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EuGH: HOAI-Mindestsatzklagen müssen trotz Verstoßes der HOAI-Mindestsätze gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie entschieden werden

EuGH
Urteil vom 18.01.2022
C-261/20
Thelen Technopark Berlin gegen MN


Der EuGH hat entschieden, dass HOAI-Mindestsatzklagen trotz Verstoßes der HOAI-Mindestsätze gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie entschieden werden müssen.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Obwohl der Gerichtshof bereits festgestellt hat, dass die deutsche Regelung, die Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt (HOAI), gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt, ist ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anhängig ist, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, diese deutsche Regelung unangewendet zu lassen.

Dies gilt jedoch unbeschadet zum einen der Möglichkeit dieses Gerichts, die Anwendung dieser Regelung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits aufgrund des innerstaatlichen Rechts auszuschließen, und zum anderen der Möglichkeit der durch die Unvereinbarkeit dieser Regelung mit dem Unionsrecht geschädigten Partei, gegebenenfalls Schadensersatz vom deutschen Staat zu verlangen.

2016 schlossen Thelen, eine Immobiliengesellschaft, und MN, ein Ingenieur, einen Ingenieurvertrag, in dessen Rahmen MN sich gegen die Zahlung eines Pauschalhonorars in Höhe von 55 025 Euro verpflichtete, bestimmte Leistungen nach der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure – HOAI) vom 10. Juli 2013 zu erbringen.

Ein Jahr später kündigte MN diesen Vertrag und rechnete seine erbrachten Leistungen in einer Honorarschlussrechnung ab. Unter Berufung auf eine Bestimmung der HOAI , nach der der Dienstleistungserbringer für die von ihm erbrachte Leistung Anspruch auf eine Vergütung hat, die mindestens dem im nationalen Recht festgesetzten Mindestsatz entspricht, und unter
Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlungen erhob MN Klage, um die Zahlung des geschuldeten Restbetrags in Höhe von 102 934,59 Euro geltend zu machen, d. h. eines höheren Betrags als des von den Vertragsparteien vereinbarten.

Thelen, die in erster und zweiter Instanz teilweise unterlegen war, legte beim Bundesgerichtshof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht in der vorliegenden Rechtssache, Revision ein. Im Rahmen seines Vorabentscheidungsersuchens weist dieses Gericht darauf hin, dass der Gerichtshof bereits die Unvereinbarkeit dieser Bestimmung der HOAI mit der Bestimmung der Richtlinie 2006/123 festgestellt habe, die es den Mitgliedstaaten im Wesentlichen verbiete, Anforderungen beizubehalten, die die Ausübung einer Tätigkeit von der Beachtung von Mindestund/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer abhängig machten, es sei denn diese Anforderungen erfüllten die kumulativen Bedingungen der Nicht-Diskriminierung, der
Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit . Das vorlegende Gericht beschloss daher, den Gerichtshof mit der Frage zu befassen, ob ein nationales Gericht bei der Beurteilung der Begründetheit der Klage eines Einzelnen gegen einen anderen Einzelnen die einer Richtlinie, hier der Dienstleistungsrichtlinie, widersprechende Bestimmung des nationalen Rechts, auf die die
Klage gestützt wird, unangewendet lassen muss. Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass eine mit der Dienstleistungsrichtlinie konforme Auslegung der HOAI im vorliegenden Fall nicht möglich sei.

Würdigung durch den Gerichtshof
Mit seinem Urteil erkennt der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen.

Zwar verpflichtet der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts alle mitgliedstaatlichen Stellen, den verschiedenen Vorschriften der Europäischen Union volle Wirksamkeit zu verschaffen. Zudem verlangt dieser Grundsatz, dass das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, dann, wenn es eine nationale Regelung nicht unionsrechtskonform auslegen kann, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen des Unionsrechts Sorge zu tragen hat, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste.

Allerdings ist ein nationales Gericht nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, eine Bestimmung seines nationalen Rechts, die mit einer Bestimmung des Unionsrechts in Widerspruch steht, unangewendet zu lassen, wenn die letztgenannte Bestimmung keine unmittelbare Wirkung hat. Gleichwohl kann davon unbeschadet dieses Gericht sowie jede zuständige nationale Verwaltungsbehörde die Anwendung jeder Bestimmung des nationalen Rechts, die gegen eine Bestimmung des Unionsrechts ohne unmittelbare Wirkung verstößt, aufgrund des innerstaatlichen Rechts ausschließen.

Im vorliegenden Fall weist der Gerichtshof darauf hin, dass Art. 15 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie nach seiner eigenen Rechtsprechung eine unmittelbare Wirkung entfalten kann, da diese Bestimmung hinreichend genau, klar und unbedingt ist. Diese Bestimmung als solche wird jedoch im vorliegenden Fall in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angeführt, um die
Anwendung einer gegen sie verstoßenden nationalen Regelung auszuschließen. Konkret würde die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie im Ausgangsrechtsstreit MN sein Recht nehmen, ein Honorar in der Höhe einzufordern, die dem in den fraglichen nationalen Vorschriften vorgesehenen Mindestsatz entspricht. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs schließt
jedoch aus, dass dieser Bestimmung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits zwischen Privaten eine solche Wirkung zuerkannt werden kann.

Der Gerichtshof führt weiter aus, dass nach Art. 260 Abs. 1 AEUV, wenn der Gerichtshof eine Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats feststellt, dieser Mitgliedstaat die Maßnahmen zu ergreifen hat, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben, wobei die zuständigen nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden ihrerseits verpflichtet sind, alle Bestimmungen zu erlassen, um die volle Geltung des Unionsrechts zu erleichtern, und dabei erforderlichenfalls eine gegen das Unionsrecht
verstoßende nationale Bestimmung unangewendet zu lassen. Gleichwohl haben die Urteile, mit denen solche Verstöße festgestellt werden, vor allem die Festlegung der Aufgaben der Mitgliedstaaten im Fall der Verletzung ihrer Pflichten zum Gegenstand, und nicht die Verleihung von Rechten an Einzelne. Daher sind diese Gerichte oder Behörden nicht allein aufgrund solcher Urteile verpflichtet, im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privaten eine nationale Regelung, die gegen die Bestimmung einer Richtlinie verstößt, unangewendet zu lassen.

Dagegen könnte sich die durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigte Partei auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs berufen, um gegebenenfalls Ersatz eines durch diese Unvereinbarkeit entstandenen Schadens zu erlangen. Nach dieser Rechtsprechung muss jeder Mitgliedstaat sicherstellen, dass dem Einzelnen der Schaden ersetzt wird, der ihm durch die Nichtbeachtung des Unionsrechts entstanden ist.

Der Gerichtshof hebt insoweit hervor, dass, nachdem er bereits festgestellt hat, dass die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist und ihre Beibehaltung daher eine Vertragsverletzung seitens der Bundesrepublik Deutschland darstellt, dieser Verstoß gegen das Unionsrecht als offenkundig qualifiziert im Sinne seiner Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung eines Mitgliedstaats wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht anzusehen ist.


Tenor der Entscheidung:

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund dieses Rechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen, jedoch unbeschadet zum einen der Möglichkeit dieses Gerichts, die Anwendung der Regelung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits aufgrund des innerstaatlichen Rechts auszuschließen, und zum anderen des Rechts der durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigten Partei, Ersatz des ihr daraus entstandenen Schadens zu verlangen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



EU-Kommission: Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und 23 weitere EU-Staaten wegen Nichtumsetzung von EU-Telekommunikationsvorschriften - Kodex für die elektronische Kommunikation

Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und 23 weitere EU-Staaten wegen Nichtumsetzung von EU-Telekommunikationsvorschriften ( Kodex für die elektronische Kommunikation ) eingeleitet.

Die Pressemitteilung der EU-Kommission:

Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen 24 Mitgliedstaaten wegen Nichtumsetzung neuer EU-Telekommunikationsvorschriften ein

Die Kommission hat heute Vertragsverletzungsverfahren gegen 24 Mitgliedstaaten wegen der Nichtumsetzung der neuen EU-Telekommunikationsvorschriften eingeleitet. Mit dem europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation wird der europäische Rechtsrahmen für die elektronische Kommunikation modernisiert, um die Wahlmöglichkeiten und Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern, indem beispielsweise klarere Verträge, die Qualität der Dienste und wettbewerbsorientierte Märkte sichergestellt werden. Der Kodex gewährleistet auch höhere Standards für Kommunikationsdienste, einschließlich effizienterer und leichter zugänglicher Notrufverbindungen. Darüber hinaus bieten die Vorschriften den Betreibern Anreize für Investitionen in Netze mit sehr hoher Kapazität sowie eine besser vorhersehbare Regulierung, was zu innovativeren digitalen Diensten und Infrastrukturen führt.

Die Frist für die Umsetzung des Kodex in nationales Recht endete am 21. Dezember 2020. Bislang haben nur Griechenland, Ungarn und Finnland der Kommission mitgeteilt, dass sie alle erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie getroffen haben und damit ihre Umsetzung für vollständig erklärt.

Daher richtete die Kommission förmliche Aufforderungsschreiben an Belgien, Bulgarien, Tschechien, Dänemark, Deutschland, Estland, Irland, Spanien, Frankreich, Kroatien, Italien, Zypern, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, die Slowakei und Schweden, in denen sie diese Länder auffordert, unverzüglich alle einschlägigen Maßnahmen anzunehmen und zu übermitteln. Die Mitgliedstaaten müssen nun binnen zwei Monaten darauf reagieren.

Hintergrund
Der europäische Kodex für die elektronische Kommunikation, mit dem der Rechtsrahmen für den europäischen Telekommunikationssektor mit den neuen Herausforderungen in Einklang gebracht wird, ist im Dezember 2018 in Kraft getreten. Die Mitgliedstaaten hatten zwei Jahre Zeit, um seine Vorschriften umzusetzen. Es handelt sich um einen zentralen Rechtsakt, wenn es darum geht eine europäische Gigabit-Gesellschaft Wirklichkeit werden zu lassen und eine umfassende Teilhabe aller EU-Bürgerinnen und -Bürger an der digitalen Wirtschaft und Gesellschaft zu ermöglichen.

Um die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht zu unterstützen, hat die Kommission den Umsetzungsprozess begleitet und ihnen umfassende Orientierungshilfen und Hilfestellung gegeben. Darüber hinaus hat das Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) im Hinblick auf eine erfolgreiche Anwendung der neuen Vorschriften Leitlinien ausgearbeitet und veröffentlicht.

Ganz im Einklang mit dem Kodex verabschiedete die Kommission im Dezember 2020 die folgenden Rechtsvorschriften, um den Wettbewerb zu stärken, die Vorschriften zu vereinheitlichen und gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktakteure zu schaffen sowie die Verbraucher zu schützen und faire Preise und vielfältige Angebote für Internet- und Telefondienste zu ermöglichen:

eine neue delegierte Verordnung, in der unionsweit einheitliche maximale Anrufzustellungsentgelte festgelegt werden, die sich die Betreiber untereinander für die Weiterleitung von Mobilfunk- und Festnetzanrufen zwischen ihren Netzen in Rechnung stellen dürfen;
eine neugefasste Empfehlung über relevante Märkte mit einer aktualisierten Liste der vorab festgelegten Märkte, die von den europäischen nationalen Regulierungsbehörden regelmäßig überprüft werden müssen.



EU-Kommission: Deutschland muss binnen 2 Monaten Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften nachbessern

Die EU-Kommission hat die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften binnen 2 Monaten nachzubessern und richtlinienkonform auszugestalten.

In der Pressemitteilung heißt es:

"In den EU-Vorschriften ist eine Widerrufsfrist von mindestens sieben Tagen festgelegt; binnen dieser Frist kann der Verbraucher vom Vertrag zurücktreten. Die deutschen Rechtsvorschriften enthalten jedoch zusätzlich die Anforderung, dass der Verbraucher zum Vertragsschluss „bestimmt worden“ sein muss. Dieses Zusatzkriterium, das nicht in der Richtlinie enthalten ist, beschränkt das in der Richtlinie verbriefte Rücktrittsrecht. Die Kommission fordert daher Deutschland auf, seine Rechtsvorschriften zu ändern.

Kommt Deutschland dieser Aufforderung nicht innerhalb von zwei Monaten nach, kann die Kommission den Gerichtshof der Europäischen Union mit diesem Fall befassen."


Die vollständige Pressemitteilung der EU-Kommission finden Sie hier: