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OLG Nürnberg: Ausschöpfen der gesetzlichen Berufungsfrist und Berufungsbegründungsfrist im einstweiligen Verfügungsverfahren regelmäßig nicht dringlichkeitsschädlich

OLG Nürnberg
Urteil vom 24.10.2023
3 U 965/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass das Ausschöpfen der gesetzlichen Berufungsfrist und Berufungsbegründungsfrist im einstweiligen Verfügungsverfahren regelmäßig nicht dringlichkeitsschädlich ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
"Der Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers ergibt sich aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG.

1. Ein Werbeanruf gegenüber einem Verbraucher ist bei den unstreitig im November 2022 und am 08.12.2022 erfolgten Anrufen jeweils zu bejahen. Dazu genügt es, wenn im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses die Fortsetzung oder Erweiterung der Vertragsbeziehung (vgl. BGH GRUR 1995, 220 – Telefonwerbung V; OLG Frankfurt GRUR-RR 2013, 74 (75)) angestrebt wird; ferner, wenn ein Kunde abgeworben oder ein abgesprungener Kunde zur Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung bestimmt werden soll (und sei es auch nur durch Befragen nach den Gründen seines Wechsels; vgl. BGH GRUR 1994, 380 (382) – Lexikothek) oder ein Kunde von der Ausübung eines Vertragsauflösungsrechts (Widerruf, Rücktritt, Kündigung, Anfechtung) abgehalten oder abgebracht werden soll (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 7 Rn. 151).

2. Die Verfügungsbeklagte bleibt bei beiden Anrufen glaubhaftmachungsbelastet für das Vorliegen einer ausdrücklichen Einwilligung.

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Einwilligung trägt der Werbende (BGH GRUR 2004, 517 (519) – E-Mail-Werbung I; BGH WRP 2013, 1579 Rn. 24 – Empfehlungs-E-Mail), im vorliegenden Fall somit die Verfügungsbeklagte. Wer mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher wirbt, hat nach § 7a UWG ab dem 01.10.2021 sogar dessen vorherige ausdrückliche Einwilligung in angemessener Form zu dokumentieren und gemäß § 7a Abs. 2 S. 1 UWG aufzubewahren.

Hinsichtlich des Anrufs Anfang November 2022 behauptet die Verfügungsbeklagte eine Einwilligung nicht. Vielmehr ist unstreitig, dass Frau B. gegenüber der Verfügungsbeklagten – nachdem sie die Riesterrente im Oktober 2022 beitragsfrei stellte – am 18.10.2022 per E-Mail (Anlage ASt 6) eine etwaig von ihr erteilte Einwilligung zur Kontaktaufnahme widerrief, was der Verfügungsbeklagten auch zuging (Anlage ASt 7). Auf die Anfrage der Verfügungsbeklagten vom 31.10.2022 zur Vereinbarung eines Termins (Anlage AG 1) reagierte Frau B. nicht.

In Bezug auf den zweiten Anruf vom 08.12.2022 steht eine Einwilligung von Frau B. zwischen den Parteien im Streit. Während die Verfügungsbeklagte durch eidesstattliche Versicherung von Frau N. (Anlage AG 3) glaubhaft machte, dass Frau B. beim ersten Anruf im November ihr mitgeteilt habe, dass sie sich im Augenblick des Telefonats in der Arbeit befinde und deshalb um einen weiteren Anruf „in den nächsten Tagen“ bat, machte der Verfügungskläger durch eidesstattliche Versicherung von Frau B. (Anlage ASt 8) glaubhaft, dass ein derartiger Wunsch von ihr nicht geäußert worden sei. Vielmehr habe sie in diesem Telefonat mitgeteilt, dass sie – wie beim letzten Telefonat bereits erwähnt – kein Interesse an einem Termin habe und jetzt nur ran gegangen sei, um nochmal klar zu kommunizieren, dass die Verfügungsbeklagte aufhören solle, sie zu kontaktieren. Aufgrund der sich widersprechenden eidesstattlichen Versicherungen bleibt die Verfügungsklägerin für eine Einwilligung glaubhaftmachungsbelastet, zumal eine hinreichende Dokumentation i.S.v. § 7a UWG von ihr nicht behauptet wird.

II.Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG ist nicht widerlegt.

1. Die Vermutung der Dringlichkeit gilt als widerlegt, wenn der Verfügungskläger durch sein Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass es „ihm nicht eilig ist“. Das ist der Fall, wenn er längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grob fahrlässig nicht kennt. Entscheidend ist dabei allein der Zeitpunkt, zu welchem der Verfügungsklagepartei die maßgeblichen Tatsachen bekannt geworden sind (OLG Nürnberg, GRUR-RR 2019, 131, Rn. 46 – Schnupfenmittel; OLG Nürnberg WRP 2021, 944 Rn. 38).

2. Im vorliegenden Fall ist die Vermutung der Dringlichkeit nicht durch zögerliche Antragstellung (selbst) widerlegt. Der Verfügungskläger führte auf den gerichtlichen Hinweis in der Terminsladung aus, dass er von den beiden Telefonanrufen vom November 2022 und 08.12.2022 am 21.12. oder 22.12. Kenntnis erlangt habe und dass am 23.12. Frau B. dann die Belege (Anlagen ASt 6, 7, 9 sowie den in ihrer eidesstattlichen Versicherung wiedergegebenen Screenshot des Telefonanrufs) übersandt habe. Nachdem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 17.01.2023 datiert, erfolgte die Antragstellung innerhalb der Monatsfrist.

Dass die Verfügungsbeklagte den Zeitpunkt der Kenntniserlangung bestreitet, führt zu keiner anderen Beurteilung. Grundsätzlich ist es Sache der Verfügungsbeklagten, die Dringlichkeitsvermutung zu widerlegen, also eine frühere Kenntnis auf Seiten des Verfügungsklägers darzulegen und glaubhaft zu machen (OLG Hamburg, MDR 2002, 1026, juris-Rn. 26). Nur wenn objektive, darauf hindeutende Umstände vorliegen, dass der Verletzte bereits vor mehr als einem Monat vor Einleitung des Verfügungsverfahrens Kenntnis von der Verletzungshandlung erlangt hat, obliegt es ihm, vorzutragen und glaubhaft zu machen, dass dies nicht zutrifft (OLG München, GRUR 1994, 670 [Leitsatz], MDR 1993, 688, juris-Rn. 5). Derartige objektive Umstände sind im vorliegenden Fall weder von der Verfügungsbeklagten dargetan noch ersichtlich. Zwar erfolgten die streitgegenständlichen Telefonanrufe bereits im November 2022 und 08.12.2022. Es ist jedoch keineswegs unplausibel, dass die Kundin des Verfügungsklägers, Frau S. B., diesen anlässlich eines Kundengesprächs erst am 21.12. oder 22.12.2022 über die Anrufe informierte. Dieses Datum passt auch in den vom Verfügungskläger geschilderten weiteren zeitlichen Ablauf (Übersendung der Belege durch Frau B. am 23.12.2022, Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch Frau B. am 28.12.2022).

Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund der eidesstattlichen Versicherung von Frau N. vom 16.03.2023 veranlasst, in welcher Frau N. ausführte,
„dass Frau B. mir erklärte, dass sie sich unterdessen mit ihrem Berater besprochen hätte, der ihr gesagt habe, dass sie den Riestervertrag beitragsfrei gestellt lassen solle und dass sie sich auf kein Gespräch einlassen solle.“

Zum einen bestätigt Frau B. eine derartige Äußerung in ihrer eidesstattlichen Versicherung nicht. Zum anderen ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung nicht, ob Frau B. mit Berater den Verfügungskläger meinte. Schließlich kann den Ausführungen nicht entnommen werden, ob Frau B. ihren Berater auch über die unzulässigen Telefonanrufe informierte.

3. Das Ausschöpfen der zur Einlegung und Begründung der Berufung gesetzlich vorgesehenen Fristen (§ 517, § 520 Abs. 2 ZPO) ist im vorliegenden Fall nicht dringlichkeitsschädlich.

Zwar haben die gesetzlichen Berufungseinlegungs- und -begründungsfristen mit der Dringlichkeit an sich nichts zu tun (Teplitzky, WRP 2013, 1414 Rn. 10 ff.). Die Funktion der Rechtsmittelfristen ist es, in Zivilverfahren einen für beide Parteien verlässlichen zeitlichen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen ein Rechtsmittel zulässig ist. Diese Funktion wird vom Ergebnis der Dringlichkeitsprüfung nicht berührt, da das Rechtsmittel auch dann zulässig bleibt, wenn der Verfügungsgrund verneint wird.

Dennoch schließt sich der Senat der im Wettbewerbsrecht weit überwiegend vertretenen Auffassung an, wonach das volle Ausschöpfen der gesetzlichen Berufungseinlegungs- und -begründungsfristen in der Regel nicht dringlichkeitsschädlich ist (MüKoUWG/Schlingloff, 3. Aufl. 2022, UWG § 12 Rn. 89; Köhler/Feddersen, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 12 Rn. 2.16; OLG Bremen, GRUR-RR 2015, 345 – rent a rentner; OLG München, GRUR-RR 2016, 499 Rn. 77 – Verkaufsaktion für Brillenfassungen; OLG Hamburg, GRUR-RR 2018, 27 Rn. 36 – HSA FREI). Die Ausschöpfung der Berufungsbegründungsfrist ist den Berufungsführern gesetzlich zugestanden; im Hinblick auf die Länge dieser Fristen differenziert das Gesetz – was man rechtspolitisch kritisieren können mag – nicht zwischen Hauptsache- und Eilverfahren. Der Gesetzgeber gibt damit zu erkennen, dass er die Zeit von insgesamt 2 Monaten für ausreichend, aber auch erforderlich hält, um das Rechtsmittel in der gebotenen Weise zu begründen, was sich mittelbar auch auf die Frage der Dringlichkeitsschädlichkeit auswirkt. Solange die Partei nur die ihr gesetzlich eingeräumten Fristen wahrnimmt, dürfen aus dem damit in Zusammenhang stehenden (zulässigen) prozessualen Verhalten auch aus Rechtssicherheitsgründen grundsätzlich keine Rückschlüsse für die Frage gezogen werden, wie eilig es ihr damit ist, ihr Ziel im einstweiligen Rechtsschutz zu erreichen.

Entgegen der Argumentation des Vertreters der Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung liegt darin auch kein Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des Senats, dass die Beantragung und Ausnutzung einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist regelmäßig dringlichkeitsschädlich ist. Eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist setzt nach § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO besondere Umstände voraus, insbesondere das Fehlen einer Verzögerung oder erhebliche Gründe. Die Verlängerung stellt damit nach der Gesetzessystematik einen begründungsbedürftigen Ausnahmefall dar. Es gilt in diesem Fall daher nicht mehr die Wertung des Gesetzgebers, dass die in prozessualer Hinsicht zur Berufungsbegründung zur Verfügung stehende Frist auch im Hinblick auf die Dringlichkeit in der Regel als unbedenklich angesehen werden kann.

Lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen kann eine Selbstwiderlegung durch verzögertes Betreiben des Verfahrens auch bei der Einhaltung der Rechtsmittelfristen entfallen. Ein solcher Sonderfall kommt im Rahmen der Gesamtwürdigung allenfalls in Betracht, wenn zum einen eine tatsächlich und rechtlich äußerst einfache Fallgestaltung gegeben ist, bei der keinerlei weitere tatsächliche Ermittlungen anzustellen und keine weiteren Glaubhaftmachungsmittel zu beschaffen sind, und wenn zum anderen der Verfügungskläger auch durch sein sonstiges Verhalten zum Ausdruck bringt, dass ihm selbst die Sache nicht so eilig ist. Vorliegend handelt es sich weder um eine äußerst einfache Fallgestaltung, da das Landgericht die erlassene einstweilige Verfügung wegen des Nichteinhaltens der Vollziehungsfrist aufhob, noch sind weitere Aspekte dargetan oder ersichtlich, die demonstrieren würden, dass der Verfügungskläger das Verfahren in der Berufungsinstanz nicht mit der gebotenen Zügigkeit betreibt. Insbesondere musste sich die Verfügungsklägerin nach dem die Verfügung aufhebenden Ersturteil erstmals mit den tatsächlichen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Wahrung der Vollziehungsfrist befassen.

III. Die Beschlussverfügung wurde innerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO ordnungsgemäß zugestellt.

1. Nach § 929 Abs. 2, § 936 ZPO ist die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem der Arrestbefehl/das Verfügungsurteil verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt wurde, ein Monat verstrichen ist. Bei einer Anordnung durch Beschluss wird diese Frist mit dessen Amtszustellung an den Gläubiger (vgl. § 329 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 ZPO) in Gang gesetzt. In dem Falle, dass der Antragsgegner bereits einen Prozessbevollmächtigten bestellt hatte, kann wirksam nur an diesen zugestellt werden (§ 191, § 172 Abs. 1 ZPO).

Grundsätzlich liegt in dem Umstand, dass ein Anwalt eine Partei im vorgerichtlichen Abmahnverfahren vertritt, nicht automatisch eine Bestellung für ein nachfolgendes Gerichtsverfahren, auch wenn vorprozessual mitgeteilt wurde, dem Anwalt sei Zustellungsvollmacht erteilt (OLG Düsseldorf, GRUR 2005, 102 – Elektronischer Haartrockner; OLG Hamburg, GRUR-RR 2006, 355 – Stadtkartenausschnitt). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass dann, wenn sich ein Prozessvertreter (nur) für das Hauptsacheverfahren angezeigt hat, im Regelfall Zustellungen im Verfügungsverfahren wirksam an die Partei selbst vorgenommen werden können (OLG Nürnberg, NJOZ 2002, 1175).

2. Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs genügt die nicht näher spezifizierte Mitteilung im anwaltlichen Schreiben vom 09.01.2023 nicht, damit wirksam nur an den Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten zugestellt werden konnte. Das Schreiben erfolgte in Reaktion auf die vorgerichtliche Abmahnung, darin wurde lediglich die (außergerichtliche) anwaltliche Vertretung der Verfügungsbeklagten und die (allgemeine) Zustellungsbevollmächtigung angezeigt.

Eine andere Beurteilung ist auch nicht wegen des pauschalen Vortrags der Verfügungsbeklagten veranlasst, wonach eine Vielzahl von Parallelverfahren zwischen den Parteien bestünde, bei denen die Verfügungsbeklagte immer von den hiesigen Prozessbevollmächtigten außergerichtlich und gerichtlich vertreten worden sei. Denn der Verfügungskläger trägt unwidersprochen vor, dass es sich bei dem Streitfall um den ersten Aktivprozess handele, den er über seine Prozessbevollmächtigten gegen die hiesige Verfügungsbeklagte eingeleitet habe. Alle vorangehenden Gerichtsverfahren – darunter lediglich zwei Verfügungsverfahren – seien hingegen von der Verfügungsbeklagten eingeleitet worden. Eine tatsächliche Übung, wonach bei einer Anzeige der Bevollmächtigung in einem anwaltlichen Schreiben, die als Reaktion auf eine vorgerichtliche Abmahnung erfolgte, auch eine Prozessvertretung im gerichtlichen Verfahren einschließlich Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes umfasst ist, konnte damit nicht entstehen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Nürnberg: Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG sind regelmäßig dringlich gemäß §§ 935, 940 ZPO - Entfallen der Dringlichkeit bei Fristverlängerungsantrag

OLG Nürnberg
Beschluss vom 06.07.2023
3 U 889/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG regelmäßig dringlich gemäß §§ 935, 940 ZPO sind und im Wege einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden können. Allerdings entfällt die Dringlichkeit wenn der ungesicherte Antragsteller bzw. seine Verfahrensbevollmächtigten im Berufungsverfahren eine Fristverlängerung beantragen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG zwar nicht, die Vorschrift des § 12 Abs. 1 UWG ist nicht analog anwendbar. Bei Ansprüchen aufgrund der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen ergibt sich der nach §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund jedoch regelmäßig aus der Sache selbst.

a) Der Senat schließt sich der Rechtsmeinung an, die eine analoge Anwendung der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG auf Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG mangels planwidriger Regelungslücke ablehnt (vgl. MüKoUWG/Krbetschek, 3. Aufl. 2022, GeschGehG § 6 Rn. 40; OLG München, GRUR-RR 2019, 443 Rn. 14 – Medizinisches Fachpersonal). Denn der Gesetzgeber dehnte die Dringlichkeitsvermutung anlässlich der Übernahme der §§ 17-19 UWG a.F. in das am 26.4.2019 in Kraft getretene GeschGehG in Kenntnis dieser Spezialregel nicht auf dieses Gesetz aus. Vielmehr führte er aus, dass es – soweit keine speziellen Bestimmungen für die Geltendmachung der dort vorgesehenen Ansprüche im einstweiligen Rechtsschutz getroffen wurden – bei den allgemeinen verfahrensrechtlichen Bestimmungen verbleibe (Begründung zum RegE vom 04.10.2018, BT-Drs. 19/4724, S. 34). Daraus ergibt sich, dass er im GeschGehG bewusst von spezifischen Regelungen zum Verfügungsverfahren absah, während er mit Wirkung zum 14.01.2019 – also im engen zeitlichen Zusammenhang zum hiesigen Gesetzgebungsverfahren – eine Dringlichkeitsvermutung in Kennzeichensachen einführte (§ 140 Abs. 3 MarkenG).

b) Darauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht an. Denn bei Ansprüchen aufgrund der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen ergibt sich die Dringlichkeit regelmäßig aus der Natur der Sache.

Ein Verfügungsgrund gemäß §§ 935, 940 ZPO besteht in der objektiv begründeten Besorgnis, durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes werde die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert, so dass er aufgrund einer besonderen Dringlichkeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache einer einstweiligen Sicherung seines Anspruchs bedarf. Notwendig ist eine einzelfallorientierte Interessenabwägung. Dabei ist eine Folgenabschätzung vorzunehmen: Das Interesse des Verfügungsklägers muss die Nachteile eines Zuwartens bis zur Hauptsacheentscheidung so überwiegen, dass der Eingriff in die Sphäre des Verfügungsbeklagten auf Grund eines bloß summarischen Verfahrens gerechtfertigt ist (OLG Nürnberg, GRUR-RR 2019, 64 Rn. 13 – CurryWoschdHaus).

Bei einer Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses ergibt die Abwägung der sich gegenüberstehenden Parteiinteressen, dass regelmäßig der nach §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund zu bejahen ist. Denn ein Geschäftsgeheimnis wird grundsätzlich vor allem dadurch geschützt, dass es Dritten nicht zugänglich gemacht wird, weil es sonst den Charakter eines Geheimnisses verliert. Vor diesem Hintergrund verlangt die Rechtsordnung in der Regel bei einer eingetretenen Verletzung nach einer dringlichen Untersagungsverfügung. Die Dringlichkeit ist somit auf eine gewisse Weise dem Geheimnisschutz inhärent (BeckOK GeschGehG/Spieker, 15. Ed. 15.03.2020, GeschGehG § 6 Rn. 46).

2. Der somit im vorliegenden Fall grundsätzlich zu bejahende Verfügungsgrund fehlt wegen Selbstwiderlegung, da die Verfügungsklägerin durch ihr Verhalten selbst zu erkennen gegeben hat, dass es ihr nicht eilig ist. Die erforderliche Interessenabwägung aller Umstände des Einzelfalles ergibt im Streifall, dass die Verfügungsklägerin das Berufungsverfahren nicht in der erforderlichen Zügigkeit betrieben hat und deswegen die Dringlichkeit entfallen ist.

a) Es besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass der Verfügungsgrund wegen Selbstwiderlegung fehlt, wenn der Verfügungskläger nach Eintritt der Gefährdung mit einem Antrag eine längere Zeit zuwartet oder das Verfahren nicht zügig betreibt, weil er damit zum Ausdruck bringt, dass ihm selbst die Sache nicht so eilig ist. Dies ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der noch ungesicherte Verfügungskläger sich mit der Begründung der Berufung nicht beeilt, sondern die gesetzlich eingeräumte zweimonatige Begründungsfrist verlängern lässt und auch diese Frist vollständig ausschöpft. Hierbei handelt es sich um allgemeine Grundsätze, die nicht nur für Unterlassungsansprüche aus dem UWG gelten, sondern auch für solche, die auf Anspruchsgrundlagen aus dem BGB oder anderen Gesetzen gestützt werden (OLG Nürnberg, GRUR 1987, 727; OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.11.2017 – 3 U 1206/17, BeckRS 2017, 153630, Rn. 12).

Dabei muss sich der Verfügungskläger Verzögerungen, die durch seinen Prozessbevollmächtigten verursacht werden, gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Dieser hat die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und kann sich grundsätzlich weder auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung noch auf Urlaub berufen (OLG München, WRP 2021, 1622 Rn. 7). Bei einem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bringt der Berufungsführer zum Ausdruck, dass er eine mit der Bewilligung der beantragten Fristverlängerung einhergehende Verfahrensverlängerung in Kauf nimmt und ihm die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde (OLG München a.a.Ol. Rn. 10).

b) Gemessen an diesen Maßstäben ist ein Verfügungsgrund vorliegend zu verneinen.

Durch den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat im Schriftsatz vom 15.05.2023 und das Ausschöpfen dieser Frist hat die Verfügungsklägerin zu erkennen gegeben, dass sie nicht derart eilig auf das begehrte Verbot angewiesen ist, dass es ihr nicht zugemutet werden kann, ihr Rechtsschutzziel in einem Hauptsacheverfahren durchzusetzen.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Verfügungsklägerin den einmonatigen Fristverlängerungsantrag mit Arbeitsüberlastung ihres Prozessbevollmächtigten begründete. Der Prozessbevollmächtigte hat jedoch die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und kann sich grundsätzlich nicht auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung berufen. Vielmehr ist zu erwarten, dass innerhalb eines Eilverfahrens für Vertretung zu sorgen ist oder notfalls weniger eilbedürftige Sachen zurückgestellt werden.

c) Der fehlenden Eilbedürftigkeit steht auch nicht entgegen, dass die Verfügungsklägerin nicht rechtzeitig auf die Folgen einer Ausschöpfung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist hingewiesen worden ist. Denn die Rechtsprechung zum Verlust der Dringlichkeit bei Ausschöpfung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist ist als bekannt vorauszusetzen (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2003, 31; OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 153630, Rn. 15).


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OLG Nürnberg: Sofortige Beschwerde des Antragstellers ohne Begründung lässt Dringlichkeit für einstweilige Verfügung entfallen

OLG Nürnberg
Beschluss vom 28.02.2023
3 W 290/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein sofortige Beschwerde des Antragstellers ohne Begründung die Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung entfallen lässt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 ZPO). Eine Begründung der Beschwerde ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Antragstellerin fehlt für die begehrte einstweilige Verfügung der Verfügungsgrund, weshalb es dahinstehen kann, ob ihr der geltend gemachte Anspruch zusteht.

Eine Dringlichkeitsvermutung besteht für die geltend gemachten Ansprüche nicht, weshalb der Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung aufgrund eines bloß summarischen Verfahrens einer besonderen Rechtfertigung bedarf (OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.10.2018 – 3 W 1932/18, juris-Rn. 15 – CurryWoschdHaus). Ein dabei maßgebliches Kriterium ist das Zeitmoment: Der Antragsteller bzw. sein Prozessbevollmächtigter hat alles in seiner Macht stehende zu tun, um einen möglichst baldigen Erlass der einstweiligen Verfügung zu erreichen. Daher besteht der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund nicht, wenn der Antragsteller mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet oder das Verfahren nicht zügig, sondern schleppend betreibt und damit selbst zu erkennen gibt, dass es ihm mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.10.2022 – 3 U 2178/22, juris-Rn. 10 – Kontolöschung).

Im vorliegenden Fall ergibt eine Gesamtschau der maßgeblichen Umstände, dass der Verfügungsgrund aufgrund des Prozessverhaltens der Antragstellerin zu verneinen ist.

1. Zum einen ist das erstinstanzliche Verhalten der Antragstellerin zu berücksichtigen.

Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Antragsteller durch sein prozessuales Verhalten zu erkennen geben, dass sein Begehren weiterhin dringlich ist. Dies ist mittels Gesamtbetrachtung seines Verhaltens zu eruieren. Auf einen Hinweis des Gerichts muss der Antragsteller, auch ohne Fristsetzung, so schnell wie möglich und geboten reagieren. Gesetzte Fristen sind einzuhalten (Voß, in Cepl/Voß, Prozesskommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Aufl. 2022, § 940 ZPO Rn. 91 m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund ist es im vorliegenden Fall als dringlichkeitsschädlich anzusehen, dass die Antragstellerin – obwohl ihr mit Verfügung des Landgerichts vom 02.01.2023 aufgegeben wurde, bis zum 09.01.2023 glaubhaft zu machen, Inhaberin der gegenständlichen Domains bzw. E-Mail-Postfächer zu sein – binnen dieser gesetzten Frist kein Mittel der Glaubhaftmachung einreichte. Mit Schriftsatz vom 09.01.2023 kündigte sie lediglich an, eine eidesstattliche Versicherung des Herrn A. nachzureichen. Diese ging jedoch erst nach Fristablauf, mithin am 10.01.2023, beim Erstgericht ein. Eine Berücksichtigung durch das Landgericht konnte nicht mehr erfolgen, da ausweislich der Verfügung der Vorsitzenden Richterin vom 11.01.2023 der Beschluss vom 10.01.2023 bereits vor Kenntnisnahme erlassen worden war.

2. Zum anderen ist in die Gesamtwürdigung das Verhalten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren einzustellen.

a) Die Pflicht zur zügigen Rechtsverfolgung setzt sich für den in erster Instanz unterlegenen Antragsteller in der Beschwerde- oder Berufungsinstanz fort.

So muss der noch ungesicherte Verfügungskläger im Berufungsverfahren den geltend gemachten Anspruch zügig weiterverfolgen. Ihm ist es daher jedenfalls zuzumuten, eine eingelegte Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zu begründen (OLG München, Urteil vom 30.06.2016 – 6 U 531/16, juris-Rn. 95) und nicht durch eigene Fristverlängerungsanträge das Verfahren zu verzögern (OLG Dresden, Beschluss v. 25.07.2019, 4 U 1087/19, juris-Rn. 2). Gleiches gilt für einen Terminsverlegungsantrag (OLG München, Beschluss vom 16.09.2021 – 29 U 3437/21 Kart, juris-Rn. 8).

Gleiches kann bei der Nichtbegründung einer Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist gelten. Zwar ist die Beschwerde – wenn sie nicht begründet wird – gleichwohl zulässig. Sie soll jedoch nach § 571 Abs. 1 ZPO begründet werden. Es entspricht daher einer sachgerechten Prozessführung, dem Rechtsmittelgericht gegenüber zeitnah zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013 – 11 W 13/13, juris-Rn. 20). Auch das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet und ob es ihr dementsprechend abhilft. Dies setzt in aller Regel – angesichts der vorangegangenen ablehnenden Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts – eine Beschwerdebegründung voraus (KG Berlin, Beschluss vom 20.09.2016 – 5 W 147/16, juris-Rn. 9). Insbesondere bei einem Rechtsmittelführer, der den Weg des einstweiligen Verfügungsverfahrens eingeschlagen hat, legt eine sachgerechte Prozessführung es nahe, die Beschwerdebegründung innerhalb der Beschwerdefrist oder jedenfalls im engen zeitlichen Zusammenhang mit ihr einzureichen (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013 – 11 W 13/13, juris-Rn. 20).

b) Im vorliegenden Fall ergibt eine Gesamtschau der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls, dass die Nichtbegründung der Beschwerde als dringlichkeitsschädlich anzusehen ist.

Das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet (was in aller Regel eine Beschwerdebegründung voraussetzt) und ihr dementsprechend abhilft. Auf diese Weise kann im Eilverfahren der Beschwerdeführer auf raschem Wege zu seinem Ziel – Erlass der zunächst abgelehnten einstweiligen Verfügung – gelangen, ist doch das Erstgericht bereits in den Fall eingearbeitet, kennt die Akten und vermag schnell zu beurteilen, ob und ggf. dass die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe durchgreifen und die Verfügung nunmehr zu erlassen ist. Dieser Möglichkeit des schnellstmöglichen Erreichens des Rechtsschutzziels hat sich die Antragstellerin begeben, indem sie dem Landgericht die Gründe ihrer Beschwerde vorenthalten hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 04.04.2008 – 5 W 51/08, juris-Rn. 7).

Auch gegenüber dem Senat entspricht es den Interessen des Rechtsmittelführers, der die Überprüfung im Rechtsmittelweg beantragt, dass er dem überprüfenden Gericht gegenüber zum Ausdruck bringt, was er an der angefochtenen Entscheidung beanstandet (vgl. Heßler, in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 571 Rn. 1). Dass die Antragstellerin – entgegen dieses Eigeninteresses – keine Beschwerdebegründung einreichte, zeigt, dass es der Antragstellerin mit der Erreichung ihres Rechtsschutzziels nicht (mehr) eilig ist.

Erschwerend kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass die Antragstellerin im Beschwerdeschriftsatz angab, dass sie zur Begründung ihrer Anträge mit gesondertem Schriftsatz ausführen werde. Die Antragstellerin sah daher im vorliegenden Fall selbst die Notwendigkeit, zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird.

Schließlich kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Senat mit Verfügung vom 09.02.2023 beiden Parteien Gelegenheit gab, bis 24.02.2023 zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Die Antragsgegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Eine Begründung der Beschwerde durch die Antragstellerin ging dagegen nicht ein.

Ein Anlass für die Nichteinreichung der Begründung und die damit entstandene Verzögerung ist von der Antragstellerin nicht dargetan.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:





OLG Frankfurt: Unlautere getarnte Werbung durch Amazon wenn Gesamtbewertung eines Produkts bezahlte Produktrezensionen berücksichtigt - Hinweispflicht unter Angabe des Anteils bezahlter Bewertungen

OLG Frankfurt
Urteil vom 09.06.2022
6 U 232/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass eine unlautere getarnte Werbung durch Amazon vorliegt, wenn die Gesamtbewertung eines Produkts bezahlte Produktrezensionen berücksichtig, ohne dass die Nutzer über diesen Umstand und den Anteil bezahlter Bewertungen informiert werden.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Unlautere getarnte Werbung bei Berücksichtigung bezahlter Produktrezensionen innerhalb des Gesamtbewertungsergebnisses eines Produktes

Fließen in das Gesamtbewertungsergebnis für Produkte, die auf eine Verkaufsplattform angeboten werden, auch Rezensionen ein, für die an den Rezensenten ein - wenn auch geringes - Entgelt gezahlt wird, liegt unlautere getarnte Werbung vor, sofern die Berücksichtigung dieser bezahlten Rezensionen nicht kenntlich gemacht wird. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute verkündeter Entscheidung die vom Landgericht ausgeurteilte Unterlassungsverpflichtung bestätigt.

Die Klägerin bietet im Internet die entgeltliche Vermittlung von Kundenrezensionen an. Die Kunden der Klägerin sind ausschließlich Händler auf Online-Verkaufsplattformen. Die Beklagte betreibt die Verkaufsplattform amazon.de. Die Produkte werden dort mit einem Gesamtsterne-Bewertungssystem bewertet. Die Beklagte vermittelt zudem ihren Verkaufspartnern gegen Entgelt Kundenrezensionen im Rahmen des sog. Early Reviewer Programms (i.F.: ERP). Dabei handelt es sich um Bewertungen ausländischer Rezensenten gegen Entgelt oder Gutscheine für Produkte, die zuvor auf dem US-, UK- oder Japan-Marketplace gekauft wurden. Diese Bewertungen werden auch deutschen Käufern angezeigt und fließen in das Gesamtbewertungsergebnis ein.

Die Klägerin wendet sich gegen die Veröffentlichung von ERP-Rezensionen, wenn diese Teil des Gesamtbewertungsergebnisses werden und nicht darauf hingewiesen wird, dass die Rezensionen bezahlt wurden und wie viele dieser Rezensionen Teil des Gesamtbewertungsergebnisses sind.

Die gegen die vom Landgericht ausgesprochene Unterlassungsverpflichtung gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Es liege eine unlautere getarnte Werbung vor, bestätigte das OLG. ERP-Rezensionen zu veröffentlichen, ohne darauf hinzuweisen, dass die Rezensionen bezahlt wurden und wie viele Rezensionen Teil des Gesamtbewertungsergebnisses sind, sei unlauter.

Die Berücksichtigung dieser ERP-Rezensionen - und damit auch nicht ihr Anteil - würde von der Beklagten nicht kenntlich gemacht und ergebe sich auch nicht aus den Umständen. Ob Internetnutzer damit rechneten, dass in ein Gesamtbewertungsergebnis auch immer Rezensionen einfließen, die nicht sachlich begründet sein, könne offenbleiben. Dies dürfe jedenfalls „kein Freibrief dafür sein ... , beeinflusste Rezensionen zu verwenden“, stellte das OLG klar.

Die Berücksichtigung von ERP-Rezensionen habe hier auch geschäftliche Relevanz. Die Rezensenten des ERP erhielten eine kleine Belohnung für die Abfassung der Rezension. „Daraus folgt zwangsläufig, dass sie bei Abgabe ihrer Bewertung nicht frei von sachfremden Einflüssen sind“, betont das OLG. Es bestehe vielmehr die konkrete Gefahr, dass ein nicht geringer Anteil der Teilnehmer an dem Programm sich veranlasst sehe, ein Produkt positiver zu bewerten als dies tatsächlich seiner Meinung entspreche, um weiterhin an dem Programm teilnehmen zu dürfen.

Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 09.06.2022, Az. 6 U 232/21
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 21.09.2021, Az. 3-06 O 26/21)




OLG München: Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsantrag des ungesicherten Antragstellers im einstweiligen Verfügungsverfahren dringlichkeitsschädlich - auch im Berufungsverfahren

OLG München
Hinweisbeschluss vom 16.09.2021
29 U 3437/21 Kart


Das OLG München hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass ein Fristverlängerungsantrag oder ein Terminverlegungsantrag des ungesicherten Antragstellers im einstweiligen Verfügungsverfahren regelmäßig dringlichkeitsschädlich ist. Dies gilt auch für Anträge im Berufungsverfahren.

Aus den Gründen:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Antragstellerin durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern ein Urteil des Senats. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

a) Die Berufung hat nach derzeitiger Aktenlage keine Aussicht auf Erfolg. Die Zurückweisung des Verfügungsantrags durch das Landgericht ist jedenfalls deswegen zu Recht erfolgt, weil der für den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund nicht zu bejahen sein dürfte.

aa) Die nahezu einhellige Meinung behandelt den Verfügungsgrund als Zulässigkeitsvoraussetzung zur Rechtfertigung des Vorgehens im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Als Prozessvoraussetzung ist sein Vorliegen von Amts wegen zu prüfen und ist der Disposition der Parteien entzogen. Fehlt dieses besondere Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Eilverfahrens, ist der Antrag als unzulässig abzuweisen (Retzer, in: HarteBavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 299 m. w. N.; Senat, WRP 2020, 109 Rn. 3).

bb) Grundsätzlich hat der Antragsteller nach § 936, § 920 Abs. 2 ZPO darzulegen und glaubhaft zu machen, warum er einer Eilentscheidung über die behaupteten Ansprüche bedarf, soweit nicht im Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 UWG bzw. aufgrund vergleichbarer Vorschriften eine Dringlichkeitsvermutung besteht. Unabhängig davon aber, ob ein Verfügungsgrund glaubhaft zu machen ist oder vermutet wird, ist er zu verneinen, wenn sich der Antragsteller bzw. dessen Prozessbevollmächtigter dringlichkeitsschädlich verhält (s. auch OLG Dresden, Beschluss v. 25.07.2019, 4 U 1087/19, Rn. 2, juris).

cc) Dies ist hier der Fall, denn der mit Schriftsatz vom 05.07.2021 (Bl. 73 d.A.) gestellte Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat ist - worauf der Senat mit Verfügung vom 06.09.2021 (Bl. 93 d.A.) hingewiesen hat - als dringlichkeitsschädlich anzusehen.

(i) Als dringlichkeitsschädliches Verhalten ist ein solches anzusehen, das erkennen lässt, dass es dem Antragsteller mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist (st. Rspr., vgl. die Nachweise bei Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.15), so dass die Durchführung eines Eilverfahrens mit all den damit zu Lasten des Antragsgegners verbundenen Einschränkungen gegenüber einem Klageverfahren einerseits und die mit dem Eilverfahren verbundene Bevorzugung der Sachbehandlung gegenüber anderen beim angerufenen Gericht anhängigen Verfahren andererseits nicht mehr gerechtfertigt erscheint (Senat, WRP 2019, 1375 Rn. 15 - Dringlichkeitsschädliche Sachbehandlung).

(ii) Dringlichkeitsschädliche Auswirkungen auf den Verfügungsgrund entfalten dabei nicht nur Verhaltensweisen vor Antragstellung, sondern auch solche während des bereits anhängigen Verfahrens, denn die mangelnde Dringlichkeit kann sich auch aus dem prozessualen Verhalten eines Antragstellers ergeben (BVerfG, 03.04.1998, 2 BvR 415/96, Rn. 4, juris). So wirkt sich insbesondere das zögerliche Betreiben des Verfahrens nachteilig auf den Verfügungsgrund aus (vgl. Schmidt, in: Büscher, UWG, § 12 Rn. 168, 213 ff.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.16; Retzer, in: HarteBavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 321), wobei sich der Antragsteller Verzögerungen, die durch seinen Prozessbevollmächtigten verursacht werden, gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 325; Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl., Rn. 203). Dieser hat die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und kann sich grundsätzlich weder auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung noch auf Urlaub berufen (Senat, WRP 2019, 1375 Rn. 15 - Dringlichkeitsschädliche Sachbehandlung; Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl., Rn. 203; einschränkend Singer, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 9. Aufl., Kap. 47 Rn. 52 a. E., 54).

(iii) Nach zutreffender Auffassung sind daher im Regelfall Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsanträge als dringlichkeitsschädlich anzusehen (vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.16), wenn sie vom noch ungesicherten Antragsteller gestellt werden. Denn mit gerichtlichen Entscheidungen, die derartigen Anträgen stattgeben, geht in aller Regel zwangsläufig eine Verfahrensverlängerung einher, mit der sich der den Fristverlängerungs-/Terminsverlegungsantrag anbringende Antragsteller zumindest konkludent einverstanden erklärt und damit zum Ausdruck bringt, dass ihm die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde. Weil sich ein solches dringlichkeitsschädliches Verhalten mithin aus dem Antrag selbst ergibt, ist ein Verfügungsgrund folglich selbst dann zu verneinen, wenn einem derartigen Antrag seitens des Gerichts nicht entsprochen wird oder sich eine etwaige Stattgabe des Antrags im Ergebnis ausnahmsweise nicht auf die Verfahrensdauer auswirkt.

(iv) Auch im Berufungsverfahren muss der noch ungesicherte Antragsteller den geltend gemachten Anspruch zügig weiterverfolgen (vgl. Singer, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 9. Aufl., Kap. 47 Rn. 54; Voß, in: Cepl/Voß, ZPO, 2. Aufl., § 940 Rn. 90). Ihm ist es daher jedenfalls zuzumuten, eine eingelegte Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zu begründen (vgl. OLG München, GRUR-RR 2016, 499 Rn. 79 - Verkaufsaktion für Brillenfassungen) und nicht durch eigene Fristverlängerungsanträge das Verfahren zu verzögern (OLG Dresden, Beschluss v. 25.07.2019, 4 U 1087/19, Rn. 2, juris).

(v) Gemessen an diesen Maßstäben dürfte ein Verfügungsgrund vorliegend zu verneinen sein. Durch den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat im Schriftsatz vom 05.07.2021 hat die Antragstellerseite zum Ausdruck gebracht, dass sie eine mit der Bewilligung der beantragten Fristverlängerung einhergehende Verfahrensverlängerung in Kauf nimmt und ihr die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde. Dass die Antragstellerin die verlängerte Frist nicht voll ausgeschöpft hat, ist ohne Belang, da sich das dringlichkeitsschädliche Verhalten nach oben Gesagtem bereits aus der Antragstellung selbst ergibt.
Angesichts dessen greift auch der Einwand der Antragstellerin nicht, dass es nicht nahvollziehbar sei, weshalb die Antragstellerin weder nach Beantragung der Verlängerung noch im Rahmen der Bewilligung einen entsprechenden Hinweis erhalten habe, nicht, da zu diesen Zeitpunkten das dringlichkeitsschädliche Verhalten bereits erfolgt war - ungeachtet dessen, dass es insoweit ohnehin keines Hinweises bedurfte (OLG München, GRUR-RR 2016, 499 Rn. 79 - Verkaufsaktion für Brillenfassungen).

dd) Soweit die Antragstellerin unter Verweis auf hiervon zum Teil abweichende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte die Zulassung der Revision beantragt, hat auch dieser Antrag im Hinblick auf § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO von vornherein keinen Erfolg.

b) Da die Berufung bereits aus diesem Grund erfolglos bleiben dürfte, kann dahinstehen, ob der Verfügungsgrund auch aus anderen Gründen zu verneinen ist und ob ein Verfügungsanspruch gegeben ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LAG Baden-Württemberg: Keine einstweilige Verfügung wegen Unterlassung der Nutzung von Geschäftsgeheimnissen wenn Verfügungsbeklagter nicht mehr in Besitz der Geschäftsgeheimnisse ist

LAG Baden-Württemberg
Urteil vom 18.8.2021
4 SaGa 1/21


Das LAG Baden-Württemberg hat entschieden, dass keine einstweilige Verfügung wegen Unterlassung der Nutzung von Geschäftsgeheimnissen ergehen kann, wenn der Verfügungsbeklagte nicht mehr in Besitz der Geschäftsgeheimnisse ist und dies etwa durch eine eidesstattlicher Versicherung glaubhaft gemacht wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Der Verfügungsklägerin steht weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund zur Seite.
I. Es fehlt bereits an einem Verfügungsanspruch. Die Verfügungsklägerin kann einen solchen Anspruch nicht auf § 6 GeschGehG stützen.

Gem. § 6 GeschGehG kann der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses den Rechtsverletzer auf Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr auch auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Der Anspruch auf Unterlassung besteht auch dann, wenn eine Rechtsverletzung erstmalig droht. Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Es fehlt jedenfalls an einer Begehungs-/Wiederholungsgefahr.

1. Der Verfügungsklägerin ist noch einzuräumen, dass es sich bei ihrer Preiskalkulation um ein Geschäftsgeheimnis iSd. § 2 Nr. 1 GeschGehG handelt.

a) Die Preiskalkulation der Verfügungsklägerin ist Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, weder allgemein bekannt noch ohne Weiteres zugänglich iSv. § 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG. Dies drängt sich bei einer internen Preiskalkulationsmatrix, wie der vorliegend streitigen, die sich auf spezifische Leistungen im Segment „F.“ bezieht, geradezu auf.

Entgegen dem Verteidigungsvorbringen des Verfügungsbeklagten wurde diese Kalkulation auch nicht dem Auftraggeber D. B. AG bekannt gemacht. Nach eidesstattlicher Versicherung des Herrn M. K. handelt es sich bei den Vergabeverfahren der D. B. AG um Verhandlungsverfahren mit verdeckter Ziellinie. Die D. B. AG legt einen Angebotspreis fest. Die Bieter geben ihr Angebot in Unkenntnis der Ziellinie ab. Bleibt ein Bieter unterhalb der Ziellinie, erhält er den Zuschlag. Bleiben mehrere Bieter unterhalb der Ziellinie, wird die Ziellinie nach unten verlegt und die Bieter angefragt, ob sie ein unterhalb der (neuen) Ziellinie liegendes Angebot unterbreiten wollen. Das Verfahren wird so oft wiederholt, bis nur noch ein Bieter übrigbleibt. Im Rahmen der Ausschreibungen der D. B. AG sei es zwar üblich, zu den Angeboten sogenannte „Urkalkulationen“ einzureichen. Der Sinn sei aber nur, dass der Auftraggeber im Nachtragsfall Kostensätze hat, mit denen der Ursprungsauftrag kalkuliert wurde, um auszuschließen, dass Nachträge unverhältnismäßig teuer werden. Diese sogenannten „Urkalkulationen“ sind aber nur stark komprimierte Kalkulationen und enthalten keineswegs so detaillierte Kalkulationsgrundlagen, wie sie sich der Verfügungsbeklagte an seine Emailadresse versandt hat. Dem ist der Verfügungsbeklagte nicht weiter entgegengetreten.

b) Die vom Verfügungsbeklagten an sein Emailpostfach übermittelte Preiskalkulationsmatrix hat auch einen wirtschaftlichen Wert iSv. § 2 Nr. lit. a GeschGehG.

aa) Eine Information weist auch dann einen wirtschaftlichen Wert auf, wenn dem Inhaber des Geheimnisses im Falle einer Rechtsverletzung wirtschaftliche Nachteile drohen. Das ist insbesondere anzunehmen, wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung der Information ohne Zustimmung des Inhabers dessen wissenschaftliches oder technisches Potenzial, geschäftliche oder finanzielle Interessen, strategische Positionen oder Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflussen (Begr. zum RegE, BT-Drs. 19/4724, 24; vgl. Erwägungsgrund 14 Richtlinie (EU) 2016/943). Hieraus folgt, dass ein Handelswert nicht nur dann zu bejahen ist, wenn es sich bei dem Geheimnis um kommerziell verwertbare Informationen handelt, sondern es genügt, wenn die geheime Information für das Unternehmen von einem wirtschaftlichen und/oder einem unternehmensstrategischen Interesse ist. Rein ideelle Nachteile (zB ein drohender Ansehensverlust) genügen allerdings nicht (Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG 39. Auflage § 2 GeschGehG Rn. 45).

bb) Vorliegend handelte es sich bei der übersandten Preiskalkulation um ein 21-seitiges Template (Schablone) mit einer Auflistung der exakten Berechnungsgrundlagen. Die Preiskalkulation beinhaltet u.a. die genaue Berechnung und Zusammensetzung von Personalkosten, Maschinen-/Gerätekosten und Materialkosten, die jeweils selbst hinsichtlich aller in Betracht kommenden Teilfaktoren aufgeschlüsselt sind. Dieses Template wird auch nach Darstellung des Verfügungsbeklagten selbst immer wieder für aktuelle Angebotserstellungen benutzt. Von Bedeutung sind somit hauptsächlich die Rechenschritte und weniger die aktuell einzutragenden Zahlen, weshalb es unerheblich ist, dass die vom Verfügungsbeklagten an sich weitergeleitete Tabelle die Zahlen aus der Kalkulation 2015/2016 enthielten. Der Verfügungsbeklagte räumte selbst ein, mit dieser Schablone am Montag nach der Übersendung an der Angebotserstellung für die Ausschreibung 2021/2022 gearbeitet zu haben.

c) Die Preiskalkulation war zudem Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen iSv. § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG.

aa) Der Maßstab, an dem die Angemessenheit der Geheimhaltungsmaßnahmen gemessen werden muss, ist ein objektiver. Nicht erforderlich ist ein optimaler Schutz. Die Angemessenheit ist indes nach den konkreten Umständen des Einzelfalls im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu würdigen. Bei der Bewertung der Angemessenheit können zum Beispiel folgende Aspekte berücksichtigt werden: Wert des Geschäftsgeheimnisses und dessen Entwicklungskosten, Natur der Information, Bedeutung für das Unternehmen, Größe des Unternehmens, die üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen in dem Unternehmen, die Art der Kennzeichnung der Informationen, vereinbarte vertragliche Regelungen mit Arbeitnehmern und Geschäftspartnern. Ein solches Prüfprogramm wird indiziell durch Art. 11 Abs. 2 der RL 2016/943 EU bestätigt, wonach die zuständigen Gerichte bei ihrer Prüfung der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit den dort genannten Aspekten Rechnung tragen müssen (LAG Düsseldorf 3. Juni 2020 - 12 SaGa 4/20 -).

bb) Diesen Anforderungen genügen die bei der Verfügungsbeklagten getroffenen Vorkehrungen.

(1) Bei der Verfügungsklägerin gilt eine allen Mitarbeitern bekannte IT-Richtlinie (Anlage AS 11), nach dessen § 6.1 das Emailsystem der Verfügungsklägerin nur im Rahmen des Arbeitsverhältnisses und nur zu geschäftlichen Zwecken benutzt und eingesetzt werden darf. Gem. § 8 dieser IT-Richtlinie dürfen ohne Zustimmung unternehmensinterne Datenbestände weder mittels Email oder Fax noch mittels anderer Datenträger oder in ausgedruckter Form außer Haus gebracht werden. Diese Ansage ist deutlich und unmissverständlich.

(2) Im Übrigen galt bei der Verfügungsklägerin bezogen auf Kalkulationen und Angebote ein sogenanntes „need to know“- Prinzip, welches als angemessene Geheimhaltungsmaßnahme geeignet sein kann (Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG 39. Auflage § 2 GeschGehG Rn. 59). Dieses Prinzip wurde insbesondere bei der Videokonferenz zur aktuellen Ausschreibung am 10. März 2020 auch angewandt, wie sich aus der eidesstattlichen Versicherung des Herrn M. T. (Anlage AS 02) ergibt. Das erstmalige allgemeine Bestreiten des Verfügungsbeklagten im Berufungstermin vermochte den Beweiswert nicht mehr zu erschüttern.

(3) Hinzu kommt, dass die Verfügungsklägerin ein Unternehmenscompliancesystem geschaffen hat, mit dem Verfügungsbeklagten als Compliance Officer. Es war gerade der Verfügungsbeklagte selbst, der die Einhaltung der Regelwerke überwachen und kontrollieren sollte. Eine solche organisatorische Maßnahme ist als Geheimhaltungsmaßnahme grundsätzlich geeignet (Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG 39. Auflage § 2 GeschGehG Rn. 58).

(4) Geheimhaltungspflichten können auch individualvertraglich oder formularmäßig begründet werden (Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG 39. Auflage § 2 GeschGehG Rn. 61). Dies ist vorliegend in § 6 des Arbeitsvertrages geschehen. Die Vertragsklausel, mit welcher der Verfügungsbeklagte zu Stillschweigen über Geschäftsgeheimnisse – auch nachvertraglich – verpflichtet wurde, ist entgegen der Auffassung des Verfügungsbeklagten auch nicht zu allgemein gefasst. Vielmehr sind „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die mit der Leitung [Benennung eines Bereichs] und mit vertraulichen Themen der Geschäftsführung und Geschäftsleitung zusammenhängen“ ausdrücklich benannt.

d) Ohne Zweifel hat die Verfügungsklägerin ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung ihrer Kalkulationsgrundlagen iSv. § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG.

2. Die Verfügungsklägerin ist auch Inhaberin des Geschäftsgeheimnisses iSd. § 2 Nr. 2 GeschGehG. Nur deshalb, weil dieses Template ursprünglich von der S. R.-Gruppe stammt, fehlt es der Verfügungsklägerin nicht an der Inhaberschaft. Denn die Verfügungsklägerin hat die S. R.-Gruppe im Jahr 2010 übernommen und somit selbstverständlich auch deren Geheimisse.

3. Der Verfügungsbeklagte hat die Rechte der Verfügungsklägerin verletzt, indem er sich die Preiskalkulation ohne Zustimmung der Verfügungsklägerin an seine private E-Mail-Adresse übersandte, §§ 2 Nr. 3; 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG.

4. Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin besteht jedoch keine Begehungs- oder Wiederholungsgefahr in Bezug auf weitere Rechtsverletzungen (mehr).

a) Durch einen bereits begangenen Wettbewerbsverstoß wird in der Regel die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr begründet. Sie kann regelmäßig nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden. Sie entfällt nicht schon mit der Einstellung oder Änderung des beanstandeten Verhaltens (BGH 14. Januar 2016 - I ZR 65/14 -; BGH 30. April 2014 - I ZR 170/10 -). Etwas anderes gilt nur, wenn jede Wahrscheinlichkeit für eine Wiederaufnahme ähnlicher Handlungen durch den Verletzer beseitigt ist (BGH 30. April 2014 - I ZR 170/10 -).

b) Eine solche aus der Erstbegehung abgeleitete Vermutungswirkung hinsichtlich einer Wiederholungsgefahr greift aber nur bei typischen Geschehensabläufen. Die Tatsache des unbefugten Beschaffens eines Betriebsgeheimnisses besagt jedoch noch nichts regelhaft über eine Verwendung der Unterlagen (BAG 19. Mai 1998 - 9 AZR 394/97 -). Es wird deshalb als zweifelhaft erachtet, ob die Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr allein durch die Weiterleitung von Dokumenten des Arbeitgebers an den privaten Emailaccount des Arbeitnehmers begründet werden kann. Denn selbst aus der Verschaffung von Betriebsgeheimnissen durch den Arbeitnehmer kann nicht per se auf eine beabsichtigte Nutzung oder Offenlegung dieser Daten durch den Arbeitnehmer geschlossen werden (LAG Rheinland-Pfalz 25. Januar 2021 - 3 SaGa 8/20 -).

c) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann ohne weitere tatsächliche Anhaltspunkte aus der bloßen Übermittlung einer Email durch den Verfügungsbeklagten an seinen privaten Emailaccount nicht mit Vermutungswirkung rückgeschlossen werden, dass damit regelhaft eine unberechtigte (Weiter-)Nutzung beabsichtigt war. Es ist vielmehr der vom Verfügungsbeklagten vorgebrachte Grund, dass er die ihm selbst vom Kollegen auf sein Mobiltelefon übermittelte Email nur zum Zwecke der besseren Lesbarkeit und Bearbeitbarkeit auf seinem privaten Rechner übermittelt hat, in der praktischen Lebenserfahrung nicht ganz abwegig, wenn auch nach dem Regelwerk der Verfügungsklägerin nicht erlaubt.

d) Aber selbst wenn man aus der Übermittlung der Preiskalkulation an das private Email-Postfach rückschließen wollte, dass damit auch eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich weiterer Nutzungen zu vermuten wäre, hätten der Verfügungsbeklagte das Gegenteil dessen durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht.

aa) Macht im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens der Verfügungsbeklagte durch Versicherung an Eides statt glaubhaft, dass er nicht mehr im Besitz der streitgegenständlichen Dokumente ist, entfällt ein etwaiger Anspruch auf Unterlassung der Nutzung bzw. Offenlegung der erlangten Daten bereits deshalb, weil dem Verfügungsbeklagten die zu verbietenden Handlungen nicht mehr möglich sind. Der Verfügungsbeklagte kann sich gleichermaßen wie die Verfügungsklägerin hierbei einer eidesstattlichen Versicherung als Glaubhaftmachungsmittel bedienen (LAG Rheinland-Pfalz 25. Januar 2021 - 3 SaGa 8/29 -).

bb) Eine solche Unmöglichkeit des wiederholenden Rechtsverstoßes hat der Verfügungsbeklagte vorliegend durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht.

Der Verfügungsbeklagten hat bereits in der eidesstattlichen Versicherung vom 7. Dezember 2020 versichert, das an seine private Emailadresse weitergeleitete Dokument endgültig und unwiederbringlich gelöscht zu haben. Er habe dieses weder in irgendeiner Form an Dritte weitergeleitet, noch sei er im Besitz dieses Dokuments. Er sei auch nicht in der Lage, dieses Dokument in irgendeiner Form wiederherzustellen. Auf die Beanstandungen der Verfügungsklägerin hat der Verfügungsbeklagte seine eidesstattliche Versicherung im Berufungstermin ergänzt und präzisiert. Er versicherte an Eides statt, zu keinem Zeitpunkt Kopien oder Ausdrucke gemacht zu haben. Die Email sei gelöscht, und zwar auch im Papierkorb gelöscht. Der Verfügungsbeklagte vermochte für die Kammer nachvollziehbar darzulegen, die Email nur deshalb an sein Emailpostfach weitergeleitet zu haben, weil er die Email zu Hause auf seinem Handy empfangen habe. Der Kollege habe ihn gebeten zu prüfen, ob er mit dieser Schablone arbeiten könne. Zur besseren Sichtbarmachung und besseren Lesbarkeit habe er sich die Exceltabelle auf seinem privaten Rechner angeschaut. Am folgenden Montag habe er die Bearbeitung im Betrieb vorgenommen. Außer einer kurzen Einsichtnahme habe er mit der Email auf seinem privaten Rechner nichts gemacht.

Es bestehen für die Kammer keine Anhaltspunkte, die zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser eidesstattlichen Versicherung Anlass böten. Auch die Verfügungsklägerin konnte solche nicht benennen. Sie verblieb im Berufungstermin bei bloßen Mutmaßungen, dass der Verfügungsbeklagten doch noch in irgendeiner anderen (nicht benannten) Form im Besitz der Daten sein könnte. Das ist unzureichend.

Dass dem Verfügungsbeklagten im Verfahren über die Anlage AS 30 wieder eine Kenntnisnahmemöglichkeit der Preiskalkulation verschafft wurde, begründet eine Begehungs- und Wiederholungsgefahr nicht. Hier greift der Schutz der Einstufung als geheimnisbedürftig gem. § 16 Abs. 1 GeschGehG mit der Sanktionsmöglichkeit nach § 17 GeschGehG.

II. Auch einem aus § 1004 BGB abgeleiteten Unterlassungsanspruch würde es gleichermaßen am notwendigen Tatbestandsmerkmal einer Wiederholungsgefahr mangeln.

III. Besteht keine Begehungs- oder Wiederholungsgefahr, fehlt es auch am Verfügungsgrund.

IV. Die Einstufung diverser Anlagen als geheimhaltungsbedürftig gem. § 16 Abs. 1 GeschGehG hätte eigentlich gem. § 20 Abs. 5 GeschGehG durch Beschluss erfolgen müssen. Die Tenorierung durch das Arbeitsgericht im Urteil ist jedoch unschädlich. Dieser Urteilsteil wurde in der Berufung nicht angegriffen. Er ist somit in Rechtskraft erwachsen. Deshalb wurde diese Tenorierung zur Klarstellung nochmals wiederholend in den Tenor aufgenommen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:






OLG Köln: Keine Dringlichkeit für einstweilige Verfügung im Urheberrecht wenn Verletzungshandlung eingestellt wurde

OLG Köln
Beschluss vom 12.04.2021
6 W 98/20


Das OLG Köln hat entschieden, dass keine Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung im Urheberrecht besteht, wenn die Verletzungshandlung eingestellt wurde.

Aus den Entscheidungsgründen:

"II. Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Dem Antragsteller dürfte zwar ein Verfügungsanspruch zustehen aus §§ 97 Abs. 1, 13, 15, 19a, 72 UrhG, weil die Antragsgegnerin den Eindruck erweckt hat, dass alle nicht gesondert gekennzeichneten Inhalte auf der streitgegenständlichen Internetseite der Antragsgegnerin – wie das Lichtbild des Antragstellers - aus ihrem Hause stammten und ihr zuzuordnen seien. Es fehlt jedoch an einem Verfügungsgrund.

Ein Verfügungsgrund gem. §§ 935, 940 ZPO besteht in der (objektiv begründeten) Besorgnis, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wessentlich erschwert werden könnte (G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. § 935 Rn. 10 m.w.N.). Es ist durch eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom 14.8.2020 glaubhaft gemacht, dass er erst am 16.7.2020 Kenntnis von der Nutzung des streitgegenständlichen Lichtbildes auf der im Antrag und Tenor wiedergegebenen Internetseite erhalten hat. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 14.8.2020 beim Landgericht eingegangen. Daraus ergibt sich, dass der Antragsteller die Verfolgung seiner Rechte nachdrücklich betrieben hat.

Die Antragsgegnerin hat jedoch am 30.7.2020, also vor Beantragung der einstweiligen Verfügung, wie durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht und letztlich unstreitig gestellt, nachträglich einen auf den Antragsteller lautenden Urhebervermerk am streitgegenständlichen Lichtbild einfügen lassen. Eine aktuelle Rechtsverletzung des Antragstellers liegt derzeit nicht vor. Zwar führt materiell-rechtlich die bloße Einstellung oder Beendigung eines Verstoßes nicht zum Wegfall der Wiederholungsgefahr. Die bereits begangene Verletzungshandlung indiziert die Wiederholungsgefahr; insoweit besteht eine tatsächliche Vermutung (vgl. nur BGH GRUR 2014, 706 – Reichweite des Unterlassungsgebots – juris Rn.12). Bei Unterlassungsansprüchen ergibt sich die „Dringlichkeit“ als Voraussetzung des Verfügungsgrundes jedoch nicht schon aus der materiellrechtlichen Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr (vgl. G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. § 935 Rn. 10). Im Rahmen des Verfügungsgrundes kann die rein tatsächliche Beendigung der Verletzungslage dazu führen, dass der Verfügungsgrund entfällt und dem Verletzten nur das Hauptsacheverfahren bleibt (vgl. Specht in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. § 97 Rn. 114; Köhler in: KBF, UWG, 39. Aufl. § 12 Rn. 2.18 für zeitbedingte Verstöße; ebenso: Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl. Kap. B III Rn. 139 m.w.N.).

Dies gilt jedenfalls für das Urheberrecht. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG greift hier nicht. Der Antragsteller hat vielmehr darzutun und ggfls. glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO vorliegen und der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar ist (vgl. OLG Nürnberg, GRUR#RR 2019, 64; OLG München BeckRS 2008, 42109). Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung wird sich die Dringlichkeit zwar auch ohne Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben (vgl. Senat BeckRS 2016, 09601; OLG München BeckRS 2008, 42109; GRUR 2007, 184; Senat WRP 2014, 1085). Im vorliegenden Fall dauert die Rechtsverletzung jedoch nicht mehr an, sodass es Sache des Antragstellers gewesen wäre, näher vorzutragen, weshalb die Sache für ihn noch dringlich ist. Allein dass die Wiederholungsgefahr weiter besteht, genügt nicht. Denn zur Bejahung der Wiederholungsgefahr bedarf es keiner zeitlichen Komponente. Für die Wiederholungsgefahr ist der Zeitpunkt einer etwaigen weiteren Rechtsverletzung irrelevant (vgl. Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl. Kap. B III Rn. 139). Für die Frage des Verfügungsgrundes hingegen ist die zeitliche Komponente, also ob zeitnah eine Wiederholung droht, von entscheidender Bedeutung. Wenn die Antragsgegnerin nach der Abmahnung den Urhebervermerk nachträglich einfügen lässt, besteht aufgrund der vorangegangenen Verletzungshandlung zwar grundsätzlich weiter die Vermutung zukünftiger Rechtsverletzungen, also die Wiederholungsgefahr. Dafür jedoch, dass eine zukünftige Rechtsverletzung durch die Antragsgegnerin nicht nur als solche wahrscheinlich, sondern auch konkret in unmittelbar zeitlicher Nähe stattfinden wird, sodass ein Hauptsacheverfahren nicht durchgeführt werden könnte, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich oder vorgetragen. Für die zeitliche Nähe einer weiteren Rechtsverletzung besteht, anders als für die Wiederholungsgefahr, auch keine tatsächliche Vermutung. Insoweit wäre es Sache des Antragstellers gewesen näher darzutun, weshalb es ihm, obwohl die Rechtsverletzung bereits eingestellt worden ist, dennoch unzumutbar ist, im Hauptsacheverfahren eine abschließende Klärung herbeizuführen. Soweit er auf den Hinweis des Amtsgerichts vom 21.8.2020 im Schriftsatz vom 7.9.2020 nähere Ausführungen macht, beziehen sich diese im Wesentlichen auf das Fortbestehen der materiell-rechtlichen Wiederholungsgefahr trotz rein tatsächlicher Aufgabe der Verletzungshandlung, wobei er von einem Gleichlauf von Wiederholungsgefahr und Verfügungsgrund ausgeht mit Ausnahme der zögerlichen Verfolgung durch den Verletzten selbst. Da ein solcher Gleichlauf bei zeitbedingten Verstößen (etwa anlässlich von Jubiläen) und bei Aufgabe einer Verletzungshandlung ausscheiden kann, hätte es weiteren Vortrags zur Dringlichkeit bedurft.

Der Antragsteller ist auch nicht schutzlos dem Willen oder der Willkür des Verletzers ausgesetzt. Sollte die Antragsgegnerin den Urhebervermerk vor Abschluss eines Hauptsacheverfahrens tatsächlich wieder entfernen und dadurch die Rechtsverletzung wiederholen, wäre damit eine zeitnahe Wiederholung der Rechtsverletzung offensichtlich und dann ein Verfügungsgrund unproblematisch gegeben.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nach dem GeschGehG im einstweiligen Verfügungsverfahren

OLG Frankfurt
Beschluss vom 27.11.2020
6 W 113/20


Das OLG Frankfurt hat sich in dieser Entscheidung mit der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nach dem GeschGehG im einstweiligen Verfügungsverfahren befasst.

Leitsätze des Gerichts:

1. Zur Frage der Dringlichkeit bei im Wege des Eilverfahrens geltend gemachten Ansprüchen nach dem GeschGehG.

2. Bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem GeschGehG ist es im Hinblick auf die hinreichende Bestimmtheit der Anträge erforderlich, dass die streitbefangenen Geschäftsgeheimnisse konkret bezeichnet werden.

3. Die Ausräumung einer im Sinne von § 6 GeschGehG konkreten Erstbegehungsgefahr setzt nicht die Abgabe einer strafbewerten Unterlassungserklärung voraus. Sie kann in der Regel durch einen sog. actus contrarius ausgeräumt werden, der auch darin gesehen werden kann, dass die Antragsgegnerin im Eilverfahren erklärt, etwaige Geschäftsgeheimnisse nicht zu nutzen oder offenzulegen.

4. Der Empfang einer E-Mail erfüllt nicht das Erfordernis eines „unbefugten Zugangs“ im Sinne von § 4 Abs. 1 GeschGehG.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin fehlt es dem Verfügungsantrag nicht an der notwendigen Dringlichkeit. Das GeschGehG selbst enthält - anders als etwa das UWG in § 12 Abs. 2 - keine speziellen Bestimmungen für die Geltendmachung der dort vorgesehenen Ansprüche im einstweiligen Rechtsschutz, so dass entsprechend der Begründung zum RegE vom 4.10.2018 (BT-Drs. 19/4724, 34) zu Abschnitt 3 die allgemeinen verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung kommen, also diejenigen aus GVG und ZPO (McGuire in Büscher, UWG, § 15 GeschGehG Rn 7). Ob angesichts des Umstands, dass durch das am 26.4.2019 in Kraft getretene GeschGehG die bis dahin geltenden §§ 17-19 UWG ersetzt wurden, für die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nach § 6 GeschGehG im einstweiligen Rechtsschutz die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG analog anzuwenden ist, ist umstritten (verneinend: OLG München GRUR-RR 2019, 443 Rn 13; Löffel WRP 2019, 1378, 1379; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, 38. Auflage 2020, GeschGehG § 15 Rn 16; bejahend: BeckOK GeschGehG/Spieker, 5. Ed. 15.3.2020, GeschGehG § 6 Rn 42-56). Die Frage kann jedoch im Ergebnis dahinstehen, da auch ohne Dringlichkeitsvermutung die nötige Eilbedürftigkeit nicht verneint werden kann.

Der Senat sieht es dabei als glaubhaft gemacht an, dass die Antragstellerin erst im Juni 2020 Kenntnis von den streitgegenständlichen Handlungen ihres Mitarbeiters hatte. Soweit der Vortrag und die Glaubhaftmachungen bisher den Eindruck zuließen, Mitarbeitern der Antragstellerin sei durch die Software „Digital Guardian“ bereits im März 2020 Meldung über verdächtige Datenbewegungen gemacht worden, hat die Antragstellerin in der Beschwerde klargestellt und auch glaubhaft gemacht, dass dies nicht der Fall war, sondern erst durch die Untersuchung im Juni rückblickend festgestellt wurde, dass die Software verdächtige Datenbewegungen registriert hatte. Angesicht der missverständlichen Formulierung hält der Senat dies auch nicht für wechselnden - und damit problematischen -, sondern nur für missverständlichen Vortrag.

Nach Kenntnis der Informationen hat die Antragstellerin hinreichend zügig gehandelt. Die aufgrund der Gesamtumstände und der Gefahr der Verwendung von Geschäftsgeheimnissen offensichtlich bestehende Dringlichkeit ist daher nicht widerlegt.

Soweit die Antragsgegnerin der Auffassung ist, die Antragstellerin habe die Überwachungssoftware dergestalt einrichten müssen, dass bei verdächtigen Datenbewegungen sofort Meldungen erstellt würden, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Es nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin unter Dringlichkeitsgesichtspunkten anlasslos dazu verpflichtet sein sollte, ihre Mitarbeiter regelmäßig daraufhin zu überwachen, ob diese keine Geschäftsgeheimnisse unerlaubt weitergeben - soweit dies rechtlich überhaupt möglich wäre.

2. In der Sache ist der Verfügungsantrag mangels hinreichender Bestimmtheit der Anträge teilweise unzulässig.

a) Die Hauptanträge sind mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig, da sie abstrakt auf „Geschäftsgeheimnisse“ Bezug nehmen, ohne diese jedoch genau zu bezeichnen. Für die Zulässigkeit des Verfügungsantrags ist wesentlich, dass die eingetretene, noch fortdauernde oder zukünftig bevorstehende Beeinträchtigung des Geschäftsgeheimnisses hinsichtlich der konkreten Verletzungsform bezeichnet wird (BeckOK GeschGehG/Spieker, 5. Ed. 15.3.2020, GeschGehG § 6 Rn 42-56).

Hier sind die Geschäftsgeheimnisse nicht näher bezeichnet und im Übrigen auch zwischen den Parteien streitig, so dass die Frage, was Gegenstand der Verurteilung ist, unzulässiger Weise in das Vollstreckungsverfahren verlagert würde.

b) Auch der erste Hilfsantrag teilt dieses Schicksal. Zwar ist der Antrag durch den Verweis auf die „in Anlagen ASt 12, ASt 14 bis ASt 16 sowie ASt 20“ enthaltenen Geschäftsgeheimnisse“ konkretisiert; die Antragstellerin selbst sieht jedoch nicht den gesamten Inhalt der Anlage ASt 12 als Geschäftsgeheimnis an, ohne insoweit im Antrag zu differenzieren, auf welchen Teil der Inhalte sich das Verbot erstrecken solle. Für die Antragsgegnerin bliebe daher auch hier die Reichweite des Verbots unklar.

c) Der zweite Hilfsantrag hingegen weist die notwendige Bestimmtheit auf. Er umfasst konkret bezeichnete Dateien der Anlage ASt 12 sowie die kompletten Inhalte der Anlagen ASt 14 bis ASt 16 und Anlage ASt 20. Damit ist für die Antragsgegnerin hinreichend erkennbar, welches Verhalten ihr untersagt werden soll.

3. Der Hilfsantrag zu III. erweist sich jedoch als unbegründet. Der Antragstellerin stehen der geltend gemachte Unterlassungsansprüche aus § 6 GeschGehG nicht zu. Die Antragstellerin hat klargestellt, dass sich der Verfügungsantrag hinsichtlich der im Antrag 1 enthaltenen Begehungshandlungen des Nutzens und Offenlegens auf eine Erstbegehungsgefahr stützt; eine solche liegt jedoch nicht vor.

a) Im Hinblick auf beide im Antrag enthaltene Handlungen des Nutzens und Offenlegens von Geschäftsgeheimnissen wäre eine mögliche Begehungsgefahr durch die Erklärung der Antragsgegnerin, keine Geschäftsgeheimnisse nutzen oder offenlegen zu wollen, die von dem Hilfsantrag erfasst sind, in Wegfall geraten.

Aus den konkreten Einzelfallumständen kann sich zwar ergeben, dass die (erstmalige) Begehung der Beeinträchtigung des Geschäftsgeheimnisses ernstlich droht (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 78). Die Begehungsgefahr schafft einen sog. vorbeugenden Unterlassungsanspruch. Die Feststellung einer Erstbegehungsgefahr verlangt also, dass objektiv ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, der Anspruchsgegner werde sich in naher Zukunft in der näher bezeichneten Weise rechtswidrig verhalten (ständige Rspr., vgl. BGH GRUR 2015, 603, 605 - Keksstangen; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 84). Dabei muss sich die drohende Verletzungshandlung angesichts der konkreten Einzelfallumstände derart konkret abzeichnen, dass sich für alle Tatbestandsmerkmale zuverlässig beurteilen lässt, ob sie verwirklicht sind. Insoweit ist der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses darlegungs- und beweisbelastet. Es besteht keine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Erstbegehungsgefahr.

Der Senat hält das Bestehen einer Erstbegehungsgefahr für fraglich. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin verbietet nicht die Lebenserfahrung die Annahme, die Antragsgegnerin werde die Betriebsgeheimnisse nicht nutzen. Eine solche Vermutung mag vielleicht zulässig sein, wenn der Mitarbeiter der Antragstellerin und der Geschäftsführer der Antragsgegnerin in kollusivem Zusammenwirken Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin entwendet hätte. Der Senat kann jedoch - wie oben dargelegt - bei der einzigen an den Geschäftsführer der Antragsgegnerin tatsächlich gelangen E-Mail nicht zugrunde legen, dass der Versand tatsächlich mit Kenntnis und Unterstützung der Antragsgegnerin erfolgt. Vielmehr ist ebenso vorstellbar, dass der Mitarbeiter der Antragstellerin dies aus eigenem Antrieb und ohne Kenntnis der Antragsgegnerin gemacht hat. Es verbleibt daher die Tatsache, dass der Geschäftsführer der Antragsgegnerin ohne sein vorheriges Wissen eine E-Mail erhalten hat, die (möglicherweise) ein Geschäftsgeheimnis der Antragstellerin enthält. Diese lässt nicht den zwingenden Schluss zu, das Geheimnis werde auch benutzt oder offengelegt.

Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen, da ein Erstbegehungsgefahr jedenfalls wieder entfallen wäre.

Die Ausräumung einer derartigen - konkreten - Erstbegehungsgefahr verlangt nicht die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung (Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher UWG § 8 Rn 108; Teplitzky/Kessen Kap. 10 Rn 21 f.; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 106), die vom Rechtsverletzten bei der bloßen Erstbegehungsgefahr auch gar nicht verlangt werden kann. Für die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr gelten daher weniger strenge Anforderungen als bei der Ausräumung der Wiederholungsgefahr (ständige Rspr. - vgl. BGH GRUR 2014, 382, 384 - Real Chips). Sie kann in der Regel durch einen sog. actus contrarius ausgeräumt werden, d.h. dass das die Begehungsgefahr ausräumende Verhalten spiegelbildlich das umkehren muss, was nach den konkreten Einzelfallumständen die Entstehung der Begehungsgefahr begründet hat (BGH a.a.O.). Das erforderliche entgegengesetzte Verhalten hängt davon ab, durch welches Verhalten die Erstbegehungsgefahr begründet wurde (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 108 ff.).

An die Ausräumung der Wiederholungsgefahr sind hier nach Auffassung des Senats keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, wäre doch eine etwaige Begehungsgefahr allenfalls dadurch zu begründen, dass die Antragsgegnerin eine entsprechende E-Mail von Antragsteller zugesandt bekommen hat, ohne dass die Antragsgegnerin hierzu durch aktives Tun einen Beitrag geleistet hätte. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist daher keine strafbewehrte Unterlassungserklärung erforderlich.

Hier ist daher durch die ausdrückliche Erklärung der Antragsgegnerin in den Schriftsätzen vom 13.11.2020 und 20.11.2020, etwaige Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin, die von dem Hilfsantrag umfasst sind, nicht zu nutzen oder offenzulegen, eine mögliche Erstbegehungsgefahr als ausgeräumt anzusehen.

b) Ob eine Wiederholungsgefahr dadurch besteht, dass eine mögliche rechtswidrige Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses - analog zum Markenrecht - eine Wiederholungsgefahr auch für die Handlung des Nutzens und Offenlegens begründen würde, kann dahinstehen, da die Antragstellerin ihren Verfügungsantrag ausdrücklich (nur) Erstbegehungsgefahr gestützt hat. Die Wiederholungsgefahr stellt hierzu einen abweichenden Streitgegenstand dar.

4. Der im Hilfsantragskomplex III. mit dem Antrag 2. geltend gemachte Sequestrationsanspruch besteht ebenfalls nicht. Er setzt nach § 7 Nr. 1 GeschGehG voraus, dass die Antragsgegnerin elektronische Dateien im Besitz oder Eigentum hat, die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder verkörpern. An einer derartigen Verletzungshandlung fehlt es.

a) Vorausgesetzt wird nach § 7 Nr. 1 GeschGehG durch die Bezeichnung der Passivlegitimation des „Rechtsverletzers“ eine Rechtsverletzung, also, dass ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 entgegen § 4 rechtswidrig erlangt, genutzt oder offengelegt worden ist, ohne dass ein Fall von § 5 vorliegt (vgl. § 2 Nr. 3). Nicht erforderlich ist, dass die Voraussetzungen eines Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruchs vorliegen, was einschließt, dass kein Verschulden wie beim Schadensersatzanspruch und auch keine Wiederholungsgefahr erforderlich ist (BeckOK GeschGehG/Spieker, 5. Ed. 15.3.2020, GeschGehG, § 7 Rn 4).

b) Eine derartige Verletzungshandlung hat hier nicht vorgelegen. Die Antragsgegnerin hat die in Anlage ASt 12 markierten sowie die in Anlagen ASt 14 bis ASt 16 enthaltenen Dateien nicht im Sinne von § 4 Abs. 3 S. 1 GeschGehG „erlangt“.

(1) Während das Verbot des § 4 Abs. 1 GeschGehG hier nicht betroffene Verhaltensweisen erfasst, mit denen sich eine Person unbefugt den Zugriff auf das Geschäftsgeheimnis selbst oder einen (körperlichen oder unkörperlichen) Geheimnisträger verschafft, erfasst § 4 Abs. 3 GeschGehG auch mittelbare Verletzungshandlungen, bei denen die handelnde Person das Geschäftsgeheimnis entweder von einem Dritten bezieht bzw. ableitet oder mit rechtsverletzenden Produkten umgeht. In beiden Fällen ist in der Person des Handelnden indes ein subjektives Element erforderlich (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, 38. Auflage 2020, GeschGehG § 4 Rn 60).

(2) Hieran fehlt es jedoch. Es ist erforderlich, dass die handelnde Person das Geschäftsgeheimnis von diesem Dritten erlangt, wobei sie gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass der Dritte einen Rechtsverstoß begangen hat. Das Gesetz nennt drei Formen der unzulässigen Kenntniserlangung: Zugang, Aneignung, Kopieren. Die Aufzählung ist abschließend und stellt klar, dass nicht jede Kenntniserlangung als Handlungsverbot nach dem GeschGehG einzustufen ist (BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 5. Ed. 15.9.2020, GeschGehG § 4 Rn 14-19). Keine dieser Handlungsformen liegt hier jedoch vor, insbesondere kann ein „Zugang“ nicht bejaht werden. Dieser liegt nämlich nicht schon dann vor, wenn eine E-Mail empfangen wird, da der Empfänger hierzu keinerlei Beitrag leistet. Vielmehr ist zu verlangen, dass in dem „Zugang“ ein aktives Element enthalten sein muss. D.h., der Empfänger muss auch eine Form von Aktivität entfaltet haben.


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LG Düsseldorf: Dringlichkeitsvermutung für einstweilige Verfügung wegen Kundenrezensionen gegen Gegenleistung - Testkaufdatum und nicht Erhalt der Gegenleistung entscheidend

LG Düsseldorf
Urteil vom 11.11.2020
12 O 207/20


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass es hinsichtlich der Dringlichkeitsvermutung für eine einstweilige Verfügung wegen unzulässiger positiver Kundenrezensionen gegen Gegenleistung auf das Testkaufdatum und nicht den tatsächlichen Erhalt der Gegenleistung ankommt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Insbesondere ergibt sich aus dem entscheidungserheblichen Sachverhalt kein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin, das der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche entgegenstehen würde.

Ein Missbrauch liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Ein Fehlen oder vollständiges Zurücktreten legitimer wettbewerbsrechtlicher Ziele ist indessen nicht erforderlich. Ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele überwiegen (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 38. Aufl. 2020, UWG § 8 Rn. 4.10).

Die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Indizien legen es auch in der Gesamtschau nicht nahe, dass die Antragstellerin hier überwiegend sachfremde Motive verfolgt. Insbesondere sind die Inhalte der von der Antragstellerin vorformulierten Unterlassungserklärung zwar insbesondere im Hinblick auf den Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs von den Ansprüchen der Antragstellerin nicht umfasst. Dies begründet jedoch für sich allein keinen Hinweis auf ein nicht schutzwürdiges Gebührenerzielungsinteresse der Antragstellerin (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 38. Aufl. 2020, UWG § 8 Rn. 4.12a). Die Höhe der geforderten Vertragsstrafe von 5.200,00 EUR lässt keinen Rückschluss auf eine systematische Übervorteilung der Antragsgegnerin zu.

Auch der Umstand, dass die Antragstellerin an der Verwirklichung eines etwaigen Wettbewerbsverstoßes mitgewirkt hat, legt keinen Rechtsmissbrauch nahe. Die Antragstellerin hat durch die veranlassten Testkäufe letztlich überprüft, ob die Nutzung der Webseite „U2.de“ in der dort beworbenen Art und Weise abläuft. Der Grundstein für das beanstandete Verhalten war indes bereits in der Bereitstellung des Angebots gesetzt, ohne dass die Antragstellerin an diesem Vorgang irgendwie beteiligt war.

II. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist jedoch unbegründet, denn es fehlt an dem nach §§ 935, 940 ZPO erforderlichen Verfügungsgrund, der im Rahmen der Begründetheit des Antrages zu prüfen ist. Es kann dahinstehen, ob ein Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht ist.

Die Antragstellerin hat durch ihr Verhalten die grundsätzlich gemäß § 12 Abs. 2 UWG bestehende Dringlichkeitsvermutung widerlegt.

Die Dringlichkeitsvermutung aus § 12 Abs. 2 UWG ist widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass ihm die Sache nicht eilig ist (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 38. Aufl. 2020, UWG § 12 Rn. 3.15). Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Antragsteller längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kennt (Köhler a.a.O.).

Für die Frage, ab welcher Zeitdauer der Antragsteller nach Kenntnis vom Wettbewerbsverstoß durch zu langes Zuwarten die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG widerlegt hat, gelten keine starren Fristen (OLG Frankfurt , Beschluss vom 27.09.2012 - 6 W 94/12, BeckRS 2012, 22063; OLG Koblenz, Urteil vom 23.02.2011 - 9 W 698/10, GRUR 2011, 451). Vielmehr ist auch bei Zugrundelegung von Regelfristen eine Beurteilung unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (OLG Hamburg, Urteil vom 21.03.2019 – 3 U 105/18, GRUR-RS 2019, 9190; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Auflage 2020, § 12 Rn. 3.15b). Im Einklang mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vertritt die Kammer die Auffassung, dass regelmäßig auch noch ein Zeitraum von zwei Monaten zwischen Kenntnisnahme vom Wettbewerbsverstoß bis zur Antragstellung noch nicht dringlichkeitsschädlich ist (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.09.2019 - 15 U 48/19, BeckRS 2019, 24920; OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.11.2014 - I-20 U 154/14, BeckRS 2015, 6633).

Für den Beginn der Dringlichkeitsfrist wird auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme aller relevanten Umstände abgestellt, wobei die notwendige Recherche zur sorgfältigen Klärung grundsätzlich nicht dringlichkeitsschädlich ist (OLG Köln, Urteil vom 14.7.2017 – 6 U 197/16, GRUR-RR 2018, 207).

Vorliegend hat die Antragstellerin bereits Anfang Juni von dem Angebot auf „U2.net“ erfahren. Spätestens am 01.07.2020, als die Kundenrezensionen der Testkäufer, die in Erwartung auf Erhalt der teilweisen Kaufpreisrückerstattung erfolgt sind, unter dem Angebot der Antragsgegnerin ohne den Hinweis auf die Gegenleistung veröffentlicht wurden, hatte die Antragstellerin Kenntnis von dem gerügten Wettbewerbsverstoß. Demnach hat sie länger als zwei Monate zugewartet, bis sie den Verfügungsantrag einreichte.

Soweit die Antragstellerin die Ansicht vertritt, dass für die Kenntniserlangung auf den Eingang der Rückerstattung des halben Kaufpreises auf den Konten der Testkäufer am 23.07.2020 abzustellen sei, folgt die Kammer dieser Rechtsauffassung nicht. Die Antragstellerin rügt als Wettbewerbsverstoß die Irreführung von Verbrauchern durch das Bewerben von Matratzen im Internet mit Kundenrezensionen, für die die Rezensenten eine Gegenleistung erhalten haben, ohne auf diesen Umstand hinzuweisen.

Dieses Bewerben kann allein durch die Veröffentlichung der entsprechenden Kundenrezensionen ohne den Hinweis auf die Gegenleistung und insoweit unabhängig von dem tatsächlichen Eingang der für Verbraucher und andere Marktteilnehmer nicht erkennbaren teilweisen Kaufpreisrückerstattung erfolgen. Insofern kommt es für den Zeitpunkt der Kenntnisnahme auch bei der Durchführung der Recherche in Form von Testkäufen auf den Veröffentlichungszeitpunkt und nicht auf den Rückzahlungseingang an. Zu diesem Zeitpunkt werden den Verbrauchern die gerügten Bewertungen zugänglich gemacht und können insofern eine etwaige wettbewerbswidrige Wirkung entfalten.

Dabei kann es sich nicht zu Gunsten der Antragstellerin auswirken, dass sie in ihrem Antrag auf den Erhalt der Gegenleistung abstellt, denn nach ihrem eigenen Vortrag hat die Antragstellerin die Testkäufe selbst veranlasst und war mit dem Prozedere bekannt. Dabei war sie insbesondere auch darüber informiert, dass Voraussetzung des Bewertungsauftrags die Abgabe einer 5-Sterne-Bewertung war, so dass der Kern der beanstandeten Handlung, nämlich die Abgabe der Rezension unter dem Eindruck einer versprochenen Gegenleistung, bereits mit der Veröffentlichung der Rezension erfüllt war.


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OLG Köln: Fehlende Dringlichkeit wenn nach einstweiliger Verfügung gegen GmbH erst später gegen alleinigen Geschäftsführer einstweilige Verfügung begehrt wird

OLG Köln
Urteil vom 29.05.2020
6 U 288/19


Das OLG Köln hat entschieden, dass wenn nach einstweiliger Verfügung gegen eine GmbH erst später gegen den alleinigen Geschäftsführer eine einstweilige Verfügung begehrt wird, insoweit die Dringlichkeit fehlt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung ist in der Sache begründet. Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Antragsgegner zu. Es fehlt insoweit an einem Verfügungsgrund. Denn es kann als Zeitpunkt der Kenntnis von Verstoß und Verletzer nicht erst auf den Zeitpunkt der Zustellung des Urteils des Senats in dem Verfahren gegen die GmbH – 31 O 222/16 – am 19.11.2018 und die Testkäufe am 11. und 13.2.2019 abgestellt werden.

1. Die Antragstellerin hätte zu dem Zeitpunkt, als sie von dem Vertrieb der nachgeahmten Produktgestaltung Kenntnis erlangt und gegen die Gesellschaft vorgegangen ist, auch den Antragsgegner persönlich in Anspruch nehmen können und müssen. Sie hatte damals Kenntnis von allen Umständen, die eine unlautere geschäftliche Handlung iSd § 4 Nr. 3 UWG begründeten. Sie hat sich damals entschieden, nur gegen die Gesellschaft vorzugehen und nicht auch gegen den Antragsgegner.

a. Sie behauptet nunmehr, dass sie keine Kenntnis von der internen Organisation der Gesellschaft gehabt habe und damals nicht gewusst habe, inwieweit der Geschäftsführer mitgewirkt und für die Produktgestaltung verantwortlich gewesen sei. Diese Argumentation überzeugt nicht.

b. Dass die Antragstellerin damals nicht auch gegen den Geschäftsführer vorgegangen ist, mag daran gelegen haben, dass sie es seinerzeit nicht für erforderlich gehalten hat oder sich – mangels Kenntnis von der undurchsichtigen Unternehmensgruppenstruktur - keine Gedanken gemacht hat. Dass sie ein Vorgehen überlegt, aber wegen der Unkenntnis von den internen Unternehmensabläufen und insbesondere den Entscheidungskompetenzen und damit wegen der Unkenntnis der Beteiligung des Antragsgegners an der Entscheidung zum Vertrieb einer bestimmten Ausstattung davon abgesehen hat, auch gegen ihn vorzugehen, erscheint wenig plausibel.

aa. Aus dem Rubrum des Parallelverfahrens gegen die Gesellschaft ergibt sich bereits, dass die E GmbH & Co. KG nur einen Geschäftsführer hatte. Damit konnte die Antragstellerin ohne weiteres damals bereits erkennen, dass es keine Zuständigkeitsprobleme innerhalb der Geschäftsführung geben konnte. Sie wusste damals bereits, dass der Antragsgegner Alleingeschäftsführer war und somit alle wichtigen Entscheidungen allein zu treffen hatte.

bb. Außerdem wusste sie, dass es um den Vertrieb einer bestimmten Produktreihe unter einem bestimmten Markenzeichen und in einer bestimmten Ausstattung ging. Über die Aufnahme des Vertriebs einer eigenen Produktpalette und die Produktgestaltung wird typischerweise auf Geschäftsleitungsebene entschieden (s. BGH, Urt. v. 22.1.2015 – I ZR 107/13, GRUR 2015, 909 = WRP 2015, 1090 – Exzenterzähne Rn. 45 mwN). Da es nur einen Geschäftsführer gab, musste die Antragstellerin damals schon davon ausgehen, dass die Entscheidung über den Vertrieb letztlich von dem Antragsgegner herrührte. Der Verweis auf die Möglichkeit der Entscheidung einer Marketingabteilung führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch wenn eine Marketingabteilung das Design einer Ausstattung erarbeitet, ist es üblich, solche Entscheidungen letztlich auf Geschäftsführungsebene zu treffen oder freizugeben. Sollte es in dem Unternehmen des Antragsgegners tatsächlich so sein, dass eine Abteilung solche Maßnahmen alleinverantwortlich trifft, beruht eine solche Organisation letztlich auf einer Entscheidung der Geschäftsführung, für die sie im Ergebnis ebenfalls verantwortlich zeichnet, weil sie die Struktur in dieser Weise eingeführt und „in Gang gesetzt“ hat.

cc. Auf die komplexe Rechtsprechung zur Geschäftsführerhaftung bei einem von mehreren Geschäftsführern, der möglicherweise mit einer bestimmten Maßnahme nicht befasst war und deshalb nicht aus seiner Organstellung heraus verantwortlich ist, kommt es vorliegend nicht an.

c. Wenn danach davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin bereits zu dem Zeitpunkt, als sie gegen die Gesellschaft vorgegangen ist, alle Umstände kannte, die auch eine Verantwortlichkeit des Alleingeschäftsführers begründeten, hat sie durch ihr Vorgehen gezeigt, dass es ihr mit der Durchsetzung ihrer Rechte dem Antragsgegner gegenüber nicht so eilig war und damit die Vermutung des § 12 Abs. 2 UWG selbst widerlegt.

d. Der Umstand, dass nach Verurteilung der Gesellschaft nach wie vor noch Produkte in der verbotenen Aufmachung erworben werden konnten, stellt keine andersartige oder derart intensivere Verletzungshandlung dar, dass dadurch eine neue Dringlichkeitsfrist in Gang gesetzt worden wäre.

2. Da die Antragstellerin zum einen die Möglichkeit hat und bereits in Anspruch genommen hat, gegen die Gesellschaft zu vollstrecken, und ihr weiterhin die Möglichkeit bleibt, gegen den Geschäftsführer im Wege der Hauptsacheklage vorzugehen, ist ihr auch in keiner Weise rechtlicher Schutz verwehrt. Es besteht lediglich kein Bedürfnis für ein Eilverfahren mehr.


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OLG München: Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG gilt wohl nicht analog für Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG - Vermutung widerlegt wenn Frist zur Antragskonkretisierung nicht ei

OLG München
Beschluss vom 08.08.2019
29 W 940/19


Das OLG München hat entschieden, dass die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG wohl nicht analog für Unterlassungsansprüchen nach § 6 GeschGehG gilt. Die Dringlichkeitsvermutung ist jedoch widerlegt wenn die Frist zur Antragskonkretisierung nach richterlichem Hinweis nicht eingehalten wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Das GeschGehG selbst enthält - anders als etwa das UWG in § 12 Abs. 2 UWG - keine speziellen Bestimmungen für die Geltendmachung der dort vorgesehenen Ansprüche im einstweiligen Rechtsschutz, so dass entsprechend der Begründung zum RegE vom 04.10.2018 (BT-Drs 19/4724, dort S. 34) zu Abschnitt 3 die allgemeinen verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung kommen, also diejenigen aus GVG und ZPO (McGuire, in: Büscher, UWG, § 15 GeschGehG Rn. 7). Ob angesichts dessen, dass durch das am 26.04.2019 in Kraft getretene GeschGehG die bis dahin geltenden §§ 17 bis 19 UWG ersetzt wurden, für die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nach § 6 GeschGehG im einstweiligen Rechtsschutz die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG analog anzuwenden ist, kann vorliegend allerdings dahinstehen. Denn selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin eine Dringlichkeitsvermutung annehmen wollte, ist diese jedenfalls durch das der Antragstellerin zuzurechnende dringlichkeitsschädliche Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten als widerlegt anzusehen.

a) Allerdings erscheint es bereits fraglich, ob § 12 Abs. 2 UWG im vorliegenden Fall analog angewendet werden kann, da dies eine planwidrige Regelungslücke voraussetzen würde und ferner, „dass der zu beurteilende Sachverhalt so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen“ (Feddersen, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl., Kap. 54 Rn. 19a; BGH, GRUR 2003, 622, 623 - Abonnementvertrag). Dass diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind, erscheint zweifelhaft, zumal sich aus der im engen zeitlichen Zusammenhang zum hiesigen Gesetzgebungsverfahren erfolgten expliziten Aufnahme der Dringlichkeitsvermutung im MarkenG zu ergeben scheint, dass der Gesetzgeber beim GeschGehG bewusst von spezifischen Regelungen zum Verfügungsverfahren abgesehen hat, während er andere prozessrechtliche Fragen - wie diejenige der weitgehenden Abschaffung des Tatortgerichtsstands (vgl. Ohly, GRUR 2019, 441, 450) - ausdrücklich im GeschGehG gesetzlich geregelt hat.

b) Ob indes für die Geltendmachung von Ansprüchen nach § 6 GeschGehG eine Dringlichkeit gleichwohl zu vermuten ist oder der Verfügungsgrund nach allgemeinen Regeln (§ 936, § 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft zu machen ist, kann offen bleiben, denn vorliegend ist ein Verfügungsgrund wegen dringlichkeitsschädlichen Verhaltens im Laufe des Rechtsstreits zu verneinen.

aa) Als dringlichkeitsschädliches Verhalten ist ein solches anzusehen, das erkennen lässt, dass es dem Antragsteller mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist (st. Rspr., vgl. die Nachweise bei Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 12 Rn. 3.15), so dass die Durchführung eines Eilverfahrens mit all den damit zu Lasten des Antragsgegners verbundenen Einschränkungen gegenüber einem Klageverfahren einerseits und die mit dem Eilverfahren verbundene Bevorzugung der Sachbehandlung gegenüber anderen beim angerufenen Gericht anhängigen Verfahren andererseits nicht mehr gerechtfertigt erscheint.

bb) Dringlichkeitsschädliche Auswirkungen auf den Verfügungsgrund entfalten dabei nicht nur Verhaltensweisen vor Antragstellung, sondern auch solche während des bereits anhängigen Verfahrens. So wirkt sich insbesondere das zögerliche Betreiben des Verfahrens nachteilig auf den Verfügungsgrund aus (vgl. Schmidt, in: Büscher, UWG, § 12 Rn. 168, 213 ff.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 12 Rn. 3.16; Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 321), wobei sich der Antragsteller Verzögerungen, die durch seinen Prozessbevollmächtigten verursacht werden, gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 325; Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl., Rn. 203). So hat dieser die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und kann sich grds. weder auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung noch auf Urlaub berufen (Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl., Rn. 203; einschränkend Singer, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 8. Aufl., Kap. 45 Rn. 52 a.E.).

cc) Gemessen an diesen Maßstäben haben sich die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vorliegend dringlichkeitsschädlich verhalten, indem sie auf die ihnen nach eigenem Vortrag am 19.07.2019 zugegangene Verfügung der Vorsitzenden der 39. Zivilkammer am Landgericht nicht binnen der dort gesetzten Frist hin eine dem Hinweis entsprechende Antragskonkretisierung vorgenommen haben.

(i) Nach dem Vortrag der Antragstellerin in der sofortigen Beschwerde (dort S. 2, Bl. 22 d.A.) wurde die landgerichtliche Verfügung vom 16.07.2019 (Bl. 11 d.A.) Herrn Rechtsanwalt S. per beA am 19.07.2019 zugestellt (Bl. 22 d.A.). Unstreitig und zudem ausweislich des Briefkopfes der Antragsschrift ist Herr Rechtsanwalt S. Partner der prozessbevollmächtigten Kanzlei der Antragstellerin.

(ii) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt es für die Frage, ob ein dringlichkeitsschädliches Verhalten der Antragstellervertreter vorliegt, nicht darauf an, ob Herr Rechtsanwalt S. auch Sachbearbeiter des hiesigen Verfügungsverfahrens ist. Denn auch ausweislich der Antragsschrift ist als Prozessbevollmächtigter der Antragstellerin nicht Herr Rechtsanwalt B. allein bestellt, sondern die Rechtsanwälte …: so heißt es folgerichtig in der Antragsschrift: „Namens und im Auftrag der Antragstellerin beantragen wir … den Erlass folgender einstweiliger Verfügung“ und ferner in der sofortigen Beschwerde: „In dem Rechtsstreit … legen wir namens der Antragstellerin … sofortige Beschwerde ein“.

(iii) Den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ist mithin am 19.07.2019 die Verfügung des Landgerichts zugegangen mit der Folge, dass eine die Dringlichkeit wahrende Sachbehandlung nur dann angenommen hätte werden können, wenn bis zum Ablauf des 26.07.2019 eine Stellungnahme auf diesen Hinweis bei Gericht eingegangen wäre. Dies war indes nicht der Fall.

(iv) Die Umstände, die die Antragstellerin vortragen lässt, vermögen ihr zögerliches Verhalten nicht zu rechtfertigen. Vielmehr ergibt sich aus einer Zusammenschau der in der Woche vom 19.07.2019 bis 26.07.2019 behaupteten Tätigkeiten ein den Antragstellervertretern anzulastendes zögerliches Verhalten: Nachdem die landgerichtliche Verfügung am 19.07.2019 um 12:24 Uhr bei Herrn Rechtsanwalt S. eingegangen ist (Anlage ASt 13), wurde diese - ohne, dass hierfür eine Erklärung vorgebracht wird - erst am Nachmittag des 22.07.2019 an den Sachbearbeiter bei den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin weitergeleitet (Anlage ASt 14). Dieser befand sich jedoch bis 24.07.2019 seinem eigenen Vortrag nach im Urlaub, so dass die Verfügung des Landgerichts mangels anderer Angaben bis zum 25.07.2019 lediglich mehrfach weitergeleitet, aber nicht bearbeitet wurde. Vorkehrungen dafür, dass auch während des Urlaubs des Sachbearbeiters eine vorrangige Bearbeitung dieser Eilsache sichergestellt wäre, behauptet auch die Antragstellerin nicht ergriffen zu haben. Ungeachtet dessen ist dem Vorbringen der Antragstellerin nicht zu entnehmen, warum nicht noch am 25.07. bzw. am 26.07.2019 eine Stellungnahme durch den Sachbearbeiter an das Landgericht hätte gefertigt und diesem zugeleitet werden können. Soweit die Antragstellerin vortragen lässt, der Sachbearbeiter habe am 25.07.2019 mindestens drei Mal versucht, die Vorsitzende am Landgericht telefonisch zu erreichen, „um zu erfahren, ob das Gericht das Adressverzeichnis ausgedruckt auf Papier bevorzuge oder in Form einer elektronischen Speicherung auf einem Memorystick“, verhilft ihr dies nicht zum Erfolg, denn dies erklärt nicht, warum sie ihren konkretisierten Antrag nicht spätestens am 26.07.2019 bei Gericht hätte einreichen können. Zumindest hat sie ausweislich Bl. 17/19 der Akte einen entsprechenden Schriftsatz auf den 26.07.2019 datiert. Dass sie diesen nicht am gleichen Tag, sondern erst am 29.07.2019 an das Gericht weitergeleitet hat, lässt sich jedenfalls nicht damit rechtfertigen, dass eine vorherige telefonische Rücksprache mit dem Gericht am 25.07.2019 nicht möglich gewesen sein soll (ungeachtet dessen, dass Versuche, die Vorsitzende Richterin am Landgericht am 26.07.2019 zu erreichen, nicht behauptet werden).

dd) Für den mit Schriftsatz vom 26.07.2019 abgeänderten Antrag kann sich die Antragstellerin auch nicht auf eine zwischenzeitlich neu in Gang gesetzte Dringlichkeitsfrist berufen.

(i) So wird der Antrag vom 26.07.2019 - bei Gericht eingegangen am 29.07.2019 - auf einen von der Antragsschrift abweichenden Sachvortrag gestützt. Zunächst wurde behauptet, dass die ehemalige Angestellte der Antragstellerin Frau L. S. das streitgegenständliche Adressverzeichnis am 19.02.2019 kopiert habe, nachdem sie sich unter Beihilfe des für die IT-Sicherheit Verantwortlichen der Antragstellerin mittels eines dem System unbekannten Computers Zugriff auf die Daten der Antragstellerin verschafft gehabt habe. Im auf den 26.07.2019 datierten Schriftsatz wird demgegenüber vorgetragen, dass eine Überprüfung des IT-Systems ergeben habe, dass der Inhalt des Adressverzeichnisses bereits am 14.02.2019 kopiert worden sei. Hiervon habe der Geschäftsführer der Antragstellerin am 25.07.2019 erfahren.

(ii) Wie sich aber dieser Vortrag zu den in der Antragsschrift behaupteten Vorgängen verhält, insbesondere ob die Antragstellerin an ihrer noch in der Antragsschrift vorgetragenen Version festhält, erklärt die Antragstellerin ebenso wenig, wie den Umstand, dass die im Schriftsatz vom 26.07.2019 geschilderte Untersuchung ersichtlich nicht bereits unmittelbar nach Kenntnis der eMail vom 17.06.2019 durchgeführt wurde. Auch dies offenbart ein der Antragstellerin anzulastendes zögerliches Verhalten bei der Sachverhaltsaufklärung, das der Annahme eines Verfügungsgrundes auch für den abgeänderten Antrag entgegensteht. Dies gilt selbst dann, wenn man unterstellt, dass der Geschäftsführer der Antragstellerin die behaupteten IT-Untersuchungsergebnisse erst am 25.07.2019 erfahren hat, zumal die Antragstellerin selbst vorträgt, dass die am 14.02.2019 als Kopie der Adressliste angeblich angefertigte Excel-Datei von Frau L. S. am 15.02.2019 an die E-Mail-Adresse des Geschäftsführers der Antragstellerin selbst geschickt wurde (Bl. 18 d.A.). Dieser hatte mithin bereits seit diesem Tag Kenntnis von der behaupteten Kopie der Adressliste in Form einer Excel-Datei, ohne dies spätestens nach Kenntnis der eMail vom 17.06.2019 zum Anlass zu nehmen, insoweit weitere Aufklärung zu betreiben, geschweige denn bereits am 15.02.2019 die aus Sicht des Geschäftsführers nicht erforderliche Erstellung einer Excel-Datei durch Frau S. zu hinterfragen. Ob bei der Überprüfung entdeckt wurde, dass sich Frau S. am 15.02.2019 bei der an diesem Rechtsstreit nicht beteiligten C. beworben hat, ist angesichts dieser dringlichkeitsschädlichen Aufklärungsbemühungen der Antragstellerin unerheblich, zumal sich den Ausführungen der Antragstellerin nicht entnehmen lässt, inwiefern die streitgegenständlichen Daten für die C. überhaupt von Interesse hätten sein können.

2. Es kann daher dahinstehen, ob der Antrag im Übrigen als zulässig anzusehen ist. Insbesondere bedarf es keiner weiteren Aufklärung, ob die seitens der Antragsgegnerin im Schreiben vom 10.07.2019 (Anlage ASt 5) gegenüber der Antragstellerin angekündigte Stellungnahme bis 19.07.2019 zu der zuvor ausgesprochenen Abmahnung vom 04.07.2019 (Anlage ASt 4) zwischenzeitlich bei der Antragstellerin eingegangen ist. Denn wäre dies der Fall, dann wäre im Hinblick auf die dann bislang nicht erfolgte Vorlage dieser Stellungnahme zu erwägen, ob rechtmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin anzunehmen wäre (vgl. hierzu Senat, WRP 2017, 1523 - Vorenthalten der Abmahnungserwiderung; LG München I, WRP 2017, 496 -Titelerschleichung).

3. Ebenfalls offen bleiben kann, ob die Antragstellerin einen Verfügungsanspruch hinreichend dargetan hat. Insbesondere die Frage, wie es sich auswirkt, dass die behauptete Beschaffungshandlung durch die ehemalige Angestellte der Antragstellerin zeitlich vor Inkrafttreten des GeschGehG stattgefunden haben soll, die hier streitgegenständliche Nutzungshandlung indes nach Inkrafttreten des Gesetzes, bedarf vorliegend keiner Klärung. Nicht entschieden werden muss ferner, ob der Vortrag der Antragstellerin - der sich im Wesentlichen auf die Beschaffungshandlung(en) konzentriert - hinreichend substantiierten Sachvortrag zu dem nach § 4 Abs. 3 S. 1 GeschGehG zumindest erforderlichen Wissenmüssen bzgl. der dort näher genannten Umstände enthält.
III.
Zu den Nebenentscheidungen:

1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 47 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.

3. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist im Streitfall, dem ein auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtetes Verfahren zu Grunde liegt, kein Raum (vgl. § 574 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

4. Der Antragsgegnerin ist der hiesige Beschluss von Amts wegen über deren Prozessbevollmächtigte bekannt zu geben. § 922 Abs. 3 ZPO steht dem nicht entgegen. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG (GRUR 2018, 1288) ist es verfassungsrechtlich geboten, dem Antragsgegner auch dann Hinweise des Gerichts zur Kenntnis zu bringen, wenn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen wird. Dies betrifft insbesondere solche Hinweise, die es dem Antragsteller ermöglichen, zu Dringlichkeitsbedenken des Gerichts Stellung zu nehmen oder seinen Antrag nachzubessern (BVerfG, GRUR 2018, 1288, Rn. 24). Der Grund für die Mitteilung solcher Hinweise auch an den Antragsgegner liegt dabei nicht nur darin, dass sich der Antragsgegner im noch laufenden Verfügungsverfahren hierzu entsprechend verhalten kann, sondern auch in der dem Antragsgegner grds. zu verschaffenden Möglichkeit, diese Hinweise in einem etwaigen anderen Verfahren nutzbar zu machen (vgl. BVerfG, GRUR 2018, 1288, Rn. 24).

Vorliegend hat das Landgericht die der Antragstellerin erteilten Hinweise der Gegenseite vor seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht. Angesichts dessen, dass - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - die bisher erteilten Hinweise nicht dazu führen, dass der Antragsgegner diese im hiesigen Verfahren, welches durch die Zurückweisung der Beschwerde rechtskräftig abgeschlossen wird, zu seinen Gunsten nutzen können müsste, erscheint eine Beteiligung vor der Zurückweisung der Beschwerde nicht geboten. Erforderlich ist jedoch die Bekanntgabe des Beschlusses mit den dortigen Ausführungen, damit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Waffengleichheit auch im Hinblick auf etwaige zukünftige Verfahren hinreichend Rechnung getragen wird."

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OLG Hamburg: Wiederlegung der Dringlichkeitsvermutung im einstweiligen Verfügungsverfahren wenn auf richterlichen Hinweis Antrag erst nach 5,5 Wochen ergänzt wird

OLG Hamburg
Urteil vom 21.03.2019
3 U 105/18


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass die Dringlichkeitsvermutung (§ 12 Abs. 2 UWG) im einstweiligen Verfügungsverfahren widerlegt ist, wenn der Antragsteller auf einen richterlichen Hinweis seinen Antrag / Vortrag erst nach 5,5 Wochen ergänzt.

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Vorliegend fehlt es bereits an einem Verfügungsgrund, denn die Dringlichkeitsvermutung gemäß § 12 Abs. 2 UWG ist durch das zögerliche Vorgehen der Antragstellerin widerlegt worden.

1.
Die Vermutung der Dringlichkeit ist widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass es „ihm nicht eilig ist“ (st. Rspr. BGH, GRUR 2000, 151, 152 – Späte Urteilsbegründung; OLG München, WRP 2008, 972, 976; OLG Hamburg, GRUR-RR 2010, 57; OLG Koblenz, GRUR 2011, 451, 452; OLG Celle, WRP 2014, 477, 478; KG, GRUR-RR 2015, 181, 182; OLG Stuttgart, WRP 2018, 369, Rn. 41). Das ist der Fall, wenn er längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grobfahrlässig nicht kennt (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 37. Auflage, 2019, UWG § 12 Rn. 3.15c). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Partei das Verfahren mit dem nötigen Nachdruck verfolgt und damit ihr Interesse an einer dringlichen Rechtsdurchsetzung in einem Eilverfahren dokumentiert hat, ist eine Gesamtbetrachtung ihres prozessualen und vorprozessualen Verhaltens geboten (OLG Hamburg, WRP 2013, 196, 198, juris Rn. 28).

Die Bemessung des Zeitraums des zulässigen Zuwartens ist umstritten. Einige Oberlandesgerichte wenden starre Fristen an (vgl. dazu die Übersichten bei Köhler/Bornkamm/Feddersen/ Köhler, UWG, 37. Auflage, 2019, § 12 Rn. 3.15b; bei Harte/Henning/Retzer, UWG, 4. Auflage, 2016, Anh. zu § 12 Rn. 917 ff.), wobei die Tendenz dieser Rechtsprechung dahin geht, für den Regelfall eine Frist von 1 Monat zugrunde zu legen.

Es erscheint jedoch sachgerecht, stets eine Einzelfallwürdigung (unter Berücksichtigung der Art des Verstoßes, der Erforderlichkeit von Ermittlungen, der Reaktion des Gegners auf eine Abmahnung usw.) vorzunehmen (hierfür OLG Hamburg, GRUR-RR 2008, 366, 367 OLG Hamburg, WRP 2007, 675 OLG Köln, GRUR 1993, 567 OLG Köln, GRUR 1993, 685; OLG Brandenburg, WRP 1998, 97).

Die Entscheidungen des OLG Hamburg zu den zeitlichen Anforderungen an ein hinreichend zügiges Vorgehen des Anspruchstellers bewegen sich in einem Bereich von ca. 6 bis 8 Wochen zwischen der Kenntnis vom Rechtsverstoß und der Stellung des Verfügungsantrags, wobei dem Anspruchsteller ein umso zügigeres Handeln nach der Zurückweisung der Abmahnung abzuverlangen ist, wenn zwischen der Kenntnis vom Wettbewerbsverstoß und dem Ausspruch der Abmahnung bereits viel Zeit vergangen ist.

Ein Zeitraum von ca. 1 Monat von der Kenntnis bis zur Abmahnung zuzüglich weiterer 2 Wochen bis zum Verfügungsantrag ist als „noch“ nicht dringlichkeitsschädlich angesehen worden (OLG Hamburg, MMR 2010, 178, juris Rn. 77). Ein Zeitraum von 5 ½ Wochen absoluter Untätigkeit zwischen Kenntnis und Abmahnung und – bei fehlender Abmahnung – ein Zeitraum von 6 Wochen bis zur Einreichung des Verfügungsantrags sind aber bereits als dringlichkeitsschädlich angesehen worden (OLG Hamburg, MD (VSW) 2009, 766, juris Rn. 72 bzw. OLG Hamburg, WRP 2007, 675, 677, juris Rn. 19). Der Antragsteller muss zudem nach Zurückweisung der Abmahnung zügig vorgehen. Lässt er trotz zügiger Abmahnung nach deren Zurückweisung fast 1 Monat bis zur Einreichung des Verfügungsantrags vergehen, kann das dringlichkeitsschädlich sein (OLG Hamburg, GRUR-RR 2008, 366, juris Rn. 31 f.).

Im Bereich der Heilmittelwerbung bewegt sich ein Zeitraum von ca. 6 Wochen zwischen dem Erhalt der angegriffenen Werbeunterlagen und der Abmahnung – auch mit Blick auf erhebliche Schwierigkeiten der im konkreten Fall zu beurteilenden inhaltlichen Fragen und angesichts eines in diesem Bereich im Interesse der ordentlichen Vorbereitung des Verfügungsverfahrens sachgerechten tendenziell großzügigeren Maßstabs – durchaus schon im „Grenzbereich zur verzögerlichen Behandlung“. Liegt dann zwischen der Abmahnung und der Einreichung des Verfügungsantrags ein weiterer Zeitraum von ca. 2 Wochen ist dies jedoch im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung noch nicht als dringlichkeitsunschädlich angesehen worden (OLG Hamburg, WRP 2013, 196, 199, juris Rn. 32).

2.
Hier liegen zwischen der Kenntniserlangung vom Wettbewerbsverstoß, welche spätestens am 1. Juli 2017 erfolgt ist, und der Einreichung des Verfügungsantrags beim Landgericht am 10. August 2018, 40 Tage, mithin fast 6 Wochen. Davon entfallen bereits 31 Tage, d. h. rund 4 ½ Wochen auf die Zeit zwischen der Kenntniserlangung der Antragstellerin und dem Ausspruch der Abmahnung am 1. August 2017, ohne dass bei Berücksichtigung der vorliegend streitigen Punkte ersichtlich wäre, weshalb die Antragstellerin so lange bis zum Ausspruch der Abmahnung gebraucht hat. Hinzu kommt, dass die Parteien sich bereits in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten zu ihren auch hier maßgeblichen Konkurrenzprodukten befanden (Anlage AG 6).

Hinzu kommt hier – anders als in den bereits entschiedenen o. g. Fällen – dass eine weitere Verzögerung zwischen der Einreichung des Verfügungsantrags am 10. August 2017 und dem Erlass der vorliegenden Beschlussverfügung am 18. September 2017 von insgesamt 5 ½ Wochen eingetreten ist, die jedenfalls zum Teil von der Antragstellerin zu vertreten ist. Zwar ist der Hinweis des Landgerichts, wonach der Verfügungsantrag noch unschlüssig sei, erst am 23. August 2017, d. h. fast zwei Wochen nach Einreichung des Antrags, erfolgt. Die Antragstellerin hat jedoch die Ergänzung ihres Vorbringens erst mit Schriftsatz vom 6. September 2017, d. h. 14 Tage (2 Wochen) nachdem dieser Hinweis erteilt worden war, vorgenommen.

Dies erweist sich angesichts der bereits zuvor eingetretenen Verzögerungen, insbesondere der zwischen Kenntniserlangung und Abmahnung vergangenen Zeit, bei der notwendigen Gesamtbetrachtung als zu lang. Wäre die Sache der Antragstellerin eilig gewesen, hätte sie den vom Landgericht angeforderten ergänzenden Vortrag mit der – wegen der schon lange zurückliegenden Kenntnis der streitigen Werbung – gebotenen Eile vorantreiben und den ergänzenden Vortrag unverzüglich halten müssen. Dies ist nicht geschehen, wobei hier offen bleiben kann, ob sich die Antragstellerin im Hinblick auf die Dringlichkeit nach § 12 Abs. 2 UWG überhaupt auf den vom Landgericht angegebenen Termin, den 1. September 2017, bis zu dem der Vortrag zu ergänzen war, berufen könnte.

Hinreichend nachvollziehbare Gründe, warum die Antragstellerin nicht unverzüglich weiter vorgetragen hat, sind nicht feststellbar. Soweit die Antragstellerin dazu ausgeführt hat, dass sich ein maßgeblicher Mitarbeiter noch im Urlaub befunden habe, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Insoweit ist schon nicht ersichtlich, dass dieser Umstand zu einer Verzögerung bei der Erstellung des ergänzenden Vortrags geführt hat bzw. führen musste. Die als Anlage ASt 10 vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Mitarbeiters Dr. S. vom 6. September 2017 vermag dies nicht zu begründen.

Mithin ist die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG widerlegt, so dass die Berufung der Antragsgegnerin Erfolg hat.

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OLG Köln: Erschütterung der Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG wenn Anspruchsteller nach Kenntnis von möglicher Rechtsverletzung bei Ermittlung des Sachverhalts zögerlich vorgeht

OLG Köln
Beschluss vom 12.04.2019
6 W 22/19

Das OLG Köln hat entschieden, dass die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG erschüttert ist, wenn der Anspruchsteller nach Kenntnis von einer möglichen Rechtsverletzung bei der Ermittlung des Sachverhalts und Beschaffung von Mitteln zur Glaubhaftmachung zögerlich oder nachlässig vorgeht.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. Vorliegend ist die tatsächliche Vermutung des § 12 Abs. 2 UWG insofern erschüttert, als nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin die angegriffene Werbeaussage „im Wesentlichen unverändert“ seit 2015 verwendet wird. Da die Antragstellerin die Begutachtung am 23.8.2018 beauftragt hat, ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin jedenfalls zu einem Zeitpunkt vor dem 23.8.2018 bereits Kenntnis von der hier angegriffenen Werbeaussage als solcher hatte.

a. Da grundsätzlich keine Marktbeobachtungspflicht besteht, spielt es für die Frage der Dringlichkeit grundsätzlich keine Rolle, wie lange ein Verstoß schon andauert, sondern es kommt vielmehr darauf an, wann der Antragsteller konkret Kenntnis davon erlangt hat. Wenn jedoch davon auszugehen ist, dass die Werbeaussage eines unmittelbaren Konkurrenten bereits seit 2015 „im Wesentlichen unverändert“ verwendet wird, kann dieser Vortrag - zusammen mit dem Umstand, dass eine tatsächliche Kenntniserlangung von der Werbung jedenfalls ca. vier Monate vor der Antragstellung im Verfügungsverfahren gelegen haben muss - genügen, den Schluss auf eine möglicherweise dringlichkeitsschädliche Kenntnis zuzulassen und die Vermutung des § 12 Abs. 2 UWG zu erschüttern.

b. Die Antragstellerin vertritt zwar die Ansicht, dass der Vortrag der Antragsgegnerin zu unklar und pauschal sei, um die Vermutung des § 12 UWG zu erschüttern, weil sich nicht ergebe, was mit „im Wesentlichen unverändert“ gemeint sei. Da es jedoch vorliegend um die Werbeaussage bzgl. der Entfernung/Befreiung von Pollen durch die beworbenen Luftwäscher geht, ergibt die Auslegung, dass auch aus Sicht der Antragstellerin und des Gerichts dieser Vortrag nur dahingehend verstanden werden kann, dass zumindest der Kern der Werbeaussage unverändert verwendet worden sei, mag sich auch der Aufbau oder die graphische Darstellung der Werbung verändert haben.

3. Damit ist es nunmehr entsprechend der allgemeinen Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast Sache der Antragstellerin das Vorliegen des Verfügungsgrunds darzulegen und ggf. glaubhaft zu machen. Dazu gehört im vorliegenden Fall auch Vortrag zum Zeitpunkt, wann sie konkret Kenntnis von der angegriffenen Werbung erlangt hat und wie sie sich danach verhalten hat, etwa wann und wodurch sie sich veranlasst sah, das Gutachten in Auftrag zu geben.

a. Es trifft zwar zu, dass in einem Fall, in dem ein Verstoß nicht offensichtlich erkennbar ist und es zunächst weiterer Ermittlungen und Aufklärung bedarf, nicht (allein) auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung der Werbeaussage abzustellen ist, sondern (auch) auf den Zeitpunkt, in dem die Antragstellerin von den die Wettbewerbswidrigkeit der Werbeaussage begründenden Umständen weiß und diese auch glaubhaft machen kann (vgl. Senat GRUR-RR 2018, 207 Rn. 56 ff.). Auch dieser Zeitpunkt – hier der Erhalt des Testergebnisses nebst Zeitraum bis zur Beantragung der einstweiligen Verfügung - ist maßgeblich für die Frage der Dringlichkeit.

b. Es handelt sich jedoch – entgegen der Ansicht der Antragstellerin - nicht um den allein maßgeblichen Zeitpunkt. Denn obgleich der Verletzte nach Kenntniserlangung von einer Werbeaussage seine Ermittlungen und Aufklärungsbemühungen nicht mit „besonderer Eile“ durchführen und nicht die „größtmögliche Schnelligkeit“ walten lassen muss, so kann es doch im Einzelfall dringlichkeitsschädlich sein, wenn er sich bei der Verfolgung seiner Ansprüche in einer solchen Weise nachlässig oder zögerlich verhält, dass aus objektiver Sicht der Schluss geboten ist, ihm sei an einer zügigen Durchsetzung seiner Rechte nicht gelegen (vgl. Senat, aaO., Rn. 60; OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.1.2013 – I-2 U 87/12, juris Rn. 54). Deshalb darf zwar aus der Zeit, die der Verletzte zur Vorbereitung eines erfolgversprechenden Verfügungsantrag für die sorgfältige Ermittlung des Sachverhalts und die Beschaffung geeigneter Glaubhaftmachungsmittel benötigt hat, nicht auf das Fehlen der erforderlichen Dringlichkeit geschlossen werden (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.9.2015 – 6 U 52/15, juris Rn. 73). Dies gilt jedoch nur, solange der Verletzte dabei die erforderlichen Schritte jeweils zielstrebig in die Wege geleitet und zu Ende geführt hat (vgl. OLG Karlsruhe, aaO.).

c. Wie lange es vorliegend seit Kenntnis von den Werbeaussagen bis zur Beauftragung des Gutachtens gedauert hat, lässt sich mangels Vortrags bzgl. des genauen Zeitpunkts der Kenntniserlangung nicht erkennen. Es kommt für die abschließende Beurteilung der Dringlichkeit jedoch einerseits entscheidend auf den Zeitpunkt an, zu dem die Antragstellerin Kenntnis von der Werbeaussage erlangt hat, und andererseits darauf, wann und welcher Umstand sie dazu veranlasst hat, die Werbeaussage in Frage zu stellen und Ermittlungen aufzunehmen. Nur dann lässt sich beurteilen, ob sie trotz einer Vermutung bzw. eines Verdachts eines unlauteren Verhaltens seitens der Antragsgegnerin die entsprechenden Ermittlungen zögerlich bzw. nachlässig oder doch ausreichend zügig betrieben hat.

4. Da nach alledem weder dargetan ist, dass die Antragstellerin von der Werbeaussage erst in dringlichkeitsunschädlicher Zeit Kenntnis erlangt hat noch dass sie zwar seit Längerem Kenntnis von der Werbung hatte, sie jedoch erst in nicht dringlichkeitsschädlicher Zeit Veranlassung hatte, die Aussage überprüfen zu lassen, ist die Antragstellerin trotz Hinweises des Landgerichts ihrer Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen. Das Landgericht hat danach den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht zurückgewiesen.

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OLG Frankfurt: Entfallen der Eilbedürftigkeit für einstweilige Verfügung wenn sich Markenrechtsverletzung aufgrund konkreter Umstände aufdrängen musste

OLG Frankfurt
Urteil vom 13.09.2018
6 U 74/18


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Eilbedürftigkeit für eine einstweilige Verfügung entfällt, wenn sich die streitgegenständliche Markenrechtsverletzung aufgrund konkreter Umstände nach der Lebenserfahrung aufdrängen musste.

Aus den Entscheidungsgründen:

"2. Die Eilbedürftigkeit entfällt allerdings, wenn der Antragsteller längere Zeit untätig geblieben ist, obwohl er positive Kenntnis von Tatsachen hatte, die die Markenverletzung begründen, oder sich bewusst dieser Kenntnis verschlossen hat (Senat, WRP 2017, 1392Rn. 31). Eine allgemeine Marktbeobachtungspflicht besteht in diesem Zusammenhang zwar nicht (vgl. Senat, GRUR-RR 2017, 404; OLG Köln GRUR-RR 2014, 127, Rn. 12 m.w.N.). Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Antragsteller bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Zeichenbenutzung erkennen konnte. Jedoch kann sich der Antragsteller nicht auf Unkenntnis berufen, wenn sich die Rechtsverletzung aufgrund konkreter Umstände nach der Lebenserfahrung geradezu aufdrängte. Für das zu lange Zuwarten gelten keine starren Fristen. Ein Zeitraum von sechs Wochen stellt nach den Gepflogenheiten im hiesigen Gerichtsbezirk einen groben Zeitrahmen dar, an dem sich diese Beurteilung orientieren kann.

3. Der Eilantrag wurde am 30.5.2017 eingereicht. Als dringlichkeitsschädlich ist damit die Zeit vor dem 15.4.2017 anzusehen. Der Antragsteller behauptet, er habe von den streitgegenständlichen Angeboten erstmals am 20.4.2017 Kenntnis erlangt (Anlage LHR10). Der Senat geht demgegenüber davon aus, dass sich bereits erheblich früher die Kenntnis von der Verwendung der "Marke1" in den Angeboten der Antragsgegnerinnen derart aufdrängte, dass sie dem Antragsteller unter normalen Umständen nicht hätten verborgen bleiben dürfen.

a) Die Antragsgegnerin zu 1 richtete unter dem 10.01.2017 eine Berechtigungsanfrage an den Antragsteller, soweit in dem Angebot unter der ASIN ... die "Marke2" der Antragsgegnerin verwendet wird. Der Antragsteller ging nach seinem Vortrag davon aus, das Produktangebot unter der Identifikationsnummer (ASIN) ... sei von den Antragsgegnern gekapert und mit "Marke2" versehen worden. Er hat dies nach seiner eidesstattlichen Versicherung zum Anlass genommen, sich an Amazon zu wenden (Anlage LHR25, Bl. 138 d.A.). In der Berufungserwiderung heißt es insoweit, er habe bei Amazon erreichen wollen, dass der ursprüngliche Zustand des Angebots wiederhergestellt und die "Marke2" entfernt wird. Es liegt nahe, dass es letztlich aufgrund dieser Intervention zur Kennzeichnung mit "Marke1" gekommen ist. Eine Aufklärung über die genaueren Absprachen, die der Antragsteller mit Amazon getroffen hat, war nicht möglich. Er ist trotz Ladung nicht zum Verhandlungstermin vor dem Oberlandesgericht erschienen. Seine Prozessbevollmächtigte konnte auf Frage des Senats lediglich angeben, er habe nicht darauf hingewirkt, dass "Marke1" wieder in die Angebotsbeschreibung aufgenommen wird; er wisse aber nicht wie es dazu gekommen sei. Jedenfalls lag es auf der Hand, dass der Antragsteller nach seiner Beschwerde bei Amazon die Angebote der Antragsgegnerinnen unter der (ASIN) ... bzw. ASIN ... in regelmäßigen Abständen überprüft, um festzustellen, ob seinen Bedenken Rechnung getragen wurde. Dabei hätte ihm unter gewöhnlichen Umständen die Kennzeichnung mit seiner "Marke1" auffallen müssen.

b) Fest steht, dass die Antragsgegnerinnen bereits am 18.2.2017 gegenüber Amazon beanstandet haben, dass die Artikelbeschreibung unter (ASIN) ... bzw. ASIN ... wieder auf "Marke1" geändert wurde (Anlage B7). Dies geschah drei Monate vor dem Eilantrag des Antragstellers und hätte ihm zeitnah auffallen müssen. Auch einen Testkauf hätte er bei dieser Sachlage noch vor dem 15.4.2017 durchführen können."



Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

KG Berlin: Fristverlängerung für Beschwerdebegründung kann Dringlichkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren widerlegen

KG Berlin
Beschluss vom 20.09.2016
5 W 147/16


Das KG Berlin hat entschieden, dass eine Antrag auf Fristverlängerung für die Beschwerdebegründung im einstweiligen Verfügungsverfahren die Dringlichkeitsvermutung wiederlegen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Wer in Kenntnis der maßgeblichen Umstände und der ihm fortlaufend drohenden Nachteile ohne überzeugenden Grund längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs verzögert, hat damit zu erkennen gegeben, dass die Sache für ihn nicht so eilig ist. Dann lässt sich die Dringlichkeit nicht mehr vermuten (Hess in: Ullmann, juris BK-UWG, 4. Auflage, § 12 Rn. 122 mwN). Die aus § 12 Abs. 2 UWG folgende Dringlichkeitsvermutung kann dabei nicht nur durch zögerliche Verfahrenseinleitung, sondern auch dann widerlegt sein, wenn der Antragsteller (nach zunächst hinreichend zeitnaher) Verfahrenseinleitung durch ein späteres Verhalten zu erkennen gibt, dass die Sache für ihn nicht (mehr) eilig ist (Senat, KGR Berlin 2008, 551 f; Hess, aaO, § 12 Rn. 121 ff mwN). Eines Verfügungsanspruchs kann sich etwa begeben, wer die beim Eingangsgericht eingelegte Beschwerde gegen die Ablehnung seines Eilantrags nicht begründet, sondern dort mitteilt, eine Beschwerdebegründung erst nach der erstinstanzlichen Nichtabhilfe beim Beschwerdegericht einreichen zu wollen (Senat, aaO; Hess, aaO, § 12 Rn. 134).

[...]

Vorliegend hat die Antragstellerin mit ihrer am letzten Tag der Beschwerdefrist versendeten sofortigen Beschwerde beantragt, die Frist zur Begründung der Beschwerde um 15 Tage zu verlängern. Die Beschwerdebegründung ist dann am letzten Tag dieser Frist bei Gericht eingegangen. Dieses Verhalten führt vorliegend zu einer Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung.

a)

Nach § 571 Abs. 1 ZPO "soll" die Beschwerde begründet werden. Das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet und ob es ihr dementsprechend abhilft. Dies setzt in aller Regel - angesichts der vorangegangenen ablehnende Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts - eine Beschwerdebegründung voraus. Auch wenn es eine gesetzliche Frist zur Begründung der Beschwerde nicht gibt, führt ein Gesuch um ein Nachreichen einer Beschwerdebegründung regelmäßig - nicht zuletzt zur Wahrung des rechtlichen Gehörs - zu einer Verzögerung der Abhilfeentscheidung des Landgerichts und damit der Befassung der nächsten Instanz mit der Sache. Angesichts einer Beschwerdefrist von 14 Tagen ist eine weitere Verzögerung - wie vorliegend - um 15 Tage erheblich (jedenfalls, wenn schon die Beschwerdefrist vollständig ausgenutzt worden ist).

b)


Ein hinreichender Anlass für die zeitliche Verzögerung hat nicht bestanden.

aa)


Auch die Antragstellerin macht nicht geltend, die krankheitsbedingten Einschränkungen in der Belastbarkeit ihres Verfahrensbevollmächtigten seien völlig überraschend eingetreten. Im Übrigen verblieb ihrem Verfahrensbevollmächtigten eine tägliche Arbeitszeit von bis zu 14 Stunden.

Die krankheitsbedingten Personalengpässe mögen zwar die Arbeitsbelastung ihres Verfahrensbevollmächtigten erhöht haben. Die Antragstellerin trägt aber nicht konkret vor, ihr Verfahrensbevollmächtigter sei durch zeitlich vorrangige oder jedenfalls zeitlich gleichrangige dringliche Angelegenheiten an der Bearbeitung des vorliegenden Beschwerdeverfahrens innerhalb der Beschwerdefrist gehindert gewesen.

bb)

13
Die nachgereichte Beschwerdebegründung umfasst nur sieben Seiten und sie wiederholt im Wesentlichen den erstinstanzlichen Vortrag zur fehlenden Widerlegung der Dringlichkeit (im Zusammenhang mit der Kenntnis vom Testlauf im November 2015) sowie zur wettbewerblichen Eigenart ihres Gesundheitstickets. Auch unter Berücksichtigung der größeren Arbeitsbelastung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ist nicht ersichtlich, dass dieser Vortrag nicht - unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der vorliegenden Eilsache und unter Zurückstellung weniger dringlicher (etwa einer Fristverlängerung ohne weiteres zugänglicher) Sachen - innerhalb der Beschwerdefrist gehalten werden konnte.

c)

In einer Gesamtbetrachtung können zwar verschiedene einzelne - für sich nicht erhebliche - Verzögerungen insgesamt zu einer Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung führen. Ein vorangegangenes, an sich selbstverständlich verzögerungsfreies Vorgehen eines Antragstellers kann aber eine spätere erhebliche Verzögerung nicht rechtfertigen, auch nicht in einer Gesamtbetrachtung. Denn eine solche spätere Verzögerung legt - wie erörtert - die Annahme nahe, dass jedenfalls ab diesem Zeitpunkt die Sache für den Antragsteller nicht mehr eilig ist.

hier:

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