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OVG Berlin-Brandenburg: Einrichtung eines Social Media-Auftritts durch Behörde bei Facebook, Twitter und Instagram dient nicht der Mitarbeiterüberwachung und ist nicht mitbestimmungspflichtig

OVG Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 04.08.2021
OVG 62 PV 5/20


Das OVG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass die Einrichtung eines Social Media-Auftritts durch eine Behörde bei Facebook, Twitter und Instagram nicht der Mitarbeiterüberwachung dient und nicht mitbestimmungspflichtig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die vom Beteiligten zu verantwortenden Auftritte in den sozialen Medien sind auch im Hinblick auf die den Nutzern ermöglichte Kommentierung nicht gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG mitbestimmungspflichtig. Nach dieser Vorschrift bestimmt der Personalrat mit, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, über die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen. Maßgeblich ist eine objektiv-finale Betrachtungsweise: Diejenigen technischen Einrichtungen unterliegen der Mitbestimmung des Personalrats, die nach ihrer Konstruktion oder konkreten Verwendungsweise eine Überwachung von Verhalten oder Leistung der Beschäftigten ermöglichen. Der Mitbestimmungstatbestand erstreckt sich auf solche technischen Einrichtungen, die zur Überwachung objektiv geeignet sind, ohne dass die Dienststellenleitung bei ihrer Einführung und Anwendung die Absicht hat, sie zu diesem Zweck einzusetzen (BVerwG, Beschluss vom 26. September 2006 – 6 PB 10.06 – juris Rn. 4 zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung). Daran hat die Gesetzesnovelle nichts geändert (vgl. die BT-Drs 19/26820 vom 19. Februar 2021, insbesondere S. 126 zu Nr. 21).

Die objektive Eignung zur Überwachung unterscheidet eine gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG mitbestimmungspflichtige technische Einrichtung von anderen technischen Einrichtungen, die sich lediglich zur technischen Hilfe eignen und nicht unter diesen Mitbestimmungstatbestand fallen (vgl. Wisskirchen/Schiller/Schwindling, BB 2017, 2105 <2107>). Beispielhaft seien Kommunikationsmittel (klassisch das Telefon), Arbeitshilfen (Taschenrechner, computergestützte Schreib- und Rechenprogramme) und Archiveinrichtungen (elektronische Akten) genannt. Die sich nach Anwendungsgebieten sowie nach dem Ausmaß ausdehnende Technisierung erweitert die Möglichkeiten und bietet so Rationalisierungschancen, birgt aber auch unterschiedliche Gefahren. Nach dem Schutzzweck des Mitbestimmungstatbestands ist nicht schlechterdings jeder Technisierungsfortschritt mitbestimmungspflichtig. Stattdessen soll das Mitbestimmungsrecht des Personalrats nur sicherstellen, dass die Beeinträchtigungen und Gefahren für den Schutz der Persönlichkeit des Beschäftigten am Arbeitsplatz, die von der Technisierung der Verhaltens- und Leistungskontrolle ausgehen, auf das erforderliche Maß beschränkt bleiben. Ein Beschäftigter, der befürchten muss, während der Arbeit mit Hilfe technischer oder elektronischer Kontrolleinrichtungen jederzeit beobachtet oder in anderer Weise fortlaufend kontrolliert zu werden, kann unter einen Überwachungsdruck geraten, der ihn in der freien Entfaltung der Persönlichkeit behindert, ihn insbesondere unter Anpassungsdruck setzt und ihn in eine erhöhte Abhängigkeit bringt (BVerwG, Beschluss vom 26. September 2006 – 6 PB 10.06 – juris Rn. 4).

Einhelliger Auffassung entspricht es, dass ein Überwachungsdruck, der sich durch eine womöglich kleinliche, jedenfalls engmaschige persönliche Kontrolle seitens der Vorgesetzten aufbaut, nach § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG unbeachtlich ist (Berg in: Altvater/Baden/Baunack u.a., BPersVG, 10. Aufl. 2019 § 75 Rn. 258). Die Vorschrift dient nicht der Verwirklichung moderner Führungskonzepte. Die Kontrolle muss vielmehr mit Hilfe einer technischen Einrichtung erfolgen. Mit dem Merkmal der Technizität verbindet sich nach einer verbreiteten Ansicht nicht schon jedes Hilfsmittel, das eine den Überwachten verborgene Kontrolle erlaubt, etwa durch eine Beobachtung mittels Fernglas, Türspion oder einer einseitig durchsichtigen Fensterscheibe (Berg in: Altvater/Baden/Baunack u.a., BPersVG, 10. Aufl. 2019 § 75 Rn. 258). Die verdeckte Überwachung mit solchen Hilfsmitteln kann zwar, im Unterschied zur offenen, aufsuchenden Kontrolle durch Vorgesetzte, die Empfindung auslösen, jederzeit beobachtet oder in anderer Weise fortlaufend kontrolliert zu werden. Für den Mitbestimmungstatbestand ist hingegen spezifisch, dass die Überwachung gerade mit Hilfe einer als technisch zu bewertenden Einrichtung erfolgt. Sommer spricht insoweit von einer Kontrolle „durch technische Einrichtungen“, von einer technisierten Ermittlung von Verhaltens- und Leistungsdaten (in: Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, 14. Aufl. 2018, § 75 Rn. 196a). Denn der Gesetzgeber reagierte in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit der Einführung von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG im Jahr 1972 und § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG im Jahr 1974 auf das verbreitete Unbehagen der Beschäftigten, das sich vornehmlich an elektronischer Datenverarbeitung festmachte. Die viel ältere Überwachungsmöglichkeit mittels optischer Instrumente stand nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Es liegt auf dieser Linie, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Überwachung „mit Hilfe technischer oder elektronischer Kontrolleinrichtungen“ so interpretiert hat, dass technische Einrichtungen Anlagen oder Geräte seien, die unter Verwendung nicht menschlicher, sondern anderweit erzeugter Energie mit den Mitteln der Technik, insbesondere der Elektronik, eine selbständige Leistung erbrächten; dabei seien Anlagen zur elektronischen Datenverarbeitung dann zur Überwachung geeignet, wenn sie mit einem entsprechenden Programm versehen seien oder werden könnten (BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2011 – 6 P 10.10 – juris Rn. 16; siehe auch Sommer in: Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, 14. Aufl. 2018, § 75 Rn. 201a).

Die selbständige Leistung der technischen Einrichtung kann bei der Erhebung von Daten oder bei deren Auswertung zum Tragen kommen. Es reicht aus, wenn nur die Erhebung durch einen Automaten erfolgt und die Auswertung von Menschen durchgeführt wird (Überwachungskamera; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Februar 2006 – OVG 60 PV 19.05 – juris; unbeanstandet durch den Beschluss des BVerwG vom 26. September 2006 – 6 PB 10.06 – juris; ebenso Kaiser/Annuß in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 5. Aufl. 2020, BPersVG § 75 Rn. 538). Umgekehrt lässt eine händische Eingabe den Mitbestimmungstatbestand nicht entfallen, wenn die Auswertung automatisiert ist (BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1987 – 6 P 32.84 – juris Rn. 23). Dabei würde es für den Senat schon ausreichen, wenn automatisch eine Vorsortierung erfolgt, beispielsweise eine Auswahl von 10 aus 100 Datensätzen nach Schlüsselbegriffen, die von Personen weiter ausgewertet werden müsste. Wird hingegen sowohl die Eingabe leistungs- und verhaltensrelevanter Daten als auch deren Auswertung von Menschen vorgenommen, erbringt die Einrichtung keine selbständige Leistung.

Die selbständige Leistung zur Überwachung wäre nicht schon darin zu sehen, dass die Daten gespeichert werden. Für den Senat bedeutet es keinen Unterschied, ob die erhobenen Daten augenblicklich ausgewertet werden müssten, weil sie nicht gespeichert werden (Beispiel: die in einem mit Personal besetzten Kontrollraum zusammentreffenden Bilder aus laufenden Überwachungskameras), oder im Fall einer dauerhaften Aufzeichnung erst später, etwa nach Bedarf, ausgewertet werden könnten. Denn im Fall der Archivierung von Daten handelt es sich um nicht mehr als eine elektronische Akte (siehe dazu Grimm/Kühne, jM 2017, 330 <333>; Schiller in: Besgen/Prinz, Arbeiten 4.0 - Arbeitsrecht und Datenschutz in der digitalisierten Arbeitswelt, 4. Aufl. 2018, § 10 Arbeitsrechtliche Aspekte zu Social Media, Rn. 78).

Nach diesen Maßstäben sind die hier in Rede stehenden sozialen Medien auch im Hinblick auf die Kommentarfunktion keine technischen Einrichtungen im Sinn des § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG, sondern technische Hilfsmittel, weil weder die Datenerhebung noch die Datenauswertung ganz oder teilweise automatisch erfolgt (ebenso Wisskirchen/Schiller/Schwindling, BB 2017, 2105 <2107> zu § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG; so wohl auch Sommer in: Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, 14. Aufl. 2018, § 75 Rn. 212b zum „reinen Betrieb einer Facebook-Seite“). Die womöglich mitbestimmungsrelevanten Daten werden von Nutzern händisch eingegeben. Und die Anbieter der sozialen Medien stellen den Seiteninhabern weder die Möglichkeit einer automatisierten (Teil-)Auswertung der Kommentare bereit noch sehen die Programme den nachträglichen Anschluss eines zur Auswertung bestimmten Programms vor. Es fehlt insgesamt eine selbständige Leistung der Einrichtung, ein datenverarbeitendes Programm im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts, das die Dienststelle zur Überwachung von Beschäftigten nutzen könnte. Eine automatisierte Auswertung von Daten durch die Anbieter der sozialen Medien wie auch die Möglichkeit einer Ausspähung durch Geheim- bzw. Nachrichtendienste sind für den Mitbestimmungstatbestand, der allein die Überwachung durch den Dienstherrn bzw. Arbeitgeber der Beschäftigten in den Blick nimmt, unerheblich. Das gilt auch für das Datenschutzrecht (vgl. Ehmann, jurisPR-ArbR 16/2021 Anm. 8 lit. C). Die Kommentarfunktion eröffnet den Nutzern eine niederschwellige Möglichkeit für Eingaben und Nachrichten. Der elektronisch übersandte Kommentar gleicht nach der Versendungsart einer Email (Wisskirchen/Schiller/Schwindling, BB 2017, 2105 <2107>) und nach der Wirkung – bis zur Löschung – einem offenen Brief (Fuhlrott, EWiR 2017, 349 <350>).

Der erkennende Senat weicht insofern von der erstinstanzlichen Entscheidung und vom Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15 – ab. Das Bundesarbeitsgericht hielt es für genügend, dass die Informationen durch die Nutzer der Facebookseite aufgrund der dort vorhandenen Funktion eingegeben und mittels der von Facebook eingesetzten Software einer dauerhaften Speicherung und zeitlich unbegrenzten Zugriffsmöglichkeit zugeführt würden. Die Abweichung vom Bundesarbeitsgericht erklärt sich nicht dadurch, dass in dem dort entschiedenen Fall allein über die bei Facebook abstellbare Funktion „Besucher-Beiträge“ entschieden wurde und nicht über die unvermeidliche Kommentarfunktion. Bei der Eröffnung von Besucher-Beiträgen handelt es sich um eine attraktivere Kommentarfunktion, die sich in Bezug auf die Möglichkeit von leistungs- und verhaltensrelevanten Mitteilungen nicht von der grundlegenden Kommentarfunktion unterscheidet.

Das Bundesarbeitsgericht traf seine Entscheidung zu § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Diese Vorschrift stimmt im Wortlaut praktisch mit § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG überein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind beide Vorschriften im Wesentlichen gleich auszulegen; die Interessenlage in privaten Betrieben und öffentlichen Behörden gleicht sich insoweit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1987 – 6 P 32.84 – juris Rn. 19; ähnlich Kaiser/Annuß in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 5. Aufl. 2020, BPersVG § 75 Rn. 536). Angesichts dessen wich das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2016 von der vorhergehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dadurch ab, dass es nicht auf eine selbstständige Leistung der Einrichtung, auf ein datenverarbeitendes Programm abstellte (vgl. auch Bieder, NZA-RR 2017, 225 <230>). Nach den Besprechungen dieses Beschlusses wich das Bundesarbeitsgericht zudem von seiner eigenen Rechtsprechung ab, insbesondere vom Beschluss vom 10. Dezember 2013 – 1 ABR 43/12 – (juris) zur Verwendung von GoogleMaps bei der Überprüfung von Reisekostenabrechnungen (Wahlers, jurisPR-ITR 11/2017 Anm. 5; Wisskirchen/Schiller/Schwindling, BB 2017, 2105 <2107>; Schiller in: Besgen/Prinz, Arbeiten 4.0 - Arbeitsrecht und Datenschutz in der digitalisierten Arbeitswelt, 4. Aufl. 2018, § 10 Arbeitsrechtliche Aspekte zu Social Media, Rn. 78). Ob der Beschluss vom 13. Dezember 2016 in der Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht eine Einzelfallentscheidung bleibt (so die Prognose von Wisskirchen/Schiller/Schwindling, BB 2017, 2105 <2107>), braucht hier allerdings nicht weiter zu beschäftigen.

Die in etlichen Anmerkungen kritisch kommentierte Ausdehnung der bisherigen Rechtsprechung, die letztlich zur Mitbestimmungspflicht bei jedweder Eröffnung elektronischer Kommunikationsmittel durch die Dienststellenleitung führt (Grimm/Kühne, jM 2017, 330 <333>; siehe auch Mues, ArbRB 2017, 174 <175>; Prinz, SAE 2017, 92 <95>; Wahlers, jurisPR-ITR 11/2017 Anm. 5; dem BAG zustimmend Ley, BB 2017, 1213 <1215>; sich dem BAG unkommentiert anschließend Berg in: Altvater/Baden/Baunack u.a., BPersVG, 10. Aufl. 2019 § 75 Rn. 263; Kaiser/Annuß in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 5. Aufl. 2020, BPersVG § 75 Rn. 545; Rehak in: Lorenzen/Gerhold/Schlatmann u.a., BPersVG, § 75 Rn. 680), mag das Bundesarbeitsgericht in seiner Facebook-Entscheidung veranlasst haben, seinem abstrakten Rechtssatz Folgendes hinzuzufügen: „Zudem sind diese Daten über die Facebookseite dauerhaft öffentlich zugänglich. Sie sind deshalb nicht – wie das Landesarbeitsgericht meint – mit einem an den Arbeitgeber gerichteten Beschwerdebrief vergleichbar.“ Die Verknüpfung dieser Sätze mit der vorangegangenen Würdigung durch die Konjunktion „zudem“ lässt zwar daran zweifeln, ob es entscheidend auf den zusätzlichen Aspekt ankommen soll oder ob er hinweggedacht werden könnte, ohne am Ergebnis des Bundesarbeitsgerichts etwas zu ändern. Immerhin eignet sich der zusätzliche Aspekt zur Eindämmung einer ansonsten nahezu umfassenden Mitbestimmungspflicht.

Der Aspekt führt allerdings einen neuartigen Gesetzeszweck in die Auslegung des Mitbestimmungstatbestands ein, der sich in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht findet. War bislang von den Gefahren der Technisierung nur der erhöhte Überwachungsdruck relevant, dem die Beschäftigten ausgesetzt sind, kommt nunmehr durch die Prangerwirkung öffentlich zugänglicher, womöglich unberechtigter oder tatsächlich haltloser Beschwerden über Beschäftigte, die einen Shitstorm und ähnlich gravierende Nachteile nach sich ziehen könnten, das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfassend in Betracht (vgl. Grimm/Kühne, jM 2017, 330 <333>). Auch wenn sich nach den Mitteilungen des Antragstellers und des Beteiligten seit der Eröffnung der Kommentarfunktionen nichts dergleichen ereignet hat, wären solche Vorkommnisse Anlass für die Dienststelle, im schutzwürdigen Interesse der Beschäftigten auf Abhilfe zu sinnen. Der Senat hält es allerdings für falsch, aus solchen Erwägungen heraus den Gesetzeszweck von § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG um einen vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Schutzgegenstand zu erweitern (ebenso Grimm/Kühne, jM 2017, 330 <333> zu § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG).

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen. Der Zulassungsgrund einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 92 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) liegt vor."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OVG Berlin-Brandenburg: Bundesverkehrsministerium muss Journalisten Auskunft über ein von Andreas Scheuer geführtes Gespräch zum Dieselskandal und Prüfung von Sanktionsmaßnahmen erteilen

OVG Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 05.02.2020
OVG 6 S 59.19


Das OVG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass das Bundesverkehrsministerium einem Journalisten Auskunft über ein von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer geführtes Gespräch im Rahmen des Dieselskandals und über die Prüfung von Sanktionsmaßnahmen durch das Kraftfahrtbundesamt erteilen muss.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OVG Berlin-Brandenburg: bild.de darf jedenfalls vorläufig weiter Live-Streams ohne Rundfunklizenz über Website ausstrahlen

OVG Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 02.04.2019
11 S 72.18


Das OVG Berlin-Brandenburg hat im Rahmen eines Eilverfahrens entschieden, dass bild.de jedenfalls vorläufig weiter Live-Streams ohne Rundfunklizenz über die Website ausstrahlen darf.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

OVG: Vorerst keine Untersagung von Live-Streams auf bild.de – 11/19

Der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg hat in einem Eilverfahren entschieden, dass vorerst weiter Live-Streams im Online-Angebot von www.bild.de verbreitet werden dürfen. Damit hat es die Beschwerde der Medienanstalt Berlin-Brandenburg gegen einen entsprechenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. Oktober 2018 zurückgewiesen.

Die Medienanstalt hatte Internet-Video-Formate von bild.de, soweit diese als Live-Stream verbreitet werden, als zulassungspflichtigen Rundfunk eingestuft und deren Verbreitung ohne Rundfunkzulassung untersagt. Dabei handelt es sich um die – später über bild.de, Facebook und YouToube abrufbaren – Formate „Die richtigen Fragen“, „BILD-Sport – Talk mit Thorsten Kinnhöfer“ und „BILD –Live“. Gegen diesen Bescheid hatte sich die Muttergesellschaft des Axel-Springer-Konzerns gewandt.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Erfolgsaussichten der beim Verwaltungsgericht anhängigen Klage unter Verweis darauf als „offen“ angesehen, dass die rechtliche Abgrenzung zwischen zulassungspflichtigem Rundfunk und zulassungsfreien Medien in der digitalen Welt bisher ungeklärt und höchst umstritten sei. Die in einem solchen Fall gebotene Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Bescheides und dem Interesse der Antragstellerin, die Vollziehung des Bescheides bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, gehe zu Gunsten der Antragstellerin aus. Denn diese müsste im Falle der vorläufigen Einstellung des Live-Streamings einen erheblichen Verlust an (Publikums-)Reichweite hinnehmen. Das ergebe sich aus der Konzeption als Live-Angebot mit Kommentarfunktionen für die Empfänger, die bei laufender Sendung eine Diskussion bzw. eine direkte Kommunikation mit den Nutzern ermögliche. Demgegenüber reduziere sich das öffentliche Vollzugsinteresse darauf, ein Verbot durchzusetzen, dessen Anwendung vorliegend gerade streitig sei. Form und Inhalt der Formate seien nicht beanstandet worden.

Beschluss vom 2. April 2019 – OVG 11 S 72.18 -



OVG Berlin-Brandenburg: Bundestag muss in Montblanc-Affäre Pressevertretern Auskunft über Sachleistungskonsum von Bundestagsabgeordneten geben

OVG Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 11.10.2016
OVG 6 S 23.16


Das OVG Berlin-Brandenburg hat zutreffend entschieden, dass der Bundestag in der Montblanc-Affäre Pressevertretern Auskunft über Sachleistungskonsum von Bundestagsabgeordneten geben muss.

Auskunftspflicht des Bundestages zu Sachleistungskonsum von Bundestagsabgeordneten - 24/16

Das Oberverwaltungs­gericht Berlin-Branden­burg hat heute in einem vorläufi­gen Rechts­schutz­verfahren entschie­den, dass der Deutsche Bundes­tag verpflichtet ist, einem Presse­vertreter Aus­kunft über die Namen von sechs Abgeord­neten des 16. Deutschen Bundes­tages zu geben, die im Jahr 2009 neun oder mehr Mont­blanc-Schreib­geräte über ihr Sach­leistungs­konto erworben haben. Damit hat es einen entspre­chen­den Beschluss des Verwal­tungs­gerichts Berlin bestä­tigt.

Die Bundestags­abge­ord­neten haben die Mög­lich­keit, für einen Betrag von bis zu 12.000 EUR pro Jahr Gegen­stände für den Büro- und Geschäfts­bedarf anzu­schaffen. Zu diesem Zweck hat die Bundes­tags­ver­waltung für alle Abge­ord­neten ein Sach­leistungs­konto einge­richtet. Dem Antrag­steller, einem Journa­listen, hatte die Bundes­tags­ver­waltung auf dessen Anfra­ge hin eine anony­misier­te Liste über Abge­ordne­te, die im Jahr 2009 jeweils neun oder mehr Mont­blanc-Schreib­geräte bestellt und abge­rech­net haben, zur Verfü­gung gestellt, nicht jedoch die Namen der Abge­ord­neten mitge­teilt.

Dem Auskunfts­an­spruch stehen nach Ansicht des 6. Senats die Inter­essen der sechs Abge­ord­neten am Schutz ihrer personen­bezo­genen Daten nicht entge­gen, weil bei ihnen konkre­te Anhalts­punk­te für einen Miss­brauch bei der Ab­rech­nung vorliegen, die die Bundes­tags­ver­wal­tung nicht ent­kräf­tet hat. Einzel­ne Abge­ord­nete haben die Anschaf­fun­gen in zeit­licher Nähe zum Ablauf der Legis­latur­per­iode getä­tigt, obwohl bereits fest­stand, dass sie aus dem Bun­des­tag aus­schei­den. Teil­weise spricht auch die An­zahl der erwor­benen Mont­blanc-Schreib­geräte inner­halb eines begrenz­ten Zeit­raums für einen mögli­chen Miss­brauch. Ob der/die Abge­ord­nete selbst oder ein Mit­arbei­ter/eine Mit­arbei­terin für die Bestel­lun­gen verant­wort­lich ist, ist für den presse­recht­lichen Aus­kunfts­an­spruch uner­heb­lich. Eben­so wenig kommt es da­rauf an, ob der/die Abge­ord­nete irrtüm­lich davon ausge­gan­gen ist, dass sich das Recht zu derarti­gen Bestel­lun­gen aus dem Sach­lei­stungs­konto auch auf die Aus­stat­tung des jewei­ligen Wahl­kreis­büros erstreckt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.


OVG Berlin-Brandenburg: Presse hat keinen Anspruch gegen Bundespräsidenten auf Auskunft über verfassungsrechtliche Prüfung bei der Ausfertigung von Gesetzen

OVG Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 10.02.2016
6 S 56.15


Das OVG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass die Presse keinen Anspruch gegen den Bundespräsidenten auf Auskunft über verfassungsrechtliche Prüfung bei der Ausfertigung von Gesetzen (hier: Betreuungsgeldgesetz) hat.

Die Pressemitteilung des OVG:

Kein Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Bundespräsidenten zur Ausfertigung von Gesetzen

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren entschieden, dass der Bundespräsident nicht verpflichtet ist, einem Pressevertreter Auskunft über den Inhalt seiner verfassungsrechtlichen Prüfung des Betreuungsgeldgesetzes und anderer Gesetze zu geben.

Der 6. Senat hat damit die erstinstanzliche Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin im Ergebnis bestätigt (vgl. Pressemitteilung vom 26. November 2015). Die Entscheidungsfindung des Bundespräsidenten bei der ihm nach Art. 82 Abs. 1 GG obliegenden Ausfertigung von Gesetzen gehört zum Kernbereich präsidialer Eigenverantwortung, für den ein schutzwürdiges Vertraulichkeitsinteresse besteht. Der Senat hat zudem die Eilbedürftigkeit verneint, weil der Pressevertreter nicht glaubhaft gemacht hat, dass ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug an der Berichterstattung zu dem von dem Bundesverfassungsgericht bereits für nichtig erklärten Betreuungsgeldgesetz sowie weiterer Gesetze bestehen.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Beschluss vom 10. Februar 2016 – OVG 6 S 56.15 -



OVG Berlin-Brandenburg: Kein Auskunftsanspruch der Presse über Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages

OVG Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 30. April 2015
6 S 67/14


Die Pressemitteilung des Gerichts:

"Kein Auskunftsanspruch der Presse über Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages

Der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat in einem Eilverfahren mit Beschluss vom heutigen Tag entschieden, dass ein Journalist keine Auskunft von der Bundestagsverwaltung über Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages verlangen kann. Der Journalist hat wissen wollen, ob und mit welchen Fragestellungen aus welchen Fraktionen sich die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in den vergangenen zwei Jahren mit einem Verbotsverfahren gegen die NPD befasst haben und welchen Inhalt die betreffenden Ausarbeitungen haben.

Ein Auskunftsanspruch der Presse gegen Institutionen des Bundes kann nur unmittelbar auf die in Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierte Pressefreiheit gestützt werden. Diesem Auskunftsanspruch stehen jedoch die Interessen des freien Bundestagsmandats entgegen. Die in Artikel 38 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützte Freiheit des Mandats erfasst auch das Informationsbeschaffungsverhalten der Bundestagsabgeordneten als Teil des parlamentarischen Willensbildungsprozesses. Da die Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages der Informationsbeschaffung des einzelnen Bundestagsabgeordneten dienen, nehmen sie teil an dem freien Mandat. Dass der Journalist nicht die Namen der Abgeordneten wissen möchte, die den Auftrag erteilt haben, sondern lediglich eine Zuordnung nach Fraktionen begehrt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Aufgrund der Spezialisierung der einzelnen Abgeordneten auf bestimmte Themen werden Anfragen zu der hier fraglichen Thematik in der Regel nur von wenigen Fraktionsmitgliedern gestellt; diese sind deshalb durchaus identifizierbar. Dadurch besteht die Gefahr, dass sich Abgeordnete möglicherweise nicht mehr unbefangen an die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages wenden, wenn sie mit dem Bekanntwerden ihres Informationsbeschaffungsverhaltens rechnen müssten. Zwar wird auch die Freiheit des Mandats nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang, etwa die Pressefreiheit, begrenzt werden. Es spricht nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts aber viel dafür, dass die insoweit erforderliche Abwägungsentscheidung dem Bundesgesetzgeber vorbehalten bleiben muss. Unabhängig davon ist jedenfalls in dem hier entschiedenen Fall der Pressefreiheit kein Vorrang vor dem grundgesetzlichen Schutz des freien Mandats einzuräumen."