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BGH: Bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen gemäß Richtlinie 2008/48/EG muss nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB der Zinssatz bei Vertragsschluss konkret angegeben werden

BGH
Urteil vom 12. April 2022
XI ZR 179/21
EGBGB Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 11


Der BGH hat entschieden, dass bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen gemäß Richtlinie 2008/48/EG nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB der Zinssatz bei Vertragsschluss konkret angegeben werden muss.

Leitsatz des BGH:
Bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40 und ABl. 2011, L 234, S. 46) erfordert die Information über den Verzugszinssatz nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB die Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes (Aufgabe von Senatsurteil vom 5. November 2019 - XI ZR 650/18, BGHZ 224, 1 Rn. 52).

BGH, Urteil vom 12. April 2022 - XI ZR 179/21 - OLG München - LG München I

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Keine Amtshaftungsansprüche gegen Bundesrepublik Deutschland im Dieselskandal wegen möglicherweise nicht ausreichender Umsetzung von Unionsrecht

BGH
Beschluss vom 10.02.2022
III ZR 87/21


Der BGH hat entschieden, dass keine Amtshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland im Dieselskandal wegen möglicherweise nicht ausreichender Umsetzung von Unionsrecht bestehen.

Die Pressemitteilung des BGH:
Keine Haftung der Bundesrepublik Deutschland im sog. Diesel-Skandal für eine möglicherweise
unzureichende Umsetzung und Anwendung europäischen Rechts

Der unter anderem für das Amts- und Staatshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat hat entschieden, dass dem Erwerber eines mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs keine Amtshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen einer möglicherweise unzureichenden Umsetzung von Europarecht zustehen.

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb am 12. September 2014 einen gebrauchten Audi A4 (km-Stand: 11.303 km) zu einem Kaufpreis von 35.440 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet, der eine unzulässige Abschaltvorrichtung enthält. Der Kläger wirft der beklagten Bundesrepublik Deutschland insbesondere vor, das Kraftfahrbundesamt habe für den hier in Rede stehenden Fahrzeugtyp eine fehlerhafte Typgenehmigung erteilt und Art. 46 der Richtlinie 46/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Richtlinie 2007/46/EG) unzureichend umgesetzt und kein ausreichendes Sanktionssystem erlassen zu haben. Durch diese Pflichtverletzungen sei er zum Abschluss des Kaufvertrags gebracht worden, den er sonst nicht geschlossen hätte. Die Beklagte sei ihm daher zum Schadensersatz verpflichtet.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er hilfsweise Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und Zahlung einer Nutzungsentschädigung begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.

Insbesondere weist die Sache keine grundsätzliche Bedeutung deshalb auf, weil ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu der Frage gerichtet werden müsste, ob bzw. inwieweit die hier relevanten Normen der Richtlinie 2007/46/EG und der Verordnung 715/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Verordnung 715/2007/EG) den Zweck haben, dass die Typgenehmigungsbehörden die Käufer von Fahrzeugen vor Rechtsverstößen der Hersteller zu schützen.

Diese Normen schützen zwar Interessen der Verbraucher, sie bezwecken jedoch nicht den Schutz vor den vom Kläger geltend gemachten Schäden. Drittschützende Wirkung haben sie nur im Hinblick auf das Interesse der Erwerber, dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird. Die Verletzung dieses Interesses macht der Kläger jedoch nicht geltend. Sein Fahrzeug ist zugelassen und die Betriebserlaubnis ist nicht wieder entzogen worden. Vielmehr macht der Kläger als verletztes Schutzgut sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend. Diese Interessen werden vom Schutzzweck der Richtlinie 2007/46/EG und der Verordnung 715/2007/EG jedoch nicht erfasst.

Der Senat hat sich insoweit den Ausführungen des VI. Zivilsenats in seinen Urteilen vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) und vom 30. Juli 2020 (VI ZR 5/20), die auch der VII. Zivilsenat teilt (Beschluss vom 1. September 2021 – VII ZR 59/21), angeschlossen.

Aus dem Umstand, dass die vorzitierten Entscheidungen Ansprüche gegen die Fahrzeughersteller betrafen, während im vorliegenden Fall ein Verstoß des Kraftfahrtbundesamts gegen die vorgenannten Regelwerke geltend gemacht wird, folgt nichts Abweichendes. Es spricht nichts dafür, dass diese Pflichten der Genehmigungsbehörden gegenüber dem geschützten Personenkreis einen weitergehenden oder anderen Inhalt hätten als die Pflichten der Hersteller. Im Gegenteil werden die Behörden in erster Linie im öffentlichen Interesse tätig und sind von dem - vom Kläger geltend gemachten - Abschluss eines (unerwünschten) Vertrags sachlich weiter entfernt als der Fahrzeughersteller. Da diese Schlussfolgerungen auf der Hand liegen und zudem durch eine Erst-recht-Wertung gestützt werden, bedurfte es nach Maßgabe der acte-clair-Doktrin keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.

Vorinstanzen:

LG Münster - Urteil vom 14. Januar 2021 - 14 O 440/19

OLG Hamm - Beschluss vom 17. Mai 2021 - I-11 U 36/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Richtlinie 46/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge

Art. 46 Sanktionen

Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen diese Richtlinie, insbesondere gegen die in Artikel 31 vorgesehenen oder sich daraus ergebenden Verbote und die in Anhang IV Teil I aufgeführten Rechtsakte, anzuwenden sind, und ergreifen alle für ihre Durchführung erforderlichen Maßnahmen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Vorschriften bis zum 29. April 2009 sowie etwaige Änderungen so bald wie möglich mit.




EuGH: Widerrufsjoker kein Rechtsmissbrauch - Verbraucherkreditverträge können bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung widerrufen werden

EuGH
Urteil vom 09.09.2021
In den verbundenen Rechtssachen C‑33/20, C‑155/20 und C‑187/20


Der EuGH hat entschieden, dass Verbraucherkreditverträge bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung widerrufen werden können auch wenn der Verbraucher Kenntnis von seinem Widerrufsrecht hatte. Die Nutzung des Widerrufsjokers ist nicht rechtsmissbräuchlich.

Tenor der Entscheidung:

1. Art. 10 Abs. 2 Buchst. a, c und e der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass im Kreditvertrag gegebenenfalls in klarer, prägnanter Form angegeben werden muss, dass es sich um einen „verbundenen Kreditvertrag“ im Sinne von Art. 3 Buchst. n dieser Richtlinie handelt und dass dieser Vertrag als befristeter Vertrag geschlossen worden ist.

2. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass er nicht verlangt, dass in einem „verbundenen Kreditvertrag“ im Sinne von Art. 3 Buchst. n dieser Richtlinie, der ausschließlich der Finanzierung eines Vertrags über die Lieferung eines Gegenstands dient und vorsieht, dass der Kreditbetrag an den Verkäufer dieses Gegenstands ausgezahlt wird, angegeben wird, dass der Verbraucher in Höhe des ausgezahlten Betrags von seiner Verbindlichkeit zur Zahlung des Kaufpreises befreit ist und dass der Verkäufer ihm, sofern der Kaufpreis vollständig beglichen ist, den gekauften Gegenstand auszuhändigen hat.

3. Art. 10 Abs. 2 Buchst. l der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass in dem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Satz der Verzugszinsen in Form eines konkreten Prozentsatzes anzugeben und der Mechanismus der Anpassung des Verzugszinssatzes konkret zu beschreiben ist. Haben die Parteien des betreffenden Kreditvertrags vereinbart, dass der Verzugszinssatz nach Maßgabe des von der Zentralbank eines Mitgliedstaats festgelegten und in einem für jedermann leicht zugänglichen Amtsblatt bekannt gegebenen Änderung des Basiszinssatzes geändert wird, reicht ein Verweis im Kreditvertrag auf diesen Basiszinssatz aus, sofern die Methode zur Berechnung des Satzes der Verzugszinsen nach Maßgabe des Basiszinssatzes in diesem Vertrag beschrieben wird. Insoweit sind zwei Voraussetzungen zu beachten. Erstens muss die Darstellung dieser Berechnungsmethode für einen Durchschnittsverbraucher, der nicht über Fachkenntnisse im Finanzbereich verfügt, leicht verständlich sein und es ihm ermöglichen, den Verzugszinssatz auf der Grundlage der Angaben im Kreditvertrag zu berechnen. Zweitens muss auch die Häufigkeit der Änderung dieses Basiszinssatzes, die sich nach den nationalen Bestimmungen richtet, in dem fraglichen Kreditvertrag angegeben werden.

4. Art. 10 Abs. 2 Buchst. r der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass im Kreditvertrag die Methode für die Berechnung der bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens fälligen Entschädigung in einer konkreten und für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise anzugeben ist, so dass dieser die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung anhand der in diesem Vertrag erteilten Informationen bestimmen kann.

5. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass er nicht verlangt, dass im Kreditvertrag alle Situationen anzugeben sind, in denen den Parteien des Kreditvertrags ein Kündigungsrecht nicht durch diese Richtlinie, sondern nur durch die nationalen Rechtsvorschriften zuerkannt wird.

6. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass er es dem Kreditgeber verwehrt, sich gegenüber der Ausübung des Widerrufsrechts gemäß dieser Bestimmung durch den Verbraucher auf den Einwand der Verwirkung zu berufen, wenn eine der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte, ohne dass er diese Unkenntnis zu vertreten hat.

7. Die Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass der Kreditgeber im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 durch den Verbraucher keinen Rechtsmissbrauch annehmen darf, wenn eine der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte.

8. Art. 10 Abs. 2 Buchst. t der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass im Kreditvertrag die wesentlichen Informationen über alle dem Verbraucher zur Verfügung stehenden außergerichtlichen Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahren und gegebenenfalls die mit diesen Verfahren verbundenen Kosten, darüber, ob die Beschwerde oder der Rechtsbehelf per Post oder elektronisch einzureichen ist, über die physische oder elektronische Adresse, an die die Beschwerde oder der Rechtsbehelf zu senden ist, und über die sonstigen formalen Voraussetzungen, denen die Beschwerde oder der Rechtsbehelf unterliegt, anzugeben sind. Was diese Informationen betrifft, reicht ein bloßer Verweis im Kreditvertrag auf eine im Internet abrufbare Verfahrensordnung oder auf ein anderes Schriftstück oder Dokument, in dem die Modalitäten der außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren festgelegt sind, nicht aus.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Käufer eines Schummeldiesels muss Anspruch auf Ersatzlieferung eines Nachfolgemodells binnen 2 Jahren ab Vertragsschluss geltend machen

BGH
Urteile vom 21. Juli 2021
VIII ZR 254/20, VIII ZR 118/20, VIII ZR 275/19 und VIII ZR 357/20


Der BGH hat entschieden, dass der Käufer eines Schummeldiesels seinen Anspruch auf Ersatzlieferung eines Nachfolgemodells binnen 2 Jahren ab Vertragsschluss geltend machen muss.

Die Pressemitteilung des BGH:

Der Bundesgerichtshof hat heute entschieden, dass im Verbrauchsgüterkauf der Käufer eines (hier jeweils aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung) mangelhaften Neufahrzeugs im Rahmen seiner Gewährleistungsrechte zwar grundsätzlich auch die Ersatzlieferung eines zwischenzeitlich hergestellten Nachfolgemodells verlangen kann, dies aber nur für den Fall gilt, dass er einen entsprechenden Anspruch innerhalb von zwei Jahren ab Vertragsschluss gegenüber seinem Verkäufer geltend macht.

Sachverhalt:

In den heute entschiedenen vier Fällen haben die Käufer im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs jeweils in den Jahren 2009 oder 2010 ein mit einem Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug erworben, dessen Motorsteuerungssoftware den Prüfstandlauf erkannte und in diesem Fall den Ausstoß von Stickoxiden verringerte. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, verlangten die Käufer jeweils Mangelbeseitigung durch Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs. Dies wurde von den Verkäufern abgelehnt und stattdessen eine Mangelbeseitigung (Nachbesserung) durch ein Software-Update angeboten.

Allen Verfahren ist weiter gemein, dass die Käufer ihr Nachlieferungsbegehren erstmals nach rund sieben beziehungsweise acht Jahren nach Kaufvertragsschluss gegenüber den Verkäufern geltend machten. Da das ursprünglich erworbene Fahrzeugmodell zu diesem Zeitpunkt in allen Fällen vom Hersteller bereits durch ein Nachfolgemodell ersetzt worden war, verlangen die Käufer nunmehr jeweils ein fabrikneues, typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion. In allen vier Verfahren erwarben die Kläger die Fahrzeuge dabei als Verbraucher, die bei einer Nachlieferung gemäß § 475 Abs. 3 Satz 1 BGB für die Nutzung der zunächst gelieferten mangelhaften Sache keinen Ersatz schulden.

Die Verkäufer haben die Einrede der Verjährung jeweils nicht erhoben beziehungsweise hatten gegenüber den Käufern zuvor ausdrücklich darauf verzichtet, sich im Hinblick auf etwaige Ansprüche im Zusammenhang mit der betreffenden Motorsteuerungssoftware auf Verjährung zu berufen.

Bisherige Prozessverläufe:

Die Berufungsgerichte sind in allen vier Verfahren unter Verweis auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 8. Januar 2019 (VIII ZR 225/17, siehe Pressemitteilung Nr. 22/2019) davon ausgegangen, dass die betreffenden Fahrzeuge bei Übergabe an die Käufer mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet und deshalb mangelbehaftet gewesen seien. Weiterhin haben die Berufungsgerichte im Ausgangspunkt übereinstimmend angenommen, dass sich der Anspruch des Käufers auf Ersatzlieferung (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) im Fall eines Modellwechsels auch auf das zwischenzeitlich am Markt verfügbare Nachfolgemodell erstrecke.

Davon ausgehend haben die Kläger in den Verfahren VIII ZR 254/20 und VIII ZR 118/20 mit ihrem Nachlieferungsbegehren in zweiter Instanz beim Oberlandesgericht Köln jeweils Erfolg gehabt. Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Saarbrücken im Verfahren VIII ZR 275/19 einen Ersatzlieferungsanspruch des dortigen Klägers letzten Endes verneint, weil die dem beklagten Vertragshändler durch die Ersatzlieferung entstehenden Kosten die Kosten einer Mangelbeseitigung durch das vom Hersteller angebotene Software-Update bei weitem überstiegen, und der Kläger auch nicht substantiiert dargetan habe, dass durch das Aufspielen des Updates Folgemängel entstünden. Auch im Verfahren VIII ZR 357/20, in welchem der Kläger das Fahrzeug unmittelbar von der Herstellerin erworben hatte, hat das Oberlandesgericht Schleswig mit vergleichbarer Begründung den Nachlieferungsanspruch des Klägers zurückgewiesen und lediglich seinem hilfsweise geltend gemachten deliktischen Schadensersatzanspruch teilweise (unter Abzug einer erheblichen Nutzungsentschädigung) stattgegeben.

In den Verfahren VIII ZR 254/20 und VIII ZR 118/20 verfolgen die Beklagten mit ihren von den Berufungsgerichten zugelassenen Revisionen ihr Klageabweisungsbegehren jeweils weiter, während die Kläger in den Verfahren VIII ZR 275/19 und VIII ZR 357/20 mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen jeweils weiterhin die Nachlieferung eines fabrikneuen Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion erreichen wollen.

Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in allen vier Verfahren entschieden, dass den jeweiligen Klägern der geltend gemachte Anspruch auf Lieferung eines mangelfreien Nachfolgemodells des von ihnen ursprünglich erworbenen Neufahrzeugs gemäß § 437 Nr. 1, § 434 Abs. 1, § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht zusteht.

Dabei hat der Senat zunächst seine bereits im Hinweisbeschluss vom 8. Januar 2019 (VIII ZR 225/17, siehe Pressemitteilung Nr. 22/2019) angeführte Rechtsprechung bestätigt, nach der es sich bei der in den von den Klageparteien erworbenen Dieselfahrzeugen (Motortyp EA 189) installierten Motorsteuerungssoftware, die bei erkanntem Prüfstandlauf den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb verringert, um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Insofern waren die Fahrzeuge bei Übergabe (und auch noch im Zeitpunkt der jeweiligen Nacherfüllungsbegehren) mangelhaft im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB, weil - jedenfalls bis zur Nachrüstung durch ein entsprechendes Software-Update - die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand und es damit an der Eignung der Fahrzeuge für die gewöhnliche Verwendung (Nutzung im Straßenverkehr) fehlte.

Ebenfalls bestätigt hat der Senat seine Ausführungen im vorgenannten Hinweisbeschluss, wonach eine vom Käufer eines mangelhaften Neuwagens geforderte Ersatzlieferung gemäß § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht bereits deshalb unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB) und damit ausgeschlossen ist, weil anstelle des ursprünglich erworbenen Fahrzeugmodells zwischenzeitlich ein Nachfolgemodell (Facelift, Modellpflegemaßnahme, neue Baureihe/Generation) auf den Markt getreten ist. Solche Nachfolgemodelle sind zwar in der Regel in mancher Hinsicht fortentwickelt, zum Beispiel durch die Klassifikation nach neuen europäischen Abgasnormen und Änderungen der Motortechnik, durch Fortschritte bei Sicherheits- und Assistenzsystemen und entsprechend umfangreicherem Einsatz von Steuerungssoftware, durch Änderungen bei Abmessungen, Gewicht, Kraftstoffverbrauch und Formensprache oder etwa durch vermehrten Komfort. Den Parteien und insbesondere dem Fahrzeughändler ist aber bereits bei Abschluss des Kaufvertrags bewusst, dass der Fahrzeughersteller nach gewisser Zeit das bisherige Modell nicht mehr herstellen, sondern durch einen Nachfolger ersetzen wird. Bei einem Neuwagenkauf entspricht es vor diesem Hintergrund grundsätzlich dem (durch eine interessengerechte Auslegung zu ermittelnden) übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien bei Vertragsabschluss, dass das Recht des Käufers auf eine Mangelbeseitigung durch Ersatzlieferung nicht durch einen nach Vertragsabschluss herstellerseits erfolgten Modellwechsel ausgeschlossen ist, sondern sich die "Beschaffungspflicht" des Verkäufers in einem solchen Fall vielmehr auch auf ein entsprechendes - von den Parteien insoweit als gleichartig und gleichwertig angesehenes - Nachfolgemodell erstrecken soll.

Allerdings unterliegt diese auch ein etwaiges Nachfolgemodell umfassende Nachlieferungsverpflichtung mit Blick auf die wirtschaftlichen Interessen des Verkäufers gewissen Grenzen. Zwar wird dessen Schutz vor unverhältnismäßigen Kosten der Nachlieferung vom Gesetz bereits allgemein im Rahmen von § 439 Abs. 4 BGB berücksichtigt; zudem beträgt die regelmäßige kaufrechtliche Verjährungsfrist für Gewährleistungsansprüche gemäß § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB lediglich zwei Jahre. Dennoch ist – worauf die Tatgerichte (verstärkt) ein besonderes Augenmerk zu richten haben - stets sorgfältig und nicht nur schematisch zu prüfen, ob und inwieweit die Parteien im jeweiligen Einzelfall die Ersatzlieferung eines Nachfolgemodells tatsächlich als austauschbar mit dem ursprünglich gelieferten Kaufgegenstand angesehen haben.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die den Verkäufer eines Verbrauchsguts im Nachlieferungsfall treffende Pflicht zur Beschaffung eines neuwertigen Nachfolgemodells von vornherein in zeitlicher Hinsicht nicht unbeschränkt gelten kann. Gerade bei einem Neuwagenkauf tritt durch die Nutzung des Fahrzeugs durch den Käufer recht schnell ein deutlicher Wertverlust ein. Dennoch hat der Käufer im Falle der Nachlieferung die an ihn ausgelieferte mangelhafte Sache gemäß § 439 Abs. 5 BGB lediglich in dem abgenutzten Zustand und ohne Wertersatz an den Verkäufer herauszugeben. Zudem hat der Käufer bei einem – vorliegend in allen Verfahren gegebenen - Verbrauchsgüterkauf nach § § 474 Abs. 1 Satz 1, § 475 Abs. 3 Satz 1 BGB einen Ersatz für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Fahrzeugs (anders als etwa nach einem Rücktritt) nicht zu leisten.

In Ansehung dieser Umstände gebietet eine nach beiden Seiten hin interessengerechte Auslegung des Parteiwillens, dass eine Nachfolgemodelle umfassende Beschaffungspflicht des Verkäufers im Fall einer mangelbedingten Ersatzlieferung von vornherein auf den Zeitraum begrenzt sein muss, innerhalb dessen die Vertragsparteien (bei Vertragsabschluss) mit dem Eintritt eines Gewährleistungsfalls und einem entsprechenden Nachlieferungsbegehren üblicherweise rechnen konnten. Im Rahmen einer typisierenden Betrachtung sowie unter Beachtung der im nationalen und europäischen Kaufrecht zugrunde gelegten Maßstäbe und Wertungen trägt es den Interessen der am Neuwagenkauf beteiligten Vertragsparteien dabei grundsätzlich in angemessener Weise Rechnung, dass der Verkäufer im Gewährleistungsfall zur Nachlieferung eines zwischenzeitlich hergestellten Nachfolgemodells nur verpflichtet ist, wenn der Käufer einen entsprechenden Anspruch gegenüber seinem Verkäufer binnen eines Zeitraums von zwei Jahren ab Vertragsschluss erstmals geltend macht. Die Geltendmachung weiterer Gewährleistungsrechte (siehe § 437 BGB) bleibt dem Käufer unbenommen.

Ausgehend hiervon ist in allen vom Senat am heutigen Tage entschiedenen Verfahren der von den Käufern jeweils geltend gemachte Nachlieferungsanspruch ausgeschlossen, weil einerseits die ursprünglich erworbenen Fahrzeugmodelle nicht mehr hergestellt werden, die Käufer aber andererseits eine Nachlieferung des entsprechenden Nachfolgemodells von ihren Verkäufern erst nach rund sieben beziehungsweise acht Jahren nach dem Kauf verlangt haben. Hierin unterscheiden sich die vorliegenden Sachverhalte – was die Berufungsgerichte übersehen haben - maßgeblich von dem des Hinweisbeschlusses vom 8. Januar 2019 (VIII ZR 225/17, siehe Pressemitteilung Nr. 22/2019), in welchem lediglich einige Monate zwischen Vertragsschluss und Nachlieferungsbegehren gelegen hatten. Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände, aufgrund derer den jeweiligen Verkäufer vorliegend ausnahmsweise eine (deutlich) weitergehende und damit namentlich auch das vom jeweiligen Käufer begehrte Nachfolgemodell erfassende Beschaffungspflicht treffen würde, liegen in keinem Fall vor.

Demzufolge hat der Senat im Verfahren VIII ZR 118/20 das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben und die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts wiederhergestellt. Entsprechendes gilt bezüglich des Nacherfüllungsbegehren des Klägers im Verfahren VIII ZR 254/20; da der Kläger in diesem Verfahren außerdem hilfsweise vom Kaufvertrag zurückgetreten ist und es insoweit noch weiterer Feststellungen bedarf, hat der Senat die Sache im Übrigen an das Berufungsgericht zurückverwiesen. In den Verfahren VIII ZR 275/19 und VIII ZR 357/20 hat der Senat die Revisionen der Kläger gegen die (wenngleich aus anderen Gründen) klageabweisenden Berufungsurteile zurückgewiesen.

Vorinstanzen:

VIII ZR 254/20

LG Aachen - 8 O 264/17 – Urteil vom 13. April 2018

OLG Köln - 18 U 59/18 – Urteil vom 30. Juli 2020

und

VIII ZR 118/20

LG Aachen - 11 O 429/17 – Urteil vom 17. Januar 2019

OLG Köln - 6 U 24/19 – Urteil vom 27. März 2020

und

VIII ZR 275/19

LG Saarbrücken - 12 O 14/17 – Urteil vom 5. Oktober 2017

OLG Saarbrücken - 2 U 92/17 - Urteil vom 28. August 2019

und

VIII ZR 357/20

LG Itzehoe - 6 O 167/18 - Urteil vom 14. Juni 2019

OLG Schleswig - 6 U 43/19 – Urteil vom 3. April 2020

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 275 BGB Ausschluss der Leistungspflicht

(1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.

[…]

§ 434 BGB Sachmangel

(1) 1Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. 2Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Sache frei von Sachmängeln,

1. wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, sonst

2. wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.

[…]

§ 437 BGB Rechte des Käufers bei Mängeln

Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,

1. nach § 439 Nacherfüllung verlangen,

2. nach […] von dem Vertrag zurücktreten oder nach […] den Kaufpreis mindern und

3. nach […] Schadensersatz oder nach […] Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.

§ 438 BGB Verjährung der Mängelansprüche

(1) Die in § 437 Nr. 1 und 3 bezeichneten Ansprüche verjähren

[…]

3. im Übrigen in zwei Jahren.

[…]

§ 439 BGB Nacherfüllung

(1) Der Käufer kann als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen.

[…]

(4) 1Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung unbeschadet des § 275 Abs. 2 und 3 verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. 2Dabei sind insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte. 3Der Anspruch des Käufers beschränkt sich in diesem Fall auf die andere Art der Nacherfüllung; das Recht des Verkäufers, auch diese unter den Voraussetzungen des Satzes 1 zu verweigern, bleibt unberührt.

(5) Liefert der Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache, so kann er vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften Sache nach Maßgabe der §§ 346 bis 348 verlangen.

§ 474 BGB Verbrauchsgüterkauf

(1) 1Verbrauchsgüterkäufe sind Verträge, durch die ein Verbraucher von einem Unternehmer eine bewegliche Sache kauft. […]

(2) 1Für den Verbrauchsgüterkauf gelten ergänzend die folgenden Vorschriften dieses Untertitels. […]

§ 475 BGB Anwendbare Vorschriften

[…]

(3) 1§ 439 Absatz 5 ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind. […]

BGH: Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung bei Kauf eines Schummel-Diesels umfasst auch Finanzierungskosten

BGH
Urteil vom 13.04.2021
VI ZR 274/20


Der BGH hat entschieden, dass der Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung bei Kauf eines Schummel-Diesels auch die Finanzierungskosten umfasst.

Die Pressemitteilung des BGH:

Urteil zur Ersatzfähigkeit von Finanzierungskosten bei Diesel-Fällen

Sachverhalt:

Die Klägerin erwarb im Februar 2013 von einem Autohaus einen gebrauchten VW Golf. Den Kaufpreis bezahlte sie zum Teil in bar, den Rest finanzierte sie mit einem Darlehen der Volkswagen Bank. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs, das mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5, ausgestattet ist. Dieser Motor hatte eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb führte die Software zu einer erhöhten Abgasrückführung im Vergleich zum Normalbetrieb, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.

Zwischen den Parteien war zuletzt im Wesentlichen noch die Ersatzfähigkeit der Finanzierungskosten im Streit, die der Klägerin in Höhe von 3.275,55 € für Darlehenszinsen und eine Kreditausfallversicherung entstanden sind.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage auf Erstattung der Finanzierungskosten stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat die Klägerin gegen die Beklagte nach § 826 BGB neben dem Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs auch einen Anspruch auf Erstattung der Finanzierungskosten in voller Höhe.

Entscheidung des Senats:

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat hat das angefochtene Urteil bestätigt und die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Die Vorinstanzen haben auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung zutreffend angenommen, dass die Beklagte die Klägerin durch das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit Abschalteinrichtung vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat. Die Klägerin ist daher gemäß §§ 826, 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, als wäre es nicht zu dem Fahrzeugerwerb gekommen. Hätte die Klägerin das Fahrzeug nicht gekauft, hätte sie den Kaufpreis nicht mit einem Darlehen der Volkswagen Bank teilweise finanziert. Die Beklagte hat daher neben dem Kaufpreis für das Fahrzeug auch die Finanzierungskosten in voller Höhe zu erstatten. Einen Vorteil, der im Wege der Vorteilsausgleichung schadensmindernd zu berücksichtigen wäre, hatte die Klägerin durch die Finanzierung nicht. Die Finanzierung verschaffte der Klägerin keinen Liquiditätsvorteil im Vergleich zu dem Zustand, der bestanden hätte, hätte sie vom Kauf Abstand genommen. Die Finanzierungskosten erhöhen auch nicht den objektiven Wert des Fahrzeugs und vergrößern damit nicht den Gebrauchsvorteil, den die Klägerin aus der Nutzung des Fahrzeugs gezogen hat.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 249 Abs. 1 BGB

Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

Vorinstanzen:

Landgericht Köln - Urteil vom 19. Juli 2019, Az. 16 O 406/18

Oberlandesgericht Köln - Urteil vom 19. Februar 2020, Az. 27 U 52/19


BGH: Keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Volkswagen AG bei Kauf des Fahrzeugs nach Bekanntwerden des Dieselskandals

BGH
Beschluss vom 09.03.2021
VI ZR 889/20


Der BGH hat entschieden, dass keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Volkswagen AG vorliegt, wenn der Kauf des Fahrzeugs nach Bekanntwerden des Dieselskandals erfolgte

Die Pressemitteilung des BGH:

Erste Entscheidung zum Software-Update der Volkswagen AG bei einem Kauf nach Bekanntwerden des "Dieselskandals"

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat hat sich erstmals zu der Frage geäußert, ob dem Käufer eines mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestatteten Gebrauchtwagens, der sein Fahrzeug erst nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals gekauft hat, Schadensersatzansprüche gegen die Volkswagen AG zustehen, weil in dem zur Beseitigung einer unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware entwickelten Software-Update nach der Behauptung des Käufers ein "Thermofenster" implementiert ist und das Update negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß hat. Der Senat hat in diesem Fall Schadensersatzansprüche verneint.

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb am 16. September 2016 einen gebrauchten VW Tiguan 2.0 TDI, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die Beklagte ist Herstellerin des Wagens. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten.

Vor dem Erwerb des Fahrzeugs hatte die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Kontakt stehe. Das KBA wertete die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete die Beklagte, die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge durch geeignete Maßnahmen wiederherzustellen. In der Folge stellte die Beklagte bei Fahrzeugen mit dem betroffenen Motortyp ein Software-Update bereit, das im Dezember 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde.

Der Kläger behauptet, dass mit dem Software-Update eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines "Thermofensters" implementiert worden sei. Außerdem habe das Update negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß des Fahrzeugs.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten im Wesentlichen die Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde will der Kläger die Zulassung der Revision erreichen.

Entscheidung des Senats:

Der VI. Zivilsenat hat die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zurückgewiesen.

Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu Recht verneint, weil das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht als sittenwidrig anzusehen ist. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 30. Juli 2020 (VI ZR 5/20, Rn. 30 ff.) entschieden hat, ist für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat. Durch die vom Berufungsgericht festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten wurden wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten (vgl. hierzu Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, Rn. 16 ff.), derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt ist.

Dies gilt auch, wenn die Behauptung des Klägers als zutreffend zugrunde gelegt wird, mit dem Software-Update sei eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines Thermofensters implementiert worden, die die Abgasrückführung bei Außentemperaturen unter 15 und über 33 Grad Celsius deutlich reduziere. Der darin liegende - unterstellte - Gesetzesverstoß reicht in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Applikation eines solchen Thermofensters ist nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen, die die Beklagte zunächst zum Einsatz gebracht hatte. Während letztere unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.

Bei dieser Sachlage hätte sich die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch die Implementation des Thermofensters nur dann fortgesetzt, wenn zu dem - unterstellten - Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Anhaltspunkte hierfür waren aber nicht dargetan. Es war insbesondere nicht dargetan, dass die Beklagte das KBA im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates arglistig getäuscht haben könnte.

Eine abweichende Beurteilung war auch nicht deshalb geboten, weil das von der Beklagten entwickelte Software-Update nach der - unterstellten - Behauptung des Klägers negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß der betroffenen Fahrzeuge hat. Dieser Umstand führt in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht dazu, dass das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu werten wäre.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Artikel 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007:

Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:

a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten; [...]

Vorinstanzen:

Landgericht Kaiserlautern – Urteil vom 5. Juli 2019 – 3 O 876/18

Oberlandesgericht Zweibrücken – 25. Mai 2020 – 7 U 163/19


BGH: Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig nach § 826 BGB in Gesamtschau des Verhaltens bis zum Eintritt des Schadens beim konkret Geschädigten zu ermitteln

BGH
Urteil vom 08.12.2020
VI ZR 244/20
BGB § 826

Leitsatz des BGH:


Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat (hier: Erstreckung der Verhaltensänderung des VW-Konzerns in dem sog. "Dieselskandal" ab dem 22. September 2015 auf andere Konzernmarken; Fortführung Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 30 ff.).

BGH, Urteil vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 244/20 - OLG Oldenburg - LG Aurich

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamm: Audi AG und Volkswagen AG müssen Käufer eines gebrauchten vom Dieselskandal betroffenen Audi A1 Schadensersatz zahlen

OLG Hamm
Urteil vom 14.08.2020
45 U 22/19


Das OLG Hamm hat entschieden, dass Audi AG und Volkswagen AG dem Käufer eines gebrauchten vom Dieselskandal betroffenen Audi A1 Schadensersatz zahlen müssen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Oberlandesgericht Hamm: Abgasskandal: Auch Audi muss Schadensersatz an Kunden zahlen

Die Audi AG und die Volkswagen AG müssen dem Käufer eines gebrauchten Audi A 1 wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung als Schadensersatz den Kaufpreis unter Abzug einer Nutzungsentschädigung gegen Rückgabe des Fahrzeugs zahlen. Dies hat der 45. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14.08.2020 entschieden.

Der klagende Kunde aus Gütersloh kaufte im Februar 2014 bei einem Autohaus in Gütersloh einen erstmals im Februar 2013 zugelassenen Audi A1, 1.6 TDI zu einem Kaufpreis von 16.385 Euro. In dem Fahrzeug eingebaut ist ein vom sog. Abgasskandal betroffener Dieselmotor mit der herstellerinternen Typenbezeichnung EA 189. Im März 2017 ließ der Kläger ein angebotenes Software-Update ausführen, welches dafür sorgen sollte, im Normalbetrieb die öffentlich-rechtlichen Grenzwerte einzuhalten.

Der klagende Kunde macht u. a. geltend, er hätte den Audi A1 nicht gekauft, wenn er von der Manipulation der Abgaswerte gewusst hätte. Ihm stünde sowohl gegenüber der Volkswagen AG als auch der Audi AG ein Schadensersatzanspruch zu, weil er von ihnen vorsätzlich sittenwidrig im Hinblick auf die Schadstoffemissionen getäuscht worden sei.

Die Volkswagen AG hat insbesondere behauptet, dass die Entscheidung zum Einsatz der Motorsteuerungssoftware unterhalb ihrer Vorstandsebene getroffen worden sei. Die Audi AG hat sich darauf berufen, sie habe den Motor nicht entwickelt, weshalb sie von den Vorgängen keine Kenntnisse gehabt habe; ein etwaiges Wissen der Volkswagen AG könne ihr nicht zugerechnet werden.

Das Landgericht Bielefeld hat die Volkswagen AG und die Audi AG – gesamtschuldnerisch – mit Urteil vom 22.07.2019 (Az. 19 O 314/18) insbesondere zur Rückzahlung des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung verurteilt. Es hat die Auffassung vertreten, der klagende Kunde sei durch das Inverkehrbringen des Motors – mit Blick auf die Volkswagen AG – und des Fahrzeugs – in Bezug auf die Audi AG – geschädigt worden.

Zu Recht! Die Audi AG und die Volkswagen AG hätten – so der Senat – jede für sich zum Nachteil des Käufers des Audi A 1 eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begangen. Mehr als fernliegend sei, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung der Vorstände oder sonstiger Repräsentanten der Unternehmen erfolgt sei und lediglich einem untergeordneten Konstrukteur zugeschrieben werden könne, der sich eigenmächtig verhalten habe. Der Gesichtspunkt, dass die beteiligten Unternehmen in einem Konzern verbunden seien, genüge für sich genommen zwar nicht, um eine Wissenszurechnung zu begründen. Eine Mithaftung der Audi AG folge aber daraus, dass nicht vorstellbar sei, dass kein Vorstandsmitglied der Audi AG von dem Einsatz der illegalen Software gewusst habe. Diese Kenntnis dränge sich geradezu angesichts eines bei der Audi AG vorhandenen Compliance-Systems auf, nach dem für jedes Detail eines zu produzierenden Pkw das Einverständnis zumindest eines Vorstandsmitglieds eingeholt werden müsse. Beiden Herstellern sei es nicht gelungen, Umstände darzulegen, wonach eine Kenntnis ihrer Vorstände oder sonstigen Repräsentanten ausscheiden würde.

Rechtskräftiges Urteil des 45. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 14.08.2020 (Az. 45 U 22/19, OLG Hamm)


Volltext BGH liegt vor: Geschädigte Käufer eines VW-Schummeldiesels haben keinen Anspruch auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises ab Kaufpreiszahlung - Deliktszinsen

BGH
Urteil vom 30. Juli 2020
VI ZR 397/19
BGB § 249, § 826, § 849; ZPO § 256


Wir hatten berets in dem Beitrag BGH: Geschädigte Käufer eines VW-Schummeldiesels haben keinen Anspruch auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises ab Kaufpreiszahlung - Deliktzinsen über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Deliktszinsen nach § 849 BGB können nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält. In diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes.

b) Zu den Voraussetzungen einer auf den Ersatz künftiger Schäden gerichteten Feststellung bei einem Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB (hier: VW-Diesel-Fälle).

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Volltext BGH liegt vor: Späteres Software-Update bei Schummeldiesel beseitigt sittenwidrige Schädigung bei Vertragsschluss nicht

BGH
Urteil vom 30.07.2020
VI ZR 367/19
BGB § 826


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Späteres Software-Update bei Schummeldiesel beseitigt sittenwidrige Schädigung bei Vertragsschluss nicht über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Zur sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei dem beklagten Fahrzeughersteller getroffen hatte und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

b) Auf den Schutzzweck der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB nicht an.

BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 367/19 - OLG Braunschweig - LG Braunschweig

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


Volltext BGH liegt vor: Keine Deliktszinsen Käufer von VW-Schummeldiesel - Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch komplett aufzehren

BGH
Urteil vom 30.07.2020
VI ZR 354/19
BGB § 249, § 849


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Keine Deliktszinsen ab Zahlung des Kaufpreises für geschädigte Käufer von VW-Schummeldiesel - Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch komplett aufzehren über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Der Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung versehenen Fahrzeugs kann durch die im Wege des Vorteilsausgleichs erfolgende Anrechnung gezogener Nutzungen vollständig aufgezehrt werden (Fortführung Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 64-77).

b) Deliktszinsen nach § 849 BGB können nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält. In diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes.

BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19 - OLG Braunschweig - LG Braunschweig

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Späteres Software-Update bei Schummeldiesel beseitigt sittenwidrige Schädigung bei Vertragsschluss nicht

BGH
Urteil vom 30.07.2020
VI ZR 367/19


Der BGH hat entschieden, dass ein späteres Software-Update bei einem Schummeldiesel die sittenwidrige Schädigung bei Vertragsschluss nicht beseitigt. Der BGH hat dieses Verfahren an das OLG zurückverwiesen.

Die Pressemitteilung des BGH:

Erfolgreiche Revision gegen Abweisung einer Schadensersatzklage in einem "Dieselfall" gegen die VW
AG. Zurückverweisung an Oberlandesgericht.

Sachverhalt

Der Kläger erwarb am 4. April 2013 von einem Autohaus einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten PKW VW Tiguan 2.0 TDI zu einem Preis von 21.500 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189, Schadstoffnorm Euro 5, ausgestattet. Die das Abgasrückführungsventil steuernde Software des Motorsteuerungsgeräts erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und schaltete in diesem Falle in einen Stickoxid-optimierten Modus. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete Mitte Oktober 2015 einen Rückruf an, der auch das Fahrzeug des Klägers betraf. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ansah. Der Kläger ließ das Software-Update im Februar 2017 durchführen.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht Braunschweig hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers zum Oberlandesgericht Braunschweig hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen dem Kläger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte nicht zu. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, § 826 BGB schieden aus, weil der Kläger nicht schlüssig dargelegt habe, welche konkrete Person aus dem in Betracht kommenden Täterkreis (Vorstand, leitende Angestellte) den Betrugstatbestand verwirklicht bzw. den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Abgesehen davon fehle es an einem Schaden des Klägers.

Entscheidung des Senats:

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat hat das angefochtene Urteil unter Anwendung der Grundsätze seines Urteils vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht vom Kläger näheren Vortrag dazu verlangt, welche konkrete bei der Beklagten tätige Person für den Einsatz der illegalen Abschalteinrichtung verantwortlich ist. Die Entscheidung über den Einsatz der Abschalteinrichtung betrifft die grundlegende strategische Frage, mit Hilfe welcher technischen Lösung die Beklagte die Einhaltung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm sicherstellen wollte. Vor diesem Hintergrund genügte die Behauptung des Klägers, die Entscheidung sei auf Vorstandsebene oder jedenfalls durch einen verfassungsmäßig berufenen Vertreter getroffen oder zumindest gebilligt worden.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der für einen Anspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden des Klägers nicht dadurch entfallen, dass dieser das von der Beklagten entwickelte Software-Update durchgeführt hat. Liegt der Schaden - wie das Berufungsgericht unterstellt hat - in einem unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführten ungewollten Vertragsschluss, so entfällt dieser Schaden nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstandes nachträglich verändern. Ein solcher Schaden fällt auch unter den Schutzzweck des § 826 BGB.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 31 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.

Vorinstanzen:

Landgericht Braunschweig - Urteil vom 06.07.2018, Az. 11 O 2675/17

Oberlandesgericht Braunschweig - Urteil vom 13.08.2019, Az. 7 U 352/18



BGH: Kein Schadensersatz gegen Volkswagen AG bei Kauf eines gebrauchten Schummeldiesels nach Aufdeckung des Dieselskandals

BGH
Urteil vom 30.07.2020
VI ZR 5/20


Der BGH hat entschieden, dass kein Schadensersatz gegen die Volkswagen AG bei Kauf eines gebrauchten Schummeldiesels nach Aufdeckung des Dieselskandals besteht.

Die Pressemitteilung des BGH:

Schadensersatzklage im sogenannten "Dieselfall" gegen die VW AG bei Gebrauchtwagenkauf nach Aufdeckung des "Dieselskandals" erfolglos

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat hat heute über einen Fall entschieden, in dem der Käufer einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Gebrauchtwagen erst nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals gekauft hat. Der Senat hat in diesem Fall Schadensersatzansprüche verneint.

Sachverhalt

Der Kläger erwarb im August 2016 von einem Autohändler einen gebrauchten VW Touran Match zu einem Kaufpreis von 13.600 €, der mit einem 2,0-Liter Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die Beklagte ist Herstellerin des Wagens. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten.

Vor dem Erwerb des Fahrzeugs, am 22. September 2015, hatte die Beklagte in einer Pressemitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt in Kontakt stehe. Das Kraftfahrt-Bundesamt hatte im Oktober 2015 nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung erlassen und der Beklagten aufgegeben, die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten. In der Folge hat die Beklagte bei Fahrzeugen mit dem betroffenen Motortyp ein Software-Update bereitgestellt, das nach August 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde. Das Thema war Gegenstand einer umfangreichen und wiederholten Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Entscheidung des Senats:

Die Revision des Klägers, mit der er sein Klageziel weiterverfolgt hat, blieb ohne Erfolg.

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht Ansprüche aus § 826 BGB deshalb verneint hat, weil das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht als sittenwidrig anzusehen ist. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat.

War das Verhalten der Beklagten gegenüber Käufern, die ein mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug vor dem 22. September 2015 erwarben, sittenwidrig (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 16 ff.), so wurden durch die vom Berufungsgericht festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt ist. So war bereits die Mitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 objektiv geeignet, das Vertrauen potenzieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit war damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein. Käufern, die sich, wie der Kläger, erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihr Verhalten geändert hatte, wurde deshalb - unabhängig von ihren Kenntnissen vom "Dieselskandal" im Allgemeinen und ihren Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen - nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt.

Auch Ansprüche aus sonstigen Vorschriften hat der Senat verneint.

Vorinstanzen:

Landgericht Trier - Urteil vom 03. Mai 2019 - 5 O 686/18

Oberlandesgericht Koblenz - Urteil vom 2. Dezember 2019 - 12 U 804/19

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.



BGH: Geschädigte Käufer eines VW-Schummeldiesels haben keinen Anspruch auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises ab Kaufpreiszahlung - Deliktzinsen

BGH
Urteil vom 30. Juli 2020
VI ZR 397/19


Der BGH hat in einem weiteren Verfahren entschieden, dass geschädigte Käufer eines VW-Schummeldiesels keinen Anspruch auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises ab Kaufpreiszahlung - Deliktzinsen

Die Pressemitteilung des BGH:

Keine "Deliktzinsen" für geschädigte VW-Käufer

In einem weiteren VW-Verfahren hat der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden, dass geschädigten Käufern eines vom sogenannten "Dieselskandal" betroffenen Fahrzeugs unter dem Gesichtspunkt sogenannter "Deliktszinsen" kein Anspruch auf Verzinsung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises bereits ab Kaufpreiszahlung zusteht.

Sachverhalt:

Die Klägerin erwarb im August 2014 von einem Autohändler einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw Golf VI 1,6 TDI mit einer Laufleistung von rund 23.000 km zu einem Preis von 15.888 €. Das Fahrzeug war mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet, der mit einer Steuerungssoftware versehen war, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus schaltet. Nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet und die Beklagte verpflichtet hatte, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, ließ die Klägerin das von der Beklagten entwickelte Software-Update im Jahr 2017 aufspielen. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen ab Kaufpreiszahlung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht Oldenburg hat die Beklagte im Wesentlichen zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat dieses Urteil auf die Berufung der Klägerin dahingehend abgeändert, dass es ihr Zinsen bereits ab Kaufpreiszahlung zugesprochen hat. Die weitergehende Berufung der Klägerin sowie die Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) zu, auf den sie sich im Wege des Vorteilsausgleichs die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen müsse. Dabei sei von einer Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs von 200.000 km auszugehen. Ab dem Zeitpunkt der Zahlung könne die Klägerin von der Beklagten gemäß § 849 BGB zudem sogenannte "Deliktszinsen" verlangen. Beide Parteien haben gegen dieses Urteil Revision eingelegt.

Entscheidung des Senats:

Beide Revisionen hatten nur zum Teil Erfolg.

Im Wesentlichen unter Verweis auf sein erstes Urteil zum sogenannten "Dieselskandal" vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) hat der VI. Zivilsenat auch hier einen Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB auf Erstattung des von ihr aufgewendeten Kaufpreises abzüglich der ihr durch den Gebrauch des Fahrzeugs zugeflossenen Nutzungsvorteile Zug um Zug gegen "Rückgabe" des Fahrzeugs für gegeben erachtet. Einen Anspruch der Klägerin auf sogenannte "Deliktszinsen" nach § 849 BGB hat er hingegen - anders als das Berufungsgericht - verneint. Zwar erfasst diese Vorschrift grundsätzlich jeden Sachverlust durch Delikt, auch den Verlust von Geld in jeder Form. Dies gilt auch dann, wenn dieser Verlust - wie hier - mit Willen des Geschädigten durch Weggabe erfolgt. Vorliegend stand einer Anwendung des § 849 BGB aber jedenfalls der Umstand entgegen, dass die Klägerin als Gegenleistung für die Hingabe des Kaufpreises ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten hat; die tatsächliche Möglichkeit, das Fahrzeug zu nutzen, kompensierte den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes. Eine Verzinsung gemäß § 849 BGB entspricht in einem solchen Fall nicht dem Zweck der Vorschrift, mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache auszugleichen.

Vorinstanzen:

Landgericht Oldenburg - Urteil vom 11. Januar 2019 -3 O 1275/18

Oberlandesgericht Oldenburg - Urteil vom 2. Oktober 2019 - 5 U 47/19

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 849 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Ist wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen, so kann der Verletzte Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird.



BGH: Keine Deliktszinsen ab Zahlung des Kaufpreises für geschädigte Käufer von VW-Schummeldiesel - Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch komplett aufzehren

BGH
Urteil vom 30.07.2020
VI ZR 354/19


Der BGH hat entschieden, dass geschädigten Käufer eines VW-Schummeldiesel keine Deliktszinsen ab Zahlung des Kaufpreises erhalten. Zudem hat der BGH entschieden, dass die vom Käufer gezogenen Nutzungsvorteile den Schadensersatzanspruch komplett aufzehren können.

Die Pressemitteilung des BGH:

"VW-Dieselverfahren": Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren und keine "Deliktszinsen" für geschädigte VW-Käufer

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb im Mai 2014 von einem Dritten einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten VW Passat 2,0 I TDI zum Preis von 23.750 €. In dem Fahrzeug, das bei Erwerb durch den Kläger eine Laufleistung von rund 57.000 km aufwies, ist ein Motor der Baureihe EA189, Schadstoffnorm Euro 5 verbaut. Der Motor ist mit einer Steuerungssoftware versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus schaltet. Das Kraftfahrt-Bundesamt erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete einen Rückruf an. Ein von der Beklagten daraufhin entwickeltes Software-Update ließ der Kläger nicht durchführen, fuhr das Fahrzeug aber trotzdem weiter. Das Fahrzeug hat inzwischen eine Laufleistung von rund 255.000 km. Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht Braunschweig hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht Braunschweig die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen ausgeführt, Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte bestünden schon deshalb nicht, weil der im Hinblick auf die vom Kläger mit dem Fahrzeug gefahrenen Kilometer vorzunehmende Vorteilsausgleich dazu führe, dass der vom Kläger aufgewendete Kaufpreis vollständig aufgezehrt sei. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt.

Entscheidung des Senats:

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat hat die Revision zurückgewiesen. Die Annahme des Oberlandesgerichts, die vorzunehmende Anrechnung der vom Kläger durch den Gebrauch des Fahrzeugs gezogenen Nutzungsvorteile (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19) zehre den Kaufpreiserstattungsanspruch vollumfänglich auf, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die vom Oberlandesgericht dabei zur Berechnung des Wertes der Nutzungsvorteile herangezogene Formel (Bruttokaufpreis mal gefahrene Strecke seit Erwerb geteilt durch erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt) war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; die Annahme des Oberlandesgerichts, das Fahrzeug habe im Erwerbszeitpunkt eine Gesamtlaufleistungserwartung von 250.000 Kilometern gehabt, hatte der Kläger mit seiner Revision nicht angegriffen.

Einen Anspruch des Klägers auf sogenannte "Deliktszinsen" nach § 849 BGB ab Zahlung des Kaufpreises hat der VI. Zivilsenat ebenfalls verneint. Zwar erfasst diese Vorschrift grundsätzlich jeden Sachverlust durch Delikt, auch den Verlust von Geld in jeder Form. Dies gilt auch dann, wenn dieser Verlust - wie hier - mit Willen des Geschädigten durch Weggabe erfolgt. Vorliegend stand einer Anwendung des § 849 BGB aber jedenfalls der Umstand entgegen, dass der Kläger als Gegenleistung für die Hingabe des Kaufpreises ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten hat; die tatsächliche Möglichkeit, das Fahrzeug zu nutzen, kompensierte den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes. Eine Verzinsung gemäß § 849 BGB entspricht in einem solchen Fall nicht dem Zweck der Vorschrift, mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache auszugleichen.

Vorinstanzen:

Landgericht Braunschweig - Urteil vom 27. November 2017 -11 O 603/17

Oberlandesgericht Braunschweig - Urteil vom 20. August 2019 - 7 U 5/18

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 249 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.



[…].

§ 849 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Ist wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen, so kann der Verletzte Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird.