nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden kann.

Sachverhalt:

Die Klägerin ist die Deutsche Umwelthilfe e.V., ein in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 Abs. 1 UKlaG* eingetragener Verbraucherverband. Die Beklagte betreibt ein Autohaus und bewarb auf ihrer Internetseite ein Neufahrzeug. Für Informationen zum offiziellen Kraftstoffverbrauch sowie den CO2-Emissionen wurde in der Werbung auf einen im Autohaus ausliegenden Leitfaden verwiesen. Die Klägerin sieht darin einen Verstoß gegen die Verordnung über Verbraucherinformationen zu Kraftstoffverbrauch, CO2-Emissionen und Stromverbrauch neuer Personenkraftwagen (Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung) und hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen. Die Beklagte hält die Klage für rechtsmissbräuchlich und in der Sache für unbegründet.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klage stehe der Einwand des Rechtsmissbrauchs aus § 8 Abs. 4 UWG nicht entgegen. Insbesondere ließen die von der Klägerin mit ihrer Marktüberwachung erzielten Überschüsse und deren Verwendung sowie die Höhe der an ihre Geschäftsführer gezahlten Vergütung auch in der Gesamtschau aller Umstände nicht auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten schließen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die auf Fragen der Zulässigkeit der Klage beschränkte Revision der Beklagten zurückgewiesen. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs aus § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG ist vom Berufungsgericht mit Recht verneint worden.

Überschüsse aus einer Marktverfolgungstätigkeit und ihre Verwendung (auch) für andere Zwecke, als die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen im Verbraucherinteresse, sind jedenfalls solange kein Indiz für eine rechtmissbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen, wie der Verbraucherschutz durch Marktüberwachung als Verbandszweck nicht lediglich vorgeschoben ist, tatsächlich aber nur dazu dient, Einnahmen zu erzielen und damit Projekte zu finanzieren, die nicht dem Verbraucherschutz durch die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen dienen. Das ist hier nicht der Fall. Gibt es eine Vielzahl von Verstößen gegen eine dem Verbraucherschutz dienende Kennzeichnungs- oder Informationspflicht, setzt eine effektive Durchsetzung von Verbraucherinteressen eine damit korrespondierende Vielzahl von Abmahnungen und - soweit keine Unterlassungserklärungen abgegeben werden - gerichtlicher Verfahren voraus. Solange nicht weitere Umstände hinzutreten, können deshalb allein die Zahl von Abmahnungen und Unterlassungsklagen sowie damit erzielte Überschüsse den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht begründen. Sonst wäre die Klägerin gezwungen, ihre Marktüberwachung nach einer bestimmten Anzahl von Abmahnungen oder erwirkter Vertragsstrafen einzustellen, sobald sie ihre darauf entfallenen Kosten gedeckt hätte.

Eine den Verdacht des Rechtsmissbrauchs begründende Gewinnerzielungsabsicht folgt auch nicht aus der Höhe der Vergütung der beiden Geschäftsführer. Neben den Aufwendungen für eine satzungsgemäße Betätigung der Klägerin machten die Geschäftsführergehälter in den Jahren 2015 und 2016 jeweils nur einen Bruchteil der jährlichen Gesamtaufwendungen der Klägerin aus. Damit ist ausgeschlossen, dass der eigentliche Zweck der Klägerin darin liegt, Einnahmen für Personalkosten zu generieren und nicht Verbraucherinteressen zu verfolgen.

Die vorläufige Streitwertangabe der Klägerin von 30.000 € für die Unterlassungsklage bildet unter Berücksichtigung der insgesamt uneinheitlichen Spruchpraxis der Oberlandesgerichte kein Indiz für eine rechtsmissbräuchliche Anspruchsverfolgung. Die von der Klägerin verlangte Abmahnkostenpauschale ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kostendeckend und lässt keine rechtsmissbräuchliche Gewinnerzielungsabsicht erkennen. Auch die Zuwendungen an die Klägerin in Form von Spenden und Sponsoring von Toyota rechtfertigt nicht die Annahme eines Rechtsmissbrauchs; nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben sie nicht zu einer unsachlichen Ungleichbehandlung von Toyota bei der Verfolgung von umweltbezogenen, verbraucherrelevanten Rechtsverstößen oder in der Kampagnenführung der Klägerin geführt.

Vorinstanzen:

LG Stuttgart - Urteil vom 13. Dezember 2016 - 41 O 31/16 KfH -

OLG Stuttgart - Urteil vom 2. August 2018 - 2 U 165/16 -

Karlsruhe, den 4. Juli 2019

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 4 UKlaG auszugsweise:

(1) 1Das Bundesamt für Justiz führt die Liste der qualifizierten Einrichtungen, die es auf seiner Internetseite in der jeweils aktuellen Fassung veröffentlicht und mit Stand 1. Januar eines jeden Jahres im Bundesanzeiger bekannt macht. 2(…)

(2) 1In die Liste werden auf Antrag rechtsfähige Vereine eingetragen, zu deren satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, Interessen der Verbraucher durch nicht gewerbsmäßige Aufklärung und Beratung wahrzunehmen, wenn

1. (…),

2. (…),

3. auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit gesichert erscheint, dass sie ihre satzungsmäßigen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen werden.

(…)

(4) Ergeben sich in einem Rechtsstreit begründete Zweifel an dem Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 2 bei einer eingetragenen Einrichtung, so kann das Gericht das Bundesamt für Justiz zur Überprüfung der Eintragung auffordern und die Verhandlung bis zu dessen Entscheidung aussetzen.

§ 8 UWG auszugsweise:

(1) 1Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. (…)

(…)

(3) Die Ansprüche aus Absatz 1 stehen zu:

1. (…);

2. (…);

3. qualifizierten Einrichtungen, die nachweisen, dass sie in der Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes oder in dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 110 vom 1.5.2009, S. 30) eingetragen sind;

4. (…).

(4) 1Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. (…)




VG Düsseldorf: Deutsche Umwelthilfe e.V. kann von Stadt Düsseldorf nicht die Stilllegung von Fahrzeugen mit Schummel-Dieselmotoren von VW des Typs EA 189 EU5 verlangen

VG Düsseldorf
Urteil vom 24.01.2018
6 K 12341/17


Das VG Düsseldorf hat entschieden, dass der Deutsche Umwelthilfe e.V. kann von der Stadt Düsseldorf nicht die Stilllegung von Fahrzeugen mit Schummel-Dieselmotoren von VW des Typs EA 189 EU5 verlangen kann.

Kein Anspruch der Deutschen Umwelthilfe auf Stilllegung von Fahrzeugen mit Dieselmotoren des Typs EA 189 EU5

Die Klage der Deutschen Umwelthilfe e.V. gegen die Stadt Düsseldorf auf Stilllegung von Dieselfahrzeugen, die mit dem Motorenaggregat EA 189 EU5 des Volkswagen-Konzerns ausgestattet sind, ist mangels Klagebefugnis des Umweltverbandes bereits unzulässig. Außerdem ist die Klage unbegründet, weil die laufenden Nachrüstungen dazu führen, dass die betroffenen Autos die maßgeblichen Emissionsgrenzwerte einhalten. Das hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit heute in öffentlicher Sitzung verkündetem Urteil entschieden und damit die Klage abgewiesen.

Die Deutsche Umwelthilfe will mit der Klage erreichen, dass der Betrieb aller in Düsseldorf zugelassenen Kraftfahrzeuge mit dem o.a. Motorentyp unterbunden wird. Die Fahrzeuge sind ab Werk mit einer unzulässigen Abgas-Abschalteinrichtung ausgestattet. Nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt gegenüber dem Volkswagen-Konzern angeordnet hatte, die entsprechende Software auszuwechseln, erhalten die Fahrzeuge im Rahmen einer Rückrufaktion ein Software-Update, das die Abschaltvorrichtung entfernt.

Das Gericht hat nun entschieden, dass der Deutschen Umwelthilfe ein Klagerecht nicht zusteht. In der mündlichen Urteilsbegründung hat der Vorsitzende Richter ausgeführt: Zur Begründung einer Klagebefugnis sei grundsätzlich notwendig, dass ein Kläger eine Verletzung in eigenen Rechten geltend mache. Daran fehle es, da der Umweltverband allein Verstöße gegen objektiv-rechtliche Vorschriften des Umweltrechts rüge. Ein Klagerecht könne auch nicht aus § 2 Abs. 1 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes hergeleitet werden. Denn das Gesetz habe die Entscheidungen, die Gegenstand von Klagerechten sein könnten, abschließend geregelt. Es erfasse die straßenverkehrsrechtliche Zulassung eines Fahrzeugs bzw. dessen Außerbetriebsetzung nicht. Aus einschlägigen europarechtlichen Normen folge ebenfalls kein Klagerecht.

Die Klage habe darüber hinaus auch in der Sache keinen Erfolg. Nach Durchführung des Software-Updates liefen die Motoren dauerhaft in dem Modus, der auf dem Rollenprüfstand die Grenzwerte einhalte. Die Abschalteinrichtung sei deaktiviert. Nach dem EU-Kfz-Zulassungsrecht komme es nur darauf an, die Grenzwerte auf dem Rollenprüfstand einzuhalten. Der Abgasausstoß auf der Straße sei zulassungsrechtlich unerheblich. Dabei obliege es den Straßenverkehrs-zulassungsbehörden festzulegen, bis wann Fahrzeuge, die noch kein Software-Update enthalten hätten, spätestens nachzurüsten seien. Erst wenn zu diesem Zeitpunkt keine Nachrüstung vorgenommen worden sei, könnten die Fahrzeuge stillgelegt werden.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat die Kammer sowohl die Berufung zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster als auch die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugelassen. Das jeweilige Rechtsmittel ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils einzulegen.

LG Düsseldorf: Deutsche Umwelthilfe eV darf Pressemitteilung über reale Emissionswerte des Volkswagen Golf Diesel Euro 5 nicht weiter verbreiten.

LG Düsseldorf
Urteil vom 31.05.2017
12 O 68/16


Das LG Düsseldorf hat dem Deutsche Umwelthilfe eV untersagt, seine Pressemitteilung über die angeblich realen Emissionswerte des Volkswagen Golf Diesel Euro 5 nicht weiter verbreiten. Nach Einschätzung erweckt die Pressemitteilung einen falschen Eindruck über das Fahrzeug.

Die Pressemitteilung des LG Düsseldorf:

Erfolg für die Volkswagen AG: Deutsche Umwelthilfe eV darf ihre Pressemitteilung nicht weiter veröffentlichen

Mit Urteil vom 31. Mai 2017 (12 O 68/17) hat die 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf ihre am 29.03.2017 erlassene einstweilige Verfügung bestätigt. Die Deutsche Umwelthilfe eV darf nicht den Eindruck erwecken, die für den Golf Diesel (Euro 5) im realen Fahrbetrieb ermittelten Emissionswerte
zeigten, dass die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden.

Die Volkswagen AG hatte sich zunächst im März 2017 mit einer einstweiligen Verfügung erfolgreich gegen die Pressemitteilung der Deutsche Umwelthilfe eV vom 14.03.2017 gewehrt. Anlass der Pressemitteilung war eine Überprüfung der Stickoxide eines VW Golf VI Variant gewesen, der zuvor von der VW AG nachgerüstet worden war. Hintergrund dieser SoftwareNachrüstung war der im Herbst 2015 bekannt gewordene Umstand, dass bestimmte Dieselmotoren von VW über eine Motorsteuergerätesoftware mit
Fahrzykluserkennung verfügen, so dass der Motor unter Laborbedingungen mehr Abgase zurückführt und sich weniger Stickoxide bilden. Im realen Fahrbetrieb befindet sich das Fahrzeug in einem anderen Modus, in dem wesentlich mehr Stickoxide gebildet werden.

Die 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf hat entschieden, dass der verständige Leser die angegriffene Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe vom 14.03.2017 so versteht, dass die beim Golf Diesel (Euro 5) im realen Fahrbetrieb ermittelten Emissionswerte nicht die gesetzliche Grenze der
Emissionen einhalten, obwohl die Software des Golf nachgerüstet ist. Dieser Eindruck ist falsch. Es handelt sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung der Deutschen Umwelthilfe eV, die sie zu unterlassen hat.

Im Einzelnen setzt sich das Gericht mit zehn Aussagen aus der Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe eV vom 14.03.2017 auseinander. In der Gesamtschau, also im Zusammenhang der gesamten Pressemitteilung, erwecken die Aussagen beim unvoreingenommenen Leser einen falschen
Eindruck und greifen damit rechtswidrig in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Volkswagen AG ein. Die Deutsche Umwelthilfe eV könne sich nicht auf freie Meinungsäußerung berufen. Denn der mit der Pressemitteilung erweckte Eindruck „Nichteinhaltung der gesetzlichen Grenzwerte“ sei unwahr. Grenzwerte für Stickoxide sind in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 geregelt. Danach sind die Emissionsgrenzwerte unter Laborbedingungen und nicht im realen Straßenverkehr zu messen. Dass
zukünftig nach der Verordnung (EG) 2016/427 Emissionen im tatsächlichen stattfinden sollen, ändere an der derzeit geltenden Gesetzeslage mit Messungen im Laborbetrieb nichts.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig; die Deutsche Umwelthilfe eV kann Berufung zum Oberlandesgericht einlegen. Der Streitwert beträgt 1 Mio €.