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LG Dortmund: Für Feststellung ob kerngleicher Verstoß gegen Unterlassungstitel wegen unzulässiger Werbeaussage mit Wirkversprechen vorliegt ist auf Urteilsgründe abzustellen

LG Dortmund
Urteil vom 26.08.2019
10 O 233/02


Aus den Entscheidungsgründen:

"Der Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes ist schon deshalb nicht begründet, weil eine Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungstitel nicht vorliegt.

1.
Es kann dahinstehen, ob das beanstandete Verhalten schon deshalb nicht unter den Schutzbereich des Verbotstenors fällt, weil die Auslegung des Verfügungsantrages ggf. bereits ergibt, dass in der Wahl der konkreten Verletzungshandlung als Unterlassungsbegehren eine bewusste Beschränkung liegt (vgl. zu diesem Gesichtspunkt: BGH, Beschluss vom 03.04.2014, I ZB 42/11; Beschluss vom 29.09.2016, I ZB 34/15).

Denn auch eine kerngleiche Verletzungshandlung kann nicht festgestellt werden.

2.
Der dem Gläubiger aufgrund einer in der Vergangenheit liegenden Verletzungshandlung zustehende Unterlassungsanspruch ist nicht auf ein der Verletzungshandlung in jeder Hinsicht entsprechendes Verhalten beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf kerngleiche Verletzungshandlungen. Erfasst werden über die identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Abwandlungen, in denen das charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt (BGH, Urteil vom 29.09.2016, Aktenzeichen I ZB 34/15; Zöller, ZPO, 32. Auflage, § 890, Rn. 4). Wird eine Maßnahme so verändert, dass sich deren Gesamteindruck bezogen auf den Kern des Verbots ändert, unterfällt sie nicht dem Verbotskern des Titels. Dies gilt selbst dann, wenn die abgeänderte Form selbst rechtswidrig wäre (vgl. Hess in juris PK- UWG, 4. Aufl., § 12, Rn. 254 mit weiteren Nachweisen). Eine weitergehende Titelauslegung ist schon aufgrund des strafähnlichen Charakters des Ordnungsmittels des § 890 ZPO unstatthaft (BGH, NJW 1989, 2327).

Voraussetzung für die Erstreckung des Schutzumfanges des Unterlassungstenors auf kerngleiche Verletzungshandlungen ist jedoch, dass diese in das Erkenntnisverfahren und die Verurteilung einbezogen sind. Das rechtlich Charakteristische der konkreten Verletzungsform, das für die Bestimmung des Kerns der verbotenen Handlung maßgeblich ist, ist auf das beschränkt, was bereits Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren gewesen ist (BGH WRP 2014, 719).

Die Kerntheorie erlaubt nicht, die Vollstreckung aus einem Unterlassungstitel auf Handlungen zu erstrecken, die nicht Gegenstand des Erkenntnisverfahrens waren. Darin läge eine wegen des Sanktionscharakter der Ordnungsmittel des § 890 ZPO unzulässige Titelerweiterung.

Zweifel gehen dabei zulasten des Titelinhabers, da er durch entsprechende Antragsformulierung die notwendige Verallgemeinerung des Verbotes herbeiführen kann und das Vollstreckungsverfahren nicht mit Ungewissheiten belastet werden soll, die besser im Erkenntnisverfahren geklärt würden (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011,286; Köhler/Bornkamm, UWG, 37. Aufl., § 12, Rn. 6.4).

Geht es wie hier um die Verwendung abweichender Begrifflichkeiten so ist anhand der Urteilsgründe zu prüfen, warum das Gericht im Erkenntnisverfahren das Verbot erlassen hat, welche Sachverhaltsaspekte mithin für die Subsumtion relevant waren. Fragestellungen, die nicht geprüft wurden, können dabei nicht als mitentschieden erachtet werden (Grosch/Ebersohl/Herrmann/Federsen/Schwippert in: Teplitzky/Peifer/Leistner, UWG, 2. Aufl., § 12 Rn. 857f. mit Beispielsfällen).

Bei der Notwendigkeit einer eigenständigen Untersuchung der abweichenden Begrifflichkeit scheidet eine Bestrafung aus (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 28.04.2015, Az. 3 W 32/15 = PharmR 2015, 412; OLG Stuttgart WRP 1989,276). Als im Kern gleich können aber solche Verletzungshandlungen angesehen werden, die sich lediglich als Ergebnis „kosmetische(r) Änderungen“ darstellen (OLG Hamburg, Beschluss vom 06.09.2010, Az. 3 W 81/10, zitiert nach juris)

a)
Da die Antragstellerin im Ausgangsverfahren keine Verallgemeinerung des Verbotes herbeiführte, sondern lediglich eine konkrete Werbeaussage zum Gegenstand machte und hier eine abweichende Begrifflichkeit in Rede steht, kann das charakteristische der Unterlassungspflicht mithin nur unter Hinzuziehung der Urteilsgründe herausgearbeitet werden. Die hier maßgeblichen Urteilsgründe lauten:

„Gemäß § 3 HWG ist die irreführende Werbung von Arzneimitteln unzulässig. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln Wirkungen beigelegt werden, die Ihnen nicht zukommen. Die hier streitige Werbeaussage, die sich über die Wirkung des Arzneimittels verhält, ist für den durchschnittlichen, verständigen und aufmerksamen Betrachter nicht eindeutig. Sie lässt verschiedene Auslegungs - oder Verständnismöglichkeiten zu und ist aus diesem Grunde geeignet, den angesprochenen Personenkreis irrezuführen.

Der Aussagegehalt der Wirkungsaussage lässt sich bei einer eher allgemeinen Würdigung dahin zusammenfassen, dass sich die versprochenen Wirkungen einstellen, wenn mit der Entnahme (gemeint offensichtlich: Einnahme) des Medikamentes bereits vor dem Ausbruch der Erkältungskrankheit begonnen wird. Welcher Zeitpunkt hier aber konkret angesprochen ist, ist nicht eindeutig bestimmbar. Die Bezugnahme auf den Zeitraum oder Zeitpunkt vor dem „richtigen“ Beginn der Erkrankung („bevor sie richtig beginnt“) lässt eine sichere zeitliche Eingrenzung nicht zu. Der „richtige“ Beginn kann gleichzusetzen sein mit dem Zeitpunkt des Ausbruchs der Erkältungskrankheit. Der „richtige“ Beginn kann aber auch den Zeitpunkt beschreiben, indem die ersten Symptome erkennbar werden, die über nicht spezifische Befindlichkeitsbeschwerden hinausgehen und eindeutig auf eine beginnende Erkältungskrankheit hinweisen. In diesem Fall verlagert sich auch der nach der Werbeaussage empfohlene Zeitpunkt für den Beginn der Einnahme. Es ist früher mit der Einnahme zu beginnen als in dem erstgenannten Fall. Der Wahl des Einnahmezeitpunktes ist aber für die angesprochenen Verkehrskreise für die Einordnung des Medikamentes, etwa als Mittel der Linderung oder Heilung oder auch Vorbeugung von Bedeutung. Diese Einordnung wiederum bedingt eine unterschiedliche Bewertung oder ein anderes Verständnis der in der hier in Rede stehenden Aussage beworbenen Wirkungsweise des Arzneimittels. Von einem Arzneimittel, das erst nach Auftreten der o.a. Symptome eingenommen wird, kann erwartet werden, wenn es in der Anzeige heißt „Hält die Erkältung auf“, dass die Erkältungssymptome gemildert werden oder der vollständige oder auch nur schwerere Ausbruch der Erkrankung verhindert wird. Im zweiten Fall hingegen ist die Wirkungsaussage dahin zu verstehen, dass es nicht zum Erkältungseintritt und auch nicht zu den o.a. Symptomen kommt.

Die Wirkungsaussage der Beklagten ist zumindest im letztgenannten Fall irreführend. Arzneimitteln darf in der Werbung grundsätzlich keine Wirkung beigelegt werden, die ihnen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend abgesichert sind. (Wird ausgeführt…)“

b)
Schon die Bestimmung der Charakteristik der Verletzungsform anhand der Urteilsgründe ist mit Unsicherheiten belastet. Der rechtliche Bezugspunkt der Feststellung der Wettbewerbswidrigkeit der Handlung bleibt unklar. So leitet das Gericht eine Irreführung zunächst daraus her, dass verschiedene Auslegungs- oder Verständnismöglichkeiten in zeitlicher Hinsicht bezüglich des Satzteiles „… bevor sie richtig beginnt“ vorlägen. Denkbarer rechtlicher Bezugspunkt hierfür wäre § 3 Abs. 1 S. 1 HWG.

Sodann benennt das Gericht zwei mögliche Deutungen, wobei die letztgenannte irreführend sei, weil dem Mittel unzulässig eine Wirkung beigelegt würde. Damit wäre § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG in Bezug genommen.

Diese Unsicherheit lässt sich auch dann nicht aufklären, wenn man den materiellrechtlichen Obersatz des Urteils in den Blick nimmt. Mit diesem wird inhaltlich sowohl § 3 Abs. 1 S. 1 als auch S. 2 Nr. 1 HWG zitiert.

Nach alledem bleibt offen, ob die Rechtswidrigkeit der konkreten Verletzungshandlung nur aus § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG oder zugleich auch aus § 3 Abs. 1 S. 1 HWG hergeleitet wird. Verbleibende Zweifel treffen insoweit die Antragstellerin.

Im Fall der Herleitung auch aus § 3 Abs. 1 S. 1 HWG würde die Charakteristik der Verletzungshandlung das Vorliegen einer Irreführung durch verschiedene Auslegungs- oder Verständnismöglichkeiten in zeitlicher Hinsicht umfassen. Ob die nun beanstandeten Formulierungen in gleicher Weise eine Irreführung in zeitlicher Hinsicht herbeiführen, könnte nur durch eine neue, eigenständige Prüfung ermittelt werden. Damit kann aber bereits eine Kerngleichheit nicht mehr bejaht werden, unabhängig davon, ob diese Prüfung ergeben würde, dass eine Irreführung im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 HWG vorliegt. Anderes könnte sich nur dann ergeben, wenn das Ergebnis der Prüfung gleichsam auf der Hand läge, weil es sich bei der Änderung der Formulierung um eine bloß kosmetische Änderung handelte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Ersticken einer Erkältung „im Keim“ setzt vielmehr das Vorliegen einer Erkältung voraus. Ähnlich liegt es bei den Formulierungen in der Anlage OA 4. Dort werden sogar differenziertere Aussagen zum Einnahmezeitpunkt getätigt. Die Auslegungs - und Verständnisfragen stellen sich damit in allen Fällen wesentlich anders.

c)
Aber selbst dann, wenn man das Charakteristische der Werbeaussage nur aus dem letzteren Begründungsteil des Urteils ableitet, der sich unzweifelhaft auf § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG bezieht, so ließe sich eine Verallgemeinerung nur aus der vom Gericht angenommenen Wirkungsaussage ableiten, dass es nicht zum Erkältungseintritt und auch nicht zu Symptomen komme, die über nicht spezifische Befindlichkeitsbeschwerden hinausgehen und eindeutig auf eine beginnende Erkältungskrankheit hinweisen (= „o. A. Symptome“). Nur diese Wirkungsaussage hat das Gericht beanstandeten Werbung entnommen und geprüft.

aa)
Sämtlichen nun beanstandeten Formulierungen kann aber nicht entnommen werden, dass dem Mittel wiederum die Wirkungsweise beigelegt würde, dass es nicht zum „Erkältungseintritt“ komme. Eine Erkältung, die „im Keim“ erstickt wird, muss jedenfalls in einem ganz frühen Stadium schon vorgelegen haben. Eine Erkältung, die nicht voll zum Ausbruch kommt, ist jedenfalls bereits teilweise zum Ausbruch gekommen.

bb)
Auch hier kommt es im Rahmen der Zwangsvollstreckung nicht darauf an, ob die nun beanstandeten Werbeaussagen ihrerseits eine unzulässige Beilegung von Wirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG beinhalten. Maßgeblich ist allein, ob anhand der oben genannten Kriterien ein kerngleicher Verstoß festgestellt werden kann.

d)
Bei alledem steht einem Verstoß hinsichtlich der Anlage OA 5 bereits entgegen, dass insoweit N1 Globuli beworben wurden. Unstreitig war dieses Mittel im Jahr 2002 noch gar nicht zugelassen und auf dem Markt, so dass die Auslegung des Tenors ergeben muss, dass es dem Verbot nicht unterfällt. Zweifelhaft ist sogar noch, ob dies nicht überdies auch für die beanstandete Formulierung aus der Anlage OA 3 zu gelten hat, weil nicht auszuschließen ist, dass sich die Formulierung in dem Auszug in der Google-Trefferliste originär ebenfalls auf das Mittel N1 Globuli bezieht. Dafür spricht, dass dieser Treffer nicht, wie der Antragsteller vorträgt, bei der Suche mit dem Begriff „N1“ erschien, sondern, wie sich aus der in Bezug genommenen Anlage OA 3 ergibt, bei einer Suche mit den weiteren Begriffen „keim“ und „ersticken“, welche auch Gegenstand der Werbeaussage der Anlage OA 5 sind."

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




OLG Düsseldorf: Unterlassungstenor bei Patentverletzung beinhaltet nicht automatisch Verpflichtung zum Rückruf

OLG Düsseldorf
Beschluss vom 30.04.2018
I-15 W 9/18


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass ein Unterlassungstenor bei einer Patentverletzung nicht automatisch die Verpflichtung zum Rückruf beeinhaltet.

Aus den Entscheidungsgründen:

Soweit die Gläubigerin in Anlehnung an die Entscheidung des I. Zivilsenats „Produkte zur Wundversorgung“ (GRUR 2018, 292) die Ansicht vertritt, das landgerichtliche Urteil vom 18.07.2017 umfasse mit seinem Unterlassungsgebot als Minus zum Rückruf jedenfalls die Pflicht, die Abnehmerinnen aufzufordern, die angegriffene Ausführungsform vorläufig nicht weiter zu vertreiben, vermag der Senat sich dieser Auffassung nicht anzuschließen.

Diese Aufforderung kann nicht als Minus bzw. bloße Sicherstellung des Rückrufanspruchs angesehen werden. Sie ist vielmehr Bestandteil der geschuldeten Handlung des Rückrufverpflichteten. Auch diese Aufforderung dient dem Zweck des § 140a Abs. 3 PatG, die bereits eingetretene Störung zu beseitigen und zu vermeiden, dass der Erwerber in der nachgeordneten Vertriebskette eine weitere Schutzrechtsverletzung begeht. Einen Erfolg der Aufforderung oder die tatsächliche Rückgabe der patentverletzenden Produkte schuldet der Verletzer wie ausgeführt nicht. Infolge dessen kann eine Aufforderung, den Weitervertrieb (vorläufig) zu stoppen, auch nicht als Sicherung des (eng verstandenen) Rückrufanspruchs begriffen werden. Die Leistungshandlung, die ernsthafte und nachdrückliche Aufforderung zur Rückgabe, hängt nicht davon ab, dass der Erwerber noch im Besitz der angegriffenen Ausführungsform ist und eine tatsächliche Rückgabe erfolgen wird.

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Aber auch dann, wenn als Rückruf lediglich die ernsthafte und nachdrückliche Aufforderung zur Rückgabe der Ware anzusehen wäre, so wäre zu beachten – wie das Landgericht bereits ausgeführt hat –, dass die begehrte Aufforderung zum vorläufigen Vertriebsstopp vorliegend jedenfalls faktisch wie ein Rückruf wirkt. Die Schuldnerinnen haben substantiiert und unter Beweisantritt dargetan, dass ein Abnehmer, der dazu aufgefordert wird, ein bestimmtes Produkt nicht weiter zu verkaufen, dieses nicht – auf unbestimmte Zeit – im eigenen Langer behalten, sondern an den Lieferanten zurückgeben wird. Die Ausführungen der Schuldnerinnen sind zwar nicht auf die konkreten Abnehmerinnen sowie die angegriffene Ausführungsform bezogen und die Gläubigerin hat sie in rechtlich zulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten, wobei sie zudem auf den nahen Ablauf des Verfügungspatents hingewiesen hat. Letztlich bedürfte auch dies gleichwohl keiner weiteren Aufklärung. Denn unstreitig haben vier der sieben Abnehmerinnen die angegriffene Ausführungsform freiwillig retourniert, nachdem die Schuldnerinnen sie „nur“ über den Erlass der einstweiligen Verfügung informiert haben. Diese Abnehmerinnen haben die Waren mithin schon aufgrund eines Schreibens, das von ihnen keinerlei Handlung forderte, zurückgegeben."


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BGH: Bei Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach § 890 Abs. 1 ZPO sind wirtschaftliche Verhältnisse des Zuwiderhandelnden zu beachten

BGH
Beschluss vom 08.12.2016
I ZB 118/15
ZPO § 890 Abs. 1

Leitsatz des BGH:


Bei der Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach § 890 Abs. 1 ZPO sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Zuwiderhandelnden zu berücksichtigen.

BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2016 - I ZB 118/15 - OLG Düsseldorf - LG Düsseldorf

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OLG Frankfurt: Vertriebsverbot im Unterlassungstenor umfasst keine Rückrufpflicht hinsichtlich Händler die nicht in Vertriebsstruktur eingebunden sind

OLG Frankfurt
19.09.2016
6 W 74/16


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Vertriebsverbot in einem Unterlassungstenor regelmäßig keine keine Rückrufpflicht hinsichtlich der Händler umfasst, die nicht in Vertriebsstruktur des Herstellers / Großhändlers eingebunden sind

Aus den Entscheidungsgründen:

"aa) Der Schuldner eines gerichtlichen Verbots muss nicht nur alles unterlassen, was zu einer Verletzung führen kann, sondern auch alles, was im konkreten Fall erforderlich und zumutbar ist, um künftige Verletzungen zu verhindern. Bei den Oberlandesgerichten wird nicht einheitlich beurteilt, ob ein Vertriebsverbot im Regelfall auch die Obliegenheit umfasst, bereits ausgelieferte Ware vom Großhandel zurückzurufen.

(1) Teilweise wird dies angenommen. Der Unterlassungsschuldner müsse aktiv tätig werden, um nach Kräften auch die Verletzung abzuwenden, die auf Grund bereits vorgenommener Handlungen drohe. Dies gelte selbst dann, wenn die Abnehmer nicht in die Vertriebsorganisation der Schuldnerin eingebunden wären (vgl. OLG Köln, GRUR-RR 2008, 365; KG WRP 1998, 627, 628; OLG Zweibrücken, GRUR 2000, 921; Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm, 34. Aufl. § 12 Rn. 6.7; Feddersen in Teplitzky, 11. Aufl., 57. Kap., Rn. 26c). Nach der Gegenansicht kann der Unterlassungsschuldner nicht dafür haftbar gemacht werden, dass der - nicht in die eigene Vertriebsstruktur eingegliederte - Großhandel, der vor Zustellung der einstweiligen Verfügung beliefert worden ist, weiterhin Produkte ausgeliefert hat, die von dem Verbot umfasst sind (OLG Hamburg, Beschl. v. 31.3.2003 - 3 W 15/03, juris; OLG Brandenburg, Urt. v. 30.1.2007 - 6 U 48/06, juris; Senat, Beschl. v. 1.3.2005, 6 W 70/05, unveröffentlicht).

(2) Der BGH hat zu dem Meinungsstreit bislang nicht ausdrücklich Stellung genommen. Seiner Entscheidung "HOT SOX" vom 19.11.2015, die einen Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO wegen einer zu Unrecht erwirkten Unterlassungsverfügung betrifft, ist allerdings zu entnehmen, dass sich das Verbot, bestimmte Produkte in den Verkehr zu bringen, nicht auf die Einstellung des Vertriebs beschränkt. Vielmehr obliege der Schuldnerin auch, die bereits an den Großhandel ausgelieferten Produkte zurückzurufen (BGH GRUR 2016, 720 Rn. 35 [BGH 19.11.2015 - I ZR 109/14] - HOT SOX). Nach Ansicht des Senats ist die Streitfrage damit noch nicht entschieden. Der BGH hatte darüber zu befinden, ob ein Schuldner, der in Erfüllung einer zu Unrecht ergangenen einstweiligen Verfügung Produkte zurückgerufen hat, hierfür vom Gläubiger Schadensersatz verlangen kann. Zum adäquat kausal verursachten und zurechenbaren Schaden gehören auch Maßnahmen, die der Schuldner - ggf. aufgrund nicht abschließend geklärter Rechtslage - für erforderlich halten durfte. Eine andere Frage ist, ob der Unterlassungstitel im Streitfall tatsächlich so weit greift.

(3) Der Senat hält an seiner oben genannten Auffassung fest. Für das Handeln selbständiger Dritter hat der Unterlassungsschuldner grundsätzlich nicht einzustehen. Das Unterlassungsgebot ist nur an den Schuldner selbst gerichtet. Es macht ihn nicht zum Garanten dafür, dass Dritte keine Rechtsverstöße begehen (vgl. Goldmann, Anm. zu BGH GRUR 2016, 720 [BGH 19.11.2015 - I ZR 109/14] - HOT SOX). Einen Rückruf rechtsverletzender Ware kann der Gläubiger nur unter den Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs nach § 8 Abs. 1 UWG bzw. unter den Voraussetzungen eines gesetzlich geregelten Rückrufanspruchs (vgl. etwa § 18 II MarkenG, § 140a PatG; § 43 II DesignG; § 98 II UrhG) verlangen. Gerade die der Umsetzung von Art. 10 der Richtlinie 2004/48/EG (Durchsetzungsrichtlinie) dienende Einführung der genannten materiell-rechtlichen Rückrufansprüche spricht dafür, dass ein Unterlassungstitel eine derartige Verpflichtung noch nicht enthält; denn andernfalls hätte es der genannten Sonderregelungen nicht bedurft (vgl. auch hierzu Goldmann, aaO).

bb) Die Antragsgegnerin hat ihre Produkte nach Zustellung der einstweiligen Verfügung "in Quarantäne gebucht" und in der sog. Lauertaxe als "außer Vertrieb" gemeldet. Sie hat nicht die an Dritte bereits ausgelieferte Ware zurückgerufen. Insbesondere hat sie nicht die Großhändlerin B AG informiert, die auf eine Testbestellung der Antragstellerin am 9.10.2015, also drei Tage nach förmlicher Zustellung der einstweiligen Verfügung, von dem Verbot umfasste Produkte ausgeliefert hat. Zu einem Rückruf war die Antragsgegnerin aus den genannten Gründen nicht verpflichtet. Es ist nicht ersichtlich, dass die Fa. B in die Vertriebsstruktur der Antragsgegnerin eingegliedert ist, etwa als deren Handelsvertreterin, Vertragshändlerin oder Franchisenehmerin. Es liegt auch kein so gravierender Rechtsverstoß vor, dass - etwa im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung - ausnahmsweise neben dem eigenen Vertriebsstopp weitergehende Maßnahmen zumutbar erscheinen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Verurteilung zur Unterlassung ist von Amts wegen aufzuheben, wenn ein im Unterlassungsantrag enthaltenes Merkmal der zu verbietenden Handlung im Urteilsausspruch fehlt

BGH
Urteil vom 18.06.2015
I ZR 26/14
Zuweisung von Verschreibungen
ZPO § 308 Abs. 1; UWG §§ 3, 4 Nr. 11; ApoG § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3; SGB V
§ 39 Abs. 1 Satz 4 bis 6

Leitsätze des BGH:

a) Eine Verurteilung zur Unterlassung ist von Amts wegen aufzuheben, wenn ein im Unterlassungsantrag enthaltenes Merkmal der zu verbietenden Handlung im Urteilsausspruch fehlt und das vom Gericht ausgesprochene Unterlassungsgebot daher weiter reicht als der Unterlassungsantrag.

b) Die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG ist grundsätzlich auch bei Arzneimitteln zu beachten, die in der Arztpraxis am Patienten angewendet werden sollen (sogenannten Applikationsarzneimitteln) und daher zum Zeitpunkt der in Aussicht genommenen Behandlung in der Arztpraxis vorhanden sein müssen, sowie speziell bei Medikamenten, die für die Ersteinstellung und Ersteinweisung von Hepatitis-C-Patienten benötigt werden.

BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - I ZR 26/14 - OLG Nürnberg - LG Regensburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Nicht hinreichend bestimmter Unterlassungstenor kann im Wege der Auslegung mit Hilfe der gerügten Verletzungshandlung gerettet werden

OLG Frankfurt
Beschluss vom 29.01.2015
6 W 3/15


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein nicht hinreichend bestimmter Unterlassungstenor im Wege der Auslegung mit Hilfe der gerügten Verletzungshandlung gerettet werden.

Aus den Enstcheidungsgründen:

"Es ist zweifelhaft, ob der Unterlassungstenor hinreichend bestimmt ist. Insoweit haben die Antragsgegner mit Recht Bedenken angemeldet, so das zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Inhalt ihres Schriftsatzes vom 6. Oktober 2014 verwiesen werden kann (Bl. 45 d. A.). Der Verbotsinhalt ist hier jedenfalls im Wege der Auslegung unter Orientierung an der konkreten Verletzungshandlung, die zum Erlass des Titels geführt hat, auf einen vollstreckungsfähigen Inhalt zu begrenzen (st. Rspr. des erkennenden Senats, vgl. Beschl. v. 7.2.2013 - 6 W 116/12 m. w.N.; ähnlich BGH, Beschl. v. 22.11.2012 - I ZB 18/12, juris-Tz. 17, vgl. ferner Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 6. Auflage Kapitel 65 Rdn. 9).

Der nur schwerlich lesbaren Einblendung in Anlage K 2 lässt sich entnehmen, dass die Antragsgegnerin zu 1) bei ihrer Widerrufsbelehrung überhaupt keine Telefonnummer genannt hat, die der Verbraucher als Kontaktadresse ansehen könnte. Genannt sind dort lediglich eine Telefaxnummer und eine E-Mail-Adresse sowie die postalische Anschrift der Antragsgegnerin zu 1).

Anders gestaltet sich das bei der am 12.09.2014 verwendeten Widerrufsbelehrung (Bl. 37/38 d. A.). Hier wird das in Anlage 1 zu Artikel 246a § 1 Abs. 2 EGBGB vom Gesetzgeber bereitgestellte Muster für die Widerrufsbelehrung verwendet, wobei sich die Antragsgegner allerdings nicht an dem Gestaltungshinweis Nr. 2 der Musterwiderrufsbelehrung orientiert und statt dessen die Kontaktdaten der Antragsgegnerin zu 1) einschließlich ihrer Telefon- und Telefaxnummer unmittelbar im Anschluss an das der Belehrung nachgestellte Muster-Widerrufsformular angegeben haben.

Anders als in der ursprünglichen Gestaltung geht es jetzt nicht mehr darum, dass die Antragsgegner in Zusammenhang mit der Widerrufsbelehrung gebotswidrig keine Telefonnummer genannt haben, sondern nur noch darum, ob die Kontaktdaten an geeigneter Stelle angebracht sind (vgl. zu den gesetzlichen Vorgaben: Föhlisch/Stariradeff, K&R 2014, 825, 826). Von dem eingeschränkten Kernbereich des gerichtlichen Verbots wird die jetzige Gestaltung daher nicht erfasst."


OLG Frankfurt: Wirksame Vollziehung einer einstweiligen Verfügung ggf. nur dann, wenn Anlagen in Farbe beigefügt werden

OLG Frankfurt
Beschluss vom 02.04.2014
11 W 10/14


Zustellungsmängel in einstweiligen Verfügungsverfahren kommen immer wieder vor. Einstweilige Verfügungen sind dem Antragsgegner vom Antragsteller im Parteibetrieb innerhalb eines Monats zuzustellen. Geschieht dies nicht, so ist die einstweilige Verfügung aufzuheben. Auch eine an sich obsiegend Partei bleibt dann doch noch auf den (häufig erheblichen) Kosten sitzen.

Das OLG Frankfurt hat nun klargestellt, dass es ggf. auch erforderlich sein kann, dass farbige Anlagen, auf die der Unterlassungstenor Bezug nimmt und die farbig in der Urschrift der einstweiligen Verfügung enthalten sind, ebenfalls in Farbe zugestellt werden müssen. Geschieht dies nicht, so fehlt es an einer wirksamen Vollziehung.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt hier eine wesentliche Abweichung zwischen der Urschrift und der zugestellten Abschrift vor. Die Farbigkeit der Lichtbilder ist hier zur Bestimmung des Umfangs des Unterlassungsgebots wesentlich. Dies folgt bereits daraus, dass es sich unstreitig um nachträglich in einer Grafikabteilung bearbeitete Lichtbilder handelt. Nur die hier konkret beanstandeten Bearbeitungsformen der Lichtbilder sind Gegenstand des Unterlassungstenors. Die Bearbeitung bezog sich gemäß Anlage ASt 2 insbesondere auf die nur bei einer farbigen Abbildung erkennbare konkret gewählte Farbgestaltung, die Darstellung des Schattenwurfs und die Lichtbildschärfe. Eine nachträgliche Lichtbildbearbeitung ist in unzähligen Varianten denkbar. Die Farbgestaltung kann vielfältig und uneingeschränkt verändert werden. Auch die Darstellung (insbesondere Farbverlauf, Schattierung) des Schattenwurfes ist einer nachträglichen Bearbeitung in unendlich vielen Ausformungen zugänglich; gleiches gilt für die Wahl der Bildschärfe. Vor diesem Hintergrund kann nur unter Vorlage des konkret bearbeiteten Lichtbildergebnisses ermittelt werden, welche Abbildung tatsächlich vom Unterlassungstenor erfasst wird."

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Frankfurt: Nachweis des Verstoßes gegen einstweilige Verfügung im Wege des Vollbeweises - Auslegung eines unbestimmten Unterlassungstenors

OLG Frankfurt
Beschluss vom 05.08.2013
6 W 67/13


Das OLG Frankfurt hat nochmals klargestellt, dass der Nachweis des Verstoßes gegen eine einstweilige Verfügung im Wege des Vollbeweises geführt werden muss. Zudem hat das OLG Frankfurt entschieden, dass auch ein unbestimmter und somit an sich nicht vollstreckungsfähiger Unterlassungstitel durch Auslegung "gerettet" werden kann. Dazu ist auf die Verletzungshandlungen abzustellen, die zur einstweiligen Verfügung geführt haben.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: