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LG Flensburg: 10.000 EURO Schmerzensgeld für wahrheitswidrige Behauptung in der Öffentlichkeit dass Person der Stasi angehörte

LG Flensburg
Urteil vom 14.06.2023
7 O 140/20


Das LG Flensburg hat dem Betroffenen ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 EURO für die wahrheitswidrige Behauptung in der Öffentlichkeit, dass die betroffene Person der Stasi angehörte, zugesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Anspruch des Klägers auf Schmerzensgeld gegen den Beklagten zu 1 steht dem Grunde nach bereits rechtskräftig fest (siehe Grund- und Teilurteil).

2. Der Höhe nach hält das Gericht das vom Kläger als Mindestmaß angegebene Schmerzensgeld für sachlich gerechtfertigt und angemessen.

Bei der Bestimmung der Höhe war die Schwere des Eingriffs (siehe Ziffer b)), die persönlichen

Folgen / Beeinträchtigungen des Klägers (siehe Ziffer c)), wie auch der jeweilige Verschuldensgrad seitens des Störers (hier des Beklagten zu 1) zu berücksichtigen (dazu Ziffer d)).

Nach freier Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts, den vorgelegten medizinischen Befunden und Berichten (Anlage K 27 - K 29, Bl. 266 - 269 und Bl. 417 d.A.), den Angaben des Klägers und den Zeugenaussagen hält das Gericht – auch mit Blick auf vergleichbare Fälle in der Rechtsprechung – im vorliegenden Fall ein Schmerzensgeld in Höhe von € 10.000,00 für angemessen.

a) Grundsätzlich hängt die Schmerzensgeldhöhe entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder mit ihnen zu diesem Zeitpunkt als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss. Die Schwere der Belastungen wird dabei vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt. Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen zu (Leitsatz OLG München, Urteil v. 13.12.2013, Az. 10 U 4926/12, BeckRS 2013, 22617).

Die Überzeugung des Richters erfordert in dem Zusammenhang keine – ohnehin nicht erreichbare – absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ im Hinblick auf die Folgen, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. OLG München, Urteil v. 13.12.2013, Az. 10 U 4926/12, BeckRS 2013, 22617 m.w.N.). Nach der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität anwendbaren Vorschrift des § 287 ZPO werden geringere Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt. Hier genügt je nach Lage des Einzelfalls eine überwiegende (höhere) Wahrscheinlichkeit für die Überzeugungsbildung.

b) Die Qualität des Eingriffs dürfte vorliegend - wenn auch subjektiv auf Klägerseite anders empfunden - eher als mittelschwer zu qualifizieren sein.

Bei der Beurteilung der Qualität des Eingriffs ist einerseits die Art der Behauptung aber auch die Reichweite dieser zu berücksichtigen.

Zweifelsohne ist die vorliegende Art der Behauptung, der Kläger sei Mitglied (sogar „bis 1989 Offizier“) der Stasi gewesen und habe hierbei „viele Werftarbeiter persönlich über die Klinge springen [lassen] durch seine Spitzeltätigkeit“ schwerwiegend und in hohem Maße ehrverletzend. Derartige Behauptungen sind zudem geeignet, das soziale und ggf. politische Ansehen des Klägers zu mindern. Schließlich herrscht heute innerhalb der Bundesrepublik Deutschland allgemeiner Konsens darüber, dass die Stasi für zahlreiche Verbrechen an Menschen verantwortlich ist, die nach damaliger Beurteilung innerhalb der DDR nicht ins dortige System passten. Dass Menschen im Auftrag der Stasi verfolgt, verhaftet, gefoltert und gar getötet worden sind, dürfte heute nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt werden.

Indes geht das Gericht basierend auf den Angaben der Parteien von einer eher überschaubaren Reichweite der Äußerungen des Beklagten zu 1 aus. Zwar ist es unstreitig sehr wohl möglich gewesen, auf den Blog des Beklagten zu 1 sowie auf sein Buch aufmerksam zu werden, wenn man den Namen des Klägers zusammen mit anderen „Schlagwörtern“ bei der Suchmaschine „google“ eingegeben hat. Indes dürfte der Blog des Beklagten zu 1 mit der Domain „http://…“ ansonsten eher einen geringen „fraffic“ (Anzahl der Besucher auf der Homepage innerhalb eines bestimmten Zeitraums) gehabt haben. Zudem dürfte sich nur eine bestimmte Klientel mit dem Inhalt des Blogs auseinandergesetzt haben. Auch die Auflage des Buches beziehungsweise die bislang (geschätzte) Anzahl der Verkäufe (rund 25-30 mal) bei Amazon („www.amazon.de“) ist im Vergleich zu anderen Fällen verhältnismäßig gering. Hinzu kommt, dass der Kläger in dem Buch nur an vereinzelten Stellen genannt wird, sich das Buch also nicht ausschließlich um seine Person dreht.

c) Die persönlichen Folgen bzw. Beeinträchtigungen auf Seiten des Klägers stuft das Gericht indes als schwerwiegend ein.

Nach der Überzeugung des Gerichts haben die falschen ehrverletzenden Behauptungen des Beklagten zu 1 erhebliche negative psychische Auswirkungen auf den Kläger gehabt mit der Folge, dass dieser in eine schwere emotionale Krise gestürzt ist.

aa) Zum einen hat das Gericht die medizinischen Befunde und Berichte (Anlage K 27 - K 29, Bl. 266 - 269 und Bl. 417 d.A.) berücksichtigt. Auf deren Inhalt wird an dieser Stelle vollumfänglich Bezug genommen.

bb) Vor allem aber stützt das Gericht seine Beurteilung auf den eigenen persönlich vom Kläger gewonnenen Eindruck, dessen glaubhafte Darstellung seiner Situation sowie auf die glaubhaften Angaben des Zeugen … .

(1) In der mündlichen Verhandlung vom 22.7.2021, in welcher der Kläger das erste mal informatorisch zur Sache angehört wurde, hat das Gericht bereits den Eindruck gewonnen, dass der Kläger von dem Verfahren und der Situation schwer gezeichnet war. Mit hängenden Schultern und sorgenvoller Mine hat der Kläger damals berichtet, dass ihn die falschen Behauptungen sehr belasten würden. Er sehe seinen guten Ruf in Gefahr und wolle nicht, dass seine ehemaligen Kollegen und Schüler ein derartiges (falsches) Bild von ihm gezeichnet bekämen.

(2) Auch in der mündlichen Verhandlung vom 17.2.2022 wirkte der Kläger auf das Gericht sehr angeschlagen. Es fiel ihm merklich schwer, über die Auswirkungen der Vorwürfe zu sprechen. Dennoch gab er glaubhaft zu Protokoll, dass er sich vor ca. 10 Jahren in psychische Behandlung habe begeben müssen. Damals habe er mit den Folgen eines sog. „Burnout“ zu tun gehabt. Nachdem er diese Krise überwunden hatte, sei die Thematik - aufgrund der Behauptungen des Beklagten zu 1 und dieses Prozesses - jetzt allerdings wieder hochgekommen. Er habe sich im Zusammenhang mit den Anschuldigungen sogar in stationäre Behandlung begeben müssen.

(3) Diese Angaben hat der Zeuge … in der mündlichen Verhandlung vom

25.5.2023 glaubhaft bestätigt.

Dieser hat ausgesagt, den Kläger schon seit dem Jahr 2011 zu kennen. Damals sei er bei ihm wegen Depressionen und Angststörungen sowie Schmerzen in Behandlung gewesen. Diese damalige Behandlung habe zu tun gehabt mit der beruflichen Belastung des Klägers.

Im Jahr 2020, als er auf die Behauptungen über sich im Internet aufmerksam wurde, sei er dann erneut in eine schwere Krise gekommen. Er sei seit damals wieder verstärkt angespannt gewesen und habe nicht schlafen können. Er habe die Situation als „sehr bedrohlich“ wahrgenommen. Besonders belastet habe ihn, dass er dieser Situation so hilflos gegenüber stand.

Er sei damals auch sehr impulsiv gewesen und habe versucht, sich mit Alkohol zu beruhigen. Zuvor habe er lange Zeit gar keinen Alkohol mehr zu sich genommen.

Ein weiteres Thema sei gewesen, dass die Ehefrau des Klägers ebenfalls sehr besorgt gewesen sei. Dies habe letztlich auch zu einer Ehekrise geführt, da der Kläger seine Ehe in Gefahr gesehen habe. Dies insbesondere aufgrund des Umstandes, dass die Ehefrau des Klägers bei dem Konsum von Alkohol katastrophale Wirkungen bzw. Gedanken hervorgebracht habe. Die Ehefrau des Klägers dahingehend wieder einzufangen und sie davon zu überzeugen, dass die Probleme des Klägers gelöst werden müssten, sei für den Kläger und den Zeugen … ein enormer Kraftakt gewesen.

Zusammengefasst habe der Kläger zwischen 2020 und 2022 in einer erheblichen psychischen Krise gesteckt hat, die kausal durch die Behauptungen des Beklagten zu 1 hervorgerufen worden sei (Protokoll vom 25.5.2023, S. 2-4). Ob er diese Krise je überwinden werde, sei ungewiss. Der Zeuge … sehe allerdings gute Chancen, wenn dieser Prozess beendet sei.

Die Angaben des Zeugen waren insgesamt glaubhaft. Hinweise auf eine einseitige Belastungs- oder Begünstigungstendenz haben sich nicht ergeben. Bei dem Zeugen … handelt es sich um einen seit Jahren praktizierenden Nervenarzt, der seine fachkundigen Wahrnehmungen wertungsfrei wiedergegeben hat. Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen haben sich ebenfalls nicht ergeben.

d) Das Maß an Verschulden bzw. Vorwerfbarkeit des Beklagten zu 1 sieht das Gericht als hoch an (mit Einschränkung).

Das Gericht geht zwar - ohne Zweifel - davon aus, dass der Beklagte zu 1 die Behauptungen über den Kläger in der Absicht öffentlich aufgestellt hat, um diesem zu schaden. Auch geht das Gericht davon aus, dass der Beklagte zu 1 seinen Fehler (Behauptungen sind tatsächlich unwahr) bei objektiver Betrachtung hätte erkennen müssen und können, wenn er sich mit der Aktenlage intensiver beschäftigt hätte. Der Fehler wäre also vermeidbar gewesen. Dies, wie auch die Qualität der Behauptung, muss sich der Beklagte zu 1 vorwerfen lassen.

Indes hat das Gericht im Laufe des Prozesses auch den Eindruck gewonnen, dass der Beklagte zu 1 aufgrund seiner eigenen Vergangenheit (als Opfer der Stasi) womöglich psychisch und emotional derart geprägt worden ist, dass ihm die Unterscheidung zwischen Realität (objektiv beweisbarem) und Vorstellung nicht mehr ohne Einschränkung gelingt. Mit Verweis auf die zahlreichen aus Sicht des Gerichts nicht nachvollziehbaren - teils persönlichen - Einlassungen des Beklagten zu 1 (vgl. dazu auch Grund- und Teilurteil, S. 13 ff.) sowie seine mangelnde Einsicht (trotz zweier Instanzen) schließt das Gericht nicht aus, dass der Beklagten zu 1 womöglich die Tragweite seiner Handlungen gar nicht erkennt. Jedenfalls scheint er unter einem erheblichen psychischen Trauma zu leiden, welches er durch Benennung der „Täter“ aufzuarbeiten versucht. Dass er hierbei einen Falschen als „Täter“ benannt hat, ist für ihn emotional womöglich nicht nachvollziehbar. Dies mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass Verschleierung, Verdunkelung und Täuschung in der ehemaligen DDR, insbesondere bei der Stasi, an der Tagesordnung waren. Irgendwann mag bei jedem Menschen, der von einer solchen Welt geprägt worden ist, der Punkt erreicht sein, ab dem er nichts mehr glaubt, sondern sich seine eigene Wahrheit schafft.

e) Bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe hat das erkennende Gericht insbesondere die folgenden, in der Schmerzensgeldtabelle exemplarisch aufgeführten Entscheidungen anderer Gerichte berücksichtigt und sich hieran orientiert:

• Ehrverletzung durch unzutreffende Berichterstattung ohne Namensnennung. Dennoch erfuhren mindestens 217 Bekannte, Verwandte oder Kollegen von der Behauptung, der Kläger habe als „Stasi-Scherge" einen Mord begangen: OLG Hamm, Urteil vom 1.6.1992, Az. 3 U 25/92, BeckRS 9998, 11842.

• Ehrverletzung durch Ausstrahlung von Fernsehaufnahmen („Brandenburg aktuell"), in denen der Kläger als "Neonazi" mit einschlägiger Vergangenheit dargestellt wurde: LG Berlin, Urteil vom 9.10.1997, Az. 27 O 349/97, BeckRS 9998, 16109.

• Bezeichnung des im Kommunalwahlkampf stehenden Klägers als „kulturloser Bonze" und „Wendehals". Zudem wurde der Kläger einer tatsächlich nicht bestehenden SED Vergangenheit beschuldigt: LG Frankfurt, Urteil vom 29.7.2004, Az. 17 O 540/03, BeckRS 2004, 17904.

• Ehrverletzung wegen eines „herabwürdigenden Artikels" mit der Folge psychischer Beeinträchtigungen: LG München, Urteil vom 11.6.2008, Az. 9 O 15086/06, BeckOK zum Schmerzensgeld Nr. 3782.

• Unzutreffende Bezeichnung als „Perspektiv-Agent des KGB". Es stelle eine schwere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, in einer Buchveröffentlichung eine andere Person mit dem kommunistischen Geheimdienst KGB in Verbindung zu bringen, weil so zu Lasten des Betroffenen ein zwielichtiger Eindruck erweckt werde: OLG Bremen, Urteil vom 1.11.1995, Az. 1 U 51/95, BeckRS 9998, 2560.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Flensburg: Anrufung der Datenschutzbehörde hemmt Verjährung nicht da es sich nicht um eine Streitbeilegungsstelle i.S.v. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB handelt

LG Flensburg
Urteil vom 19.11.2021
3 O 227/19


Das LG Flensburg hat entschieden, dass Anrufung der Datenschutzbehörde die Verjährung etwaiger Ansprüche gegen die verarbeitende Stelle nicht hemmt, da es sich dabei nicht um eine Streitbeilegungsstelle i.S.v. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB handelt.

Aus den Entscheidungsgründen:

bb) Ein etwaiger, hieraus folgender Schadensersatzanspruch des Klägers wäre nämlich verjährt und deshalb nicht durchsetzbar (§ 214 Abs. 1 BGB).

(1) Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers unterläge der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB).

(2) Diese Verjährungsfrist hätte mit dem Schluss des Jahres 2015 begonnen und mit Ablauf des Jahres 2018 geendet. Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Dies wäre hier der Schluss des Jahres 2015 gewesen:

Der Anspruch wäre im Jahr 2015 entstanden, weil die als gerügten Zugriffe auf die Patientendaten des Klägers im Mai 2015 stattfanden. Der Kläger hätte durch das Gespräch mit dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten der Beklagten, dem Zeugen O. F., und der nachfolgenden Übersendung der Stellungnahmen der vier Mitarbeiter der Beklagten, jeweils im Jahr 2015, auch Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt.

Anlässlich der Vernehmung des Zeugen F. hat der Kläger persönlich in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass das Gespräch mit dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten, in welchem die fraglichen Zugriffe identifiziert worden seien, bereits im Jahr 2015 stattgefunden habe. Der Kläger hat ebenfalls bestätigt, die in dem E-Mails vom 14.12.2015 und 15.12.2015 erwähnte Post mit den Stellungnahmen der Beschäftigten erhalten zu haben. Hiermit hatte der Kläger bereits 2015 die hinreichende Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen. Der Kläger wusste von den erfolgten Zugriffen auf seine Patientendaten, hat die Berechtigung für die vier streitgegenständlichen Zugriffe als zweifelhaft erkannt und er kannte die Stellungnahmen der vier Beschäftigten und damit deren Begründungen für die Zugriffe. Dies genügt, um die Verjährungsfrist beginnen zu lassen.

Entgegen der Auffassung des Klägers begann die Verjährung nicht erst dann zu laufen, als die internen Ermittlungen der Beklagten zu den Berechtigungen der Zugriffe abgeschlossen waren oder als das ULD Feststellungen hierzu getroffen hat. Die erforderliche Kenntnis von den Anspruchsvoraussetzungen und der Person des Ersatzpflichtigen liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es grundsätzlich nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände (statt vieler BGH, Urteil vom 27.05.2008 – XI ZR 132/07, juris Rn. 32 mwN). Hier hatte der Kläger bereits im Jahr 2015 Kenntnis aller tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage zumindest – wenn auch nicht risikolos – eine Feststellungsklage hätte erhoben werden können. Die Kenntnis von den gerügten Zugriffen auf seine Patientendaten, von bestehenden Zweifeln an der Berechtigung hierzu und von den Stellungnahmen der Beschäftigten, aufgrund derer er die Berechtigung der Beschäftigten hätte beurteilen können, genügte hierfür. Dies wird durch den vorliegenden Rechtsstreit bestätigt: Der Kläger gründet seine Klage letztlich auf die Umstände und Zweifel, die seinem Informationsstand im Jahr 2015 entsprechen. Der Umstand, dass das ULD mit Schreiben vom 10.08.2018 festgestellt hat, dass die Zugriffe einen Verstoß gegen Vorschriften der DSGVO darstellten, ändert hieran nichts; insoweit handelt es sich um die rechtliche Bewertung der bereits bekannten Umstände durch einen Dritten, auf die es für die Bestimmung des Verjährungsbeginns nicht ankommt.

(3) Die Verjährung wäre auch nicht gehemmt worden (§ 209 BGB).

(11) Die Verjährung wäre zunächst nicht durch Verhandlungen der Parteien gehemmt worden (§ 203 BGB).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der Begriff der „Verhandlungen“ im Sinne des § 203 Satz 1 BGB weit auszulegen. Der Gläubiger muss dafür lediglich klarstellen, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn stützen will. Anschließend genügt jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, sofern der Schuldner dies nicht sofort und erkennbar ablehnt. Verhandlungen schweben schon dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen Partei die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruches oder dessen Umfang ein. Nicht erforderlich ist, dass dabei Vergleichsbereitschaft oder Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert wird oder dass Erfolgsaussicht besteht (statt vieler BGH, Urteil vom 14.07.2009 – XI ZR 18/08, juris Rn. 16 mwN).

An diesem Maßstab gemessen haben Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB zwischen den Parteien in unverjährter Zeit nicht stattgefunden. Anders als der Kläger bewertet die Kammer die Kommunikation zwischen ihm und der Beklagten in der Zeit von 2015 bis 2018 nicht als Verhandlungen iSd. § 203 BGB. Die Parteien mögen dabei über Umstände gesprochen haben, die dem streitgegenständlichen Anspruch zugrunde liegen, etwa die gerügten Zugriffe auf die Patientendaten des Klägers, deren Berechtigungen etc. Erkennbar ist das Ziel des Klägers, Aufklärung zu erlangen und Vorsorge gegen zukünftige vermeintliche Datenschutzverstöße zu treffen. Auch forderte der Kläger die Beklagte immer wieder zu Stellungnahmen zu den gerügten und vermeintlichen weiteren Datenschutzverstößen auf. Weder aus dem Vortrag der Parteien noch aus der gesamten zur Akte gereichten Korrespondenz bis einschließlich 2018 ergibt sich aber, weder ausdrücklich noch konkludent, dass der Kläger gegenüber der Beklagten einen Schadensersatzanspruch geltend machen will. Dies aber ist Mindestvoraussetzung für ein „Verhandeln“ iSd. § 203 BGB, auch wenn dann anschließend jeder Meinungsaustausch hierüber, d.h. auch über die tatsächlichen Grundlagen, genügt. Soweit ersichtlich, begehrt der Kläger erstmals mit anwaltlichem Schreiben vom 15.01.2019 (Anlage K6, Blatt 18 der Akte) Schadensersatz in Form der Erstattung seiner Rechtsanwaltskosten und behält sich „etwaige Schadensersatzansprüche gemäß Art. 82 DSGVO“ vor. Dies geschah allerdings bereits in verjährter Zeit und vermochte eine Hemmung nicht mehr herbeizuführen.

(22) Die Anrufung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein durch den Kläger mit Schreiben vom 16.03.2018 führte ebenfalls nicht zu einer Hemmung der Verjährung. Der Landesbeauftragte ist nicht als staatliche oder staatlich anerkannte Streitbeilegungsstelle iSd. § 204 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a BGB oder als andere Streitbeilegungsstelle iSd. § 204 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b BGB tätig geworden. Trotz der fehlenden zeitlichen Anwendbarkeit der DSGVO (dazu oben) ist das ULD, dokumentiert etwa im Schreiben des ULD vom 16.07.2018 (Sonderband), aufgrund der Beschwerde des Klägers nach Art. 77 DSGVO im Rahmen eines aufsichtsbehördlichen Verfahrens gemäß § 74 LVwG tätig geworden, in dessen Ergebnis gemäß Art. 58 Abs. 2 DSGVO Abhilfebefugnisse wie etwa eine Verwarnung, Beschränkungen oder Geldbußen hätten ausgesprochen bzw. verhängt werden können, wovon das ULD letztlich aber absah. Dieses Verwaltungsverfahren ist auf die Überprüfung etwaiger Datenschutzverstöße, deren Sanktionierung und zukünftige Verhinderung gerichtet, nicht aber auf die Beilegung eines Streits zwischen Parteien über einen erhobenen, individuellen Anspruch. Im Übrigen muss für einen wirksam hemmenden Streitbeilegungsantrag - wie bei allen in § 204 Abs. 1 BGB genannten Rechtsverfolgungshandlungen und Verfahren - ein bestimmter Anspruch bezeichnet werden. Nur im Umfang des geltend gemachten Anspruchs erfolgt eine Hemmung. Antragsgegner, Streitbeilegungsstelle und einem ggf. später befassten Gericht muss es möglich sein, Art, Umfang und Tatsachenbasis einer Forderung zu identifizieren (zum Ganzen BeckOGK-BGB/Meller-Hannich, Stand 01.09.2021, § 204 BGB Rn. 176 mwN). Einen solchen individualisierten (Schadensersatz-) Anspruch hat der Kläger bei Anrufung des ULD weder geltend gemacht noch ist ein solcher Gegenstand des Verwaltungsverfahrens vor dem ULD. Auch dies zeigt, dass dieses Verwaltungsverfahren nicht auf Beilegung eines Streits zwischen Parteien über einen erhobenen Anspruch ausgerichtet und deshalb kein Streitbeilegungsverfahren ist, das ULD ist keine Streitbeilegungsstelle.

(33) Die Klage ist am 03.07.2019 und damit in verjährter Zeit bei Gericht eingegangen, so dass die Erhebung der Klage die Verjährung ebenfalls nicht mehr zu hemmen vermochte (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Flensburg: Wettbewerbswidrige Werbung mit nicht vorhandener Ausstattung eines Fernsehers durch Elektronikmarktkette

LG Flensburg
Beschluss vom 03.01.2013
6 O 1/13


Das LG Flensburg hat - wenig überraschend - entschieden, dass ein Wettbewerbsverstoß vorliegt, wenn ein Fernseher von einer Elektronikmarktkette mit einem 3fach-Satelliten Tuner beworben wird und sich beim Besuch im Ladengeschäft, dass das beworbende Modell nicht über einen derartigen Tuner verfügt. Die Elektronikmarktkette hatte lediglich ein 200 EURO teureres Modell im Angebot, dass über die beworben Merkmale verfügt. Es ist immer wieder erstaunlich, dass nach wie vor mit derart dreisten Methoden geworben wird.