Skip to content

OLG München: Dropbox und andere Cloud-Dienste müssen keine Urheberrechtsabgabe zahlen

OLG München
Urteil vom 02.02.2024
38 Sch 60/22 WG e


Das OLG München hat entschieden, dass Dropbox und andere Cloud-Dienste müssen keine Urheberrechtsabgabe zahlen müssen.

Aus den Entscheidungsgründen:
3. Clouds, zu denen die Klagepartei Auskunft begehrt, unterfallen den Regelungen der §§ 54, 54b, 54e, 54f UrhG gleichwohl nicht, weil die Beklagte im Bundesgebiet keine Geräte oder Speichermedien herstellt und importiert bzw. mit ihnen handelt.

a) Die streitgegenständliche Cloud als solche ist nach der vorstehenden Begriffsdefinition eine Dienstleistung, die unter anderem die Zugriffsmöglichkeit auf einen von der Beklagten (möglicherweise auch im Ausland) betriebenen Online-Speicherplatz ermöglicht.

b) Nach §§ 54a, 54b UrhG unterliegen aber nur Geräte und Speichermedien einer Zahlungspflicht.

aa) Eine Legaldefinition der Begriffe „Gerät“ und „Speichermedium“ existiert nicht. Die Definition ist daher durch Auslegung zu ermitteln.

Unter dem Begriff „Gerät“ ist nach allgemeinem Sprachgebrauch ein körperlicher Gegenstand zu verstehen (vgl. Stieper, ZUM 2019, 1, 5 von Ungern-Sternberg GRUR 2022, 1777, 1786 beck-online). Die amtliche Gesetzesbegründung geht ebenfalls von körperlichen Gegenständen aus.

Unter dem Begriff „Speichermedien“ sind nach der Gesetzesbegründung alle physikalischen Informations- und Datenträger mit Ausnahme von Papier oder ähnlichen Trägern zu verstehen. In der Gesetzesbegründung werden als Beispiele alle elektronischen (z. B. Smartcard, Memory Stick), magnetischen (z. B. Musikkassette, Magnetband, Festplatte, Diskette) und optischen (z. B. Film, DVD, CD-ROM, CD-R, CD-RW, Laserdisk) Speicher genannt (siehe BT-Drs. 16/1828, S. 29). Durch die beispielhafte Aufzählung von körperlichen Speichermedien hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es sich bei „physikalischen Informations- und Datenträgern“ nur um körperliche Gegenstände handelt.

Dagegen wird die Überlassung einer internetbasierten Nutzungsmöglichkeit nach dem vom Gesetzgeber vorausgesetzten Verständnis von der gesetzlichen Regelung nicht erfasst, weil der verwendete Begriff des „Trägers“ von Informationen und Daten nach dem allgemeinen Sprachgebrauch einen körperlichen Gegenstand bezeichnet.

bb) Dass der Gesetzgeber in Dienstleistungen der vorliegenden Art kein Inverkehrbringen von Geräten und Speichermedien sieht, ergibt sich auch aus der Gesetzessystematik, wie § 54c UrhG zeigt. Danach sind bestimmte Großgerätebetreiber wie Copyshops, Universitäten, Bibliotheken usw. zur Zahlung einer zusätzlichen Reprografieabgabe verpflichtet, weil sie mit dem Aufstellen der Geräte die Möglichkeit zur Vervielfältigung durch ihre Nutzer schaffen (Stieper, ZUM 2019,1, 5). Einer derartigen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn bereits die kurzzeitige Zurverfügungstellung eines Ablichtungsgeräts ein Handeltreiben oder ein Importieren darstellen würde.

Ferner ist nach den Regelungen der §§ 54 ff UrhG vorgesehen, dass Geräte und Speichermedien hergestellt (§§ 54 Abs. 1, 54a Abs. 4 UrhG), aus- (§ 54 Abs. 2 UrhG), (wieder) eingeführt (§§ 54b, 54e UrhG), veräußert und in den Verkehr gebracht (§§ 54d, 54f UrhG) werden können bzw. dass mit ihnen gehandelt werden kann, §§ 54b, 54f UrhG. Dies setzt voraus, dass an Geräten und Speichermedien Eigentum und Besitz bestehen kann, was gemäß § 90 BGB nur bei körperlichen Gegenständen möglich ist. Diese Voraussetzung ist zwar in Bezug auf die einzelnen Hardwarekomponenten, derer sich der Cloud-Anbieter bedient – dem Server und dessen Bestandteilen – gegeben. Keine Sachen sind dagegen die einzelnen vom Anbieter der Cloud-Computing-Dienstleistungen seinen Kunden zugewiesenen digitalen Speicherplätze. Diese sind nicht körperlich abgetrennt oder abtrennbar und können weder hergestellt noch aus- oder (wieder) eingeführt werden. Ferner kann man mit diesen auch nicht handeln (siehe auch Hinweisbeschluss der Schiedsstelle beim DPM, 24. Oktober 2023 Az: Sch-Urh 11/22).
[...]
dd) Die Auslegung der Bergriffe „Geräte“ und „Speichermedien“ steht mit dem Unionsrecht in Einklang. Der Unionsgerichtshof hat in der Rechtssache C-433/20 (Austro-Mechana/Strato) das Unionsrecht zwar verbindlich dahingehend ausgelegt, dass ein Server, auf dem der Anbieter von Cloud-Computing-Dienstleistungen einem Nutzer Speicherplatz zur Verfügung stellt, ein beliebiger Träger i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Buchstabe b) der RL 2001/29/EG ist (EuGH, Urt. v. 24.3.2022 – C-433/20 – Austro-Mechana Gesellschaft/Strato, GRUR 2022, 558 Rn. 33, beck-online). Zugleich betont der Unionsgerichtshof aber, dass sich die Mitgliedsstaaten zu vergewissern haben, dass die so gezahlte Abgabe, soweit im Rahmen dieses einheitlichen Prozesses mehrere Geräte und Speichermedien von ihr betroffen sind, nicht über den sich für die Rechtsinhaber durch die betreffende Handlung ergebenden etwaigen Schaden hinausgeht (EuGH aaO, Rn. 53). Eine nationale Regelung, nach der die Anbieter von Dienstleistungen der Speicherung im Rahmen des Cloud-Computing keinen gerechten Ausgleich für Sicherungskopien leisten müssen, steht mit dem Unionsrecht deswegen in Einklang, wenn der gerechte Ausgleich bereits auf andere Weise erreicht wird (EuGH, aaO., Rn. 54). Nichts anderes ergibt sich auch aus der von der Klagepartei zitierten Entscheidung des Unionsgerichtshofs in der Rechtssache C-265/16 (Urteil v. 29. November 2017 – VCAST/RTI).

Die Mitgliedsstaaten haben bei der Festlegung der verschiedenen Elemente des gerechten Ausgleichs ein weites Ermessen. Insbesondere bestimmen sie, welche Personen diesen Ausgleich zu zahlen haben, und legen dessen Form, Einzelheiten und Höhe fest (EuGH, Urteil vom 24.03.2022, C-433/20, GRUR 2022, 558 Rn. 41 – Austro-Mechana/Strato m.w.N. zur ständigen Rechtsprechung).

Der deutsche Gesetzgeber zieht derzeit in Ausübung des ihm durch das Unionsrecht zugebilligten weiten Ermessens nur Hersteller, Importeure und Händler von Geräten und Speichermedien (vgl. § 54 Abs. 1, 54b Abs. 1 UrhG) sowie die Betreiber von Vervielfältigungsgeräten (vgl. 54c UrhG) als Schuldner einer Vergütung heran. Da der Nutzer einer Cloud-Computing-Leistung stets auch ein Endgerät – wie etwa PC, Tablet oder Smartphone – benötigt, um Privatkopien erstellen zu können, ist die Vergütung nach der deutschen Gesetzessystematik unter Anknüpfung an diese Geräte zu entrichten.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Vervielfältigung ggf. auf dem Server des Cloud-Anbieters vorgenommen wird und nicht auf dem Endgerät, mit dem die Vervielfältigung veranlasst wird. Denn das Gesetz knüpft die Vergütungspflicht in § 54 Abs. 1 UrhG lediglich daran, dass das betreffende Gerät als Typ zur Vornahme gesetzlich privilegierter Vervielfältigungen benutzt wird. Demgemäß hat der Bundesgerichtshof auch für Scanner eine Vergütungspflicht angenommen, obwohl auch mit diesen Geräten die der Vorlage entnommene Information nicht gespeichert werden kann (GRUR 2002, 246, 247 – Scanner – zu § 54a UrhG a.F.). Daher überzeugt auch der Einwand der Klagepartei nicht, Vervielfältigungen von einer Cloud in eine andere Cloud oder Vervielfältigungen innerhalb einer Cloud könnten nicht sachgerecht erfasst werden. Denn diese Vervielfältigungen können aus den vorgenannten Gründen ohne Weiteres dem Gerät zugeordnet werden, mit dem sie bewirkt werden.

Soweit die Klagepartei einwendet, in diesen Fällen läge kein funktionales Zusammenwirken mit einem Gerät vor, legt sie einen zu engen Maßstab an. Die Klagepartei hat nicht dargetan, dass eine Vervielfältigung in einer Cloud auch ohne Nutzung eines der Vergütungspflicht unterliegenden Endgeräts (z.B. Smartphone, PC, Tablet) möglich ist. Der Befehl zur Vervielfältigung wird stets mit einem (bereits bepreisten) Gerät erteilt. Das gilt bei wertender Betrachtung für den dem Cloudbetreiber erteilten Auftrag der Synchronisation von Geräten und der Erstellung von Backups. Zum anderen gilt das auch für Filesharing, bei welchem ein Link den Zugriff ermöglicht. In diesem Fall wird der Befehl zur Vervielfältigung vom Empfänger des Links mit einem (bereits bepreisten) Gerät erteilt. Darin liegt eine den Vergütungsanspruch begründende Nutzung des bepreisten Geräts für privilegierte Vervielfältigungen (vgl. auch Hinweisbeschluss der Schiedsstelle beim DPM, 24. Oktober 2023 Az: Sch-Urh 11/22).

c) Die Beklagte ist als Cloudbetreiberin nicht Herstellerin von Geräten und Speichermedien i.S.v. § 54a UrhG.

Hersteller ist, wer die Geräte tatsächlich produziert hat (BGH, Urteil vom 22.02.1984 – I ZR 200/81 GRUR 1984, 518, beck-online), wobei nur eine Herstellung im Bundesgebiet der Vergütungspflicht unterliegt. Die Klagepartei hat indes nichts dazu vorgetragen, dass die Beklagte im Bundesgebiet Speichermedien hergestellt hat.

Die Herstellung eines vergütungspflichtigen Speichermediums bzw. Geräts i.S.v. § 54 UrhG ist selbst dann nicht anzunehmen, wenn man in den Herstellungsprozess auch die von der Clouddienstleistung intendierten Handlungen ihrer Nutzer einbezieht, was im patentrechtlichen Kontext z.T. angenommen wird, um eine Umgehung der Schutzrechte zu verhindern (OLG Düsseldorf Urt. v. 23.3.2017 – 2 U 5/17, GRUR-RS 2017, 109826, beck-online). Danach liegt auch dann ein Herstellen vor, wenn Einzelteile einer Gesamtvorrichtung nicht vom Hersteller selbst zusammengesetzt, sondern einem Dritten geliefert werden, der sie vorhersehbar zu der (patentrechtlich) geschützten Gesamtvorrichtung zusammensetzt (BGH, Urteil vom 14.05.2019, GRUR 2019, 1171 Rn. 48, beck-online).

Vorliegend ist mit der Bereitstellung der Soft- und Hardware der Dropbox – was unstreitig ist – für den Nutzer noch nicht die Möglichkeit verbunden, Privatkopien urheberrechtlich geschützter Werke herzustellen. Dies setzt vielmehr voraus, dass der Cloud-Nutzer mit einem Endgerät (z.B. Tablet, Handy, PC oder Smartwatch) eine temporäre – nach der Definition internetbasierte – Verbindung zu der Cloud herstellt, mit deren Hilfe erst Privatkopien auf dem Cloud-Speicher erstellt werden können. Die – vom Patentsenat des Bundesgerichtshofs entwickelte – Rechtsprechung zur Berücksichtigung intendierter Handlungen von Nutzern ist auf die Vergütungspflichten nach § 53 ff UrhG nicht anwendbar.

Zum einen gewährt die Beklagte ihren Nutzern – unstreitig – keinen physischen Zugang zu ihrer Infrastruktur, sondern lediglich den internetbasierten Zugriff auf die D.-Website oder die D.-App, über die sie ihre Inhalte oder andere Funktionen abrufen können. Mit der Herstellung einer Internetverbindung zur Web-Site der Beklagten wird damit noch kein „neues“ (physisches) Speichermedium oder Gerät im Bundesgebiet hergestellt. Vielmehr entsteht eine Gerätekette aus dem im Bundesgebiet befindlichen Endgerät und dem in der Cloud vorgehaltenen Speicherplatz. Dieser befindet sich nach dem Vortrag der Klagepartei jedenfalls teilweise im Ausland.

Zum anderen führt eine Ausweitung des Begriffs „Herstellen“ i.S.d der Rechtsprechung in Patentsachen dazu, dass nicht das Speichermedium oder Gerät pauschal und einmalig bepreist wird. Vielmehr führte die Ausweitung des Begriffs zu dem systemwidrigen Ergebnis, dass jede Herstellung einer Verbindung die Vergütungspflicht neu auslösen würde, weil bei Herstellung der Verbindung jedes Mal erneut ein Gerät oder Speichermedium hergestellt würde.

Diese – am Nutzungsverhalten orientierte – Sichtweise ist mit dem pauschalen Charakter der Gerätebepreisung nicht in Einklang zu bringen. Der Gesetzgeber hat sich nämlich wegen der praktischen Schwierigkeiten bei der Identifizierung von urheberrechtlich relevanten Nutzungshandlungen bewusst für eine pauschale nutzungsunabhängige Geräteabgabe entschieden (BT-Drs. 16/1828, Seite 29). Die Ausweitung des Begriffs „Herstellen“ auf einzelne Nutzungshandlungen würde diesem gesetzgeberischen Ziel zuwiderlaufen. Zudem wäre eine erweiterte Auslegung des Begriffs „Herstellen“ auf einzelne Nutzungshandlungen eines Kunden der D. nicht mit den umfassenden Auskunftspflichten nach § 54f UrhG vereinbar, weil in diesem Fall über jede einzelne Nutzung Auskunft zu erteilen wäre.

d) Die Beklagte ist als Cloudbetreiberin nicht Importeurin von Geräten oder Speichermedien. Importeur ist nach § 54b Abs. 2 UrhG, wer die Geräte oder Speichermedien in den Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland verbringt. Die Klagepartei hat einen Import von Geräten oder physischen Speichermedien nicht dargetan.

Die Einfuhr setzt ein Verbringen der Geräte und Speichermedien in den Geltungsbereich des Urheberrechtsgesetzes voraus. Die Auskunftspflichten zu Importen erstreckt sich daher nach § 54e UrhG auf Art und Stückzahl. § 54b Abs. 2 UrhG wurde – wortgleich – mit dem Gesetz zur Änderung des Patentgebührengesetzes und anderer Gesetze am 24.07.1995 (vgl. Loewenheim/Stieper in Schricker, Urheberrecht § 54 Rn. 2) in § 54 Abs. 2 UrhG aF erstmals geregelt. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass die Regelungen „zur Erfassung der Importe“ als „Ersatzinstrumente für den binnenmarktbedingten Wegfall der Einfuhrkontrollmitteilungen“ eingeführt wurden (Bt.Drs. 218/94, Seite 1). Die Gesetzeshistorie legt damit schon nahe, dass unter Einfuhr nur ein rein physischer Vorgang zu verstehen ist, zumal bei Abfassung des Gesetzes Internetdienstleistungen der gegenständlichen Art nicht bekannt waren.

Aus der Legaldefinition in § 54b Abs. 2 UrhG folgt, dass die Einfuhr nur auf physische Vorgänge beschränkt ist. Die dort verwendeten Begriffe („verbringen“, Freilager, Freizone, Zoll, Spediteur Frachtführer) setzen einen physischen Vorgang voraus.

Diese auf einen physischen Vorgang beschränkte Auslegung ergibt sich auch aus dem Wortlaut in § 54e UrhG, nach dem über die „Stückzahl“ der eingeführten „Gegenstände“ Mitteilung zu machen ist. Die angebotene Nutzungsmöglichkeit ist aber kein „Gegenstand“, der in Stückzahlen zu bemessen ist. Die angebotenen Dienstleistungen unterfallen deswegen auch nicht der Meldepflicht nach § 54e UrhG. § 54e UrhG knüpft nämlich die Meldepflicht an die Einfuhr von Geräten und Speichermedien an. (vgl. auch Hinweisbeschluss der Schiedsstelle beim DPM,24. Oktober 2023 Az: Sch-Urh 11/22, Ziffer 2 c)).

e) Die Beklagte ist nicht Händler. Händler ist, wer gewerblich die Geräte oder Speichermedien erwirbt und weiterveräußert, also Kaufverträge über diese Produkte abschließt (Loewenheim/Stieper in Schricker, Urheberrecht, 6 Aufl. 2020, § 54b Rn. 7; BGH, Urt. v. 10.11.2022, I ZR 10/22 -Rakuten-, GRUR 2023, 479, Rn. 14, beck-online).

Die zwischen der Beklagten und privaten Nutzern abgeschlossenen Cloud-Verträge beinhalten keine Veräußerung im Sinne eines (Weiter-) Verkaufs. Den Nutzern werden lediglich bestimmte Softwareelemente und begrenzter Speicherplatz für einen begrenzten Zeitraum, gegen Entgelt, zur Verfügung gestellt. Der zwischen der Beklagten und den Nutzern geschlossene Vertrag hat keinen kaufrechtlichen Charakter. Die Nutzer erhalten lediglich eine temporäre Speichermöglichkeit, nicht aber Eigentumsrechte.
[...]
bb) Anders als die Klagepartei meint, ist bei der Anfertigung von Kopien urheberrechtlich geschützter Werke in der Cloud das verwendete Endgerät (PC, Handy, Tablet) nicht bloß Zubehör. Zubehör sind Gegenstände, die nach der Verkehrsanschauung als Zubehör angesehen werden, § 97 Abs. 1 Satz 2 BGB. Hierunter fallen beispielsweise Druckerpatronen (vgl. Seiler in MMR 2004, XXVII).

Nach der Verkehrsanschauung sind Handys, Tablets, PCs und Smart-Watches nicht bloß Zubehör. Die Erstellung von Kopien in der Cloud setzt zum einen den internetbasierten Zugriff eines Endgeräts auf die Cloud voraus. Der Anstoß zur Anfertigung der Kopie erfolgt stets über ein Endgerät. Das Endgerät ist damit nicht bloßes Hilfsmittel, sondern zentraler Bestandteil des Kopiervorgangs selbst. Erst dadurch, dass der Nutzer mit Hilfe eines Endgeräts die Erstellung der Kopie veranlasst, erhält die Vervielfältigung die von § 53 UrhG vorausgesetzte Zweckrichtung als „Kopie zum privaten Gebrauch“. Auch der spätere Werkgenuss erfolgt wieder über ein Endgerät.

Soweit die Klagepartei meint, dass Kopien auf Servern im Ausland bzw. Kopien auf Servern der Beklagten im Inland bislang nicht bepreist werden, verfängt dies nicht. Eine Vergütungspflicht für die von der Beklagten betriebenen Servern ist vorliegend nicht streitgegenständlich.

cc) Nicht entscheidungserheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der B.KOM e.V. nicht zur Anhebung der Vergütungssätze für Geräte und Speichermedien wegen der Cloudnutzung bereit ist. Die Höhe der Vergütungssätze für Speichermedien und Geräte muss angemessen sein. Die Überprüfung der Angemessenheit erfolgt im Streitfall durch die Gerichte. Den Gesamtverträgen kommt lediglich Indizwirkung zu. Nachdem der gerechte Ausgleich von den Endkunden zu tragen ist, werden Hersteller, Importeure und Händler nicht dadurch benachteiligt, dass der gerechte Ausgleich über eine Geräteabgabe hergestellt wird. Es ist Sache der Vergütungsschuldner, die Geräteabgabe in den Kaufpreis einzukalkulieren.

dd) Dass die Gesamtvertragsparteien in den Gesamtverträgen eine Vergütung für Server nicht vereinbart haben, ist ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Ob ein Vergütungsanspruch besteht, richtet sich ausschließlich nach den §§ 54 ff. UrhG.
114
c) Entgegen der Auffassung der Klagepartei gebietet somit auch die Verpflichtung zur Gewährung eines gerechten Ausgleichs aus Art. 5 Abs. 2 Buchstabe b) der RL 2001/29/EG und die daraus resultierende Ergebnispflicht nicht zwingend eine Auslegung dahin, dass es sich bei Clouds um Geräte oder Speichermedien handelt, die nach §§ 54 ff. UrhG gesondert zu vergüten sind.

Im Übrigen weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass die Verpflichtung des nationalen Gerichts, bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen seines nationalen Rechts auf den Inhalt der Richtlinie abzustellen, ihre Grenzen findet, wenn eine solche Auslegung dazu führt, dass einem einzelnen eine in einer nicht umgesetzten Richtlinie vorgesehene Verpflichtung entgegengehalten wird (EuGH, Urt. vom 26.09.1996, LMRR 1996, 59, beck-online). Eine die Gesetzesbindung des Richters überschreitende Auslegung ist auch durch den Grundsatz der Unionstreue nicht zu rechtfertigen (BVerfG ZIP 2013, 924 Rn. 32; NJW 2012, 669 Rn. 46 f.). Ebenso ist eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie ausgeschlossen, wenn – wie hier – eine staatliche Verpflichtung aktiviert wird, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Verpflichtung eines privaten Dritten steht (Calliess/Ruffert/Ruffert, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 288 Rn. 64).

Aus dem Unionsrecht lässt sich im Übrigen eine Pflicht zur Erhebung einer Vergütung bei Cloudbetreibern nicht ableiten, wie der Unionsgerichtshof zuletzt entschieden hat. Wie ausgeführt haben die Mitgliedsstaaten einen weiten Ermessensspielraum bei der Umsetzung der Richtlinie. Durch die umfassende Vergütungspflicht von Geräten und Speichermedien, die für die Nutzung des Cloudspeichers notwendige Voraussetzung sind, hat der Gesetzgeber dies Spielraum unionrechtskonform ausgeschöpft (EuGH, Urteil vom 24.03.2022, C-433/20, GRUR 2022, 558 Rn. 54, beck-online).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

VG Gelsenkirchen: Ordnungsverfügungen der Stadt Gelsenkirchen gegen E-Scooter-Anbieter Tier und Bolt rechtmäßig - E-Scooter-Verleih nur bei Identitätsprüfung der Nutzer gestattet

VG Gelsenkirchen
Beschluss vom 15.04.2024 - 2 L 444/24
Beschluss vom 15.04.2024 - 2 L 495/24


Das VG Gelsenkirchen hat entschieden, dass die Ordnungsverfügungen der Stadt Gelsenkirchen gegen die E-Scooter-Anbieter Tier und Bolt rechtmäßig sind und der Weiterbetrieb des E-Scooter-Verleihs nur bei Identitätsprüfung der Nutzer gestattet ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Mit im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschlüssen hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am 15. April 2024 die Anträge von zwei E-Scooter-Verleihfirmen abgelehnt, mit denen diese sich gegen Ordnungsverfügungen der Stadt Gelsenkirchen gewandt hatten. In den Verfügungen hatte die Stadt den Unternehmen die von diesen beantragten Erlaubnisse zur Straßennutzung versagt und ihnen zugleich aufgegeben, die E-Scooter bis zum 20. April 2024 aus dem öffentlichen Verkehrsraum zu entfernen.

Das der Sache nach auf den vorläufigen Weiterbetrieb des E-Scooter-Verleihs gerichtete Begehren der Unternehmen auf Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen blieb ohne Erfolg, weil nicht glaubhaft gemacht worden ist, dass ein entsprechender Anspruch besteht. Es ist nicht erkennbar, dass die Entscheidung der Stadt, die Erteilung der Erlaubnisse von einer Identitätsprüfung der Nutzer abhängig zu machen, offensichtlich ermessensfehlerhaft ist und nur die Erlaubniserteilung einer ordnungsgemäßen Ausübung des der Stadt zustehenden Ermessens entspricht. Darüber hinaus drohen den Unternehmen auch keine unzumutbaren, nicht mehr rückgängig zu machenden Nachteile. Die vorgetragenen finanziellen Einbußen reichen nicht aus. Drohende existenzielle Notlagen sind nicht geltend gemacht worden.

Hinsichtlich der von der Stadt verfügten Entfernung der E-Scooter aus dem öffentlichen Verkehrsraum überwiegt das öffentliche Interesse an einer sofortigen Erfüllung dieser aller Voraussicht nach rechtmäßig ausgesprochenen Verpflichtung allein deshalb, weil die öffentlichen Verkehrsflächen ohne die erforderlichen Sondernutzungserlaubnisse genutzt werden und es nicht offensichtlich ist, dass den Unternehmen ein Anspruch auf Erlaubniserteilung zusteht.

Gegen die Entscheidungen kann Beschwerde kann Beschwerde erhoben werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entscheidet.



EuG: "Pablo Escobar" kann nicht als Unionsmarke eingetragen werden da der Name mit Drogenhandel und Drogenterrorismus assoziiert wird

EuG
Urteil vom 17.04.2024
T-255/23
Escobar / EUIPO (Pablo Escobar)


Das EuG hat entschieden, dass die Wortfolge "Pablo Escobar" nicht als Unionsmarke eingetragen werden kann, da der Name mit Drogenhandel und Drogenterrorismus assoziiert wird. Die Marke würde daher gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten verstoßen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Die Verkehrskreise würden diesen Namen mit Drogenhandel und Drogenterrorismus in Verbindung bringen

Am 30. September 2021 meldete die Gesellschaft Escobar Inc. mit Sitz in Puerto Rico (Vereinigte Staaten) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) das Wortzeichen Pablo Escobar für ein breites Spektrum an Waren und Dienstleistungen als Unionsmarke an.

Der am 1. Dezember 1949 geborene und am 2. Dezember 1993 verstorbene kolumbianische Staatsangehörige Pablo Escobar gilt als Drogenbaron und Drogenterrorist, der das Kartell von Medellín (Kolumbien) gründete, dessen einziger Chef er war.

Das EUIPO wies die Anmeldung mit der Begründung zurück, dass die Marke gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten verstoße. Es stützte sich dabei auf die Wahrnehmung der spanischen Verkehrskreise, weil diese wegen der Verbindungen zwischen Spanien und Kolumbien Pablo Escobar am besten kennen.

Die Gesellschaft Escobar ficht diese Zurückweisung beim Gericht der Europäischen Union an.

Das Gericht bestätigt die Zurückweisung der Anmeldung der Marke Pablo Escobar.

Nach Ansicht des Gerichts konnte sich das EUIPO bei seiner Beurteilung auf die Wahrnehmung vernünftiger Spanier mit durchschnittlicher Empfindlichkeits- und Toleranzschwelle stützen, die die unteilbaren und universellen Werte teilen, auf die sich die Union gründet (Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit und Solidarität sowie die Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit).

Das EUIPO hat zutreffend entschieden, dass diese Personen den Namen von Pablo Escobar mit Drogenhandel und Drogenterrorismus sowie den Verbrechen und dem sich daraus ergebenden Leid in Verbindung bringen würden und nicht mit seinen etwaigen guten Taten zugunsten der Armen in Kolumbien1 . Die Marke würde daher als gegen die in der spanischen Gesellschaft vorherrschenden grundlegenden moralischen Werte und Normen verstoßend wahrgenommen.

Das Gericht fügt hinzu, dass nicht gegen das Grundrecht von Pablo Escobar auf Unschuldsvermutung verstoßen wurde, denn auch wenn er nie strafrechtlich verurteilt wurde , wird er in der spanischen Öffentlichkeit als für zahlreiche Verbrechen verantwortliches Symbol des organisierten Verbrechens wahrgenommen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BVerfG: Scharfe Kritik an der Bundesregierung durch Journalisten auf X mittels Ankündigungstext und Verlinkung auf Artikel einer Online-Publikation von Meinungsfreiheit gedeckt

BVerfG
Beschluss vom 11.04.2024
1 BvR 2290/23

Das BVerfG hat entschieden, dass scharfe Kritik an der Bundesregierung durch einen Journalisten auf X mittels Ankündigungstext und Verlinkung auf einen Artikel einer Online-Publikation von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Journalisten gegen die gerichtliche Untersagung einer kritischen Äußerung über die Bundesregierung

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde eines Journalisten stattgeben. Dieser wendet sich gegen eine einstweilige Verfügung, durch die ihm eine kritische Äußerung gegenüber der Bundesregierung untersagt wurde.

Im August 2023 veröffentlichte der Beschwerdeführer auf der Kommunikationsplattform „X“ die Kurznachricht „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. In der Kurznachricht verlinkt war der Artikel eines Online-Nachrichtenmagazins mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“. Das Kammergericht untersagte dem Beschwerdeführer auf Antrag der Bundesregierung die Äußerung „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!).“ Die Äußerung sei eine unwahre Tatsachenbehauptung, die geeignet sei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit der Bundesregierung zu gefährden. Hiergegen wendet sich dieser mit seiner Verfassungsbeschwerde.

Die Entscheidung des Kammergerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Sie verfehlt erkennbar den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Indem das Kammergericht für seine Beurteilung die in der Kurznachricht wiedergegebene Schlagzeile ausblendet, verharrt seine Sinndeutung auf einer isolierten Betrachtung des Kurznachrichtentextes.

Sachverhalt:

Am 25. August 2023 veröffentlichte das Online-Nachrichtenmagazin (…) einen Artikel mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“, in dem es unter anderem hieß: „Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor zwei Jahren hat die Bundesregierung 371 Millionen Euro für Entwicklungshilfe im Land bereitgestellt. (…).“ Etwa eine Stunde nach der Veröffentlichung setzte der Beschwerdeführer auf der Kommunikationsplattform „X“ eine zu diesem Artikel verlinkende Kurznachricht ab. Ihr Text lautete: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. Am Ende seiner Kurznachricht fügte der Beschwerdeführer den Internet-Link zu dem Artikel ein, dessen Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ unterhalb des Links angezeigt wurde.

Mit angegriffenem Beschluss vom 14. November 2023 untersagte das Kammergericht dem Beschwerdeführer die Äußerung „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)“. Juristische Personen des öffentlichen Rechts könnten zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt werde. Ein solcher Ehrenschutz könne jedenfalls dann geltend gemacht werden, wenn die konkrete Äußerung geeignet sei, die juristische Person schwerwiegend in ihrer Funktion zu beeinträchtigen. So liege es hier. Durch die Äußerung des Beschwerdeführers bestünde die Gefahr, dass bei der Bevölkerung der Eindruck entstehe, die Bundesregierung zahle Entwicklungshilfe an ein Terrorregime, das die Rechte der Bevölkerung mit Füßen trete. Dies könne Zweifel in das Vertrauen der Arbeit der Bundesregierung und ihre Funktionsfähigkeit wecken.

Durch den Beschluss des Kammergerichts sieht sich der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

1. a) Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Zwar dürfen grundsätzlich auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen. Ihr Schutz darf indessen nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen. Das Gewicht des für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden Grundrechts der Meinungsfreiheit ist dann besonders hoch zu veranschlagen, da es gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.

b) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Auszugehen ist stets vom Wortlaut der Äußerung. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind verkannt, wenn die Gerichte eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinne einstufen mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Werturteile ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter.

2. Hieran gemessen, verstößt die Entscheidung des Kammergerichts gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit, da sie den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung erkennbar verfehlt.

a) Aus der Sicht eines Durchschnittslesers war es bereits angesichts der wiedergegebenen Vorschau des verlinkten Artikels ein hervorstechendes Anliegen des Beschwerdeführers, zwischen seiner Kurznachricht und einem hiermit verlinkten Nachrichtenartikel einen inhaltlichen Bezug herzustellen. Wird für die Kontextbestimmung einer Äußerung eine hierin für den Rezipienten erkennbar in Bezug genommene, inhaltlich sogar unmittelbar wahrnehmbare Schlagzeile eines Nachrichtenartikels ausgeblendet, verfehlt bereits dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Deutung umstrittener Äußerungen. Das war hier der Fall.

b) Indem das Kammergericht für seine Beurteilung die in der Kurznachricht wiedergegebene Schlagzeile „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ ausblendet, verharrt seine Sinndeutung auf einer isolierten Betrachtung des Kurznachrichtentextes. Auch zieht es nicht in Erwägung, ob die Annahme einer Tatsachenbehauptung angesichts der wiedergegebenen Schlagzeile „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ als fernliegend auszuscheiden und aus der Sicht eines Durchschnittslesers allein die zugespitzte Meinungsäußerung anzunehmen sei, mit einer Zahlung von „Entwicklungshilfe für Afghanistan“ zahle Deutschland faktisch „Entwicklungshilfe an die Taliban“. Zugleich verliert das Kammergericht aus dem Blick, dass die Kritik an der Bundesregierung als Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und Meinens geprägt ist, auch dann als Meinungsäußerung geschützt wird, wenn sich in ihr Tatsachen und Meinungen vermengten, und dass weder die Bundesregierung Zahlungen von Entwicklungshilfe „für Afghanistan“ in Abrede stellt, noch die angegriffene Entscheidung in Zweifel zieht, dass die Gefahr ihres mittelbaren Zugutekommens an die Machthaber in Afghanistan besteht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Paderborn: Widerspruch gegen weitere Zusendung von Werbung per E-Mail muss vom Versender sofort umgesetzt werden

LG Paderborn
Urteil vom 12.03.2024
2 O 35/23


Das LG Paderborn hat entschieden, dass ein Widerspruch gegen die weitere Zusendung von Werbung per E-Mail vom Versender sofort umgesetzt werden muss.

Aus den Entscheidungsgründen:
Letztlich kann aber dahinstehen, ob die Beklagte einen hinreichenden Werbehinweis gem. § 7 Abs. 3 Nr. 4 UWG erteilt hat, da das anwaltliche Schreiben vom 14.09.2023 jedenfalls als Widerspruch im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 UWG gegen (weitere) Werbe-E-Mails zu verstehen war.

Die Verwendung der Adresse für die eigene Direktwerbung des Unternehmers ist ausgeschlossen, wenn der Kunde ihrer Verwendung zu Werbezwecken widersprochen hat. Der Widerspruch gegen die Verwendung der elektronischen Postadresse zum Zwecke der Übersendung von Werbung nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 UWG ist formlos möglich und setzt nicht voraus, dass der Kunde selbst bestimmte Einstellungen im “Kundenverwaltungssystem” des Unternehmens tätigt.

Hat der Beworbene einer Werbung mittels elektronischer Post wirksam iSd § 7 Abs. 3 Nr. 3 widersprochen, so ergibt sich die Unzulässigkeit der Werbung, weil dem Unternehmer der entgegenstehende Wille des Beworbenen dann erkennbar ist.

Soweit sich die Beklagte hiernach gem. Art. 12 Abs. 3 DSGVO eine Bearbeitungsdauer von bis zu einem Monat ausbedingen will, kann sie damit nicht durchdringen.

Art. 21 Abs. 3 DSGVO stellt klar, dass nach Widerspruch gegen die Verarbeitung zu Zwecken der Direktwerbung, die Daten für diese Zwecke nicht mehr verarbeitet werden dürfen. Art. 12 Abs. 3 DSGVO sieht hingegen lediglich eine Bearbeitungsdauer von bis zu einem Monat für die Bereitstellung von Informationen vor; nicht für die Umsetzung des Widerspruchs. Ein datenschutzrechtliches Informationsrecht nimmt die Klägerin aber nicht für sich in Anspruch.

Der Verwender ist gehalten, den Widerspruch umgehend zu respektieren, d.h., dass die Umsetzung unverzüglich zu erfolgen hat. Diesem Maßstab hat die Beklagte nicht genügt. Nach dem Werbewiderspruch vom 14.09.2023 hat die Beklagte noch 5 (weitere) Werbe-E-Mails an die Klägerin versandt.

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass eine bereits angelaufene Werbeaktion nicht mehr gestoppt werden könne. Wenn durch die Betätigung des Abmeldelinks die Zusendung weiterer Werbe-E-Mails verhindert werden kann, dann muss dieses für die Beklagte nach Eingang des Widerspruchs erst Recht – unverzüglich - möglich sein. Die durch die Beklagte zu Rate gezogene Orientierungshilfe der DSK zur Umsetzungsfrist des Werbewiderspruchs nach Art. 21 Abs. 3 DSGVO bezieht sich unzweifelhaft auf postalische Werbung. Ein

Bearbeitungszeitraum hinsichtlich des Werbewiderspruchs in Bezug auf E-Mail-Werbung kann daraus nicht abgeleitet werden.

Der entscheidende Referenzrahmen für die Beklagte war nicht, dass diese nach Betätigung des Abmeldelinks durch die Klägerin am 26.09.2023, den Stopp weiterer Werbe-E-Mails bis zum 04.10.2023 umsetzte, sondern inwieweit die Beklagte auf den Widerspruch vom 14.09.2023 tätig geworden ist. Die Umsetzung des Werbewiderspruchs vom 14.09.2023 war auf vor dem Hintergrund der selbst skizierten Anforderungen der Beklagten unzureichend. Insbesondere die Zusendung von insgesamt drei (weiteren) Werbe-E-Mails nach Betätigung des Abmeldelinks ist mit einer zügigen Umsetzung des Werbewiderspruchs nicht in Einklang zu bringen.

Da die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 UWG nicht vorliegen und die Klägerin der Zusendung (weiterer) Werbe-E-Mails widersprochen hat, war im Unterlassungstenor auch keine Einschränkung dahingehend vorzunehmen, dass Bestandskundenwerbung grds. erlaubt ist.

Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch das festgestellte rechtsverletzende Verhalten der Beklagten indiziert. (vgl. BGH, Urteil vom 14.03.2017, Az. VI ZR 721/15). Die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hat die Beklagte nach den Feststellungen der Kammer abgelehnt.

Die Klägerin kann auch die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten iHv 652,60 € von der Beklagten verlangen.

Der Verletzte, der seinen Unterlassungsanspruch auf §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 2

BGB stützt, hat einen Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten, wenn die Abmahnung begründet war. Lässt sich der Verletzte bei der Abmahnung anwaltlich vertreten, so hat der Verletze die gesetzlichen Gebühren des Rechtsanwalts nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zu tragen, wenn die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung der Rechte erforderlich und zweckmäßig war. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Abmahnung eines Verstoßes gegen einen deliktsrechtlichen Tatbestand ist nur dann nicht notwendig, wenn der Abmahnende selbst über eine hinreichende eigene Sachkunde zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung eines unschwer zu erkennenden Verstoßes verfügt (vgl. BGH, Urt. v. 12.09. 2013 – I ZR 208/12 = GRUR 2013, 1259).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Rostock: Absendung einer E-Mail begründet keinen Anscheinsbeweis für den Zugang der E-Mail

OLG Rostock
Hinweisbeschluss vom 03.04.2024
7 U 2/24


Das OLG Rostock hat in einem Hinweisbeschluss ausgeführt, dass die Absendung einer E-Mail keinen Anscheinsbeweis für den Zugang der E-Mail begründet.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Auch auf die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens kann die Klägerin sich nicht mit Erfolg stützten. Dieser hilfsweise Argumentationsstrang der Klägerin scheitert jedenfalls daran, dass nach Beweislastgrundsätzen nicht von dem beklagtenseits bestrittenen Zugang (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB) des vermeintlichen Bestätigungsschreibens ausgegangen werden kann. Die Beweislast für den Zugang liegt – darüber besteht im Ausgangspunkt auch zwischen den Parteien Konsens – bei der Klägerin. Dabei kommt der Klägerin die von ihr reklamierte Beweiserleichterung eines Anscheinsbeweises nicht zu Gute. Taugliche Beweisantritte liegen nicht vor.

a) Für die Annahme eines Anscheinsbeweises für den Zugang einer feststehendermaßen abgesandten (einfachen, insbesondere ohne Empfangs- oder Lesebestätigung übermittelten) E-Mail sieht der Senat keine Grundlage. Die von der Klägerin für ihren gegenteiligen Standpunkt zuletzt in der Berufungsbegründung zitierte instanzgerichtliche Entscheidung (AG Frankfurt a. M., Urteil vom 23.10.2008 – 30 C 730/08, BeckRS 2009, 5792), die einen Anscheinsbeweis bejaht hat, ist vereinzelt geblieben und hat sich nicht durchgesetzt. Hierauf hat bereits die Beklagte in der Berufungserwiderung unter Fundstellenangabe zutreffend hingewiesen. Es entspricht in der (insbesondere auch obergerichtlichen) Rechtsprechung sowie im Kommentarschrifttum nahezu einhelliger Auffassung, dass für den Zugang einer (im vorbezeichneten Sinne einfachen) E-Mail allein aufgrund des Feststehenden Absendens, auch in Verbindung mit dem feststehenden Nichterhalt einer Unzustellbarkeitsnachricht auf Seiten des Absenders, kein Anscheinsbeweis streitet (etwa: OLG Hamm, Beschluss vom 10.08.2023 – I-26 W 13/23 [Juris; Tz. 5 ff.]; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.08.2018 – 2 Sa 403/18 [Juris; Tz. 39]; LAG Köln, Urteil vom 11.01.2022 – 4 Sa 315/21, MDR 2022, 392 [Juris; Tz. 58 f.]; LG Hagen, Beschluss vom 31.03.2023 – 10 O 328/22 [Juris; Tz. 9]; Erman/Arnold, BGB, 17. Aufl. 2023, § 130 Rn. 33; jurisPK-BGB/Reichold, 10. Aufl. 2023 [Stand: 15.05.2023], § 130 Rn. 65; Staudinger/Singer/Benedict, BGB, Neubearbeitung 2021, § 130 Rn. 110; BeckOK IT-Recht/Borges, 13. Edition – 01.05.2021, BGB § 130 Rn. 58; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 130 Rn. 21; BeckOGK BGB/Gomille, Stand: 01.09.2022, § 130 Rn. 135, m.w.N.). Diese Auffassung teilt auch der Senat. Der Zugang mag unter den genannten Voraussetzungen – sofern sie ihrerseits unbestritten oder erwiesen sind und damit prozessual feststehen – „die Regel“ darstellen, ist aber letztlich jedenfalls unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen (noch) nicht in einem Maße typisch, dass die Bejahung einer prima-facie-Beweiserleichterung gerechtfertigt wäre.

b) Soweit die Klägerin zum Beweis des E-Mail-Zugangs bei der Beklagten auf eine Vorlage bzw. Offenlegung der gesamten elektronischen Posteingänge der Beklagten im hier interessierenden Zeitraum durch die Beklagte verweist, war und ist diesem Beweisantritt nicht nachzugehen. Nicht anders als in der „analogen“ Welt, in der ein Zugangsnachweis in einem Zivilprozess unstreitig nicht dadurch geführt werden könnte, dass die Briefkästen oder gar Wohn- und Geschäftsräume des vermeintlichen Empfängers umfassend auf den in Rede stehenden Brief „durchforstet“ werden und der Prozessgegner diese Maßnahme zu dulden bzw. an ihr gar aktiv mitzuwirken hätte, kann der Beweis des Zugangs einer E-Mail nicht dadurch erbracht werden, dass der vermeintliche Adressat selbst seinen E-Mail-Account mit dem virtuellen Posteingangskorb und ggf. weiteren Ablageordnern („Gelöschte Elemente“ o.ä.) zu Beweiszwecken gleichsam zur Verfügung stellen müsste (auch nicht indirekt im Rahmen einer sachverständigen Begutachtung; LG Duisburg, Beschluss vom 28.06.2010 – 12 S 67/10, RRa 2011, 25 [Juris; Tz. 10]). Ob für die Beklagte hinsichtlich des in Rede stehenden (E-Mail-) Schreibens eine steuer- oder handelsrechtliche Aufbewahrungspflicht bestanden hätte, spielt insoweit keine Rolle. Unabhängig hiervon bieten für eine entsprechende Beweisführung weder die §§ 371 ff. ZPO noch die §§ 142 ff. ZPO eine Grundlage. Die Klägerin selbst hat auch keine rechtliche Grundlage für ihren Beweisantritt benannt (…).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



EuGH: Öffentliche Wiedergabe durch Bereitstellung von Fernsehgeräten in Gästezimmern und Fitnessraum eines Hotels wenn Sendesignal über eine hoteleigene Kabelverteilanlage weitergeleitet wird

EuGH
Urteil vom 11.04.2024
C‑723/22
Citadines Betriebs GmbH gegen MPLC Deutschland GmbH


Der EuGH hat entschieden, dass eine öffentliche Wiedergabe durch Bereitstellung von Fernsehgeräten in Gästezimmern und im Fitnessraum eines Hotels, wenn das Sendesignal über eine hoteleigene Kabelverteilanlage weitergeleitet wird.

Tenor der Entscheidung:
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass die Bereitstellung von Fernsehgeräten in den Gästezimmern oder dem Fitnessraum eines Hotels eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn zusätzlich das Sendesignal über eine hoteleigene Kabelverteilanlage an diese Geräte weitergeleitet wird.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Pharmazeutischer Großhandel darf keine Skonti oder sonstigen Preisnachlässe gewähren die zur Unterschreitung des Mindestpreises nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AMPreisV führen

BGH
Urteil vom 08.02.2024
I ZR 91/23
Großhandelszuschläge II
AMPreisV § 2 Abs. 1 Satz 1


Der BGH hat entschieden, dass der pharmazeutische Großhandel keine Skonti oder sonstigen Preisnachlässe gewähren darf, die zur Unterschreitung des Mindestpreises nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AMPreisV führen.

Leitsätze des BGH:
a) Nach der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 1 AMPreisV in der seit dem 11. Mai 2019 geltenden Fassung hat der pharmazeutische Großhandel bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln an Apotheken
einen Mindestpreis einzuhalten, der aus dem Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers und einem festen Zuschlag von 70 Cent beziehungsweise - seit dem 27. Juli 2023 - 73 Cent zuzüglich Umsatzsteuer besteht. Zugleich legt § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AMPreisV - wie bereits
§ 2 AMPreisV in der bis zum 10. Mai 2019 geltenden Fassung - einen Höchstpreis fest.

b) Die Gewährung von Skonti oder sonstigen Preisnachlässen, die zur Unterschreitung des sich aus
§ 2 Abs. 1 Satz 1 AMPreisV ergebenden Mindestpreises führen, ist unzulässig. Dies gilt sowohl für
"echte" Skonti, mit denen eine vertraglich nicht geschuldete Zahlung durch den Käufer vor Fälligkeit
abgegolten wird, als auch für "unechte" Skonti, die lediglich die pünktliche Zahlung durch den Käufer honorieren.

BGH, Urteil vom 8. Februar 2024 - I ZR 91/23 - OLG Brandenburg - LG Cottbus

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Teilnehmer an in Deutschland unzulässigen und nicht genehmigungsfähigen Sportwetten haben nach vorläufiger Einschätzung einen Anspruch auf Erstattung verlorener Einsätze

BGH
Hinweisbeschluss vom 22.03.2024
I ZR 88/23


Der BGH hat in einem Hinweisbeschluss ausgeführt, dass Teilnehmer an in Deutschland unzulässigen und nicht genehmigungsfähigen Sportwetten nach vorläufiger Einschätzung einen Anspruch auf Erstattung verlorener Einsätze gegen den Anbieter haben.

Aus den Gründen:
III. Die Revision dürfte nach vorläufiger Einschätzung des Senats keinen Erfolg haben.

1. Das Berufungsgericht ist zu Recht und von der Revision nicht angegriffen davon ausgegangen, dass die deutschen Gerichte international zuständig sind, die Klage auch im Übrigen zulässig ist und sich die geltend gemachten Ansprüche nach deutschem Sachrecht beurteilen.

2. Dem Kläger dürfte im vom Berufungsgericht zuerkannten Umfang ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch gegen die Beklagte zustehen. Wer durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zur Herausgabe verpflichtet. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Die Beklagte hat die Beträge, die der Kläger als Spieleinsätze an sie gezahlt hat, durch dessen Leistung erlangt. Die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge dürften hierfür keinen rechtlichen Grund darstellen. Die Beklagte hat durch das öffentliche Angebot von Sportwetten gegen die Regelungen in § 4 Abs. 1, 4 und 5 , § 4a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 verstoßen, die ein gesetzliches Verbot im Sinn des § 134 BGB darstellen (dazu III 2 a). Aus diesem Verstoß dürfte im Streitfall die Nichtigkeit der Sportwettenverträge folgen (dazu III 2 b).

a) Die Beklagte hat gegen § 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 verstoßen. Diese unionsrechtskonformen Regelungen stellen ein gesetzliches Verbot im Sinn des § 134 BGB dar.

aa) Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2012 dürfen öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt werden. Das Veranstalten und das Vermitteln ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) sowie die Mitwirkung an Zahlungen im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel sind gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 verboten. Das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 verboten. Ein Erlaubnisvorbehalt für öffentliche Glücksspiele im Internet besteht nach § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 für den Eigenvertrieb und die Vermittlung von Lotterien sowie die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten, nicht jedoch für sonstige öffentliche Glücksspiele wie insbesondere Casino- und Automatenspiele. Für Sportwetten sieht § 4a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 eine entsprechende Anwendung des Verbots nach § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 vor; allerdings ermöglicht § 4a Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2012 im Rahmen der sogenannten Experimentierklausel des § 10a GlüStV 2012 die Erteilung einer Konzession. Diese gab dem Konzessionsnehmer nach näherer Maßgabe des § 10a Abs. 4 Satz 1 GlüStV 2012 das Recht, abweichend vom Verbot des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 Sportwetten auch im Internet zu veranstalten und zu vermitteln.

Ein Glücksspiel liegt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2012 vor, wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Nach Satz 2 hängt die Entscheidung über den Gewinn in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist. Unter den Begriff der Glücksspiele fallen nach Satz 3 auch Wetten gegen Entgelt auf den Eintritt oder Ausgang eines zukünftigen Ereignisses. Satz 4 definiert Sportwetten als Wetten zu festen Quoten auf den Ausgang von Sportereignissen oder Abschnitten von Sportereignissen. Öffentlich ist ein Glücksspiel gemäß § 3 Abs. 2 GlüStV 2012, wenn für einen größeren, nicht geschlossenen Personenkreis eine Teilnahmemöglichkeit besteht oder es sich um gewohnheitsmäßig veranstaltete Glücksspiele in Vereinen oder sonstigen geschlossenen Gesellschaften handelt.

bb) Das im Glücksspielstaatsvertrag 2012 vorgesehene Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für Sportwetten steht mit dem Unionsrecht in Einklang.

[…]

cc) Die Vorschrift des § 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 stellt ein gesetzliches Verbot im Sinn des § 134 BGB dar.

(1) Als Verbotsgesetz kommen auch landesrechtliche Normen in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1986 - VIII ZR 10/85, NJW 1986, 2360 [juris Rn. 10]). Der zwischen den Ländern geschlossene Glücksspielstaatsvertrag 2012 wurde von den einzelnen Landesgesetzgebern ratifiziert und jeweils in den Rang eines Landesgesetzes erhoben (vgl. beispielsweise § 1 Landesglücksspielgesetz Baden-Württemberg vom 20. November 2012 [GBl. S. 604]). (2) Für den Streitfall kommt es nicht auf die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags in der am 1. Juli 2021 in Kraft getretenen Fassung (GlüStV 2021) an, die ihrerseits in § 4 Abs. 1 und 4 GlüStV 2021 einen Erlaubnisvorbehalt für das Veranstalten von Sportwetten vorsehen. Maßgeblich für die Beurteilung der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nach § 134 BGB ist das zum Zeitpunkt des Verstoßes geltende Verbotsgesetz. Wird das Verbot nachträglich aufgehoben, führt nur eine bestätigende Neuvornahme gemäß § 141 BGB zur Wirksamkeit (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2007 - VIII ZR 150/06, WuM 2007, 440 [juris Rn. 10] mwN).


[…]

b) Aus dem Verstoß gegen das gesetzliche Verbot des § 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 dürfte im Streitfall die Nichtigkeit der zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Sportwettenverträge folgen. Grundsätzlich erfordert der Schutzzweck dieses gesetzlichen Verbots die Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB (dazu III 2 b bb). Der Senat muss im Streitfall nicht entscheiden, ob dies ausnahmsweise anders zu sehen ist, wenn ein Anbieter zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits eine Konzession für die Veranstaltung von Sportwetten beantragt hatte, das für diesen Antrag geltende Konzessionserteilungsverfahren aber unionsrechtswidrig war, und das Sportwettenangebot dieses Anbieters daher weder strafrechtlich sanktioniert noch verwaltungsrechtlich untersagt werden konnte (dazu III 2 b cc). Denn jedenfalls für Sportwettenangebote, die - wie im Streitfall - auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionserteilungsverfahren nicht ohne Weiteres erlaubnisfähig gewesen wären, dürfte es bei der Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB verbleiben.

[...]

(2) Die effektive Durchsetzung der genannten legitimen Ziele erfordert grundsätzlich die Nichtigkeit der unter Verstoß gegen die Erlaubnispflicht auf Grundlage eines Internetangebots geschlossenen Glücksspielverträge. Über das Internet angebotene Spiele weisen wegen des Fehlens eines unmittelbaren Kontakts zwischen Verbraucher und Anbieter und einer sozialen Kontrolle sowie wegen der Anonymität und Isolation der Spieler ein besonderes Gefährdungspotential für jugendliche und spielsuchtgefährdete oder spielsüchtige Verbraucher auf, das mit erhöhten Betrugsrisiken einhergeht. Dabei fällt insbesondere auch die für das Internet typische besonders leichte und ständige Zugänglichkeit zu einem sehr großen internationalen Spielangebot ins Gewicht (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 2011 - I ZR 92/09, GRUR 2012, 193 [juris Rn. 44] = WRP 2012, 201 - Sportwetten im Internet II mit Verweis unter anderem auf EuGH, ZfWG 2010, 344 [juris Rn. 102 f.] - Carmen Media Group; BVerfG, NVwZ 2008, 1338 [juris Rn. 40]; BVerwGE 140, 1 [juris Rn. 34]).

Gegen die Schutzbedürftigkeit der Spieler spricht dabei nicht, dass das Verlustrisiko bei erlaubten Spielen ebenfalls besteht und jedem Spieler bekannt sein muss. Das gesetzliche Verbot dient auch dem Schutz des Spielers vor sich selbst. Wegen der auf viele Menschen wirkenden besonderen Reize von Glücksspielen und der niedrigen sozialen Hemmschwellen beim Online-Glücksspiel soll es verhindern, dass spielsüchtige und spielsuchtgefährdete Menschen außerhalb jeder aufsichtsrechtlichen Kontrolle in die Lage geraten, trotz des vorhandenen Wissens um das Verlustrisiko - womöglich erhebliche - Verluste zu erleiden (vgl. EuGH, ZfWG 2010, 344 [juris Rn. 102 f.] - Carmen Media Group; BVerwGE 140, 1 [juris Rn. 34]; BVerwG, ZfWG 2018, 139 [juris Rn. 29]). Ginge man dagegen von der zivilrechtlichen Wirksamkeit der verbotenen Glücksspielverträge aus und verwiese die Spieler lediglich auf Schadensersatzansprüche, wenn es im Einzelfall zu einer Verletzung ihrer geschützten Interessen kommt, wie etwa bei fehlender Rücksichtnahme auf die Schutzbedürftigkeit des Spielers oder bei Manipulation des Spiels (vgl. Köhler, NJW 2023, 2449, 2453), bliebe der mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 angestrebte Schutz der Bevölkerung unzureichend.

Das gesetzliche Verbot richtet sich nicht lediglich gegen eine bestimmte Art der Durchführung des Geschäfts, sondern soll insbesondere die negativen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen für die Spieler verhindern, die durch das Glücksspiel eintreten können. Aus diesem Grund ist die von der Revision angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wirksamkeit von unter Verstoß gegen Ordnungsvorschriften geschlossenen, aber ansonsten unbedenklichen Rechtsgeschäften (zum Vertriebsvertrag über verschreibungspflichtige Arzneimittel bei fehlender Apothekenzulassung vgl. BGH, Urteil vom 23. April 1968 - VI ZR 217/65, NJW 1968, 2286, [juris Rn. 26 bis 30]; zum Maklervertrag bei fehlender Gewerbeerlaubnis vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1980 - IVa ZR 33/80, BGHZ 78, 269 [juris Rn. 12 bis 17]; zum Werkvertrag bei fehlender Eintragung in die Handwerksrolle vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1983 - VII ZR 43/83, BGHZ 88, 240 [juris Rn. 9 bis 14]; zum Darlehensvertrag bei fehlender Erlaubnis für das Betreiben von Kreditgeschäften vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2011 - XI ZR 256/10, WM 2011, 1168 [juris Rn. 20]) nicht auf Glücksspielverträge übertragbar.

(3) Entgegen der Ansicht der Revision führt auch die in § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 vorgesehene Möglichkeit, die Veranstaltung von Sportwetten - anders als etwa von Casino- oder Automatenspielen - im Internet zu erlauben, nicht dazu, dass die Nichtigkeit unerlaubter Sportwettenverträge nicht mehr erforderlich ist. Nach dem Wortlaut der Vorschrift dient die Erlaubnismöglichkeit der besseren Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV 2012; hierzu zählen insbesondere die Kanalisierung des Glücksspielangebots (§ 1 Nr. 2 GlüStV 2012), der Spielerschutz (§ 1 Nr. 3 GlüStV 2012) und die Kriminalitätsbekämpfung (vgl. § 1 Nr. 4 GlüStV 2012). Der Spielerschutz wird beim erlaubten Glücksspiel in Form von Sportwetten insbesondere dadurch verwirklicht, dass minderjährige und gesperrte Spieler ausgeschlossen werden (§ 4 Abs. 5 Nr. 1 GlüStV 2012) sowie der monatliche Höchsteinsatz je Spieler grundsätzlich einen Betrag von 1.000 € grundsätzlich nicht übersteigen darf (§ 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012). Besondere Suchtanreize durch schnelle Wiederholung müssen ausgeschlossen werden (§ 4 Abs. 5 Nr. 3 GlüStV 2012). Wetten und Lotterien dürfen weder über dieselbe Internetdomain angeboten noch darf auf andere Glücksspiele verwiesen oder verlinkt werden (§ 4 Abs. 5 Nr. 5 GlüStV 2012). Zudem werden Sportwettenanbieter einer erweiterten Zuverlässigkeitsüberprüfung unterzogen (§ 4a Abs. 4 Nr. 1 GlüStV 2012), müssen ihre Leistungsfähigkeit nachweisen (§ 4a Abs. 4 Nr. 2 GlüStV 2012) sowie Transparenz- und Sicherheitsanforderungen erfüllen (§ 4a Abs. 4 Nr. 3 GlüStV 2012), insbesondere - zur Vorbeugung von Spielmanipulationen - Schnittstellen zur Prüfung aller Spielvorgänge in Echtzeit zur Verfügung stellen (§ 4a Abs. 4 Nr. 3 Buchst. f GlüStV 2012). Das Genehmigungsverfahren besteht mithin nicht um seiner selbst willen; vielmehr erfüllt es eine eigenständige, auf das jeweilige gesetzliche Schutzgut bezogene gestaltende Funktion zur Gewährleistung effektiven Rechtsgüterschutzes (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2020 - 3 StR 327/19, ZfWG 2020, 352 [juris Rn. 16]).

[…]

(5) Zu keinem anderen Ergebnis führt die Erwägung, dass durch die Nichtigkeitsfolge für Spieler Fehlanreize entstehen könnten, wenn diese animiert würden, risikolos Einsätze zu tätigen. Gemäß § 817 Satz 2 Halbsatz 1 Teilsatz 1 BGB ist eine Rückforderung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Last fällt (zu den Voraussetzungen dieser Vorschrift vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2014 - VII ZR 241/13, BGHZ 201, 1 [juris Rn. 18]; Urteil vom 10. Januar 2019 - IX ZR 89/18, NJW 2019, 1147 [juris Rn. 28], jeweils mwN), etwa durch strafbare Teilnahme am unerlaubten Glücksspiel nach § 285 StGB. Ob und unter welchen Voraussetzungen § 817 Satz 2 Halbsatz 1 Teilsatz 1 BGB einschränkend auszulegen ist (vgl. hierzu BGHZ 201, 1 [juris Rn. 21 f.] mwN; NJW 2019, 1147 [juris Rn. 34]), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung (vgl. dazu ergänzend Rn. 57). Etwaige Fehlanreize bei Spielern betreffen zudem nur Einzelfälle, während der die Regelungsziele des Glücksspielstaatsvertrags unterstützende Anreiz, das vorgesehene Konzessionserteilungsverfahren zu durchlaufen und auf nicht erlaubnisfähige Glücksspielangebote zu verzichten, für alle Anbieter besteht.


[…]

dd) Die vom Kläger mit der Beklagten geschlossenen Sportwettenverträge dürften jedoch bereits deswegen nach § 134 BGB nichtig sein, weil das Sportwettenangebot der Beklagten im maßgeblichen Zeitraum vom 11. Oktober 2018 46 47 48 - 21 - bis zum 28. Dezember 2018 auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionsverfahren nicht ohne Weiteres erlaubnisfähig gewesen wäre.

(3) Der Verstoß des Sportwettenangebots der Beklagten gegen das gesetzliche Verbot des § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012 dürfte die Nichtigkeit der mit dem Kläger geschlossenen Sportwettenverträge erfordern. Der Zweck des Verbotsgesetzes dürfte in diesem Fall nicht anders zu erreichen sein als durch die zivilrechtliche Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB. Dagegen spricht nicht, dass bei einem erlaubten Sportwettenangebot aus dem Verstoß gegen die Auflage möglicherweise keine Nichtigkeit des Sportwettenvertrags folgt. In diesem Sinn hat der Bundesgerichtshof zu der in einer Spielbankerlaubnis nach dem Hessischen Spielbankgesetz vom 21. Dezember 1988 (GVBl. 1989 I S. 1) vorgesehenen Auflage, dass jeder Spieler vor Spielbeginn ein Limit bestimmt, entschieden, dass bei Missachtung der Auflage die Veranstaltung des Glücksspiels nicht nach § 284 Abs. 1 StGB strafbar und deswegen auch der Spielvertrag nicht nach § 134 BGB in Verbindung mit § 284 Abs. 1 StGB nichtig ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - III ZR 190/07, WRP 2008, 958 [juris Rn. 19]; vgl. auch BGH, Urteil vom 25. April 1967 - VII ZR 1/65, BGHZ 47, 393 [juris Rn. 26]). Dies ergibt sich daraus, dass § 284 Abs. 1 StGB an die behördliche Erlaubnis anknüpft, die nicht ipso iure durch den Verstoß gegen die Auflage, sondern erst nach einem Widerruf der Behörde entfällt und die Auflage selbst kein Verbotsgesetz im Sinn des § 134 BGB darstellt. Darauf kommt es im Streitfall jedoch nicht an, weil die Beklagte unmittelbar gegen das gesetzliche Verbot des § 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 verstoßen hat. Anders als im Fall eines Verstoßes gegen Auflagen in einer Konzession kann die Einhaltung des Höchsteinsatzes nach § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012 unter den Umständen des Streitfalls zudem nicht von der zuständigen Behörde überwacht und durchgesetzt werden.

Es ist zudem unerheblich, ob sich der Verstoß der Beklagten gegen § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012 konkret auf die mit dem Kläger geschlossenen Sportwettenverträge ausgewirkt hat, also jeder einzelne Wettvertrag unter Verstoß gegen den monatlichen Höchsteinsatz von 1.000 € je Spieler zustandegekommen ist. Entscheidend ist vielmehr, dass das Sportwettenangebot im maßgeblichen Zeitraum nach den Feststellungen des Berufungsgerichts schon grundsätzlich nicht erlaubnisfähig war.

(4) Das Unionsrecht gebietet es nicht, materiell nicht erlaubnisfähige Sportwettenangebote zivilrechtlich als wirksam zu behandeln. Die Beklagte kann aus einer Unvereinbarkeit des Konzessionserteilungsverfahrens mit dem Unionsrecht keine Rechte herleiten, die sie auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionserteilungsverfahren nicht hätte erlangen können. Das Unionsrecht lässt es zu, ein erlaubtes Sportwettenangebot durch effektive Vorschriften zum Schutz der Bevölkerung zu begrenzen (vgl. Rn. 16). Der Mitgliedstaat ist lediglich gehalten, Entscheidungen über auf eine Genehmigung gerichtete Anträge auf der Grundlage objektiver und nichtdiskriminierender Kriterien zu treffen (vgl. EuGH, GRUR 2013, 524 [juris Rn. 45] - Stanleybet International u.a.). Einen bestimmten Inhalt dieser Entscheidungen gibt ihm das Unionsrecht nicht vor (vgl. BVerwG, ZfWG 2019, 36 [juris Rn. 14]; BGH, ZfWG 2023, 262 [juris Rn. 24]).

(5) Das zu § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012 Ausgeführte gilt auch für weitere spielerschützende Erlaubnisvoraussetzungen, beispielsweise die vollständige Trennung der Wetten von anderen Glücksspielen (§ 4 Abs. 5 Nr. 5 GlüStV 2012) und den Ausschluss von sogenannten Ereigniswetten auf einzelne Vorgänge während des laufenden Sportereignisses (§ 21 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 GlüStV 2012), auf die sich der Kläger beruft, zu denen das Berufungsgericht jedoch keine Feststellungen getroffen hat. Sollte es hierauf noch streitentscheidend ankommen, käme eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht zur Ermöglichung weiterer Feststellungen in Betracht. Dass die Beklagte die materiellen Voraussetzungen des Erlaubnisvorbehalts erfüllt, dürfte dann in ihre Darlegungs- und Beweislast fallen (zu § 3a UWG vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 - I ZR 226/13, GRUR 2016, 88 [juris Rn. 23] = WRP 2016, 35 - Deltamethrin I).

3. Zutreffend und von der Revision nicht konkret beanstandet dürfte das Berufungsgericht angenommen haben, dass der Rückforderungsanspruch des Klägers aus tatsächlichen Gründen nicht nach § 814 Fall 1, § 817 Satz 2 Halbsatz 1 Teilsatz 1 und aus rechtlichen Gründen nicht nach § 762, § 242 BGB ausgeschlossen ist sowie die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung nicht greift.

IV. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV dürfte nicht veranlasst sein (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - 283/81, Slg. 1982, 3415 [juris Rn. 21] = NJW 1983, 1257 - Cilfit u.a.; Urteil vom 1. Oktober 2015 - C-452/14, GRUR Int. 2015, 1152 [juris Rn. 43] - Doc Generici; Urteil vom 6. Oktober 2021 - C-561/19, NJW 2021, 3303 [juris Rn. 32 f.] - Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi). Die Folgen einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit von Regelungen im Bereich des Glücksspiels und die Anforderungen an ein System der vorherigen behördlichen Genehmigung für das Angebot von Glücksspielen sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hinreichend geklärt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2023 - I ZR 79/22, juris Rn. 19; BGH, ZfWG 2024, 66 [juris Rn. 18]). Die Vorlagefragen in dem Vorabentscheidungsersuchen des Civil Court Malta (Rechtssache C-440/23) betreffen die Vereinbarkeit der Regelungen im Glücksspielstaatsvertrag 2012 zu Online-Casino-Glücksspielen und (Zweit-)Lotterien mit dem Unionsrecht, nicht aber die Regelungen im Glücksspielstaatsvertrag 2012 zu Sportwetten.


Den Volltext des Beschlusses finden Sie hier:

EuGH: Verstoß gegen Bestimmungen der DSGVO oder Kontrollverlust allein begründen noch keinen Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO - Nachweis eines immateriellen Schadens erforderlich

EuGH
Urteil vom 11.04.2024
C-741/21


Der EuGH hat entschieden, dass Verstoß gegen Bestimmungen der DSGVO oder Kontrollverlust allein noch keinen Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO begründen. Vielmehr ist der Nachweis eines konkreten immateriellen Schadens erforderlich.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen Bestimmungen dieser Verordnung, die der betroffenen Person Rechte verleihen, für sich genommen nicht ausreicht, um unabhängig vom Schweregrad des von dieser Person erlittenen Schadens einen „immateriellen Schaden“ im Sinne dieser Bestimmung darzustellen.

2. Art. 82 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass es für eine Befreiung des Verantwortlichen von seiner Haftung nach Art. 82 Abs. 3 dieser Verordnung nicht ausreicht, dass er geltend macht, dass der in Rede stehende Schaden durch ein Fehlverhalten einer ihm im Sinne von Art. 29 der Verordnung unterstellten Person verursacht wurde.

3. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass zur Bemessung des Betrags des auf diese Bestimmung gestützten Anspruchs auf Schadenersatz zum einen die in Art. 83 dieser Verordnung vorgesehenen Kriterien für die Festsetzung des Betrags von Geldbußen nicht entsprechend anzuwenden sind und zum anderen nicht zu berücksichtigen ist, dass die Person, die Schadenersatz verlangt, von mehreren Verstößen gegen die Verordnung betroffen ist, die sich auf denselben Verarbeitungsvorgang beziehen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwalt: Datenschutzbehörde muss grundsätzlich tätig werden wenn sie bei Prüfung einer Beschwerde einen DSGVO-Verstoß feststellt

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 11.04.2024
C-768/2
Land Hessen (Handlungspflicht der Datenschutzbehörde)


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass eine Datenschutzbehörde grundsätzlich tätig werden muss, wenn sie bei der Prüfung einer Beschwerde einen DSGVO-Verstoß feststellt.

Ergebnis der Schlussanträge:
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Verwaltungsgerichts Wiesbaden (Deutschland) wie folgt zu beantworten:

Art. 57 Abs. 1 Buchst. a und f sowie Art. 58 Abs. 2 Buchst. a bis j in Verbindung mit Art. 77 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)

sind dahin auszulegen, dass

die Aufsichtsbehörde, wenn sie eine Datenverarbeitung feststellt, die in die Rechte der betroffenen Person eingreift, verpflichtet ist, gemäß Art. 58 Abs. 2 der Verordnung 2016/679 einzuschreiten, soweit dies erforderlich ist, um die vollständige Beachtung dieser Verordnung zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang hat sie unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls das geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Mittel auszuwählen, um insbesondere den Rechtsverstoß zu beheben und die Rechte der betroffenen Person durchzusetzen


Die Pressemitteilung des EuGH:
Schutz personenbezogener Daten: Nach Ansicht von Generalanwalt Pikamäe ist die Aufsichtsbehörde zum Einschreiten verpflichtet, wenn sie bei der Prüfung einer Beschwerde einen Verstoß feststellt.

Die Entscheidung über die zu ergreifende Abhilfemaßnahme hänge jedoch von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab

Ein Kunde einer Sparkasse ersuchte den Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (Deutschland), gegen die Sparkasse wegen einer Verletzung des Schutzes seiner personenbezogenen Daten einzuschreiten. Eine Mitarbeiterin der Sparkasse hatte nämlich mehrmals unbefugt auf seine Daten zugegriffen.

Der Datenschutzbeauftragte stellte eine Verletzung des in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vorgesehenen Datenschutzes fest . Er kam jedoch zu dem Ergebnis, dass ein Einschreiten gegen die Sparkasse nicht geboten sei, da diese gegen die betreffende Mitarbeiterin bereits Disziplinarmaßnahmen ergriffen habe.

Der Kunde geht gegen diese Weigerung bei einem deutschen Gericht vor und beantragt, den Datenschutzbeauftragten zum Einschreiten gegen die Sparkasse zu verpflichten. Er macht u. a. geltend, dass der Datenschutzbeauftragte gegen die Sparkasse Bußgelder hätte verhängen müssen.

Das deutsche Gericht hat den Gerichtshof zu den Befugnissen und Pflichten des Datenschutzbeauftragten als „Aufsichtsbehörde“ im Sinne der DSGVO befragt.

Nach Ansicht von Generalanwalt Pikamäe ist die Aufsichtsbehörde zum Einschreiten verpflichtet, wenn sie bei der Prüfung einer Beschwerde eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten feststelle. Insbesondere habe sie die Abhilfemaßnahme(n) zu ermitteln, die zur Behebung des Verstoßes und zur Durchsetzung der Rechte der betroffenen Person am besten geeignet sei bzw. seien.

In diesem Zusammenhang räume die DSGVO der Aufsichtsbehörde zwar ein gewisses Ermessen ein, verlange jedoch, dass die Maßnahmen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig seien. Daraus ergebe sich zum einen, dass das Ermessen bei der Wahl der Mittel beschränkt sei, wenn der erforderliche Schutz nur durch ganz bestimmte Maßnahmen gewährleistet werden könne, und zum anderen, dass die Aufsichtsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen auf die Maßnahmen nach der DSGVO verzichten dürfe, wenn dies durch die besonderen Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt sei. Dies könne insbesondere dann der Fall sein, wenn der Verantwortliche bestimmte Maßnahmen aus eigener Initiative ergriffen habe. Jedenfalls habe die betroffene Person keinen Anspruch auf Erlass einer bestimmten Maßnahme . Diese Grundsätze gälten auch für die Geldbußenregelung.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:




BGH: Gewährleistungsausschlusses beim Kauf eines Oldtimers umfasst keine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung - Klimaanlage funktioniert einwandfrei

BGH
Urteil vom 10.04.2024
VIII ZR 161/23


Der BGH hat entschieden, dass ein vertraglicher Gewährleistungsausschlusses beim Kauf eines Oldtimers keine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung (hier: "Klimaanlage funktioniert einwandfrei") umfasst.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof zur Reichweite eines vertraglichen Gewährleistungsausschlusses beim Kauf eines rund 40 Jahre alten Gebrauchtwagens

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich heute mit der Frage befasst, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs mit Erfolg auf einen vertraglich vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er mit dem Käufer zugleich vereinbart hat, dass die in dem Fahrzeug befindliche Klimaanlage einwandfrei funktioniere, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht.

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb im März 2021 im Rahmen eines Privatverkaufs von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 25.000 € einen erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km.

In der Verkaufsanzeige des Beklagten auf einer Onlineplattform hieß es unter anderem: "Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung".

Im Mai 2021 beanstandete der Kläger, dass die Klimaanlage defekt sei. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, ließ dieser die Klimaanlage - im Wesentlichen durch eine Erneuerung des Klimakompressors - instandsetzen. Mit der Klage verlangt er von dem Beklagten den Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von rund 1.750 €.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehe dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch der zwischen den Parteien vereinbarte Gewährleistungsausschluss entgegen. Dieser erstrecke sich auch auf einen etwaigen Mangel an der Klimaanlage.

Zwar sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 29. November 2006 - VIII ZR 92/06) eine gleichzeitige Vereinbarung einer bestimmten Beschaffenheit der Kaufsache einerseits und eines umfassenden Ausschlusses der Gewährleistung andererseits regelmäßig dahin auszulegen, dass der Gewährleistungsausschluss nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten solle.

Jedoch müsse bei einem rund 40 Jahre alten Fahrzeug auch im Falle einer - hier hinsichtlich der Klimaanlage getroffenen - Beschaffenheitsvereinbarung angesichts der unvermeidlichen und teils gebrauchsunabhängigen Alterung einzelner Bauteile selbst dann, wenn es sich um einen hochwertigen und gepflegten Pkw handele, stets mit dem Auftreten von Instandsetzungsbedarf gerechnet werden. Demgemäß habe der Kläger in Anbetracht des Gewährleistungsausschlusses nicht erwarten dürfen, dass die schon lange Zeit über ihre technische Lebensdauer hinaus betriebene Klimaanlage auch weiterhin funktionieren werde.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Beklagte sich gegenüber dem hier im Streit stehenden Schadensersatzanspruch des Klägers nicht mit Erfolg auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann.

Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB aF (nunmehr § 434 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 1 BGB) ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für sonstige Mängel, nämlich solche im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB aF, gelten soll. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - das zwar rechtsfehlerfrei von einer hinsichtlich der einwandfreien Funktionsfähigkeit der Klimaanlage getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung ausgegangen ist - kommt eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses nicht in Betracht.

Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige - unmittelbar im Anschluss an die Angabe "Klimaanlage funktioniert einwandfrei" - erklärt hat, dass der Verkauf "unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung" erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das - aus Sicht eines verständigen Käufers - gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige, hier nicht in Rede stehende Sachmängel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB aF aufzufassen, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls - außer im (hier nicht gegebenen) Fall der Arglist des Verkäufers (§ 444 Alt. 1 BGB) - ohne Sinn und Wert wäre.

Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem - wie hier - die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Diese Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) können zwar für die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch weder für die Frage einer konkret vereinbarten Beschaffenheit noch für die hier maßgebliche Frage eine Rolle, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss im Fall einer vereinbarten Beschaffenheit hat. Vielmehr findet der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat.

Nach alledem hat der Senat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Vorinstanzen:

AG Wetzlar - 30 C 269/22 - Urteil vom 4. Oktober 2022

LG Limburg a. d. Lahn - 3 S 124/22 - Urteil vom 30. Juni 2023, veröffentlicht in juris

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 434 BGB Sachmangel (in der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung)

(1) 1Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. 2Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Sache frei von Sachmängeln,

1. wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, sonst

2. wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.

[…]

§ 437 BGB Rechte des Käufers bei Mängeln

Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,

[…]

3. nach den §§ 440, 280, 281, 283 und 311a Schadensersatz oder nach § 284 Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.




BGH: Zur Reichweite des Begriffs "Kopie der personenbezogenen Daten" im Sinne von Art. 15 Abs. 3 DSGVO

BGH
Urteil vom 05.03.2024
VI ZR 330/21
DSGVO Art. 15 Abs. 3


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung mit der Reichweite des Begriffs "Kopie der personenbezogenen Daten" im Sinne von Art. 15 Abs. 3 DSGVO befasst.

Leitsatz des BGH:
Zum Begriff "Kopie der personenbezogenen Daten" in Art. 15 Abs. 3 DSGVO.

BGH, Urteil vom 5. März 2024 - VI ZR 330/21 - OLG München - LG München I

Aus den Entscheidungsgründen:
b) Art. 15 Abs. 1 DSGVO gibt der betroffenen Person gegenüber dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) ein Auskunftsrecht über die Verarbeitung personenbezogener Daten. Art. 15 Abs. 3 DSGVO legt die praktischen Modalitäten für die Erfüllung der dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen obliegenden Verpflichtung fest, indem er unter anderem die Form bestimmt, in der die personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen sind, nämlich in Form einer "Kopie" der Daten, gewährt aber kein anderes Recht als das in Art. 15 Abs. 1 DSGVO vorgesehene (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 - C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 31 f.). Auf dieser Grundlage hat die Klägerin nur Anspruch auf Überlassung von Kopien der von ihr verfassten, bei den Beklagten vorhandenen Schreiben und E-Mails.

aa) Gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person ("betroffene Person") beziehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff weit zu verstehen. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen über die in Rede stehende Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 - C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 23 f.; Senatsurteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 22 mwN).

Nach diesen Grundsätzen sind - wovon das Berufungsgericht zu Recht ausgegangen ist - Schreiben der betroffenen Person an den Verantwortlichen ihrem gesamten Inhalt nach als personenbezogene Daten einzustufen, da die personenbezogene Information bereits darin besteht, dass die betroffene Person sich dem Schreiben gemäß geäußert hat, umgekehrt aber Schreiben des Verantwortlichen an die betroffene Person nur insoweit, als sie Informationen über die betroffene Person nach den oben genannten Kriterien enthalten (vgl. Senatsurteile vom 6. Februar 2024 - VI ZR 15/23, zVb; vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 25; BGH, Urteil vom 27. September 2023 - IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 48). Dass diese Schreiben der betroffenen Person bereits bekannt sind, schließt den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch nicht aus (vgl. Senatsurteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 25 mwN).

bb) Mit ihrem vom Berufungsgericht zuerkannten Antrag verlangt die Klägerin - wie erläutert -, ihr eine Abschrift von Telefonnotizen, Aktenvermerken, Gesprächsprotokollen, E-Mails, Briefen und Zeichnungsunterlagen für Kapitalanlagen zu überlassen, in denen personenbezogene Daten der Klägerin enthalten sind, die die Beklagten verarbeiten. Nach den Ausführungen unter aa) handelt es sich zwar bei den von der Klägerin verfassten Schreiben und E-Mails, die den Beklagten vorliegen, ihrem gesamten Inhalt nach um personenbezogene Daten, weshalb die Klägerin im Ergebnis nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO eine Kopie dieser Schreiben und E-Mails fordern kann, auch wenn sich der Begriff der Kopie in dieser Vorschrift nicht auf ein Dokument als solches bezieht, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthält (vgl. EuGH, Urteile vom 26. Oktober 2023 - C-307/22, NJW 2023, 3481 Rn. 72; vom 4. Mai 2023 - C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 32). Denn die Kopie muss alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind (EuGH, Urteile vom 26. Oktober 2023 - C-307/22, NJW 2023, 3481 Rn. 73; vom 4. Mai 2023 - C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 32, 39). Der Vollständigkeit der Auskunft kann hier nur durch eine Kopie des gesamten Dokuments genügt werden.

Demgegenüber handelt es sich - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - weder bei Schreiben und E-Mails der Beklagten, noch bei Telefonnotizen, Aktenvermerken oder Gesprächsprotokollen der Beklagten und auch nicht bei Zeichnungsunterlagen für Kapitalanlagen zwangsläufig in ihrer Gesamtheit um personenbezogene Daten der Klägerin, auch wenn sie Informationen über die Klägerin enthalten. Zwar ist bei internen Vermerken wie Telefonnotizen oder Gesprächsprotokollen, die festhalten, wie sich die Klägerin telefonisch oder in persönlichen Gesprächen äußerte, denkbar, dass der Vermerk ausschließlich Informationen über die Klägerin enthält. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass dies in allen Fällen so ist. Deshalb ergibt sich aus dem Erfordernis, eine vollständige Auskunft über personenbezogene Daten zu erteilen, kein Anspruch der Klägerin darauf, dass - wie von ihr gefordert - alle diese Dokumente im Gesamten als Kopie zu überlassen sind. Zwar kann sich die Reproduktion von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken unabhängig vom Erfordernis, eine vollständige Auskunft zu erteilen, dann als unerlässlich erweisen, wenn die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten und der betroffenen Person die wirksame Ausübung ihrer Rechte zu gewährleisten (vgl. EuGH, Urteile vom 4. Mai 2023 - C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 41, 45; vom 22. Juni 2023 - C-579/21, NJW 2023, 2555 Rn. 66; vom 26. Oktober 2023 - C-307/22, NJW 2023, 3481 Rn. 74 f.; Senatsurteil vom 6. Februar 2024 - VI ZR 15/23, zVb; BGH, Urteil vom 27. September 2023 - IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 51 ff.). Die Klägerin hat aber weder in den Vorinstanzen dazu vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten, sodass ausnahmsweise die Übermittlung einer Kopie der geforderten Telefonnotizen, Aktenvermerke, Gesprächsprotokolle, E-Mails und Briefe der Beklagten sowie Zeichnungsunterlagen für Kapitalanlagen nötig wäre.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Schleswig-Holstein: Wird eine im zentralen Schutzschriftregister hinterlegte Schutzschrift in mehreren Verfahren herangezogen fällt die Verfahrensgebühr auch mehrfach an

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 24.10.2023
9 W 7/23


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass die Verfahrensgebühr mehrfach anfällt, wenn eine im zentralen Schutzschriftregister hinterlegte Schutzschrift in mehreren Verfahren herangezogen wird.

LG Darmstadt: Pflicht zur Grundpreisangabe nach § 4 PAngV wenn Angebot im Internet für Verbraucher einsehbar und nicht eindeutig und unmissverständlich auf B2B-Kunden beschränkt ist

LG Darmstadt
Urteil vom 19.02.2024
18 O 18/23


Das LG Darmstadt, hat entschieden, dass die Pflicht zur Grundpreisangabe nach § 4 PAngV auch dann besteht, wenn das Angebot im Internet für Verbraucher einsehbar und nicht eindeutig und unmissverständlich auf B2B-Kunden beschränkt ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt, da er in die Liste nach § 8b UWG eingetragen ist und ihm eine erhebliche Zahl von Unternehmen unmittelbar oder mittelbar angehören, die auf dem hier sachlich und räumlich maßgeblichen Markt tätig sind, und er nach seiner Ausstattung seine satzungsmäßigen Aufgaben auch tatsächlich wahrnehmen kann.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass dem Kläger mehrere Einzelhandelsverbände und bedeutende Unternehmen aus der Lebensmittelbranche angehören. Dies hat der Kläger insbesondere durch die als Anlagenkonvolut K 20 vorgelegte E-Mail-Korrespondenz samt Anlagen, den als Anlage K 24 vorgelegten Auszug aus der Mitgliederliste 2023 – Stand: 05.07.2023 belegt, was im Kern auch durch den Zeugen A bestätigt wurde.

Der Zeuge A hat zahlreiche Einzelhandelsverbände und Unternehmen genannt und erläutert, welche Produkte auf welchem Weg von diversen Unternehmen vertrieben werden. Dabei konnte der Zeuge A auch angeben, wieso er hiervon Kenntnis hat.

Der Zeuge A ist glaubwürdig und seine Aussage glaubhaft. Die Kammer verkennt nicht, dass der Zeuge bei dem Kläger beschäftigt ist. Gleichwohl wirkte seine Aussage authentisch, erlebnisbezogen und nicht ansatzweise abgesprochen. Gegen ein bloßes Wiedergeben von auswendig Gelerntem spricht insbesondere, dass der Zeuge überhaupt nicht vorbereitet und mitunter sogar ein wenig „von der Rolle“ wirkte. Es bedurfte mehrerer Nachfragen und Umformulierungen, bis der Zeuge die Fragen verstanden hat.

Dass der Kläger nach seiner Ausstattung seine satzungsmäßigen Aufgaben auch tatsächlich wahrnehmen kann, ist gerichtsbekannt.

Eine missbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen im Sinne von § 8c UWG durch den Kläger mit der Folge, dass die Klage- bzw. Prozessführungsbefugnis fehlt (vgl. Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl. 2024, § 8c Rn. 3) ist unter Berücksichtung der Gesamtumstände nicht anzunehmen. Die Kammer ist insbesondere nicht davon überzeugt, dass der Kläger wettbewerbswidriges Verhalten eigener Mitglieder planmäßig nicht verfolgt und die Möglichkeit besteht, sich durch eine Mitgliedschaft beim Kläger vor einer wettbewerbsrechtlichen Inanspruchnahme zu schützen. In diesem Zusammenhang hat der Zeuge A konkrete Beispiele genannt von Unternehmen, die beim Kläger Mitglied sind, namentlich X und Y GmbH, und gegen die der Kläger vorgeht. Soweit gegen das Unternehmen Y GmbH zunächst nicht vorgegangen wurde, hat der Zeuge A überzeugend dargestellt, warum dies der Fall war und erläutert, wieso ihm ein Fehler unterlaufen ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es einem Verband auch nicht grundsätzlich verwehrt ist, nur gegen bestimmte Verletzer vorzugehen (vgl. BGH, Urteil vom 17.8.2011 - I ZR 148/10).

Die Klage ist im Klageantrag zu 1. begründet. Der Unterlassungsanspruch ergibt sich aus §§ 3, 3a, 8 Abs.1 und Abs. 3 Nr. 2 UWG in Verbindung mit § 4 PAngG.

Bei bestehender Wiederholungsgefahr kann nach § 8 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 UWG auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer eine gemäß § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt. Dabei handelt gemäß § 3a UWG unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

Die Kammer ist nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Beklagte im Internet ein Angebot über Yogurette Erdbeer 300g veröffentlicht hat, das für jedermann sichtbar war, und das entgegen § 4 PAngV keine Angaben zum Grundpreis im Sinne von § 2 Nr. 1 PAngV und § 5 PAngV enthielt.

Die Kammer war sich im Rahmen der Beweiswürdigung stets bewusst, dass eine Behauptung dann erwiesen ist, wenn das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugt ist, ohne dabei unerfüllbare Anforderungen zu stellen. So genügt hierfür, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und jede Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, ein für einen vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. nur BGH, Urteil vom 18.6.1998 - IX ZR 311/95; Urteil vom 18.1.2000 - VI ZR 375/98; Urteil vom 6.5.2015 - VIII ZR 161/14; Urteil vom 23.6.2020 - VI ZR 435/19; OLG Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 15.11.2018 - 3 U 152/17).

Bei der Beweiswürdigung hat die Kammer insbesondere das Ergebnis der Beweisaufnahme, die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, die Beweisanzeichen und Indizien sowohl im Einzelnen, aber auch in ihrer Gesamtschau berücksichtigt.

Dafür, dass das im Klageantrag zu 1. dargestellte Angebot über Yogurette Erdbeer 300g in dieser Form von jedermann, also auch für Verbraucher, aufzufinden war, spricht zunächst der Bildschirmausdruck: Neben der Suchleiste befindet sich die Formulierung „Hallo, anmelden“, woraus sich ergibt, dass eine besondere Anmeldung für das Auffinden dieses Angebots nicht erforderlich war. Diese Annahme wird bestätigt durch die glaubhafte Aussage der Zeugin B, die ausgesagt hat, dass sie sich nicht angemeldet habe und das streitgegenständliche Angebot ohne Anmeldung habe auffinden können. In diesem Zusammenhang hat die Zeugin weiter überzeugend ausgeführt, dass sie vor diesem Rechtsstreit nicht wirklich gewusst habe, dass es ein „[…] Business Konto“ gibt, und dass sie normalerweise nach jedem Angebot, dass sie prüfe, den Browser schließe mit der Folge, dass dann „alles weg“ sei.

Die Aussage der glaubwürdigen Zeugin B ist glaubhaft. Die Zeugin wirkte nicht ansatzweise von einem Belastungseifer getrieben und schilderte erlebnisbezogen und detailreich, wie sie seinerzeit auf das Angebot der Beklagten gestoßen ist. Die Zeugin konnte auch differenziert von der üblichen Vorgehensweise und den Einzelheiten des in Rede stehenden Geschehens berichten.

Soweit der Zeuge C im Rahmen seiner Aussage beschrieben hat, wie er das Angebot in das Internet eingestellt hat, ist bemerkenswert, dass er offenbar allein durch die Angabe einer Mindestbestellmenge davon ausging, dass dieses Angebot ausschließlich Besuchern der […] -Internet-Handelsplattform angezeigt wird, die nicht Verbraucher sind. Bemerkenswert ist auch die Aussage des Zeugen, dass es grundsätzlich möglich gewesen wäre, das in Rede stehende Angebot „auch ohne Anmeldung über ein […] Business Konto aufzurufen“. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Zeuge anschließend relativierend beschrieben hat, dass die bloße Eingabe der Suchbegriffe „Yogurette 300g“ nicht ausgereicht hätte und dazu mehr erforderlich gewesen wäre. Gleichwohl hat der Zeuge sinngemäß eingeräumt, dass das streitgegenständliche Angebot für einen technisch nicht völlig unerfahrenen Verbraucher ohne Verstoß gegen Nutzungsbedingungen von […] aufzufinden gewesen wäre. Dem stehen auch nicht die Ausführungen des Zeugen C zu den von ihm vorgenommenen Kontrollen im Hinblick auf die zutreffende Platzierung der von der Beklagten angebotenen Produkte auf der […] -Internet-Handelsplattform entgegen.

Dass der Zeuge C ausgesagt hat, dass er der Überzeugung ist, dass der Artikel nicht von einer Privatperson hätte gekauft werden können, ist unerheblich. Denn bei Internetangeboten, die für jedermann zugänglich sind, ist davon auszugehen, dass sie zumindest auch Privatkunden ansprechen, wenn sie nicht eindeutig und unmissverständlich eine Beschränkung auf Wiederverkäufer enthalten (vgl. BGH, Urteil vom 29.4.2010 - I ZR 99/08). Der Werbende kann sich in diesem Fall nicht darauf berufen, dass er mit Verbrauchern keine Verträge schließt, um die Anwendung der PAngV auszuschließen (so zutreffend Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl. 2024, PAngV, Vorbemerkung [Vor § 1] Rn. 29). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist bei dem in Rede stehenden Angebot eine Beschränkung auf Wiederverkäufer nicht ersichtlich. Insbesondere führt die Angabe einer Mindestbestellmenge von „6“ nicht dazu, dass der durchschnittliche Privatkunde, der auf das Angebot der Beklagten stößt, davon ausgeht, dass sich dieses Angebot ausschließlich an Wiederverkäufer richtet (vgl. BGH, a.a.O.), zumal auch ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich die Preisangabe von 5,69 € inklusive Umsatzsteuer versteht.

Der Hinweis der Beklagten, dass es für den […]-Marketplace-Verkäufer keinen Schalter gebe, mit dem man festlegen könne, ob ein Grundpreis anzuzeigen ist oder nicht, verfängt nicht. Denn grundsätzlich darf eine Plattform, bei der nicht sichergestellt ist, dass ein (auch) Privatkunden ansprechendes Angebot den Grundpreis enthält, nicht verwendet werden (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 5.5.2023 - 6 W 28/23).

Der in Rede stehende Wettbewerbsverstoß beeinträchtigt die Interessen der Verbraucher zwangsläufig auch spürbar (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 9.2.2012 - I-4 U 70/11)

Die Erstattungsfähigkeit der Abmahnkosten in Höhe von 130 € ergibt sich aus § 13 Abs. 3 UWG. Eine Erstattungsfähigkeit der anteilig berechneten und in der Höhe nicht zu beanstandeten Kosten aus Personal- und Sachmittelaufwand ist unter besonderer Berücksichtigung der Ausführungen in dem Schreiben des Klägers vom 13.4.2023 (Anlage K 14). zu bejahen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: