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LG Düsseldorf: Beschränkung des fliegenden Gerichtsstands in § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG gegen den Wortlaut einschränkend auszulegen

LG Düsseldorf
Beschluss vom 15.01.2021
38 O 3/21


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass die Beschränkung des fliegenden Gerichtsstands in § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG einschränkend auszulegen ist und nur für Wettbewerbsverstöße gelten soll, die tatbestandlich ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder über Telemedien voraussetzen. Die Ansicht des LG Düsseldorf gegen den Wortlaut und ohne Rückhalt in der Gesetzesbegründung dürfte - unabhängig davon, was man von der Regelung halten mag - kaum vertretbar sein und wurde auch vom OLG Düsseldorf bereits ( siehe dazu Beschluss vom 16.02.2021 - I-20 W 11/21 ) korrigiert.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Für die Entscheidung über den Verfügungsantrag ist das angerufene Landgericht Düsseldorf gemäß §§ 937 Abs. 1, 943 Abs. 1 ZPO zuständig. Vor ihm könnte im ersten Rechtszug die Hauptsacheklage erhoben werden. Daran hat die am 2. Dezember 2020 – und damit vor Eingang des Verfügungsantrags – in Kraft getretene Änderung des UWG durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26. November 2020 nichts geändert.

a) Gemäß § 14 Abs. 2 S. 2 UWG in der seit dem 2. Dezember 2020 geltenden Fassung ist für ein Hauptsacheverfahren das Landgericht Düsseldorf örtlich zuständig. Die nach Auffassung der Antragstellerin gegebenen und wettbewerbsrechtlich zu sanktionierenden Zuwiderhandlungen sind in seinem Bezirk begangen worden.

Unter dem Begehungsort ist nach dem zu § 32 ZPO entwickelten und für § 14 Abs. 2 S. 1 UWG a.F. gleichermaßen geltenden überkommenen deutschen zivilprozessualen Verständnis ebenso wie nach den für die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ, Art. 5 Nr. 3 Brüssel-I-VO, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO und Art. 5 Nr. 3 LugܠI bzw. LugܠII anzuwenden Maßstäben (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 16. Juni 2016 – C-12/15 – Universal Music International Holding/Schilling u.a. [Rn. 28]; BGH, Urteil vom 30. März 2006 – I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet [unter II 1]) sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort gemeint (vgl. auch §§ 9 Abs. 1 StGB; 7 Abs. 1 OWiG). Letzterer ist bei unlauteren Wettbewerbshandlungen überall dort belegen, wo sich die Handlung bestimmungsgemäß (zumindest auch) auswirken soll (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2019 – I ZR 222/17 – Club Hotel Robinson [unter B III 2 a]).

Das ist hier unter anderem jeder im Bezirk des Landgerichts Düsseldorf gelegene Ort. Die Antragsgegnerin spricht mit ihrem Angebot (auch) die dort ansässige (potentielle) Marktgegenseite an und für diese kann sämtliche angegriffenen Werbemaßnahmen dort wahrnehmen.

b) Der danach gegebene Gerichtsstand des Begehungsortes ist nicht nach § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG ausgeschlossen.

aa) Dieser Ausnahmetatbestand umfasst entgegen seinem (insoweit missverständlichen) Wortlaut nicht jegliches unlautere Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien, sondern ist seinem Sinn und Zweck nach beschränkt auf solche Zuwiderhandlungen, bei denen der geltend gemachte Rechtsverstoß tatbestandlich an ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien anknüpft.

Die durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs eingeführte Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands der unerlaubten Handlung sollte durch die letztlich verabschiedete Entwurfsänderung (in der auf die zunächst geplante nahezu vollständige Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands für Inlandsfälle [vgl. § 14 Abs. 2 des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BT-Drs. 19/12084, S. 10] zugunsten der verabschiedeten Regelung verzichtet wurde) auf die in dem Zusammenhang mit missbräuchlichen Abmahnungen als besonders anfällig angesehenen Verstöße zurückgeführt werden (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutzs, BT-Drs. 19/22238 S. 18). Solche (abmahn)missbrauchsanfälligen Zuwiderhandlungen wurden im Gesetzgebungsverfahren in Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten auf Telemedien gesehen. Dieser Befund war gestützt auf die Erwägung, dass im Online-Handel Verstöße durch den Einsatz von Crawlern einfach und automatisiert festgestellt werden könnten und zahlreiche besondere Informationsverpflichtungen bestünden (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutzs, BT-Drs. 19/22238 S. 16; Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/12084, S. 32).

Auf diese, von dem Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs in den Blick genommene Fallgruppe beschränkt sich dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG entsprechend ihr Regelungsbereich. Eine andere Sichtweise wäre nicht nur unzweckmäßig und unpraktikabel, sondern liefe auf die mit der abschließenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs gerade nicht gewollte weitgehende Abschaffung des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung hinaus. Dieser käme bei einem am Wortlaut haftenden Verständnis von § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG bei sich unter Nutzung moderner Kommunikationstechniken verbreiteten geschäftlichen Handlungen praktisch nicht mehr zum Zuge und führte zu sachlich nicht gerechtfertigten Ergebnissen.

Beispielsweise müsste bei einem gerichtlichen Vorgehen gegen eine nach § 4 Nr. 1 UWG unlautere Verunglimpfung, das nach § 4 Nr. 3 UWG unlautere Angebot einer Nachahmung, eine nach § 7 UWG unzulässige unzumutbare Belästigung, eine nach § 4a UWG unlautere aggressive oder eine nach den §§ 5 bis 6 UWG unlautere irreführende geschäftliche Handlung jeweils danach unterschieden werden, ob die angegriffene geschäftliche Handlung – also konkret etwa die individuelle Ansprache eines Verbrauchers, die Veröffentlichung eines Verkaufsangebots oder einer Werbung – über Telemedien bzw. im elektronischen Geschäftsverkehr an einzelne Verbraucher oder die Öffentlichkeit herangetragen worden ist oder über klassische Medien bzw. im stationären Handel, auf Märkten und im nicht über Telemedien abgewickelten Versandhandel. Eine solche, nach dem anzuwendenden materiellen Recht nicht vorzunehmende Unterscheidung hätte zur Konsequenz, dass gegen einen Mitbewerber verunglimpfenden oder Kunden über Produkteigenschaften irreführenden Werbespot für Bergschuhe bundesweit vorgegangen werden könnte, wenn er als Kinowerbung verbreitet wird, während gegen denselben Spot eines in Hamburg ansässigen Unternehmers, der den Spot über das Internet mittels Geo-Targeting ausschließlich in Bayern ausspielen lässt um speziell dort ansässige Verbraucher zu erreichen, nur in Hamburg vorgegangen werden könnte. Ferner müsste ein in Bayern ansässiger Mitbewerber, der zunächst nur die Kinowerbung bemerkt hat und dagegen in München vorgegangen ist, ein weiteres Verfahren in Hamburg anstrengen, wenn er später im Internet auf eine in Einzelheiten abweichende Version des Werbespots stößt.

Solche Ergebnisse wären offensichtlich regelungszweckwidrig. Entsprochen wird dem Sinn und Zweck des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs hingegen, wenn der Ausschlusstatbestand des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG auf solche Fälle nicht angewandt wird, in denen ein Gesetzesverstoß auch dann vorläge, wenn der Verletzer nicht im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien gehandelt hätte, sondern der Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG auf solche Konstellationen beschränkt wird, in denen die Annahme des Verstoßes zwingend ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien erfordert, mit anderen Worten der Verstoß tatbestandlich an ein solches Handeln anknüpft und bei Nutzung eines anderen Kommunikationskanals nicht verwirklicht werden könnte.

Auf diese Weise verstanden ist die in § 14 Abs. 2 S. 2 und S. 3 Nr. 1 UWG getroffene Regelung praktikabel. Die bei dieser Lesart von § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG erfassten Fälle lassen sich (jedenfalls zu einem Großteil) gut voneinander abgrenzen.

Außerdem (und vor allem) erfüllt die Vorschrift bei dieser Auslegung ihren Regelungszweck. Die tatbestandlich an ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien anknüpfenden und in diesem Bereich insbesondere kleineren Unternehme(r)n unterlaufenden Verstöße sind gerade jene, bei denen während des Gesetzgebungsverfahrens eine Missbrauchsanfälligkeit erkannt wurde.

bb) Die von der Antragstellerin angenommenen Zuwiderhandlungen sind, soweit sie in Telemedien stattgefunden haben, keine solchen, die tatbestandlich an ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien anknüpfen. Die Antragstellerin leitet die von ihr angenommenen Rechtsverstöße durch die betreffenden geschäftlichen Handlungen – also das Bereitstellen und Bereithalten der Internetseiten mit den von der Antragstellerin beanstandeten Angaben sowie des auf der Plattform YouTube eingestellten Videos für einen Abruf durch den Nutzer – aus einer Verletzung des Irreführungsverbots (§§ 5, 5a UWG) und damit von Vorschriften her, die tatbestandlich an den von der geschäftlichen Handlung hervorgerufenen Gesamteindruck und nicht an ihren Verbreitungsweg anknüpfen. Das zeigt eine Kontrollüberlegung anhand der (zu bejahenden) Frage, ob der von der Antragstellerin angenommene Rechtsverstoß auch dann vorläge, wenn die Antragsgegnerin ihre Werbemaßnahmen nicht im Internet, sondern in Anzeigen, Katalogen oder im Fernsehen veröffentlicht hätte.

2. Die funktionelle Zuständigkeit der angerufenen Kammer für Handelssachen ergibt sich aus § 95 Abs. 1 Nr. 5 GVG. Daran hat der ersatzlose Wegfall der (nur deklaratorischen) Regelung in § 13 Abs. 1 S. 2 UWG a.F. nichts geändert (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/12084, S. 36).


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Bundesnetzagentur hat ein Bußgeld in Höhe von 260.000 EURO gegen ein Call-Center wegen unerlaubter Telefonwerbung verhängt

Die Bundesnetzagentur hat ein Bußgeld in Höhe von 260.000 EURO gegen ein Call-Center wegen unerlaubter Telefonwerbung verhängt.

Die Pressemitteilung des Bundesnetzagentur:

Die Bundesnetzagentur hat gegen das Call-Center KiKxxl GmbH eine Geldbuße in Höhe von 260.000 Euro verhängt.

"Wir ahnden unerlaubte Telefonwerbung und gehen konsequent gegen alle beteiligten Unternehmen vor", sagt Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur. "Call-Center sind bei der Beachtung der gesetzlichen Regelungen genauso in der Pflicht wie ihre Auftraggeber."

Werbeanrufe ohne Zustimmung
Die KiKxxl GmbH hatte nach Erkenntnissen der Bundesnetzagentur im Auftrag verschiedener marktstarker Unternehmen aus der Telekommunikations-, Energie- und Versicherungsbranche unerlaubte Werbeanrufe durchgeführt.

Gravierende Mängel bei der Prüfung von Werbeeinwilligungen
Das Call-Center führte all diese Anrufe durch, obwohl in den im Bußgeldbescheid berücksichtigten Fällen keine oder keine wirksamen Werbeeinwilligungen der angerufenen Verbraucher vorlagen. Im Rahmen des Verfahrens hatte sich unter anderem herausgestellt, dass die KiKxxl GmbH das Vorliegen solcher Werbeeinwilligungen unzureichend und zum Teil gar nicht geprüft hatte. Dies führte dazu, dass sie viele Einwilligungsdaten verwendete, die veraltet, rechtsfehlerhaft oder sogar nicht authentisch waren. Obwohl sich zahlreiche Verbraucher bei dem Unternehmen über erhaltene Werbeanrufe beschwerten und auf die Probleme hinwiesen, setzte es seine Praxis fort.

Viele Betroffene berichteten zudem gegenüber der Bundesnetzagentur, dass trotz Untersagung weiterer Anrufe gehäuft Kontaktaufnahmen erfolgten, durch die sie sich massiv belästigt fühlten.

Gegen die beauftragenden Unternehmen hatte die Bundesnetzagentur wegen des Vorwurfs rechtswidriger Werbeanrufe ebenfalls bereits in einem Fall ein hohes Bußgeld verhängt.

Die Geldbuße gegen die KiKxxl GmbH ist noch nicht rechtskräftig. Das Unternehmen hat Einspruch gegen die Entscheidung der Bundesnetzagentur eingelegt. Für die gerichtliche Entscheidung hierüber ist das Amtsgericht Bonn zuständig.

Unerlaubte Telefonwerbung melden
Verbraucherinnen und Verbraucher, die Werbeanrufe erhalten, in die sie nicht eingewilligt haben oder die sie trotz eines Werbewiderrufs erhalten, können sich bei der Bundesnetzagentur unter www.bundesnetzagentur.de/telefonwerbung-beschwerde melden. Um die Täter überführen zu können, sind möglichst präzise und detaillierte Angaben hilfreich.



BGH: Schwarzwälder Schinken muss nicht zwingend im Schwarzwald geschnitten und verpackt werden - Erfordernis nicht produktspezifisch gerechtfertigt

BGH
Beschluss vom 03.09.2020
I ZB 72/19
Schwarzwälder Schinken II
VO (EU) Nr. 1151/2012 Art. 7 Abs. 1 Buchst. e


Der BGH hat in Umsetzung des Urteils des EuGH vom 19.12.2018 - C‑367/17 entschieden, dass Schwarzwälder Schinken nicht zwingend im Schwarzwald geschnitten und verpackt werden muss. Dieses Erfordernis ist - so der BGH - nicht produktspezifisch gerechtfertigt

Leitsätze des BGH:

a) Eine Änderung der Spezifikation, die die Zuerkennung einer geschützten geografischen Angabe an die Aufmachung im Erzeugungsgebiet knüpft, ist nur gerechtfertigt, wenn einer der drei in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 genannten Rechtfertigungsgründe - Qualitätswahrung oder Ursprungsgewährleistung oder Kontrollgewährleistung - vorliegt.

b) Bei der Prüfung, ob die Wahrung der Qualität des in Rede stehenden Erzeugnisses (hier: von der geschützten geografischen Angabe "Schwarzwälder Schinken" erfasster Schinken) das Erfordernis der Aufmachung (hier: das Schneiden und Verpacken) im Erzeugungsgebiet (hier: im Schwarzwald) erfordert, kommt es darauf an, ob dieses Erfordernis produktspezifisch gerechtfertigt ist. Eine produktspezifische Rechtfertigung liegt nur vor, wenn das betreffende Erzeugnis bei einer Verarbeitung außerhalb des Erzeugungsgebiets im Vergleich zu anderen vergleichbaren Erzeugnissen erhöhten Risiken ausgesetzt ist, denen mit den vorgesehenen Maßnahmen wirksam begegnet werden kann.

c) Das Erfordernis der Aufmachung im Erzeugungsgebiet ist unter dem Gesichtspunkt der Ursprungsgarantie und der Rückverfolgbarkeit des Erzeugnisses nur gerechtfertigt, wenn die Spezifikation zur Gewährleistung des Ursprungs des Erzeugnisses Kontrollen vorsieht, die innerhalb des Erzeugungsgebiets effektiver als außerhalb dieses Gebiets vorgenommen werden können.

d) Das Erfordernis der Aufmachung eines von einer geschützten geografischen Angabe erfassten Erzeugnisses im Erzeugungsgebiet ist gerechtfertigt, wenn es dem Ziel dient, eine wirksame Kontrolle der Spezifikation für diese geschützte geografische Angabe zu gewährleisten. Dabei muss es sich um Kontrollen handeln, die außerhalb des Erzeugungsgebiets weniger Garantien für die Qualität und Echtheit dieses Erzeugnisses geben als Kontrollen, die im Erzeugungsgebiet unter Einhaltung der in der Spezifikation vorgesehenen Verfahren durchgeführt werden.

BGH, Beschluss vom 3. September 2020 - I ZB 72/19 - Bundespatentgericht

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Volltext BGH liegt vor: Urlaubslotto - Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Werbung für Gewinnspiel mit Foto eines ehemaligen Traumschiffkapitäns ohne Zustimmung

BGH
Urteil vom 21. Januar 2021
I ZR 207/19
Urlaubslotto
KUG § 22 Satz 1, § 23 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; BGB § 823 Abs. 1, Abs. 2; § 1004 Abs. 1 Satz 2


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Werbung der Bild am Sonntag für Gewinnspiel mit Foto eines ehemaligen Traumschiffkapitäns ohne Zustimmung des Schauspielers über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:

Ein Foto, das eine prominente Person zeigt und von einem breiten Publikum als Symbolbild (hier: für eine Kreuzfahrt) angesehen wird, darf - selbst in einem redaktionellen Kontext - nicht schrankenlos zur Bebilderung eines Presseartikels (hier: über ein Gewinnspiel, dessen Hauptgewinn eine Kreuzfahrt ist) genutzt werden. Der Symbolcharakter des Fotos ist vielmehr in die nach §§ 22, 23 KUG vorzunehmende umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen einzustellen.

BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 - I ZR 207/19 - OLG Köln - LG Köln

BGH: Klausel in AGB eines Verlages welche Beendigung der Zusammenarbeit für Neuausgabe eines juristischen Großkommentars ohne Grund vorsieht kann nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sein

BGH
Urteil vom 20.12.2018
I ZR 133/17
Neuausgabe
BGB § 307 Abs. 1 Satz 1


Der BGH hat entschieden, dass eine Klausel in AGB eines Verlages, welche die Beendigung der Zusammenarbeit für die Neuausgabe eines juristischen Großkommentars ohne sachlichen Grund und Mitteilung vorsieht, kann nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sein kann.

Der klagende Universitätsprofessor hatte die Veröffentlichung der Entscheidung durch diverse Rechtsmittel über mehrere Jahre blockiert.

Leitsatz des BGH:

Eine Allgemeine Geschäftsbedingung, nach der der Verlag eines juristischen Großkommentars berechtigt ist, eine Erstreckung der vertraglichen Zusammenarbeit auf eine Neuausgabe abzulehnen, ohne dass dafür ein sachlicher Grund vorliegt und dem Kommentator mitgeteilt wird, kann sich als ein hinreichend bedeutsamer Nachteil im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen, der sich bei umfassender Würdigung der relevanten Umstände als unangemessen
erweist.

BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 133/17 - OLG München - LG München

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BGH: Im Ordnungsmittelverfahren können wiederholte Verstöße gegen eine Unterlassungsverurteilung zu natürlicher Handlungseinheit zusammengefasst werden

BGH
Beschluss vom 17.12.2020
I ZB 99/19
ZPO § 890 Abs. 1 Satz 1; EGStGB Art. 9 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass im Ordnungsmittelverfahren wiederholte Verstöße gegen eine Unterlassungsverurteilung zu einer natürlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden können, wenn die dafür notwendigen Voraussetzungen vorliegen.

Leitsätze des BGH:

a) Im Ordnungsmittelverfahren können wiederholte Verstöße gegen eine Unterlassungsverurteilung unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden, die aufgrund ihres räumlich-zeitlichen Zusammenhangs so eng miteinander verbunden sind, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen.

b) Kann bei natürlicher Betrachtungsweise angenommen werden, dass der Schuldner jeweils einen neuen Entschluss zum Verstoß gegen eine titulierte Unterlassungsverpflichtung gefasst oder einen bereits gefassten Entschluss bewusst bekräftigt hat, spricht dies gegen das Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit und für die Annahme von mehreren Zuwiderhandlungen.

c) Zu einer natürlichen Handlungseinheit können nur solche Verhaltensweisen zusammengefasst werden, die gegen dasselbe gerichtliche Verbot verstoßen.

d) Ordnungsmittel gemäß § 890 ZPO können nicht mehr verhängt werden, wenn während des Ordnungsmittelverfahrens gemäß Art. 9 Abs. 1 EGStGB Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Dabei handelt es sich um ein Verfahrenshindernis, das von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen ist.

e) Verfolgungsverjährung kann nicht mehr eintreten, soweit auf Antrag des Gläubigers innerhalb
unverjährter Zeit ein Ordnungsgeld festgesetzt worden ist.

BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 - I ZB 99/19 - OLG Stuttgart - LG Stuttgart

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LG Frankfurt: Schadensersatz gem. Art. 82 DSGVO - Rechtsgut der betroffenen Person muss infolge der Verletzung einer DSGVO-Norm im Vergleich zum status quo ante nachteilig verändert worden sein

LG Frankfurt
Urteil vom 18.09.2020
2-27 O 100/20


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO voraussetzt, dass ein Rechtsgut der betroffenen Person infolge der Verletzung einer Norm der DSGVO im Vergleich zum status quo ante nachteilig verändert wurde.

Aus den Entscheidungsgründen:

Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von 8400,00 € nach Art. 82 DSGVO besteht nicht.

Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen. Dem Kläger ist zwar unstreitig bisher kein materieller Schaden entstanden, wohl aber ein immaterieller Schaden. Dieser liegt darin, dass seine personenbezogenen Daten Dritten ohne sein Einverständnis zugänglich wurden. Die Kompensation einer solchen öffentlichen "Bloßstellung" fällt unter Art. 82 Abs. 1 DSGVO (Ehmann/Selmayr, DSGVO, 2. Aufl., Art. 82 Rn. 13; Sydow, DSGVO, 2. Aufl., Art. 82 Rn. 6). Die Beklagte ist auch tauglicher Anspruchsgegner. Sie war Verantwortliche im Sinne des Art. 4 Nr. 7 DSGVO, da sie über die Zwecke und Mittel der - unstreitig - stattgefundenen Verarbeitung der Daten des Klägers entschied.

Der Schaden muss jedoch wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO entstanden sein. Es muss also ein Verstoß gegen die DSGVO und dessen Kausalität für den Schaden festgestellt werden. Ein Rechtsgut der betroffenen Person muss infolge der Verletzung einer Norm der DSGVO im Vergleich zum status quo ante nachteilig verändert worden sein (Ehmann/Selmayr, DS-GVO 2. Aufl. Art. 82 Rn. 11).

Die Veröffentlichung der Daten, für die der Kläger einen Schadensersatz von 2000,00 € geltend macht, stellt an sich keinen Verstoß der Beklagten gegen die DSGVO dar. Die Veröffentlichung könnte nur dann als Verstoß gegen Art. 5 Abs, 1 a) oder f) DSGVO eingeordnet werden, wenn die Beklagte bzw, BB sie unberechtigt vorgenommen hätte. Dies lässt sich aber nicht feststellen und wird auch von dem Kläger nicht konkret vorgetragen. Der Kläger ist jedoch für den Verstoß gegen die DSGVO darlegungs- und beweisbelastet; erst hinsichtlich der Verantwortlichkeit für den Verstoß sieht Art, 82 Abs, 3 DSGVO eine Vermutung zu Lasten des Anspruchsgegners vor. Hat die Beklagte bzw. BB die Veröffentlichung nicht selbst vorgenommen, so kann sie lediglich die Folge einer Verletzung der Pflichten aus der DSGVO durch die Beklagte bzw. BB sein, nicht aber der Verstoß an sich.

Der Schadensersatzanspruch folgt weiter nicht daraus, dass die Beklagte die BB GmbH nicht nach Art. 28 Abs. 1 DSGVO ordnungsgemäß ausgewählt oder überwacht hat. Dass dies nicht geschehen ist, lässt sich nach dem Sach- und Streitstand schon nicht feststellen. Ein entsprechendes Beweisangebot des Klägers fehlt, ebenso entsprechende Indizien. Insbesondere kann der Kläger sich nicht darauf berufen, es sei offensichtlich, dass die BB GmbH ihr auferlegte Sicherheitsvorkehrungen nicht einhalten könne, weil es sich bei dem Firmensitz um ein Einfamilienhaus in einer Wohnsiedlung handele. Dass sich der Firmensitz dort befindet, sagt nichts darüber aus, wo die Datenverarbeitung erfolgt. Darüber hinaus lässt sich die Kausalität eines etwaigen Verstoßes gegen Pflichten der Beklagten aus der DSGVO für den Datenvorfall und damit für den Schaden des Klägers nicht feststellen. Denn letztlich ist - auch nach dem zuletzt gehaltenen und bestrittenen Vortrag des Klägers hinsichtlich des nicht geänderten Initialpassworts - letztlich unklar geblieben, wodurch das Datenleck verursacht wurde. Dass es durch ein anderes Auswahlverfahren, andere Sicherheitsvorkehrungen oder andere Überwachungen verhindert hätte werden können, bleibt danach Spekulation, Hinzu kommt, dass ein werkseitig individuell voreingestelltes Passwort im Ausgangspunkt nicht weniger sicher als ein vom Nutzer persönlich eingestelltes Passwort sein muss (BGH, Urteil vom 24. November 2016 - I ZR 220/15 —, Rn. 16, juris).

Soweit der Kläger seinen Anspruch in Höhe von 700,00 € darauf stützt, dass seine Daten nach dem 19.08.2019 noch verfügbar gewesen seien und jedenfalls während eines IT-Checks am 29.08.2019 jedermann habe auf sie zugreifen können, vermag dies ebenfalls keinen Schadensersatzanspruch zu begründen. Es kann dahinstehen, ob überhaupt ein Verstoß gegen die DSGVO vorliegt. Denn jedenfalls ist dem Kläger kein Schaden entstanden. Der Kläger behauptet nicht, dass nach dem 19,08.2019 seine Daten nochmals veröffentlicht worden seien oder sie von Unbefugten etwa während des Checks tatsächlich zur Kenntnis genommen worden wären. Dann aber steht dem Kläger kein Schadensersatzanspruch zu. Denn nicht jede Datenschutzrechtverletzung in Form einer nicht (vollständig) rechtskonformen Datenverarbeitung ist automatisch ein ersatzfähiger Schaden (vgl. etwa Wybitul, NJW 2019, 3265 mwN), Vielmehr muss die Verletzungshandlung auch zu einer konkreten Verletzung von Persönlichkeitsrechten der betroffenen Person geführt haben (Wybitul, aaO), Eine weite Auslegung des Schadensbegriffs nach Art. 82 DSGVO, nach dem mit jedem Verstoß ein Schaden begründet wird (sowohl Ehmann/Selmayr, DS-GVO, 2. Aufl., Art. 82 Rn. 13), widerspricht der Systematik des deutschen Rechts. Die mitgliedsstaatlichen Gerichte sind zu einem überkompensatorischen Strafschadensersatz grundsätzlich nicht verpflichtet; nach dem Äquivalenzgrundsatz wäre ein solcher nur dann erforderlich, wenn die mitgliedstaatliche Rechtsordnung allgemein Strafschadensersatz vorsieht (Wytibul, aaO). Das ist jedoch in Deutschland nicht der Fall.

Aus dem identischen Grund steht dem Kläger kein Anspruch in Höhe von 700,00 € wegen Änderung des Administratorenpasswortes im Mai 2019 zu.

Ferner kann der Kläger nicht damit gehört werden, die Beklagte habe gegen Art. 28 DSGVO verstoßen, weil ein Vertrag nach dieser Norm mit BB fehle. Ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 800,00 € besteht insofern nicht. Die Beklagte hat einen Datenverarbeitungsvertrag mit der BB GmbH geschlossen. Zwar ist in dem Vertrag kein Rechtsformzusatz für die dort bezeichnete "B..." genannt. Allerdings ergibt sich aus den weiteren zu ihr genannten Daten, dass es sich um die GmbH handelte. Dass der Vertrag nicht von sämtlichen Parteien unterzeichnet wurde, ist unerheblich. Nach Art. 28 Abs. 9 DSGVO bedarf es einer schriftlichen Abfassung, auch in elektronischem Format. Danach ist keine Unterzeichnung erforderlich (vgl. Ehmann/Semayr, DS-GVO, 2. Aufl., Art. 28 Rn. 12); es genügt die Abfassung in Textform nach § 126b BGB. Diesem Erfordernis genügt der Vertrag. Ferner ist nicht ersichtlich, dass der Vertrag den Anforderungen des Art. 28 DSGVO nicht genügen würde. Dass mit der BB Ltd. kein gesonderter Vertrag geschlossen wurde, ist ebenfalls unschädlich. Denn es war vertraglich unter Ziffer 7 des Vertrages geregelt, dass die BB GmbH bei einem Einsatz von Unterverarbeitern diesen gegenüber mindestens dieselben Datenschutzverpflichtungen festzulegen hatte, wie sie der Vertrag zwischen der Beklagten und der BB GmbH vorsah. Dies entspricht Art. 28 Abs. 4 DSGVO. Auch der hierfür geltend gemachte Anspruch in Höhe von 1000,00 € besteht nicht.

Auf die unterlassene Verwendung von Hashes kann der Kläger gleichfalls keinen Schadensersatzanspruch stützen, weil ein Verstoß gegen die DSGVO nicht vorliegt. Bei der Verarbeitung der personenbezogenen Daten muss eine angemessene Sicherheit gewährleistet sein, Art. 5 Abs. 1 f) DSGVO, Dies erfordert geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz vor unbefugter und unrechtmäßiger Verarbeitung, wobei die Anforderungen in Art. 32 DSGVO festgelegt werden. Art, 32 Abs. 1 a) DSGVO erwähnt zwar Verschlüsselung als technisches Maßnahme, fordert die Anwendung von Hashes aber gerade nicht. Selbiges gilt für die PCC-DSS-Standards. Für seine Behauptung, es sei auch keine anderweitige Kryptografie erfolgt bietet der Kläger keinen Beweis an.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1000,00 €, weil Daten gegenüber der M... International inc. ohne Rechtsgrundlage zugänglich gemacht worden wären. Dass der M... International Inc. im Rahmen des Priceless Specials Programms erhobene Daten von Kunden preisgegeben wurden, trägt der Kläger schon nicht substantiiert vor. Erst recht gilt dies für seine konkreten Daten. Dass die M... International Inc. an der Datenverarbeitung beteiligt war, ist aufgrund des als Anlage B 5 vorgelegten Vertrages auch keineswegs zwingend. Dies gilt auch dann, wenn die M... Inc. gemeinsame Verantwortliche nach Art, 26 DSGVO gewesen sein sollte. Denn der Verantwortliche hat die Entscheidungsgewalt über Zweck und Mittel der Verarbeitung; diese kann auch ausgeübt werden, ohne dass der Verantwortliche selbst an der Durchführung der Verarbeitung beteiligt ist (Ehmann/Selmayr, DS-GVO, 2. Aufl., Art. 4 Rn. 36). Es fehlt danach an einem Schaden des Klägers.

Die Behauptung des Klägers, es fehle an einer Vereinbarung zur gemeinsamen Verantwortlichkeit, was ihm zusätzlich nicht mitgeteilt worden sei, rechtfertigt keinen Schadensersatzanspruch in Höhe von insgesamt 1200,00 €. Erneut fehlt es an einem Schaden des Klägers, weil nicht ersichtlich ist, dass seine Daten der M... International Inc. überhaupt zugänglich gemacht wurden. Überdies regelt Art. 26 DSGVÖ lediglich, dass bei zwei oder mehr Verantwortlichen festzulegen ist, wer welche Verpflichtung gemäß der Verordnung erfüllt. Wo der Schaden des Klägers liegen soll, wenn dies nicht geschehen ist und er nicht informiert wurde, ist nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 26 Abs. 3 DSGVO. Schließlich kann der Kläger keinen Schadensersatz in Höhe von 1000,00 € deswegen gegen die Beklagte geltend machen, weil keine ausreichende Vereinbarung von Binding Corporate Rules für Zugriffsmöglichkeiten durch ein US-Unternehmen auf Daten erfolgt sei. Erneut ist schon eine Beeinträchtigung des Klägers nicht feststellbar (s.o.). Ungeachtet dessen lag für die M... International Inc. eine geeignete Garantie in Form von verbindlichen internen Datenschutzvorschriften nach Art. 46 Abs. 1, Abs. 2b), 47 DSGVO vor. Aus dem Datenverarbeitungsvertrag ergibt sich, dass durch die zuständige Aufsichtsbehörde genehmigte Binding Corporate Rules existierten, was ausreichend ist. Für seinen das in Abrede stellenden Vortrag ist der Kläger beweisfällig geblieben.

Für andere deliktische Ansprüche besteht eine Sperrwirkung der DSGVO (Sydow, DSGVO, 2. Aufl., Art. 82 Rn.27).

Ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB besteht gleichfalls nicht, weil sich nach den obigen Ausführungen nicht feststellen lässt, dass die Beklagte eine Vertragspflichtverletzung begangen hat, die kausal zu einem Schaden, nämlich der Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers, geführt hat.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Stuttgart: Einordnung als Geschäftsgeheimnis setzt voraus dass Inhaber den Umständen nach angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen hat

OLG Stuttgart
Urteil vom 19.11.2020
2 U 575/19


Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass die Einordnung von Informationen als Geschäftsgeheimnis voraussetzt, dass der Inhaber den Umständen nach angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen hat.

Aus den Entscheidungsgründen:

Entscheidend für die Einordnung als Geschäftsgeheimnis ist, ob ihr Inhaber den Umständen nach angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen hat. Hierin liegt für den vorliegenden Fall der wesentliche Unterschied der Neuregelung zur bisherigen Rechtslage, die lediglich einen erkennbaren subjektiven Geheimhaltungswillen voraussetzte, der sich in objektiven Umständen manifestierte.

aa) Es handelt sich um eine objektive Voraussetzung, für die der Inhaber im Streitfall beweisbelastet ist (Gesetzentwurf der Bundesregierung, a.a.O.). Aus dem Wortlaut, der lediglich angemessene Maßnahmen erfordert, wird deutlich, dass eine extreme Sicherheit nicht erreicht werden muss. Es geht auch nicht um die Frage, ob im Nachhinein betrachtet ein Geheimnisbruch hätte verhindert werden können. Maßgebend ist vielmehr, ob der Geheimnisinhaber im Vorfeld sinnvolle und effiziente Maßnahmen getroffen hat, um die Informationen zu schützen.

Solange es hierzu noch keine gefestigte Judikatur gibt, besteht für den Geschäftsinhaber zwar das Risiko, dass er die von ihm ergriffenen Maßnahmen als ausreichend einschätzt, dies jedoch von den Gerichten später anders bewertet wird und er dann keinen Schutz nach dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen genießt. Diese Erwägung führt allerdings nicht dazu, zugunsten nachlässiger Geheimnisinhaber die Anforderungen an die Angemessenheit der Maßnahmen aufzuweichen. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen dient auch volkswirtschaftlichen Zwecken und der Stützung des Binnenmarktes (vgl. Erwägungsgrund Nr. 9 zur EU-Richtlinie 2016/943). Obliegenheiten des Geheimnisinhabers stellen für den Gesetzgeber eine effektive Möglichkeit dar, diese Gemeinwohlinteressen zu verfolgen.

bb) Die konkreten Geheimhaltungsmaßnahmen hängen von der Art des Geschäftsgeheimnisses im Einzelnen und von den konkreten Umständen der Nutzung ab (Gesetzentwurf der Bundesregierung, a.a.O.). Bei der Wertung der Angemessenheit der Schutzmaßnahmen können insbesondere berücksichtigt werden: der Wert des Geschäftsgeheimnisses und dessen Entwicklungskosten, die Natur der Informationen, die Bedeutung für das Unternehmen, die Größe des Unternehmens, die üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen in dem Unternehmen, die Art der Kennzeichnung der Informationen und vereinbarte vertragliche Regelungen mit Arbeitnehmern und Geschäftspartnern (ebda.). Hieraus folgt als Mindeststandard, dass relevante Informationen nur Personen anvertraut werden dürfen, die die Informationen zur Durchführung ihrer Aufgabe (potentiell) benötigen und die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (vgl. Ohly, GRUR 2019, 441 [444]). Zudem müssen diese Personen von der Verschwiegenheitsverpflichtung in Bezug auf die fraglichen Informationen Kenntnis haben. Weitere Maßnahmen sind den Umständen nach zu ergreifen, wobei eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist. Genauso wie das Ergreifen verschiedener verstärkender Maßnahmen zu einem angemessenen Schutzniveau führen kann, kann ein in Kauf genommenes „Datenleck“ zu der Bewertung führen, dass insgesamt kein angemessenes Schutzniveau mehr vorliegt.

Auf den vorliegenden Fall angewendet, ist das zugelassene Speichern von Dateien mit Geschäftsgeheimnissen auf privaten Datenträgern als äußerst kritisch anzusehen (vgl. Maaßen, GRUR 2019, 352 [354, 358]). Insbesondere wenn die Dateien dort ohne Passwort zugänglich sind, ist ein Zugriff durch Dritte nicht mehr auszuschließen. Dies gilt nicht nur für berechtigte Mitbenutzer, sondern auch im Falle eines Weiterverkaufs der Privatgeräte ohne vorherige ausreichende Löschung. Damit begibt sich der Geheimnisinhaber der effektiven Kontrolle seiner Daten.

Was in Papierdokumenten verkörperte Geschäftsgeheimnisse angeht, müssen sie gegen den Zugriff unbefugter Personen gesichert sein. Die Stellen im Unternehmen, an denen die Dokumente verwahrt werden, müssen hinreichend gegen den Zutritt unbefugter Personen gesichert sein, bei sensiblen Informationen müssen die Geheimnisse verschlossen oder der Raum abgeschlossen werden (Maaßen, a.a.O., S. 357 f.).

cc) Nach diesen Maßstäben wird festzustellen sein, ob die Klägerin seit dem Inkrafttreten des Geschäftsgeheimnisses am 26. April 2019 ausreichende Geheimhaltungsmaßnahmen zum Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse ergriffen hat. Der unaufgeklärte Diebstahl eines Rechners steht dabei der Einordnung der darauf enthaltenen Informationen als Geschäftsgeheimnis nicht von vornherein entgegen, da die Qualität als Geschäftsgeheimnis nicht schon durch den unfreiwilligen Verlust der Herrschaft über einen einzelnen Informationsträger verloren geht.
II. (Unterlassungsansprüche in Bezug auf die Verwendung von Adress- und Kundenlisten gemäß den Klageanträgen Ziff. III)

Hinsichtlich der Informationen zu den Kunden sind ebenfalls noch Feststellungen zu treffen.

1. Kundendaten eines Unternehmens können ein Geschäftsgeheimnis im Sinne von § 17 UWG a.F. darstellen, wenn sie Kunden betreffen, zu denen bereits eine Geschäftsbeziehung besteht und sie daher auch in Zukunft als Abnehmer der angebotenen Produkte in Frage kommen. Dabei darf es sich nicht lediglich um Angaben handeln, die jederzeit ohne großen Aufwand aus allgemein zugänglichen Quellen erstellt werden können (BGH, Urteil vom 26. Februar 2009 – I ZR 28/06, juris Rn. 13 – Versicherungsuntervertreter). Von einem Geheimhaltungsinteresse ist regelmäßig auszugehen, da es auf der Hand liegt, dass derartige Listen nicht in die Hände von Mitbewerbern geraten dürfen (BGH, Urteil vom 27. April 2006 – I ZR 126/03, juris Rn. 19 – Kundendatenprogramm).

2. Die Feststellungen des Landgerichts zu einem die Wiederholungsgefahr begründenden Erstverstoß sind unzureichend (LGU 53). Der Umstand alleine, dass die Beklagten Ziff. 1 und 2 frühere Kunden der Klägerin beliefern, besagt noch nichts darüber aus, auf welchem Weg die Beklagten diese Kunden gewonnen haben. Insbesondere ergibt sich hieraus nicht, dass sie die beiden fraglichen Dateien verwendet haben. Das Landgericht hat nicht die Möglichkeit gewürdigt, dass sich die Kunden teilweise von selbst an die Beklagte gewandt bzw. ihre Vorstände die Unternehmen im Gedächtnis behalten haben könnten. Eine darauf basierende Geschäftsanbahnung wäre nicht zu beanstanden. Soweit kein Wettbewerbsverbot besteht, ist es nicht unredlich, nach Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses in Konkurrenz zu dem Unternehmen zu treten. Einen generellen Anspruch auf Erhaltung seines Kundenkreises hat der Unternehmer nicht (BGH, Urteil vom 14. Januar 1999 – I ZR 2/97, juris Rn. 26).

a) Insbesondere ist die Verwertung von Erfahrungswissen zulässig, selbst wenn es sich um Geschäftsgeheimnisse handelt. Ein ausgeschiedener Mitarbeiter darf die während der Beschäftigungszeit redlich erworbenen Kenntnisse auch später unbeschränkt verwenden, wenn er keinem Wettbewerbsverbot unterliegt (BGH, Urteil vom 22. März 2018 – I ZR 118/16, juris Rn. 46 – Hohlfasermembranspinnanlage II; BGH, Urteil vom 03. Mai 2001 – I ZR 153/99, juris Rn. 47 – Spritzgießwerkzeuge). Dies bezieht sich indessen nur auf Informationen, die der frühere Mitarbeiter in seinem Gedächtnis bewahrt (BGH, Urteil vom 27. April 2006 – I ZR 126/03, juris Rn. 13 – Kundendatenprogramm). Die Berechtigung, erworbene Kenntnisse nach Beendigung des Dienstverhältnisses auch zum Nachteil des früheren Dienstherrn einzusetzen, bezieht sich dagegen nicht auf Informationen, die dem ausgeschiedenen Mitarbeiter nur deswegen noch bekannt sind, weil er auf schriftliche Unterlagen zurückgreifen kann, die er während der Beschäftigungszeit angefertigt hat (BGH, Urteil vom 22. März 2018 – I ZR 118/16, juris Rn. 46 – Hohlfasermembranspinnanlage II). Entnimmt der ausgeschiedene Mitarbeiter einer privaten Aufzeichnung oder einer auf dem privaten Notebook abgespeicherten Datei, die er während der Beschäftigungszeit angefertigt bzw. angelegt hat, ein Betriebsgeheimnis seines früheren Arbeitgebers, verschafft er sich damit dieses Betriebsgeheimnis „sonst unbefugt“ im Sinne von § 17 Absatz 2 Nr. 2 UWG (BGH, Urteil vom 26. Februar 2009 - I ZR 28/06, juris Rn. 15 – Versicherungsuntervertreter). Stellt er dieses Betriebsgeheimnis einem Dritten, etwa seinem neuen Arbeitgeber, zur Verfügung, verschafft sich auch dieser das Geheimnis unbefugt (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – I ZR 136/10, juris Rn. 17 – Movicol).

b) Dabei hat das Landgericht seinem Urteil unzutreffend zugrundegelegt, dass die handelnden Personen einem Wettbewerbsverbot unterlagen (LGU 45). Die Beklagten haben vorgetragen, dass das ursprünglich jeweils zwischen der Klägerin und den nunmehrigen Vorständen der Beklagten Ziff. 1 vereinbarte Wettbewerbsverbot aufgehoben worden sei und das Arbeitsgericht Stuttgart jeweils die Wirksamkeit dieser Vertragsänderung festgestellt habe. Aus den gleichlautenden Urteilen – vgl. beispielhaft Anlage B 7 – ergibt sich eine entsprechende Rechtskraftwirkung. Das Arbeitsgericht hat den Klageantrag auf Unterlassung jeglicher Wettbewerbstätigkeit auf dem Gebiet der Klebstofftechnik und der Polyurethanschaumtechnik zum Nachteil der Klägerin rechtskräftig abgewiesen. Die Abweisung dieses Klageanspruchs ist für die Parteien bindend (§ 322 Absatz 1 ZPO).

c) Bei der Beweiswürdigung wird auch zu berücksichtigen sein, dass nach den polizeilichen Ermittlungen die fragliche Datei „Debitoren.xls“ am 01.10.2016 auf die externe Festplatte T. (Asservat 2-2) – nach dem Ausscheiden der Mitarbeiter – kopiert wurde, auf der sich auch die weitere Datei „Adressdatenbank...“ befand (Anlage K 10 Bl. 594/595). Es wird aber auch zu berücksichtigen sein, dass die auf Beklagtenseite Handelnden über viele Jahre bei der Klägerin in Führungspositionen beschäftigt waren und deshalb anzunehmen ist, dass zumindest ein Teil der ehemaligen Kunden und deren Ansprechpartner im Gedächtnis geblieben sein dürften. Schließlich wird zu würdigen sein, ob die im Businessplan angesprochene Erwartung, dass sich Kunden der Klägerin von sich aus an die Beklagte Ziff. 1 wenden würden, zutraf.

d) Gegenständlich zu begrenzen wäre der Unterlassungsanspruch im Hinblick auf Erfahrungswissen, das die Beklagten zulässigerweise einsetzen dürften. Insbesondere dürfen sie Kontakt zu Unternehmen bzw. dort beschäftigte Personen aufnehmen, die ihnen persönlich bekannt sind bzw. deren Kontaktdaten sie aus allgemein zugänglichen Quellen ermitteln können. Hierfür kann ein Anhaltspunkt sein, ob schon während der Beschäftigungszeit bei der Klägerin ein über dienstliche Belange hinausgehender Kontakt bestand.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Frankfurt: Verfolgungsverjährungfrist eines Ordnungsmittantrags im Wettbewerbsrecht beträgt nach Art. 9 Abs. 1 EGStGB zwei Jahre beginnend mit Verstoß

OLG Frankfurt
Beschluss vom 19.01.2021
6 W 15/19


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Verfolgungsverjährungsfrist eines Ordnungsmittantrags im Wettbewerbsrecht nach Art. 9 Abs. 1 EGStGB zwei Jahre beträgt. DIe Frist beginnt mit dem Verstoß.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Die Vollstreckung ist nicht verjährt. Der Eintritt der Verjährung ist von Amts wegen zu prüfen (Zöller/Seibel ZPO, 33. Aufl., § 890 Rn 23).

a) Es ist keine Verfolgungsverjährung eingetreten. Der angegriffene Verstoß wurde am 15.11.2017 begangen. Das erstinstanzliche Gericht hat am 18.10.2018, mithin vor Ablauf der zweijährigen Verjährungsfrist nach Art. 9 Abs. 1 EGStGB, ein Ordnungsgeld festgesetzt. Nach diesem Zeitpunkt kann die Verfolgungsverjährung nicht mehr eintreten, auch wenn die Entscheidung nicht rechtskräftig ist (BGH GRUR 2005, 269; Zöller/Seibel ZPO, 33. Aufl., § 890 Rn 23).

b) Es ist auch keine Vollstreckungsverjährung eingetreten. Nach Art. 9 Abs. 2 EGStGB verjährt die Vollstreckung des Ordnungsgeldes und der Ordnungshaft binnen zwei Jahren. Die Verjährung beginnt, sobald das Ordnungsmittel vollstreckbar ist. Seit der Verhängung des Ordnungsgeldes durch das Landgericht sind mehr als zwei Jahre vergangen. Die Vollstreckungsverjährung von Ordnungsmitteln ruht jedoch nach Art. 9 Abs. 2 S. 4 Nr. 1 EGStGB, wenn sie nach dem Gesetz nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann. Gemäß § 570 Abs. 1 ZPO hat die Beschwerde gegen die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels aufschiebende Wirkung. Damit besteht ein gesetzliches Vollstreckungshindernis (BGH, Beschluss vom 18.12.2018 - I ZB 72/17, Rn 15, juris).

2. Die allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen liegen vor. Das Ordnungsmittel wurde angedroht (§ 890 Abs. 2 ZPO).

3. Das Landgericht ist nach durchgeführter Beweisaufnahme zu Recht von einer schuldhaften Zuwiderhandlung gegen das Verbot ausgegangen. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der für die Antragsgegnerin tätige Werber A am 15.11.2017 die Zeugen B und D aufgesucht und der Zeugin B einen Energieliefervertrag angeboten sowie ein entsprechendes Formular mit den Daten der Kundin ausgefüllt. Auf die Freiwilligkeit des Wechsels hat er nicht hingewiesen, sondern stattdessen falsche Angaben über die Verhältnisse der C gemacht. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden.

a) Ohne Erfolg beruft sich die Antragsgegnerin auf Widersprüche in den Aussagen der Zeugen B und D. Insbesondere der Zeuge D hat ausweislich des Vernehmungsprotokolls nachvollziehbar und schlüssig bekundet, dass der Werber behauptet hat, der Vertrag mit der C ginge nicht weiter. Die Zeugin B hat bekundet, der Werber habe davon gesprochen die C sei pleite; die Stromversorgung werde von seiner Firma übernommen. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die Parteien damit im Kern einen übereinstimmenden Sachverhalt geschildert haben. Es kommt nicht darauf an, wie die Zeugen die Angaben des Werbers über die Nichtfortsetzung des Vertrages der C in rechtlicher Hinsicht interpretiert haben. Die Aussagen stimmen jedenfalls darin überein, dass der Wechsel nicht als freiwillige Option dargestellt wurde.

b) Der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen D steht nicht entgegen, dass die Zeugin B abweichende Angaben zu der Übermittlung der Vertragsdaten gemacht hat. Der Zeuge D bekundete, er sei sich ganz sicher, dass der Werber Daten der Zeugin B aus dem C-Vertrag in den Antrag zum Anbieterwechsel übernommen habe. Die Zeugin B bekundete demgegenüber, der C-Vertrag sei während des Gesprächs nicht vorgelegt worden; sie habe dem Werber die Daten auch nicht gegeben. Dieser Umstand spricht nicht dafür, dass der Zeuge D den Vorgang falsch erinnerte oder gar gelogen hat. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Zeugin B die Vorgänge weniger genau wahrgenommen oder erinnert hat. Die Zeugin spricht nur schlecht Deutsch und hat daher - nach ihren eigenen Angaben im Hauptsacheverfahren - nicht alles verstanden. Dies ergibt sich aus dem von der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren eingeführten Protokoll der Vernehmung der Zeugin vom 11.1.2019. Auch war die Zeugin offenbar nicht bei allen Vorgängen beteiligt und hatte eine weniger genaue Erinnerung als der Zeuge D. Sie bekundete mehrfach Erinnerungslücken. Auf Vorhalt der Aussage des Zeugen D zur Vertragsübergabe bekundete sie, dazu könne sie nichts sagen. Sie sei nicht bei dem gesamten Gespräch der Männer dabei gewesen und habe auch nicht alles verstanden. Die Zeugin konnte sich auch nicht mehr erinnern, ob irgendetwas ausgefüllt wurde oder wie die Daten in den ausgefüllten Vordruck gelangten. In wichtigen Kernpunkten hat sie die in sich widerspruchsfreien und glaubhaften Angaben des Zeugen D allerdings durchaus bestätigt. Darauf hat das Landgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss zur Recht hingewiesen.

c) Es kommt nicht entscheidend darauf an, dass der Zeuge D das überstürzte Verlassen der Wohnung durch den Werber mit seinem Anruf bei der C begründete, während die Zeugin B den schnellen Aufbruch darauf zurückführte, dass der Zeuge D sich überhaupt eingeschaltet hat. Letztlich hat auch die Zeugin B geschildert, dass D äußerte, sich bei dem bisherigen Versorger erkundigen zu wollen. Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, ob der Werber seine Identität verschleiern wollte, indem er nicht seinen Nachnamen, sondern nur seinen zweiten Vornamen hinterließ.

4. Das vom Landgericht festgesetzte Ordnungsgeld ist auf 10.000,- € zu ermäßigen. Bei der Bemessung der Höhe eines Ordnungsmittels sind insbesondere Art, Umfang und Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlung und die Gefährlichkeit der begangenen und möglichen künftigen Verletzungshandlungen für den Verletzten zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen den Verbotstitel soll sich für den Schuldner nicht lohnen (BGH Beschluss vom 23.10.2003 - I ZB 45/02, juris Rn 12). Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass ein einmaliger Verstoß gegen die einstweilige Verfügung in Rede steht. Auch wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafürsprechen mag, dass die Antragstellerin nicht von allen Verstößen Kenntnis erlangt, kann nicht ohne konkrete Anhaltspunkte unterstellt werden, dass der Werber A in weiteren Fällen das Verbot missachtet hat. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände erscheint damit ein Ordnungsgeld von 10.000,- € als angemessen und ausreichend.

5. An die Stelle eines nicht beitreibbaren Ordnungsgeldes tritt die Ordnungshaft (§ 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO). In entsprechender Anwendung strafrechtlicher Vorschriften kann das Ordnungsgeld durch Festsetzung eines Tagessatzes und der zur Ahndung erforderlichen Tagessatzanzahl bestimmt werden (BGH GRUR 2017, 318 Rn 19 ff - Dügida). Im vorliegenden Fall erscheint die Verhängung von 10 Tagessätzen angemessen, wobei ein Tagessatz 1.000,- € beträgt. Dementsprechend ist die Höhe der Ersatzordnungshaft auf einen Tag Ordnungshaft für jeweils 1.000,00 € Ordnungsgeld festzusetzen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.6.2017 - 6 W 49/17, juris).

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG Hamburg: Titelumschreibung durch Bezugnahme auf elektronisch geführtes Handelsregister möglich

OLG Hamburg
Beschluss vom 16.12.2020
6 W 24/20


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass eine Titelumschreibung durch Bezugnahme auf das elektronisch geführte Handelsregister möglich ist, da es sich um offenkundige Tatsachen im Sinne von § 727 ZPO handelt.

Volltext liegt vor: LG München - 37 O 15721/21 - Vereinbarung zwischen Bundesrepublik Deutschland und Google über Knowledge Panels kartellrechtswidrig

LG München
Urteil vom 10.02.2021
37 O 15721/21


Wir hatten bereits in dem Beitrag LG München: Vereinbarung zwischen Bundesrepublik Deutschland und Google über Knowledge Panels kartellrechtswidrig über die Entscheidung berichtet.

Aus den Entscheidungsgründen:

II. Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch darauf, dass sie es unterlässt, der ...Ireland Ltd. Inhalte des NGP zum Zwecke der Einbindung und Verlinkung in Infoboxen mit Gesundheitsinformationen zur Verfügung zu stellen, § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV. Soweit die Verfügungsklägerin darüber hinaus beantragt hat, die bloße Duldung einer solchen Gestaltung durch ...zu unterlassen, ist der Antrag unbegründet.

1. In der Kooperation der Verfügungsbeklagten mit ...liegt eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bewirkt, Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB.

a. Die Verfügungsbeklagte hat mit ...eine Vereinbarung geschlossen mit dem Inhalt, dass die von ...geplanten Infoboxen zu Gesundheitsthemen auf Dauer exklusiv mit Inhalten aus dem Gesundheitsportal der Verfügungsbeklagten und einem Link auf das Portal gesund.bund.de befüllt werden.

(1) Eine Vereinbarung kommt bereits dann zustande, wenn eine grundsätzliche Willensübereinstimmung zwischen zwei Parteien erreicht ist. Weder eine Regelung sämtlicher Details noch ein Interessengleichlauf der Beteiligten sind erforderlich (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 68).

Das Merkmal der Vereinbarung wird unproblematisch durch zivilrechtliche Verträge erfüllt, d.h. im Falle einer Bindung zweier Parteien durch übereinstimmende Willenserklärungen. Ausreichend ist aber daneben insbesondere nach der Rechtsprechung der europäischen Gerichte auch, dass die Parteien ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten, und zwar auch ohne dass sie sich hierzu rechtlich, tatsächlich oder moralisch verpflichtet fühlen (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 71 m.w.N.).

(2) Getragen von einem derartigen gemeinsamen Willen haben der Vertreter von ..., … und der Bundesminister für Gesundheit auf der gemeinsamen Pressekonferenz vom 10.11.2020 klar erkennen lassen, künftig bei der Erstellung von Infoboxen zu Gesundheitsthemen auf der Suchergebnisseite von ...exklusiv zusammenarbeiten zu wollen. Der Vertreter von ...und der Bundesminister für Gesundheit haben dabei mehrfach ausdrücklich von ihrer Zusammenarbeit bzw. Kooperation gesprochen. Gegenstand dieser Kooperation sollte es nach der übereinstimmenden Darstellung der beiden sein, dass auf der Suchergebnisseite von ...künftig bei einer Suche nach medizinischen Stichworten Antworten des NGP in einem prominent hervorgehobenen Infokasten präsentiert werden. Der Bundesminister für Gesundheit hat dabei auch wiederholt deutlich seine Dankbarkeit für diese Kooperation und für die künftige prominente Darstellung der Information des NGP und die Verlinkung gegenüber ...zum Ausdruck gebracht.

Mit diesen Äußerungen ist die Behauptung der Verfügungsbeklagten, es gebe keine Vereinbarung zwischen der Verfügungsbeklagten und ..., die über die Gewährung der Nutzung einer Schnittstelle hinausginge, in keiner Weise in Einklang zu bringen. Selbst wenn man annehmen will, dass die Spitzen von ...und der Verfügungsbeklagten sich hier werbend oder untechnisch ausgedrückt haben, erklärt dies nicht, worauf die medienwirksam verkündete Zusammenarbeit beruhen soll, wenn nicht auf einer Übereinkunft der Beteiligten. Schon der gemeinsame Presseauftritt setzt voraus, dass die Parteien sich darüber ins Benehmen gesetzt haben, dass und was sie gemeinsam verkünden werden. Das Ergebnis war nicht die Verkündung der Nutzungsmöglichkeit einer Schnittstelle. Vielmehr wurde die beiderseitige Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass die beiden Beteiligten ganz grundsätzlich zusammen dafür sorgen werden, dass die Inhalte des NGP - und nur diese - in den Infoboxen bereitgestellt werden und diese auf die Webseite gesund.bund.de verlinken.

Auch die Ausschließlichkeit dieser Kooperation kommt in der Pressekonferenz zum Ausdruck: eine vergleichbare Kooperation Googles mit anderen Gesundheitsportalen wird nicht angekündigt. Diese Ausschließlichkeit stellt auch die Verfügungsbeklagte nicht grundsätzlich in Abrede. Sie beruft sich lediglich darauf, dass auch andere Suchmaschinen die Schnittstelle des NGP nutzen könnten, was aber die fehlende Teilhabe anderer Gesundheitsportale nicht mindern sondern eher noch ausweiten würde, und dass es Infoboxen mit Inhalten anderer Portale geben könne, was hier nicht zur Debatte steht, zumal es die Position „0“ eben nur einmal gibt.

Soweit die Verfügungsbeklagte anführt, die - bestrittene - Zusammenarbeit sei jedenfalls nicht auf eine gewisse Dauer ausgelegt, steht diese Behauptung in einem diametralen Widerspruch zu der Art der Kooperation, welche auf der Pressekonferenz verkündet wurde. Richtig erscheint zwar, dass keine konkrete Dauer vereinbart wurde. Unzweifelhaft war die Zusammenarbeit aber auf Dauer angelegt.

Der klar artikulierte Sinn und Zweck der Kooperation bestand nach der unwidersprochenen Äußerung des Bundesministers für Gesundheit darin, das NGP als maßgebliche Anlaufstelle für Gesundheitsinformationen im Netz zu etablieren. Die Verfügungsbeklagte geht dabei - auch für ihren Vertragspartner erkennbar - davon aus, dass die Zusammenarbeit dem NGP diese Position verschaffen werde, also zumindest so lange dauern werde, bis das NGP im Wettstreit um die Sichtbarkeit im Netz gegenüber anderen, privaten Anbietern einen maßgeblichen Vorteil erlangt hat. Immerhin versprach sich der Bundesminister für Gesundheit von der Zusammenarbeit: „Wer Gesundheit googelt, soll auf unserem Portal des Bundes landen“ und „Gesundheit.bund.de soll die zentrale Anlaufstelle werden für verlässliche Gesundheitsinformationen im Internet“. Die Verfügungsbeklagte hat die Kooperation folglich keinesfalls so verstanden - und dies geht auch aus den Äußerungen des Vertreters von ...… nicht hervor -, dass die Zusammenarbeit nur von kurzer Dauer sein soll. Dagegen spricht auch der jedenfalls nicht völlig unbedeutende Aufwand, den das Ministerium mit der Erstellung gesonderter Texte und digitaler Markups betrieben hat, um die Übernahme der Inhalte in den Infoboxen zu ermöglichen. Übereinstimmend teilten zudem auch beide Vertragspartner mit, dass man zunächst mit 160 Krankheitsbegriffen starte und dies weiter auszubauen gedenke. Nichts deutet dabei auf eine nur kurz- oder mittelfristige Kooperation hin.

b. Die Verfügungsbeklagte ist im Zusammenhang mit dem Betrieb des Portals gesund.bund.de als Unternehmen einzustufen.

(1) Dabei ist von einem funktionalen Unternehmensbegriff auszugehen, dessen Inhalt aus dem Normzusammenhang und den Zwecken der Wettbewerbsvorschriften zu bestimmen ist. Danach gilt jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts (EuGH 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 „Höfner und Elser“; EuGH 10.9.2009, Rs. C-97/08 P, Slg. 2009, I-8237 Rn. 54 „Akzo Nobel“; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 9).

Ein wirtschaftliches Handeln liegt grundsätzlich in jeder selbständigen Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen gegen Entgelt auf einem bestimmten Markt anzubieten (vgl. OLG Düsseldorf NZKart 2017, 247, 250 m.w.N.). Entscheidender Gesichtspunkt ist dabei nicht, ob das Unternehmen, dessen Normadressateneigenschaft zu beurteilen ist, ein Entgelt erhebt; entscheidend ist, ob im räumlich und sachlich relevanten Markt, der von einer Wettbewerbsbeschränkung betroffen ist, die in Frage stehende Leistung üblicherweise gegen Entgelt angeboten wird - dann ist auch der Erbringer einer unentgeltlichen Leistung Unternehmen und damit Normadressat des Art. 101 Abs. 1 AEUV (Bechtold/Bosch/Brinker/Bechtold/Bosch/Brinker, 3. Aufl. 2014, AEUV Art. 101 Rn. 14).

Keinen wirtschaftlichen Charakter, der die Anwendung des Kartellrechts rechtfertigen würde, haben dagegen Tätigkeiten, die in Ausübung hoheitlicher Befugnisse erfolgen (vgl. EuGH, Urteile v. 19. Januar 1994 - C-364/92, Slg. 1994, I-43 - SAT-Fluggesellschaft; OLG Düsseldorf NZKart 2017, 247, 250 m.w.N., beck-online). Soweit dagegen eine öffentliche Einheit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, die von der Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse losgelöst werden kann, handelt sie in Bezug auf diese Tätigkeit als Unternehmen (vgl. EuGH, Urteile v. 26. März 2009 - C-113/07, Slg. 2009, I-2207, Rzn. 71 ff. - Selex Sistemi Integrati/Kommission; v. 12. Juli 2012 - C-138/11, WuW/E EU-R 2472, Rz. 38 - Compass-Datenbank; OLG Düsseldorf a.a.O.).

(2) Der Betrieb von Gesundheitsportalen ist eine geschäftliche Tätigkeit, die darin besteht, eine Dienstleistung, nämlich die Bereitstellung von Informationen zu Gesundheitsfragen, für Nutzer im Internet anzubieten. Die unstreitig erhebliche Nachfrage nach diesem Angebot wird aktuell und wurde in der Vergangenheit von einer Vielzahl privater Anbieter wie beispielsweise der Verfügungsklägerin durch in der Regel werbefinanzierte Portale bedient.

Um ein solches Gesundheitsportal handelt es sich - abgesehen von der in diesem Zusammenhang unerheblichen Art der Finanzierung - auch bei dem Nationalen Gesundheitsportal. Dabei spielt es keine Rolle, dass das NGP sich im Vergleich zu anderen Angeboten im Netz möglicherweise einer einfacheren Sprache und einer besonders übersichtlichen Form bedient und weniger detailreich ist als andere Portale. Ob in der Ausblendung von Kontroversen wie etwa zum Thema Impfen eine größere Neutralität liegt, dürfte bereits fraglich sein. Es mag sich insoweit aber allenfalls um wettbewerbliche Besonderheiten handeln, die das Angebot der Verfügungsbeklagten von anderen abhebt. Jedenfalls gehen diese Besonderheiten nicht so weit, dass sie die Ähnlichkeiten zwischen den Portalen überlagern und das NGP zu etwas grundsätzlich anderem machen würden. Vielmehr überwiegen die Ähnlichkeiten der Portale ganz deutlich: wie andere Gesundheitsportale auch bietet das NGP unstreitig redaktionell aufbereitete Informationen zu Gesundheitsfragen aller Art, stellt Krankheiten dar und vermittelt Empfehlungen zur gesunden Lebensführung. Trotz der Unterschiede in der Aufmachung und des Umstands, dass auf dem Portal der Verfügungsklägerin Werbung geschaltet ist, ist angesichts der weitgehenden inhaltlichen Gleichartigkeit und der übereinstimmenden erklärten Zielsetzung der Portale, den Bürger über Gesundheitsfragen aufzuklären, daher von einer funktionalen Austauschbarkeit der Portale aus Sicht der Marktgegenseite - Verbraucher auf der Suche nach Gesundheitsinformationen im Internet - auszugehen. Hiervon ging auch die Verfügungsbeklagte im Rahmen der Auftragsvergabe aus, wenn sie ausführte, mit dem NGP „eine signifikante Lücke auf dem bisher vorrangig kommerziell geprägten Markt der digitalen Gesundheitsinformationen im deutschsprachigen Internet schließen“ zu wollen (vgl. Anlage K19, S. 7). Dass das Portal der Verfügungsbeklagten im Detail eine andere Zielsetzung haben mag als die Verfügungsklägerin, ist unerheblich, solange es sich wie hier nicht auf die Austauschbarkeit aus Sicht der Marktgegenseite auswirkt. Auch die Ansicht der Verfügungsbeklagten, das NGP ersetze nicht, sondern ergänze vielmehr das bestehende Angebot, da Nutzer stets mehrere Portale besuchten, bestätigt diese Einschätzung: aufgrund einer möglicherweise bestehenden sprachlichen und inhaltlichen Reduzierung setzt das NGP andere Schwerpunkte als andere Portale, spricht jedoch letztlich dieselben Verkehrskreise an, zumal wenn diese ihre Suche ohnehin regelmäßig breit aufstellen. Schließlich spricht nicht zuletzt der Umstand, dass beide Portale in der ...-Suche den Nutzern alternativ zur Befriedigung des gleichen Informationsbedürfnisses angeboten werden, für ihre funktionale Austauschbarkeit.

Der Betrieb von Gesundheitsportalen ist in der Vergangenheit nicht ausschließlich durch öffentliche Einrichtungen erfolgt und muss auch nicht generell notwendigerweise durch solche Einrichtungen erfolgen (vgl. EuGH Urteil vom 23.04.1991 - Rs C-41/90 - Rz. 22).

Die Inanspruchnahme von Gesundheitsportalen ist für den Nutzer zwar auch bei privaten, werbefinanzierten Portalen grundsätzlich gebührenfrei. Jedoch ist hier die Hinnahme von Werbung als Entgelt zu begreifen, so dass insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt.

Die Verfügungsbeklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, dass sie bei dem Betrieb des Gesundheitsportals gesund.bund.de öffentliche Aufgaben wahrnehme, nämlich Gesundheitsaufklärung leiste. Die Teilnahme am allgemeinen Geschäftsverkehr durch einen Träger hoheitlicher Gewalt verliert den Charakter einer geschäftlichen, den Bindungen des Kartellrechts unterliegenden Tätigkeit nicht schon deshalb, weil mit ihr auch öffentliche Aufgaben erfüllt oder öffentlichen Interessen genügt werden soll. Greift ein Hoheitsträger - wie hier - bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu den von der Privatrechtsordnung bereitgestellten Mitteln, unterliegt er den gleichen Beschränkungen wie jeder andere Teilnehmer am privatrechtlich organisierten Markt und hat dabei insbesondere die durch das Wettbewerbsrecht gezogenen Grenzen einer solchen Tätigkeit zu beachten (BGH WuW/E DE-R 289, 293 - Lottospielgemeinschaft).

c. Mit ihrer Kooperation bewirken die Verfügungsbeklagte und ...eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Anbieter von Gesundheitsinformationen im Internet.

(1) Dabei ist, anders als die Verfügungsklägerin meint, nicht von einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung auszugehen. Der EuGH legt bei der Frage, ob eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, einen objektiven Maßstab an. Danach kommt es nicht auf die Absicht der Vertragspartner an - wenngleich diese als Indiz für die Eignung der Vereinbarung, den Wettbewerb zu beschränken, gewertet werden kann -, sondern auf eine objektive wettbewerbsbeschränkende Tendenz der zu beurteilenden Maßnahme. Damit ein wettbewerbswidriger Zweck festgestellt werden kann, muss die Koordinierung schon ihrer Natur nach schädlich für den Wettbewerb sein. Sie muss dafür in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lassen, sodass eine Auswirkungsprüfung entbehrlich wird (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 130).
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Eine solche objektiv schädliche Tendenz, die etwa bei horizontalen Preisabsprachen, Gebietsaufteilungen oder vertikalen Preisbindungen der zweiten Hand angenommen wurde, ist der Vereinbarung zwischen der Verfügungsbeklagten und ...nicht immanent.

(2) Die Ausschließlichkeitsbindung ist daher anhand ihrer konkreten Auswirkungen zu beurteilen. Aufgrund der von der Verfügungsklägerin vorgetragenen und glaubhaft gemachten potentiellen und tatsächlichen Auswirkungen und der erklärten Zielsetzung der Vertragsparteien ist davon auszugehen, dass die Vereinbarung zwischen der Verfügungsbeklagten und ...den Wettbewerb auf dem relevanten Markt tatsächlich spürbar beeinträchtigt.

(a) Bei der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung stehen die tatsächlichen Auswirkungen, d.h. die objektiven Folgen der Vereinbarung auf dem Markt im Mittelpunkt. Wettbewerbsbeschränkende Wirkungen liegen vor, wenn die Vereinbarung zu einer Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne einer Einschränkung der Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten dritter Marktteilnehmer führt (MüKo WettbR/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Art. 101 AEUV Rn. 274).

Für die Ermittlung der objektiven Folgen ist der Wirkungszusammenhang zwischen der Vereinbarung und der aktuellen Wettbewerbssituation zu untersuchen. Die Vereinbarung muss zumindest hypothetisch kausal für die herrschende Wettbewerbssituation sein. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine kontrafaktische Analyse vorzunehmen, d.h. eine Gegenüberstellung der aktuellen Wettbewerbssituation mit der hypothetischen Situation, die herrschen würde, wenn die Vereinbarung nicht durchgeführt worden wäre. Dabei sind nicht nur die tatsächlichen, sondern auch die potentiellen Auswirkungen auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, zumindest in Situationen, in denen eine Vereinbarung noch gar nicht praktiziert wurde, und solchen, in denen eine Vereinbarung zwar schon praktiziert wurde, die Wirkungen, deren Eintritt sehr wahrscheinlich ist, aber noch nicht feststellbar sind. Dies trägt dem präventiven Charakter des Verbots Rechnung (MüKo WettbR/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, AEUV Art. 101 Rn. 275, 277).

(b) Die Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten der Verfügungsklägerin sind durch die Vereinbarung der Verfügungsbeklagten mit ...erheblich eingeschränkt, weil den Inhalten des NGP dauerhaft die bestmögliche Position auf der Ergebnisseite der ...-Suche, nämlich die neu geschaffene, prominent hervorgehobene Position „0“ in der Infobox, vorbehalten ist, die Wettbewerbern damit von vornherein nicht zur Verfügung steht. Aus den nachfolgenden Gründen geht die damit verbundene Einschränkung weit über das hinaus, was im Sinne der Immanenztheorie jeder vertraglichen Bindung eigen ist:

Der relevante Markt ist hier der des Angebots von Gesundheitsportalen im Internet, auf dem die Verfügungsklägerin und die Verfügungsbeklagte als Anbieter wesentlich gleichartiger und aus Sicht der Marktgegenseite funktional austauschbarer Gesundheitsportale (s.o.) tätig sind. ...ist mit einem Marktanteil von 90 % marktbeherrschende Anbieterin auf dem vorgelagerten Markt für die Erbringung allgemeiner Suchdienste in Deutschland. Diesen Marktanteil hat die Verfügungsbeklagte nicht substantiiert bestritten und auch nicht dargelegt, welche Änderungen des Suchmaschinenmarktes in den letzten zwei bis drei Jahren dazu geführt haben könnten, dass die Einschätzung der Kommission überholt wäre. Auf eine Bindungswirkung dieser Entscheidungen kommt es dabei nicht an.

Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Verfügungsklägerin finden die Nutzer ferner ihren Weg zu den Gesundheitsportalen in den allermeisten Fällen (88-90 %) über eine ...-Suche. Die Betreiber von Gesundheitsportalen sind daher in besonderem Maße davon abhängig, auf der Suchergebnisseite der ...-Suche eine gute Sichtbarkeit zu erzielen, um von den Nutzern angesteuert zu werden und so einen Nutzertraffic zu erzeugen, den sie wiederum mit dem Abschluss von Werbeverträgen monetarisieren können. Bisher stand den Portalbetreibern hierzu die Möglichkeit zur Verfügung, mit Wettbewerbsmitteln, nämlich entweder durch die Erstellung besonders relevanter Inhalte und weiterer Optimierungsmaßnahmen in Bezug auf das Ranking in den generischen Suchergebnissen, oder - jedenfalls theoretisch - durch den Kauf von Anzeigenplätzen ganz oben auf der Suchergebnisseite zu landen. Nunmehr existiert an prominenter Stelle neben bzw. vor den generischen Suchergebnissen die allein den Inhalten des NGP vorbehaltene Infobox, zu der die Wettbewerber der Verfügungsbeklagten auf dem Markt für Gesundheitsportale auf absehbare Zeit keinen Zugang haben.

Dass die Verfügungsklägerin hierdurch erhebliche Wettbewerbsnachteile befürchten muss, liegt auf der Hand. Ein zentrales Marketinginstrument wird dem Wettbewerb entzogen und der Verfügungsbeklagten durch eine festgelegte „Poleposition“ ein nicht anderweitig ausgleichbarer Wettbewerbsvorteil gewährt. Denn dass die Nutzer in erster Linie die obersten Ergebnisse auf der Suchergebnisseite zur Kenntnis nehmen, hat die Verfügungsklägerin zum einen durch die Ausführungen mit Bezugnahme auf verhaltensökonomische Erklärungen der Europäischen Kommission im Verfahren „...Search (Shopping)“ hinreichend glaubhaft gemacht. Zum anderen entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Verbraucher eher geneigt sind, die oberen Ergebnisse einer Suchanfrage anzusteuern. Nicht zuletzt ist es das erklärte Ziel der Vertragspartner, die Aufmerksamkeit der Nutzer durch die prominent hervorgehobenen Infoboxen auf die Inhalte des NGP zu ziehen. Auch die Verfügungsbeklagte und ...gehen daher ausweislich ihrer Äußerungen auf der Pressekonferenz davon aus, dass diese von den Nutzem eher zur Kenntnis genommen werden als der restliche Inhalt der Suchergebnisseite.

Soweit die Verfügungsbeklagte behauptet, dass die Infoboxen lediglich Basisinformationen bereitstellten, die einen ersten Überblick geben, aber nicht das Informationsangebot der Verfügungsklägerin ersetzen, ist dieses Argument zum einen widersprüchlich. Denn die Verfügungsbeklagte betont selbst an anderer Stelle, dass die Infoboxen die Fragen der Nutzer vielfach bereits zufriedenstellend beantworten, weshalb die Nutzer nicht mehr auf den bereitgestellten Link zum NGP klickten. Zum anderen ist diese Behauptung weder mit dem tatsächlichen, durchaus umfangreichen Inhalt der Infoboxen, der für manchen Informationssuchenden sicherlich ausreichende Antworten liefert, noch mit den tatsächlichen Auswirkungen, wie sie die Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht hat, in Einklang zu bringen.

Unabhängig davon, wieviel Gebrauch die Nutzer tatsächlich von dem Link auf das NGP machen, spricht die rückläufige Klickrate auf der Seite der Verfügungsklägerin im Einklang mit den eigenen Ausführungen der Verfügungsbeklagten dafür, dass eine Vielzahl der Nutzer ihre Suche aufgrund der Infoboxen abbricht, weil ihr Informationsbedürfnis bereits hierdurch gestillt wird. Die - unter Hinweis auf auch sonst vorkommende Schwankungen der Zugriffe bestrittene - Kausalität der Infoboxen für den - als solchen unbestrittenen - Rückgang der Klickrate für bestimmte Gesundheitsbegriffe ist hinreichend glaubhaft gemacht. So hat die Verfügungsklägerin Gesundheitsbegriffe ausgewählt, bei denen das Ranking in den allgemeinen Suchergebnissen während des Untersuchungszeitraums gleichbleibend war, so dass ein Rückgang der Klickrate nur auf einen Rückgang der Visibilität zurückzuführen sein kann. Auch zeigt der noch stärker ausgeprägte Rückgang der Klickrate auf mobilen Endgeräten, bei denen es die Anordnung von Anzeigen, Infoboxen und generischen Ergebnissen nötig macht, noch weiter nach unten zu scrollen, um zu den generischen Suchergebnissen zu gelangen, dass eine Korrelation zwischen dem Maß des Verlustes an Sichtbarkeit und dem Rückgang der Klickrate besteht.

Eine abweichende Erklärung für die rückläufige Klickrate hat die Verfügungsbeklagte nicht vorgetragen, sondern lediglich auf Traffic- bzw. Ranking-Schwankungen schon vor Einführung der Infoboxen verwiesen. Es leuchtet jedoch nicht ein, weshalb der nominale Traffic oder das Ranking bessere Indikatoren für die wettbewerblichen Auswirkungen der streitgegenständlichen Vereinbarung sein sollen als die Klickrate. Die nominale Entwicklung des Traffics sagt nichts darüber aus, wie sich dieser ohne die streitgegenständliche Vereinbarung entwickelt hätte, was für die Beurteilung der wettbewerblichen Auswirkungen aber maßgeblich ist (s.o.). Diesen Bezug stellt die Klickrate aber zumindest annähernd her, indem sie die Entwicklung der Klicks auf eine Webseite bei gleichbleibendem Ranking und gleichbleibender Anzahl an Impressionen misst. Wenn Suchergebnisse der Verfügungsklägerin gleichbleibend oft und auf gleichem Rang gezeigt werden, aber weniger angeklickt werden, und dieser Effekt zeitgleich mit dem Ausspielen der Infoboxen eintritt, ist das ein deutliches Indiz dafür, dass auch ein (gleichbleibend) gut platziertes generisches Suchergebnis aufgrund der Infoboxen an Aufmerksamkeit eingebüßt hat.

Zwar mag es sein, dass die Analysen der Verfügungsklägerin eher exemplarischen Charakter haben und auch, dass keine konkret erlittenen Umsatzeinbußen beziffert werden können. Zum einen hat die Verfügungsklägerin jedoch glaubhaft gemacht, dass ihr Geschäftsmodell wegen des sog. Keyword-Targeting schon auf Sichtbarkeitsverluste bei einzelnen, eng umgrenzten Themenfeldern sensibel reagiert (Anlage K36, S. 2). Zum anderen kann sich die Verfügungsklägerin hier auch maßgeblich auf die oben dargelegten potentiellen Auswirkungen der Vereinbarung berufen, denn angesichts der kurzen Dauer der Schaltung der Infoboxen konnten sich wettbewerbsbeschränkende Effekte aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht vollständig auswirken. Auf die nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin obendrein zu befürchtenden sekundären Effekte, welche ein Abrutschen im Ranking aufgrund des durch die Infoboxen verstärkten Ansteuerns der Webseite des NGP und deren Einfluss auf den Algorithmus der ...-Suche möglicherweise befürchten lassen, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.

Die nachteiligen Auswirkungen führen dazu, dass die Verfügungsklägerin ihre Inhalte weniger Nutzern zugänglich machen kann, als dies ohne die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung der Fall wäre. Dabei ist die Schaltung von kostspieligen Anzeigen zur Erhaltung der Sichtbarkeit keine wirtschaftlich gleichwertige Alternative, auf die sich die Verfügungsklägerin verweisen lassen könnte oder müsste. Im Ergebnis kann die Verfügungsklägerin hierdurch weniger Einnahmen durch Werbemaßnahmen generieren und hat so weniger Spielraum für Investitionen in die Verbesserung ihrer Dienstleistung, als es ohne die Schaltung der blickfangartigen Infoboxen möglich wäre. Wenn die Verfügungsklägerin weniger Traffic generiert, ist sie auch als Plattform für Werbetreibende weniger interessant. Es liegt auf der Hand, dass diese ihre Werbung dorthin verlagern, wo sie ihre Zielgruppe besser erreichen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass diese Verlagerung zugunsten der Verfügungsbeklagten erfolgt, die gar nicht werbefinanziert ist. Dass die Parteien nicht auf dem Werbekundenmarkt konkurrieren und auch ...auf einem anderen Werbemarkt tätig, ist vielmehr unerheblich. Die Beschränkung des Wettbewerbs um informationssuchende Nutzer schlägt bei der Verfügungsklägerin auf den Werbekundenmarkt durch. Dass der von der Verfügungsbeklagten angeführte „Werbekuchen“ durch die Aktivitäten nicht kleiner wird, ist so nicht richtig. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Werbekunden der Verfügungsklägerin auf Gesundheitsportale beschränkt sein sollten. Auf dem Online-Werbemarkt gibt es vielmehr eine Vielzahl anderer Webseiten, auf die die Werbekunden der Verfügungsklägerin ausweichen können, um ihre Zielgruppe besser zu erreichen. Es ist daher eher naheliegend, dass Werbekunden im Falle einer sinkenden Reichweite der privaten Gesundheitsportale aufgrund des staatlichen Informationsangebots ihre Werbung auf den Gesundheitsportalen zugunsten anderer online Werbekanäle reduzieren und der von der Verfügungsbeklagten angeführte „Kuchen“ jedenfalls für die Gesundheitsportale dadurch tatsächlich kleiner wird.

(c) Eine Wettbewerbsbeschränkung ist auch nicht, wie die Verfügungsbeklagte meint, durch den Markterschließungsgedanken (Langen/Bunte/Krauß, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 1 Rn. 146 f.) ausgeschlossen. Zum einen liegt eine Wettbewerbsbeschränkung hier nicht allein im Innenverhältnis zwischen den - nicht auf dem gleichen Markt tätigen - Parteien der Vereinbarung vor (s.o.). Zum anderen kann die Vertreterin der Verfügungsbeklagten, das Bundesministerium für Gesundheit, nicht ernsthaft als „kleine Einheit“ bezeichnet werden, und schon gar nicht stellt die prominente Platzierung in den Infoboxen für die Verfügungsbeklagte die einzige Möglichkeit dar, auf dem Markt für Gesundheitsportale Fuß zu fassen. Andere Portale haben dies auch mit Wettbewerbsmitteln, nämlich Investitionen in die Qualität und Relevanz der Inhalte und suchmaschinenoptimierende Maßnahmen, geschafft.

(3) Eine Freistellung der Vereinbarung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB kommt nicht in Betracht. Die Vereinbarung trägt nicht zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts bei.

Freigestellt nach Art. 101 Abs. 3 AEUV sind Vereinbarungen, die Effizienzgewinne erzeugen. Unterschieden wird dabei zwischen quantitativen und qualitativen Effizienzsteigerungen. Dabei müssen durch die Vereinbarung objektive Vorteile entstehen, welche geeignet sind, die mit der Wettbewerbsbeschränkung verbundenen Nachteile auszugleichen. Dies erfordert in ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die durch eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung entstehenden Vorteile zu einer Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt führen müssen (Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 134).

Wann ein objektiver Vorteil vorliegt, ist unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses der Union zu bestimmen. Es reicht nicht, wenn die Parteien durch eine Vereinbarung lediglich ihre eigene Planungssicherheit verbessern und ihre Vertriebsorganisation effizienter gestalten können. Vielmehr muss ein im Unionsinteresse liegender marktwirksamer Effekt nachgewiesen werden (MüKo WettbR/Wolf, 3. Aufl. 2020, AE-UV Art. 101 Rn. 1083, 1084).

Die beteiligten Unternehmen müssen hierzu eine nachvollziehbare Einschätzung des Umfangs der zu erwartenden Vorteile vorgetragen, welche den in der Wettbewerbsbeschränkung liegenden Nachteilen gegenübergestellt werden könnten (vgl. Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 138).

(4) Derartige ausgleichende Effizienzgewinne hat die insoweit darlegungspflichtige Verfügungsbeklagte nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht.

Die Verfügungsbeklagte beruft sich zum einen auf eine qualitative Verbesserung der ...-Suche, da den Verbrauchern unmittelbar verlässliche und autoritative Informationen zu bestimmten Krankheiten angezeigt werden. Zum anderen behauptet sie eine Verbesserung der Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung durch die Infoboxen.

(a) Es erscheint schon fraglich, ob die Einbindung von syndiziertem Content eine Verbesserung einer Suchmaschine darstellt, da es sich letztlich weniger um eine Verbesserung des Suchmaschinendienstes als um eine Verlagerung der Tätigkeit Googles auf einen anderen Markt handelt, nämlich den eines Verlegers oder sonstigen Anbieters von - sei es lexikalischen oder journalistischen, jedenfalls aber schon wegen der bewussten inhaltlichen Reduzierung nicht völlig meinungsfreien - Inhalten. ...geht damit über die Grundfunktion der ...-Suche, als Suchplattform im Internet Nachfrager nach Produkten oder Dienstleistungen (z.B. Informationen) und deren Anbieter zusammenzubringen, aber auch über die unmittelbare Beantwortung sachlicher Suchanfragen (z.B. Wetter, Höhe des Eiffelturms) hinaus. Letztlich verlässt ...den Markt der reinen Suchmaschine im Sinne eines Vermittlers von Produkten an Nutzer und wird selbst zu einem Anbieter dieses Produkts. Dabei entspricht es zwar dem Leistungsgedanken des Wettbewerbs, Produktveränderungen und Verbesserungen hervorzubringen. Wenn aber ...dauerhaft eine Infobox mit den Inhalten des NGP vor die generischen Suchergebnisse setzt, bewertet das Unternehmen zum einen die verschiedenen im Netz zur Beantwortung einer Suchanfrage zur Verfügung stehenden Quellen, indem es eine davon vorab als maßgebliche Antwort prominent hervorhebt. Damit trifft es eine inhaltliche Vorauswahl, die losgelöst von dem ...Algorithmus ist. Dies ist für den Nutzer zum einen nicht unbedingt transparent, zum anderen wird hier eine inhaltliche Bewertung getroffen und damit letztlich ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung geleistet. Ob dies eine Verbesserung einer Suchmaschine ist, erscheint objektiv zumindest zweifelhaft.

(b) Selbst wenn man mit der Verfügungsbeklagten davon ausgeht, dass die ...-Suche durch die Einbindung der Infoboxen mit unmittelbar sichtbaren Gesundheitsinformationen attraktiver wird (vgl. LG Hamburg, Beschl. v. 04.04.2013 - 408 HKI 36/13), stellt dies keinen Effizienzgewinn im Sinne der Freistellungsvorschrift des Art. 101 Abs. 3 AEUV dar.

Die Steigerung der Attraktivität des Produkts eines einzelnen Marktteilnehmers stellt weder eine Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt dar, noch hat die Verfügungsbeklagte einen im Unionsinteresse liegenden marktwirksamen Effekt glaubhaft gemacht. Ein solcher steht auch nicht zu erwarten. Denn die attraktivere Gestaltung des Produkts eines einzelnen Anbieters für die Verbraucher kann nicht die Nachteile aufwiegen, die hier durch die Wettbewerbsbeschränkung für sämtliche andere Marktteilnehmer entstehen.

Dies gilt vor allem wenn - wie hier - ein marktbeherrschendes Unternehmen als „Gatekeeper“ auf dem vorgelagerten Suchmaschinenmarkt zum Nachteil der von ihm abhängigen privaten Mitbewerber dem steuerfinanzierten Angebot des Staates dauerhaft eine „Poleposition“ im Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer vermittelt, um die Attraktivität bzw. Visibilität ihrer jeweils eigenen Produkte aufzubessern. Hier greifen zwei Akteure in den relevanten Markt ein, die selbst ein geringes wirtschaftliches Risiko eingehen und erschweren den bereits vorhandenen Marktteilnehmern den Zugang zu ihren Nutzern, was bei dem speziell betroffenen Markt auch noch einen Eingriff in die Medien- und Meinungsvielfalt mit sich bringt.

Wie in einem solchen Fall die zu erwartenden Vorteile die Nachteile aufwiegen sollen, hat die Verfügungsbeklagte weder nachvollziehbar dargelegt noch ist dies ersichtlich.

(c) Soweit die Verfügungsbeklagte die Verbesserung der Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung als Wohlfahrtsgewinn anführt, fehlt es auch insoweit an einer nachvollziehbaren Darlegung und Gewichtung dieses Vorteils. Dass eine nennenswerte Anzahl unseriöser Gesundheitsportale in den oberen Suchergebnissen der ...-Suche erscheinen, behauptet die Verfügungsbeklagte nicht. Selbst wenn man eine Notwendigkeit zur Steigerung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung unterstellt, ist jedenfalls nicht dargetan und glaubhaft gemacht, inwieweit gerade die Infoboxen hierzu tatsächlich einen erheblichen Beitrag leisten. Jedenfalls erscheint dieser Vorteil in der Abwägung der vorgenannten Gesamtumstände nicht so überragend, dass dies die Gefahr der Verdrängung anderer seriöser Anbieter von Gesundheitsinformationen vom Markt rechtfertigt. Im Gegenteil droht dadurch ein Verlust der bestehenden Vielfalt an qualitativ hochwertigen Gesundheitsportalen und damit auch der Verfügbarkeit von medizinischen „Zweitmeinungen“.

2. Die Verfügungsklägerin hat keinen Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte auf Unterlassen der bloßen Duldung der Nutzung von Inhalten des NGP durch ... Verboten gem. Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen. In einer bloßen Duldung wäre keine Vereinbarung zu sehen. Hinzukommt, dass ein Verbot die Verfügungsbeklagte insoweit - falls die übernommenen Inhalte urheberrechtlich nicht geschützt wären - zu einem rechtlich gar nicht möglichen Einschreiten gegen ...verpflichten würde. Schon aus diesem Grund lässt sich der geltend gemachte Anspruch insoweit auch nicht aus den anderen angeführten Anspruchsgrundlagen herleiten.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext liegt vor: LG München - 37 O 15721/20 - Vereinbarung zwischen Bundesrepublik Deutschland und Google über Knowledge Panels kartellrechtswidrig

LG München
Urteil vom 10.02.2021
37 O 17520/20


Wir hatten bereits in dem Beitrag LG München: Vereinbarung zwischen Bundesrepublik Deutschland und Google über Knowledge Panels kartellrechtswidrig über die Entscheidung berichtet.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch auf Unterlassung der Zusammenarbeit mit dem BMG dahingehend, dass die Inhalte des Portals gesund.bund.de in dem BMG vorbehaltenen Infoboxen mit Gesundheitsinformationen angezeigt werden und diese auf das NGP verlinkt werden, § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV. Dieser Unterlassungsanspruch umfasst auch die Beseitigung des durch die vorangegangene Vereinbarung geschaffenen Zustands in Form der angegriffenen Infoboxen.

1. In der Kooperation der Verfügungsbeklagten mit dem BMG liegt eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bewirkt, Art. 101 Abs. 1 AE-UV, § 1 GWB.

a. Die Verfügungsbeklagte hat mit dem BMG eine Vereinbarung geschlossen mit dem Inhalt, dass die von der Verfügungsbeklagten geplanten Infoboxen zu Gesundheitsthemen auf Dauer exklusiv mit Inhalten aus dem Gesundheitsportal des BMG und einem Link auf das Portal gesund.bund.de befüllt werden.

(1) Eine Vereinbarung kommt bereits dann zustande, wenn eine grundsätzliche Willensübereinstimmung zwischen zwei Parteien erreicht ist. Weder eine Regelung sämtlicher Details noch ein Interessengleichlauf der Beteiligten sind erforderlich (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 68).

Das Merkmal der Vereinbarung wird unproblematisch durch zivilrechtliche Verträge erfüllt, d.h. im Falle einer Bindung zweier Parteien durch übereinstimmende Willenserklärungen. Ausreichend ist aber daneben insbesondere nach der Rechtsprechung der europäischen Gerichte auch, dass die Parteien ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten, und zwar auch ohne dass sie sich hierzu rechtlich, tatsächlich oder moralisch verpflichtet fühlen (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 71 m.w.N.).

(2) Getragen von einem derartigen gemeinsamen Willen haben die Verfügungsbeklagte und der Bundesminister für Gesundheit auf der gemeinsamen Pressekonferenz vom 10.11.2020 klar erkennen lassen, künftig bei der Erstellung von Infoboxen zu Gesundheitsthemen auf der Suchergebnisseite der Verfügungsbeklagten exklusiv zusammenarbeiten zu wollen. Der Vertreter der Verfügungsbeklagten und der Bundesminister für Gesundheit haben dabei mehrfach ausdrücklich von ihrer Zusammenarbeit bzw. Kooperation gesprochen. Gegenstand dieser Kooperation sollte es nach der übereinstimmenden Darstellung der beiden sein, dass auf der Suchergebnisseite von Google künftig bei einer Suche nach medizinischen Stichworten Antworten des NGP in einem prominent hervorgehobenen Infokasten präsentiert werden. Der Bundesminister für Gesundheit hat dabei auch wiederholt deutlich seine Dankbarkeit für diese Kooperation und für die künftige prominente Darstellung der Information des NGP und die Verlinkung gegenüber der Verfügungsbeklagten zum Ausdruck gebracht.

Mit diesen Äußerungen ist die Behauptung der Verfügungsbeklagten, es gebe keine Vereinbarung zwischen dem BMG und der Verfügungsbeklagten, die über die Abstimmung technischer Details hinausginge, in keiner Weise in Einklang zu bringen. Selbst wenn man annehmen will, dass die Spitzen von Google und der Verfügungsbeklagten sich hier werbend oder untechnisch ausgedrückt haben, erklärt dies nicht, worauf die medienwirksam verkündete Zusammenarbeit beruhen soll, wenn nicht auf einer Übereinkunft der Beteiligten. Schon der gemeinsame Presseauftritt setzt voraus, dass die Parteien sich darüber ins Benehmen gesetzt haben, dass und was sie gemeinsam verkünden werden. Das Ergebnis war nicht die Verkündung von abgestimmten technischen Details, des Formats der bereitgestellten Texte oder der Besonderheiten der geschaffenen Schnittstelle. Vielmehr wurde die beiderseitige Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass die beiden Beteiligten ganz grundsätzlich zusammen dafür sorgen werden, dass die Inhalte des NGP - und nur diese - in den Infoboxen bereitgestellt werden und diese auf die Webseite gesund.bund.de verlinken.

Auch die Ausschließlichkeit dieser Kooperation kommt in der Pressekonferenz zum Ausdruck: eine vergleichbare Kooperation der Verfügungsbeklagten mit anderen Gesundheitsportalen wird nicht angekündigt. Diese Ausschließlichkeit stellt auch die Verfügungsbeklagte nicht grundsätzlich in Abrede. Vielmehr beruft sie sich - abweichend von den etwa von der Suchmaschine Bing bereitgestellten Infoboxen zu Gesundheitsthemen mit Inhalten aus wechselnden Datenbanken - sogar darauf, dass die Kooperation insoweit grundsätzlich exklusiv sein müsse, als ein Anbieter für die Inhalte im Vorfeld auszuwählen und die Inhalte auf ihre Geeignetheit und Verlässlichkeit zu überprüfen seien.

Die Verfügungsbeklagte bringt allerdings vor, dass es an einer zeitlichen Bindung der Verfügungsbeklagten und des BMG fehle. Vielmehr habe die Verfügungsbeklagte sich überhaupt nicht gebunden, sondern sie könnte jederzeit ein anderes Gesundheitsportal mit der Bereitstellung von Inhalten für die Infoboxen beauftragen. Diese Behauptung steht jedoch in einem diametralen Widerspruch zu der Art der Kooperation, welche auf der Pressekonferenz verkündet wurde. Richtig erscheint zwar, dass keine konkrete Dauer vereinbart wurde. Unzweifelhaft war die Zusammenarbeit aber auf Dauer angelegt.

Der klar artikulierte Sinn und Zweck der Kooperation bestand nach der unwidersprochenen Äußerung des Bundesministers für Gesundheit zumindest für diesen darin, das NGP als maßgebliche Anlaufstelle für Gesundheitsinformationen im Netz zu etablieren. Das BMG geht dabei - auch für seinen Vertragspartner erkennbar - davon aus, dass die Zusammenarbeit dem NGP diese Position verschaffen werde, also zumindest so lange dauern werde, bis das NGP im Wettstreit um die Sichtbarkeit im Netz gegenüber anderen, privaten Anbietern einen maßgeblichen Vorteil erlangt hat. Immerhin versprach sich der Bundesminister für Gesundheit von der Zusammenarbeit: „Wer Gesundheit googelt, soll auf unserem Portal des Bundes landen“ und „Gesundheit.bund.de soll die zentrale Anlaufstelle werden für verlässliche Gesundheitsinformationen im Internet“. Das BMG hat die Kooperation folglich keinesfalls so verstanden - und dies geht auch aus den Äußerungen des Vertreters der Verfügungsbeklagten … nicht hervor -, dass die Zusammenarbeit nur von kurzer Dauer sein soll. Dagegen spricht auch der jedenfalls nicht völlig unbedeutende Aufwand, den das Ministerium mit der Erstellung gesonderter Texte und digitaler Markups betrieben hat, um die Übernahme der Inhalte in den Infoboxen zu ermöglichen. Übereinstimmend teilten zudem auch beide Vertragspartner mit, dass man zunächst mit 160 Krankheitsbegriffen starte und dies weiter auszubauen gedenke. Nichts deutet dabei auf eine nur kurz- oder mittelfristige Kooperation hin.

b. Das BMG ist im Zusammenhang mit dem Betrieb des Portals gesund.bund.de als Unternehmen einzustufen.

(1) Dabei ist von einem funktionalen Unternehmensbegriff auszugehen, dessen Inhalt aus dem Normzusammenhang und den Zwecken der Wettbewerbsvorschriften zu bestimmen ist. Danach gilt jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts (EuGH 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 „Höfner und Elser“; EuGH 10.9.2009, Rs. C-97/08 P, Slg. 2009, I-8237 Rn. 54 „Akzo Nobel“; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 9).

Ein wirtschaftliches Handeln liegt grundsätzlich in jeder selbständigen Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen gegen Entgelt auf einem bestimmten Markt anzubieten (vgl. OLG Düsseldorf NZKart 2017, 247, 250 m.w.N.). Entscheidender Gesichtspunkt ist dabei nicht, ob das Unternehmen, dessen Normadressateneigenschaft zu beurteilen ist, ein Entgelt erhebt; entscheidend ist, ob im räumlich und sachlich relevanten Markt, der von einer Wettbewerbsbeschränkung betroffen ist, die in Frage stehende Leistung üblicherweise gegen Entgelt angeboten wird - dann ist auch der Erbringer einer unentgeltlichen Leistung Unternehmen und damit Normadressat des Art. 101 Abs. 1 AEUV (Bechtold/Bosch/Brinker/Bechtold/Bosch/Brinker, 3. Aufl. 2014, AEUV Art. 101 Rn. 14).

Keinen wirtschaftlichen Charakter, der die Anwendung des Kartellrechts rechtfertigen würde, haben dagegen Tätigkeiten, die in Ausübung hoheitlicher Befugnisse erfolgen (vgl. EuGH, Urteile v. 19. Januar 1994 - C-364/92, Slg. 1994, I-43 - SAT-Fluggesellschaft; OLG Düsseldorf NZKart 2017, 247, 250 m.w.N., beck-online). Soweit dagegen eine öffentliche Einheit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, die von der Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse losgelöst werden kann, handelt sie in Bezug auf diese Tätigkeit als Unternehmen (vgl. EuGH, Urteile v. 26. März 2009 - C-113/07, Slg. 2009, I-2207, Rzn. 71 ff. - Selex Sistemi Integrati/Kommission; v. 12. Juli 2012 - C-138/11, WuW/E EU-R 2472, Rz. 38 - Compass-Datenbank; OLG Düsseldorf a.a.O.).

(2) Der Betrieb von Gesundheitsportalen ist eine geschäftliche Tätigkeit, die darin besteht, eine Dienstleistung, nämlich die Bereitstellung von Informationen zu Gesundheitsfragen, für Nutzer im Internet anzubieten. Die unstreitig erhebliche Nachfrage nach diesem Angebot wird aktuell und wurde in der Vergangenheit von einer Vielzahl privater Anbieter wie beispielsweise der Verfügungsklägerin durch in der Regel werbefinanzierte Portale bedient. Um ein solches Gesundheitsportal handelt es sich - abgesehen von der in diesem Zusammenhang unerheblichen Art der Finanzierung - auch bei dem Nationalen Gesundheitsportal. Dabei spielt es keine Rolle, dass das NGP sich im Vergleich zu anderen Angeboten im Netz möglicherweise einer einfacheren Sprache und einer besonders übersichtlichen Form bedient. Es mag sich insoweit um eine wettbewerbliche Besonderheit handeln, die das Angebot des BMG von anderen abhebt. Auch sind die Artikel des NGP möglicherweise weniger ausführlich als diejenigen anderer Portale. Ob in der Ausblendung von Kontroversen wie etwa zum Thema Impfen eine größere Neutralität liegt, dürfte bereits fraglich sein. Jedenfalls gehen diese Besonderheiten nicht so weit, dass sie die Ähnlichkeiten zwischen den Portalen überlagern und das NGP zu etwas grundsätzlich anderem machen. Vielmehr überwiegen die Ähnlichkeiten der Portale ganz deutlich: wie andere Gesundheitsportale auch bietet das NGP redaktionell aufbereitete Informationen zu Gesundheitsfragen aller Art, stellt Krankheiten dar und vermittelt Empfehlungen zur gesunden Lebensführung. Trotz der Unterschiede in der Aufmachung und des Umstands, dass auf dem Portal der Verfügungsklägerin Werbung geschaltet ist, ist angesichts der weitgehenden inhaltlichen Gleichartigkeit und der übereinstimmenden erklärten Zielsetzung der Portale daher von einer funktionalen Austauschbarkeit der Portale aus Sicht der Marktgegenseite - Verbraucher auf der Suche nach Gesundheitsinformationen im Internet - auszugehen. Hiervon ging auch das BMG im Rahmen der Auftragsvergabe aus, wenn es ausführte, mit dem NGP „eine signifikante Lücke auf dem bisher vorrangig kommerziell geprägten Markt der digitalen Gesundheitsinformationen im deutschsprachigen Internet schließen“ zu wollen (vgl. Anlage K19, S. 7). Schließlich spricht nicht zuletzt der Umstand, dass beide Portale in der Google-Suche den Nutzern alternativ zur Befriedigung des gleichen Informationsbedürfnisses angeboten werden, für ihre funktionale Austauschbarkeit.

Der Betrieb von Gesundheitsportalen ist in der Vergangenheit nicht ausschließlich durch öffentliche Einrichtungen erfolgt und muss auch nicht generell notwendigerweise durch solche Einrichtungen erfolgen (vgl. EuGH Urteil vom 23.04.1991 - Rs C-41/90 - Rz. 22).

Die Inanspruchnahme von Gesundheitsportalen ist für den Nutzer zwar auch bei privaten, werbefinanzierten Portalen grundsätzlich gebührenfrei. Jedoch ist hier die Hinnahme von Werbung als Entgelt zu begreifen, so dass insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt.

Die Verfügungsbeklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, dass das BMG bei dem Betrieb des Gesundheitsportals gesund.bund.de öffentliche Aufgaben wahrnehme, nämlich Gesundheitsaufklärung leiste. Die Teilnahme am allgemeinen Geschäftsverkehr durch einen Träger hoheitlicher Gewalt verliert den Charakter einer geschäftlichen, den Bindungen des Kartellrechts unterliegenden Tätigkeit nicht schon deshalb, weil mit ihr auch öffentliche Aufgaben erfüllt oder öffentlichen Interessen genügt werden soll. Greift ein Hoheitsträger - wie hier - bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu den von der Privatrechtsordnung bereitgestellten Mitteln, unterliegt er den gleichen Beschränkungen wie jeder andere Teilnehmer am privatrechtlich organisierten Markt und hat dabei insbesondere die durch das Wettbewerbsrecht gezogenen Grenzen einer solchen Tätigkeit zu beachten (BGH WuW/E DE-R 289, 293 - Lottospielgemeinschaft).

c. Mit ihrer Kooperation bewirken die Verfügungsbeklagte und das BMG eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Anbieter von Gesundheitsinformationen im Internet.

(1) Dabei ist, anders als die Verfügungsklägerin meint, nicht von einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung auszugehen. Der EuGH legt bei der Frage, ob eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, einen objektiven Maßstab an. Danach kommt es nicht auf die Absicht der Vertragspartner an - wenngleich diese als Indiz für die Eignung der Vereinbarung, den Wettbewerb zu beschränken, gewertet werden kann -, sondern auf eine objektive wettbewerbsbeschränkende Tendenz der zu beurteilenden Maßnahme. Damit ein wettbewerbswidriger Zweck festgestellt werden kann, muss die Koordinierung schon ihrer Natur nach schädlich für den Wettbewerb sein. Sie muss dafür in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lassen, sodass eine Auswirkungsprüfung entbehrlich wird (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 130).

Eine solche objektiv schädliche Tendenz, die etwa bei horizontalen Preisabsprachen, Gebietsaufteilungen oder vertikalen Preisbindungen der zweiten Hand angenommen wurde, ist der Vereinbarung zwischen der Verfügungsbeklagten und dem BMG nicht immanent.

(2) Die Ausschließlichkeitsbindung ist daher anhand ihrer konkreten Auswirkungen zu beurteilen. Aufgrund der von der Verfügungsklägerin vorgetragenen und glaubhaft gemachten potentiellen und tatsächlichen Auswirkungen und der erklärten Zielsetzung der Vertragsparteien ist davon auszugehen, dass die Vereinbarung zwischen der Verfügungsbeklagten und dem BMG den Wettbewerb auf dem relevanten Markt tatsächlich spürbar beeinträchtigt.

(a) Bei der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung stehen die tatsächlichen Auswirkungen, d.h. die objektiven Folgen der Vereinbarung auf dem Markt im Mittelpunkt. Wettbewerbsbeschränkende Wirkungen liegen vor, wenn die Vereinbarung zu einer Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne einer Einschränkung der Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten dritter Marktteilnehmer führt (MüKo WettbR/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Art. 101 AEUV Rn. 274).

Für die Ermittlung der objektiven Folgen ist der Wirkungszusammenhang zwischen der Vereinbarung und der aktuellen Wettbewerbssituation zu untersuchen. Die Vereinbarung muss zumindest hypothetisch kausal für die herrschende Wettbewerbssituation sein. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine kontrafaktische Analyse vorzunehmen, d.h. eine Gegenüberstellung der aktuellen Wettbewerbssituation mit der hypothetischen Situation, die herrschen würde, wenn die Vereinbarung nicht durchgeführt worden wäre. Dabei sind nicht nur die tatsächlichen, sondern auch die potentiellen Auswirkungen auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, zumindest in Situationen, in denen eine Vereinbarung noch gar nicht praktiziert wurde, und solchen, in denen eine Vereinbarung zwar schon praktiziert wurde, die Wirkungen, deren Eintritt sehr wahrscheinlich ist, aber noch nicht feststellbar sind. Dies trägt dem präventiven Charakter des Verbots Rechnung (MüKo WettbR/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, AEUV Art. 101 Rn. 275, 277).

(b) Die Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten der Verfügungsklägerin sind durch die Vereinbarung der Verfügungsbeklagten mit dem BMG erheblich eingeschränkt, weil den Inhalten des NGP dauerhaft die bestmögliche Position auf der Ergebnisseite der Google-Suche, nämlich die neu geschaffene, prominent hervorgehobene Postion „0“ in der Infobox, vorbehalten ist, die Wettbewerbern damit von vornherein nicht zur Verfügung steht.

Der relevante Markt ist hier der des Angebots von Gesundheitsportalen im Internet, auf dem die Verfügungsklägerin und das BMG als Anbieter wesentlich gleichartiger Gesundheitsportale (s.o.) tätig sind. Die Verfügungsbeklagte ist mit einem Marktanteil von 90 % marktbeherrschende Anbieterin auf dem vorgelagerten Markt für die Erbringung allgemeiner Suchdienste in Deutschland. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Verfügungsklägerin finden die Nutzer ihren Weg zu den Gesundheitsportalen in den allermeisten Fällen (88-90 %) über eine Google-Suche. Die Betreiber von Gesundheitsportalen sind daher in besonderem Maße davon abhängig, auf der Suchergebnisseite der Verfügungsbeklagten eine gute Sichtbarkeit zu erzielen, um von den Nutzern angesteuert zu werden und so einen Nutzertraffic zu erzeugen, den sie wiederum mit dem Abschluss von Werbeverträgen monetarisieren können. Bisher stand den Portalbetreibern hierzu die Möglichkeit zur Verfügung, mit Wettbewerbsmitteln, nämlich entweder durch die Erstellung besonders relevanter Inhalte und weiterer Optimierungsmaßnahmen in Bezug auf das Ranking in den generischen Suchergebnissen, oder - jedenfalls theoretisch - durch den Kauf von Anzeigenplätzen ganz oben auf der Suchergebnisseite zu landen. Nunmehr existiert an prominenter Stelle neben bzw. vor den generischen Suchergebnissen die allein den Inhalten des NGP vorbehaltene Infobox, zu der die Wettbewerber des BMG auf dem Markt für Gesundheitsportale auf absehbare Zeit keinen Zugang haben.

Dass die Verfügungsklägerin hierdurch erhebliche Wettbewerbsnachteile befürchten muss, liegt auf der Hand. Ein zentrales Marketinginstrument wird dem Wettbewerb entzogen und dem BMG durch eine festgelegte „Poleposition“ ein nicht anderweitig ausgleichbarer Wettbewerbsvorteil gewährt. Denn dass die Nutzer in erster Linie die obersten Ergebnisse auf der Suchergebnisseite zur Kenntnis nehmen, hat die Verfügungsklägerin zum einen durch die Ausführungen mit Bezugnahme auf verhaltensökonomische Erklärungen der Europäischen Kommission im Verfahren „Google Search (Shopping)“ hinreichend glaubhaft gemacht. Zum anderen entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Verbraucher eher geneigt sind, die oberen Ergebnisse einer Suchanfrage anzusteuern. Nicht zuletzt ist es das erklärte Ziel der Vertragspartner, die Aufmerksamkeit der Nutzer durch die prominent hervorgehobenen Infoboxen auf die Inhalte des NGP zu ziehen. Auch die Verfügungsbeklagte und das BMG gehen daher ausweislich ihrer Äußerungen auf der Pressekonferenz davon aus, dass diese von den Nutzern eher zur Kenntnis genommen werden als der restliche Inhalt der Suchergebnisseite.

Soweit die Verfügungsbeklagte behauptet, dass die Infoboxen lediglich Basisinformationen bereitstellten, die einen ersten Überblick geben, aber nicht das Informationsangebot der Verfügungsklägerin ersetzen, ist dieses Argument zum einen widersprüchlich. Denn die Verfügungsbeklagte betont selbst an anderer Stelle, dass die Infoboxen unmittelbare Antworten auf Suchanfragen liefern und so die Nachfrage nach Gesundheitsinformationen im Internet zeitsparend und zielgerichtet erfüllen. Zum anderen ist diese Behauptung weder mit dem tatsächlichen Inhalt der Infoboxen, der für manchen Informationssuchenden durchaus ausreichende Antworten liefert, noch mit den tatsächlichen Auswirkungen, wie sie die Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht hat, in Einklang zu bringen.

Dabei mag es sein, dass die Nutzer von der Verlinkung auf das NGP wenig Gebrauch machen, wie die Verfügungsbeklagte vorträgt. Die rückläufige Klickrate auf der Seite der Verfügungsklägerin spricht jedoch dafür, dass eine Vielzahl der Nutzer ihre Suche aufgrund der Infoboxen abbricht, weil ihr Informationsbedürfnis bereits hierdurch gestillt wird. Die - unter Hinweis auf auch sonst vorkommende Schwankungen der Zugriffe bestrittene - Kausalität der Infoboxen für den - als solchen unbestrittenen - Rückgang der Klickrate für bestimmte Gesundheitsbegriffe ist hinreichend glaubhaft gemacht. So hat die Verfügungsklägerin Gesundheitsbegriffe ausgewählt, bei denen das Ranking in den allgemeinen Suchergebnissen während des Untersuchungszeitraums gleichbleibend war, so dass ein Rückgang der Klickrate nur auf einen Rückgang der Visibilität zurückzuführen sein kann. Auch zeigt der noch stärker ausgeprägte Rückgang der Klickrate auf mobilen Endgeräten, bei denen es die Anordnung von Anzeigen, Infoboxen und generischen Ergebnissen nötig macht, noch weiter nach unten zu scrollen, um zu den zuletzt genannten Suchergebnissen zu gelangen, dass eine Korrelation zwischen dem Maß des Verlustes an Sichtbarkeit und dem Rückgang der Klickrate besteht.

Eine abweichende Erklärung für die rückläufige Klickrate hat die Verfügungsbeklagte nicht vorgetragen, sondern lediglich immer wieder - auch bei dem zuletzt angestellten Vergleich mit Österreich - darauf verwiesen, dass der nach ihrer Auffassung allein maßgebliche, weil monetarisierbare Gesamttraffic auf der Webseite der Verfügungsklägerin konstant geblieben sei. Es leuchtet jedoch nicht ein, weshalb der nominale Traffic ein besserer Indikator für die wettbewerblichen Auswirkungen der streitgegenständlichen Vereinbarung sein soll als die Klickrate. Die nominale Entwicklung des Traffics sagt nichts darüber aus, wie sich dieser ohne die streitgegenständliche Vereinbarung entwickelt hätte, was für die Beurteilung der wettbewerblichen Auswirkungen aber maßgeblich ist (s.o.). Diesen Bezug stellt die Klickrate aber zumindest annähemd her, indem sie die Entwicklung der Klicks auf eine Webseite bei gleichbleibendem Ranking und gleichbleibender Anzahl an Impressionen misst. Wenn Suchergebnisse der Verfügungsklägerin gleichbleibend oft und auf gleichem Rang gezeigt werden, aber weniger angeklickt werden, und dieser Effekt zeitgleich mit dem Ausspielen der Infoboxen eintritt, ist das ein deutliches Indiz dafür, dass auch ein (gleichbleibend) gut platziertes generisches Suchergebnis aufgrund der Infoboxen an Aufmerksamkeit eingebüßt hat.

Zwar mag es sein, dass die Analysen der Verfügungsklägerin eher exemplarischen Charakter haben und auch, dass keine konkret erlittenen Umsatzeinbußen benannt werden können. Die Verfügungsklägerin kann sich hier jedoch auch maßgeblich auf die oben dargelegten potentiellen Auswirkungen der Vereinbarung berufen, denn angesichts der kurzen Dauer der Schaltung der Infoboxen konnten sich wettbewerbsbeschränkende Effekte aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht vollständig auswirken. Auf die nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin obendrein zu befürchtenden sekundären Effekte, welche ein Abrutschen im Ranking aufgrund des durch die Infoboxen verstärkten Ansteuerns der Webseite des NGP und deren Einfluss auf den Algorithmus der Google-Suche möglicherweise befürchten lassen, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.

Die nachteiligen Auswirkungen führen dazu, dass die Verfügungsklägerin ihre Inhalte weniger Nutzern zugänglich machen kann, als dies ohne die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung der Fall wäre. Dabei ist die Schaltung von kostspieligen Anzeigen zur Erhaltung der Sichtbarkeit keine wirtschaftlich gleichwertige Alternative, auf die sich die Verfügungsklägerin verweisen lassen könnte oder müsste. Im Ergebnis kann die Verfügungsklägerin hierdurch weniger Einnahmen durch Werbemaßnahmen generieren und hat so weniger Spielraum für Investitionen in die Verbesserung ihrer Dienstleistung, als es ohne die Schaltung der blickfangartigen Infoboxen möglich wäre.

Soweit die Verfügungsbeklagte die Kausalität gerade der Vereinbarung für die Wettbewerbsbeschränkungen infragestellt, indem sie betont, dass die Einrichtung der Infoboxen auf ihrer einseitig getroffenen Entscheidung beruhe und allenfalls die Umsetzung einer Abstimmung mit dem BMG erfordert habe, unterscheidet sich der hiesige Fall nicht von jedem anderen Fall einer Vertikalvereinbarung. Jedem Geschäft, welches ein Unternehmen tätigt, geht eine unilaterale Entscheidung eines Unternehmensvertreters voraus, ein solches Geschäft abzuschließen. Nicht anders verhält es sich hier. Die Auswirkungen auf den Wettbewerb gehen nicht von der unternehmerischen Grundentscheidung aus, Infoboxen einführen zu wollen, sondern von der Vereinbarung, mit welcher diese in die Tat umgesetzt wird, nämlich der Übereinkunft mit dem BMG, bei der inhaltlichen Befüllung und Verlinkung exklusiv zusammenzuarbeiten, und deren Ausführung.

(3) Eine Freistellung der Vereinbarung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB kommt nicht in Betracht. Die Vereinbarung trägt nicht zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts bei.

Freigestellt nach Art. 101 Abs. 3 AEUV sind Vereinbarungen, die Effizienzgewinne erzeugen. Unterschieden wird dabei zwischen quantitativen und qualitativen Effizienzsteigerungen. Dabei müssen durch die Vereinbarung objektive Vorteile entstehen, welche geeignet sind, die mit der Wettbewerbsbeschränkung verbundenen Nachteile auszugleichen. Dies erfordert in ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die durch eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung entstehenden Vorteile zu einer Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt führen müssen (Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 134).

Wann ein objektiver Vorteil vorliegt, ist unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses der Union zu bestimmen. Es reicht nicht, wenn die Parteien durch eine Vereinbarung lediglich ihre eigene Planungssicherheit verbessern und ihre Vertriebsorganisation effizienter gestalten können. Vielmehr muss ein im Unionsinteresse liegender marktwirksamer Effekt nachgewiesen werden (MüKo WettbR/Wolf, 3. Aufl. 2020, AEUV Art. 101 Rn. 1083, 1084).

Die beteiligten Unternehmen müssen hierzu eine nachvollziehbare Einschätzung des Umfangs der zu erwartenden Vorteile vorgetragen, welche den in der Wettbewerbsbeschränkung liegenden Nachteilen gegenübergestellt werden könnten (vgl. Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 138)."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH legt EuGH Fragen zu Informationspflichten von Onlinehändlern im Zusammenhang mit Herstellergarantien zur Entscheidung vor

BGH
Beschluss vom 11.02.2021
I ZR 241/19


Der BGH hat dem EuGH BGH Fragen zur Informationspflichten von Onlinehändlern im Zusammenhang mit Herstellergarantien vor

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof legt EuGH Fragen zur Pflicht von Internethändlern vor, über Herstellergarantien zu informieren

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen vorgelegt, mit denen geklärt werden soll, inwieweit Internethändler Verbraucher über Herstellergarantien für die angebotenen Produkte informieren müssen.

Sachverhalt:

Die Parteien vertreiben Taschenmesser im Wege des Internethandels. Die Beklagte bot auf der Internetplattform Amazon ein Schweizer Offiziersmesser an. Die Angebotsseite enthielt unter der Zwischenüberschrift "Weitere technische Informationen" einen Link mit der Bezeichnung "Betriebsanleitung". Nach dem Anklicken dieses Links öffnete sich ein Produktinformationsblatt, das folgenden Hinweis auf eine Garantie des Herstellers enthielt: "Die Garantie erstreckt sich zeitlich unbeschränkt auf jeden Material- und Fabrikationsfehler (für Elektronik zwei Jahre). Schäden, die durch normalen Verschleiß oder durch unsachgemäßen Gebrauch entstehen, sind durch die Garantie nicht gedeckt." Weitere Informationen zur Garantie enthielt das Produktinformationsblatt nicht.

Die Klägerin hat beantragt, der Beklagten zu verbieten, den Absatz von Taschenmessern an Verbraucher mit Hinweisen auf Garantien zu bewerben, ohne hierbei auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers sowie darauf hinzuweisen, dass sie durch die Garantie nicht eingeschränkt werden, und ohne den räumlichen Geltungsbereich des Garantieschutzes anzugeben.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Beklagte antragsgemäß wegen eines Verstoßes gegen § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB und Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB nach § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG zur Unterlassung verurteilt. Bei Fernabsatzverträgen ist der Unternehmer nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB und Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB verpflichtet, den Verbraucher "gegebenenfalls" über das Bestehen und die Bedingungen von Garantien zu informieren. Das Oberlandesgericht hat angenommen, diese Informationspflicht bestehe jedenfalls, wenn das Warenangebot - wie im Streitfall - einen Hinweis auf das Bestehen einer Garantie enthalte. Der Inhalt dieser Informationspflicht sei unter Rückgriff auf § 479 Abs. 1 BGB zu bestimmen. Nach dieser Vorschrift muss eine Garantieerklärung unter anderem den Hinweis auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers sowie darauf, dass sie durch die Garantie nicht eingeschränkt werden, und die Angabe des räumlichen Geltungsbereichs des Garantieschutzes enthalten. Das Oberlandesgericht hat gemeint, diese Angaben müssten auch zur Erfüllung der hier in Rede stehenden Informationspflicht gemacht werden.

Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union drei Fragen zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher zur Vorabentscheidung vorgelegt. Diese Vorschrift wird durch § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB und Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB nahezu gleichlautend in deutsches Recht umgesetzt. Zum einen soll durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt werden, ob allein schon das bloße Bestehen einer Herstellergarantie die Informationspflicht nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2011/83/EU auslöst oder - falls dem nicht so ist - die Informationspflicht durch die bloße Erwähnung einer Herstellergarantie im Angebot des Unternehmers ausgelöst wird oder dann, wenn die Erwähnung für den Verbraucher ohne weiteres erkennbar ist. Darüber hinaus ist fraglich, ob eine Informationspflicht auch besteht, wenn für den Verbraucher ohne weiteres ersichtlich ist, dass der Unternehmer nur Angaben des Herstellers zur Garantie zugänglich macht. Schließlich wird der Gerichtshof der Europäischen Union um Beantwortung der Frage gebeten, ob die nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2011/83/EU erforderliche Information über das Bestehen und die Bedingungen einer Herstellergarantie dieselben Angaben enthalten muss wie eine Garantie nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, oder ob weniger Angaben genügen. Die zuletzt genannte Bestimmung ist durch § 479 Abs. 1 BGB in deutsches Recht umgesetzt worden.

Vorinstanzen:

LG Bochum - Urteil vom 21. November 2018 - I-13 O 110/18

OLG Hamm - Urteil vom 26. November 2019 - I-4 U 22/19

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 3 Abs. 1 UWG

Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.

§ 3a UWG

Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 8 Abs. 1 Satz 1 UWG

Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.

§ 312d Abs. 1 Satz 1 BGB

Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Artikels 246a des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche zu informieren.

§ 479 Abs. 1 BGB

Eine Garantieerklärung (§ 443) muss einfach und verständlich abgefasst sein. Sie muss enthalten:

1. den Hinweis auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers sowie darauf, dass sie durch die Garantie nicht eingeschränkt werden, und

2. den Inhalt der Garantie und alle wesentlichen Angaben, die für die Geltendmachung der Garantie erforderlich sind, insbesondere die Dauer und den räumlichen Geltungsbereich des Garantieschutzes sowie Namen und Anschrift des Garantiegebers.

Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB

Der Unternehmer ist nach § 312d Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verpflichtet, dem Verbraucher folgende Informationen zur Verfügung zu stellen: […]

9. gegebenenfalls das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienst, Kundendienstleistungen und Garantien, […]

Art. 6 Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2011/83/EU

Bevor der Verbraucher durch einen Vertrag im Fernabsatz oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, informiert der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise über Folgendes: […]

m) gegebenenfalls den Hinweis auf das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienst, Kundendienstleistungen und gewerblichen Garantien; […]

Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44/EG

Die Garantie muß

-darlegen, daß der Verbraucher im Rahmen der geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften über den Verbrauchsgüterkauf gesetzliche Rechte hat, und klarstellen, daß diese Rechte von der Garantie nicht berührt werden;

-in einfachen und verständlichen Formulierungen den Inhalt der Garantie und die wesentlichen Angaben enthalten, die für die Inanspruchnahme der Garantie notwendig sind, insbesondere die Dauer und den räumlichen Geltungsbereich des Garantieschutzes sowie Namen und Anschrift des Garantiegebers.

Bundeskabinett beschließt TTDSG - Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien

Das Bundeskabinett hat den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien beschlossen.

Aus dem Entwurf:

"A. Problem und Ziel

Ziel des Gesetzentwurfes ist vor allem die erforderliche Anpassung der Datenschutzbestimmungen des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und des Telemediengesetzes (TMG) an die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (DSGVO) und die rechtssichere Umsetzung der Regelung zum Schutz der Privatsphäre in Endeinrichtungen in der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation in der durch die Richtlinie 2009/136/EG geänderten Fassung (ePrivacy-Richtlinie) in nationales Recht. Die DSGVO gilt seit dem 25. Mai 2018. Die Datenschutzbestimmungen des Telemediengesetzes (TMG, §§ 11 bis 15a.) werden durch die Bestimmungen der DSGVO verdrängt, soweit nicht Öffnungsklauseln der DSGVO den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, eigene Regelungen zu treffen. Das gilt auch für die Datenschutzbestimmungen des Telekommunikationsgesetzes (TKG), soweit diese nicht die Bestimmungen der ePrivacy-Richtinie in deutsches Recht umsetzen. Denn die ePrivacy-Richtlinie gilt weiterhin und geht in ihrem Anwendungsbereich der DSGVO vor, sodass auch die Bestimmungen des TKG, die diese umsetzen, weiterhin gelten. Auch die Vorgaben der ePrivacy-Richtlinie knüpfen an die Bestimmungen der DSGVO an, insbesondere die Anforderungen der DSGVO an die Einwilligung in die Datenverarbeitung, was bei den nationalen Regelungen, die die ePrivacy-Richtlinie umsetzen, zu berücksichtigen ist.

Das Nebeneinander von DSGVO, TMG und TKG führt zu Rechtsunsicherheiten bei Verbrauchern, die Telemedien und Telekommunikationsdienste nutzen, bei Anbietern von diesen Diensten und bei den Aufsichtsbehörden. Der vorliegende Gesetzentwurf soll für Rechtsklarheit sorgen und einen wirksamen Datenschutz und Schutz der Privatsphäre der Endnutzer gewährleisten. Im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre beim Speichern und Auslesen von Informationen auf Endeinrichtungen, insbesondere Cookies, sowie die Rechtsprechung des Europäischen Ge ichtshofes dazu erfolgt die Aufnahme einer Regelung zum Einwilligungserfordernis, die eng am Wortlaut der Vorgaben der ePrivacy-Richtlinie orientiert ist. Die Aufsicht über die Datenschutzbestimmungen des TKG bei der geschäftsmäßigen Erbringung von Telekommunikationsdiensten soll zukünftig umfassend, d. h. auch im Hinblick auf die Verhängung von Bußgeldern, durch den Bundesbeauftragten oder die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) als unabhängiger
Datenschutzaufsichtsbehörde erfolgen.

B. Lösung
Die Datenschutzbestimmungen des TMG und des TKG, einschließlich der Bestimmungen zum Schutz des Fernmeldegeheimnisses, sollen an die DSGVO und die Richtlinie 2002/58/EG angepasst und in einem neuen Gesetz (Telekommunikation-Telemedien- Datenschutzgesetz – TTDSG) zusammengeführt werden. Dabei sollen zugleich die erforderlichen Anpassungen an die DSGVO erfolgen sowie Regelungen zu Endeinrichtungen und zur Datenschutzaufsicht getroffen werden.



LG München: Vereinbarung zwischen Bundesrepublik Deutschland und Google über Knowledge Panels kartellrechtswidrig

LG München
Urteile vom 10.02.2021
37 O 15721/20 und 37 O 15720/20


Das LG München hat entschieden, dass die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Google über die sogenannten Knowledge Panels kartellrechtswidrig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

„Netdoktor gegen BRD und Google: Vereinbarung über Knowledge Panels kartellrechtswidrig“ Vereinbarung über Knowledge Panels kartellrechtswidrig“

Heute hat die auf Kartellrecht spezialisierte 37. Zivilkammer des Landgerichts München I zwei Anträgen der NetDoktor.de GmbH in einstweiligen Verfügungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland (37 O 15721/20), vertreten durch das Bundesministerium für Gesundheit, und gegen die Google Ireland Ltd. (37 O 17520/20) im Wesentlichen stattgegeben.

Die Kammer hat dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und Google vorläufig eine Zusammenarbeit untersagt, die darauf gerichtet ist, bei der Google-Suche nach Krankheiten prominent hervorgehobene Infoboxen (sog. Knowledge Panels) mit Gesundheitsinformationen anzuzeigen, die aus den Inhalten des Nationalen Gesundheitsportals des Bundesministeriums für Gesundheit (gesund.bund.de) gespeist und mit einem Link zu diesem Portal versehen sind. Die Kammer bewertete dies als Kartellverstoß.

Zur Begründung der beiden Urteile führte die Vorsitzende Richterin, Dr. Gesa Lutz, in ihrer mündlichen Urteilsbegründung aus:

„Der Betrieb des Nationalen Gesundheitsportals durch das BMG ist keine rein hoheitliche Tätigkeit, sondern eine wirtschaftliche, die anhand des Kartellrechts zu prüfen ist. Das BMG ist mit Google eine Vereinbarung eingegangen, die eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Gesundheitsportale bewirkt. Denn die bestmögliche Position auf der Ergebnisseite der Google-Suche, nämlich die neu geschaffene, prominent hervorge-hobene Position „0“ in der Infobox, steht privaten Anbietern von Gesundheitsportalen von vornherein nicht zur Verfügung. Als Betreiber eines Gesundheitsportals ist NetDoktor in besonderem Maße davon abhängig, auf der Suchergebnisseite der Google-Suche eine gute Sichtbarkeit zu erzielen, da rund 90% der Nutzer über eine Google-Suche bei NetDoktor landen. Diese Sichtbarkeit wird stark eingeschränkt, weil die Infoboxen die Aufmerksamkeit der Nutzer von den allgemeinen Suchergebnissen ablenken und auf sich ziehen. Damit stillen sie das Informationsbedürfnis der Nutzer bereits vielfach. Dies führt zu einer Verringerung des Nutzeraufkommens bei NetDoktor und damit potentiell auch zu einem Verlust von Werbeein-nahmen, mit denen NetDoktor als privater Anbieter sein Portal finanziert.

Die Zusammenarbeit von Google und dem BMG ist auch nicht wegen qualitativer Effizienzgewinne, etwa wegen einer Verringerung des Suchaufwands für die Nutzer oder einer Verbesserung der Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung durch die Infoboxen, ausnahmsweise zulässig. Denn etwaige mit der Zusammenarbeit verbundene Vorteile wiegen jedenfalls nicht die Nachteile auf. Diese liegen insbesondere in einer möglichen Verdrängung der seriösen privaten Gesundheitsportale und in der damit verbundenen drohenden Reduzierung der Medien- und Meinungsvielfalt.

Die Kammer bewertet die Anträge auf Erlass der einstweiligen Verfügungen auch als dringlich, da NetDoktor glaubhaft gemacht hat, dass sich die geringere Sichtbarkeit bei einigen besonders oft gesuchten Krankheiten seit Beginn der Zusammenarbeit von Google und dem BMG bereits in rückläufigen Klickraten ausgewirkt hat. Den daher zu befürchtenden Verlust von Werbeeinnahmen muss NetDoktor nicht abwarten, bevor das private Portal gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen kann.

Nicht zu entscheiden hatte die Kammer über die Frage der Zulässigkeit des Nationalen Gesundheitsportals als solches. Der hierauf zielende Antrag wurde von Netdoktor nach Hinweis der Kammer zurückgenommen. Ein weiterer Antrag, der auf einseitiges marktmissbräuchliches Verhalten von Google gestützt war, wurde aus formellen Gründen zurückgewiesen.“

Die Urteile sind nicht rechtskräftig.

Es handelt sich um einstweilige Verfügungsverfahren. Hauptsacheverfahren sind derzeit nicht beim Landgericht München I anhängig.

[...]

Hintergrund:
Das Gesundheitsportal gesund.bund.de wird vom BMG verantwortet und ging am 01.09.2020 online. Im Rahmen einer vom BMG so bezeichneten „Zusammenarbeit“ mit Google stellt das BMG eine offene Schnittstelle zur Verfügung, wodurch alle Suchmaschinenbetreiber auf die Inhalte des Gesundheitsportals zugreifen können. Google nutzt die Inhalte, um damit Info-Boxen mit Kurzinformationen zu dem jeweiligen Gesundheitsthema zu befüllen. Am Ende der Box findet sich ein Link auf gesund.bund.de. Die sog. generischen Suchergebnisse auf der Grundlage des Google-Algorithmus sind bei der Desktopansicht weiterhin auf der linken Seite sichtbar, rechts erscheint die Infobox. Auf mobilen Endgeräten erscheint zunächst die Infobox, für die Sucherebnisse muss heruntergescrollt werden.