Skip to content

OLG Frankfurt: Fahrdienstvermittlung für Mietwagen per Uber-App wettbewerbswidrig - Uber tritt als Mietwagenunternehmen ohne eigene Mietwagenkonzession auf

OLG Frankfurt
Urteil vom 20.5.2021
6 U 18/20


Das OLG Frankfurt hat bestätigt, dass die Fahrdienstvermittlung für Mietwagen per Uber-App wettbewerbswidrig ist. Uber tritt als Mietwagenunternehmen ohne eigene Mietwagenkonzession auf.

Untersagung der Fahrdienstvermittlung für Mietwagen durch Uber-App bestätigt

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat gestern die Berufung des Fahrdienstvermittlers Uber gegen die Untersagung, Beförderungsaufträge an Mietwagenunternehmen mittels einer Applikation zu übermitteln, zurückgewiesen.

Der klagende Zusammenschluss von Taxizentralen aus verschiedenen Städten Deutschlands wendet sich gegen eine von dem Fahrdienstvermittler Uber genutzte Applikation. Über sie können Fahrten mit Mietwagenfahrern gebucht und abgerechnet werden. Der Fahrgast fragt mit der App eine Fahrt zu einem angegebenen Ziel an. Vor Bestätigung der Anfrage erhält er u.a. Angaben zum Preis und zur Dauer der Bereitstellung des Mietwagens. Die App ermittelt dann automatisiert einen geeigneten Fahrer eines Mietwagenunternehmens. Dieser erhält eine Push-Mitteilung nebst einer Dienstanweisung. Kommt es zur Auftragsannahme, rechnet die Beklagte nach Fahrtende die Fahrt über die App ab.

Die Kläger halten dieses Vorgehen unter Hinweis auf die Regelungen des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) in mehrfacher Hinsicht für wettbewerbswidrig.

Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben und die Fahrdienstvermittlung für Mietwagen untersagt. Zur Begründung hatte das Landgericht u.a. darauf hingewiesen, dass Uber die hier für die Übermittlung von Fahrten an Mietwagenfahrer erforderliche Mietwagenkonzession fehle. Aus der maßgeblichen Sicht des Fahrgastes erbringe Uber selbst die Dienstleistung und sei damit Unternehmerin. Uber trete als Anbieter der Beförderungsleistung nach außen auf, bestimme die Konditionen und rechne ab. Folglich sei Uber selbst konzessionspflichtig.

Nach der gestrigen Berufungsverhandlung hat das OLG die Berufung von Uber gegen das Urteil des Landgerichts zurückgewiesen. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 20.5.2021, Az. 6 U 18/20

(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 19.12.2019, Az. 3-08 O 44/19)

Die Entscheidung ist demnächst im Volltext unter www.rv.hessenrecht.hessen.de abrufbar.

Erläuterungen:
§ 2 PBefG Genehmigungspflicht
(1) 1Wer im Sinne des § PBEFG § 1 Abs. PBEFG § 1 Absatz 1

1. ...
4.mit Kraftfahrzeugen im Gelegenheitsverkehr (§ PBEFG § 46)
Personen befördert, muß im Besitz einer Genehmigung sein. ...

§ 49 PBefG Verkehr mit Mietomnibussen und mit Mietwagen
(1) Verkehr mit Mietomnibussen ist die Beförderung von Personen mit Kraftomnibussen, die nur im ganzen zur Beförderung angemietet werden und mit denen der Unternehmer Fahrten ausführt, deren Zweck, Ziel und Ablauf der Mieter bestimmt. Die Teilnehmer müssen ein zusammengehöriger Personenkreis und über Ziel und Ablauf der Fahrt einig sein.

(2) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 sind nicht gegeben, wenn Fahrten unter Angabe des Fahrtziels vermittelt werden. Mietomnibusse dürfen nicht durch Bereitstellen auf öffentlichen Straßen oder Plätzen angeboten werden.

(3) Die Vorschriften der §§ 21 und 22 sind nicht anzuwenden.

(4) Verkehr mit Mietwagen ist die Beförderung von Personen mit Personenkraftwagen, die nur im ganzen zur Beförderung gemietet werden und mit denen der Unternehmer Fahrten ausführt, deren Zweck, Ziel und Ablauf der Mieter bestimmt und die nicht Verkehr mit Taxen nach § 47 sind. Mit Mietwagen dürfen nur Beförderungsaufträge ausgeführt werden, die am Betriebssitz oder in der Wohnung des Unternehmers eingegangen sind. Nach Ausführung des Beförderungsauftrags hat der Mietwagen unverzüglich zum Betriebssitz zurückzukehren, es sei denn, er hat vor der Fahrt von seinem Betriebssitz oder der Wohnung oder während der Fahrt fernmündlich einen neuen Beförderungsauftrages erhalten. Der Eingang des Beförderungsauftrages am Betriebssitz oder in der Wohnung hat der Mietwagenunternehmer buchmäßig zu erfassen und die Aufzeichnung ein Jahr aufzubewahren. Annahme, Vermittlung und Ausführung von Beförderungsaufträgen, das Bereithalten des Mietwagens sowie Werbung für Mietwagenverkehr dürfen weder allein noch in ihrer Verbindung geeignet sein, zur Verwechslung mit dem Taxenverkehr zu führen. Den Taxen vorbehaltene Zeichen und Merkmale dürfen für Mietwagen nicht verwendet werden. Die §§ 21 und 22 sind nicht anzuwenden.



BGH: E-Mail-Anbieter Tutanota muss Ermittlungsbehörden nach 100a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO Möglichkeit zur Überwachung von zwei verschlüsselten E-Mail-Postfächern einräumen

BGH
Beschluss vom 28.04.2021
2 BJs 366/19-9 VS-NfD


Der BGH hat entschieden, dass Bder E-Mail-Anbieter Tutanota den Ermittlungsbehörden nach 100a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO die Möglichkeit zur Überwachung von zwei verschlüsselten E-Mail-Postfächern einräumen muss.




AG Hamburg: Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO rechtfertigt nicht Anfertigung von Fotos fremder Personen in der Öffentlichkeit - Ordnungswidrigkeit gemäß § 83 Abs. 5 i. V. m. § 41 DSGVO

AG Hamburg
Beschluss vom 03.07.2020
163 Gs 656/20

Das AG Hamburg hat entschieden, dass Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO nicht die Anfertigung von Fotos fremder Personen in der Öffentlichkeit ohne deren Zustimmung rechtfertigt. Es handelt sich um eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 83 Abs. 5 i. V. m. § 41 DSGVO.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Betroffene K. ist aufgrund der bisherigen polizeilichen Ermittlungen, insbesondere den Feststellungen der Polizeibeamten W. und L. sowie der Angaben der Zeuginnen T. J. und K., verdächtig, in Hamburg am 14.04.2020
gegen die Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten, einschließlich der Bedingungen für die Einwilligung, gemäß den Artikeln 5, 6 und 7 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstoßen zu haben, indem er gegen 11:45 Uhr auf dem Parkplatz vor dem Fahrradladen „[…]“, aus dem von ihm geführten Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen […] heraus mit dem im Tenor dieser Entscheidung näher bezeichneten Mobiltelefon gezielt und gerichtet Fotographien von den dort zufällig aufhältigen und ihm bis dahin unbekannten 18 bzw. 20 Jahre alten Zeuginnen T. J. und L. anfertigte, ohne zuvor deren Erlaubnis eingeholt zu haben.

Ordnungswidrigkeit gemäß § 83 Abs. 5 i. V. m. § 41 DSGVO.

Die Beschlagnahme des im Tenor dieser Entscheidung näher bezeichneten Mobiltelefons des Betroffenen war antragsgerecht anzuordnen, weil dieses für das vorliegende Ordnungswidrigkeitenverfahren als Beweismittel im Sinne der §§ 94, 98 StPO (i. V. m. § 46 OWiG) in Betracht kommt. Nach den Angaben der Polizeibeamten vor Ort handelt es sich um das Handy, das der Betroffene beim Antreffen auf dem Parkplatz mit sich geführt hat und auf dem die Polizeibeamten auch Fotos von den Zeuginnen gesehen bzw. erkannt haben wollen.

Soweit die von dem Betroffenen mandatierte Verteidigung in ihrem Schriftsatz vom 15.06.2020 in der konkreten Fallgestaltung die Anwendbarkeit der Datenschutz-Grundverordnung unter Hinweis auf den dortigen Art. 2 Abs. 2 lit. c mit der Argumentation in Frage gestellt wissen will, dass der Betroffene die von ihm gefertigten Fotos ausschließlich für private Zwecke habe verwenden, insbesondere nicht habe weiterverbreiten wollen, wird eine solche Auslegung dem rechtlichen Gehalt des zitierten Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO nicht gerecht. Zwar entspricht es in der Tat dem Willen des Verordnungsgebers, die Erhebung und Weiterverarbeitung von personenbezogenen Daten aus dem ausschließlich persönlichen und/oder familiären Bereich aus dem Anwendungsbereich der DSGVO auszunehmen. Der Betroffene versteht diese Regelung jedoch ersichtlich falsch, wenn er daraus schließen sollte, dass es ihm jederzeit frei steht, in der Öffentlichkeit eigenmächtig gezielt Fotographien von ihm fremden Personen zu fertigen. Wie von dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz zu Recht darauf hingewiesen, kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, mit welchem Ziel bzw. zu welchem Zweck die Anfertigung der streitbefangenen Bilder erfolgt ist bzw. ob diese außerhalb einer rein privaten Sachbehandlung beabsichtigt war. Vielmehr verlässt bereits die Erstellung, mithin die Anfertigung von Bildern fremder Personen in der Öffentlichkeit den „privaten Raum“ und damit dem Schutzbereich, der durch die Vorschrift des Art. 2 Abs. 2 lit.c DSGVO eingeräumt wird, da sich letztlich bereits das Objekt der fotographischen Betrachtung schon außerhalb der eingeräumten „Privatsphäre“ befindet und daher nicht durch Anfertigung eines Bildes in diese „hineingezogen“ werden kann. Konkret verdeutlicht wird dieses, wenn man ein derartiges Verhalten ähnlichen Situationen gegenüberstellt, von deren Schutz der Normgeber in diesem Zusammenhang ersichtlich ausgegangen ist. Vornehmlich Familienfeiern, Gruppenreisen, Betriebsfeiern oder ähnliche Veranstaltungen, die in diesem Moment einen Teil der privaten Persönlichkeitssphäre einer Person darstellen bzw. abbilden, sollten aufgrund der individuellen Nähe zu der Daten verarbeitenden Person, hier dem Fotografierenden, aus dem Regelungsbereich der DSGVO ausgenommen sein, nicht aber die gezielte – und zudem heimliche – Anfertigung von Fotos fremder Menschen. Da eine Erlaubnis der betroffenen Frauen zur Anfertigung des Fotos von dem Betroffenen vorab nicht eingeholt worden war, ist nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen von einer Verwirklichung des Verstoßes gegen Art. 83 Abs. 5 DSGVO auszugehen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Bundestag hat Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes angenommen - Uploadfilter & Co.

Der Bundestag hat am 20.05.2021 hat den Entwurf des Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung angenommen.

Aus dem Entwurf:

"Die Bundesregierung stellt fest, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten mit der Richtlinie (EU) 2019/790 vom 17. April 2019 über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (DSM-Richtlinie), die als Querschnitts-Richtlinie eine Vielzahl urheberrechtlicher Fragen adressiere, einen umfangreichen Rechtsetzungsauftrag erteilt habe. Auch die Online-SatCab-Richtlinie (EU) 2019/789 vom 17. April 2019 (Online-SatCab-RL), die insbesondere die Online- Verwertung von Rundfunkprogrammen teilweise neu regele, sei umzusetzen. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache Pelham („Metall auf Metall“) vom 29. Juli 2019 (C-476/17, Rn. 56 ff., ECLI:EU:C:2019:624) entschieden, dass die Bestimmung des § 24 UrhG mit dem Unionsrecht nicht vereinbar
sei.

Der Entwurf enthalte die insoweit erforderlichen Rechtsänderungen. Er führe mit den Bestimmungen über die Verantwortlichkeit von Upload-Plattformen im neuen Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) sowie den Regelungen über kollektive Lizenzen mit erweiterter Wirkung zwei neue Rechtsinstrumente in das deutsche Urheberrecht ein. Daneben modifiziere er an einer Vielzahl von Stellen das Urheberrechtsgesetz (UrhG) und das Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG). Durch die im Ausschuss vorgenommenen Änderungen sollen u. a. die gesetzlich erlaubten Nutzungen für Unterricht und Lehre, die wissenschaftliche Forschung und Kulturerbe-Einrichtungen entfristet (§ 142 UrhG-E), die Modalitäten und der Kreis der Berechtigten desin § 4 Absatz 3 UrhDaG-E normierten Direktvergütungsanspruchs konkretisiert, die Vergütungspflicht der Diensteanbieter für gesetzlich erlaubte Nutzungen gemäß § 5 Absatz 2 Satz 1 UrhDaG-E auf Karikaturen, Parodien und Pastiches beschränkt und gemäß § 12 Absatz 2 Satz 2 UrhDaG-E die Haftung des Diensteanbieters auf Schadensersatz für die öffentliche Wiedergabe mutmaßlich erlaubter Nutzungen nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens auf Fälle begrenzt werden, in denen der Diensteanbieter bei Durchführung des Beschwerdeverfahrens schuldhaft gegen die in § 14 UrhDaGE normierten Pflichten verstoßen hat. "


Siehe auch zum Thema: Uploadfilter & Co. - Bundeskabinett beschließt Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes

BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen zur Bestands- und Nutzungsdatenauskunft durch Telekommunikations- und Telemediendiensteanbieter abgewiesen

BVerfG
Beschluss vom 19. April 2021
1 BvR 1732/14

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen zur Bestands- und Nutzungsdatenauskunft durch Telekommunikations- und Telemediendiensteanbieter abgewiesen

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgericht:

Erfolglose Verfassungsbeschwerde zur Bestands- und Nutzungsdatenauskunft durch
Telekommunikations- und Telemediendiensteanbieter

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen Vorschriften des Bundesrechts und des schleswig-holsteinischen Landesrechts richtete, die in unterschiedlichem Umfang die manuelle Bestands- und Nutzungsdatenauskunft durch Telekommunikations- und Telemediendiensteanbieter regeln.

Die angegriffenen Vorschriften des Landes Schleswig-Holstein zum Abruf von Bestandsdaten bei Telekommunikationsdiensteanbietern durch Polizei und Verfassungsschutzbehörde genügen vollständig den Maßgaben aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 - (Bestandsdatenauskunft I) und vom 27. Mai 2020 - 1 BvR 1873/13 u. a. - (Bestandsdatenauskunft II). Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen richtet, die Auskünfte bei Telemediendiensteanbietern betreffen, ist sie unzulässig. Sie ist insoweit teils verfristet, teils genügt der Vortrag der Beschwerdeführenden nicht den Anforderungen an die Darlegung der Beschwerdebefugnis.

Die am 2. April 2021 in Kraft getretenen bundesrechtlichen Neuregelungen der Bestands- und Nutzungsdatenauskunft aus dem Gesetz zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 waren nicht Gegenstand des Verfahrens.

Sachverhalt:

§ 180a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 bis 3 des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz ‒ LVwG) ermächtigt die Polizei zur allgemeinen Bestandsdatenauskunft, Zugangsdatenauskunft sowie Bestandsdatenauskunft anhand dynamischer und statischer IP-Adressen bei Telekommunikationsdiensteanbietern. § 180a Abs. 4 LVwG erstreckt diese Befugnisse auf den Abruf von Daten bei Telemediendiensteanbietern und erweitert sie noch um eine – inhaltlich begrenzte – Ermächtigung zur Nutzungsdatenauskunft.

§ 8a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein (Landesverfassungsschutzgesetz ‒ LVerfSchG) ermächtigt die Verfassungsschutzbehörde zur allgemeinen Bestandsdatenauskunft bei Telemediendiensteanbietern. § 8a Abs. 1 Satz 2 bis 4
LVerfSchG enthält auch für die Verfassungsschutzbehörde Ermächtigungsgrundlagen für die allgemeine Bestandsdatenauskunft, Zugangsdatenauskunft und Bestandsdatenauskunft anhand dynamischer IP-Adressen bei Telekommunikationsdiensteanbietern.

Durch den ebenfalls angegriffenen § 15 Abs. 5 Satz 4 Telemediengesetz (TMG) werden über einen Verweis auf § 14 Abs. 2 TMG in der hier angegriffenen Gesetzesfassung Diensteanbieter von Telemedien zur Erteilung einer Nutzungsdatenauskunft für bestimmte, vorwiegend behördliche Zwecke berechtigt.

Die Beschwerdeführenden rügen insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie eine Verletzung ihres nach Art. 10 Abs. 1 GG gewährleisteten Telekommunikationsgeheimnisses.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

I. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit die angegriffenen Vorschriften die Bestands- und Nutzungsdatenauskunft bei Telemediendiensteanbietern betreffen.

1. Hinsichtlich § 15 Abs. 5 Satz 4 TMG und § 8a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LVerfSchG ist die Verfassungsbeschwerde bereits verfristet.

2. Die Beschwerdeführenden haben bezüglich der Regelungen zur Auskunft von Daten bei Telemediendiensteanbietern nicht dargelegt, beschwerdebefugt zu sein. Das betrifft neben § 180a Abs. 4 LVwG und § 8a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LVerfSchG auch die ohnehin verspätet angegriffenen Vorschriften § 15 Abs. 5 Satz 4 TMG und § 8a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LVerfSchG.

Der Vortrag der Beschwerdeführenden zu ihrer Nutzung von Telemedien ist zu unspezifisch, um von einer eigenen Betroffenheit ausgehen zu können. Die Beschwerdeführenden haben namentlich einzig das Internetangebot eines Magazins als von ihnen genutzten Telemediendienst benannt. Sie haben jedoch nicht näher dargelegt, dass sie wegen dieser Nutzung mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die angegriffenen Regelungen betroffen sein könnten. Sofern die Vorschriften den Abruf von Bestandsdaten bei Telemediendiensteanbietern regeln, haben die Beschwerdeführenden nicht vorgetragen, bei dem von ihnen genannten Internetangebot überhaupt Bestandsdaten angegeben zu haben. Gleiches gilt, soweit sie vorgetragen haben, E-Mail-Postfächer zu nutzen.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet, soweit sie sich gegen die schleswig-holsteinischen Regelungen zur Bestandsdatenauskunft bei Telekommunikationsdiensteanbietern richtet. Das sind § 180a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 LVwG sowie § 8a Abs. 1 Satz 2 bis 4 LVerfSchG.

Diese Regelungen genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die verschiedenen Arten der Bestandsdatenauskunft, die der Erste Senat mit Beschlüssen vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 - (Bestandsdatenauskunft I) und vom 27. Mai 2020 - 1 BvR 1873/13 u. a. - (Bestandsdatenauskunft II) klargestellt hat.

1. Regelungen zur allgemeinen Bestandsdatenauskunft bei Telekommunikationsdiensteanbietern sind jedenfalls dann verhältnismäßig, wenn sie auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr an das Bestehen einer konkreten Gefahr geknüpft sind und für nachrichtendienstliche Zwecke vorsehen, dass die Auskunft im Einzelfall zur Aufklärung einer beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung geboten sein muss.

Die angegriffenen Regelungen zur allgemeinen Bestandsdatenauskunft genügen diesen Anforderungen. § 180a Abs. 1 Satz 1 LVwG setzt für die Polizei als Eingriffsschwelle eine „im einzelnen Falle bevorstehende Gefahr“ voraus, was dem Erfordernis einer konkreten Gefahr entspricht. § 8a Abs. 1 Satz 2 LVerfSchG verlangt für die Verfassungsschutzbehörde, dass die allgemeine Bestandsdatenauskunft „im Einzelfall“ „zu ihrer Aufgabenerfüllung erforderlich ist“. Diese Formulierung kann so ausgelegt werden, dass sie die Gebotenheit der Auskunft zur Aufklärung einer beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung voraussetzt und damit verhältnismäßig ist.

2. Die angegriffenen Regelungen zur Zugangsdatenauskunft bei Telekommunikationsdiensteanbietern in § 180a Abs. 2 Satz 1 LVwG und § 8a Abs. 1 Satz 3 LVerfSchG genügen ebenfalls den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Dazu zählt vorwiegend, dass eine Zugangsdatenauskunft nur möglich ist, wenn auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Nutzung der erlangten Daten vorliegen.

3. Auch soweit Regelungen zur Bestandsdatenauskunft bei Telekommunikationsdiensten anhand von IP-Adressen, nämlich § 180a Abs. 2 Satz 2 und 3 LVwG und § 8a Abs. 1 Satz 4 LVerfSchG, angegriffen sind, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

a) Regelungen zur Bestandsdatenauskunft bei Telekommunikationsdiensteanbietern anhand dynamischer IP-Adressen müssen aufgrund ihres gesteigerten Eingriffsgewichts zumindest dem Schutz oder der Bewehrung von Rechtsgütern von hervorgehobenem Gewicht dienen; dazu zählen jedenfalls die durch das Strafrecht geschützten Rechtsgüter. Dem genügt § 180a Abs. 2 Satz 2 LVwG auch insoweit, als er diese Maßnahme nicht nur zum Schutz von Leib, Leben oder Freiheit einer Person, sondern teils auch zur Abwehr von Schäden für Sach- oder Vermögenswerte oder die Umwelt eröffnet.

Da die Tätigkeit der Nachrichtendienste von vornherein auf den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter gerichtet ist, ist eine ausdrückliche Begrenzung der zu schützenden Rechtsgüter auf diesem Gebiet nicht notwendig.

b) Regelungen, die zum Abruf von Bestandsdaten anhand dynamischer IP-Adressen ermächtigen, müssen vorsehen, dass die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen dokumentiert werden. Die angegriffenen Vorschriften regeln dies in der angegriffenen Fassung zwar nicht ausdrücklich. Gleichwohl erfolgt eine solche Dokumentation aufgrund der dort vorgesehenen Verfahrensregelungen. So steht die Bestandsdatenauskunft anhand von IP-Adressen nach dem Landesverwaltungsgesetz grundsätzlich unter einem Richtervorbehalt und die Parallelmaßnahme nach dem Landesverfassungsschutzgesetz unter dem Vorbehalt einer ministeriellen Anordnung. Beide setzen einen begründeten Antrag voraus, wodurch eine Dokumentation der zugrundeliegenden Tatsachen erreicht wird. Dessen ungeachtet ordnet die aktuelle Gesetzesfassung für die Landespolizei eine Protokollierung nun auch ausdrücklich an.Erfolglose Verfassungsbeschwerde zur Bestands- und Nutzungsdatenauskunft durch Telekommunikations- und Telemediendiensteanbieter
Pressemitteilung Nr. 39/2021 vom 19. Mai 2021

Beschluss vom 19. April 2021
1 BvR 1732/14

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen Vorschriften des Bundesrechts und des schleswig-holsteinischen Landesrechts richtete, die in unterschiedlichem Umfang die manuelle Bestands- und Nutzungsdatenauskunft durch Telekommunikations- und Telemediendiensteanbieter regeln.

Die angegriffenen Vorschriften des Landes Schleswig-Holstein zum Abruf von Bestandsdaten bei Telekommunikationsdiensteanbietern durch Polizei und Verfassungsschutzbehörde genügen vollständig den Maßgaben aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 - (Bestandsdatenauskunft I) und vom 27. Mai 2020 - 1 BvR 1873/13 u. a. - (Bestandsdatenauskunft II). Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen richtet, die Auskünfte bei Telemediendiensteanbietern betreffen, ist sie unzulässig. Sie ist insoweit teils verfristet, teils genügt der Vortrag der Beschwerdeführenden nicht den Anforderungen an die Darlegung der Beschwerdebefugnis.

Die am 2. April 2021 in Kraft getretenen bundesrechtlichen Neuregelungen der Bestands- und Nutzungsdatenauskunft aus dem Gesetz zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 waren nicht Gegenstand des Verfahrens.

Sachverhalt:

§ 180a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 bis 3 des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz ‒ LVwG) ermächtigt die Polizei zur allgemeinen Bestandsdatenauskunft, Zugangsdatenauskunft sowie Bestandsdatenauskunft anhand dynamischer und statischer IP-Adressen bei Telekommunikationsdiensteanbietern. § 180a Abs. 4 LVwG erstreckt diese Befugnisse auf den Abruf von Daten bei Telemediendiensteanbietern und erweitert sie noch um eine – inhaltlich begrenzte – Ermächtigung zur Nutzungsdatenauskunft.

§ 8a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein (Landesverfassungsschutzgesetz ‒ LVerfSchG) ermächtigt die Verfassungsschutzbehörde zur allgemeinen Bestandsdatenauskunft bei Telemediendiensteanbietern. § 8a Abs. 1 Satz 2 bis 4
LVerfSchG enthält auch für die Verfassungsschutzbehörde Ermächtigungsgrundlagen für die allgemeine Bestandsdatenauskunft, Zugangsdatenauskunft und Bestandsdatenauskunft anhand dynamischer IP-Adressen bei Telekommunikationsdiensteanbietern.

Durch den ebenfalls angegriffenen § 15 Abs. 5 Satz 4 Telemediengesetz (TMG) werden über einen Verweis auf § 14 Abs. 2 TMG in der hier angegriffenen Gesetzesfassung Diensteanbieter von Telemedien zur Erteilung einer Nutzungsdatenauskunft für bestimmte, vorwiegend behördliche Zwecke berechtigt.

Die Beschwerdeführenden rügen insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie eine Verletzung ihres nach Art. 10 Abs. 1 GG gewährleisteten Telekommunikationsgeheimnisses.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

I. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit die angegriffenen Vorschriften die Bestands- und Nutzungsdatenauskunft bei Telemediendiensteanbietern betreffen.

1. Hinsichtlich § 15 Abs. 5 Satz 4 TMG und § 8a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LVerfSchG ist die Verfassungsbeschwerde bereits verfristet.

2. Die Beschwerdeführenden haben bezüglich der Regelungen zur Auskunft von Daten bei Telemediendiensteanbietern nicht dargelegt, beschwerdebefugt zu sein. Das betrifft neben § 180a Abs. 4 LVwG und § 8a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LVerfSchG auch die ohnehin verspätet angegriffenen Vorschriften § 15 Abs. 5 Satz 4 TMG und § 8a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LVerfSchG.

Der Vortrag der Beschwerdeführenden zu ihrer Nutzung von Telemedien ist zu unspezifisch, um von einer eigenen Betroffenheit ausgehen zu können. Die Beschwerdeführenden haben namentlich einzig das Internetangebot eines Magazins als von ihnen genutzten Telemediendienst benannt. Sie haben jedoch nicht näher dargelegt, dass sie wegen dieser Nutzung mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die angegriffenen Regelungen betroffen sein könnten. Sofern die Vorschriften den Abruf von Bestandsdaten bei Telemediendiensteanbietern regeln, haben die Beschwerdeführenden nicht vorgetragen, bei dem von ihnen genannten Internetangebot überhaupt Bestandsdaten angegeben zu haben. Gleiches gilt, soweit sie vorgetragen haben, E-Mail-Postfächer zu nutzen.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet, soweit sie sich gegen die schleswig-holsteinischen Regelungen zur Bestandsdatenauskunft bei Telekommunikationsdiensteanbietern richtet. Das sind § 180a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 LVwG sowie § 8a Abs. 1 Satz 2 bis 4 LVerfSchG.

Diese Regelungen genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die verschiedenen Arten der Bestandsdatenauskunft, die der Erste Senat mit Beschlüssen vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 - (Bestandsdatenauskunft I) und vom 27. Mai 2020 - 1 BvR 1873/13 u. a. - (Bestandsdatenauskunft II) klargestellt hat.

1. Regelungen zur allgemeinen Bestandsdatenauskunft bei Telekommunikationsdiensteanbietern sind jedenfalls dann verhältnismäßig, wenn sie auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr an das Bestehen einer konkreten Gefahr geknüpft sind und für nachrichtendienstliche Zwecke vorsehen, dass die Auskunft im Einzelfall zur Aufklärung einer beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung geboten sein muss.

Die angegriffenen Regelungen zur allgemeinen Bestandsdatenauskunft genügen diesen Anforderungen. § 180a Abs. 1 Satz 1 LVwG setzt für die Polizei als Eingriffsschwelle eine „im einzelnen Falle bevorstehende Gefahr“ voraus, was dem Erfordernis einer konkreten Gefahr entspricht. § 8a Abs. 1 Satz 2 LVerfSchG verlangt für die Verfassungsschutzbehörde, dass die allgemeine Bestandsdatenauskunft „im Einzelfall“ „zu ihrer Aufgabenerfüllung erforderlich ist“. Diese Formulierung kann so ausgelegt werden, dass sie die Gebotenheit der Auskunft zur Aufklärung einer beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung voraussetzt und damit verhältnismäßig ist.

2. Die angegriffenen Regelungen zur Zugangsdatenauskunft bei Telekommunikationsdiensteanbietern in § 180a Abs. 2 Satz 1 LVwG und § 8a Abs. 1 Satz 3 LVerfSchG genügen ebenfalls den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Dazu zählt vorwiegend, dass eine Zugangsdatenauskunft nur möglich ist, wenn auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Nutzung der erlangten Daten vorliegen.

3. Auch soweit Regelungen zur Bestandsdatenauskunft bei Telekommunikationsdiensten anhand von IP-Adressen, nämlich § 180a Abs. 2 Satz 2 und 3 LVwG und § 8a Abs. 1 Satz 4 LVerfSchG, angegriffen sind, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

a) Regelungen zur Bestandsdatenauskunft bei Telekommunikationsdiensteanbietern anhand dynamischer IP-Adressen müssen aufgrund ihres gesteigerten Eingriffsgewichts zumindest dem Schutz oder der Bewehrung von Rechtsgütern von hervorgehobenem Gewicht dienen; dazu zählen jedenfalls die durch das Strafrecht geschützten Rechtsgüter. Dem genügt § 180a Abs. 2 Satz 2 LVwG auch insoweit, als er diese Maßnahme nicht nur zum Schutz von Leib, Leben oder Freiheit einer Person, sondern teils auch zur Abwehr von Schäden für Sach- oder Vermögenswerte oder die Umwelt eröffnet.

Da die Tätigkeit der Nachrichtendienste von vornherein auf den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter gerichtet ist, ist eine ausdrückliche Begrenzung der zu schützenden Rechtsgüter auf diesem Gebiet nicht notwendig.

b) Regelungen, die zum Abruf von Bestandsdaten anhand dynamischer IP-Adressen ermächtigen, müssen vorsehen, dass die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen dokumentiert werden. Die angegriffenen Vorschriften regeln dies in der angegriffenen Fassung zwar nicht ausdrücklich. Gleichwohl erfolgt eine solche Dokumentation aufgrund der dort vorgesehenen Verfahrensregelungen. So steht die Bestandsdatenauskunft anhand von IP-Adressen nach dem Landesverwaltungsgesetz grundsätzlich unter einem Richtervorbehalt und die Parallelmaßnahme nach dem Landesverfassungsschutzgesetz unter dem Vorbehalt einer ministeriellen Anordnung. Beide setzen einen begründeten Antrag voraus, wodurch eine Dokumentation der zugrundeliegenden Tatsachen erreicht wird. Dessen ungeachtet ordnet die aktuelle Gesetzesfassung für die Landespolizei eine Protokollierung nun auch ausdrücklich an.




BGH: Die bis Februar 2016 von Booking.com verwendeten "engen Bestpreisklauseln" waren kartellrechtswidrig und unzulässig

BGH
Beschluss vom 18.05.2021
KVR 54/20


Der BGH hat entschieden, dass die bis Februar 2016 von Booking.com verwendeten "engen Bestpreisklauseln" kartellrechtswidrig und unzulässig waren.

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof bestätigt Unzulässigkeit der "engen Bestpreisklauseln" von Booking.com

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass die bis Februar 2016 von Booking.com verwendeten sog. "engen Bestpreisklauseln" nicht mit dem Kartellrecht vereinbar sind.

Sachverhalt

Das Hotelbuchungsportal "booking.com" ermöglicht Hotelkunden Direktbuchungen. Für die Vermittlungsleistung erhalten die Betreiber des Portals von den Hotelunternehmen eine erfolgsabhängige Provision. Ab Juli 2015 sahen die allgemeinen Geschäftsbedingungen von "booking.com" eine "enge Bestpreisklausel" vor. Danach durften die Hotels ihre Zimmer auf der eigenen Internetseite nicht zu niedrigeren Preisen oder besseren Konditionen anbieten als auf "booking.com". Jedoch konnten die Hotelzimmer auf anderen Online-Buchungsportalen oder, unter der Voraussetzung, dass dafür online keine Werbung oder Veröffentlichung erfolgt, auch "offline" günstiger angeboten werden. Das Bundeskartellamt hat im Dezember 2015 festgestellt, dass eine solche Klausel kartellrechtswidrig sei, und ihre weitere Verwendung ab 1. Februar 2016 untersagt. Seitdem wird sie von Booking.com nicht mehr angewandt.

Bisheriger Prozessverlauf:

Auf die Beschwerde von Booking.com hat das OLG Düsseldorf die Verfügung des Bundeskartellamts aufgehoben. Es hat angenommen, die engen Bestpreisklauseln beeinträchtigten zwar den Wettbewerb, seien aber als notwendige Nebenabreden der Vermittlungsverträge mit den Hotelunternehmen vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht erfasst. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt das Bundeskartellamt die Wiederherstellung seiner Verfügung.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Kartellsenat hat die Entscheidung des OLG Düsseldorf aufgehoben und die Beschwerde von Booking.com zurückgewiesen.

Die enge Bestpreisklausel beschränkt den Wettbewerb beim Anbieten von Hotelzimmern. Die gebundenen Hotels dürfen im eigenen Onlinevertrieb keine günstigeren Zimmerpreise und Vertragsbedingungen anbieten als auf booking.com. Ihnen wird dadurch insbesondere die naheliegende Möglichkeit genommen, die eingesparte Vermittlungsprovision vollständig oder teilweise in Form von Preissenkungen weiterzugeben und dadurch Kunden zu werben.

Die Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht deshalb ausgeschlossen, weil die enge Bestpreisklausel als Nebenabrede zu einem kartellrechtsneutralen Austauschvertrag notwendig ist, um einen fairen und ausgewogenen Leistungsaustausch zwischen Booking.com als Portalbetreiber und den Hotels als Abnehmer der Vermittlungsdienstleistung zu gewährleisten. Ein solches Verständnis ist unvereinbar mit der Systematik des Art. 101 AEUV. Die für die engen Bestpreisklauseln geltend gemachten wettbewerbsfördernden Aspekte, wie die Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Plattformleistung durch Lösung des "Trittbrettfahrerproblems" (Gäste buchen direkt beim Hotel, nachdem sie sich auf Booking.com informiert haben) oder eine erhöhte Markttransparenz für die Verbraucher, müssen vielmehr sorgfältig gegen ihre wettbewerbsbeschränkenden Aspekte abgewogen werden. Diese Abwägung kann nach der Systematik des Art. 101 AEUV allein bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Freistellung vom Kartellverbot nach Absatz 3 dieser Vorschrift stattfinden.

Die enge Bestpreisklausel könnte damit als Nebenabrede zum Plattformvertrag nur dann vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen sein, wenn sie für dessen Durchführung objektiv notwendig wäre. Das ist nicht der Fall. Zweck des Vertrags zwischen Booking.com und den Hotelunternehmen ist die Online-Vermittlung von Hotelzimmern. Für diesen Vertragszweck ist die enge Bestpreisklausel keine unerlässliche Nebenabrede. Ermittlungen des Bundeskartellamts, die auf Veranlassung des Beschwerdegerichts nach Aufgabe der Verwendung der engen Bestpreisklausel durchgeführt wurden, haben ergeben, dass Booking.com nach allen maßgeblichen Parametern wie Umsatz, Marktanteil, Buchungsmengen, Zahl der Hotelpartner und Anzahl der Hotelstandorte seine Marktstellung in Deutschland weiter stärken konnte.

Die enge Bestpreisklausel von Booking.com ist nicht nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV gruppenfreigestellt, weil der Marktanteil von Booking auf dem relevanten Markt der Hotelbuchungsplattformen in Deutschland mehr als 30 % beträgt (Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO).

Die Anwendbarkeit des Art. 101 Absatz 1 AEUV auf die enge Bestpreisklausel ist auch nicht aufgrund einer Einzelfreistellung gemäß Abs. 3 dieser Vorschrift ausgeschlossen. Es fehlt bereits an der ersten Freistellungsvoraussetzung, einer Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts. Darunter sind durch die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung bewirkte Effizienzvorteile zu verstehen. Zwar führt der Betrieb einer Hotelbuchungsplattform zu erheblichen Effizienzvorteilen sowohl für die Verbraucher als auch für die ihr angeschlossenen Hotels. Mit den Funktionen Suchen, Vergleichen und Buchen bietet das Hotelbuchungsportal dem Verbraucher ein komfortables, in dieser Form sonst nicht verfügbares, attraktives Dienstleistungspaket. Die Hotels erhalten durch die Hotelbuchungsplattformen den Vorteil einer deutlich erweiterten Kundenreichweite. Diese Effizienzvorteile setzen jedoch die enge Bestpreisklausel nicht voraus. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Trittbrettfahrerproblem besteht. Es bestehen aber – nach den Nachermittlungen des Bundeskartellamts und dem Vorbringen von Booking.com – keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Problem die Effizienz des Plattformangebots gravierend gefährdet. Andererseits behindert die enge Bestpreisklausel aber erheblich den plattformunabhängigen Onlinevertrieb der Hotels.

Vorinstanz:

OLG Düsseldorf - Beschluss vom 4. Juni 2019 – VI-Kart 2/16 (V), WuW 2019, 386

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Art. 101 AEUV

(1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere

die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen;

die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen;

die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen;

die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden;

die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen.

(2) Die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig.

(3) Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf

Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen,

Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen,

aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen,

die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen

Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder

Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

Art. 2 Vertikal-GVO Freistellung

(1) Nach Artikel 101 Absatz 3 und nach Maßgabe dieser Verordnung gilt Artikel 101 Absatz 1

AEUV nicht für vertikale Vereinbarungen. …

Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO Marktanteilsschwelle

(1) Die Freistellung nach Absatz 1 gilt nur, wenn der Anteil des Anbieters an dem relevanten Markt … nicht mehr als 30% beträgt.



BGH: Keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts am eigenen Bild durch Verbreitung von Szenen aus dem Film "Die Auserwählten" bei Selbstöffnung

BGH
Urteil vom 18.05.2021
VI ZR 441/19


Der BGH hat entschieden, dass keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts am eigenen Bild durch Verbreitung von Szenen aus dem Film "Die Auserwählten" bei vorheriger Selbstöffnung einer dargestellten Person vorliegt.

Die Pressemitteilung des BGH:
Unterlassungsklage gegen die weitere Verbreitung von Szenen aus dem Film "Die Auserwählten" nicht erfolgreich

Sachverhalt:

Der Kläger war in den 1980er Jahren Schüler der Odenwaldschule, wo er über mehrere Jahre sexuell missbraucht wurde. Seit dem Jahr 1998 machte er auf das Missbrauchsgeschehen aufmerksam und trug – u.a. durch die Mitwirkung an Presseveröffentlichungen und an einem Dokumentarfilm – maßgeblich zu dessen Aufklärung bei. Im Jahr 2011 veröffentlichte der Kläger ein autobiographisches Buch, in dem er die Geschehnisse schilderte. Im Jahr 2012 erhielt der Kläger den Geschwister-Scholl-Preis; anlässlich der Preisverleihung legte er im November 2012 sein zunächst verwendetes Pseudonym ab. Im Jahr 2014 strahlte die ARD den im Auftrag der erstbeklagten Landesrundfunkanstalt von der Beklagten zu 2 produzierten Spielfilm "Die Auserwählten" aus. Der an Originalschauplätzen gedrehte Film thematisiert den sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule, wobei der Kläger als Vorbild für die zentrale Filmfigur zu erkennen ist. Der Kläger, der eine Mitwirkung an dem Film im Vorfeld abgelehnt hatte, hält dies für einen unzulässigen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Er begehrt, die weitere Verbreitung der entsprechenden Filmszenen zu unterlassen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zugelassenen Revision verfolgte der Kläger sein Unterlassungsbegehren weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für Ansprüche aus dem Recht am eigenen Bild und aus unerlaubter Handlung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Vorentscheidungen bestätigt. Die Klage ist damit rechtskräftig abgewiesen.

Der Kläger kann sein Unterlassungsbegehren nicht auf sein Recht am eigenen Bild stützen. Der Senat hat eine insoweit in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Rechtsfrage dahin entschieden, dass eine als solche erkennbare bloße Darstellung einer realen Person durch einen Schauspieler in einem Spielfilm kein Bildnis der dargestellten Person i.S.d. § 22 Satz 1 KUG ist. Dieser Schutz steht im Falle der als solche erkennbaren bloßen Darstellung einer Person durch einen Schauspieler dem Schauspieler zu, der in diesem Fall auch in seiner Rolle noch "eigenpersönlich" und damit als er selbst erkennbar bleibt. Als Bildnis der dargestellten Person ist die Darstellung dagegen (erst) dann anzusehen, wenn der täuschend echte Eindruck erweckt wird, es handele sich um die dargestellte Person selbst, wie dies etwa bei dem Einsatz eines Doppelgängers oder einer nachgestellten berühmten Szene oder Fotographie der Fall sein kann.

Der Anspruch ergibt sich bei der gebotenen kunstspezifischen Betrachtungsweise auch nicht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG). Zwar ist der Kläger durch die ausgeprägten Übereinstimmungen zwischen seinem Schicksal und der Darstellung der entsprechenden zentralen Filmfigur in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen. Auch verstärkt die in der besonderen Intensität der visuellen Darstellung liegende suggestive Kraft eines Spielfilms diese Betroffenheit. Doch wiegt diese Betroffenheit im Ergebnis und unter maßgeblicher Berücksichtigung der von dem Kläger in der Vergangenheit praktizierten Selbstöffnung nicht so schwer, dass die zugunsten der Beklagten streitende Kunst- und Filmfreiheit zurücktreten müsste.

Vorinstanzen:

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg – Urteil vom 1. Oktober 2019 – 7 U 141/16

Landgericht Hamburg – Urteil vom 3. Juni 2016 – 324 O 78/15

Die hier maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 22 Satz 1 Kunsturhebergesetz (KUG):

Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.

§ 23 Abs. 1 Satz 1 Kunsturhebergesetz (KUG):

(1) Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden: […]

§ 823 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

§ 1004 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG):

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG):

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Art. 5 des Grundgesetzes (GG):

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.



AG Frankenthal: Langjährige Geschäftsbeziehung genügt auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr allein nicht zur Einbeziehung von AGB

AG Frankenthal
Urteil vom 26.02.2021
3c C 167/20


Das AG Frankenthal hat hat entschieden, dass eine langjährige Geschäftsbeziehung auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr allein nicht zur Einbeziehung von AGB genügt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Soweit die Klägerin demgegenüber unter Bezugnahme auf ihre „Allgemeinen Mietbedingungen“ sowie die „Allgemeinen Haftungsbeschränkungen“ auf eine Selbstbeteiligung des Beklagten in Höhe von 2.000,00 € verweist, vermag sie damit nicht durchzudringen.

a) Es bestehen bereits nicht unerheblich Zweifel, ob jene, die Begrenzung der zu Gunsten des Beklagten vereinbarten Haftungsbeschränkung regelnden Bestimmungen, auf die sich die Klägerin beruft, wirksamer Bestandteil des zwischen den Parteien geschlossenen Mietvertrages geworden sind. Dass es sich sowohl bei den „Allgemeinen Haftungsbeschränkungen“, als auch bei den „Allgemeinen Mietbedingungen“ um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) im Sinne des § 305 BGB handelt, steht außer Frage und wird auch von den Parteien nicht in Abrede gestellt. Der Beklagte hat den Vertrag weiter unstreitig für seinen Weinbaubetrieb geschlossen und damit als Unternehmer im Sinne des § 14 BGB gehandelt. AGB gelten trotz der Einschränkung in § 310 Abs. 1 BGB auch für Verträge mit Unternehmern jedoch nur, wenn sie durch entsprechende Vereinbarung Vertragsinhalt geworden sind (vgl. grundlegend etwa BGH NJW 1992, 1232, 1232/1233). Dies ist für jeden Vertrag einzeln zu prüfen, wobei längerfristige Geschäftsbeziehungen allein ebenso wenig für eine Einbeziehung genügen, wie ein entsprechender Hinweis bei früheren Geschäften oder auf früheren Rechnungen/Lieferscheinen (Palandt/Grüneberg, BGB 79. Aufl. § 305 Rn. 51 mwN). Vielmehr bedarf es neben der zumutbaren Möglichkeit der Kenntnisnahme des Inhalts der AGB zumindest eines Hinweises auf die beabsichtigte Einbeziehung vor Abschluss des konkreten Vertrages. Der Beklagte hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung den Abschluss eines Mietvertrages am Telefon dargelegt. Hiergegen hat die Klägerin in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 09. Februar 2021 unter Beweisantritt vorgetragen, dass der Beklagte vor der Anmietung des Baggers persönlich bei ihr vorgesprochen habe und grundsätzlich jedem Kunden die „Allgemeinen Mietbedingungen“ zusammen mit der Preisliste „bei Anmietung übergeben“ werden, sofern der Kunde sie nicht ohnehin „an sich nimmt“. Da es auf die Einbeziehung der AGB letztlich nicht ankommt (dazu sogleich unter b)), kann offen bleiben, ob dieser Vortrag der bezüglich der Einbeziehung der AGB darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin so hinreichend bestimmt ist, dass er einer Beweisaufnahme hätte zugeführt werden können.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


VG Berlin: Nach DSGVO kein individueller Anspruch auf Einschreiten der Datenschutzbehörde und Einleitung bestimmter Maßnahmen

VG Berlin
Beschluss vom 21.04.2021
1 K 360.19


Das VG Berlin hat entschieden, dass nach der DSGVO kein individueller Anspruch auf Einschreiten der Datenschutzbehörde und Einleitung bestimmter Maßnahmen besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist voraussichtlich unbegründet. Der Antragsteller und künftige Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner (Beklagte) über seine Beschwerde vom 1. August 2019 erneut entscheidet. Mögliche Anspruchsgrundlage ist Art. 57 Abs. 1 lit. f) DS-GVO. Erhebt eine betroffene Person eine Beschwerde im Sinne von Art. 77 DS-GVO, muss sich die Aufsichtsbehörde nach Art. 57 Abs. 1 lit. f) DS-GVO mit der Beschwerde befassen, den Gegenstand der Beschwerde in angemessenem Umfang untersuchen und den Beschwerdeführer innerhalb einer angemessenen Frist über den Fortgang und das Ergebnis der Untersuchung unterrichten. Die Aufsichtsbehörde ist hiernach verpflichtet, die Beschwerde mit der gebotenen Sorgfalt und in angemessenem Umfang zu prüfen. Maßstab für den Umfang der Ermittlungen ist insbesondere die Schwere des in Rede stehenden Verstoßes, aber auch alle weiteren relevanten Aspekte sind zu berücksichtigen, insbesondere die in Art. 83 Abs. 2 DS-GVO genannten (Bergt, in: Kühling/Buchner, Datenschutz-Grundverordnung BDSG, 3. Auflage 2020, Art. 77 DS-GVO, Rn. 16). Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Antragsgegner seine Pflichten bei der Bearbeitung der Beschwerde des Antragstellers erfüllt. Er hat den Sachverhalt ermittelt, indem er das Beschwerdevorbringen zur Kenntnis genommen und die D... zur Stellungnahme aufgefordert hat. Er hat den Sachverhalt anschließend bewertet und dem Antragsteller das Ergebnis seiner Prüfung mit Abschlussbescheid der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 25. September 2019 mitgeteilt. Weiter hat er den Antragsteller auf die Möglichkeit gerichtlichen Rechtschutzes gegen die Beschwerdeentscheidung nach Art. 78 Abs. 1 DS-GVO hingewiesen und der Mitteilung eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung beigefügt (siehe hierzu Art. 77 Abs. 2 DS-GVO).

Umstritten ist zwar, ob eine weitergehende gerichtliche Überprüfung zum Inhalt der Beschwerdeentscheidung vorzunehmen ist. Dies hat die Kammer in einer Eilentscheidung verneint, weil das Beschwerderecht als Petitionsrecht ausgestaltet sei (Beschluss vom 28. Januar 2019, VG 1 L 1.19, juris, Rn. 5; so nunmehr auch OVG Koblenz, Urteil vom 26. Oktober 2020 – 10 A 10613/20, juris, Rn. 37 ff.; a.A. Halder, jurisPR-ITR 16/2020 Anm. 6; Bergt, a.a.O., Rn. 17, jeweils mwN). Ausgehend hiervon ist der Anspruch des Antragstellers erfüllt, weil dessen Beschwerde zur Kenntnis genommen, geprüft und beschieden worden ist. Selbst unter Zugrundelegung der Gegenmeinung wäre der Anspruch hier erfüllt. Nach der Gegenauffassung steht der betroffenen Person ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zu, welche gerichtlich überprüfbar und durchsetzbar sein soll (Halder, jurisPR-ITR 16/2020 Anm. 6); eine konkrete Maßnahme kann die betroffene Person hingegen nicht verlangen (vgl. Urteil der Kammer vom 18. Januar 2021 – VG 1 K 206.19; Bergt, a.a.O., Rn. 17). Auch unter Zugrundelegung dieses Maßstabs gilt im Ergebnis nichts anderes. Der Anspruch des Antragstellers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Einschreiten des Beklagten gegen die D... ist erfüllt. Der Abschlussbescheid der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 25. September 2019 führt aus, dass die D... wegen ihrer unvollständigen Auskunft gegen Art. 15 DS-GVO verstoßen habe und sie deshalb verwarnt worden sei. Den datenschutzrechtlichen Belangen des Antragstellers ist damit ausreichend Rechnung getragen. Warum der Antragsteller gleichwohl meint, der Abschlussbescheid sei für ihn nicht positiv, bleibt unklar. Ein Anspruch auf Verhängung eines Bußgeldes gegen die D... steht ihm dagegen nicht zu, weil er eine konkrete Maßnahme nicht verlangen kann.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Nürnberg: Zur Auslegung eines Sponsoring-Vertrags zwischen Sportartikelhersteller und Vermarkter eines international bekannten Sportlers bei Vertragsverstößen

OLG Nürnberg
Urteil vom 27.06.2019
3 U 2801/19


Das OLG Nürnberg hat sich in dieser Entscheidung mit der Auslegung eines Sponsoring-Vertrags zwischen einem Sportartikelhersteller und dem Vermarkter eines international bekannten Sportlers bei Vertragsverstößen befasst.

Leitsätze des Gerichts:

1. Zur Auslegung eines englisch-sprachigen Sponsoring-Vertrags zwischen einem Sportartikelhersteller und einem Unternehmen, das über Vermarktungsrechte eines international bekannten Sportlers verfügt (im Folgenden Vermarkter).

2. Ergibt die Auslegung des Sponsoring-Vertrags, dass der Vermarkter die Pflichten des Sportlers, die Produkte des Sportartikelherstellers zu bewerben, als eigene Pflichten übernommen hat, ist der Sportler bei Vertragsverstößen regelmäßig als Erfüllungsgehilfe des Vermarkters anzusehen.

3. Sind in dem Sponsoring-Vertrag konkrete, terminbezogene Veranstaltungen aufgeführt, zu denen der Sportler die Produkte des Sportartikelherstellers bewerben soll, tritt, wenn der Sportler diese Produkte während der in der Vergangenheit liegenden Veranstaltungen nicht trug, grundsätzlich Unmöglichkeit der Leistungspflicht des Vermarkters für den abgelaufenen Zeitabschnitt ein.

4. Sind die Leistungen des Vermarkters aufgrund der vorangegangenen Kündigung des Rechtevertrags durch den Sportler für den Sportartikelhersteller ohne Interesse und völlig unbrauchbar, besteht in der Regel kein Vergütungsanspruch des Vermarkters.

5. Auch wenn die Auslegung ergibt, dass der im Sponsoring-Vertrag geregelte Anspruch des Sportartikelherstellers auf Zahlung von pauschaliertem Schadensersatz in einem synallagmatischen Verhältnis zum Vergütungsanspruch des Vermarkters steht, führt die Geltendmachung des pauschalierten Schadensersatzes nicht stets dazu, dass der Vermarkter dem Schadensersatzanspruch ohne weiteres seine Vergütungsansprüche entgegensetzen kann.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



EuG: Beschluss der EU-Kommission zur Besteuerung der europäischen Tochtergesellschaft des Amazon-Konzerns in Luxemburg nichtig

EuG
Urteil vom 14.05.2021
T-816/17 Luxemburg / Kommission
T-318/18 Amazon EU Sàrl und Amazon.com, Inc. / Kommission


Das EuG hat entschieden, dass der Beschluss der EU-Kommission zur Besteuerung der europäischen Tochtergesellschaft des Amazon-Konzerns in Luxemburg nichtig ist.

Die Pressemitteilung des EuG:

Kein selektiver Vorteil einer luxemburgischen Tochtergesellschaft des Amazon-Konzerns: Das Gericht erklärt den Beschluss der Kommission, mit dem die Beihilfe für nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wurde, für nichtig

Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission rechtlich nicht hinreichend nachgewiesen, dass die Steuerlast einer europäischen Tochtergesellschaft des Amazon-Konzerns zu Unrecht verringert worden wäre.

Ab 2006 wickelte der Amazon-Konzern seine Geschäftstätigkeiten in Europa über zwei in Luxemburg ansässige Gesellschaften ab, nämlich die Amazon Europe Holding Technologies SCS (im Folgenden: LuxSCS), eine luxemburgische einfache Kommanditgesellschaft, deren Gesellschafter amerikanische Einheiten des Amazon-Konzerns waren, und die Amazon EU Sàrl (im Folgenden: LuxOpCo), eine 100%ige Tochtergesellschaft von LuxSCS.

Von 2006 bis 2014 war LuxSCS Inhaberin der für die Tätigkeiten des Amazon-Konzerns in Europa erforderlich immateriellen Vermögensgegenstände. Hierzu hätte LuxSCS mit amerikanischen Einheiten des Amazon-Konzerns verschiedene Verträge geschlossen, nämlich Verträge über die Erteilung von Lizenzen und die Übertragung bestehender Rechte des geistigen Eigentums mit der Amazon Technologies, Inc. (ATI) (im Folgenden: Eintrittsverträge) und einen Vertrag über die Aufteilung der durch das Programm der Entwicklung der immateriellen Vermögensgegenstände entstehenden Kosten (im Folgenden: Vertrag über die Aufteilung der Kosten) mit ATI und einer zweiten Einheit, der A.9.com, Inc. Mit diesen Verträgen erhielt LuxSCS das Recht, bestimmte Rechte des geistigen Eigentums, die im Wesentlichen die Technologie, die Kundendaten und die
Marken betrafen, zu nutzen, und Unterlizenzen über die genannten immateriellen Vermögensgegenstände zu erteilen. Hierzu schloss LuxSCS u. a. einen Lizenzvertrag mit LuxOpCo, der Gesellschaft, die hauptsächlich für die das operative Geschäft des Amazon-Konzern in Europa verantwortlich war. Mit diesem Vertrag verpflichtete sich LuxOpCo, LuxSCS als Gegenleistung für die Nutzung der immateriellen Vermögensgegenstände eine Gebühr zu zahlen.

Am 6. November 2003 erteilten die luxemburgischen Steuerbehörden dem Amazon-Konzern auf Antrag einen Steuervorbescheid (tax ruling, im Folgenden: Vorbescheid). Mit seinem Antrag hatte der Amazon-Konzern die Bestätigung der Behandlung von LuxOpCo und LuxSCS im Hinblick auf die luxemburgische Gesellschaftssteuer begehrt. Was speziell die Ermittlung des zu versteuernden Jahreseinkommens von LuxOpCo anging, hatte der Amazon-Konzern vorgeschlagen, den sog. Fremdvergleichspreis der Gebühren, die LuxOpCo an LuxSCS zu zahlen hatte, nach der Nettomargenmethode (transactional net margin method, im Folgenden: TNMM) mit LuxOpCo als „tested party“ (zu prüfendes Unternehmen) zu bestimmen.

Mit dem Vorbescheid wurde zum einen bestätigt, das LuxSCS aufgrund ihrer Gesellschaftsform nicht der luxemburgischen Gesellschaftssteuer unterliege, und zum anderen die Methode der Ermittlung der Gebühren, die LuxOpCo nach dem genannten Lizenzvertrag an LuxSCS zu zahlen hatte, gebilligt.

2017 stellte die Europäische Kommission fest, dass der Vorbescheid, soweit mit ihm gebilligt worden sei, dass die Methode der Ermittlung der von LuxOpCo an LuxSCS zu zahlenden Gebühren dem Fremdvergleichsgrundsatz genüge, sowie seine jährliche Durchführung von 2006 bis 2014 eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 AEUV darstellten, und zwar eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Betriebsbeihilfe.1 Dass LuxOpCo einen Vorteil erlangt habe, begründete die Kommission damit, dass die Gebühren, die LuxOpCo im relevanten Zeitraum an LuxSCS zu zahlen gehabt hätte, nach der mit dem Vorbescheid gebilligten Berechnungsmethode zu hoch angesetzt worden seien, so dass die Einkünfte von LuxOpCo und damit die Steuerbemessungsgrundlage künstlich verringert worden seien. Der Beschluss der Kommission beruht insoweit auf einer Hauptfeststellung und drei ergänzenden Feststellungen. Die Hauptfeststellung bezog sich auf eine fehlerhafte Auswahl der „tested party“ bei der Anwendung der TNMM. Die drei ergänzenden Feststellungen bezogen sich auf die fehlerhafte Entscheidung für die TNMM als solche, auf der fehlerhaften Entscheidung für den Gewinnindikator als maßgebliche Größe für die Anwendung der TNMM und auf die fehlerhafte Anwendung eines Mechanismus der Obergrenze im Rahmen der TNMM. Die Kommission stellte ferner fest, dass der Vorbescheid von Luxemburg durchgeführt worden sei, ohne bei ihr vorher angemeldet worden zu sein. Sie ordnete deshalb an, dass die rechtswidrige, nicht mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe von LuxOpCo zurückzufordern sei.

Luxemburg und der Amazon-Konzern haben gegen den Beschluss der Kommission jeweils eine Klage erhoben. Sie haben sich beide vor allem gegen die Feststellungen der Kommission zum Vorliegen eines Vorteils gewandt.

Mit dem Urteil, das heute ergeht, gibt das Gericht der Europäischen Union den sowohl gegen die Hauptfeststellung als auch gegen die ergänzenden Feststellungen der Kommission zum Vorliegen eines Vorteils gerichteten Klagegründen und Argumenten der Kläger statt und erklärt den angefochtenen Beschluss daher in vollem Umfang für nichtig.

Ausgehend von den Grundsätzen, die bisher zur Anwendung der Tatbestandsmerkmale des Begriffs der staatlichen Beihilfe im Zusammenhang mit Steuervorbescheiden entwickelt wurden, erfolgen durch das Gericht wesentliche Klarstellungen zur Beweislast der Kommission beim Nachweis des Vorliegens eines Vorteils, in Fällen, in denen das zu versteuernde Einkommen einer Gesellschaft, die zu einem Konzern gehört, durch die Wahl einer Methode der Ermittlung der Verrechnungspreise bestimmt wird.

Würdigung durch das Gericht
Das Gericht weist zunächst auf die ständige Rechtsprechung hin, wonach bei der Überprüfung steuerlicher Maßnahmen nach Maßgabe der Rechtsvorschriften der Union im Bereich der staatlichen Beihilfen das tatsächliche Vorliegen eines Vorteils nur in Bezug auf eine so genannte „normale“ Besteuerung festgestellt werden kann, so dass, um zu bestimmen, ob ein steuerlicher
Vorteil besteht, die Situation des Begünstigten, wie sie sich aus der Anwendung der in Rede stehenden Maßnahme ergibt, mit dessen Situation ohne die in Rede stehende Maßnahme, wenn die normalen Steuervorschriften angewandt werden, zu vergleichen ist.

Insoweit stellt das Gericht fest, dass bei einer Konzerngesellschaft die Preise konzerninterner Transaktionen nicht zu Marktbedingungen bestimmt werden. Wenn für Konzerngesellschaften und unabhängige Gesellschaften nach dem nationalen Recht im Hinblick auf die Körperschaftsteuer jedoch dieselben Voraussetzungen gelten, ist anzunehmen, dass dieses Recht beabsichtigt, den von einer Konzerngesellschaft erzielten Gewinn so zu besteuern, als ob er aus zu Marktpreisen getätigten Transaktionen stammte. Bei der Prüfung einer steuerlichen Maßnahme, die einer Konzerngesellschaft gewährt wurde, kann die Kommission deren Steuerlast, wie sie sich aus der Anwendung der in Rede stehenden steuerlichen Maßnahme ergibt, daher mit der sich aus der Anwendung der normalen Steuervorschriften des nationalen Rechts ergebenden Steuerlast einer Gesellschaft vergleichen, die sich in einer vergleichbaren tatsächlichen Situation befindet und ihre Tätigkeiten zu Marktbedingungen ausübt.

Das Gericht weist ferner darauf hin, dass die Kommission bei der Prüfung der mit einem Steuervorbescheid gebilligten Methode der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einer Konzerngesellschaft nur dann feststellen kann, dass ein Vorteil vorliegt, wenn sie nachweist, dass etwaige methodischer Fehler, unter denen die Ermittlung der Verrechnungspreise ihrer
Auffassung nach leidet, dazu geführt haben, dass der Fremdvergleichspreis nicht verlässlich hat geschätzt werden können und stattdessen das zu versteuernde Einkommen der betreffenden Gesellschaft gegenüber der Steuerlast, wie sie sich aus der Anwendung der normalen Steuervorschriften ergibt, verringert wurde.

Nach diesen Grundsätzen prüft das Gericht sodann, ob die Erwägungen, auf denen die Feststellung der Kommission beruht, dass LuxOpCo mit dem Vorbescheid, indem eine Methode der Ermittlung der Verrechnungspreise gebilligt worden sei, mit der keine Fremdvergleichspreise hätten ermittelt werden können, ein Vorteil gewährt worden sei, zutreffen. Insoweit stellt das Gericht zum einen fest, dass die Hauptfeststellung zum Vorteil auf Erwägungen beruht, die in mehrerer Hinsicht fehlerhaft sind. Als Erstes stellt das Gericht fest, dass, soweit sich die Kommission bei der Feststellung, dass es sich bei LuxSCS entgegen den Feststellungen, die bei der Gewährung des Vorbescheids zugrunde gelegt worden sein, lediglich um eine passive Inhaberin der betreffenden immateriellen Vermögensgegenstände gehandelt habe, auf ihre eigene Funktionsanalyse gestützt habe, diese fehlerhaft ist. Insbesondere hat die Kommission weder die Aufgaben, die LuxSCS bei der Nutzung der betreffenden immateriellen Vermögensgegenstände wahrgenommen hat, noch die Risiken, die diese Gesellschaft insoweit eingegangen ist, gebührend berücksichtigt. Sie hat auch nicht nachgewiesen, dass es einfacher wäre, mit LuxSCS vergleichbare Unternehmen zu bestimmen als mit LuxOpCo vergleichbare, und dass mit dem Abstellen auf LuxSCS als „tested party“ verlässlichere Vergleichsdaten hätten ermittelt werden können. Das Gericht gelangt deshalb zu dem Schluss, dass die Kommission entgegen ihren Ausführungen im angefochtenen Beschluss nicht nachgewiesen hat, dass die luxemburgischen Steuerbehörden bei der Ermittlung der Höhe der Gebühren zu Unrecht LuxOpCo als „tested party“ herangezogen hätten.

Als Zweites hat das Gericht entschieden, dass die Kommission, selbst unterstellt, nach der TNMM hätte bei der Ermittlung der Gebühren nach dem Fremdvergleichsgrundsatz LuxSCS als „tested party“ herangezogen werden müssen, nicht nachgewiesen hätte, dass ein Vorteil vorliegt, da auch die Feststellung, dass sich die Vergütung von LuxSCS allein auf der Grundlage der im
Zusammenhang mit dem Eintrittsvertrag und dem Vertrag über die Aufteilung der Kosten entstandenen Kosten für die Entwicklung der immateriellen Vermögensgegenstände hätten ermitteln lassen, mit der einer späteren Steigerung des Werts der immateriellen Vermögensgegenstände in keiner Weise Rechnung getragen wird, nicht zutrifft.

Als Drittes hat das Gericht entschieden, dass die Kommission auch die Vergütung, auf die LuxSCS nach dem Fremdvergleichsgrundsatz wegen der Aufgaben im Zusammenhang mit der Erhaltung ihrer Rechte an den immateriellen Vermögensgegenständen Anspruch hatte, nicht richtig bewertet hat. Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Beschluss können solche Aufgaben nämlich nicht mit Dienstleistungen „mit geringer Wertschöpfung“ gleichgesetzt werden. Der bei
konzerninternen Dienstleistungen mit niedriger Wertschöpfung häufige Aufschlag, auf den die Kommission abstellt, ist daher im vorliegenden Fall nicht aussagekräftig. Das Gericht kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass die Kommission mit ihrer Hauptfeststellung nicht nachgewiesen hat, dass die Steuerlast von LuxOpCo durch eine zu hohe Bewertung der Gebühren künstlich verringert worden wäre. Zum anderen kommt das Gericht nach der Prüfung der drei ergänzenden Feststellungen zum
Vorteil zu dem Ergebnis, dass die Kommission auch hier nicht nachgewiesen hat, dass die festgestellten methodischen Fehler zwingend zu einem zu niedrigen Ansatz der Vergütung, die LuxOpCo unter Marktbedingungen erhalten hätte, geführt und damit in Form einer Senkung der Steuerlast einen Vorteil verschafft hätte. Das Gericht führt hierzu aus, dass die Annahme der Kommission, dass die von LuxOpCo im Zusammenhang mit den immateriellen Vermögensgegenständen ausgeübten Funktionen zum Teil über reine Funktionen der „Verwaltung“ hinausgegangen sei, zwar nicht zu beanstanden ist. Die Kommission hat die methodischen Schlussfolgerungen, die sie daraus gezogen hat, aber rechtlich nicht hinreichend begründet. Sie hat auch nicht dargetan, inwieweit die Funktionen von LuxOpCo, wie sie von ihr festgestellt worden sind, zwingend zu einer höheren Vergütung von LuxOpCo geführt hätten. Auch bei der Auswahl des geeignetsten Gewinnindikators und bei dem mit dem Vorbescheid gebilligten Mechanismus der Obergrenze für die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens von LuxOpCo ist die Kommission, soweit insoweit Fehler vorliegen sollten, ihrer Verpflichtung zum Nachweis nicht nachgekommen.

Das Gericht kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass die Kommission mit ihren im angefochtenen Beschluss enthaltenen Feststellungen nicht dargetan hat, dass ein Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vorläge, so dass der angefochtene Beschluss in vollem Umfang für nichtig zu erklären ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG Köln: Einmalige unzulässige Zusendung von Werbung per E-Mail oder Fax begründet Dringlichkeit für einstweilige Verfügung

OLG Köln
Beschluss vom 12.04.2021
15 W 18/21


Das OLG Köln hat entschieden, dass auch die einmalige unzulässige Zusendung von Werbung per E-Mail oder Fax die Dringlichkeit für ein einstweilige Verfügung begründet.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die ihm übersandte Werbe-E-Mail vom 21.2.2021 aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu. Er hat glaubhaft gemacht, der Antragsgegnerin zur Übersendung der streitgegenständlichen E-Mail keine Einwilligung erteilt zu haben. Die Antragsgegnerin ist dem im Rahmen der Abmahnung durch Schreiben vom 16.2.2021 nicht entgegengetreten; im Hinblick auf diese außergerichtliche Anhörung der Antragsgegnerin, die inhaltlich mit dem nunmehr gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung übereinstimmt, war im Verfahren bisher auch keine weitere Beteiligung der Antragsgegnerin aus dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.9.2018 – 1 BvR 1783/17, AfP 2018, 508) geboten.

2. Abweichend von der Auffassung des Landgerichts bejaht der Senat auch das Vorliegen eines Verfügungsgrundes im Sinne von §§ 935, 940 ZPO. Denn auch wenn der Antragsteller nicht Mitbewerber der Antragsgegnerin gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG ist und ihm daher mangels eines Anspruchs aus §§ 3, 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG nicht unmittelbar zugutekommt, ist der Erlass einer einstweiligen Verfügung hier geboten, weil andernfalls ein effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet wäre.

Das Gesetz nennt in § 940 ZPO als Beispiel für das Vorliegen eines Verfügungsgrundes die Abwendung wesentlicher Nachteile und die Verhinderung drohender Gewalt, womit jedoch keine abschließende Regelung intendiert ist. Insofern kann hier die drohende, gegen den Antragsteller gerichtete unerlaubte Handlung in Form der Verletzung seines Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in die Abwägung der gegenseitigen Interessen einbezogen werden, um so der Wahrung des Rechtsfriedens durch präventiven Rechtsschutz zu dienen (vgl. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage, 2020, § 940 ZPO, Rn. 4). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller bisher nur eine einzige Werbe-E-Mail von der Antragsgegnerin sowie ein weiteres Werbe-Fax am 4.3.2021 erhalten hat und die von ihm erlittene Beeinträchtigung damit bisher verhältnismäßig geringfügig ausgefallen sein mag. Denn die von dieser Übersendung indizierte Gefahr künftiger Belästigungen, die auch nicht durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt wurde, ist nicht als derart gering einzustufen, dass das Vorgehen des Antragstellers im Wege des Eilrechtsschutzes unverhältnismäßig wäre (vgl. KG, Urt. v. 20.6.2002 – 10 U 54/02, CR 2003, 291; OLG Köln, Beschl. v. 23.12.2004 – 6 W 127/04, juris).

Der Senat verkennt bei dieser Bewertung ausdrücklich nicht, dass es angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten keinen großen Aufwand darstellt, eine unverlangt übersandte E-Mail wieder zu löschen; gleiches dürfte auch hinsichtlich der Entsorgung eines unverlangt übersandten Werbe-Fax gelten. Diese rein auf die Frage des Beseitigungsaufwands fokussierende Betrachtung lässt jedoch außen vor, dass eine darüber hinausgehende Beeinträchtigung für den eingerichteten und ausgeübten Geschäftsbetrieb des Antragstellers darin besteht, für die tägliche Sichtung der E-Mail- und Faxeingänge Sorge zu tragen, sein Personal zu entsprechender Tätigkeit anzuhalten und anzuleiten, das Risiko von Fehlern bei der Löschung/Entsorgung solcher Werbenachrichtung zu tragen und dass – im Falle der Übersendung unerwünschter Werbung per Fax – auch letztlich ein Aufwand an Sachmitteln zu Buche schlägt. Auf der anderen Seite ist dagegen keinerlei schutzwürdiges Interesse der Antragsgegnerin ersichtlich, von einer einstweiligen Regelung des Rechtsverhältnisses verschont zu werden und die Zeit bis zur Erlangung eines zumindest vorläufig vollsteckbaren Urteils im Hauptsacheverfahren dazu nutzen zu können, dem Antragsteller weiterhin Werbung ohne seine Einwilligung zu übersenden. Die Antragsgegnerin hat auf die Abmahnung des Antragstellers mit Schreiben vom 16.2.2021 nicht nur nicht reagiert, sondern ihm vielmehr in der Folgezeit noch eine weitere unverlangte Werbung in Form des Fax vom 4.3.2021 zugeschickt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Düsseldorf: Kein Entschädigungsanspruch gegen Land NRW wegen coronabedingter Einnahmeausfälle im Einzelhandel

LG Düsseldorf
Urteil vom 12.05.2021
2b O 110/20


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass Betreiber von Einzelhandelsgeschäften keinen Entschädigungsanspruch gegen das Land NRW wegen coronabedingter Einnahmeausfälle im Einzelhandel haben.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Landgericht Düsseldorf: Keine Entschädigungsansprüche gegen das Land NRW wegen coronabedingter Einnahmeausfälle im Einzelhandel

Mit Urteil vom 12.05.2021 hat die 2b. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (Staatshaftungskammer, 2b O 110/20) die Klage eines Sportgeschäfts auf Zahlung einer Entschädigung wegen Schließung seines Geschäfts aufgrund der CoronaschutzVO abgewiesen.

Die CoronaschutzVO des Landes NRW vom 22.03.2020 untersagte in § 5 Abs. 4 den Betrieb nahezu aller Einzelhandelsgeschäfte. Auch der Kläger musste sein Sportgeschäft bis zum 27.04.2020 schließen und erlitt Umsatzeinbußen. Mit der Klage beantragt er festzustellen, dass das Land NRW ihm seinen Schaden zu ersetzen habe.

Die 2b. Zivilkammer verneint einen Entschädigungsanspruch des Klägers.

Das Infektionsschutzgesetz selbst entschädige nur den Kranken bzw. Krankheitsverdächtigen und in engen Grenzen den zur reinen Vorbeugung einer Infektionslage in Anspruch Genommenen. Das sei eine bewusste Begrenzung der Entschädigung durch den Gesetzgeber. Schon bei Einführung des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2001 sei dem Gesetzgeber die Tragweite der Maßnahmen des IfSG bewusst gewesen. Trotzdem habe er keine weiteren Entschädigungsregelungen in das Gesetz aufgenommen. In der Pandemielage habe der Gesetzgeber am 27.03.2020 das Gesetz nur um einen einzigen Entschädigungstatbestand ergänzt, nämlich den Verdienstausfall für Sorgeberechtigte von betreuungsbedürftigen Kindern. Der Gesetzgeber habe sich sowohl im März 2020 als auch im November 2020 bewusst gegen eine Entschädigung für Betriebsschließungen aufgrund des Infektionsschutzgesetzes entschieden.

Entschädigungsansprüche ergeben sich auch nicht aus dem Ordnungsbehördengesetz NRW, weil die CoronaschutzVO vom zuständigen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales erlassen wurde und nicht von einer Ordnungsbehörde.

Schließlich sei ein Entschädigungsanspruch nicht aufgrund eines enteignenden Eingriffs begründet. Denn die temporäre Schließungsanordnung sei kein Eingriff in die Substanz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs des Klägers. Nach der Rechtsprechung des Bundessgerichtshofs (BGH, Urteil vom 13.07.2000, III ZR 131/99) sei eine Betriebsbehinderung nur dann mit einer Enteignung vergleichbar, wenn die Maßnahme rechtlich oder tatsächlich zu einer dauerhaften Betriebsschließung führe, der Gewerbebetrieb mithin in seiner Gesamtheit dauerhaft entwertet werde.

Gegen das Urteil kann das Rechtsmittel der Berufung zum Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt werden.




EuG: Marke Bavaria Weed wegen eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung nicht als Unionsmarke eintragbar

EuG
Urteil vom 12.05.2021
T‑178/20
Bavaria Weed GmbH ./. Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO)


Das EuG hat entschieden, dass die Marke Bavaria Weed wegen eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung nicht als Unionsmarke eintragbar ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zum Verstoß des fraglichen Zeichens gegen die öffentliche Ordnung

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdekammer die Anmeldung des fraglichen Zeichens ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Begriffs der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung 2017/1001 geprüft hat (vgl. oben, Rn. 20).

Sie hat in diesem Kontext im Wesentlichen festgestellt, dass die maßgeblichen Verkehrskreise, die aus der Bevölkerung nicht nur aus dem Vereinigten Königreich, Irland und Malta, sondern auch aus Finnland und Schweden bestünden, die die Bedeutung des englischen Begriffs „weed“ verstehe, das fragliche Zeichen als Hinweis darauf wahrnehmen würden, dass die fraglichen Dienstleistungen eine verbotene und illegale Substanz beträfen. So würden in den Mitgliedstaaten, in denen die Herstellung oder der Konsum von Drogen verboten sei, diese im Allgemeinen nicht als bloße Ordnungswidrigkeiten, sondern als strafbare Handlungen behandelt, die sogar mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden könnten, so dass diese Verbote Teil der öffentlichen Ordnung dieser Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung 2017/1001 seien.

Die Klägerin macht geltend, das fragliche Zeichen verstoße nicht gegen die öffentliche Ordnung, im Wesentlichen da es in der Union eine allgemeine Tendenz zur Legalisierung der therapeutischen Nutzung von Cannabis gebe, wie die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. Februar 2019 zum Einsatz von Cannabis in der Medizin (2018/2775[RSP]; ABl. 2020, C 449, S. 115) belege. Diese Nutzung sei bereits in mehreren Mitgliedstaaten gestattet, darunter denjenigen, in denen die maßgeblichen Verkehrskreise ansässig seien und in denen das betreffende Zeichen von den maßgeblichen Verkehrskreisen nicht als besonders anstößig wahrgenommen werde.

Das Gericht hatte bereits Gelegenheit zu der Feststellung, dass der Begriff „öffentliche Ordnung“ in der Verordnung 2017/1001 nicht definiert ist. Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung des derzeitigen Stands des Unionsrechts, das die Nutzung von Produkten aus Betäubungsmitteln nicht regelt, sowie des Wortlauts von Art. 7 Abs. 2 dieser Verordnung, wonach deren Art. 7 Abs. 1 auch dann Anwendung findet, wenn die Eintragungshindernisse nur in einem Teil der Union vorliegen, schreibt das Unionsrecht keinen einheitlichen Wertmaßstab vor und erkennt an, dass die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung von einem Land zum anderen und im Lauf der Zeit variieren können, wobei es den Mitgliedstaaten im Wesentlichen weiterhin freisteht, den Inhalt dieser Erfordernisse im Einklang mit ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen. So können die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung, auch wenn sie weder den Schutz wirtschaftlicher Interessen noch die bloße Vermeidung von Störungen der gesellschaftlichen Ordnung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, erfassen, den Schutz verschiedener Interessen umfassen, die der betreffende Mitgliedstaat als grundlegend für sein eigenes Wertesystem ansieht (Urteil vom 12. Dezember 2019, CANNABIS STORE AMSTERDAM, T‑683/18, EU:T:2019:855, Rn. 71, vgl. auch entsprechend Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in den verbundenen Rechtssachen K. und H. [Aufenthaltsrecht und mutmaßliche Kriegsverbrechen], C‑331/16 sowie C‑366/16, EU:C:2017:973, Rn. 60 und 63 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Nicht jeder Verstoß gegen ein Gesetz stellt notwendigerweise einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. f in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 dar. Es muss nämlich hinzukommen, dass dieser Verstoß ein Interesse berührt, das die betreffenden Mitgliedstaaten nach ihrem eigenen Wertesystem als grundlegend ansehen (Urteil vom 12. Dezember 2019, CANNABIS STORE AMSTERDAM, T‑683/18, EU:T:2019:855, Rn. 73).

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer festgestellt, Marihuana sei eine verbotene Substanz, deren Konsum in zahlreichen Mitgliedstaaten wie Bulgarien, Irland, Frankreich, Ungarn, Polen, der Slowakei, Finnland, Schweden und dem Vereinigten Königreich, somit in einigen der Mitgliedstaaten, in denen die maßgeblichen Verkehrskreise ansässig seien, verboten sei. Wie oben in Rn. 36 ausgeführt, würden die maßgeblichen Verkehrskreise das fragliche Zeichen als Förderung, Bewerbung oder zumindest Verharmlosung des Konsums von Marihuana als verbotene und illegale Substanz wahrnehmen.

Der Kampf gegen die Verbreitung von Marihuana ist jedoch von besonderer Bedeutung, weil er einem Ziel der öffentlichen Gesundheit entspricht, nämlich der Bekämpfung der schädlichen Wirkungen eines solchen Stoffs. Dieses Verbot zielt somit auf den Schutz eines Interesses ab, das diese Mitgliedstaaten nach ihrem eigenen Wertesystem als grundlegend ansehen, so dass die für den Konsum und die Verwendung dieses Stoffs geltende Regelung unter den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. f in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 fällt (Urteil vom 12. Dezember 2019, CANNABIS STORE AMSTERDAM, T‑683/18, EU:T:2019:855, Rn. 74).

Des Weiteren ist unter Berücksichtigung der oben in Rn. 19 angeführten Rechtsprechung, wonach für die Anwendung des absoluten Eintragungshindernisses gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung 2017/1001 gegebenenfalls nicht nur auf die besonderen Umstände in den einzelnen Mitgliedstaaten, sondern auch auf die allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Umstände abzustellen ist, darauf hinzuweisen, dass die Bedeutung, die dem Schutz dieses grundlegenden Interesses zukommt, darüber hinaus durch Art. 83 AEUV unterstrichen wird, wonach der illegale Drogenhandel zu den Bereichen besonders schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension gehört, in denen ein Tätigwerden des Unionsgesetzgebers vorgesehen ist. Zudem sieht Art. 168 Abs. 1 Unterabs. 3 AEUV vor, dass die Union die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Verringerung drogenkonsumbedingter Gesundheitsschäden einschließlich der Informations- und Vorbeugungsmaßnahmen ergänzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2019, CANNABIS STORE AMSTERDAM, T‑683/18, EU:T:2019:855, Rn. 75).

Da sich die Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise notwendigerweise in den oben in den Rn. 32 bis 34 und 42 bis 44 beschriebenen sozialen und rechtlichen Kontext einfügt, hat die Beschwerdekammer daher zu Recht festgestellt, dass das fragliche Zeichen gegen die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. f in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 verstößt.

Dieses Ergebnis wird nicht durch das Vorbringen der Klägerin in Frage gestellt, dass es in der Union eine „allgemeine Tendenz“ zur therapeutischen Nutzung von Cannabis gebe.

Hierzu hat das Gericht bereits entschieden, dass derzeit zwar viel über die Verwendung von Cannabisprodukten nachgedacht wird, deren Gehalt an Tetrahydrocannabinol (im Folgenden: THC) sie nicht zu Betäubungsmitteln macht, aber auch, soweit es sich um Betäubungsmittel handelt, über ihre Verwendung zu therapeutischen Zwecken oder gar zum Freizeitkonsum. In dieser Hinsicht hat sich nämlich die Gesetzgebung einiger Mitgliedstaaten selbst bereits entwickelt oder ist im Begriff, sich zu entwickeln (Urteil vom 12. Dezember 2019, CANNABIS STORE AMSTERDAM, T‑683/18, EU:T:2019:855, Rn. 48).

Jedoch gibt es derzeit in der Union keine einhellig akzeptierte oder auch nur vorherrschende Tendenz, die Verwendung oder den Konsum von Cannabisprodukten mit einem THC‑Gehalt von mehr als 0,2 % zu legalisieren, sei es zu therapeutischen Zwecken oder zum Freizeitkonsum (Urteil vom 12. Dezember 2019, CANNABIS STORE AMSTERDAM, T‑683/18, EU:T:2019:855, Rn. 51).

Insbesondere die therapeutische Nutzung von Cannabis bleibt ein kontroverses Thema. Dies wird durch die Entschließung des Parlaments vom 13. Februar 2019 zum Einsatz von Cannabis in der Medizin belegt, in deren Abschnitt F festgestellt wird, „dass die EU-Mitgliedstaaten bei ihren jeweiligen Rechtsvorschriften bezüglich Cannabis, einschließlich des Einsatzes von Cannabis in der Medizin, sowie der zulässigen Menge von medizinischem Cannabis und den Höchstwerten bei der THC‑ und Cannabidiol (CBD)-Konzentration sehr unterschiedliche Ansätze verfolgen, was Ländern, die in diesem Bereich einen zurückhaltenderen Ansatz verfolgen, Schwierigkeiten bereiten kann“. Der Unionsgesetzgeber hat auch keine Rechtsvorschriften über die therapeutische Nutzung von Cannabis erlassen.

Im Übrigen bleibt die oben in Rn. 45 dargelegte Schlussfolgerung zutreffend, ungeachtet des Vortrags, den die Klägerin durch die Vorlage mehrerer Dokumente in diesem Sinne als Anlagen zur Klageschrift A.8 bis A.11 erstmals vor dem Gericht eingeführt hat, wonach die therapeutische Nutzung von Cannabis nunmehr in den oben in Rn. 38 genannten Mitgliedstaaten legal geworden sei.

In diesem Zusammenhang ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Klage beim Gericht auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der von den Beschwerdekammern des EUIPO erlassenen Entscheidungen im Sinne von Art. 72 der Verordnung 2017/1001 gerichtet ist, so dass es nicht Aufgabe des Gerichts ist, im Licht erstmals bei ihm eingereichter Unterlagen den Sachverhalt zu überprüfen. Somit sind das dahin gehende Vorbringen der Klägerin sowie die Anlagen A.8 bis A.11 zur Klageschrift zurückzuweisen, ohne dass ihre Beweiskraft geprüft zu werden braucht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. März 2016, Karl-May-Verlag/HABM – Constantin Film Produktion [WINNETOU], T‑501/13, EU:T:2016:161, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zweitens ist dieses Vorbringen jedenfalls unerheblich. Zum einen werden nämlich, wie oben in den Rn. 21 bis 36 ausgeführt, die maßgeblichen Verkehrskreise das fragliche Zeichen so wahrnehmen, dass es den Konsum von Marihuana im Allgemeinen, folglich auch zu Freizeitzwecken und somit zu illegalen Zwecken, fördert, bewirbt oder zumindest verharmlost. Zum anderen genügt es, in Übereinstimmung mit den Ausführungen des EUIPO darauf hinzuweisen, dass ein Teil der von der Klägerin vorgelegten Informationen normative Entwicklungen betrifft, die nach dem Zeitpunkt der Markenanmeldung eingetreten sind oder nach diesem Zeitpunkt wirksam werden und daher für den vorliegenden Rechtsstreit nicht maßgeblich sind. Im Übrigen unterliegt in jenen Mitgliedstaaten die therapeutische Nutzung von Cannabis, wenn sie zugelassen ist, weiterhin sehr strengen und ihrem Wesen nach außergewöhnlichen Bedingungen.

Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht auf das Urteil vom 19. November 2020, B S und C A (Vermarktung von Cannabidiol [CBD]) (C‑663/18, EU:C:2020:938), auf das sie in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen hat, stützen. In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass die Art. 34 und 36 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es verbietet, in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestelltes Cannabidiol (CBD) zu vermarkten, wenn es aus der gesamten Cannabis-sativa-Pflanze und nicht nur aus ihren Fasern und Samen gewonnen wird, es sei denn, diese Regelung ist geeignet, die Erreichung des Ziels des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten, und geht nicht über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Der Gerichtshof hat jedoch klargestellt, dass auf der Grundlage der verfügbaren wissenschaftlichen Daten nicht ersichtlich war, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende CBD, dessen THC‑Gehalt nicht mehr als 0,2 % betrug, psychotrope Wirkungen und schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hatte. Dagegen verweist das in der vorliegenden Rechtssache fragliche Zeichen, wie oben in den Rn. 27 bis 29 ausgeführt, mit seinem Wortbestandteil „weed“ auf Marihuana als Betäubungsmittel und nicht auf ein CBD ohne psychotropische Wirkung.

Überdies hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. November 2020, B S und C A (Vermarktung von Cannabidiol [CBD]) (C‑663/18, EU:C:2020:938) ausgeführt, dass, da die Schädlichkeit von Suchtstoffen, einschließlich derjenigen auf Hanfbasis wie Cannabis, allgemein anerkannt ist, ihr Inverkehrbringen in allen Mitgliedstaaten verboten ist; lediglich ein streng überwachter Handel, der der Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke dient, ist davon ausgenommen, wobei diese Rechtslage im Einklang mit verschiedenen völkerrechtlichen Übereinkünften steht, an denen die Mitgliedstaaten mitgewirkt haben oder denen sie beigetreten sind (vgl. Urteile vom 16. Dezember 2010, Josemans, C‑137/09, EU:C:2010:774, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 19. November 2020, B S und C A [Vermarktung von Cannabidiol [(CBD)], C‑663/18, EU:C:2020:938, Rn. 59 und 60).

Schließlich führt der von der Klägerin vorgetragene Umstand, dass das fragliche Zeichen bei den maßgeblichen Verkehrskreisen keinen Anstoß errege, selbst wenn er erwiesen wäre, nicht dazu, dass das Zeichen nicht gegen die öffentliche Ordnung verstößt. Das Unionsgericht hat zwar betont, dass bestimmte Zeichen, die besonders anstößig oder beleidigend waren, als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten anzusehen waren, unabhängig davon, für welche Waren und Dienstleistungen es angemeldet worden war (Urteil vom 15. März 2018, La Mafia Franchises/EUIPO – Italien [La Mafia SE SIENTA A LA MESA], T‑1/17, EU:T:2018:146, Rn. 40). Das absolute Eintragungshindernis, das auf einem Verstoß des fraglichen Zeichens gegen die öffentliche Ordnung beruht, beschränkt sich jedoch nicht nur auf Zeichen, die für die maßgeblichen Verkehrskreise anstößig oder beleidigend sein können. Es ist vielmehr auch auf solche Zeichen anwendbar, die geeignet sind, die Verletzung eines Interesses zu fördern, zu bewerben oder zumindest zu verharmlosen, das der betreffende Mitgliedstaat nach seinem eigenen Wertesystem als grundlegend ansieht, wie im vorliegenden Fall die Bekämpfung und Vorbeugung des Konsums illegaler Betäubungsmittel. Wie oben in den Rn. 40 und 41 ausgeführt, können nämlich die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung den Schutz verschiedener Interessen umfassen, die der betreffende Mitgliedstaat nach seinem eigenen Wertesystem als grundlegend ansieht.

Nach alledem ist der erste Klagegrund folglich als unbegründet zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der guten Verwaltung

Die Klägerin macht geltend, die Beschwerdekammer habe gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der guten Verwaltung verstoßen, indem sie die Abweichung von ihrer bisherigen Entscheidungspraxis nicht angemessen begründet habe. Sie beruft sich auch auf nationale Eintragungen, die das Wort „weed“ enthalten. Zudem stehe die angefochtene Entscheidung nicht im Einklang mit der am 1. Februar 2020 in Kraft getretenen neuen Fassung der Prüfungsrichtlinien für Unionsmarken des EUIPO.

Das EUIPO tritt diesem Vorbringen entgegen.

Als Erstes ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Entscheidungen der Beschwerdekammern des EUIPO über die Eintragung eines Zeichens als Unionsmarke gemäß der Verordnung 2017/1001 gebundene Entscheidungen und keine Ermessensentscheidungen sind. Die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen ist daher allein auf der Grundlage dieser Verordnung und nicht auf der Grundlage einer vorherigen Entscheidungspraxis zu beurteilen (vgl. Urteil vom 15. März 2018, La Mafia SE SIENTA A LA MESA, T‑1/17, EU:T:2018:146, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Vorliegend beruft sich die Klägerin darauf, dass die Unionsmarke spektrum cannabis für Dienstleistungen eingetragen sei, von denen einige denen ähnlich seien, die von dem in der vorliegenden Rechtssache fraglichen Zeichen erfasst werden. Zum einen ergibt sich jedoch, wie die Beschwerdekammer in Rn. 31 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, aus der Rechtsprechung, dass Verweise auf erstinstanzliche Entscheidungen des EUIPO dessen Beschwerdekammern und erst recht die Unionsgerichte nicht binden können. Insbesondere würde es der im 30. Erwägungsgrund und in den Art. 66 bis 71 der Verordnung 2017/1001 definierten Kontrollaufgabe der Beschwerdekammer zuwiderlaufen, deren Befugnisse auf die Befolgung von Entscheidungen erstinstanzlicher Organe des EUIPO zu beschränken (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2019, CANNABIS STORE AMSTERDAM, T‑683/18, EU:T:2019:855, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zum anderen enthält die Marke den Begriff „Cannabis“, und eine der Bedeutungen dieses Begriffs bezeichnet eine Substanz, deren mögliche therapeutische Verwendung derzeit diskutiert wird (Urteil vom 19. November 2009, Torresan/HABM – Klosterbrauerei Weissenohe [CANNABIS], T‑234/06, EU:T:2009:448, Rn. 19), im Gegensatz zum Begriff „weed“, der sich in seiner umgangssprachlichen Bedeutung auf Marihuana bezieht.

Als Zweites ist zu den nationalen Marken, die das Wort „weed“ enthalten und von der Klägerin in Anlage 12 der Klageschrift angeführt worden sind, festzustellen, dass die Klägerin die von diesen Eintragungen erfassten Waren und Dienstleistungen nicht näher bezeichnet, so dass ihre etwaige Erheblichkeit nicht dargetan worden ist. Jedenfalls ist die Unionsregelung für Marken ein autonomes System, das aus einer Gesamtheit von ihm eigenen, selbstständigen Vorschriften und Zielsetzungen besteht und dessen Anwendung von jedem nationalen System unabhängig ist (vgl. Urteil vom 7. Juni 2017, Mediterranean Premium Spirits/EUIPO – G-Star Raw [GINRAW], T‑258/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:375, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ob ein Zeichen als Unionsmarke eingetragen werden kann, ist daher, wie die Beschwerdekammer im Übrigen in Rn. 32 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, allein auf der Grundlage der einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen. Folglich sind weder das EUIPO noch gegebenenfalls die Unionsgerichte durch eine Entscheidung gebunden, die auf der Ebene eines Mitgliedstaats oder gar eines Drittstaats ergangen ist und zulässt, dass das betreffende Zeichen als nationale Marke eingetragen wird (vgl. Urteil vom 9. März 2017, Puma/EUIPO [FOREVER FASTER], T‑104/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:153, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Als Drittes ist festzustellen, dass die Fassung der Prüfungsrichtlinien des EUIPO vom 1. Februar 2020, auf die sich die Klägerin beruft, von einem späteren Zeitpunkt stammt als die angefochtene Entscheidung, die am 22. Januar 2020 erlassen wurde, so dass sie in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar war. Jedenfalls wird gemäß Teil B („Prüfung“) Abschnitt 4 („Absolute Eintragungshindernisse“) Kapitel 7 („Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen [Art. 7 Abs. 1 Buchst. f der (Verordnung 2017/1001)]“) Punkt 3 („Gute Sitten“) dieser Richtlinien „keine Beanstandung erhoben, wenn das Zeichen auf eine Droge Bezug nimmt, die zu medizinischen Zwecken dient, da die Marke im Prinzip nicht unter das Verbot von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe f [der Verordnung 2017/1001] fallen würde.“ In diesem Passus geht es somit um Zeichen, die eine Bezugnahme auf die medizinische Nutzung einer Droge enthalten, was im vorliegenden Fall aus den Gründen, die in Beantwortung des ersten Klagegrundes dargelegt worden sind, nicht der Fall ist.

Daher ist der zweite Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen, so dass die Klage insgesamt abzuweisen ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Schleswig-Holstein: Keine Entschädigung wegen Schließung aufgrund des Corona-Lockdowns aus Betriebsschließungsversicherung - pandemische Ausnahmesituation kein Versicherungsfall

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 10.05.2021
16 U 25/21

Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass einem betroffenen Unternehmen keine Entschädigung wegen Schließung aufgrund des Corona-Lockdowns aus einer Betriebsschließungsversicherung zusteht, da eine pandemische Ausnahmesituation kein Versicherungsfall darstellt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Erstes Urteil aus dem Versicherungsrecht: Corona-Pandemie – kein Anspruch auf Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung

Muss ein Gaststättenbetreiber seinen Betrieb aufgrund der Schleswig-Holsteinischen Landesverordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie schließen, so steht ihm kein Anspruch auf Ersatz des Ertragsausfallschadens aus einer Betriebsschließungsversicherung zu. Die Corona-Pandemie und die in ihrer Folge erlassenen Verordnungen stellen keinen Versicherungsfall dar. Das hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in dieser Woche entschieden.

Zum Sachverhalt: Der Kläger ist Betreiber einer Gaststätte. Er unterhält bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung, die ihm einen schließungsbedingten Ertragsausfallschaden bis zu einer Dauer von 30 Tagen ersetzen soll. Aufgrund einer im Zuge der Corona-Pandemie erlassenen, zum 18. März 2020 wirksamen Landesverordnung der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung musste der Kläger seine Gaststätte schließen. Die beklagte Versicherung wies die von ihm angemeldeten Entschädigungsansprüche zurück. Mit seiner Klage begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte ihm zur Zahlung einer Entschädigung aus der Versicherung verpflichtet ist. Das Landgericht Lübeck hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Der Kläger kann von der Beklagten keine Entschädigungszahlung aus der Betriebsschließungsversicherung erlangen. Die Corona-Pandemie und die in ihrer Folge ergangenen Verordnungen stellen keinen Versicherungsfall dar. Dies ergibt sich aus einer Auslegung der Versicherungsbedingungen. Danach sind nur solche Gefahren versichert, die aus dem einzelnen Betrieb selbst herrühren (sogenannte endogene oder intrinsische Gefahren) und aufgrund derer die zuständige Behörde eine konkrete, einzelfallbezogene Maßnahme zur Bekämpfung einer Infektionsgefahr erlässt, die aus dem konkreten Betrieb stammt. Betriebsschließungen aufgrund genereller gesellschafts- und gesundheitspolitischer Maßnahmen in einer pandemischen Ausnahmesituation sind demgegenüber nicht versichert.

Unabhängig davon kommt eine Entschädigungsleistung aus der Betriebsschließungsversicherung auch deshalb nicht in Betracht, weil das Corona-Virus in den Versicherungsbedingungen bei den namentlich genannten versicherten Krankheiten und Krankheitserregern nicht aufgeführt ist. Die Aufzählung ist abschließend und das Corona-Virus deshalb nicht in den Versicherungsschutz einbezogen. (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 10. Mai 2021, Az. 16 U 25/21, Revision ist zugelassen)