Skip to content

OLG Hamm: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 HCVO durch Werbeaussage "Volle Power für Ihr Immunsystem" in unmittelbarer Nähe zu Produkten

OLG Hamm
Urteil vom 11.08.2022
4 U 81/21


Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 HCVO durch Platzierung der Werbeaussage "Volle Power für Ihr Immunsystem" in unmittelbarer Nähe zu Produkten vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der erstinstanzlich zuerkannte Unterlassungsanspruch steht dem Kläger jedenfalls aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. §§ 3 Abs. 1, 3a UWG, Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (nachfolgend: HCVO) zu.

a) Der Kläger ist nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aktivlegitimiert.

b) Bei Art. 10 HCVO handelt es sich um eine Marktverhaltensregel i. S. v. § 3a UWG (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 12 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

c) Das Landgericht hat ferner zutreffend festgestellt, dass die Beklagte mit der streitgegenständlichen Werbung gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO verstoßen hat.

Gem. Art. 10 Abs. 1 HCVO sind gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II und den speziellen Anforderungen im vorliegenden Kapitel entsprechen, gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Artikeln 13 und 14 aufgenommen sind.

aa) Der Anwendungsbereich der HCVO ist eröffnet. Bei den neben bzw. unmittelbar unter der streitgegenständlichen Überschrift nebst Grafik abgebildeten Produkten handelt es sich um Lebensmittel i. S. d. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und damit auch um ein Lebensmittel i. S. d. HCVO (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) HCVO). Auch nach Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2002/46/EG über Nahrungsergänzungsmittel gelten Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel (vgl. Senatsurteil vom 24.02.2015 – 4 U 72/14, Rn. 81, zit. nach juris).

bb) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Abbildung auf dem sog. „Slider“ um gesundheitsbezogene Angaben i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 5 HCVO und nicht lediglich einen grafisch besonders veranschaulichten bzw. hervorgehobenen „Themenwegweiser“ handelt.

(1) Auch zur Überzeugung des Senats handelt es sich bei der beanstandeten Darstellung um eine nicht obligatorische Aussage bzw. Darstellung, die insbesondere durch das grafische Element einer diversen Krankheitserregern entgegengestreckten Hand symbolhaft zum Ausdruck bringt, dass die unmittelbar darunter abgebildeten Produkte der Beklagten besondere Eigenschaften besitzen, nämlich eine die körpereigene Immunabwehr zumindest stärkende Wirkung (Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 HCVO).

Zu den Angaben im vorgenannten Sinne zählen alle in der Etikettierung oder – wie hier – Bewerbung von Lebensmitteln in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebrachten – nicht obligatorischen – Aussagen oder Darstellungen, die bei einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher den Eindruck hervorrufen können, ein bestimmtes Lebensmittel besitze besondere Eigenschaften (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2015 – I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 17 mwN., zit. nach juris – Lernstark). Dies ist – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – vorliegend der Fall.

Insbesondere handelt es sich bei der angegriffenen Darstellung um eine produktbezogene Werbung der Beklagten und nicht lediglich um eine allgemeine „Themenüberschrift“ oder einen „Wegweiser“ i. S. bspw. eines bestimmten Menüpunktes auf einer Navigationsleiste des Internetauftritts der Beklagten. Zutreffend weist der Kläger in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sowohl die Grafik als auch die Überschrift „Volle Power für Ihr Immunsystem“ im unmittelbaren Zusammenhang mit der bildlichen Darstellung konkreter Produkte der Beklagten stehen.

Anders als bei einer mit einem Menüpunkt auf einer Navigationsleiste vergleichbaren „Themenüberschrift“ oder einem „Wegweiser“ befand sich die angegriffene Darstellung – wie die Beklagte mit außergerichtlichem Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 16.04.2020 selbst eingeräumt hat – auf der Startseite ihres Internetauftritts www.A.de direkt unterhalb der Menüleiste auf einem sog. „Slider“, auf dem – wie den Mitgliedern des schwerpunktmäßig mit Streitigkeiten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes befassten Senats hinreichend bekannt ist – typischerweise (tages-)aktuelle Werbung verbunden mit Links zu den entsprechenden Produkten eingeblendet wird und sich mittels eines Klicks auf einen der beiden Pfeile am rechten und linken Bildrand aus dem Blickfeld des Betrachters verschieben lässt bzw. nach einer bestimmten vorgegebenen Zeit selbst zugunsten einer anderen Werbeanzeige verschiebt. Der Senat geht hierbei zudem davon aus, dass die angegriffene Werbung durchaus im Zusammenhang mit dem damaligen Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 zu sehen ist, wenn es hierauf auch weder entscheidungserheblich ankommt noch die Pandemie in der Anzeige explizit erwähnt wird.

(2) Zu Recht hat das Landgericht ferner festgestellt, dass es sich um gesundheitsbezogene Angaben i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO handelt.

(a) Nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO ist eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne dieser Verordnung jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Der Begriff „Zusammenhang“ ist dabei weit zu verstehen. Der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ erfasst daher jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands dank des Verzehrs des Lebensmittels impliziert. Die Frage, ob eine Aussage auf das gesundheitliche Wohlbefinden abzielt, ist anhand der in Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 HCVO aufgeführten Fallgruppen zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 19 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

(b) Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei der beanstandeten Überschrift „Volle Power für Ihr Immunsystem“ nebst nebenstehender Grafik um gesundheitsbezogene Angaben, weil hierdurch aus Sicht eines durchschnittlichen Verbrauchers – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht lediglich im Sinne einer „Themenüberschrift“ die Funktion der körpereigenen Immunabwehr abstrakt dargestellt, sondern wegen der unmittelbar darunter abgebildeten und – wie bereits vorstehend ausgeführt – damit zugleich konkret beworbenen Produkte der Beklagten ein Zusammenhang zwischen der Einnahme eben dieser von der Beklagten vertriebenen Nahrungsergänzungsmittel einerseits und der Gesundheit andererseits suggeriert wird. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Darstellung wie vorliegend für die Annahme eines Zusammenhangs genügt, der eine Verbesserung des Gesundheitszustandes dank des Verzehrs des Produktes impliziert.

Die Werbeaussage zielt dabei auch auf eine der Fallgruppen der Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 HCVO ab, nämlich Art. 13 Abs. 1 lit. a) HCVO. Hierzu gehören insbesondere das Wachstum, die Entwicklung und sämtliche sonstigen Körperfunktionen. Nach dieser allgemeinen und weitgefassten Umschreibung gehören auch die Funktion des körpereigenen Immunsystems zum Gesundheitsbegriff der HCVO. Hiervon geht auch der Verordnungsgeber der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 aus, der Angaben über die „normale Funktion des Immunsystems“ zu den gesundheitsbezogenen Angaben i. S. d. HCVO rechnet. Nichts anderes kann für die – lediglich etwas „reißerischer“ formulierte und zudem grafisch verdeutlichte – Aussage der Beklagten über „Volle Power für Ihr Immunsystem“ gelten (vgl. Senatsurteil vom 24.02.2015 – 4 U 72/14, Rn. 82, zit. nach juris).

cc) Nach den zutreffenden und – soweit ersichtlich – mit der Berufung auch nicht angegriffenen weiteren Feststellungen des Landgerichts liegt ein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO letztlich schon deshalb vor, weil die in der beanstandeten Werbung enthaltenen Angaben nicht mit zugelassenen Angaben inhaltsgleich sind, da sie nicht erkennen lassen, auf welchen der in der Liste der zugelassenen Angaben aufgeführten Nährstoffe, Substanzen, Lebensmittel oder Lebensmittelkategorien die behauptete Wirkung der „Vollen Power für Ihr Immunsystem“ beruht.

(1) In der im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 enthaltenen Liste der zugelassenen Angaben ist jeweils eine bestimmte Wirkung in Beziehung zu einem bestimmten Nährstoff, einer bestimmten Substanz, einem bestimmten Lebensmittel oder einer bestimmten Lebensmittelkategorie gesetzt. Eine gesundheitsbezogene Angabe, die nicht erkennen lässt, auf welchen der in der Liste der zugelassenen Angaben im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 aufgeführten Nährstoffen, Substanzen, Lebensmitteln oder Lebensmittelkategorien die behauptete Wirkung eines Produkts beruht, ist daher mit den zugelassenen Angaben nicht inhaltsgleich und somit unzulässig. Das ergibt sich auch aus dem Zweck der Verordnung, sicherzustellen, dass gesundheitsbezogene Angaben wahrheitsgemäß, klar, verlässlich und für den Verbraucher hilfreich sind (Erwägungsgrund 9 Satz 1 der Verordnung). Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn die verwendete Angabe und die zugelassene Angabe auf den gleichen Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem Lebensmittelbestandteil und einer bestimmten Wirkung auf die Gesundheit hinweisen (vgl. Erwägungsgrund 9 Satz 3 der Verordnung). Die Annahme einer inhaltlichen Übereinstimmung zwischen zugelassener und verwendeter Angabe setzt daher voraus, dass die zugelassene Angabe und die verwendete Angabe hinsichtlich des Nährstoffs oder der anderen Substanz oder des Lebensmittels oder der Lebensmittelkategorie, für die die Angabe zugelassen wurde bzw. verwendet wird, übereinstimmen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 34 f. mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

(2) Die in der beanstandeten Werbung enthaltene pauschale Angabe „Volle Power für Ihr Immunsystm“ in Verbindung mit der grafischen Darstellung eines in Abwehrhaltung befindlichen Menschen, der sich gegen unterschiedliche Krankheitserreger zur Wehr setzt, genügt diesen Anforderungen nicht. In der beanstandeten Werbeaussage ist keiner derjenigen Nährstoffe genannt, für den nach der im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 enthaltenen Liste die Angabe zugelassen ist, dass er „zu einer normalen Funktion des Immunsystems beiträgt“. Die bloße Angabe einer bestimmten Wirkung ohne Benennung des Nährstoffs, der Substanz, des Lebensmittels oder der Lebensmittelkategorie, auf der diese Wirkung nach der Liste der zugelassenen Angaben beruht, ist mit der zugelassenen Angabe aber nicht inhaltsgleich und daher unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 36 f. mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

d) Der Verstoß gegen die vorgenannte Marktverhaltensregel ist – wie das Landgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat – letztlich auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar i. S. v. § 3a UWG zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 12 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Gesundheitsbezogen Angaben für Mineralwasser müssen Vorgaben der Health Claims Verordnung einhalten - Mineralwasser-Richtlinie enthält keine Spezialregelungen

BGH
Beschluss vom 30.01.2017
I ZR 257/15



Der BGH hat im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde entschieden, dass auch bei der Werbung für Mineralwasser mit gesundheitsbezogenen Angaben die Vorgaben der Health Claims Verordnung eingehalten müssen. Die Mineralwasser-Richtlinie enthält keine spezielleren Regelungen für gesundheitsbezogenen Angaben. Vielmehr sind die Vorgaben beider Richtlinien einzuhalten.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamm: Werbung mit "über 7.000 Vitalstoffen in Original Spiruletten mit Gerstengras" ist eine wettbewerbswidrige Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben

OLG Hamm
Urteil vom 30.04.2013
4 U 149/12


Das OLG Hamm hat wenig überraschend entschieden, dass die Werbung mit der Aussage "über 7.000 Vitalstoffen in Original Spiruletten mit Gerstengras" für ein Narungsergänzungsmittel eine wettbewerbswidrige Werbung mit geundheitsbezogenen Angaben darstellt.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: