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AG München: Reiseveranstalter kann Reisevertrag wegen eines zu niedrigen Preisen nicht anfechten wenn dieser auf einem Kalkulationsirrtum beruht

AG München
Urteil vom 14.04.2023
113 C 13080/22

Das AG München hat entschieden, dass ein Reiseveranstalter einen Reisevertrag wegen eines zu niedrigen Preisen nicht anfechten kann, wenn dieser auf einem Kalkulationsirrtum beruht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Reiseveranstalter an zu günstig berechneten Reisepreis gebunden - Kalkulationsirrtum rechtfertigt keine Anfechtung des Reisevertrages

Im Streit um Ansprüche aus einem Reisevertrag verurteilte das Amtsgericht München am 14.04.2023 eine Reiseveranstalterin mit Sitz in München zur Zahlung einer Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von 719,50 EUR.

Der Münchner Kläger hatte im April 2022 bei der Beklagten über deren Internetportal eine Flugpauschalreise nach Punta Cana in der Dominikanischen Republik über Weihnachten und Silvester 2022 einschließlich Hotelunterkunft und All-Inclusive-Verpflegung zu einem Reisepreis in Höhe von 2.878 EUR gebucht.

Wenige Tage nach der Buchung erklärte die Beklagte per E-Mail die Anfechtung des Reisevertrages aufgrund eines nicht näher beschriebenen „Eingabe/Tippfehlers“ und einem sich daraus ergebenden Preisunterschied. Die Beklagte bot dem Kläger an, die Reise zu einem Gesamtpreis von 6.260 EUR wahrzunehmen, was dieser ablehnte.

Aufgrund der nicht durchgeführten Reise forderte der Kläger von der Beklagten eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude in Höhe der Hälfte des ursprünglich gebuchten Reisepreises.

Das Amtsgericht erachtete die Klage für teilweise begründet und sprach dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 25 % des Urlaubspreises zu.

Das Amtsgericht München führte in den Entscheidungsgründen wie folgt aus:

„Ein Anfechtungsgrund, insbesondere ein Erklärungsirrtum lag nicht vor. Sowohl Willensäußerung als auch Willensbildung der Beklagten waren fehlerfrei, es lag lediglich ein unbeachtlicher Kalkulationsirrtum vor.

Der Irrtum erfolgte hier nicht bei Abgabe der Willenserklärung der Beklagten gegenüber dem Kläger, sondern es handelt sich um einen Irrtum in der Erklärungsvorbereitung nämlich bei der Berechnung des Gesamtreisepreises. (…)

Die Beklagte hat, aufgrund der von der Firma M. falsch eingegebenen und anschließend falsch übermittelten Daten, ihren Willen bezüglich des Gesamtpreises falsch gebildet, da eine Kalkulationsgrundlage fehlerhaft war.

Wie vom Zeugen R. glaubhaft ausgesagt, übermittelt die Firma M. die Einkaufspreise pro Person in USD an das System der Beklagten. Dort werden die Preise vom System in Euro umgerechnet und anschließend mit der Verkaufsmarge der Beklagten versehen. Die so gefundenen Verkaufspreise werden dann vom System der Beklagten an C. [das von der Beklagten betriebene Buchungsportal] weiter übermittelt und verarbeitet. Entsprechend des vom Kläger bei Buchung angegebenen Zeitraums und der ausgewählten Zimmerkategorie, wird dann der Verkaufspreis vom System berechnet und dem Kunden angezeigt.

Die von der Firma M. übermittelten Daten dienten der Beklagten daher lediglich als Kalkulationsgrundlage für die Berechnung des Gesamtreisepreises. Der Irrtum entstand schon nicht bei der Beklagten, sondern bei einem Mitarbeiter der Firma M. Der Irrtum betraf auch nur einen Rechnungsfaktor, aus dem der Reisepreis später vom System der Beklagten gebildet wurde. (…)

Bei Buchung wurde dann entsprechend den Eingaben des Klägers bzgl. Zimmerkategorie und Reisezeitraum aus den für verschiedene Reisezeiträume festgesetzten Einzelpreisen der Gesamtreisepreis vom System errechnet. Diese Konfiguration erfolgte so wie vom System vorgesehen. Der dem Kläger gegenüber angegebenen Reisepreis entsprach den Konfigurationsvorgaben der Beklagten. Nachdem der Reisende keinen Einblick in die Kalkulation des Reisepreises hat, liegt hier nur ein interner Kalkulationsirrtum vor, der als Motivirrtum unbeachtlich ist. Ein Anfechtungsgrund stand der Beklagten daher nicht zu. (…)

Der Kläger kann nach §§ 651i Abs. 2 Nr. 7, 651n Abs. 2 BGB Entschädigung in Geld verlangen. (…)

Der Anspruch besteht jedoch nur in der Höhe von 719,50 €. Die Höhe des Entschädigungsanspruchs aus § 651n Abs. 2 BGB richtet sich nach einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Maßgebliches Kriterium kann dabei jedenfalls der tatsächlich vereinbarte Reisepreis sein, da dieser regelmäßig zeigt, wie viel Geld der mit der geplanten Reise verbundene immaterielle Gewinn dem Reisenden wert ist; hier 2.878,00 €.

Jedoch sind auch sonstige Umstände zu berücksichtigen. Hier erfolgte die Mitteilung der Beklagten, die Reise nicht zum gebuchten Preis durchführen zu wollen, nur wenige Tage nach der Buchung und mehr als halbes Jahr vor dem geplanten Reiseantritt. Der Kläger hatte somit noch nicht lange Zeit mit Vorfreude und Planung auf die gebuchte Reise verbringen können. Er hatte auch noch ausreichend Zeit sich um eine Alternativreise für den geplanten Weihnachtsurlaub zu bemühen. (…)

Das Gericht hält daher eine Entschädigung in Höhe von 25 % des Urlaubspreises für angemessen und ausreichend.“



EuGH: Pauschalreisender hat Anspruch auf Minderung des Reisepreises wenn Vertragswidrigkeit der Reiseleistungen durch Coronamaßnahmen am Reiseziel verursacht wird

EuGH
Urteil vom 12.01.2023
Rechtssache C-396/21
FTI Touristik (Pauschalreise auf die Kanarischen Inseln)


Der EuGH hat entschieden, dass ein Pauschalreisender einen Anspruch auf Minderung des Reisepreises hat, wenn die Vertragswidrigkeit der Reiseleistungen durch Coronamaßnahmen am Reiseziel verursacht wird.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Reisende, deren Pauschalreise durch Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie beeinträchtigt wurde, haben möglicherweise Anspruch auf eine Minderung des Reisepreises

Die Pauschalreiserichtlinie sieht eine verschuldensunabhängige Haftung des Reiseveranstalters vor Zwei Reisende hatten bei einem deutschen Reiseveranstalter eine zweiwöchige Pauschalreise nach Gran Canaria ab dem 13. März 2020 gebucht. Sie verlangen eine Preisminderung von 70 % aufgrund der am 15. März 2020 auf dieser Insel zur Bekämpfung der Verbreitung der Covid-19-Pandemie angeordneten Einschränkungen und ihrer vorzeitigen Rückkehr. Es wurden nämlich die Strände gesperrt und eine Ausgangssperre verhängt, so dass die Reisenden ihre Hotelzimmer nur zur Nahrungsaufnahme verlassen durften. Der Zugang zu Pools und Liegen wurde untersagt und das Animationsprogramm wurde eingestellt. Am 18. März 2020 wurde den beiden Reisenden mitgeteilt, dass sie sich bereithalten sollten, die Insel jederzeit zu verlassen, und am übernächsten Tag mussten sie nach Deutschland zurückkehren.

Der Reiseveranstalter verweigerte ihnen diese Preisminderung mit der Begründung, er habe nicht für ein solches „allgemeines Lebensrisiko“ einzustehen. Die beiden Reisenden verklagten ihn daraufhin vor den deutschen Gerichten.

Das Landgericht München I, bei dem der Rechtsstreit in zweiter Instanz anhängig ist, hat den Gerichtshof um Auslegung der Pauschalreiserichtlinie ersucht. Diese sieht vor, dass der Reisende Anspruch auf eine angemessene Preisminderung für jeden Zeitraum hat, in dem eine Vertragswidrigkeit vorlag, es sei denn, der Reiseveranstalter belegt, dass die Vertragswidrigkeit dem Reisenden zuzurechnen ist.

Mit seinem heutigen Urteil antwortet der Gerichtshof, dass ein Reisender Anspruch auf eine Minderung des Preises seiner Pauschalreise hat, wenn eine Vertragswidrigkeit der in seiner Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen durch Einschränkungen bedingt ist, die an seinem Reiseziel zur Bekämpfung der Verbreitung einer Infektionskrankheit wie Covid-19 angeordnet wurden.

Die Ursache der Vertragswidrigkeit und insbesondere ihre Zurechenbarkeit zum Reiseveranstalter ist nämlich unerheblich, da die Richtlinie in Bezug auf den Anspruch auf Preisminderung eine verschuldensunabhängige Haftung des Reiseveranstalters vorsieht. Von dieser ist er nur befreit, wenn die Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der Reiseleistungen dem Reisenden zuzurechnen ist, was hier nicht der Fall ist. Dagegen ist unerheblich, dass Einschränkungen wie die in Rede stehenden aufgrund der weltweiten Verbreitung von Covid-19 auch am Wohnort des Reisenden sowie in anderen Ländern angeordnet wurden. Damit die Preisminderung angemessen ist, muss sie anhand der in der betreffenden Pauschalreise zusammengefassten Leistungen beurteilt werden und dem Wert der Leistungen entsprechen, deren Vertragswidrigkeit festgestellt wurde.

Der Gerichtshof stellt klar, dass die sich aus dem Pauschalreisevertrag ergebenden Verpflichtungen des Veranstalters nicht nur diejenigen umfassen, die ausdrücklich im Vertrag vereinbart sind, sondern auch diejenigen, die damit zusammenhängen und sich aus dem Ziel dieses Vertrags ergeben.

Es wird Sache des Landgerichts München I sein, auf der Grundlage der Leistungen, die der Reiseveranstalter vertragsgemäß zu erbringen hatte, zu beurteilen, ob insbesondere die Sperrung der Pools des Hotels, das Fehlen eines Animationsprogramms in diesem Hotel oder auch die Unmöglichkeit des Zugangs zu den Stränden von Gran Canaria und der Besichtigung dieser Insel infolge des Erlasses der Maßnahmen der spanischen Behörden eine Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der vertraglichen Leistungen durch den Reiseveranstalter darstellen konnten.

Nach Vornahme dieser Beurteilung hat die Minderung des Preises der Pauschalreise dem Wert der vertragswidrigen Reiseleistungen zu entsprechen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Zur zulässigen Höhe von Anzahlungen bei Pauschalreisen

BGH
Urteil vom 25.07.2017
X ZR 71/16



Bundesgerichtshof zur zulässigen Höhe von Anzahlungen bei Pauschalreisen

Der klagende Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände verlangt von der beklagten Reiseveranstalterin TUI Deutschland GmbH, es zu unterlassen, beim Abschluss bestimmter Pauschalreisen eine Reisebedingung zu verwenden, die eine Anzahlung in Höhe von 40 % des Reisepreises vorsieht.

Das Landgericht hat der Beklagten die Verwendung der konkreten Klausel untersagt. Die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR 147/13, NJW-RR 2015, 618; vgl. Pressemitteilung Nr. 183/2014). Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat die Beklagte die Berufung zum Teil zurückgenommen und die Klausel nur noch in folgender Fassung verteidigt:

"Bei Vertragsschluss wird bei Reisen der Marken X1-2-Fly und XTUI gegen Aushändigung der Bestätigung die Anzahlung in Höhe von 40 % des Gesamtpreises fällig".

Das Berufungsgericht hat die verbliebene Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat angenommen, die Reisenden würden durch eine Anzahlung in Höhe von 40 % des Reisepreises unmittelbar bei Vertragsschluss unangemessen benachteiligt. Die Beklagte habe zwar für die in Rede stehenden Reisen die Vorleistungsquoten für die Geschäftsjahre 2013/14 und 2014/15 mit 47,1 % und 46 % berechnet, dabei aber aus Rechtsgründen nicht berücksichtigungsfähige Provisionszahlungen an Reisebüros einbezogen. Nach deren Abzug verblieben Vorleistungsquoten von 37,8 % und 36,6 %, die eine Anzahlung in der geforderten Höhe nicht rechtfertigen könnten. Zudem wiesen die Vorleistungen der Beklagten bei den Kosten für Flugbeförderung und Hotels eine zu große Bandbreite auf. Die für die Reisen der jeweiligen Marken gebildete durchschnittliche Vorleistungsquote sei daher nicht, wie vom Bundesgerichtshof verlangt, für die Gesamtheit dieser Reisen repräsentativ.

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache.

Der für das Reiserecht zuständige X. Zivilsenat hat die Provisionszahlungen an Reisebüros als Aufwendungen des Reiseveranstalters angesehen, die dieser für die Beratung des Reisenden und die Planung der von diesem gebuchten Reise im zeitlichen Zusammenhang mit der Buchung erbringen muss. Die Zahlungen verringern folglich buchungsbezogen die liquiden Mittel des Reiseveranstalters.

Hinsichtlich der Flugkosten, die die Beklagte nach ihrem Vortrag in etwa 90 % der Reisen vorfinanzieren muss und in etwa 10 % erst bei Durchführung der Reisen bezahlt, hat der Bundesgerichtshof es anders als das Berufungsgericht nicht für erforderlich gehalten, bei der Bemessung der Höhe der Anzahlung zwischen beiden Fällen zu differenzieren. Denn es besteht kein Zusammenhang zwischen Art, Zuschnitt und Qualität der Reiseleistungen, die der Verbraucher bucht, und der Art und Weise, wie die Beklagte die Flugbeförderung finanziert und gegebenenfalls vorfinanziert. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Gesamtheit der Vorleistungen der Beklagten für die Flugbeförderung mit einem identischen Prozentsatz des Reisepreises auf die von der Gesamtheit der Reisenden der Kategorien X1-2-Fly und XTUI zu leistenden Anzahlungen umgelegt werden.

Hinsichtlich der Vorleistungen, die die Beklagte gegenüber Hotelbetreibern erbringt ("touristische Vorleistungen"), bedarf es noch der Klärung durch das Berufungsgericht, ob zwischen Reisen der Kategorien X1-2-Fly und XTUI und den übrigen von der Beklagten angebotenen Reisen oder innerhalb dieser Kategorien signifikante Unterschiede bei der Höhe der touristischen Vorleistungen bestehen, die es geboten erscheinen lassen, diese bei den Anzahlungen nicht mit einem einheitlichen Prozentsatz vom Reisepreis zu berücksichtigen, sondern insoweit zu differenzieren.

Vorinstanz:

LG Hannover – Urteil vom 30. Oktober 2012 – 18 O 129/12

OLG Celle – Urteil vom 23. Juni 2016 – 11 U 279/12