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BGH: Rechtsanwaltskosten für Vertretung im obligatorischen Güteverfahren nach § 15a EGZPO sind keine erstattungsfähigen Kosten im späteren Rechtsstreit

BGH
Beschluss vom 24.06.2021
V ZB 22/20
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1


Der BGH hat entschieden, dass die Rechtsanwaltskosten für die Vertretung im obligatorischen Güteverfahren nach § 15a EGZPO keine erstattungsfähigen Kosten im späteren Rechtsstreit sind.

Leitsatz des BGH:

Die Kosten der anwaltlichen Vertretung in einem nach § 15a EGZPO obligatorischen Güteverfahren sind keine erstattungsfähigen (Vorbereitungs-)Kosten des späteren Rechtsstreits.

BGH, Beschluss vom 24. Juni 2021 - V ZB 22/20 - LG Frankfurt (Oder) AG Bernau bei Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Lohnsteuerhilfeverein haftet nach Grundsätzen der Beauftragtenhaftung für unlautere Werbemaßnahmen eines Beratungsstellenleiters

OLG Frankfurt
Urteil vom 24.06.2021
6 U 84/20


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Lohnsteuerhilfeverein nach den Grundsätzen der Beauftragtenhaftung für unlautere Werbemaßnahmen eines Beratungsstellenleiters haftet.

Aus den Entscheidungsgründen:

"2. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Unterlassung aus §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2, 3, 3a UWG in Verbindung mit §§ 5, 8 StBerG zu, nicht für Gewerbetreibende geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen anzubieten.

a) Die Klägerin ist - wie das Landgericht zu Recht und von der Berufung unbeanstandet angenommen hat - nach § 8 III Nr. 2 UWG aktivlegitimiert (vgl. zu einer Steuerberaterkammer als K.d.ö.R. auch BGH GRUR 2021, 742 Rn 15 - Steuerberater-LLP - m.w.N.).

b) Die angegriffene Werbung verstößt gegen §§ 5, 8 StBerG und ist damit nach §§ 3, 3a UWG unlauter.

aa) Nach § 5 StBerG dürfen andere als die in den §§ 3, 3a und 4 bezeichneten Personen und Vereinigungen nicht geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, insbesondere nicht geschäftsmäßig Rat in Steuersachen erteilen. Ausgenommen von dem Verbot sind nach § 6 Nr. 3 und 4 bestimmte mechanische Vorgänge bei der Buchhaltung. Aus § 8 StBerG, der für Berechtigte vorsieht, auf die Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen hinzuweisen, ist abzuleiten, dass nicht berechtigten Personen auch nicht gestattet ist, für die Erbringung solcher Dienstleistungen zu werben (BGH GRUR 2021, 742 Rn 18 - Steuerberater-LLP). Bei dem Verbot, das den Zutritt zum Markt der Steuerberatungsdienstleistungen zum Schutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer regelt, handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG (vgl. BGH GRUR 2002, 77, 80 - Rechenzentrum).

bb) Der Beklagte gehört nicht zu dem befugten Personenkreis, der gegenüber Gewerbetreibenden entsprechende Leistungen erbringen darf. Zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen sind nach § 4 Ziff. 11 StBerG zwar auch Lohnsteuerhilfevereine - zu denen der Beklagte gehört - befugt, jedoch nur in eingeschränktem Umfang. Sie dürfen nur für ihre Mitglieder tätig werden, soweit es nicht um Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Arbeit geht (§ 4 Ziff. 11 b StBerG).

cc) Aus dem auf dem Foto nach Anlage K1 dargestellten Aufsteller und dem Plakat geht hervor, dass die Fertigung von Steuererklärungen sowie die Beratung (auch) für Gewerbetreibende und Selbständige angeboten wird. Nach der Verkehrsauffassung sind der Aufsteller und das Plakat dem Beklagten zuzuordnen. Beide Werbemittel befinden sich unmittelbar neben dem Schaufenster des Beklagten, auf dem großflächig das Vereinsemblem und der Slogan „Steuererklärung? Wir machen das“ angebracht sind. Über dem Plakat befindet sich außerdem ein fahnenartiges, über den Weg ragendes Schild, das ebenfalls auf die Beratungsstelle des Beklagten hinweist. Ein Passant, der die Werbung wahrnimmt, wird sie daher dem Beklagten zuordnen. Dem steht nicht entgegen, dass auf dem Schaufenster als Adressaten der Leistungen nur Arbeitnehmer, Beamte und Rentner aufgelistet sind. Der Verkehr wird daraus nicht ableiten, dass der Aufsteller und das Plakat, die einen erweiterten Adressatenkreis vorsehen, einem anderen Leistungserbringer zuzuordnen sind. Entgegen der Ansicht des Beklagten erschließt sich vorbeilaufenden Passanten auch nicht, dass der Geschäftsstellenleiter des Beklagten an derselben Adresse in separaten Räumen einen eigenen Beratungsservice anbietet. Aufsteller und Plakat weisen in keiner Weise auf eine andere Person als Leistungserbringer hin. Die Werbemittel werden vom Verkehr dem blickfangmäßig auf dem Schaufenster aufgeführten Beklagten zugeordnet. Es liegt damit ein Verstoß gegen §§ 5, 8 StBerG vor.

c) Der Beklagte ist für den Wettbewerbsverstoß auch verantwortlich. Er kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, das Werbematerial stamme von seinem Beratungsstellenleiter Herr A, der die Werbung - anders als von § 8 Abs. 2 UWG vorausgesetzt - nicht für das Unternehmen des Beklagten, sondern für seinen eigenen Buchhaltungsservice aufgestellt habe. Der Beklagte hat es jedenfalls pflichtwidrig unterlassen, Herrn A zu veranlassen, die Werbung zu entfernen bzw. klarzustellen, für wen sie gelten soll.

aa) Ein Unterlassen kann positivem Tun nur gleichgestellt werden, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt, und dieses Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht. Erforderlich ist eine Garantenstellung des Täters, die ihn nach einer wertenden Betrachtung verpflichtet, den deliktischen Erfolg abzuwenden. Eine Garantenstellung kann sich aus vorhergehendem gefährdenden Tun (Ingerenz), Gesetz, Vertrag oder der Inanspruchnahme von Vertrauen ergeben (BGH GRUR 2020, 543 Rn 34 - Kundenbewertungen auf Amazon).

bb) Eine entsprechende Erfolgsabwendungspflicht ergibt sich vorliegend daraus, dass Herr A als Beratungsstellenleiter beim Beklagten selbst in leitender Funktion tätig ist. Der Beklagte nimmt das Vertrauen in Anspruch, dass seine leitenden Mitarbeiter nicht ein scheinbar dem Beklagten zuzuordnendes unzulässiges Beratungsangebot bewerben und die Tätigkeit für den Beklagten für eigene wirtschaftliche Interessen ausnutzen. Dem steht nicht entgegen, dass Herr A weder gesetzlicher Vertreter des Beklagten ist noch angeblich in dessen Namen Erklärungen abgeben kann (Anlage K3). Der Beklagte hat die Pflicht, im Rahmen seiner vertraglichen Möglichkeiten auf den Beratungsstellenleiter einzuwirken. Soweit der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, in dem Vertrag mit Herrn A werde auf die Beschränkungen des Steuerberatergesetzes hingewiesen, reicht dies nicht aus. Es hätte konkret dargelegt werden müssen, welche vertraglichen Vorkehrungen getroffen wurden und wie diese überwacht werden. Daran fehlt es. Es ist nicht ersichtlich, welcher Verantwortliche des Beklagten die Tätigkeit von Herrn A auf welche Weise überwacht hat.

cc) Es kann damit dahinstehen, ob Herr A auch "verfassungsmäßig berufener Vertreter" des Beklagten im Sinne der §§ 31, 89 BGB ist. Dafür spricht aber seine Funktion als Leiter einer örtlichen Beratungsstelle. Für die Einordnung als verfassungsmäßiger Vertreter kommt es nicht allein auf die gesellschaftsrechtliche Vertretungsbefugnis an. Nach der Rechtsprechung des BGH ist verfassungsmäßig berufener Vertreter eine Person, der durch allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, für die Gesellschaft wesensmäßige Funktionen zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass er die Gesellschaft im Rechtsverkehr repräsentiert (BGH NJW 2007, 2490). Davon ist bei einem Beratungsstellenleiter in der Regel auszugehen.2. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Unterlassung aus §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2, 3, 3a UWG in Verbindung mit §§ 5, 8 StBerG zu, nicht für Gewerbetreibende geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen anzubieten.

a) Die Klägerin ist - wie das Landgericht zu Recht und von der Berufung unbeanstandet angenommen hat - nach § 8 III Nr. 2 UWG aktivlegitimiert (vgl. zu einer Steuerberaterkammer als K.d.ö.R. auch BGH GRUR 2021, 742 Rn 15 - Steuerberater-LLP - m.w.N.).

b) Die angegriffene Werbung verstößt gegen §§ 5, 8 StBerG und ist damit nach §§ 3, 3a UWG unlauter.

aa) Nach § 5 StBerG dürfen andere als die in den §§ 3, 3a und 4 bezeichneten Personen und Vereinigungen nicht geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, insbesondere nicht geschäftsmäßig Rat in Steuersachen erteilen. Ausgenommen von dem Verbot sind nach § 6 Nr. 3 und 4 bestimmte mechanische Vorgänge bei der Buchhaltung. Aus § 8 StBerG, der für Berechtigte vorsieht, auf die Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen hinzuweisen, ist abzuleiten, dass nicht berechtigten Personen auch nicht gestattet ist, für die Erbringung solcher Dienstleistungen zu werben (BGH GRUR 2021, 742 Rn 18 - Steuerberater-LLP). Bei dem Verbot, das den Zutritt zum Markt der Steuerberatungsdienstleistungen zum Schutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer regelt, handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG (vgl. BGH GRUR 2002, 77, 80 - Rechenzentrum).

bb) Der Beklagte gehört nicht zu dem befugten Personenkreis, der gegenüber Gewerbetreibenden entsprechende Leistungen erbringen darf. Zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen sind nach § 4 Ziff. 11 StBerG zwar auch Lohnsteuerhilfevereine - zu denen der Beklagte gehört - befugt, jedoch nur in eingeschränktem Umfang. Sie dürfen nur für ihre Mitglieder tätig werden, soweit es nicht um Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Arbeit geht (§ 4 Ziff. 11 b StBerG).

cc) Aus dem auf dem Foto nach Anlage K1 dargestellten Aufsteller und dem Plakat geht hervor, dass die Fertigung von Steuererklärungen sowie die Beratung (auch) für Gewerbetreibende und Selbständige angeboten wird. Nach der Verkehrsauffassung sind der Aufsteller und das Plakat dem Beklagten zuzuordnen. Beide Werbemittel befinden sich unmittelbar neben dem Schaufenster des Beklagten, auf dem großflächig das Vereinsemblem und der Slogan „Steuererklärung? Wir machen das“ angebracht sind. Über dem Plakat befindet sich außerdem ein fahnenartiges, über den Weg ragendes Schild, das ebenfalls auf die Beratungsstelle des Beklagten hinweist. Ein Passant, der die Werbung wahrnimmt, wird sie daher dem Beklagten zuordnen. Dem steht nicht entgegen, dass auf dem Schaufenster als Adressaten der Leistungen nur Arbeitnehmer, Beamte und Rentner aufgelistet sind. Der Verkehr wird daraus nicht ableiten, dass der Aufsteller und das Plakat, die einen erweiterten Adressatenkreis vorsehen, einem anderen Leistungserbringer zuzuordnen sind. Entgegen der Ansicht des Beklagten erschließt sich vorbeilaufenden Passanten auch nicht, dass der Geschäftsstellenleiter des Beklagten an derselben Adresse in separaten Räumen einen eigenen Beratungsservice anbietet. Aufsteller und Plakat weisen in keiner Weise auf eine andere Person als Leistungserbringer hin. Die Werbemittel werden vom Verkehr dem blickfangmäßig auf dem Schaufenster aufgeführten Beklagten zugeordnet. Es liegt damit ein Verstoß gegen §§ 5, 8 StBerG vor.

c) Der Beklagte ist für den Wettbewerbsverstoß auch verantwortlich. Er kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, das Werbematerial stamme von seinem Beratungsstellenleiter Herr A, der die Werbung - anders als von § 8 Abs. 2 UWG vorausgesetzt - nicht für das Unternehmen des Beklagten, sondern für seinen eigenen Buchhaltungsservice aufgestellt habe. Der Beklagte hat es jedenfalls pflichtwidrig unterlassen, Herrn A zu veranlassen, die Werbung zu entfernen bzw. klarzustellen, für wen sie gelten soll.

aa) Ein Unterlassen kann positivem Tun nur gleichgestellt werden, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt, und dieses Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht. Erforderlich ist eine Garantenstellung des Täters, die ihn nach einer wertenden Betrachtung verpflichtet, den deliktischen Erfolg abzuwenden. Eine Garantenstellung kann sich aus vorhergehendem gefährdenden Tun (Ingerenz), Gesetz, Vertrag oder der Inanspruchnahme von Vertrauen ergeben (BGH GRUR 2020, 543 Rn 34 - Kundenbewertungen auf Amazon).

bb) Eine entsprechende Erfolgsabwendungspflicht ergibt sich vorliegend daraus, dass Herr A als Beratungsstellenleiter beim Beklagten selbst in leitender Funktion tätig ist. Der Beklagte nimmt das Vertrauen in Anspruch, dass seine leitenden Mitarbeiter nicht ein scheinbar dem Beklagten zuzuordnendes unzulässiges Beratungsangebot bewerben und die Tätigkeit für den Beklagten für eigene wirtschaftliche Interessen ausnutzen. Dem steht nicht entgegen, dass Herr A weder gesetzlicher Vertreter des Beklagten ist noch angeblich in dessen Namen Erklärungen abgeben kann (Anlage K3). Der Beklagte hat die Pflicht, im Rahmen seiner vertraglichen Möglichkeiten auf den Beratungsstellenleiter einzuwirken. Soweit der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, in dem Vertrag mit Herrn A werde auf die Beschränkungen des Steuerberatergesetzes hingewiesen, reicht dies nicht aus. Es hätte konkret dargelegt werden müssen, welche vertraglichen Vorkehrungen getroffen wurden und wie diese überwacht werden. Daran fehlt es. Es ist nicht ersichtlich, welcher Verantwortliche des Beklagten die Tätigkeit von Herrn A auf welche Weise überwacht hat.

cc) Es kann damit dahinstehen, ob Herr A auch "verfassungsmäßig berufener Vertreter" des Beklagten im Sinne der §§ 31, 89 BGB ist. Dafür spricht aber seine Funktion als Leiter einer örtlichen Beratungsstelle. Für die Einordnung als verfassungsmäßiger Vertreter kommt es nicht allein auf die gesellschaftsrechtliche Vertretungsbefugnis an. Nach der Rechtsprechung des BGH ist verfassungsmäßig berufener Vertreter eine Person, der durch allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, für die Gesellschaft wesensmäßige Funktionen zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass er die Gesellschaft im Rechtsverkehr repräsentiert (BGH NJW 2007, 2490). Davon ist bei einem Beratungsstellenleiter in der Regel auszugehen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Volltext BGH: Goldton des Lindt-Goldhasen nach § 4 Nr. 2 MarkenG aufgrund Verkehrsgeltung als Farbmarke für Schokoladenhasen geschützt

BGH
Urteil vom 2907.2021
I ZR 139/20
Goldhase III
MarkenG § 3 Abs. 2; § 4 Nr. 2


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Goldton des Lindt-Goldhasen nach § 4 Nr. 2 MarkenG aufgrund von Verkehrsgeltung als Farbmarke für Schokoladenhasen geschützt über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 MarkenG in der seit dem 14. Januar 2019 geltenden Fassung findet keine Anwendung auf Zeichen, die vor diesem Zeitpunkt eingetragen worden sind (§ 4 Nr. 1 MarkenG) oder durch Benutzung als Marke Verkehrsgeltung erworben haben (§ 4 Nr. 2 MarkenG). Einer Marke, die vor dem Inkrafttreten einer Neuregelung - sei es durch Eintragung, sei es durch Benutzung - Schutz erlangt hat, kann dieser Schutz durch eine Neuregelung grundsätzlich nicht
entzogen werden.

b) Ein Zuordnungsgrad von über 50%, der bei einer abstrakten Farbmarke für die Annahme einer Verkehrsdurchsetzung in den beteiligten Verkehrskreisen gemäß § 8 Abs. 3 MarkenG im Regelfall ausreicht, genügt erst recht für die Annahme einer Verkehrsgeltung innerhalb beteiligter Verkehrskreise gemäß § 4 Nr. 2 MarkenG.

c) Der Erwerb von Verkehrsgeltung eines Farbzeichens als Marke setzt nur voraus, dass das Zeichen als Hinweis auf die Herkunft eines Produkts dient und nicht - darüber hinaus - als "Hausfarbe" für sämtliche oder zahlreiche Produkte des Unternehmens und damit produktlinienübergreifend verwendet wird.

d) Inhaber der Benutzungsmarke ist derjenige, zu dessen Gunsten die Verkehrsgeltung erworben wurde. Benutzen mehrere Unternehmen eine Kennzeichnung und sehen die beteiligten Verkehrskreise diese Unternehmen als eine wirtschaftliche Einheit oder als Mitglieder eines Konzerns an, kann kraft Verkehrsgeltung die Benutzungsmarke für jedes der Unternehmen entstehen.

BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - I ZR 139/20 - OLG München - LG München I

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht wurde im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und tritt am 22.05.2022 in Kraft

Das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht wurde im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und tritt am 22.05.2022 in Kraft.

Bundeskartellamt: Bußgelder gegen Hersteller und Händler von Musikinstrumenten von 21 Mio. EURO wegen vertikaler Preisbindung und horizontaler Preisabsprachen

Das Bundeskartellamt hat Bußgelder gegen Hersteller und Händler von Musikinstrumenten in Höhe von ca. 21 Mio. EURO wegen unzulässiger vertikaler Preisbindung und horizontaler Preisabsprachenverhängt.

Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:

Bundeskartellamt verhängt Bußgelder gegen Hersteller und Händler von Musikinstrumenten

Das Bundeskartellamt hat Geldbußen gegen drei Hersteller und zwei Händler von Musikinstrumenten sowie gegen verantwortlich handelnde Mitarbeiter in Höhe von insgesamt rd. 21 Mio. Euro verhängt. Den Herstellern und Händlern wird vertikale Preisbindung vorgeworfen, den Händlern untereinander daneben horizontale Preisabsprachen in mehreren Fällen.

Bei den Herstellern (bzw. deren Vertriebsgesellschaften) handelt es sich um die Yamaha Music Europe GmbH, Rellingen, die Roland Germany GmbH, Rüsselsheim und die Fender Musical Instruments GmbH, Düsseldorf. Die Händler sind die Thomann GmbH, Burgebrach und die MUSIC STORE professional GmbH, Köln.

Eingeleitet wurde das Verfahren nach Hinweisen aus dem Markt mit einer Durchsuchung im April 2018.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Hersteller und Händler von Musikinstrumenten haben über Jahre hinweg systematisch darauf hingewirkt, den Preiswettbewerb gegenüber den Endverbrauchern einzuschränken. Die Hersteller haben zumindest die führenden Fachhändler Thomann und MUSIC Store dazu angehalten, festgesetzte Mindestverkaufspreise nicht zu unterschreiten, was diese in vielen Fällen auch taten. Darüber hinaus haben die Händler untereinander in Einzelfällen Absprachen über Preiserhöhungen einzelner Produkte getroffenen. Das Bundeskartellamt sendet mit den verhängten Bußgeldern nicht nur an die betroffenen Unternehmen, sondern auch an die gesamte Musikinstrumente-Branche das klare Signal, dass Verstöße gegen das Verbot der Preisbindung und von Preisabsprachen nicht toleriert werden.“

Zwischen Herstellern und Händlern bestand das Einvernehmen, die Mindestpreis-Vorgaben der Hersteller umzusetzen. Bei Unterschreiten der Mindestverkaufspreise kontaktierten die verantwortlich handelnden Mitarbeiter von Yamaha, Roland und Fender mehrfach Thomann und Music Store und forderten diese Händler auf, ihre Verkaufspreise anzupassen, was in vielen Fällen auch geschah. Yamaha und Roland setzten zur Überwachung der Endverbraucherpreise teilweise auch Price-Tracking-Software ein. In vereinzelten Fällen wurden Sanktionen wie Lieferstopp oder Konditionenkürzung angedroht bzw. verhängt. Für einen Teil der Produkte erfolgte hingegen keine oder nur eine sporadische Durchsetzung bzw. Überwachung der vorgegebenen Mindestpreise. Oft hielten sich die Händler nicht an die Vorgaben, indem diese nicht umgesetzt oder umgangen wurden, z.B. durch Bündelung mehrerer Produkte zu einem Gesamtpreis. Gleichwohl haben Thomann und Music Store durch Beschwerden bei Yamaha, Roland und Fender die Einhaltung von Mindestpreisen durch andere Musikinstrumentenfachhändler gefordert. Zum Teil erfolgte dies als Reaktion auf Beschwerden über zu niedrige eigene Preise.

Im Laufe des Verfahrens wegen vertikaler Preisbindung haben sich Hinweise auf horizontale Preisabsprachen zwischen den Musikinstrumentenfachhändlern Thomann und Music Store ergeben. Diese haben zwischen dem 21. Dezember 2014 und dem 27. April 2018 in dreizehn Fällen Absprachen über Preiserhöhungen für einzelne Musikinstrumente bzw. ergänzende Produkte getroffen.

Bei der Bußgeldfestsetzung wurde berücksichtigt, dass die Unternehmen Yamaha, Roland, Fender, Thomann und Music Store bei der Aufklärung der Absprachen mit dem Bundeskartellamt umfassend kooperiert haben (Music Store nur im Verfahren wegen vertikaler Preisbindung) und das Verfahren im Wege der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (sog. Settlement) abgeschlossen werden konnte. Die Bußgeldbescheide sind rechtskräftig.

Bundeskartellamt: 2 Millionen Euro Bußgeld wegen kartellrechtswidriger vertikaler Preisbindung gegen Hersteller von Schulrucksäcken und Schultaschen verhängt

Das Bundeskartellamt hat eine Bußgeld von rund 2 Millionen Euro egen kartellrechtswidriger vertikaler Preisbindung gegen einen Hersteller von Schulrucksäcken und Schultaschen verhängt.

Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:

Bundeskartellamt verhängt Bußgeld gegen das Kölner Unternehmen Fond Of GmbH

Das Bundeskartellamt hat gegen die Fond Of GmbH mit Sitz in Köln eine Geldbuße in Höhe von insgesamt rd. 2 Mio. Euro wegen vertikaler Preisbindung verhängt. Fond Of ist insbesondere im Bereich der Entwicklung und Herstellung von Schulrucksäcken und Schultaschen der Marken „ergobag“ und „Satch“ tätig. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, mit ihm kooperierende Händler beim Vertrieb von Schulranzen und Rucksäcken in ihrer Preissetzung eingeschränkt zu haben. Eingeleitet wurde das Verfahren im Zusammenhang mit einem Amtshilfeersuchen der österreichischen Wettbewerbsbehörde, die ebenfalls gegen das Unternehmen ermittelt hat und einer Durchsuchungsaktion im Januar 2019.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Das Unternehmen Fond Of hat über Jahre hinweg Mindestpreise für seine Schulrucksäcke und -taschen vorgegeben und dafür gesorgt, dass die beteiligten Händler diese Preise nicht unterschreiten. Fond Of hat die Preissetzung systematisch kontrolliert und die Einhaltung der Mindestpreise auch mit Sanktionen gegen die Händler durchgesetzt. Hersteller dürfen aus gutem Grund schon seit den 70er Jahren nur unverbindliche Preisempfehlungen machen. Vertikale Preisbindungen gehen häufig zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher und können dazu führen, dass diese im Ergebnis höhere Preise zahlen müssen. Gerade bei Schulrucksäcken und Schultaschen ist die Zahlungsbereitschaft der Eltern zum Schutz der Kinder relativ groß. Hier noch zusätzlich eine Preisbindung durchzusetzen, ist in keiner Weise akzeptabel.“

Das Unternehmen Fond Of und die beteiligten Händler waren sich darin einig, dass Fond Of-Produkte grundsätzlich zu dem Preis verkauft werden sollten, der von Fond Of als unverbindliche Preisempfehlung vorgegeben wurde. Darüber hinaus war der Online-Handel jedenfalls bis zum Jahr 2016 nur einigen wenigen Händlern vorbehalten. Die Einhaltung der Preise und der Vorgaben für den Online-Vertrieb wurde von der Fond Of GmbH als auch von den beteiligten Händlern seit der Frühphase ihrer jeweiligen Geschäftsbeziehungen (beginnend mit März 2010) bis August 2018 regelmäßig kontrolliert und angemahnt, zum Teil noch bis zum Zeitpunkt der Durchsuchung im Januar 2019. Bei Abweichungen intervenierte Fond Of und die angesprochenen Händler stellten das beanstandete Verhalten teilweise ab.

Bei der Bußgeldfestsetzung wurde berücksichtigt, dass das Unternehmen mit dem Bundeskartellamt umfassend kooperiert hat und das Verfahren im Wege der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (sog. Settlement) abgeschlossen werden konnte. Der Bußgeldbescheid ist rechtskräftig. Gegen die beteiligten Händler und gegen die für Fond Of handelnden Personen wurde das Verfahren eingestellt.

Ein Fallbericht mit den Inhalten nach § 53 Abs. 5 GWB wird in Kürze auf der Internetseite des Bundeskartellamts veröffentlicht.



LG Magdeburg: Gaststättenbetreiber muss unangekündigte Besuche eines GEMA-Kontrolleurs dulden - Vorher ausgesprochenes Hausverbot gegenüber GEMA unwirksam

LG Magdeburg
Urteil vom 28.10.2020
7 S 69/20


Das LG Magdeburg hat entschieden, dass ein Gaststättenbetreiber unangekündigte Besuche eines GEMA-Kontrolleurs dulden muss. Ein vorher gegenüber der GEMA ausgesprochenes Hausverbot ist unwirksam.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Berufung der Klägerin ist zwar gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen nach §§ 517, 519, 520 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet. Weder beruht die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung. Das Amtsgericht hat richtig entschieden.

Die Klägerin kann gemäß §§ 97 Abs. 2, 15 ff. UrhG, §§ 823 Abs. 1, 242, 1004 Abs. 1 und 2 BGB analog die Duldung unangekündigter Kontrollen in den Gaststätten der Beklagten verlangen.

Das Amtsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Verpflichtung zur Duldung von unangekündigten Kontrollen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben dann bestehen kann, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchführung seines Zahlungsanspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann und der Verpflichtete sie unschwer, d. h. ohne unbillig belastet zu sein, zu geben vermag. Voraussetzung ist, dass zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten eine besondere rechtliche Beziehung besteht, wobei ein gesetzliches Schuldverhältnis, z.B. aus unerlaubter Handlung, genügt (BGH, Urt. v. 18.1.1978 - VIII ZR 262/76, NJW 1978, 1002 m.w.N.; BGH, Urt. v. 5.6.1985 - I ZR 53/83 - GEMA-Vermutung I).

Zwar bleibt es dabei, dass die Darlegungs- und Beweislast für eine Urheberrechtsverletzung der Beklagten und damit für das Bestehen einer rechtlichen Beziehung zwischen den Parteien der Klägerin obliegt. Die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin wird aber durch die sogenannte GEMA-Vermutung erleichtert. Die von der Rechtsprechung anerkannte GEMA-Vermutung besagt - wie der BGH zuletzt im Urteil vom 5.6.1985 (I ZR 53/83) ausgeführt hat -, dass zugunsten der G angesichts ihres umfassenden In- und Auslandsrepertoires eine tatsächliche Vermutung ihrer Wahrnehmungsbefugnis für die Aufführungsrechte an in- und ausländischer Tanz- und Unterhaltungsmusik und für die sogenannten mechanischen Rechte besteht. Die Vermutung erstreckt sich weiter darauf, dass diese Werke auch urheberrechtlich geschützt sind (BGH, Urt. v. 12.6.1963 - Ib ZR 23/62, GRUR 1964, 91, 92 - Tonbänder-Werbung I). Darüber hinaus besteht nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung auch dafür, dass bei Verwendung von Unterhaltungsmusik in den von der Klägerin wahrgenommenen Bestand eingegriffen wird (vgl. BGH, Urt. v. 7.10.1960 - I ZR 17/59, GRUR 1961, 97, 98 - Sportheim).

Gemessen hieran ist das Amtsgericht völlig zu Recht davon ausgegangen, dass eine Vermutung dafür besteht, dass auch in den von der Beklagten betriebenen Gaststätten Musikstücke zur Darbietung gelangen, die dem Rechtebestand der Klägerin unterfallen. Die Beklagte selbst bestreitet nicht, dass, was ebenfalls der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, in ihren Gaststätten Musik dargeboten wird. Damit spricht zunächst die Vermutung dafür, dass dabei auch Musikstücke gespielt werden, die dem Rechtebestand der Klägerin unterfallen.

Es bestehen auch mit Blick auf das grundrechtlich geschützte Hausrecht keine Bedenken dagegen, dass die Beauftragten der Klägerin die Räumlichkeiten betreten. Dies hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 13.11.2003, die die Beklagte in ihrer Berufungsschrift selbst zitiert, eindeutig zum Ausdruck gebracht (Bl. 109 zweiter Absatz):

„Mit der Eröffnung eines Geschäfts für den allgemeinen Publikumsverkehr bringt der Inhaber des Hausrechts zum Ausdruck, dass er an jeden Kunden Waren verkaufen oder Dienstleistungen erbringen will. Gestattet damit grundsätzlich und ohne Prüfung im Einzelfall allen Kunden den Zutritt zu den Geschäftsräumen, die sich im Rahmen üblichen Käuferverhaltens nehmen. Danach ist der Anbieter von Waren oder Dienstleistungen verpflichtet, Testkäufe oder die testweise Inanspruchnahme von Dienstleistungen zu dulden, sofern die den testdurchführenden Personen sich wie normale Nachfrager verhalten. Üblichem Käuferverhalten einer Testperson kann der Kaufmann nicht entgegentreten.“

Und genau darum geht es hier. Die Beklagte ist vom Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung verurteilt worden, es zu dulden, dass von der Klägerin Beauftragte ihre Gaststätten betreten können, um die für sie notwendigen Informationen erheben zu können, nämlich ob möglicherweise in diesen Räumlichkeiten GEMA-pflichtige Musik dargeboten wird. Diese Vorgehensweise weicht von dem sonstigen kundentypischen Verhalten anderer Gäste nicht ab und ist daher vom Inhaber der Gaststätten hinzunehmen.

Auch der verfassungsrechtliche Schutz der Wohnung gemäß Art. 13 GG, der für die hier in Rede stehenden Geschäftsräume (eingeschränkt) ebenfalls Anwendung findet, gebietet keine andere Entscheidung. Denn die Grundrechtsposition der Beklagten ist mit der der Inhaber von Urheberrechten in Ausgleich zu bringen, die in dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG zu verorten ist. Gemessen aber an den vielfach begangenen und somit immer wieder aufs Neue drohenden Verletzungen von Urheberrechten stellt sich der mit einer solchen Kontrolle verbundene Eingriff in die Rechte der Beklagten als verhältnismäßiger Ausgleich der betroffenen Rechtspositionen dar. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte bis auf den untauglichen Vorschlag anzukündigender Kontrollen durch die Klägerin nicht aufgezeigt hat, auf welchem anderen Weg Urheberrechte in diesem Fällen effektiv geschützt werden können.

Die Beklagte hat die gegen sie sprechende Vermutung auch nicht widerlegen können. Sie hat noch nicht einmal ausreichenden Vortrag dazu gehalten, dass sie in der Vergangenheit nur GEMA-freie Musik abgespielt hat. Zwar behauptet sie unter Vorlage der Anlagen BK 2 bis BK 4 (Bl. 129 ff.), dass sie Vereinbarungen mit bestimmten Unternehmen getroffen habe, die ihr GEMA-freie Musikstücke angeboten hätten. Bau genauer Betrachtung dieser Unterlagen offenbart sich aber, dass die Anlage BK 2 z.B. eine Lizenz erst ab dem 25.1.2020 gewährt und die Anlage BK 3 als begünstigte Firma ein "Modelleisenbahnfachgeschäft" und nicht die hier in Rede stehenden Gaststätten aufführt. Die Klägerin hat damit entgegen ihrem Vortrag gerade keinen lückenlosen Nachweis der von ihr gespielten Stücke gebracht, so dass die gegen sie sprechende Vermutung hierdurch nicht widerlegt ist.

Die Kammer hatte auch den Beweisangeboten der Beklagten durch Einvernahme verschiedener Zeugen nicht nachzukommen, weil diese Angebote untauglich waren. Weder hat die Klägerin vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, aus welchem Grund ein gewöhnlicher Besucher der Gaststätte in der Lage sein soll, GEMA-freie von GEMA-pflichtiger Musik zweifelsfrei abzugrenzen. Im Übrigen sind diese Beweisangebote auch insofern nicht sachdienlich, weil es unter Umständen so sein kann, dass zum Zeitpunkt des jeweiligen Besuchs einer einzelnen Person nur GEMA-freie Musik abgespielt wurde. Dies gewährleistet aber nicht mit der notwendigen Sicherheit, dass dies auch zu anderen Anlässen oder aber grundsätzlich der Fall ist.

Es besteht auch kein Zweifel daran, dass die Beklagte Musik öffentlich darbietet. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erfordert der Begriff der öffentlichen Wiedergabe eine individuelle Beurteilung. Im Interesse eines hohen Schutzniveaus für die Urheber ist der Begriff der "öffentlichen Wiedergabe" weit zu verstehen (vgl. EuGH, Urteil vom 31. Mai 2016 - C-117/15, GRUR 2016, 684 Rn. 36 - Reha Training/GEMA; Urteil vom 8. September 2016 - C-160/15, GRUR 2016, 1152 Rn. 30 - GS-Media; Urteil vom 26. April 2017 - C-527/15, GRUR 2017, 610 Rn. 27 - Stichting Brein/Wullems; Urteil vom 14. Juni 2017 - C-610/15, GRUR 2017, 790 Rn. 22 - The Pirate Bay).

Die Beklagte betreibt Gaststätten, zu denen jeder zu den gewöhnlichen Öffnungszeiten Zugang hat, was die Darbietung der in diesen Zeiten präsentierten Musik zu einer Öffentlichen macht."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie
hier:


LG München: Unzulässige Glücksspielwerbung auf YouTube durch LOTTOBayern - Mit Lied "Geiles Leben" unterlegte Werbevideos

LG München
Urteil vom 13.08.2021
33 O 16380/18


Das LG München hat entschieden, dass LOTTOBayern unzulässige Glücksspielwerbung auf YouTube verbreitet hat. Es ging u.a. um Videos, die mit einer umgetexteten Version des Lieds "Geiles Leben" unterlegt waren.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

„Glücksspiel“

Die u.a. auf Wettbewerbsrecht spezialisierte 33. Zivilkammer des Landgerichts München I hat mit Urteil vom 13.08.2021 (Az. 33 O 16380/18) einer Klage der Klägerin zu 2) stattgegeben, mit welcher der Beklagte auf Unterlassung wegen unzulässiger Glücksspielwerbung in Anspruch genommen wurde. Die Klage der Klägerin zu 1) hat die Kammer abgewiesen.

Die Klägerin zu 1) ist eine in Gibraltar ansässige Limited, die sogenannte Zweitlotterien anbietet. Zweitlotterien lehnen sich an herkömmliche Lotterien staatlicher Glückspielanbieter (Primärlotterien) an und bieten Wetten auf den Ausgang von Ziehungen dieser Primärlotterien an. Das Angebot der Klägerin zu 1) richtete sich bis zum Brexit auch an Spieler in Deutschland. Die Klägerin zu 2) ist eine in Malta ansässige Limited, die über eine Vertriebsgesellschaft auf einer auch an deutsche Spieler gerichteten Webseite Zweitlotterien betreibt. Der Beklagte organisiert, und veranstaltet über die Staatliche Lotterieverwaltung das staatliche Glücksspiel „LOTTOBayern“ auf seinem Staatsgebiet, das er auch so bewirbt. So stellte der Beklagte auf seinem YouTube-Kanal unter der Überschrift „LOTTO warnt: Schwarzlotterien trocknen das Gemeinwohl aus“ ein Video zur Verfügung, in dem die Verwendung von Lottogeldern auch für die Sportförderung thematisiert wird. Weiter fand sich auf dem YouTube-Kanal des Beklagten ein Videoclip mit dem Titel „Geiles Leben“ in einer Kurzfassung sowie ein Link zum nicht vom Beklagten betriebenen YouTube-Kanal „EUROJACKPOT- eurojackpot results“, auf dem sich die Langversion des Videos „Geiles Leben“ fand. Beide Videoclips sind akustisch mit dem umgetexteten Song „Geiles Leben“ von der Band Glasperlenspiel unterlegt. Außerdem stellte der Beklagte auf seiner Facebook-Seite ein sogenanntes Glückszahlenhoroskop zur Verfügung, in dem er die Teilnahme am Glücksspiel „Lotto 6 aus 49“ mit vorausgefüllten „Glückszahlen“ bewarb.

Die Klägerinnen sind der Auffassung, die angegriffenen Werbemaßnahmen des Beklagten seien rechtswidrig. Die beanstandeten Videoclips seien keine sachliche Information, denn es handele sich nicht um eine schlichte Mitteilung der Gewinnchancen, sondern um eine aktive Anregung zur Spielteilnahme. Die Gewinne würden verführerisch herausgestellt, wodurch der Beklagte gegen die Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrages verstoße. Mit dem angegriffenen Glückshoroskop werde eine Erhöhung der Gewinnchancen suggeriert, wodurch der Beklagte gegen das Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen verstoße.

Der Beklagte tritt dem entgegen. Er meint, alle angegriffenen Werbungen bewegten sich im Rahmen der ihm erteilten behördlichen Rahmenerlaubnis. Mit Blick auf den Kanalisierungsauftrag aus dem Glücksspielstaatsvertrag sei zu berücksichtigen, dass staatliche Lotteriegesellschaften in gewissem Umfang attraktiv werben müssten, um angesichts des Werbedrucks der illegalen Anbieter überhaupt noch erkennbar zu sein und ihren Auftrag zur Hinführung auf das legale Glücksspielangebot erfüllen zu können.

Nach Auffassung der erkennenden Kammer war die Klage der Klägerin zu 1) abzuweisen, weil diese nicht mehr auf dem deutschen Markt tätig und daher nicht mehr anspruchsberechtigt ist. Die Klage der Klägerin zu 2) hatte hingegen in vollem Umfang Erfolg. Nach Ansicht der Kammer verstoßen die beanstandeten Werbevideos des Beklagten sämtlich gegen § 5 Abs. 1 des Glücksspielstaatsvertrages, weil sie nicht maßvoll und eng auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den staatlich kontrollierten Spielnetzwerken zu lenken. Vielmehr zielen die Werbevideos darauf ab, den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher zu fördern und sie zu aktiver Teilnahme am Glücksspiel anzuregen, indem Glücksspiel wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder indem intensiv Emotionen des Betrachters angesprochen werden und diesem suggeriert wird, dass er, wenn er an der Lotterie teilnimmt, die Möglichkeit hat, ein glückliches und „geiles Leben“ zu führen. Mit dem „Glückszahlenhoroskop“, in dem Glückszahlen für ein Sternzeichen vorgegeben und auch im Lottoschein voreingetragen werden können, wird dem Verbraucher in lauterkeitsrechtlich unzulässiger Weise eine Erhöhung der Gewinnchancen suggeriert.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

OLG Frankfurt: Novembermann-Rechtsprechung des BGH gilt auch im Lauterkeitsrecht - Mehrere Abmahnungen als eine Angelegenheit nach § 15 Abs. 2 RVG

OLG Frankfurt
Beschluss vom 13.07.2021
6 W 43/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Novembermann-Rechtsprechung des BGH (siehe dazu (BGH: Novembermann - Im Wesentlichen gleichlautende Abmahnungen wegen rechtswidrigen Vertriebs von Vervielfältigungsstücken derselben Werke aus derselben Quelle als eine Angelegenheit gemäß § 15 Abs 2 RVG) auch im Lauterkeitsrecht anzuwenden ist, so dass mehrere Abmahnungen eine Angelegenheit nach § 15 Abs. 2 RVG sein können.

Aus den Entscheidungsgründen:

c) Der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch die Antragstellerin steht nicht deren Rechtsmissbräuchlichkeit nach § 8c UWG entgegen.

(1) Soweit die Antragstellerin die mit dem Verfügungsantrag geltend gemachten beiden Verletzungsfälle in verschiedenen Abmahnungen geltend gemacht hat, liegt hier kein Fall des § 8c Abs. 2 Nr. 6 UWG vor.

Ist es dem Anspruchsberechtigten möglich und zumutbar, mehrere Wettbewerbsverstöße mit einem Klageantrag (oder einem Verfügungsantrag oder einer Abmahnung) geltend zu machen, so kann es zwar einen Missbrauch darstellen, wenn er ohne sachlichen Grund eine Aufspaltung vornimmt und mehrere Abmahnungen ausspricht oder Klagen neben- oder nacheinander erhebt (BGH GRUR 2009, 1180 Rn 20 - 0,00 Grundgebühr; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen UWG, 39. Aufl. 2021, § 8c Rn 28; OLG Frankfurt am Main WRP 2018, 736 - zum Fall einer „versehentlichen“ Verfahrensspaltung).

Ein sachlicher Grund ist indes anzunehmen, wenn eine inhaltlich übereinstimmende Werbung in unterschiedlichen Medien oder mittels unterschiedlicher Maßnahmen erfolgt und der Kläger jeweils die konkrete Verletzungsform angreift (und somit unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen), sofern die rechtliche Beurteilung oder die Beweisbarkeit des jeweiligen Wettbewerbsverstoßes unterschiedlich sein kann (BGH GRUR 2019, 631 Rn 62 - Das beste Netz; OLG Frankfurt am Main WRP 2010, 158, 160). Dies gilt insbesondere bei Wettbewerbsverstößen wie im vorliegenden Fall, die zwar Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede aufweisen, etwa im Hinblick auf Art, Zeit, Ort und Gegenstand der Werbung (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen UWG, 39. Aufl. 2021, § 8c Rn. 29). Zwar sind die gelten gemachten Verstöße auf der Website und dem Flyer weitgehend identisch und ist es angesichts der Kenntnisnahme am 10.3.21 auch nicht erkennbar, warum aus Dringlichkeitsgründen die Abmahnungen am 30.3. und 31.3. nicht hätten zusammengefasst werden können. In der Gesamtschau ist dies jedoch für den Senat nicht ausreichend, um dem ungewöhnlichen Vorgehen der Antragstellerin das Verdikt der Rechtsmissbräuchlichkeit zu verleihen. Hierbei ist nämlich zu betrachten, dass der Antragstellerin die Verstöße beim Verfügungsantrag wieder zusammengeführt hat und keine kostentreibende Aufspaltung vorgenommen hat.

(2) Soweit die Antragstellerin mit den Abmahnungen Abmahnkostenersatz auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von 375.000 € (30.3.21) sowie 350.000 € (31.3.21) fordert, bietet dies schon deshalb keinen Anlass zur Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nach § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG, weil die Antragsgegnerin selbst bei vergleichbaren Abmahnungen Streitwerte in ähnlicher Größenordnung angesetzt hat. Im Übrigen rechtfertigt das vorgetragenen Marktvolumen von Grippeimpfstoffen für über 60-Jährige diese Gegenstandswerte ohne Weiteres.

Die Gebührenforderung erweist sich allerdings in anderer Hinsicht als übersetzt. Nach der „Novembermann“-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GRUR 2019, 1044) - deren Grundsätze auch auf lauterkeitsrechtliche Konstellationen Anwendung finden sollen (Büscher GRUR 2021, 162) - können mehrere Abmahnungen eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG darstellen, wenn diese im wesentlichen gleiche Verletzungshandlungen betreffen. Nach Auffassung des Senats spricht einiges dafür, jedenfalls die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erstellten Abmahnungen als eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG anzusehen, mit der Folge, dass die Gegenstandswerte jeweils zu addieren sind und die jeweils Abgemahnten nur einen Anteil der so berechneten Kosten zu tragen hätten, der deutlich niedriger wäre als die jeweils auf Grundlage eines Wertes von 375.000 € bzw. 300.000 € errechnete 1,3-fache Gebühr.

Die Indizwirkung des § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG tritt jedoch erst dann ein, wenn diese Werte „offensichtlich“ überhöht sind. Die ursprüngliche Entwurfsfassung des neuen UWG sah vor, dass ein Missbrauch bereits dann indiziert wird, wenn „erheblich“ überhöhte Vertragsstrafen gefordert werden oder eine „erheblich“ über die Rechtsverletzung hinausgehende Unterlassungsverpflichtung vorgeschlagen wird. Da sich kaum objektivieren lässt, welche Zuvielforderung „erheblich“ ist, wäre eine gravierende Rechtsunsicherheit entstanden. Deshalb wurde der Begriff „erheblich“ durch den Begriff „offensichtlich“ ersetzt. Damit soll nach der Gesetzesbegründung verdeutlicht werden, dass es nur um eindeutige und ohne Weiteres erkennbare Fehler geht (Kochendörfer WRP 2020, 1513). An einer solchen Offensichtlichkeit fehlt es hier. Die Indizwirkung der überhöhten Abmahnkostenersatzforderung beruht nämlich darauf, dass der Abmahnende wider besseres Wissen zu hohe Gebühren fordert. Angesichts der Tatsache, dass die BGH-Entscheidung erst vom 6.6.2019 datiert, der Tatsache, dass noch keine höchstrichterliche Entscheidung zu vergleichbaren UWG-Fällen bekannt geworden ist, sowie der problematischen Abgrenzung bei der Frage, ob eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG vorliegt, kann die Indizwirkung hier nicht eintreten.

d) Die durch die Verstöße begründete Wiederholungsgefahr ist nicht durch die strafbewehrten Unterlassungserklärungen der Antragsgegnerin vom 9.4.2021 (Anlage AS 14, Bl. 112 ff.) sowie 12.4.2021 (Anlage AS 16 Bl. 121 ff.) in Wegfall geraten. Die Unterlassungserklärungen erfassen schon nicht den Verstoß gegen § 6 HWG.

(1) Beanstandet - wie hier - der Gläubiger das konkrete Verhalten des Schuldners unter zwei unterschiedlichen Gesichtspunkten als wettbewerbswidrig, muss bei der Unterwerfung zur Erreichung des Wegfalls der Wiederholungsgefahr sichergestellt sein, dass sie auch beide Varianten alternativ als kerngleiche Verletzungen erfasst. Das kann einmal dadurch zum Ausdruck kommen, dass sich der Schuldner hinsichtlich der konkreten Verletzungsform unterwirft und zum Ausdruck bringt, dass sich die Unterwerfung alternativ auf beide Varianten bezieht. Der Schuldner kann sich aber auch in einer abstrakten Form gesondert hinsichtlich beider Varianten unterwerfen (Köhler/Bornkamm-Feddersen UWG, 39. Aufl. 2021, § 13 Rn 142).

(2) Die Unterlassungserklärungen der Antragsgegnerin erfassen den Verstoß gegen § 6 HWG nicht.

Die Antragsgegnerin hat in ihren Unterlassungserklärungen die konkrete Verletzungsform aufgenommen, ohne näher zu erläutern, ob die Unterlassungserklärung sich auf § 6 HWG oder auf § 5 UWG bezieht, was beides Teil der Abmahnung durch die Antragstellerin gewesen ist. Aus dem Schreiben (S. 8) ergibt sich, dass die Antragsgegnerin sich mit beiden Angriffen auseinandergesetzt hat und diese beide zurückgewiesen hat. Weitere Auslegungshinweise lassen sich dem Schreiben nicht entnehmen. Diese Unsicherheit geht zu Lasten der Antragsgegnerin, die für den Wegfall der Wiederholungsgefahr darlegungs- und beweisbelastet ist.

Auf diese Problematik hatte die Antragstellerin bereits mit Schriftsatz vom 4.5.2021 hingewiesen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




OLG Brandenburg: "Bis Sommeranfang" keine ausreichende Angabe nach § 5a Abs. 2 S. 1 UWG für eine zeitlich begrenzte Rabattaktion

OLG Brandenburg
Beschluss vom 06.07.2021
6 W 36/21


Das OLG Brandenburg hat entschieden, dass der Hinweis "Bis Sommeranfang" keine ausreichende Angabe nach § 5a Abs. 2 S. 1 UWG für eine zeitlich begrenzte Rabattaktion ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die nach §§ 567, 569 ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Den Antragsgegnern ist über die landgerichtlich tenorierte Unterlassungsverpflichtung hinaus im Wege einstweiliger Verfügung aufzugeben, es zu unterlassen, mit einer Rabattaktion zu werben, ohne den Zeitraum der Aktion bestimmbar anzugeben, § 8 Abs. 1, 3 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 5a Abs. 2 S. 1 UWG.

Die inkriminierte, wie in der Anlage dargestellte Werbung, ist unlauter, weil sie dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthält, die er für eine informierte geschäftliche Entscheidung benötigt, und weil das Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer sonst nicht getroffenen geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Verbraucher die Angabe „bis Sommeranfang“ so versteht, dass das Angebot bis zum 21. Juni des jeweiligen Jahres gilt. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist neben der kalendarischen Bestimmung des Sommeranfangs zum 21. Juni eines Jahres jedenfalls ebenso der meteorologische Sommeranfang gebräuchlich, der den 1. Juni eines Jahres bezeichnet. An beiden Daten wird in Presse und sonstigen Medien regelmäßig der jeweilige „Sommeranfang“ thematisiert. Aus diesem Grund vermag die Angabe „bis Sommeranfang“ dem angesprochenen Verkehrskreis die notwendige Gewissheit über den Zeitraum der befristet angebotenen Rabattaktion nicht zu vermitteln.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.000 € festgesetzt, dieser Betrag entspricht dem vom Senat in durchschnittlichen Wettbewerbssachen in Verfügungsverfahren regelmäßig festgesetzten Wert. Der Streitwert für den Rechtszug erster Instanz wird - unter Abänderung der landgerichtlichen Festsetzung im Beschluss vom 14.05.2021 - auf 30.000 € festgesetzt (§ 63 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Im Hinblick auf die Mehrzahl der geltend gemachten Verstöße, wie sie Gegenstand des Verfahrens erster Instanz waren, ist eine maßvolle Erhöhung auf insgesamt 30.000 € angemessen."




LG Stuttgart: Keine markenmäßge Verwendung und keine Markenrechtsverletzung durch Aufdruck eines Sprüchemotivs auf T-Shirt

LG Stuttgart
Urteil vom 06.07.2021
17 O 354/20


Das LG Stuttgart hat entschieden, dass keine markenmäßge Verwendung und keine Markenrechtsverletzung durch Aufdruck eines Sprüchemotivs (hier: "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten !") auf einem T-Shirt vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Eine markenrechtliche Verletzungshandlung setzt voraus, dass der Verletzer die Marke in einer Art und Weise benutzt, dass hierdurch eine der geschützten Funktionen der Marke beeinträchtigt werden kann. Zu diesen Funktionen gehören neben der Hauptfunktion, der Gewährleistung der Herkunft der Ware oder Dienstleistung, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) auch andere Funktionen wie unter anderem die Gewährleistung der Qualität der mit ihr gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung oder die Kommunikations-, Investitions- oder Werbefunktion (vgl. EuGH GRUR 2009, 756, Rn. 58, L'Oreal, beck-online).

Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine beeinträchtigende Benutzung des Zeichens vor, wenn es durch den Dritten markenmäßig oder - was dem entspricht - als Marke verwendet wird und diese Verwendung die Funktionen der Marke und insbesondere ihre wesentliche Funktion, den Verbrauchern die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu garantieren, beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann (vgl. BGH MMR 2011, 608, 609, beck-online; OLG Hamburg Hinweisbeschluss v. 3. 2. 2021 - 3 U 9/19, BeckRS 2021, 11906 Rn. 39, beck-online, m. w. N.).

Dabei kommt es darauf an, ob der angesprochene Verkehr aufgrund der ihm objektiv entgegentretenden Umstände die Benutzung des Kennzeichens zumindest auch als Unterscheidungszeichen für die Ware oder Dienstleistung im Sinne eines Herkunftshinweises ansieht (vgl. BGH, Urteil vom 18. 10. 2007 -1 ZR 162/04 -, Rn. 10/11, AKZENTA, juris; BGH, Urteil vom 13. 6. 2002 -1 ZR 312/99 -, Rn. 22, SYLT-Kuh, juris; BGH, Urteil vom 18. 5. 1995 - l ZR 99/93 -, Rn. 25, Montana, juris). Bei der Beurteilung, ob der Verkehr eine Bezeichnung als Herkunftshinweis versteht und in der konkret in Rede stehenden Verwendung eines Zeichens einen Herkunftshinweis sieht, ist auf die Kennzeichnungsgewohnheiten in dem maßgeblichen Warensektor abzustellen, insbesondere die Art und Weise, in der Kennzeichnungsmittel bei den betreffenden Waren üblicherweise verwendet werden (BGH, Urteil vom 7. 3. 2019 - 1 ZR 195/17 - Rn. 42, SAM, juris). Von einer kennzeichenmäßigen Verwendung ist auszugehen, wenn ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs in einem Zeichen den Hinweis auf die Herkunft einer Ware oder Dienstleistung aus einem bestimmten Unternehmen sieht (BGH, GRUR 2009, 484, Rn. 61, METROBUS, beck-online).

Auch die Bewertung der Frage, ob der Verkehr ein auf der Vorderseite eines Bekleidungsstückes großflächig angebrachtes Sprüchemotiv als produktbezogenen Hinweis auf die Herkunft oder als bloßes dekoratives Element auffasst, hängt unter anderem von der Art der Platzierung des Aufdrucks und den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab (KG Beschl. v. 7. 6. 2011 - 5 W 127/11, BeckRS 2011, 16729, beck-online). Denn anders als bei eingenähten Etiketten auf der Innenseite von Bekleidungsstücken geht der Verkehr bei Bildern, Motiven, Symbolen und Wörtern auf der Vorderseite von Bekleidungsstücken nicht generell davon aus, es handele sich um einen Herkunftshinweis (BGH, GRUR 2018, 932, Rn. 18, #darferdas?- BGH GRUR 2010. 838. Rn. 20. DDR-Logo, beck-online).

1. Gemessen an den vorgenannten Grundsätzen stellt der Aufdruck auf den T-Shirts der Beklagten keine kennzeichenmäßige Verwendung der Klagemarke dar. Der Verkehr wird in dem Aufdruck ein rein dekoratives Element und keinen Herkunftshinweis verstehen. Der Inhalt des Aufdrucks ist für Jedermann verständlich und aus der Sicht eines Betrachters darauf angelegt, eine aus der Sicht des Trägers originelle oder humorvolle Botschaft zu vermitteln. Hierfür spricht, dass der Spruch großflächig aufgedruckt ist und darüber hinaus keinen Hinweis auf einen Hersteller oder vermeintlichen Autor des Textes enthält. Die Wirkung des Shirts ist ausschließlich auf die Vermittlung der hinter dem Spruch stehenden Botschaft ausgerichtet. Die Frage, ob und wer als Erfinder hinter diesem Spruch steht, spielt dabei keine Rolle. Nicht zuletzt verwendet auch die Klägerseite das der Klagemarke entsprechende Sprüchemotiv mit der Angabe des Klägers als Autors dieses Spruches.
Auch hieran zeigt sich, dass alleine die Abbildung des Spruches keinen Schluss auf die markenrechtliche Herkunft oder den Autor des Spruches zulässt.

2. Anders als der Kläger meint, liegt auch keine Beeinträchtigung der Kommunikations-, Investitions- oder Werbefunktion der Klagemarke vor. Eine rein dekorative Nutzung einer Marke, wie sie vorliegend erfolgt ist, stellt auch nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann eine rechtsverletzende Markennutzung dar, wenn die betroffenen Verkehrskreise eine gedankliche Verknüpfung mit einer Marke herstellen, die bekannt ist (vgl. EuGH GRUR 2004, 58, Rn. 41, Adidas/Salomon, beck-online; BeckOK MarkenR/Mielke, 25. Ed. 1. 4. 2021, MarkenG § 14 Rn. 541). Fasst der Verkehr das Verletzungszeichen nur als Verzierung auf, wird keine der o. g. geschützten Markenfunktionen beeinträchtigt (EuGH a. a. O.). Letzteres ist hier der Fall. Das beanstandete Sprüchemotiv wird, wie bereits dargelegt, ausschließlich als dekoratives Element zur Mitteilung einer inhaltlichen Botschaft genutzt. Der Verkehr stellt dabei keinen, auch nur mittelbarer Zusammenhang
mit einer Marke her. Darüber hinaus handelt es sich bei der Klagemarke auch nicht um eine bekannte Marke, so dass bereits aus diesem Grund eine Verletzung der Kommunikations-, Investitions- oder Werbefunktion ausscheidet.

Die Klage war daher mangels einer Markenverletzung vollumfänglich abzuweisen.


LArbG Hamm: Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO bei verspäteter oder unvollständiger Auskunftserteilung nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO

LArbG Hamm
Urteil vom 11.05.2021
6 Sa 1260/20


Das LArbG Hamm hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO bei verspäteter oder unvollständiger Auskunftserteilung nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO besteht. Im vorliegenden Fall hat das Gericht einem Arbeitnehmer 1.000 EURO zugesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:

II. Soweit die Klägerin den in erster Instanz unbezifferten gestellten Klageantrag nunmehr im Rahmen der Berufungsbegründung beziffert, liegt eine Klageänderung - die im Rahmen der Berufung an den Voraussetzungen des § 533 ZPO zu messen wäre - nicht vor. Gemäß § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache erweitert wird. Darunter fällt auch der Übergang von einem nicht bezifferten Feststellungsantrag zu einem bezifferten Zahlungsantrag (vgl. BGH vom 12.05.1992 – VI ZR 118/91 -; BGH vom 13.11.2014 – IX ZR 267/13-).Wird zunächst eine Stufenlage erhoben und der Auskunftsantrag gestellt, stellt der Kläger dann aber, ohne die Bescheidung des Auskunftsanspruchs abzuwarten, sogleich den Zahlungsantrag, ist dieser Antrag ebenfalls nach § § 264 Nr. 2 ZPO zulässig. Um eine Klageänderung handelt es sich nicht (BGH vom 13.11.2014 – IX ZR 267/13 - ). Für den Zahlungsantrag, der in erster Instanz noch nicht beziffert war, gilt hier nicht anderes.

B) Die Berufung ist indes nur im Hinblick auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten immateriellen Schadensersatzanspruchs begründet. Insoweit hat das Arbeitsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

I. Die Berufung ist teilweise begründet, soweit die Klägerin die Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes begehrt. Sie hat aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO einen Anspruch auf Zahlung eines solchen Schadensersatzes in Höhe von 1.000,00 Euro.

1. Der Klageantrag ist zunächst bestimmt genug, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Bei einem Schadensersatzanspruch auf Geldentschädigung, bei dem die Bestimmung des Betrages von der Ermittlung der Schadenshöhe durch Beweisaufnahme oder durch gerichtliche Schätzung oder vom billigen Ermessen des Gerichts abhängt, ist es ausreichend, wenn die zahlenmäßige Feststellung der Klageforderung dem Gericht überlassen wird, sofern dem Gericht zugleich die tatsächlichen Grundlagen gegeben werden, die ihm die Feststellung der Höhe des gerechtfertigten Klageanspruchs ermöglichen (vgl. BGH vom 13.03.1967 – III ZR 8/66 m.z.N.). Selbes gilt, wenn – wie hier - die ziffernmäßige Festlegung der Schadenshöhe entscheidend von der Ausübung des richterlichen Ermessens oder einer richterlichen Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO abhängt (BGH vom 13.03.1967 – III ZR 8/66 m.z.N.). Vorliegend hat die Klägerin zudem angegeben, dass sie einen Mindestschaden von 6.000,00 Euro (vgl. Berufungsbegründung vom 21.12.2020) für angemessen erachtet.

2. Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen.

Die DSGVO, die seit dem 25.05.2018 in Kraft getreten ist (Art. 99 Abs. 2 DSGVO) gilt gemäß Art. 288 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, ohne dass es einer weiteren Umsetzung durch nationales Recht bedarf.

a) Verantwortlicher im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet (Art. 4 Ziff. 7 DSGVO), mithin die Beklagte.

b) Die Beklagte hat vorliegend gegen ihre Auskunftspflicht gegenüber der Klägerin aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO verstoßen. Der Auskunftsanspruch besteht auch in einem Arbeitsverhältnis. Die allgemeinen Bestimmungen der EU-DSVO enthalten eine Vollregelung, auch zum Beschäftigtendatenschutz (vgl. LAG Baden-Württemberg vom 20.12.2018 – 17 Sa 11/18 -). Der Auskunftsanspruch ist ein Grundrecht (Art. 8 Abs. 2 GRCh, Art. 6 Abs. 1 EUV) und gehört zur „Magna Charta“ der Betroffenenrechte (Lemke, der Datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch im Arbeitsverhältnis, NJW 2020, 1841ff).

Nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO hat die betroffene Person (Art. 4 Ziff. 7 DSGVO) das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden und – soweit dies der Fall ist – das weitere Recht auf die unter lit. a) bis h) der Vorschrift benannten Informationen. Nach der Vorgabe des Art. 12 Abs. 3 S. 1-3 DSGVO ist ein solches Auskunftsbegehren binnen eines Monats nach Eingang, nach einer Unterrichtung über eine Fristverlängerung binnen zwei weiterer Monate zu beantworten.

(1) Ein solches Verlangen hat die Klägerin vorliegend mit außergerichtlichem Schreiben ihres heutigen Prozessbevollmächtigten vom 30.01.2020 gestellt. Darin hat sie unter Bezugnahme auf die Datenschutzgrundverordnung Auskunft über „sämtliche bei Ihnen gespeicherten Daten, insbesondere die Daten der Arbeitszeiterfassung“ begehrt. Das Auskunftsbegehren unterliegt nach den Bestimmungen der DSGVO keinen besonders geregelten Anforderungen an Form und Inhalt. Es kann dahinstehen, ob sich der Anspruch der Klägerin inhaltlich auf den gesamten Umfang der mit dem Schreiben geltend gemachten Daten bezieht. Aus diesem verlangen konnte die Beklagte hinreichend konkret erkennen, auf welche Rechtsgrundlage die Klägerin ihr begehren stützt. Aus Art. 4 Ziff. 2 DSGVO ergibt sich zudem, dass sich die Verarbeitung, die Gegenstand des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DSGVO ist, auf jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten bezieht. Eine Einschränkung auf einen bestimmten Auskunftsteil hat die Klägerin nicht vorgenommen. Sie hat nur formuliert, dass sich ihr Begehren „insbesondere“ aber nicht erkennbar nicht ausschließlich auf die Daten der Zeiterfassung beziehe.

(2) Der Auskunftsanspruch bezieht sich inhaltlich auf personenbezogene Daten. Dabei handelt es sich nach Art. 4 Ziff. 1 DSGVO um alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person („betroffene Person“) beziehen. Zur Verarbeitung gehört nach Art. 4 Ziff. 2 DSGVO insbesondere das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung und die Verwendung solcher Daten. In einem Arbeitsverhältnis verarbeitet der Arbeitgeber zwangsläufig personenbezogene Daten der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer. Bei diesen Daten kann es sich neben den Kontaktdaten der Person etwa um Informationen über das Bestehen und die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit, über die Gewährung von Urlaubsansprüchen oder auch über Leistungs- und Verhaltensdaten handeln. Die Beklagte hat bis heute keine Auskunft darüber erteilt, ob und zu welchem Verarbeitungszweck (Art. 15 Abs. 1 lit. a)) und nach welchen Kategorien (Art. 15 Abs. 1 lit. b)) sie entsprechende Daten der Klägerin verarbeitet. Die Beklagte hat auf das gestellte Auskunftsverlangen erstmals unter dem 13.08.2020 reagiert und der Klägerin - offenbar auch im Hinblick auf das zu diesem Zeitpunkt klageweise rechtshängig gemachte und auf den Umfang der geleisteten Arbeitszeit im Arbeitsverhältnis beschränkten Auskunftsantrag – Arbeitszeitnachweise zugesendet. Eine weitere Auskunft ist – bis heute – nicht erfolgt.

(3) Eine Haftung für die Verstöße könnte nur entfallen, wenn die Beklagte für diese nicht verantwortlich wäre, Art. 83 Abs. 3 DSGVO. Dies hat die Beklagte nicht dargetan.

c) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Klägerin durch die fehlende Erteilung der Auskunft ein immaterieller Schaden entstanden.

Das zutreffende Verständnis des Schadensbegriffs ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bislang nicht geklärt. Der Begriff kann auch nicht in seinen einzelnen, für die Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts notwendigen Voraussetzungen unmittelbar aus der DSGVO bestimmt werden. Auch in der bislang vorliegenden Literatur, die sich unter Bezugnahme auf den Erwägungsgrund 146 überwiegend für ein weites Verständnis des Schadensbegriffs ausspricht, sind die Details und der genaue Umfang des Anspruchs noch unklar (vgl. dazu: BVerfG vom 14.01.2021 – 1 BvR 2853/19 – mit zahlreichen Nachweisen).

Weder der DSGVO noch ihren Erwägungsgründen lässt sich indes entnehmen, dass der Schadensersatzanspruch einen qualifizierten Verstoß gegen die DSGVO voraussetzt. Für die Annahme einer Erheblichkeitsschwelle oder anders - herum formuliert – die Ausnahme von Bagatellfällen, gibt es keinen Anhaltspunkt (so auch BVerfG vom 14.01.2021 – 1 BvR 2853/19 -).

Unter Berücksichtigung des Erwägungsgrundes 146 S. 3 zur DSGVO soll der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes weit und auf eine Weise ausgelegt werden, die den Zielen der Verordnung in vollem Umfang entspricht. Die Ziele der DSGVO bestehen dabei u.a. darin, den Risiken für die Rechte und Freiheit natürlicher Personen zu begegnen, die - mit unterschiedlicher Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere - aus einer Verarbeitung personenbezogener Daten hervorgehen und zu einem immateriellen Schaden führen können. Dabei kann ein immaterieller Schaden nicht nur in einer Diskriminierung, einem Identitätsdiebstahl oder -betrug, einem finanziellen Verlust, einer Rufschädigung, einem Verlust der Vertraulichkeit von dem Berufsgeheimnis unterliegenden Daten, der unbefugten Aufhebung der Pseudonomisierung oder anderen erheblichen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Nachteilen liegen. Er kann (bereits) entstehen, wenn die von der Verarbeitung personenbezogener Daten betroffenen Personen daran gehindert werden, die sie betreffenden personenbezogenen Daten zu kontrollieren (vgl. Erwägungsgrund 75).

In jedem Arbeitsverhältnis verarbeitet der Arbeitgeber zwangsläufig personenbezogene Daten seiner Mitarbeiter. Jeder Arbeitgeber wird mindestens die Kontaktdaten, die Bankdaten zwecks Überweisung des Entgelts sowie Anwesenheits- und Fehlzeitendaten seiner Mitarbeiter erheben, speichern und verwenden. In welchem Umfang und in welchen Kategorien eine solche Verwendung erfolgt, ist Arbeitnehmern nicht ohne weiteres ersichtlich. Ebenso können Arbeitnehmer nicht von sich aus erkennen, ob Daten auch Dritten zur Verfügung gestellt und für welche Dauer – ggf. auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses – diese Daten gespeichert bleiben. Die Beklagte wendet vorliegend nicht ein, dass sie über die der Klägerin im August 2020 übersendeten Arbeitszeitnachweise keine Weiteren personenbezogenen Daten der Klägerin verarbeitet. Eine Kontrolle über diese Daten hat die Klägerin indes nicht, solange die Beklagte ihrer Auskunftspflicht – in erster Stufe zumindest hinsichtlich der Bestätigung des „Ob“ der Verarbeitung personenbezogener Daten - nicht nachkommt. Der Klägerin fehlt dabei nicht nur die Kenntnis, welche Kategorien von Daten die Beklagte formalisiert oder nicht formalisiert verarbeitet. Sie kann ebenso nicht beurteilen, wie lange solche Daten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiter gespeichert bleiben und an welche Dritte die Beklagte solche Daten ggf. weiterreicht. Die Schwere des immateriellen Schadens, mithin das Gewicht der Beeinträchtigung, das die Klägerin – subjektiv – wegen der bestehenden Unsicherheit und des Kontrollverlustes empfinden mag, ist für die Begründung der Haftung nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO und mithin für die Frage des „ob“ eines entstandenen Schadens nicht erheblich (so auch ArbG Düsseldorf vom 05.03.2020 – 9 Ca 6557/18).

d) Die Klägerin hat die Bemessung der Höhe des immateriellen Schadensersatzes in das Ermessen des Gerichts gestellt, § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO. Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles geht die Berufungskammer davon aus, dass der Klägerin zur Abgeltung des immateriellen Schadens ein Geldanspruch in Höhe von 1.000,00 Euro zusteht.

(1) Unter Berücksichtigung des Erwägungsgrundes 146 (Satz 6) zur DSGVO soll die betroffene Person einen vollständigen und wirksamen Schadensersatz für den erlittenen Schaden erhalten. Insoweit erscheint eine Orientierung an dem Kriterienkatalog für die Bemessung von Bußgeldern in Art. 83 Abs. 2 S. 2 DSGVO naheliegend (so auch ArbG Düsseldorf vom 05.03.2020 – 9 Ca 6557/18 -). Danach sind für die Ermittlung der Höhe einer Geldbuße u. a. die Art, Schwere und Dauer des Verstoßes unter Berücksichtigung der Art, des Umfangs oder des Zwecks der betreffenden Verarbeitung, der Grad des Verschuldens, Maßnahmen zur Minderung des den betroffenen Personen entstandenen Schadens, frühere einschlägige Verstöße sowie die Kategorien der betroffenen personenbezogenen Daten zu betrachten. Bei der Bemessung der Entschädigung für immaterielle Schäden kommt den Gerichten grundsätzlich ein weites Ermessen zu, § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO. Es müssen mithin sowohl sämtliche Auswirkungen des konkreten Datenschutzverstoßes für die geschädigte Person als auch sämtliche in der Person des Schädigers liegenden, insbesondere die Tatsituation und den Verschuldensgrad betreffenden, Umstände berücksichtigt werden (vgl. Oetker in MüKoBGB, 8. Auflage 2019, § 253 ZPO Rz. 36 ff).

2) In Anwendung des zuvor dargestellten Maßstabs ist unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ein Schadensersatz in Höhe von 1.000,00 Euro angemessen.

Dabei hat die Kammer zu Lasten der Beklagten berücksichtigt, dass diese die Auskunft nach Art. 5 Abs. 1 DSGVO bis zum heutigen Tag nicht erteilt hat. Die Beklagte hat der Klägerin lediglich im August 2020 Arbeitszeitnachweise übermittelt. Damit hat die Beklagte den Auskunftsanspruch allenfalls rudimentär erfüllt. Schriftsätzlich hat sich die Beklagte auf den Standpunkt gestellt, dass die Klägerin in dem Schreiben vom 30.01.2020 zu Unrecht Auskunft über „sämtliche Daten“ gefordert habe, obgleich ein Anspruch sich allenfalls auf solche Daten beziehe könne, die die Klägerin persönlich betreffen. Soweit die Beklagte darin eine Rechtfertigung erblickt, einem aus ihrer Sicht unklaren oder überzogenen Begehren nicht nachkommen zu müssen, kann dies nur zu ihren Lasten berücksichtigt werden. Zum einen erscheint eine derart weite Auslegung des Begehrens der Klägerin im Kontext des Schreibens bereits fernliegend. So erläutert der Prozessvertreter in dem Schreiben vom 30.01.2020, dass die Beklagte nach Auskunft seiner Mandantin, die Arbeitszeit elektronisch erfasse, dass es sich bei der Erfassung dieser Daten um personenbezogene Daten handele und die Mandantin daher „ihren“ Auskunftsanspruch nach der Datenschutz-Grundverordnung geltend mache. Auch für einen unbefangenen Leser ist erkennbar, dass die Klägerin keine Auskunft über Daten begehrt, die mit ihrer Person nicht in Zusammenhang stehen. Von dieser Auslegung ist die Beklagte indes auch im Kammertermin nicht abgerückt. Ein Problembewusstsein der Beklagten im Hinblick auf die Verletzung eines Rechts, dass der Europäischen Verordnungsgeber, wie sich bereits aus Art. 8 Abs. 2 der Grundrechtscharta zeigt, als sehr bedeutsam einordnet, vermochte die Berufungskammer nicht zu erkennen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin die tatsächliche Erteilung der Auskunft in der Zukunft noch außergerichtlich erreichen wird. Zugunsten der Beklagten kann insoweit nur unterstellt werden, dass einschlägige frühere Verstöße nicht vorliegen.

Obwohl das vorgehend dargestellte Verhalten die Annahme nahelegt, dass die Beklagte den Umfang und die Bedeutung ihrer Verpflichtung aus der Datenschutzgrundverordnung jedenfalls fahrlässig grob verkennt, ist zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass sie die tatsächliche Erlangung der ihr nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO zustehenden Informationen in Erkennung des Umstandes, dass die Beklagte diesem Auskunftsbegehren nicht ohne Weiteres nachkommen wird, bislang nicht konsequent verfolgt hat. Nachdem die Beklagte im August 2020 Arbeitsnachweise erteilt hat, hat die Klägerin den Auskunftsanspruch insoweit für erledigt erklärt. Sie hat aber in der Folgezeit davon abgesehen, ihr Auskunftsverlangen im Weiteren gerichtlich geltend zu machen, um eine tatsächliche Durchsetzung zu erreichen. Vielmehr hat die Klägerin sich darauf beschränkt, unter Berufung auf die fehlende Auskunft einen immateriellen Schadensersatzanspruch gerichtlich einzuklagen. Ihr Prozessverhalten deutet für die Berufungskammer darauf hin, dass die tatsächliche Erlangung einer Kontrolle über die von ihr verarbeiteten personenbezogenen Daten nicht ihr primäres Ziel ist. Es drängt sich vielmehr für die Berufungskammer der Eindruck auf, dass es ihr in dem außergerichtlichen Schreiben vom 30.01.2020 maßgeblich um die Herausgabe der Arbeitsaufzeichnungen zum Zwecke der Bezifferung einer beabsichtigten Überstundenklage ging. Obwohl sie durch die nach wie vor ausstehende Auskunft nach wie vor keine Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten hat, die bei der Beklagten – auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses – gegebenenfalls weiter verwendet werden, lässt das Verhalten der Klägerin nicht erkennen, dass dieser Umstand als solcher eine besondere Belastung für sie darstellt, die nicht jedenfalls mit der Zahlung eines Schadensersatzbetrages kompensiert werden könnte. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Klägerin beabsichtigt, die tatsächliche Erteilung der Auskunft auch im Falle der Zahlung eines Schadensersatzes durch die Beklagte weiterzuverfolgen. Dies deutet darauf hin, dass ihre persönliche Betroffenheit im Hinblick auf die fehlende Möglichkeit der Kontrolle ihrer personenbezogenen Daten überschaubar ist und Zweifel an der Nachhaltigkeit des Auskunftsverlangens berechtigt erscheinen. Dieser Umstand ist bei der Bemessung der Höhe des immateriellen Schadensersatzes - anders als bei der Frage des Entstehens eines solchen - zu berücksichtigen.

Inwieweit die Höhe des Schadensersatzes auch von dem nach Art. 4 Ziffer 7 DSGVO Verantwortlichen und dessen Finanzkraft abhängen mag (so ArbG Düsseldorf 5. März 2020 – 9 Ca 6557/18), kann dahinstehen. Keine der Parteien hat vorliegend Angaben diesbezüglich getätigt. Der Umstand, dass es sich bei der Beklagten um einen Kleinbetrieb handelt, hat für sich genommen keine Aussagekraft hinsichtlich der Finanzkraft des Unternehmens.

Unter Berücksichtigung all dessen hat die Kammer für den Verstoß der Beklagten gegen Art. 15 Abs. 1 DSGVO insgesamt einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.000,00 Euro angesetzt.


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Volltext BGH: Die bis Februar 2016 von Booking.com verwendeten "engen Bestpreisklauseln" waren kartellrechtswidrig und unzulässig

BGH
Beschluss vom 18.05.2021
KVR 54/20
Booking.com
AEUV Art. 101 Abs. 1 und 3


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Die bis Februar 2016 von Booking.com verwendeten "engen Bestpreisklauseln" waren kartellrechtswidrig und unzulässig über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Die von einer Hotelbuchungsplattform verwendete "enge Bestpreisklausel", die zwar günstigere Preise auf anderen Online-Reservierungsportalen oder, sofern dafür keine Online-Werbung oder -Veröffentlichung erfolgt, auch "offline", erlaubt, Hotels jedoch daran hindert, ihre Zimmer auf den eigenen Internetseiten zu niedrigeren Preisen oder besseren Konditionen anzubieten als auf der Plattform, stellt keine von der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommene Nebenbestimmung dar.

b) Die von Booking.com verwendete "enge Bestpreisklausel" erfüllt nicht die Freistellungsvoraussetzungen des Artikels 101 Abs. 3 AEUV, weil die mit der Bekämpfung des Trittbrettfahrens allenfalls verbundenen Vorteile die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen in Form der erheblichen Behinderung des plattformunabhängigen Online-Eigenvertriebs der Hotels jedenfalls nicht ausgleichen, die sich daraus ergeben, dass die Hotels ihre Online-Angebote so bepreisen müssen, als wären sie mit den Kosten des plattformgebundenen Vertriebs belastet.

BGH, Beschluss vom 18. Mai 2021 - KVR 54/20 - OLG Düsseldorf

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BVerfG: Erhöhung des Runfunkbeitrags auf 18,36 EURO - Ablehnung der Erhöhung durch Sachsen-Anhalt verstieß gegen Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG

BVerfG
Beschluss vom 20.07.2021
1 BvR 2756/20, 1 BvR 2777/20, 1 BvR 2775/20


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Land Sachsen-Anhalt die Erhöhung des Runfunkbeitrags auf 18,36 EURO nicht ablehnen durfte. Es liegt insofern ein Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vor.

Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts:

1. Aufgrund der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG besteht eine staatliche Handlungspflicht in Bezug auf die Gewährleistung der funktionsgerechten Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, mit der ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch korrespondiert. Ein Unterlassen der Erfüllung dieser Pflicht kann von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Verfahren der Verfassungsbeschwerde gerügt werden.

2. Die staatliche Finanzgewährleistungspflicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG obliegt den Ländern als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land Mitverantwortungsträger ist. Die Mitverantwortung beruht darauf, dass die Länder die Gesetzgebungskompetenz für die Rundfunkfinanzierung besitzen, derzeit aber nur eine länderübergreifende Regelung der funktionsgerechten Finanzierung des Rundfunks den Grundrechtsschutz verwirklichen kann.

3. Im gegenwärtigen System der Rundfunkfinanzierung genügt es nicht, wenn ein einzelnes Land eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags – überdies ohne tragfähige Begründung – ablehnt.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgericht:

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass das Land Sachsen-Anhalt durch das Unterlassen seiner Zustimmung zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag die Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat. Die Bestimmungen des Artikel 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags – mit der darin vorgesehenen Anpassung des Rundfunkbeitrags –gelten vorläufig mit Wirkung vom 20. Juli 2021 bis zum Inkrafttreten einer staatsvertraglichen Neuregelung über die funktionsgerechte Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio.

Sachverhalt:

Der Rundfunkbeitrag wird in einem dreistufigen Verfahren festgesetzt. Auf der ersten Stufe melden die Rundfunkanstalten auf der Grundlage ihrer Programmentscheidungen ihren Finanzbedarf an (Bedarfsanmeldung). Auf der zweiten Stufe prüft die Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), ob sich die Programmentscheidungen im Rahmen des Rundfunkauftrages halten und ob der daraus abgeleitete Finanzbedarf im Einklang mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ermittelt worden ist. Auf der dritten Stufe setzen die Länder den Beitrag fest (Beitragsfestsetzung). Der Beitragsvorschlag der KEF ist Grundlage für eine Entscheidung der Landesregierungen und der Landesparlamente.

Für die Beitragsperiode 2021 bis 2024 hat die KEF eine Beitragserhöhung vorgeschlagen, wonach der Rundfunkbeitrag zum 1. Januar 2021 um 86 Cent von 17,50 Euro auf 18,36 Euro zu erhöhen war. Empfohlen hat die KEF zugleich eine Änderung der Aufteilung der Rundfunkbeiträge zwischen der ARD, dem ZDF und dem Deutschlandradio sowie die Erhöhung der Finanzausgleichsmasse für Radio Bremen und den Saarländischen Rundfunk im Rahmen des ARD-internen Finanzausgleichs. Dieser Vorschlag der KEF ist im Ersten Medienänderungsstaatsvertrag aufgenommen worden, der im Juni 2020 von allen Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder – mit einer Protokollnotiz des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt – unterzeichnet worden ist. Der Staatsvertrag hat ein Inkrafttreten der Änderungen zum 1. Januar 2021 vorgesehen. In 15 Ländern ist zur Umsetzung des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags in das Landesrecht im Jahre 2020 die Zustimmung durch die gesetzgebenden Körperschaften beschlossen worden. Lediglich das Land Sachsen-Anhalt hat dem Ersten Medienänderungsstaatsvertrag bis zum 31. Dezember 2020 nicht zugestimmt, infolge dessen der Staatsvertrag nicht in Kraft treten konnte.

Die Beschwerdeführer rügen Verletzungen ihrer Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, weil durch das Unterlassen der Zustimmung ihr grundrechtlicher Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung nicht erfüllt werde.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die Verfassungsbeschwerden haben Erfolg.

A. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.

Ein Unterlassen der öffentlichen Gewalt kann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein. Voraussetzung ist, dass sich eine entsprechende Handlungspflicht aus dem Grundgesetz herleiten lässt. Eine solche Handlungspflicht ergibt sich hier aus der Rundfunkfreiheit im gegenwärtigen System auch für jedes einzelne Land. Für die funktionsgerechte Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besteht eine staatliche Gewährleistungspflicht, mit der ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten korrespondiert. Die staatliche Finanzgewährleistungspflicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG obliegt den Ländern als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land Mitverantwortungsträger ist. Die föderale Verantwortungsgemeinschaft beruht auf der Besonderheit, dass die Länder die Gesetzgebungskompetenz für die Rundfunkfinanzierung besitzen, aber in dem gegenwärtigen System der Organisation und Finanzierung des Rundfunks nur eine länderübergreifende Regelung den Grundrechtsschutz aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verwirklichen kann. Für das Inkrafttreten der Regelungen des (Rundfunkfinanzierungs)Staatsvertrags über Beitragsanpassungen bedarf es derzeit mangels anderer Vereinbarung immer wieder erneut der Zustimmung aller Länder. In der föderalen Verantwortungsgemeinschaft zur kooperativen Sicherstellung der Rundfunkfinanzierung besteht damit eine konkrete verfassungsrechtliche Handlungspflicht jedes einzelnen Landes.

B. Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Das Unterlassen des Landes Sachsen-Anhalt, dem Ersten Medienänderungsstaatsvertrag zuzustimmen, verletzt die Rundfunkfreiheit der Beschwerdeführer aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in der Ausprägung der funktionsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

I. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten steht ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch zu. Die Erfüllung dieses Anspruchs obliegt der Ländergesamtheit als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land Mitverantwortungsträger ist.

1. Die Rundfunkfreiheit dient der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Auftrag zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit zielt auf eine Ordnung, die sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in größtmöglicher Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet. Dabei wächst die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden. Dies gilt gerade in Zeiten vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits.

2. Der Gesetzgeber muss vorsorgen, dass die zur Erfüllung des klassischen Funktionsauftrags erforderlichen technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Vorbedingungen bestehen. Die Festsetzung des Rundfunkbeitrags muss frei von medienpolitischen Zwecksetzungen erfolgen. Der Gesetzgeber hat durch materielle, prozedurale und organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass die Beitragsfestsetzung die Rundfunkfreiheit nicht gefährdet und dazu beiträgt, dass die Rundfunkanstalten durch eine bedarfsgerechte Finanzierung ihren Funktionsauftrag erfüllen können. Der Grundsatz der Trennung zwischen der allgemeinen Rundfunkgesetzgebung und der Festsetzung des Rundfunkbeitrags soll Risiken einer mittelbaren Einflussnahme auf die Wahrnehmung des Programmauftrags ausschließen und damit die Programmfreiheit der Rundfunkanstalten sichern.

3. Das Gebot der Trennung der medienpolitischen Konkretisierung des Rundfunkauftrags einerseits und der Beitragsfestsetzung andererseits bedarf insbesondere der prozeduralen Absicherung.

a) Dem wird ein gestuftes und kooperatives Verfahren der Bedarfsfeststellung am ehesten gerecht. Die erste Stufe eines solchen Verfahrens bildet die Bedarfsanmeldung der Rundfunkanstalten selbst. Auf einer zweiten Verfahrensstufe ist eine externe Kontrolle der Bedarfsanmeldungen erforderlich. Diese Kontrolle darf sich allerdings nicht auf die Vernünftigkeit oder Zweckmäßigkeit der jeweiligen Programmentscheidungen der Rundfunkanstalten beziehen, sondern allein darauf, ob die Programmentscheidungen sich im Rahmen des rechtlich umgrenzten Rundfunkauftrags halten und ob der aus den Programmentscheidungen abgeleitete Finanzbedarf zutreffend und im Einklang mit den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ermittelt worden ist. Die abschließende Beitragsentscheidung als dritte Stufe des Verfahrens ist auf der Grundlage der überprüften und gegebenenfalls korrigierten Bedarfsanmeldungen der Rundfunkanstalten zu treffen.

b) Das gestufte und kooperative Verfahren schließt Abweichungen von der Bedarfsfeststellung der KEF nicht aus. Programmliche und medienpolitische Zwecke scheiden in diesem Zusammenhang jedoch aus. Als Abweichungsgrund kommt gegenwärtig etwa noch die angemessene Belastung der Rundfunkteilnehmer in Betracht. Die daraus folgende Begrenzung lässt sich jedoch nur dann wirksam sichern, wenn für solche Abweichungen nachprüfbare Gründe angegeben werden.

4. Der Anspruch der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf funktionsgerechte Finanzierung sowie die Einhaltung der dazu notwendigen prozeduralen Sicherungen obliegt den Ländern als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land Mitverantwortungsträger ist. Erfüllt ein Land seine Mitgewährleistungspflicht nicht und wird dadurch die Erfüllung des grundrechtlichen Finanzierungsanspruchs unmöglich, liegt bereits darin eine Verletzung der Rundfunkfreiheit. Denn ohne die Zustimmung aller Länder kann die länderübergreifende Finanzierung des Rundfunks derzeit nicht gewährleistet werden. Auch für eine verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung einer Nichterfüllung des grundrechtlichen Anspruchs ist danach auf alle Länder abzustellen. Jedenfalls genügt es im gegenwärtigen von den Ländern vereinbarten System nicht, wenn ein einzelnes Land eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags – überdies ohne tragfähige Begründung –ablehnt.

II. Das angegriffene Unterlassen des Landes Sachsen-Anhalt, dem Ersten Medienänderungsstaatsvertrag zuzustimmen, ist mit der Rundfunkfreiheit der Beschwerdeführer aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar.

1. Während die anderen 15 Länder dem Ersten Medienänderungsstaatsvertrag zugestimmt haben, hat das Land Sachsen-Anhalt durch das Unterlassen seiner Zustimmung das Inkrafttreten des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags verhindert.

2. Eine verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung für das Unterlassen der Zustimmung des Landes zum Staatsvertrag und damit die ausgebliebene entsprechende Finanzierung des Rundfunks besteht hier nicht.

a) Im gegenwärtigen System der Rundfunkfinanzierung ist eine Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF nur durch alle Länder einvernehmlich möglich. Hält ein Land eine Abweichung für erforderlich, ist es Sache dieses Landes, das Einvernehmen aller Länder über die Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF herbeizuführen. Das ist nicht gelungen.

b) Es fehlt zudem an einer nachprüfbaren und verfassungsrechtlich tragfähigen Begründung, um von der Feststellung der KEF abweichen zu können. Dies kann im gegenwärtigen von den Ländern vereinbarten System nur eine verfassungsrechtlich zulässige Begründung aller Länder sein. Der Vortrag des Landes Sachsen-Anhalt, dass es sich seit Jahren unter den Ländern vergeblich um eine Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bemüht habe, rechtfertigt die Abweichung von der Feststellung des Finanzbedarfs nicht. Eine Strukturreform der Rundfunkanstalten oder eine Reduzierung der anzubietenden Programme war mit der Verabschiedung des Medienstaatsvertrags nicht verbunden und durfte mit dieser Beitragsfestsetzung verfassungsrechtlich nicht zulässig verfolgt werden. Soweit das Land Sachsen-Anhalt auf weitere möglicherweise beitragsrelevante Rahmenbedingungen in der Folge der Pandemie abstellen wollte, hat es Tatsachenannahmen, die eine Abweichung rechtfertigen könnten, weder hinreichend benannt noch seine daran anknüpfende Bewertung offengelegt.

III. Die Bestimmungen des Art. 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags gelten vorläufig mit Wirkung vom 20. Juli 2021 bis zum Inkrafttreten einer staatsvertraglichen Neuregelung.

1. Bis zu einer staatsvertraglichen Neuregelung durch die Länder besteht ein Bedürfnis nach einer Zwischenregelung durch das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage des § 35 BVerfGG, um weitere erhebliche Beeinträchtigungen der Rundfunkfreiheit zu vermeiden. Es liegt nahe, hierfür übergangsweise eine dem Art. 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags entsprechende Anpassung des Rundfunkbeitrags vorzusehen.

2. Von einer Anordnung der rückwirkenden Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar 2021 wird abgesehen. Die Beurteilung der Auswirkungen der unterbliebenen Beitragsanpassung auf die Rundfunkanstalten kann in dem staatsvertraglich vereinbarten Verfahren erfolgen. Sie erfordert im gegenwärtigen System allerdings eine Stellungnahme der KEF sowie einen neuen Änderungsstaatsvertrag mit Zustimmung aller Länder. Dabei sind Kompensationserfordernisse wegen unterbliebener Beitragsanpassung zu berücksichtigen. Den Beschwerdeführern steht dem Grunde nach eine solche kompensierende Mehrausstattung zu. Bei der nächsten Festsetzung des Rundfunkbeitrags ist die Notwendigkeit der Kompensation vom Beitragsgesetzgeber zu berücksichtigen. Hierbei werden der Mehrbedarf der Rundfunkanstalten, der durch eine Verschiebung von Investitionen und die Verwendung notwendig vorzuhaltender Reserven entstanden ist, wie auch etwaige Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf den Finanzbedarf der Rundfunkanstalten und die Zumutbarkeit von Beitragserhöhungen für die Bürgerinnen und Bürger in den Blick zu nehmen sein.


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OLG Frankfurt: Kritische Äußerungen eines Wissenschaftlers zu Fernseh-Profilerin - Vorwurf von "Schwindel" und "unseriös" als Meinungsäußerung zulässig

OLG Frankfurt
Beschluss vom 27.07.2021
6 W 64/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass kritische Äußerungen eines Wissenschaftlers zur Arbeitsweise einer Fernseh-Profilerin (u.a. "Schwindel" und "unseriös") als Meinungsäußerung zulässig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Kein Unterlassungsanspruch gegen kritische Werturteile zur Arbeit einer sog. Profilerin

Kritische Anmerkungen eines Wissenschaftlers hinsichtlich der Arbeitsweise einer sog. Profilerin, die echte Verbrechen und Verbrecher im Fernsehen analysiert, sind hinzunehmen, wenn sie ersichtlich dazu dienen, die Allgemeinheit darüber aufzuklären, dass die Darstellungen im Rahmen der Fernsehserie nach Ansicht des Antragsgegners nicht wissenschaftlichen Standards genügen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat deshalb mit heute veröffentlichter Entscheidung die Beschwerde der Profilerin auf Unterlassen der kritischen Aussagen zurückgewiesen.

Die Antragstellerin bezeichnet sich als „Profilerin“. In dieser Funktion tritt sie in einer Fernsehserie eines privaten Fernsehsenders auf und analysiert in kurzen Stellungnahmen echte Verbrechen und Verbrecher. Der Antragsgegner ist Direktor der zentralen Forschungs- und Dokumentationseinrichtung des Bundes und der Länder für kriminologische Forschungsfragen. Gegenstand des Verfahrens sind Äußerungen des Antragsgegners gegenüber einer großen deutschen Tageszeitung im Rahmen eines redaktionell-kritischen Artikels über die „True-Crime-Fernsehsendung“, in der die Antragstellerin auftritt. Der Antragsgegner äußerte dort u.a., dass die Antragstellerin „Schwindel“ betreibe, „in höchstem Maße unseriös“ arbeite, ihre Arbeit „mit wissenschaftlich fundierter...Herangehensweise nichts zu tun“ habe und sie „pseudowissenschaftliche Wortschöpfungen“ verwenden würde.

Das Landgericht hatte die auf Unterlassen der zitierten Aussagen gerichteten Eilanträge der Antragstellerin zurückgewiesen. Ihre sofortige Beschwerde hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg.

Die Antragstellerin könne nicht verlangen, dass der Antragsgegner die angegriffenen Aussagen unterlasse, bestätigte das OLG. Ein wettbewerblicher Unterlassungsanspruch scheitere bereits daran, dass hier keine geschäftliche Handlung vorliege. Der Antragsgegner habe die Äußerungen als Fachmann und Wissenschaftler gegenüber einer führenden Tageszeitung im Rahmen eines redaktionellen, kritischen Artikels getätigt. Sein Verhalten diente damit nicht vorrangig der Förderung der von ihm selbst bzw. der von ihm geleiteten Forschungseinrichtung angebotenen Leistungen, sondern der redaktionellen Unterrichtung der Öffentlichkeit. Es fehlten auch Anhaltspunkte dafür, dass die fachlich-wissenschaftliche Zielsetzung der Äußerungen nur vorgeschoben gewesen und es dem Antragsgegner in Wahrheit doch vorrangig um die Absatzförderung eigener Leistungen gegangen sei.

Die Antragstellerin könne sich auch nicht auf eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts berufen. Es handelte sich bei den angegriffenen Angaben vielmehr um zulässige Werturteile. Sie stellten sich im Kontext des Artikels auch nicht als Schmähkritik oder Formalbeleidigung dar. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts der Antragstellerin überwiege hier nicht das Recht des Antragsgegners auf freie Äußerung seiner Meinung. Zu berücksichtigen sei auch, dass die kritischen Anmerkungen ersichtlich dazu dienten, „die Allgemeinheit darüber aufzuklären, dass die Darstellungen im Rahmen der Fernsehserie nach Ansicht des Antragsgegners wissenschaftlichen Standards nicht genügen“.

Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 27.07.2021, Az. 6 W 64/21 (vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 10.6.2021, Az. 2/3 O 226/21)