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BGH: Mahnbescheid hemmt Verjährung nur wenn Anspruch für Schuldner durch Bezeichnung hinreichend erkennbar ist - nachträgliche Individualisierung hemmt ab Zeitpunkt der Vornahme

BGH
Urteil vom 14.07.2022
VII ZR 255/21
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 3


Der BGH hat entschieden, dass ein Mahnbescheid die Verjährung nur dann hemmt, wenn der Anspruch für den Schuldner durch die Bezeichnung hinreichend erkennbar ist. Eine nachträgliche Individualisierung des Anspruchs ist möglich, hemmt aber erst ab dem Zeitpunkt der Vornahme der Konkretisierung.

Leitsatz des BGH:
Die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren hemmt die Verjährung nur, wenn der Schuldner aufgrund der Bezeichnung des Anspruchs im Mahnbescheid erkennen kann, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleitet.

Die im Mahnbescheid nicht hinreichende Individualisierung des Anspruchs kann nachgeholt werden. Die Nachholung der Individualisierung hemmt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zwar nicht rückwirkend, aber ab dem Zeitpunkt ihrer Vornahme.

Für die nachträgliche Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren ist ebenso wie für die Individualisierung im Mahnbescheid ausschließlich auf den Erkenntnishorizont des Schuldners abzustellen. Dementsprechend ist es ohne Bedeutung, ob die Individualisierung des Anspruchs durch an das Gericht gerichteten Schriftsatz oder
außerhalb des Gerichtsverfahrens erfolgt.

BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - VII ZR 255/21 - OLG Koblenz - LG Mainz

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Flensburg: Anrufung der Datenschutzbehörde hemmt Verjährung nicht da es sich nicht um eine Streitbeilegungsstelle i.S.v. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB handelt

LG Flensburg
Urteil vom 19.11.2021
3 O 227/19


Das LG Flensburg hat entschieden, dass Anrufung der Datenschutzbehörde die Verjährung etwaiger Ansprüche gegen die verarbeitende Stelle nicht hemmt, da es sich dabei nicht um eine Streitbeilegungsstelle i.S.v. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB handelt.

Aus den Entscheidungsgründen:

bb) Ein etwaiger, hieraus folgender Schadensersatzanspruch des Klägers wäre nämlich verjährt und deshalb nicht durchsetzbar (§ 214 Abs. 1 BGB).

(1) Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers unterläge der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB).

(2) Diese Verjährungsfrist hätte mit dem Schluss des Jahres 2015 begonnen und mit Ablauf des Jahres 2018 geendet. Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Dies wäre hier der Schluss des Jahres 2015 gewesen:

Der Anspruch wäre im Jahr 2015 entstanden, weil die als gerügten Zugriffe auf die Patientendaten des Klägers im Mai 2015 stattfanden. Der Kläger hätte durch das Gespräch mit dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten der Beklagten, dem Zeugen O. F., und der nachfolgenden Übersendung der Stellungnahmen der vier Mitarbeiter der Beklagten, jeweils im Jahr 2015, auch Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt.

Anlässlich der Vernehmung des Zeugen F. hat der Kläger persönlich in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass das Gespräch mit dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten, in welchem die fraglichen Zugriffe identifiziert worden seien, bereits im Jahr 2015 stattgefunden habe. Der Kläger hat ebenfalls bestätigt, die in dem E-Mails vom 14.12.2015 und 15.12.2015 erwähnte Post mit den Stellungnahmen der Beschäftigten erhalten zu haben. Hiermit hatte der Kläger bereits 2015 die hinreichende Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen. Der Kläger wusste von den erfolgten Zugriffen auf seine Patientendaten, hat die Berechtigung für die vier streitgegenständlichen Zugriffe als zweifelhaft erkannt und er kannte die Stellungnahmen der vier Beschäftigten und damit deren Begründungen für die Zugriffe. Dies genügt, um die Verjährungsfrist beginnen zu lassen.

Entgegen der Auffassung des Klägers begann die Verjährung nicht erst dann zu laufen, als die internen Ermittlungen der Beklagten zu den Berechtigungen der Zugriffe abgeschlossen waren oder als das ULD Feststellungen hierzu getroffen hat. Die erforderliche Kenntnis von den Anspruchsvoraussetzungen und der Person des Ersatzpflichtigen liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es grundsätzlich nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände (statt vieler BGH, Urteil vom 27.05.2008 – XI ZR 132/07, juris Rn. 32 mwN). Hier hatte der Kläger bereits im Jahr 2015 Kenntnis aller tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage zumindest – wenn auch nicht risikolos – eine Feststellungsklage hätte erhoben werden können. Die Kenntnis von den gerügten Zugriffen auf seine Patientendaten, von bestehenden Zweifeln an der Berechtigung hierzu und von den Stellungnahmen der Beschäftigten, aufgrund derer er die Berechtigung der Beschäftigten hätte beurteilen können, genügte hierfür. Dies wird durch den vorliegenden Rechtsstreit bestätigt: Der Kläger gründet seine Klage letztlich auf die Umstände und Zweifel, die seinem Informationsstand im Jahr 2015 entsprechen. Der Umstand, dass das ULD mit Schreiben vom 10.08.2018 festgestellt hat, dass die Zugriffe einen Verstoß gegen Vorschriften der DSGVO darstellten, ändert hieran nichts; insoweit handelt es sich um die rechtliche Bewertung der bereits bekannten Umstände durch einen Dritten, auf die es für die Bestimmung des Verjährungsbeginns nicht ankommt.

(3) Die Verjährung wäre auch nicht gehemmt worden (§ 209 BGB).

(11) Die Verjährung wäre zunächst nicht durch Verhandlungen der Parteien gehemmt worden (§ 203 BGB).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der Begriff der „Verhandlungen“ im Sinne des § 203 Satz 1 BGB weit auszulegen. Der Gläubiger muss dafür lediglich klarstellen, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn stützen will. Anschließend genügt jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, sofern der Schuldner dies nicht sofort und erkennbar ablehnt. Verhandlungen schweben schon dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen Partei die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruches oder dessen Umfang ein. Nicht erforderlich ist, dass dabei Vergleichsbereitschaft oder Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert wird oder dass Erfolgsaussicht besteht (statt vieler BGH, Urteil vom 14.07.2009 – XI ZR 18/08, juris Rn. 16 mwN).

An diesem Maßstab gemessen haben Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB zwischen den Parteien in unverjährter Zeit nicht stattgefunden. Anders als der Kläger bewertet die Kammer die Kommunikation zwischen ihm und der Beklagten in der Zeit von 2015 bis 2018 nicht als Verhandlungen iSd. § 203 BGB. Die Parteien mögen dabei über Umstände gesprochen haben, die dem streitgegenständlichen Anspruch zugrunde liegen, etwa die gerügten Zugriffe auf die Patientendaten des Klägers, deren Berechtigungen etc. Erkennbar ist das Ziel des Klägers, Aufklärung zu erlangen und Vorsorge gegen zukünftige vermeintliche Datenschutzverstöße zu treffen. Auch forderte der Kläger die Beklagte immer wieder zu Stellungnahmen zu den gerügten und vermeintlichen weiteren Datenschutzverstößen auf. Weder aus dem Vortrag der Parteien noch aus der gesamten zur Akte gereichten Korrespondenz bis einschließlich 2018 ergibt sich aber, weder ausdrücklich noch konkludent, dass der Kläger gegenüber der Beklagten einen Schadensersatzanspruch geltend machen will. Dies aber ist Mindestvoraussetzung für ein „Verhandeln“ iSd. § 203 BGB, auch wenn dann anschließend jeder Meinungsaustausch hierüber, d.h. auch über die tatsächlichen Grundlagen, genügt. Soweit ersichtlich, begehrt der Kläger erstmals mit anwaltlichem Schreiben vom 15.01.2019 (Anlage K6, Blatt 18 der Akte) Schadensersatz in Form der Erstattung seiner Rechtsanwaltskosten und behält sich „etwaige Schadensersatzansprüche gemäß Art. 82 DSGVO“ vor. Dies geschah allerdings bereits in verjährter Zeit und vermochte eine Hemmung nicht mehr herbeizuführen.

(22) Die Anrufung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein durch den Kläger mit Schreiben vom 16.03.2018 führte ebenfalls nicht zu einer Hemmung der Verjährung. Der Landesbeauftragte ist nicht als staatliche oder staatlich anerkannte Streitbeilegungsstelle iSd. § 204 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a BGB oder als andere Streitbeilegungsstelle iSd. § 204 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b BGB tätig geworden. Trotz der fehlenden zeitlichen Anwendbarkeit der DSGVO (dazu oben) ist das ULD, dokumentiert etwa im Schreiben des ULD vom 16.07.2018 (Sonderband), aufgrund der Beschwerde des Klägers nach Art. 77 DSGVO im Rahmen eines aufsichtsbehördlichen Verfahrens gemäß § 74 LVwG tätig geworden, in dessen Ergebnis gemäß Art. 58 Abs. 2 DSGVO Abhilfebefugnisse wie etwa eine Verwarnung, Beschränkungen oder Geldbußen hätten ausgesprochen bzw. verhängt werden können, wovon das ULD letztlich aber absah. Dieses Verwaltungsverfahren ist auf die Überprüfung etwaiger Datenschutzverstöße, deren Sanktionierung und zukünftige Verhinderung gerichtet, nicht aber auf die Beilegung eines Streits zwischen Parteien über einen erhobenen, individuellen Anspruch. Im Übrigen muss für einen wirksam hemmenden Streitbeilegungsantrag - wie bei allen in § 204 Abs. 1 BGB genannten Rechtsverfolgungshandlungen und Verfahren - ein bestimmter Anspruch bezeichnet werden. Nur im Umfang des geltend gemachten Anspruchs erfolgt eine Hemmung. Antragsgegner, Streitbeilegungsstelle und einem ggf. später befassten Gericht muss es möglich sein, Art, Umfang und Tatsachenbasis einer Forderung zu identifizieren (zum Ganzen BeckOGK-BGB/Meller-Hannich, Stand 01.09.2021, § 204 BGB Rn. 176 mwN). Einen solchen individualisierten (Schadensersatz-) Anspruch hat der Kläger bei Anrufung des ULD weder geltend gemacht noch ist ein solcher Gegenstand des Verwaltungsverfahrens vor dem ULD. Auch dies zeigt, dass dieses Verwaltungsverfahren nicht auf Beilegung eines Streits zwischen Parteien über einen erhobenen Anspruch ausgerichtet und deshalb kein Streitbeilegungsverfahren ist, das ULD ist keine Streitbeilegungsstelle.

(33) Die Klage ist am 03.07.2019 und damit in verjährter Zeit bei Gericht eingegangen, so dass die Erhebung der Klage die Verjährung ebenfalls nicht mehr zu hemmen vermochte (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Schadensersatz in LKW-Kartell-Fällen - Hemmung der Verjährung beginnt schon mit Ermittlungsmaßnahmen wegen Kartellrechtsverstoßes

BGH
Urteil vom 23.11.2020
KZR 35/19
LKW-Kartell
GWB 2005 § 33 Abs. 3, Abs. 5

Der BGH hat im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen in den LKW-Kartell-Fällen entschieden, dass die Hemmung der Verjährung schon mit Einleitung von Ermittlungsmaßnahmen wegen Kartellrechtsverstößen der beteiligten Unternehmen und nicht erst mit förmlicher Einleitung eines Verfahrens durch die Europäische Kommission beginnt.

Leitsätze des BGH:

a) Sind von einem Kartell mit hoher Marktabdeckung über einen längeren Zeitraum Preislisten und Listenpreiserhöhungen abgestimmt worden, ist bei der Prüfung, ob einem Unternehmen durch den Erwerb eines Produkts eines Kartellbeteiligten ein Schaden entstanden ist, der Erfahrungssatz, dass die im Rahmen eines Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, auch dann zu berücksichtigen, wenn eine Koordinierung der Transaktionspreise nicht stattgefunden hat.

b) In die dem Tatrichter obliegende Gesamtwürdigung, ob die Kartellabsprache einen Schaden verursacht hat, ist dieser Erfahrungssatz mit dem Gewicht einzustellen, das ihm im konkreten Fall nach Inhalt, Umfang und Dauer der Verhaltenskoordinierung sowie aller weiterer erheblicher Umstände zukommt, die für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells sprechen. Dabei sind bindende Feststellungen der Kommission oder der Kartellbehörde umfassend und erschöpfend zu berücksichtigen; der Tatrichter ist nicht gehindert, aus diesen Feststellungen Schlussfolgerungen zu ziehen, die als solche von der Bindungswirkung nicht umfasst sind.

c) Die Hemmung der Verjährung eines Schadensersatzanspruchs beginnt nicht erst mit der förmlichen Einleitung eines Verfahrens durch die Europäische Kommission, sondern bereits mit einer Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, gegen das betreffende Unternehmen wegen einer verbotenen Beschränkung des Wettbewerbs zu ermitteln.

BGH, Urteil vom 23. September 2020 - KZR 35/19 - OLG Stuttgart LG Stuttgart

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BGH: Kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche und Garantie sind keine Ansprüche aus demselben Grund nach § 213 BGB - Keine Hemmung der Verjährung

BGH
Urteil vom 27.09.2017
VIII ZR 99/16
BGB § 213


Kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche und Ansprüche aus einer Garantievereinbarung sind keine Ansprüche aus demselben Grund nach § 213 BGB, so dass die Verjährung nicht automatisch gemeinsam gehemmt wird.

Leitsatz des BGH:

Zwei Ansprüche beruhen auf "demselben Grund" im Sinne von § 213 BGB, wenn sie aus demselben, durch das Anspruchsziel geprägten Lebenssachverhalt abgeleitet sind, der die Grundlage für das Entstehen der beiden Ansprüche darstellt; der Anspruchsgrund muss "im Kern" identisch sein. Hieran fehlt es im Verhältnis zwischen kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüchen einerseits und Ansprüchen aus einer daneben abgeschlossenen (Haltbarkeits-)Garantie andererseits (Fortführung Senatsurteil vom 29. April 2015 - VIII ZR 180/14, BGHZ 205, 151).

BGH, Urteil vom 27. September 2017 - VIII ZR 99/16 - OLG Zweibrücken - LG Kaiserslautern

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BGH: Hemmung der Verjährung nur wenn der Lauf der Verjährungsfrist bereits begonnen hat

BGH
Urteil vom 25.04.2017
VI ZR 386/16
BGB § 209


Der BGH hat entschieden, dass die Verjährung nur dann gehemmt sein kann, wenn der Lauf der Verjährungsfrist bereits begonnen hat.

Leitsatz des BGH:

Ein Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist (§ 209 BGB), kann nur der nach Verjährungsbeginn verstrichenne sein.

BGH, Urteil vom 25. April 2017 - VI ZR 386/16 - LG Ravensburg - AG Tettnang

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BGH: Keine Verjährungshemmung bei Falschangabe in Mahnbescheid zur angeblichen Gegenleistung - Zur Reichweite der Hemmung der Verjährung durch Zustellung eines Mahnbescheids

BGH
Urteil vom 16.07.2015
III ZR 238/14
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 3, § 242; ZPO § 688 Abs. 2 Nr. 1, § 690 Abs. 1 Nr. 4


Der BGH hat entschieden, dass die Zustellung eines Mahnbescheids die Verjährung nicht hemmt, wenn der Antragsteller Falschangaben zur angeblichen Gegenleistung macht. Zudem hat der BGH nochmals präzisiert, welche Ansprüche ggf. von der Verjährungshemmung erfasst werden.

Leitsätze des BGH:

a) Die mit der Zustellung eines Mahnbescheids verbundene Hemmungswirkung erfasst den Streitgegenstand insgesamt und somit auch alle materiellrechtlichen Ansprüche, die zum Streitgegenstand gehören. Demgemäß erstreckt sich die Hemmungswirkung bei hinreichender Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs im Mahnantrag auf alle im Rahmen der Anlageberatung unterlaufenen Beratungsfehler (Fortführung der Senatsurteile vom 18. Juni 2015 - III ZR 303/14 und III ZR 198/14).

b) Die § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO widerstreitende Geltendmachung des "großen" Schadensersatzes, der nur Zug um Zug gegen Herausgabe eines erlangten Vorteils zu gewähren ist, stellt, wenn der Antragsteller entgegen § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bewusst falsche Angaben macht, einen Missbrauch des Mahnverfahrens dar, der es dem Antragsteller nach § 242 BGB grundsätzlich verwehrt, sich auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids zu berufen (Anschluss an BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - XI ZR 536/14).

BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 - III ZR 238/14 - OLG Bamberg - LG Schweinfurt

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Missbrauch des gerichtlichen Mahnverfahrens - Keine Hemmung der Verjährung bei bewusst falschen Angaben

BGH
Urteil vom 23.06.2015
XI ZR 536/14


Ein gerichtlicher Mahnbescheid kann von jedermann beantragt werden. Das Mahngericht prüft dabei nur die formellen Voraussetzungen, nicht jedoch ob der Anspruch tatsächlich besteht. Dem Antragsgegner bleibt die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Es ist nicht verwunderlich, dass das gerichtliche Mahnverfahren auch missbraucht wird. Der BGH hat nun völlig zu Recht entschieden, dass keine Hemmung der Verjährung eintritt, wenn der Antragsteller bewusst falsche Angaben macht.

Die Pressemitteilung des BGH:

"Bundesgerichtshof entscheidet über Folgen des Missbrauchs des Mahnverfahrens

Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass sich auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids nicht berufen kann, wer im Mahnverfahren bewusst falsche Angaben macht.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens erwarb im Jahr 1992 Wohnungseigentum. Den Kaufpreis finanzierte er über Darlehen der Beklagten. Spätestens im Jahr 2005 erfuhr der Kläger von möglichen Ansprüchen gegen die Beklagte aus dem Gesichtspunkt einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung. Er hat daraufhin am 30. Dezember 2008 durch seinen vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids gestellt, mit dem er in der Hauptsache Zahlung von "großem" Schadensersatz geltend gemacht hat. In dem Antrag auf Erlass des Mahnbescheids hat er erklärt, dass der Anspruch von einer Gegenleistung nicht abhänge, obwohl der für ihn handelnde Prozessbevollmächtigte wusste, dass die Beklagte "großen" Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Übertragung des Wohnungseigentums schuldete. Der antragsgemäß erlassene Mahnbescheid ist der Beklagten im Januar 2009 zugestellt worden. Nach Widerspruch der Beklagten und Abgabe an das Landgericht hat der Kläger seinen Anspruch unter dem 6. Mai 2010 begründet.

Die Klage auf Leistung von "großem" Schadensersatz, der die Beklagte die Einrede der Verjährung entgegengehalten hat, ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision des Klägers hat der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zurückgewiesen, wobei er sich im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt hat:

Nach § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO findet das Mahnverfahren nicht statt, wenn die Geltendmachung des Anspruchs von einer noch nicht erbrachten Gegenleistung abhängt. Wer den Erlass eines Mahnbescheids beantragt, muss nach § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erklären, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhängt oder dass die Gegenleistung erbracht ist. Gibt der Antragsteller im Mahnverfahren in Kenntnis der Rechtslage bewusst eine sachlich unrichtige Erklärung ab, weil er "großen" Schadensersatz nur Zug um Zug gegen einen im Zusammenhang mit der Schädigung erlangten Vorteil – hier die Eigentumswohnung – verlangen kann, im Antrag aber behauptet, der Anspruch sei von einer Gegenleistung nicht abhängig, wird die Verjährung zwar nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt. Die Geltendmachung des "großen" Schadensersatzes stellt in diesem Fall aber einen Missbrauch des Mahnverfahrens dar. Dieser Missbrauch verwehrt es dem Antragsteller nach § 242 BGB grundsätzlich, sich auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids zu berufen. Unter diesen Umständen ist es ihm im Regelfall auch versagt, sich wenigstens auf eine Hemmung der Verjährung in Höhe des "kleinen" Schadensersatzes zu berufen. Deshalb musste sich auch der Kläger, nachdem die Verjährungsfrist ohne Zustellung des Mahnbescheids abgelaufen wäre, so behandeln lassen, als sei sein Anspruch verjährt.

OLG Karlsruhe - Urteil vom 10. Dezember 2014 - 13 U 203/12

LG Freiburg - Urteil vom 5. Oktober 2012 - 5 O 15/11

Karlsruhe, den 23. Juni 2015

§ 688 ZPO Zulässigkeit

[…]

(2) Das Mahnverfahren findet nicht statt:

[…]

2. wenn die Geltendmachung des Anspruchs von einer noch nicht erbrachten Gegenleistung abhängig ist;

[…]

§ 690 ZPO Mahnantrag

(1) Der Antrag muss auf den Erlass eines Mahnbescheids gerichtet sein und enthalten:

[…]

4. die Erklärung, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhängt oder dass die Gegenleistung erbracht ist;

[…]

§ 204 BGB Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung

(1) Die Verjährung wird gehemmt durch

[…]

3. die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren […]

[…]

§ 242 BGB Leistung nach Treu und Glauben

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.



BGH: Zur Hemmung der Verjährung durch einen Mahnbescheid bei Schadensersatzansprüchen - Wechsel der Art der Schadensberechnung bei gleichem Lebenssachverhalt unschädlich

BGH
Urteil vom 05.08.2014
XI ZR/172/13
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 3, § 242, ZPO § 688 Abs. 2 Nr. 2, § 690 Abs. 1 Nr. 4


Leitsatz des BGH:
Zur Hemmung der Verjährung bei der Geltendmachung von Schadenersatz im Mahnverfahren.
BGH, Urteil vom 5. August 2014 - XI ZR 172/13 - OLG Frankfurt am Main - LG Frankfurt am Main

Aus den Entscheidungsgründen:

"Dass der Kläger im Mahnverfahren wegen § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO lediglich den "kleinen" Schadenersatz geltend gemacht hat, auf den er, nachdem er einen Anspruch auf "großen" Schadenersatz begründet hat, im Laufe des Rechtsstreits zurückgekommen ist, hindert den Eintritt der Hemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht. Ob die eine oder die andere Art des Schadenersatzes geltend gemacht wird, ist lediglich eine Frage der Schadensberechnung. Wechselt der Kläger die Art der Schadensberechnung, ohne seinen Antrag auf einen abgewandelten Lebenssachverhalt zu stützen, liegt keine Klageänderung vor (BGH, Urteil vom 9. Oktober 1991 VIII ZR 88/90, BGHZ 115, 286, 289 ff. mwN). Ein Missbrauch des Mahnverfahrens, der den Antragsteller bei der Geltendmachung von "großem" Schadenersatz im Einzelfall nach § 242 BGB daran hindern kann, sich auf die Hemmung der Verjährung zu berufen, wenn er eine Erklärung nach § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO abgibt, obwohl er nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die empfangene Leistung Zug um Zug zurückzugeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 VIII ZR 157/11, WM 2012, 560 Rn. 7 ff.; zu weitgehend Schultz, NJW 2014, 827 ff.), fällt dem Kläger nicht zur Last."



Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: