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BGH: Geltendmachung des Widerspruchsrechts nach § 5a VVG a.F. bei fehlender oder fehlerhafter Widerspruchsbelehrung kann gegen Treu und Glauben verstoßen

BGH
Urteil vom 19.07.2023
IV ZR 268/21
BGB §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 242
VVG vom 21. Juli 1994 § 5a Abs. 1 Satz 1


Der BGH hat entschieden, dass die Geltendmachung des Widerspruchsrechts nach § 5a VVG a.F. bei fehlender oder fehlerhafter Widerspruchsbelehrung gegen Treu und Glauben verstoßen kann.

Leitsätze des BGH:
a) Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteile vom 24. Februar 2022, u.a. [Unit-Linked-Versicherungsverträge], C-143/20 und C-213/20,EU:C:2022:118 = NJW 2022, 1513; vom 9. September 2021, Volkswagen
Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40; vom 19. Dezember 2019, Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667) daran fest, dass die Geltendmachung des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG (hier in der Fassung vom 21. Juli 1994) auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung ausnahmsweise Treu und Glauben (§ 242 BGB) widersprechen und damit unzulässig sein kann, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind (Fortführung des Senatsurteils vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21,
VersR 2023, 631 Rn. 21).

b) Zum Einwand von Treu und Glauben ist keine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union geboten (Fortführung des Senatsurteils vom 15. Februar 2023 - IV ZR 353/21, r+s 2023, 298 Rn. 27 ff.).

BGH, Urteil vom 19. Juli 2023 - IV ZR 268/21 - OLG Karlsruhe in Freiburg - LG Freiburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Ausübung des Widerrufsrechts nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. kann bei einem geringfügigen Belehrungsfehler gegen Treu und Glauben verstoßen

BGH
Urteil vom 15.02.2023
IV ZR 353/21
BGB § 242; VVG § 5a Abs. 1 Satz 1 a.F.


Der BGH hat entschieden, dass die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. bei einem geringfügigen Belehrungsfehler gegen Treu und Glauben verstoßen kann.

Leitsatz des BGH:
Die Ausübung des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. (hier: Fassung vom 13. Juli 2001) verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (hier: Schriftform statt Textform).

BGH, Urteil vom 15. Februar 2023 - IV ZR 353/21 - Kammergericht LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Rechtsmissbrauch wenn Markeninhaber Marken ohne ernsthaften Nutzungswillen hortet um Dritte auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch zu nehmen - Da Vinci

BGH
Urteil vom 23. Oktober 2019
I ZR 46/19
Da Vinci
BGB 242


Der BGH hat entschieden, dass es rechssmissbräuchlich ist bzw den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) widerspricht, wenn ein Markeninhaber Marken ohne ernsthaften Nutzungswillen hortet, um Dritte auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Die Geltendmachung von Vertragsstrafeansprüchen ist treuwidrig.

Leitsatz des BGH:

Den Grundsätzen von Treu und Glauben kann es widersprechen, wenn der Inhaber eines Kennzeichenrechts sich bei der Geltendmachung von Vertragsstrafenansprüchen auf eine nur formale Rechtsstellung beruft. Von einer missbräuchlichen Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung ist auszugehen, wenn ein Markeninhaber (1) eine Vielzahl von Marken für unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen anmeldet, (2) hinsichtlich der in Rede stehenden Marken keinen ernsthaften Benutzungswillen hat - vor allem zur Benutzung in einem eigenen Geschäftsbetrieb oder für dritte Unternehmen aufgrund eines bestehenden oder potentiellen konkreten Beratungskonzepts - und (3) die Marken im Wesentlichen zu dem Zweck gehortet werden, Dritte, die identische oder ähnliche Bezeichnungen verwenden, mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen zu überziehen (Fortführung von BGH, Urteil vom 23. November 2000 - I ZR 93/98, GRUR 2001, 242, 244 - Classe E).

BGH, Urteil vom 23. Oktober 2019 - I ZR 46/19 - OLG Düsseldorf - LG Düsseldorf

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext der BGH-Entscheidung zur Zulässigkeit der Ausübung des gesetzlichen Widerrufsrechts ohne Rücksicht auf Beweggründe liegt vor

BGH
Urteil vom 16.03.2016
VIII ZR 146/15
BGB §§ 312d, 355 Abs. 1 Satz 2 in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung;
BGB § 242


Wir hatten bereits in dem Beitrag "BGH: Verbraucher kann gesetzliches Widerrufsrecht ohne Rücksicht auf Beweggründe ausüben - Rechtsmissbrauch nur in engen Ausnahmefällen" über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Es ist dem freien Willen des Verbrauchers überlassen, ob und aus welchen Gründen er von einem bei einem Fernabsatzgeschäft bestehenden Widerrufsrecht Gebrauch macht.

b) Ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs oder unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) kommt nur ausnahmsweise - unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers - etwa bei arglistigem oder schikanösem Verhalten des Verbrauchers in Betracht (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils vom 25. November 2009 - VIII ZR 318/08, BGHZ 183, 235 Rn. 17, 20).

BGH, Urteil vom 16. März 2016 - VIII ZR 146/15 - LG Rottweil - AG Rottweil

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Verbraucher kann gesetzliches Widerrufsrecht ohne Rücksicht auf Beweggründe ausüben - Rechtsmissbrauch nur in engen Ausnahmefällen

BGH
Urteil vom 16.03.2016
VIII ZR 146/15


Der BGH hat entschieden, dass ein Verbraucher sein gesetzliches Widerrufsrecht ohne Rücksicht auf seine Beweggründe ausüben kann. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten liegt nur in ganz engen Ausnahmefällen vor.

Die Pressemitteilung des BGH:

"Widerruf von Fernabsatzverträgen von Gesetzes wegen ohne Rücksicht auf die Beweggründe des Verbrauchers möglich

Der Bundesgerichtshof hat sich heute mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen ein Verbraucher unter dem Gesichtspunkt rechtsmissbräuchlichen Verhaltens am Widerruf eines Fernabsatzvertrages gehindert ist.

Der Kläger hatte bei der Beklagten über das Internet zwei Matratzen bestellt, die im Januar 2014 ausgeliefert und vom Kläger zunächst auch bezahlt worden waren. Unter Hinweis auf ein günstigeres Angebot eines anderen Anbieters und eine "Tiefpreisgarantie" des Verkäufers bat der Kläger um Erstattung des Differenzbetrags von 32,98 €, damit er von dem ihm als Verbraucher zustehenden Widerrufsrecht absehe. Zu einer entsprechenden Einigung kam es nicht. Der Kläger widerrief den Kaufvertrag daraufhin fristgerecht und sandte die Matratzen zurück.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger sich rechtsmissbräuchlich verhalten habe und der Widerruf deshalb unwirksam sei. Denn das Widerrufsrecht beim Fernabsatzgeschäft bestehe, damit der Verbraucher die Ware prüfen könne. Aus diesem Grund habe der Kläger aber nicht widerrufen, sondern vielmehr um (unberechtigt) Forderungen aus der "Tiefpreisgarantie" durchzusetzen.

Die auf Rückzahlung des Kaufpreises gerichtete Klage hatte in allen Instanzen Erfolg. Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass dem Kläger ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zusteht, da er den Kaufvertrag wirksam widerrufen hat. Dem steht nicht entgegen, dass es dem Kläger darum ging, einen günstigeren Preis für die Matratzen zu erzielen. Für die Wirksamkeit des Widerrufs eines im Internet geschlossenen Kaufvertrags genügt allein, dass der Widerruf fristgerecht erklärt wird. Die Vorschriften über den Widerruf sollen dem Verbraucher ein effektives und einfach zu handhabendes Recht zur Lösung vom Vertrag geben. Einer Begründung des Widerrufs bedarf es nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht. Deshalb ist es grundsätzlich ohne Belang, aus welchen Gründen der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht.

Ein Ausschluss dieses von keinen weiteren Voraussetzungen abhängenden Widerrufsrechts wegen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Verbrauchers kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, in denen der Unternehmer besonders schutzbedürftig ist. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Verbraucher arglistig handelt, etwa indem er eine Schädigung des Verkäufers beabsichtigt oder schikanös handelt. Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Dass der Kläger Preise verglichen und der Beklagten angeboten hat, den Vertrag bei Zahlung der Preisdifferenz nicht zu widerrufen, stellt kein rechtsmissbräuchliches Verhalten dar. Das ist vielmehr Folge der sich aus dem grundsätzlich einschränkungslos gewährten Widerrufsrecht ergebenden Wettbewerbssituation, die der Verbraucher zu seinem Vorteil nutzen darf.

Vorinstanzen:

AG Rottweil – Urteil vom 30. Oktober 2014 (1 C 194/14)

LG Rottweil – Urteil vom 10. Juni 2015 (1 S 124/14)

Karlsruhe, den 16. März 2016

§ 312b BGB aF Fernabsatzverträge

(1) Fernabsatzverträge sind Verträge über die Leistung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. […]

(2) Fernkommunikationsmittel sind Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien eingesetzt werden können, insbesondere Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails sowie Rundfunk, Tele- und Mediendienste.

[…]

§ 312d BGB aF Widerrufs- und Rückgaberecht bei Fernabsatzverträgen

(1) Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. […]

(2) Die Widerrufsfrist beginnt abweichend von § 355 Abs. 3 Satz 1 nicht vor Erfüllung der Informationspflichten gemäß Artikel 246 § 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 und 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche, bei der Lieferung von Waren nicht vor deren Eingang beim Empfänger, bei der wiederkehrenden Lieferung gleichartiger Waren nicht vor Eingang der ersten Teillieferung und bei Dienstleistungen nicht vor Vertragsschluss.

[…]

§ 355 BGB aF Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen

(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so ist er an seine auf den Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten und ist in Textform oder durch Rücksendung der Sache innerhalb der Widerrufsfrist gegenüber dem Unternehmer zu erklären; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.

[…]