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BGH: Verfahrensgebühr gemäß § 15a Abs. 1 RVG auch in Altfällen in voller Höhe festsetzbar, wenn außergerichtlich eine Geschäftsgebühr angefallen ist

BGH
Beschluss vom 02.11.2009 - II ZB 35/07
RVG § 15 a, RVG VV Vorb. 3 Abs. 4 VV; ZPO § 91


Der Gesetzgeber hat durch die Einfügung von § 15 a Abs. 1 RVG (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariel-en Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften, BGBl I S. 2449) die bereits unter Geltung des § 118 BRAGO und nachfolgend unter Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG bestehende Gesetzeslage klargestellt. Die Anrechnungsvorschrift wirkt sich danach grundsätzlich im Verhältnis zu Dritten, damit insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aus. Im Kostenfestsetzungsverfahren musste und muss eine Verfahrensgebühr, von den in § 15 a Abs. 2 RVG geregelten Ausnahmen abgesehen, stets auch dann in der geltend gemachten Höhe festgesetzt werden, wenn für den Bevollmächtigten des Erstattungsberechtigten eine Geschäftsgebühr entstanden ist.
BGH, Beschluss vom 2. September 2009 - II ZB 35/07 - OLG Stuttgart
LG Stuttgart

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 2. September 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Kraemer, Dr. Strohn, Caliebe und Dr. Löffler
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. Oktober 2007 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 676,52 €

Gründe:

I.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. August 2007 hat die Rechts-pflegerin des Landgerichts die von den (vollumfänglich) unterlegenen Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf 3.073,84 € festgesetzt. In diesem Betrag ist u.a. die von der Klägerin für ihren Bevollmächtigten geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG in voller Höhe berücksichtigt. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Begründung, wegen der vorgerichtlichen Tätigkeit des Bevollmächtigten der Klägerin und der dadurch entstandenen 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG sei im Hinblick auf die Anrechnungsregelung in Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG die Verfahrensgebühr nur in Höhe von 0,55 entstanden und nur in dieser Höhe festsetzbar.

Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

II.
Die statthafte und frist- und formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Beklagten (§§ 574 Abs. 1 Nr. 2, 575 ZPO) hat in der Sache keinen Erfolg. Die Rechtspflegerin hat zu Recht die von den Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf insgesamt 3.073,84 € festgesetzt und dabei die Verfahrensgebühr des Bevollmächtigten der Klägerin in der geltend gemachten Höhe von 1,3 Gebühren trotz der unstreitig entfalteten außergerichtlichen Tätigkeit des Bevollmächtigten berücksichtigt.

1. Die Beklagten stützen - vor allem im Rechtsbeschwerdeverfahren - ihre Ansicht auf die neuere Rechtsprechung einiger Senate des Bundesgerichtshofs. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung mit Beschluss vom 22. Januar 2008 (VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323 ff.) - abweichend von der bis dahin feststehenden höchstrich-terlichen Rechtsprechung (Beschl. v. 20. Oktober 2005 - I ZB 21/05, NJW-RR 2006, 501; v. 27. April 2006 - VII ZB 116/05, NJW 2006, 2560 und v. 30. Januar 2007 - X ZB 7/06, NJW 2007, 3289) und ohne sich mit ihr auseinanderzusetzen - entschieden, dass in einem Fall wie dem vorliegenden die Verfahrensgebühr nur in Höhe von 0,55 festgesetzt werden könne, da sie im Hinblick auf die vorgerichtliche Tätigkeit des Bevollmächtigten und die Anrech-nungsregelung in Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG überhaupt nur in dieser Höhe "entstehe". Dem haben sich mehrere Senate des Bundesgerichtshofs ohne eigene Begründung angeschlossen.

Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum ganz überwiegend und z.T. auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung auf - teilweise heftige - Kritik gestoßen (s. nur Schons, AnwBl. 2008, 356; Hansen, RVG-Report 2008, 121; Junglas, NJOZ 2008, 2707; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG 18. Aufl. VV 3100 Rdn. 217; Bericht der Gebührenreferenten der RAK, RVG-Report 2008, 210; KG JurBüro 2008, 304; AnwBl. 2009, 236). Selbst der Petitionsausschuss des Bundestages hat den Gesetzgeber aufgefordert, tätig zu werden.

2. Den erkennenden Senat überzeugt die Ansicht des VIII. Zivilsenats nicht. Ohne die gegen diese Lösung des Anrechnungsproblems anzuführenden systematischen, teleologischen und sprachlichen Argumente im Einzelnen darzustellen, vermag der Senat ihr nicht zuletzt im Hinblick auf die teilweise zu Recht als katastrophal bezeichneten Folgen aber auch, weil er sie aus den gesetzlichen Bestimmungen nicht abzuleiten vermag, nicht zu folgen.

Statt im Hinblick auf seine abweichende Meinung den Großen Senat für Zivilsachen anzurufen, hat der Senat die Bearbeitung des vorliegenden Rechts-beschwerdeverfahrens zurückgestellt, nachdem der Gesetzgeber die vom VIII. Zivilsenat begründete Rechtsprechung zum Anlass für eine klarstellende Änderung des RVG genommen hat. Das Gesetzgebungsverfahren hat am 4. August 2009 durch Verkündung des § 15 a RVG (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften) im Bundesgesetzblatt (BGBl I S. 2449) sein Ende gefunden. § 15 a RVG ist gemäß Art. 10 Satz 2 dieses Gesetzes am Tag nach der Verkündung (5. August 2009) in Kraft getreten.

Mit dem neu eingefügten § 15 a RVG hat der Gesetzgeber das RVG nicht geändert, sondern lediglich die seiner Ansicht nach bereits vor Einfügung von § 15 a RVG bestehende Gesetzeslage in dem Sinne, wie auch der erkennende Senat sie verstanden hat, klargestellt, derzufolge sich die Anrechnung gemäß Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG grundsätzlich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht auswirkt. Die Anrechnungs-vorschrift betrifft vielmehr grundsätzlich nur das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant. In der Kostenfestsetzung musste und muss daher eine Ver-fahrensgebühr auch dann in voller Höhe festgesetzt werden, wenn für den Bevollmächtigten eine Geschäftsgebühr entstanden ist. Sichergestellt wird durch § 15 a Abs. 2 RVG lediglich, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz und Erstattung in Anspruch genommen werden kann, den der Anwalt von seinem Mandanten verlangen kann (siehe hierzu BT-Drucks. 16/12717 S. 2 und S. 67 f.; Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 5. April 2009; ebenso OLG Stuttgart, Beschl. v. 11. August 2009 - 8 W 339/09, juris Tz. 10; OLG Dresden, Beschl. v. 13. August 2009 - 3 W 0793/09, n.v.; OVG Münster, Beschl. v. 11. August 2009 - 4 E 1609/09, juris Tz. 9 ff.; Kallenbach, AnwBl. 2009, 442; Schons, AGS 2009, 216, 217; Hansens, RVG-Report 2009, 241, 246; ders. AnwBl. 2009, 535 ff.).

3. Da - unstreitig - keiner der Anwendungsfälle des § 15 a Abs. 2 RVG vorliegt, hat die Rechtspflegerin die Verfahrensgebühr mit Recht in voller Höhe festgesetzt.

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