Die EU-Kommission hat entschieden, dass TEMU eine sehr große Online-Plattform im Sinne des Digital Services Act (DSA) - Gesetz über digitale Dienste ist.
Die Pressemitteilung der EU-Kommission: Kommission benennt Temu als sehr große Online-Plattform gemäß dem Gesetz über digitale Dienste
Die Kommission hat Temu heute offiziell als sehr große Online-Plattform (VLOP) im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste (DSA) benannt.
Temu ist ein Online-Marktplatz mit durchschnittlich mehr als 45 Millionen monatlichen Nutzern in der Europäischen Union. Diese Nutzernummer, die Temu der Kommission mitgeteilt hat, liegt über dem Schwellenwert des Gesetzes über digitale Dienste für die Benennung als VLOP.
Nach der heutigen Benennung als VLOP muss Temu innerhalb von vier Monaten nach seiner Mitteilung (d. h. bis Ende September 2024) die strengsten Vorschriften des Gesetzes über digitale Dienste einhalten, wie etwa die Verpflichtung, alle systemischen Risiken, die sich aus seinen Dienstleistungen ergeben, einschließlich der Listung und des Verkaufs von gefälschten Waren, unsicheren oder illegalen Produkten und Gegenständen, die Rechte des geistigen Eigentums verletzen, ordnungsgemäß zu bewerten und zu mindern.
Zu diesen zusätzlichen Verpflichtungen gehören insbesondere:
Sorgfältigere Überwachung illegaler Produkte
-Temu muss die spezifischen systemischen Risiken im Zusammenhang mit der Verbreitung illegaler Inhalte und Produkte sowie aus der Konzeption oder dem Funktionieren seines Dienstes und der damit verbundenen Systeme sorgfältig analysieren. Die Risikobewertungsberichte sind der Kommission vier Monate nach der Mitteilung der förmlichen Benennung und danach ein Jahr vorzulegen.
- Temu muss Risikominderungsmaßnahmen ergreifen, um Risiken zu begegnen, z. B. durch die Aufnahme und den Verkauf von nachgeahmten Waren, unsicheren Produkten und Gegenständen, die Rechte des geistigen Eigentums verletzen. Diese Maßnahmen können die Anpassung der Nutzungsbedingungen, die Verbesserung der Gestaltung der Benutzerschnittstellen im Hinblick auf eine bessere Meldung und Aufdeckung verdächtiger Listen, die Verbesserung der Moderationsverfahren zur raschen Entfernung illegaler Gegenstände und die Verfeinerung der Algorithmen umfassen, um die Förderung und den Verkauf verbotener Waren zu verhindern.
- Temu muss seine internen Prozesse, Ressourcen, Tests, Dokumentation und Überwachung aller Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Erkennung systemischer Risiken verstärken.
Verstärkte Verbraucherschutzmaßnahmen
- In den jährlichen Risikobewertungsberichten von Temu müssen insbesondere mögliche negative Auswirkungen auf die Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher bewertet werden, wobei der Schwerpunkt auf dem körperlichen und geistigen Wohlbefinden minderjähriger Nutzer liegen sollte.
- Temu ist verpflichtet, seine Plattform, einschließlich Benutzerschnittstellen, Empfehlungsalgorithmen und Nutzungsbedingungen, zu strukturieren, um Risiken für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Verbraucher zu mindern und zu verhindern. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Verbraucher vor dem Kauf unsicherer oder illegaler Waren zu schützen, wobei ein besonderer Schwerpunkt darauf liegen sollte, den Verkauf und Vertrieb von Produkten, die für Minderjährige schädlich sein könnten, zu verhindern. Dazu gehört auch die Einführung robuster Alterssicherungssysteme, um den Kauf altersbegrenzter Güter zu beschränken.
Mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht
- Temu muss sicherstellen, dass seine Risikobewertungen und die Einhaltung aller Verpflichtungen aus dem Gesetz über digitale Dienste jedes Jahr extern und unabhängig geprüft werden.
-Temu muss Repository aller Anzeigen veröffentlichen, die auf seiner Schnittstelle angezeigt werden.
- Temu muss Forschern, einschließlich zugelassener Forscher, die von den Koordinatoren für digitale Dienste benannt wurden, Zugang zu öffentlich zugänglichen Daten gewähren.
- Temu muss die Transparenzanforderungen erfüllen, einschließlich der Veröffentlichung von Transparenzberichten über Entscheidungen zur Moderation von Inhalten und des Risikomanagements alle sechs Monate zusätzlich zu den Berichten über die Systemrisiken und den Prüfungsergebnissen einmal jährlich.
- Temu muss eine Compliance-Funktion benennen und jedes Jahr einer externen unabhängigen Prüfung unterzogen werden.
Allgemeine Anwendbarkeit des Gesetzes über digitale Dienste auf Online-Plattformen und -Marktplätze
Seit dem 17. Februar 2024 müssen alle Online-Plattformen, einschließlich Temu, bereits die allgemeinen Verpflichtungen aus dem Gesetz über digitale Dienste erfüllen. Diese allgemeinen Bestimmungen umfassen die Verpflichtung von Online-Marktplätzen,
- Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit von Händlern auf ihren Plattformen;
- Ihre Schnittstelle so zu gestalten, dass den Unternehmern die Einhaltung ihrer rechtlichen Verpflichtungen nach dem EU-Recht erleichtert wird;
- Die Verbraucher über den Kauf eines illegalen Produkts informieren, sobald sie von der Illegalität des Produkts Kenntnis erlangen.
Seit dem 17. Februar 2024 sind alle Online-Plattformen, einschließlich Marktplätze, nach dem Gesetz über digitale Dienste außerdem verpflichtet,
- Bereitstellung benutzerfreundlicher Mechanismen, die es Nutzern oder Stellen ermöglichen, illegale Inhalte zu melden;
- Der Behandlung von Meldungen, die von sogenannten „vertrauenswürdigen Hinweisgebern“ übermittelt werden, Vorrang einzuräumen;
- Den Nutzern Begründungen zur Verfügung zu stellen, wenn ihre Inhalte eingeschränkt oder entfernt werden;
- Bereitstellung eines internen Beschwerdemanagementsystems für Nutzer, um Entscheidungen über die Moderation von Inhalten anzufechten;
- Ihre Systeme neu gestalten, um ein hohes Maß an Privatsphäre, Sicherheit und Schutz von Minderjährigen zu gewährleisten;
- Sicherstellen, dass ihre Schnittstellen nicht so gestaltet sind, dass die Nutzer getäuscht oder manipuliert werden;
- Werbung auf ihren Schnittstellen deutlich kennzeichnen;
- Die Anzeige gezielter Werbung auf der Grundlage von Profilen sensibler Daten (z. B. ethnische Herkunft, politische Meinungen oder sexuelle Ausrichtung) oder die sich an Minderjährige richtet, einzustellen;
- Klare Bedingungen haben und bei ihrer Anwendung sorgfältig, objektiv und verhältnismäßig handeln;
- Sie veröffentlichen einmal jährlich Transparenzberichte über ihre Verfahren zur Moderation von Inhalten.
Nächste Schritte
Nach ihrer Benennung als VLOP wird die Kommission befugt sein, die Einhaltung des Gesetzes über digitale Dienste durch Temu in Zusammenarbeit mit dem irischen Koordinator für digitale Dienste zu überwachen.
Die Kommissionsdienststellen werden die Anwendung der Vorschriften und Verpflichtungen des Gesetzes über digitale Dienste durch die Plattform sorgfältig überwachen, insbesondere in Bezug auf Maßnahmen zur Gewährleistung des Verbraucherschutzes und zur Bekämpfung der Verbreitung illegaler Produkte. Die Kommissionsdienststellen sind bereit, eng mit Temu zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass diese angemessen angegangen werden.
Hintergrund
Diese Bezeichnung veranschaulicht, wie die Kommission die Marktentwicklungen weiterhin aufmerksam verfolgt. Die Kommission hat nun 24 sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste benannt.
Am 25. April 2023 benannte die Kommission die ersten 19 sehr großen Betriebsplattformen (VLOP) und sehr große Online-Suchmaschinen (VLOSE). Ab Ende August mussten diese sehr großen Online-Plattformen und sehr großen Online-Plattformen die zusätzlichen Verpflichtungen gemäß Abschnitt 5 des Gesetzes über digitale Dienste erfüllen. Am 20. Dezember 2023 wurden drei weitere sehr große Online -Plattformen benannt. Am 26. April 2024 benannte die Kommission Shein als VLOP, für das die zusätzliche Verpflichtung im August 2024 verbindlich wird.
Die Überwachung und Durchsetzung des Gesetzes über digitale Dienste wird von der Kommission und den Koordinatoren für digitale Dienste geteilt, die von den Mitgliedstaaten bis zum 17. Februar 2024 benannt werden mussten.
Der EuGH hat entschieden, dass ein eindeutiger Bestellbutton nach Vorgaben der Buttonlösung auch bei einer bedingten Zahlungspflicht erforderlich ist. Vorliegend ging es um die Vergütungspflicht gegenüber einem Legal-Tech-Anbieter für den Fall der erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche.
Tenor der Entscheidung.
Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass
im Fall von über Webseiten geschlossenen Fernabsatzverträgen die dem Unternehmer obliegende Pflicht, dafür zu sorgen, dass der Verbraucher bei der Bestellung ausdrücklich mit einer Zahlungsverpflichtung einverstanden ist, auch dann Anwendung findet, wenn der Verbraucher erst nach der Erfüllung einer weiteren Bedingung verpflichtet ist, dem Unternehmer die entgeltliche Gegenleistung zu zahlen.
Die Pressemitteilung des EuGH: Online-Bestellungen: Der Bestell-Button oder die entsprechende Funktion muss eindeutig darauf hinweisen, dass der Verbraucher eine Zahlungsverpflichtung eingeht, wenn er darauf klickt
Dies gilt auch dann, wenn die Zahlungsverpflichtung noch vom Eintritt einer weiteren Bedingung abhängt.
In Deutschland beauftragte der Mieter einer Wohnung, deren monatliche Miete über der vom nationalen Recht erlaubten Höchstgrenze lag, ein Unternehmen für Inkassodienstleistungen, von seinen Vermietern die zu viel gezahlten Mieten zurückzuverlangen. Er gab diese Bestellung über die Webseite dieses Dienstleisters auf. Vor dem Klicken auf den Bestell-Button setzte er ein Häkchen zur Zustimmung zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Diesen zufolge müssen die Mieter eine Vergütung in Höhe von einem Drittel der ersparten Jahresmiete zahlen, falls die Bemühungen des Dienstleisters zur Geltendmachung ihrer Rechte erfolgreich waren.
In dem darauf folgenden Rechtsstreit zwischen dem Dienstleister und den Vermietern machten diese geltend, dass der Mieter den Dienstleister nicht rechtsgültig beauftragt habe. Der Bestell-Button habe nämlich nicht den Hinweis „zahlungspflichtig bestellen“ (oder eine entsprechende Formulierung) enthalten, wie es die Richtlinie über die Rechte der Verbraucher1 verlange. In diesem Rahmen stellte sich die Frage, ob dieses Erfordernis auch dann gilt, wenn die Zahlungspflicht des Mieters nicht allein aus der Bestellung folgt2 , sondern zusätzlich erfordert, dass seine Rechte erfolgreich durchgesetzt werden. Das mit diesem Rechtsstreit befasste deutsche Gericht befragt den Gerichtshof hierzu.
Der Gerichtshof entscheidet, dass der Unternehmer gemäß den Anforderungen der Richtlinie den Verbraucher vor der Aufgabe der Online-Bestellung darüber informieren muss, dass er mit dieser Bestellung eine Zahlungsverpflichtung eingeht. Diese Pflicht des Unternehmers gilt unabhängig davon, ob die Zahlungsverpflichtung des Verbrauchers unbedingt ist oder ob dieser erst nach dem späteren Eintritt einer Bedingung verpflichtet ist, den Unternehmer zu bezahlen.
Wenn der Unternehmer seine Informationspflicht nicht beachtet hat, ist der Verbraucher an die Bestellung nicht gebunden. Den Verbraucher hindert allerdings nichts daran, seine Bestellung zu bestätigen.
Der BGH hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Mogelpackung in der Regel dann vorliegt, wenn sie nur bis zu zwei Drittel gefüllt ist.
Die Pressemitteilung des BGH: Bundesgerichtshof zu "Mogelpackungen"
Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht ("Mogelpackung") wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist.
Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte.
Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.
Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann entgegen § 3a UWG in Verbindung mit § 43 Abs. 2 MessEG ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Falle des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes gegen § 43 Abs. 2 MessEG, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
Mit ihrer vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Unterlassungsanspruch weiter.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Die Revision hat Erfolg. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 3, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit § 43 Abs. 2 MessEG kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung entgegen § 43 Abs. 2 MessEG ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Der für diese Frage entscheidende Schutzzweck des § 43 Abs. 2 MessEG besteht darin, den Verkehr vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung ("Mogelpackung") zu schützen. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn - wie im Streitfall - eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.
Der Bundesgerichtshof hat in der Sache selbst entschieden und die Beklagte zur Unterlassung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 3, § 3 Abs. 1 und 2, § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG verurteilt.
Der Senat konnte dahinstehen lassen, ob die übrigen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 MessEG erfüllt sind, insbesondere, ob die Werbung für ein Produkt oder das bloße Angebot unter den Begriff der Bereitstellung auf dem Markt im Sinne des § 2 Nr. 1 MessEG fällt. Denn soweit - wie hier - Handlungen von Unternehmen gegenüber Verbrauchern betroffen sind, kommt die Vorschrift des § 43 Abs. 2 MessEG aufgrund der vollharmonisierenden Wirkung von Art. 3 und 4 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken nicht zur Anwendung, und die Beurteilung der Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung hat alleine nach § 5 UWG zu erfolgen.
Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG. Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf - Urteil vom 30. November 2021 - 37 O 42/20
OLG Düsseldorf - Urteil vom 23. März 2023 - 20 U 176/21
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
§ 43 Abs. 2 Mess- und Eichgesetz (MessEG)
Es ist verboten, Fertigpackungen herzustellen, herstellen zu lassen, in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zu verbringen, in Verkehr zu bringen oder sonst auf dem Markt bereitzustellen, wenn sie ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vortäuschen als in ihnen enthalten ist.
Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.
(1) Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
(2) Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält:
1. die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Vorteile, Risiken, Zusammensetzung, Zubehör, Verfahren oder Zeitpunkt der Herstellung, Lieferung oder Erbringung, Zwecktauglichkeit, Verwendungsmöglichkeit, Menge, Beschaffenheit, Kundendienst und Beschwerdeverfahren, geographische oder betriebliche Herkunft, von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse oder die Ergebnisse oder wesentlichen Bestandteile von Tests der Waren oder Dienstleistungen; (…)
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken
Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.
Art. 4 der Richtlinie 2005/29/EG
Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken.
Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29/EG
Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die a) irreführend im Sinne der Artikel 6 und 7 (…) sind.
LG Bamberg
Urteil vom 15.03.2024 13 O 431/23 UKlaG
Das LG Bamberg hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO durch Werbung mit "11% mehr Haare in nur 16 Wochen“ für "Bio-h-Tin-Kapseln" vorliegt.
Aus den Entscheidungsgründen: 2. Die von Klägerseite geltend gemachten Ansprüche sind auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Werbeäußerungen gemäß § 2 Abs. 1S. 1 UKlaG a.F. i.V.m. Art. 10 Abs. 1 HCVO bzw. Art. 7 Abs. 1a) und Abs. 3 LMIV.
2.1. Art. 7 Abs. 1a) und Abs. 3 LMIV sowie Art. 10 Abs. 1 HCVO sind Verbraucherschutzgesetze i.S.d. § 2 Abs 1, S. 1 UKlaG a.F. (vgl. BGH, Urteil vom 19.09.2019 - | ZR 81/15). 2.2.
Die Beklagte verstößt mit der streitgegenständlichen Werbung gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO. Gemäß Art. 10 Abs. 1 HCVO sind gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel Il und den speziellen Anforderungen im vorliegenden Kapitel entsprechen, gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Ängaben gemäß den Artikeln 13 und 14 aufgenommen sind. 2.2.1. Bei den streitgegenständlichen Angaben handelt es sich um gesundheitsbezogene Angaben i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO.
"Gesundheitsbezogen" ist eine Angabe, wenn mit ihr erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Entscheidend ist, wie der normal informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher die Angabe versteht (Erwägungsgrund 16 S. 3 der HCVO; BGH, Urteil vom 24.07.2014 - | ZR 221/12, Rn. 24 juris). Der Begriff Zusammenhang ist dabei weit zu verstehen (EuGH, Urteil vom 06.09.2012 - C-544/10, Rn. 32 juris; BGH, Urteil vom 07.04.2015 - | ZR 81/15, Rn. 19 juris). Der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe" erfasst daher jeden Zusammenhang, der die Verbesserung eines Gesundheitszustandes dank des Verzehrs eines Lebensmittels impliziert (EuGH, Urteil vom 06.09.2021 - C-544/10, Rn. 35 juris; BGH, Urteil vom 07.04.2015 - I ZR 81/15, Rn. 19 juris). Die Frage, ob eine Aussage auf das gesundheitliche Wohlbefinden abzielt, ist anhand der in Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 der HCVO aufgeführten Fallgruppen zu beurteilen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 07.04.2016 - | ZR 81/15, Rn. 21 juris).
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Werbeaussage aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers eine Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 der HCVO darstellt und ob der Verbraucher eine solche Angabe als gesundheitsbezogen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 dieser Verordnung ansieht, sind die Gesamtaufmachung und Präsentation des betreffenden Lebensmittels sowie Vorkenntnisse und Erwartungen des Verbrauchers zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 10.12.2015 -IZR 222/13).
Beauty Claims beziehen sich demgegenüber auf das bloße optische Erscheinungsbild von Haut oder Haaren, unabhängig von den gesundheitlichen Körperfunktionen i.S. von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO und damit unabhängig von einem Zusammenhang zwischen dem beworbenen Wirkstoff und etwaigen körperlichen Funktionen (BGH, Urteil vom 14.05.2020 - | ZR 142/19; Holle/Hüttebräuker, HCVO, 2018, Art. 2 Rn. 137).
Unter Beachtung dieser Definitionen sind die streitgegenständlichen Angaben in der Werbung der Beklagten als gesundheitsbezogene Angaben einzuordnen, da ein Zusammenhang zwischen dem Lebensmittel einerseits und gesundheitlichem Zustand andererseits erklärt wird. So heißt es insbesondere:
- „Damit dünner werdendes und kraftloses Haar nicht zur Sorge wird: Bio-H-Tin unterstützt die Grundversorgung der Haarwurzel und somit das gesunde Haarwachstum von innen heraus."
- „11 % mehr Haare in nur 16 Wochen"
Bei diesen Aussagen handelt es sich nicht blof um rein kosmetische Wirkaussagen ohne spezifischen Einfluss auf die Körperfunktionen. Für einen Gesundheitsbezug der streitgegenständlichen Werbeaussagen spricht bereits der Umstand, dass Aussagen zur Bedeutung einzelner Substanzen für den Zustand der Haare in die von der EU festgelegte Liste der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben aufgenommen wurden, die sich im Anhang der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 befindet (BGH, Urteil vom 07.04.2016 - | ZR 81/15, Rn. 21 juris). Im Übrigen sind die Aussagen allesamt so zu verstehen sind, dass bei Einnahme des von der Beklagten beworbenen Produkts die Struktur der Haare durch Einwirkung auf deren Wurzeln und deren Wachstum insgesamt verbessert wird. Insofern wird durch die Werbung ein kausaler Zusammenhang zwischen der Einnahme des Produkts und dem daraus folgenden gesunden Haarwachstum aufgrund der Unterstützung der Grundversorgung der Haarwurzeln durch den menschlichen Körper behauptet. Der damit insgesamt beworbene Einfluss auf das Haarwachstum betrifft somit die Förderung einer Körperfunktion i.S.d. Art. 13 Abs, 1 lit. A HCVO. Hierunter sind alle physiologisch erfassbaren Prozesse des menschlichen Körpers zu verstehen, auf die positiv eingewirkt werden kann (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.07.2019 - 4 U 142/18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.03.2019 - 6 U 90/17; OLG Bamberg, Beschluss vom 20.10.2017 - 3 U 117/17), mithin auch das Haarwachstum durch gezielte Einwirkung auf die Grundstruktur der Haarwurzeln als eines Teils des menschlichen Körpers.
Der Ansatz der Beklagten, insofern ausschließlich auf die fehlende organische Funktion der Haare abzustellen, überzeugt vor diesem Hintergrund nicht. Stellt man auf den Gesamtzusammenhang der Werbeaussagen ab, erwartet der durchschnittliche Endverbraucher, dass die Wirkstoffe von Bio-H-Tin auf seinen Stoffwechsel einwirken, wodurch sich die Grundstruktur seiner Haarwurzeln verbessert und es dadurch im Ergebnis zu einer Steigerung des Haarwuchses und damit der Haarmenge und -fülle kommt. Dies suggerieren schon die Worte „von innen heraus“ (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 04.11.2021 - 2 U 49/2). Die Herstellung dieses konkreten Zusammenhangs zwischen dem beworbenen Produkt und der Steigerung des Haarwachstums geht damit weit über einen bloßen Verweis auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile für die Gesundheit im Allgemeinen hinaus (Art. 10 Abs. 3 HCVO).
Ob dünner werdendes oder kraftloses Haar eine Folge von gesundheitlichen Schäden am Haar oder der Haarwurzel oder aber eine altersbedingte oder hormonelle Erscheinung ist, kann dahinstehen. Denn auch die angegriffene Werbung unterscheidet insofern nicht. Vielmehr wird ein grundsätzlicher Wirkungsprozess beworben, nämlich die Stärkung und Förderung von gesundem Haarwuchs durch die Einnahme der beworbenen Kapseln.
2.2.2. Die streitgegenständlichen Werbeaussagen sind nach Art. 10 Abs. 1 HCVO verboten, weil die darin enthaltenen Angaben inhaltlich richt mit den nach der Anlage zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 zugelassenen Angaben übereinstimmen.
[…]
2.3. Die Beklagte verstößt mit der streitgegenständlichen Werbung zugleich gegen Art. 7 Abs. 1a und Abs. 3 LMIV.
Demnach dürfen Informationen über ein Lebensmittel nicht irreführend sein und diesem keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen.
Gerade dies ist jedoch der Fall. Der durchschnittliche Verbraucher versteht die streitgegenständliche Werbung dahingehend, dass allein durch die Einnahme der beworbenen Kapseln sein Haarwachstum und sein Haarvolumen in kürzester Zeit erheblich zunehmen werden, nämlich 11% in nur 16 Wochen. Dies wird bekräftigt durch den Hinweis, dass es sich um nachgewiesene Vorteile eines kürzlich entwickelten Nahrungsergänzungsmittels für Haarwachstum und Nagelqualität bei Frauen handle. Hierdurch wird der Eindruck der Zulässigkeit der streitgegenständlichen Aussagen nach wissenschaftlichen Standards vermittelt. Tatsächlich ist eine entsprechende Zunahme des Haarvolumens jedoch nicht gewährleistet.
Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Wiedergabe eines Zitats ohne Mitteilung des Kontextes in der Presseberichtserstattung ein unzulässiges Fehlzitat sein kann.
Die Pressemitteilung des Gerichts: Kontextloses Zitat - Zitat ohne Kontext kann unzulässiges Fehlzitat sein
Ein Fehlzitat kann vorliegen, wenn in einer Berichterstattung nur ein Satz eines Facebook-Posts zitiert wird, ohne auch den weiteren Kontext wiederzugeben, in dem der zitierte Satz steht (hier: Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung). Eine an das Zitat anknüpfende Wertung der Aussage als „antisemitisch“ kann dagegen eine zulässige Meinungsäußerung sein. Mit heute veröffentlichter Entscheidung hat der für Presserecht zuständige 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) die landgerichtliche Entscheidung, mit der Unterlassungsansprüche des Klägers abgewiesen worden waren, im Wesentlichen bestätigt.
Der Kläger wendet sich gegen vier Aussagen im Rahmen zweier Berichterstattungen der Beklagten. Er ist stellvertretender Vorsitzender einer kleinen Partei und Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. In dem Bericht hieß es u.a., dass der Kläger auf Facebook geschrieben habe: „Während man nur noch von Corona redet, hat man den wahren Virus im Nahen Osten vergessen: Israel“.
Der Kläger ist der Ansicht, die Berichterstattung stelle ihn als Antisemiten dar und verletze ihn in seinen Persönlichkeitsrechten.
Das Landgericht hatte seine auf Unterlassung von vier Aussagen gerichtete Klage insgesamt abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte vor dem OLG nur hinsichtlich einer Aussage Erfolg.
Drei der angegriffenen Äußerungen enthielten zulässige Meinungsäußerungen, bestätigte der Senat die Entscheidung des Landgerichts. Soweit in den Berichten das Adjektiv „antisemitisch“ verwendet werde, liege eine zulässige Meinungsäußerung vor. Entgegen der Ansicht des Klägers werde nicht er als Person als Antisemit bezeichnet, sondern konkret aufgeführte Äußerungen als antisemitisch. Die Beklagte habe diese Bewertung auf einen objektiv tatsächlichen Anknüpfungspunkt in Form des vorausgegangenen Posts des Klägers auf Facebook zurückführen können. Der Post biete (noch) einen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte diesen Beitrag als antisemitisch habe beurteilen können. Der Kläger habe den Staat Israel durch den Begriff „Virus“ mit einem Krankheitserreger gleichgesetzt, der - vergleichbar mit dem Corona-Virus - bekämpft und ausgerottet werden müsse. Bei Abwägung der involvierten Interessen sei auch zu berücksichtigen, dass der Artikel einen Beitrag im geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage darstelle. Für die Öffentlichkeit seien sowohl die kleine Partei als Teil der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung als auch die von ihren Vertretern nach außen vertretenen Ansichten von wesentlichem Interesse.
Mit Erfolg wende sich der Kläger aber gegen die Aussage, dass er auf Facebook das oben wiedergegebene Zitat geschrieben habe. Das Zitat verfälsche die eigentliche Äußerung des Klägers. Im Ursprungspost habe die Äußerung im Kontext mit Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern gestanden. Durch das nicht gekennzeichnete Weglassen dieser Passage erhalte das Zitat eine andere Färbung und entspreche nicht mehr dem, was der Kläger tatsächlich gesagt habe. Mit der Bezeichnung Israels als „wahren Virus“ habe der Kläger Kritik an der Siedlungspolitik des israelischen Staats seit 1948 zum Ausdruck bringen wollen. Es mache einen „Unterschied, ob eine generell ablehnende Haltung gegenüber der Bevölkerung Israels geäußert wird, wie es die als Zitat des Klägers wiedergegebene Äußerung der Beklagten nahelege, oder ob hierfür ein sachlicher Bezug, nämlich die dortige Siedlungspolitik angeführt wird“, begründete der Pressesenat die Entscheidung.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann der Kläger die Zulassung der Revision beim BGH begehren.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 8.5.2024, Az.: 16 U 169/22
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 28.4.2022, Az.: 2-03 O 367/21)
Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass die Online-Kündigung von Verbraucherverträgen im elektronischen Geschäftsverkehr nach § 312k BGB auch ohne Login möglich sein muss.
Die Pressemitteilung des Gerichts: Oberlandesgericht Düsseldorf: Online-Kündigungsprozess von Verbraucherverträgen soll möglichst einfach sein
Der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Leitung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Erfried Schüttpelz hat heute einer Unterlassungsklage eines Verbraucherschutzverbands stattgegeben und einem Versorgungsunternehmen untersagt, online eine Kündigungsbestätigungsseite vorzuhalten, die erst durch Eingabe von Benutzername und Passwort oder Eingabe von Vertragskontonummer und Postleitzahl der Verbrauchsstelle erreichbar und damit nicht unmittelbar und leicht zugänglich ist.
Die Beklagte bietet auf ihrer Website Verbraucherinnen und Verbrauchern den Abschluss von verschiedenen Strom- und Gasverträgen an. Auf ihrer Homepage findet sich am unteren Ende der Rubrik "Kontakt" eine Schaltfläche "Verträge kündigen". Wählen Verbraucherinnen und Verbraucher diese aus, gelangen sie zu einer Anmeldemaske, mithilfe derer sie sich zunächst identifizieren sollen, bevor sie in den Kündigungsbereich gelangen. Hierfür können sich registrierte Kundinnen und Kunden mit ihrem Benutzernamen und dem zugehörigen Passwort anmelden. Nicht registrierte Kundinnen und Kunden müssen zunächst die Vertragskontonummer und die Postleitzahl der Verbrauchsstelle angeben, um sich zu legitimieren. Die Identifizierung, ob per Benutzername oder Vertragskontonummer, wird erst mit Bestätigung des Buttons "Anmelden" abgeschlossen. Eine Möglichkeit, den Vertrag direkt über eine Kündigungsschaltfläche zu kündigen, ohne sich auf eine der zwei vorgenannten Alternativen anmelden zu müssen, existiert nicht. Nach erfolgloser vorgerichtlicher Abmahnung beantragt der Verbraucherschutzverband u.a. die Untersagung des so gestalteten Kündigungsprozesses.
Der 20. Zivilsenat hat in seiner heute verkündeten Entscheidung ausgeführt, der von der Beklagten über ihre Website gestaltete Kündigungsprozess verstoße gegen die den Verbraucher schützende Regelung des § 312k Abs. 2 S. 3 BGB. Nach dieser gesetzlichen Regelung sei ein Kündigungsprozess zweistufig aufgebaut: Er beginne mit einer "Kündigungsschaltfläche", nach deren Betätigung der Verbraucher unmittelbar auf eine "Bestätigungsseite" geführt werde, auf der der Verbraucher Angaben zu seiner Kündigung machen könne und die wiederum einen Bestätigungsbutton mit einer eindeutigen Formulierung wie "jetzt kündigen" enthalte.
Die Beklagte habe die "Bestätigungsseite" nicht entsprechend dieser gesetzlichen Vorgaben gestaltet. Vielmehr sei diese dergestalt aufgespalten, dass Kundinnen und Kunden zunächst auf eine Website geleitet würden, auf der sie bestimmte Anmeldeinformationen zum Kundenkonto oder zu der sie identifizierenden Vertragskontonummer angegeben müssten. Diese Seite enthalte jedoch nicht die weiteren gesetzlich vorgeschriebenen Angaben und insbesondere keine Bestätigungsschaltfläche mit einer Formulierung wie "jetzt kündigen". Auf eine diese Merkmale enthaltende gesonderte Website würden die Verbraucherinnen und Verbraucher vielmehr erst dann weitergeleitet, wenn sie sich erfolgreich angemeldet hätten. Eine solche Gestaltung der Website zur Kündigung des Versorgungsvertrages sei nicht zulässig. Die Betätigung der Kündigungsschaltfläche müsse vielmehr unmittelbar zu der Bestätigungsseite mit sämtlichen vorgeschriebenen Merkmalen - insbesondere der Bestätigungsschaltfläche "jetzt kündigen" führen. Dies setze voraus, dass die Bestätigungsseite aus einer einheitlichen Webseite bestehe. Die Kündigung würde momentan dadurch erschwert, dass eine weitere – im Gesetz nicht vorgesehene – Schaltfläche eingebaut werde. Diese Aufspaltung der Bestätigungsseite in (zumindest) zwei unabhängige Webseiten führe zu einem (zumindest) dreistufigen Kündigungsprozess und laufe dem Bestreben des Gesetzgebers zugegen, eine möglichst einfache Kündigung zu ermöglichen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision zugelassen, weil bislang höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 312k BGB fehlt.
Infobox:
§ 312 k (in der Fassung vom 10.08.2021)
(1) […]
(2) Der Unternehmer hat sicherzustellen, dass der Verbraucher auf der Webseite eine Erklärung zur ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung eines auf der Webseite abschließbaren Vertrags nach Absatz 1 Satz 1 über eine Kündigungsschaltfläche abgeben kann. 2Die Kündigungsschaltfläche muss gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „Verträge hier kündigen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet sein. 3Sie muss den Verbraucher unmittelbar zu einer Bestätigungsseite führen, die
1. den Verbraucher auffordert und ihm ermöglicht Angaben zu machen
a) zur Art der Kündigung sowie im Falle der außerordentlichen Kündigung zum Kündigungsgrund,
b) zu seiner eindeutigen Identifizierbarkeit,
c) zur eindeutigen Bezeichnung des Vertrags,
d) zum Zeitpunkt, zu dem die Kündigung das Vertragsverhältnis beenden soll,
e) zur schnellen elektronischen Übermittlung der Kündigungsbestätigung an ihn und
2. eine Bestätigungsschaltfläche enthält, über deren Betätigung der Verbraucher die Kündigungserklärung abgeben kann und die gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern "jetzt kündigen" oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet ist.
Die Schaltflächen und die Bestätigungsseite müssen ständig verfügbar sowie unmittelbar und leicht zugänglich sein.
(3) Der Verbraucher muss seine durch das Betätigen der Bestätigungsschaltfläche abgegebene Kündigungserklärung mit dem Datum und der Uhrzeit der Abgabe auf einem dauerhaften Datenträger so speichern können, dass erkennbar ist, dass die Kündigungserklärung durch das Betätigen der Bestätigungsschaltfläche abgegeben wurde.
Das OVG Münster hat entschieden, dass auch nicht essbare Wursthüllen und Verschlussclips, die üblichem Handelsbrauch entsprechen, zur Füllmenge fertigverpackter Wurstwaren gehören..
Die Pressemitteilung des Gerichts: Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen: Auch nicht essbare Wursthüllen und Verschlussclipse gehören zur Füllmenge fertigverpackter Leberwurst
Das Oberverwaltungsgericht hat mit heute verkündetem Urteil entschieden, dass auch nicht essbare Wursthüllen und -clipse zur Füllmenge fertigverpackter Leberwurst gehören, und eine Untersagungsverfügung des Landesbetrieb Mess- und Eichwesen NRW aufgehoben.
Die Klägerin ist eine in Nordrhein-Westfalen ansässige Herstellerin von Wurstwaren. Im Jahr 2019 nahm der Landesbetrieb Mess- und Eichwesen NRW im Betrieb der Klägerin zwei Füllmengenkontrollen hinsichtlich von ihr vermarkteter fertigverpackter Leberwürste in nicht essbaren Wursthüllen vor. In den untersuchten Chargen mit auf den Verpackungsetiketten angegebenen Nennfüllmengen von jeweils 130 Gramm waren im Mittel 127,7 bzw. 127,4 Gramm essbare Wurstmasse enthalten. Diese Kontrollergebnisse entsprachen den Vorgaben einer Verwaltungsvorschrift zur Füllmengenkontrolle von Fertigpackungen durch die zuständigen Behörden, wonach Wursthüllen und Wurstendenabbinder zum Nettogewicht zählen. Der Landesbetrieb ging bei den Kontrollen abweichend von seiner langjährigen früheren Praxis davon aus, dass das Gewicht der nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipse seit Inkrafttreten der europäischen Lebensmittelinformationsverordnung im Jahr 2014 nicht mehr zur Füllmenge der Fertigpackung gehört. Daraufhin untersagte der Landesbetrieb der Klägerin, Fertigpackungen mit Wurstwaren, bei denen die nicht essbaren Wurstclipse und Wursthüllen nicht austariert worden sind, in den Verkehr zu bringen. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Münster ab und stützte sich dabei auf eine Begriffsbestimmung in der Lebensmittelinformationsverordnung.
Der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat nach gestriger mündlicher Verhandlung das Urteil der Vorinstanz geändert und die Untersagungsverfügung aufgehoben. In der mündlichen Urteilsbegründung hat der Vorsitzende heute ausgeführt: Nach der weiterhin maßgeblichen EWG-Richtlinie von 1976 ist unter Füllmenge die Erzeugnismenge zu verstehen, die die Fertigpackung tatsächlich enthält. Auch Würste, die nach üblichem Handelsbrauch mit nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipsen gehandelt werden, sind Erzeugnisse im Sinne des Fertigpackungsrechts. Nur dieses Begriffsverständnis ermöglicht es, umhüllte Würste entsprechend der allgemeinen Praxis, von der auch das Verwaltungsgericht ausgegangen und die zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist, als nicht fertigverpackt im Sinne der EWG-Richtlinie von 1976 anzusehen und an der Fleischtheke weiterhin ohne Angabe der Nennfüllmenge zur Verwiegung vor Ort anzubieten.
Die Füllmenge einer Fertigpackung ist nach den Vorschriften des deutschen Mess- und Eichgesetzes sowie der deutschen Fertigpackungsverordnung zu bestimmen. Diese Anforderungen setzen Vorgaben der weiterhin geltenden Richtlinie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) über die Abfüllung bestimmter Erzeugnisse in Fertigpackungen aus dem Jahr 1976 in deutsches Recht um. Mit der seit 2014 geltenden Lebensmittelinformationsverordnung hat der Unionsgesetzgeber die bisher geltende Rechtslage bezogen auf die Bestimmung der Füllmenge von vorverpackten Lebensmitteln und Fertigpackungen mit Lebensmitteln nicht geändert, sondern für vorverpackte Lebensmittel hierauf Bezug genommen. Nach der weiterhin maßgeblichen EWG-Richtlinie von 1976 ist unter Füllmenge die Erzeugnismenge zu verstehen, die die Fertigpackung tatsächlich enthält. Dabei besteht eine Fertigpackung aus einem Erzeugnis und seiner vollständigen und mengenerhaltenden Umschließung beliebiger Art. Der Begriff des Erzeugnisses ist ein unionsrechtlicher Begriff, der seinerzeit bereits in den Bestimmungen des Gründungsvertrags der EWG über die Landwirtschaft verwendet worden war und im Wesentlichen unverändert bis heute gilt (heute: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV). Danach umfasst der Europäische Gemeinsame Markt (heute: Binnenmarkt) von Anfang an auch die Landwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Als solche sind unter anderem die „Erzeugnisse der Viehzucht“ zu verstehen. Die Erzeugnisse, für die die Bestimmungen des EWG-Vertrags über die Landwirtschaft galten, waren schon damals in einer Liste im Anhang des EWG-Vertrags (heute: des AEUV) unter der Überschrift „Warenbezeichnung“ und unter Zuordnung zu den Nummern des Brüsseler Zolltarifschemas von 1950 aufgeführt. In dieser Liste ist unter anderem „Fleisch und genießbarer Schlachtabfall“ als landwirtschaftliches Erzeugnis im Sinne der europarechtlichen Vorschriften über den Gemeinsamen Markt genannt. Daneben erwähnt die Liste allerdings auch nicht essbare landwirtschaftliche Erzeugnisse. Auch die Lebensmittelbasisverordnung bringt zum Ausdruck, dass Erzeugnisse nicht essbar sein müssen oder nicht essbare Teile enthalten können, indem sie Lebensmittel als essbare Stoffe oder Erzeugnisse definiert. Nur für Zwecke der Lebensmittelhygiene geht die Lebensmittelhygieneverordnung, die sich gleichfalls auf die im Anhang des EG-Vertrags aufgeführten Erzeugnisse bezieht, in ihren Vorschriften für das Umhüllen und Verpacken von Lebensmitteln davon aus, dass Umhüllung und Verpackung nicht Teil des Erzeugnisses sind. Ausgehend von der Zielrichtung der EWG-Richtlinie von 1976, Handelshemmnisse beim Handel mit Fertigpackungen zu beseitigen, ist der Senat im Ergebnis nach intensiver Beratung davon ausgegangen, dass der Erzeugnisbegriff im Fertigpackungsrecht entsprechend der Begriffsverwendung im Anhang des EWG-Vertrags (und heute des AEUV) sich grundsätzlich an demjenigen der handelbaren Ware orientiert, dabei aber Verpackungen nicht einschließt. Demgegenüber hat der Senat der ausschließlich lebensmittelhygienerechtlichen Unterscheidung von Erzeugnis und Umhüllung bzw. Verpackung keine für das Fertigpackungsrecht durchgreifende Bedeutung beigemessen. Auf der Grundlage dieser Begriffsverwendungen betrachtet der Senat auch Würste, die nach üblichem Handelsbrauch mit nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipsen gehandelt werden, als solche mit Umhüllung als handelbare Waren und damit als Erzeugnisse im Sinne des Fertigpackungsrechts. Sie sind erst dann als fertigverpackt anzusehen, wenn sie mit einer Umschließung beliebiger Art (Fertigpackung) an die Verbraucher abgegeben werden sollen.
Der Senat hat die Revision, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.
BGH
Urteil vom 16.05.2024 I ZR 45/23
Luftfahrzeugkennzeichen
GG Art. 19 Abs. 3; BGB § 823 Abs. 1; LuftVZO § 19 Abs. 1, Anlage 1 Abschnitt II Nr. 1 und 2
Der BGH hat entschieden, dass keine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Flugzeughalters vorliegt, wenn auf einem Werbefoto neben dem Produkt das Flugzeug mit erkennbarem Luftfahrzeugkennzeichen zu sehen ist.
Leitsatz:
a) Die Entscheidung, ob und in welcher Weise kennzeichnende Merkmale der Persönlichkeit wie das Bildnis, die Stimme oder der Name für Werbezwecke zur Verfügung gestellt werden sollen, ist wesentlicher - vermögenswerter - Bestandteil des Persönlichkeitsrechts natürlicher und juristischer Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) sowie der Personengesellschaften des Handelsrechts. Grundlage einer insoweit in Betracht kommenden deliktsrechtlichen Haftung wegen des Eingriffs in den vermögenswerten Bestandteil des durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Ausprägung des Rechts am eigenen Namen ist, dass der Name vom als Verletzer in Anspruch Genommenen in einer Weise verwendet wird, die den Werbe- und Imagewert des Namensträgers ausnutzt, indem seine Person beispielsweise als Vorspann für die Anpreisung eines Produkts vermarktet wird oder durch den Gebrauch des Namens zumindest die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das beworbene Produkt gelenkt wird.
b) Für die Prüfung, ob und in welcher Weise ein kennzeichnendes Merkmal der Persönlichkeit wie etwa der Name von Dritten für Werbezwecke verwendet und damit in den vermögenswerten Bestandteil des Persönlichkeitsrechts eingegriffen wird, kommt es darauf an, ob ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Publikums von einer kommerziellen Nutzung ausgeht. Gleiches gilt für die Beurteilung der Frage, ob überhaupt von einem Persönlichkeitsmerkmal Gebrauch gemacht wird. Auch insoweit kommt es darauf an, ob ein nicht unerheblicher Teil des von der Werbung angesprochenen Verkehrs in der beanstandeten Nutzung den Gebrauch eines Persönlichkeitsmerkmals sieht. Die Beurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (Fortführung von BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 - I ZR 2/21, GRUR 2022, 665 [juris Rn. 13 und 17] = WRP 2022, 601 - Tina Turner; Urteil vom 28. Juli 2022 - I ZR 171/21, GRUR 2022, 1694 [juris Rn. 21 und 23] = WRP 2022, 1513 - Reizdarmsyndrom).
c) Die nach der Lebenserfahrung fernliegende Möglichkeit, dass Betrachter eines Werbefotos, auf dem neben dem beworbenen Produkt (hier: ein PKW-Modell) ein Flugzeug zu sehen ist, durch eine Internetrecherche anhand der auf dem Foto sichtbaren, für sich genommen nicht als namensmäßig erkannten Buchstabenfolge (hier: das auf dem Leitwerk des Flugzeugs abgebildete gesetzlich vorgeschriebene Luftfahrzeugkennzeichen) die Identität des Halters des Flugzeugs ermitteln könnten, stellt keine dem Werbenden zuzurechnende Verwendung des Namens des Halters dar.
BGH, Urteil vom 16. Mai 2024 - I ZR 45/23 - OLG Hamm LG Bielefeld
BGH
Urteil vom 23.04.2024 VIa ZR 1132/22
BGB § 826, § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; ZPO § 524 Abs. 1 und 2
Der BGH hat entschieden, dass die Umstellung von großem Schadensersatz auf Differenzschaden unter Aufgabe des Zug-um-Zug-Vorbehalts im Berufungsverfahren keine Anschlussberufung voraussetzt.
Leitsatz des BGH:
Der Übergang vom Antrag auf "großen" Schadensersatz zum Antrag auf Ersatz des Differenzschadens unter Aufgabe des Zug-um-Zug-Vorbehalts setzt eine Anschlussberufung grundsätzlich nicht voraus.
BGH, Urteil vom 23. April 2024 - VIa ZR 1132/22 - OLG Stuttgart - LG Stuttgart
Das OLG Frankfurt hat entschieden, das ein Streitwert von 500.000 EURO für einen Unterlassungsanspruch, der sich gegen das Anbieten unzulässiger Nachahmungen hochpreisiger Uhren in einem Online-Shop richtet, nicht übersetzt ist.
Aus den Entscheidungsgründen: Die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Streitwertbeschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Streitwert zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen auf 500.000 Euro festgesetzt.
1. Nach § 51 Abs. 2 GKG ist, soweit nichts Anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Die Festsetzung des Streitwerts kann nicht anhand von Regelstreitwerten erfolgen, weil dies mit den Vorschriften des § 3 ZPO und des § 51 Abs. 2 GKG nicht vereinbar ist, die eine Ermessensausübung des Gerichts vorsehen (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 08.11.2022 - I ZR 62/22, juris Rn. 6 mwN). Entscheidend ist bei Unterlassungsanträgen das Interesse des Klägers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße. Dieses wird maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für die Träger der maßgeblichen Interessen, bestimmt (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 15.09.2016 - I ZR 24/16, GRUR 2017, 212 Rn. 8 mwN - Finanzsanierung). Dabei sind unter anderem die Unternehmensverhältnisse des Verletzten und des Verletzers (etwa Art, Größe, Umsatz und Marktbedeutung), die Art, Intensität, Zielrichtung und Dauer der Verletzungshandlung, insbesondere deren Gefährlichkeit für den Wettbewerber oder Verbraucher unter Berücksichtigung der drohenden Schäden sowie der Grad des Verschuldens unter Bewertung auch des nachträglichen Verhaltens zu berücksichtigen (vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 30.11.2021 - 6 W 89/21, juris Rn. 8 mwN).
Ist die Bedeutung der Sache für den Beklagten erheblich geringer zu bewerten als der nach § 51 Abs. 2 GKG ermittelte Streitwert, ist der Streitwert angemessen zu mindern (§ 51 Abs. 3 Satz 1 GKG).
Der sich aus § 51 Abs. 2 und 3 GKG ergebende Wert ist im Eilverfahren in der Regel unter Berücksichtigung der geringeren Bedeutung gegenüber der Hauptsache zu ermäßigen.
2. Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass für eine Herabsetzung des Streitwerts keine Grundlage besteht.
a) Das Landgericht hat den Streitwert gemäß § 51 Abs. 2 und 4 GKG ermessensfehlerfrei und zutreffend auf 500.000 Euro festgesetzt.
aa) Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats kommt der Streitwertangabe des Klägers zu Beginn des Verfahrens erhebliche indizielle Bedeutung für den Wert des von diesem verfolgten Interesses zu. Da der Kläger bei Einreichung der Klage- bzw. Antragsschrift noch nicht sicher wissen kann, ob sein Antrag Erfolg haben wird, ist er von sich aus gehalten, sein wirtschaftliches Interesse an der Verfolgung des Wettbewerbsverstoßes realistisch einzuschätzen. Eine Abweichung von der Streitwertangabe kommt daher im Regelfall nur in Betracht, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass diese Angabe erheblich über- oder untersetzt ist. Dies gilt insbesondere im Anwendungsbereich von § 51 Abs. 2 GKG, da nach dieser Norm auf die sich aus dem Antrag des Klägers für diesen ergebende Bedeutung abzustellen ist (vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.12.2022 - 6 W 77/22, WRP 2023, 358 Rn. 4 mwN - Penthouse in Erstbezug).
bb) Vorliegend besteht kein Anlass, von der Streitwertangabe der Antragstellerin im Eilantrag abzuweichen, zumal nach den zutreffenden Rechtsausführungen des Landgerichts nicht erkennbar ist, dass es sich dabei nicht um den bereits gemäß § 51 Abs. 4 GKG ermäßigten Wert des Eilverfahrens handelte.
Der Angriffsfaktor ist hoch.
Die Antragstellerin hat sich auf eine Nachahmung durch vermeidbare (unmittelbare, jedenfalls aber mittelbare) Herkunftstäuschung sowie auf eine Rufausbeutung gestützt. Sie hat substantiiert dargetan und mit eidesstattlichen Versicherungen unterlegt, dass sie zwischen 2018 und 2023 in Deutschland mit den „IWC Pilot’s Chronographen“ knapp 27 Millionen Euro umgesetzt und gut 3,5 Millionen Euro in Werbung investiert habe. Die von ihr hergestellten Uhren sind mit Verkaufspreisen mit zwischen 6.800 Euro und 13.700 Euro dem Luxussegment zuzuordnen. Nach Vortrag der Antragstellerin handelt es sich um eine der erfolgreichsten Uhrenmarken der Welt; die „IWC Pilotenuhren“ gehörten im Jahr 2019 zu den 10 beliebtesten Luxusuhren. Der Umstand, dass die Antragstellerin im Jahr 2022 von dem Uhrenmodell W377714 nur 191 Stück in Deutschland verkauft hat, reduziert den Angriffsfaktor entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht. Damit hat die Antragstellerin nach eigener Angabe 602.197 Euro Umsatz erwirtschaftet.
Die Antragsgegnerin bot das streitgegenständliche Uhrenmodell in verschiedenen Farben unter Hinweis auf ein „hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis“ für 1.200 Euro an (vgl. S. 2 ff., 12 des Eilantrags, GA 4 ff., 12). Dabei war (u.a.) das Logo mit dem Schweizer Wappen und dem Wortbestandteil „swiss made“ geeignet, auf eine besondere Qualität der Uhr hinzuweisen. Diese ist nach ihrer Behauptung nicht schlechter als der Chronograph der Antragstellerin, zumal er über das gleiche, für die Qualität einer Uhr maßgebliche Uhrwerk verfügt.
Soweit die Antragsgegnerin behauptet hat, „FESTINA“ sei in Deutschland mit 57 % dreimal so bekannt wie „IWC“ mit einem Anteil von 17,4 %, mag dies zwar zutreffen. Letzteres gilt auch, soweit sie geltend gemacht hat, die „FESTINA“-Uhren zeichneten sich durch ein außergewöhnliches Preis-Leistungsverhältnis und einen guten After-Sales-Service aus, zwischen dem Jahr 2000 und Ende 2022 seien rund 6 Millionen Uhren unter dieser Marke in Deutschland verkauft und rund 382 Millionen Umsatz damit erwirtschaftet worden. „FESTINA“ verkaufe unter dieser Marke 100.000 Uhren pro Jahr (teils auch schon 300.000). Auch ergreife „FESTINA“ Werbe- und Sponsoring-Maßnahmen und gebe allein für Erstere in Deutschland hohe sechs- bis siebenstellige Beträge pro Jahr aus. Allerdings erhöht dies - ebenso wie der große Preisunterschied zwischen den sich gegenüberstehenden Uhren - den für den Streitwert maßgeblichen Angriffsfaktor eher. Je attraktiver das Angebot der beanstandeten Nachahmung ist, desto mehr kann es die Wettbewerbsinteressen der Antragstellerin beeinträchtigen.
b) Nach zutreffender Auffassung des Landgerichts kommt eine Streitwertherabsetzung nach § 51 Abs. 3 GKG nicht in Betracht.
aa) Die Antragsgegnerin macht zu Recht nicht geltend, dass vom Auffangstreitwert von 1.000 Euro auszugehen sei (vgl. § 51 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 GKG; zu letzterer Norm, vgl. BT-Drucks. 19/12084 S. 40).
bb) Es besteht auch kein Anlass, den Streitwert nach § 51 Abs. 3 Satz 1 GKG angemessen zu mindern. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Bedeutung der Sache für die Antragsgegnerin erheblich geringer zu bewerten wäre als der vom Landgericht auf 500.000 Euro festgesetzte Streitwert.
Dafür besteht auch kein Anhaltspunkt. Bereits ausgehend von den unstreitig jedenfalls durch die Antragsgegnerin in Deutschland verkauften 95 Uhren des streitgegenständlichen Modells hat diese einen Bruttoumsatz von 114.000 Euro erzielt (95 x 1.200 Euro).
Der Umstand, dass das Landgericht Stadt1 den Streitwert im Hauptsacheverfahren mit umgekehrtem Rubrum entsprechend der Angabe der Antragsgegnerin vorläufig auf 100.000 Euro festgesetzt hat, führt entgegen deren Ansicht nicht dazu, dass vorliegend nur von einem Wert von 50.000 Euro auszugehen wäre. Wie oben dargetan wurde, kommt es im Streitfall maßgeblich auf den Wert des von der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Verfügung verfolgten Interesses an.
c) Für einen rechtsmissbräuchlich überhöhten Streitwert besteht kein Anhaltspunkt.
Zwar hat die Antragstellerin wegen desselben Uhrenmodells auch andere (jedenfalls indirekt mit der Antragsgegnerin verbundene) Vertriebsunternehmen abgemahnt und/oder im Wege der einstweiligen Verfügung in Anspruch genommen. Schon angesichts der unterschiedlichen Daten besteht aber kein Hinweis darauf, dass die gesonderten gerichtlichen Inanspruchnahmen allein im Kosteninteressen der Antragstellerin (aus einem überhöhten Streitwert) erfolgt wären.
d) Die Vorschrift des § 15 Abs. 2 RVG ist allenfalls im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aber bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen (vgl. insofern z.B. BGH, Beschluss vom 22.01.2019 - VI ZR 402/17, GRUR 2019, 763 Rn. 24 - Ermittlungen gegen Schauspielerin; Urteil vom 22.01.2019 - VI ZR 403/17, juris Rn. 24; Beschluss vom 15.05.2014 - I ZB 71/13, GRUR 2014, 1239 Rn. 15-18 - Deus Ex).
Das LG Köln hat seine (zu Recht kritisierte) Rechtsprechung bestätigt, wonach der Kauf einer Fototapete keine Lizenz für die Nutzung im Internet z.B. auf Fotos von Räumlichkeiten umfasst.
Aus den Entscheidungsgründen: 1. Die Voraussetzungen einer Urheberrechtsverletzung des Beklagten liegen vor.
a) Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest, wobei sich der Gesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin, Herr O. K., zunächst auf die Vermutung aus § 10 Abs. 1 UrhG berufen kann. Für den Übergang der Rechte von Herrn K. auf die Klägerin liegen hinreichende Indizien vor.
aa) Wer auf den Vervielfältigungsstücken eines erschienenen Werkes oder auf dem Original eines Werkes der bildenden Künste in der üblichen Weise als Urheber bezeichnet ist, wird bis zum Beweis des Gegenteils als Urheber des Werkes angesehen (§ 10 Abs. 1 Halbsatz 1 UrhG). Die Regelung ist gemäß § 72 Abs. 1 UrhG bei Lichtbildern entsprechend anwendbar. Demnach wird derjenige, der auf den Vervielfältigungsstücken eines erschienenen Lichtbildes in der üblichen Weise als Lichtbildner angegeben ist, bis zum Beweis des Gegenteils als dessen Lichtbildner angesehen.
bb) Bei den auf der Internetseite des Klägers eingestellten Fotografien (Anlagen K9-K11) handelt es sich um Vervielfältigungsstücke von Lichtbildern.
Bei einem Vervielfältigungsstück (Werkstück) handelt es sich begriffsnotwendig um die körperliche Festlegung eines Werkes (vgl. BGH, Urteil vom 18. Mai 1955 - I ZR 8/54, BGHZ 17, 267, 269 f. - Grundig-Reporter; Urteil vom 22. Januar 2009 - I ZR 19/07, GRUR 2009, 942 Rn. 25 - Motezuma). Das Eingreifen der Urhebervermutung setzt daher voraus, dass die Urheberbezeichnung auf einem körperlichen Werkexemplar angebracht worden ist. Sie ist dagegen nicht anwendbar, wenn ein Werk lediglich in unkörperlicher Form wiedergegeben wird (Thum in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 4. Aufl., § 10 Rn. 19; Wiebe in Spindler/Schuster, Recht der Elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 10 UrhG Rn. 5). Bei einer unkörperlichen Wiedergabe des Werkes - wie etwa einem öffentlichen Vortrag oder einer öffentlichen Aufführung - kann der Urheber die Richtigkeit der Namensangabe nicht in gleichem Maße überwachen, wie es bei der Anbringung der Urheberbezeichnung auf dem Original oder auf Vervielfältigungsstücken des Werkes möglich ist (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum Urheberrechtsgesetz, BT-Drucks. IV/270, S. 42).
Ein körperliches Werkexemplar und damit ein Vervielfältigungsstück im Sinne von § 10 Abs. 1 UrhG liegt allerdings auch dann vor, wenn ein Werk in das Internet gestellt worden ist. Das Einstellen eines Werkes in das Internet setzt eine Übertragung des Werkes auf eine Vorrichtung zur wiederholbaren Wiedergabe von Bild- und Tonfolgen und damit eine Vervielfältigung (§ 16 Abs. 2 UrhG) - also die Herstellung eines Vervielfältigungsstücks (§ 16 Abs. 1 UrhG) - des Werkes voraus. Wird etwa die elektronische Datei eines Lichtbildes auf die Festplatte eines Servers hochgeladen, um sie auf diese Weise in das Internet einzustellen, wird damit ein Vervielfältigungsstück des Lichtbildes hergestellt. Danach kann es die Vermutung der Urheberschaft begründen, wenn eine Person auf einer Internetseite als Urheber bezeichnet wird (vgl. OLG Köln, WRP 2014, 977 Rn. 17; LG Berlin, ZUM-RD 2011, 416, 417; vgl. auch LG Frankfurt a.M., ZUM-RD 2009, 22, 23; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl., § 10 Rn. 6a). Der Umstand, dass in das Internet eingestellte Werke darüber hinaus in unkörperlicher Form öffentlich zugänglich gemacht werden und eine solche unkörperliche öffentliche Wiedergabe die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 UrhG nicht erfüllt, steht einer Anwendung dieser Vorschrift nicht entgegen (zitiert nach: BGH, Urteil vom 18. September 2014 – I ZR 76/13 – CT-Paradies, Rn. 32 ff., juris).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Wie sich aus den – als solchen unstreitigen – Screenshots von dem Internetauftritt des Klägers unter www.entfernt.com, die sich im Übrigen durch Besuch der Webseite als richtig erweisen, ergibt, ist der Fotograf K. jedenfalls in der URL namentlich benannt. Er ist jedoch auf der Webseite auch an den eingestellten Lichtbildern ausdrücklich mit seinem Namen als Urheber bezeichnet. Dies ergibt sich auf der Webseite im Wege des „Mouseover“, bei dem sich am unteren Rand des Bildes ein schwarzer Balken mit weißer Schrift öffnet, der den Text „(…) by O. K.“ enthält.
Die deshalb zugunsten des Herrn K. streitende Vermutung der Urheberschaft aus § 10 Abs. 1 ist von dem Beklagten auch nicht erschüttert worden. Das Bestreiten mit Nichtwissen genügt hierfür ersichtlich nicht. Andere durchgreifende Zweifel, etwa als Reaktion auf den klägerischen Vortrag zur Entstehungsgeschichte der einzelnen Bilder, sind jedenfalls nicht mit einem Beweisangebot verbunden.
Dass der Fotograf K. seine Rechte an die Betreiberin der Webseite „R.“, ggf. die Z. Gmbh & Co. KG, derart übertragen haben könnte, dass er selbst keine weiteren Rechte mehr an die Klägerin hätte übertragen können, ist schon nicht hinreichend von Beklagtenseite vorgetragen. Dass dies nicht der Fall war, ist mit Blick auf den Tatbestand und die Gründe des Kammerurteils vom 18.8.2022 – 14 O 350/21, (MMR 2023, 462) insoweit auch gerichtsbekannt.
cc) Für den Übergang von urheberrechtlichen Verwertungsrechten von Herrn K. auf die Klägerin legt diese als Anlage K1 drei Bestätigungen vor, die von Herrn K. unterzeichnet sind. Selbst wenn man insoweit das Bestreiten einer rechtsgeschäftlichen Übertragung von Verwertungsrechten von Herrn K. auf die Klägerin als zulässig ansehen wollte, stellen die Bestätigungen in Anlage K1 jedenfalls ein ausreichendes Indiz dar, auf dessen Grundlage die Kammer von der Aktivlegitimation der Klägerin ausgeht. Dies folgt zudem aus dem Umstand, dass Herr K. auch Geschäftsführer der Klägerin ist und damit das hiesige prozessuale Verhalten offensichtlich billigt. Im Übrigen sind diverse andere Verfahren der Klägerin bei der Kammer anhängig, in der zum Teil dieselben Motive gegenständlich sind. Zweifel an der hinreichenden Rechteeinräumung bzw. –übertragung bestehen folglich nicht.
Die von dem Beklagten vorgetragenen Einwendungen gegen die Formulierung der Rechteübertragung sind unerheblich. Es werden ausgehend von der Formulierung der Schreiben in Anlage K1 offensichtlich auch Rechte für das Territorium der Bundesrepublik Deutschland eingeräumt. Die Nutzungsrechtevereinbarung ist auch entgegen der Verteidigung nicht „unbestimmt und nichtssagend“, sondern vielmehr ausschließlich und zeitlich, räumlich sowie inhaltlich allumfassend.
b) Der Beklagte hat die drei Fotografien der Klägerin auch öffentlich zugänglich gemacht. § 19a UrhG behält dem Urheber mit dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung das ausschließliche Recht vor, sein geschütztes Werk dadurch zu nutzen, dass es im Internet oder sonstigen Netzwerken Mitgliedern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Durch das Einstellen in seinen eigenen Internetauftritt hat der Beklagte die Fotografien des Klägers im vorstehenden Sinne öffentlich zugänglich gemacht.
c) Dies erfolgte auch rechtswidrig. An dieser Ansicht der Kammer, die sie bereits im Kammerurteil vom 18.08.2022 – 14 O 350/21 (MMR 2023, 462) ausführlich begründet hat, hält die Kammer insbesondere auch im Lichte der im Nachgang ergangenen Rechtsprechung des LG Düsseldorf, Urteil vom 19.04.2023 - 12 O 129/22, ZUM 2023, 539 (im Weiteren „Urteil des LG Düsseldorf“) sowie des OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.02.2024 – 20 U 56/23, GRUR-RS 2024, 1629 (im Weiteren „Urteil des OLG Düsseldorf“ und des LG Stuttgart, Urteil vom 25.10.2022 - 17 O 39/22, GRUR-RS 2022, 48323 („Urteil des LG Stuttgart“) fest.
Im Einzelnen:
aa) Vorab stellt die Kammer klar, dass eine Anwendung der Schranke des § 57 UrhG nach der maßgeblichen höchstrichterlichen deutschen Rechtsprechung vorliegend nicht in Betracht kommt (im Urteil des OLG Düsseldorf wurde dies ausdrücklich offengelassen).
(1) Nach § 57 UrhG ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken zulässig, wenn sie als unwesentliches Beiwerk neben dem eigentlichen Gegenstand der Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentlichen Wiedergabe anzusehen sind. Die Bestimmung erfasst auch das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung im Sinne von § 19 a UrhG (BGH, GRUR 2015, 667, 668, Rn. 15 – Möbelkatalog). Die Frage, ob ein urheberrechtlich geschütztes Werk gemäß § 57 UrhG lediglich als unwesentliches Beiwerk in Bezug auf den eigentlichen Nutzungsgegenstand anzusehen ist, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsbetrachters zu beantworten.
Daraus ergibt sich, dass für die Qualifizierung eines Werkes als unwesentliches Beiwerk im Sinne von § 57 UrhG der Äußerungszusammenhang maßgeblich ist, der vom Durchschnittsbetrachter nach den Umständen unschwer als Ganzes wahrgenommen und beurteilt werden kann. Dabei sind die Besonderheiten des Mediums zu berücksichtigen, in dem das urheberrechtlich geschützte Werk benutzt wird. Da die Bewertung als unwesentliches Beiwerk im Sinne von § 57 UrhG die Beurteilung des inhaltlichen Zusammenhangs zwischen dem Werk und dem Hauptgegenstand voraussetzt, hängt der Umfang des Gegenstands einer einheitlichen Beurteilung des Durchschnittsbetrachters außerdem davon ab, ob und inwieweit im Einzelfall inhaltliche Bezüge den Aussagegehalt des Gegenstands der Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentlichen Wiedergabe bestimmen (BGH, GRUR 2015, 667, 668, Rn. 22 – Möbelkatalog).
Für die Bejahung der Schutzschranke des § 57 UrhG reicht es nicht aus, dass das urheberrechtlich geschützte Werk aus Sicht des objektiven Betrachters in Bezug auf den Hauptgegenstand der Verwertung im Hintergrund steht. Nach dem Wortlaut der Schrankenbestimmung ist vielmehr weitergehend erforderlich, dass das Werk im Verhältnis zum Hauptgegenstand der Wiedergabe unwesentlich ist. Von einer Unwesentlichkeit in diesem Sinn ist auszugehen, wenn das Werk weggelassen oder ausgetauscht werden könnte, ohne dass dies dem durchschnittlichen Betrachter auffiele oder ohne dass die Gesamtwirkung des Hauptgegenstands in irgendeiner Weise beeinflusst wird.
Aber auch ein bei der Betrachtung des Hauptgegenstands der Verwertung vom Betrachter als solches tatsächlich wahrgenommenes Werk kann als unwesentliches Beiwerk anzusehen sein, wenn ihm nach den Umständen des Einzelfalls keine noch so geringfügige inhaltliche Beziehung zum Hauptgegenstand der Verwertung zuzubilligen ist, sondern es durch seine Zufälligkeit und Beliebigkeit für diesen ohne jede Bedeutung ist. Hierzu reicht eine bloß untergeordnete Beziehung nicht aus. Bei der gebotenen engen Auslegung der Schrankenbestimmung ist unwesentlich im Sinne von § 57 UrhG vielmehr nur ein Werk, das neben dem Gegenstand der eigentlichen Verwertung selbst eine geringe oder nebensächliche Bedeutung nicht erreicht.
Eine derart untergeordnete Bedeutung kann dem mitverwerteten Werk regelmäßig nicht mehr zugewiesen werden, sobald es erkennbar stil- oder stimmungsbildend oder eine bestimmte Wirkung oder Aussage unterstreichend in den eigentlichen Gegenstand der Verwertung einbezogen wird, einen dramaturgischen Zweck erfüllt oder sonst charakteristisch ist (BGH, GRUR 2015, 667, 670, Rn. 27 – Möbelkatalog).
(2) In Anwendung dieser Grundsätze können die streitgegenständlichen Fotografien vorliegend in ihrer konkreten Verwendung nicht als unwesentliches Beiwerk des Gästezimmers angesehen werden. Vielmehr werden die streitgegenständlichen Fotografien in Form der Fototapete erkennbar als zentrales Element der Fotos verwendet. Die Fotos sind gerade dafür gedacht, die Tapezierarbeiten des Beklagten als Referenz abzubilden. Die Motive der Fototapete bilden also ersichtlich den wesentlichen Teil der zu Werbezwecken ins Internet eingestellten Lichtbilder.
Die Fototapete mit den darauf großflächig abgebildeten Fotos des Klägers kann auch nicht weggelassen oder ausgetauscht werden, ohne dass dies dem durchschnittlichen Betrachter auffiele (BGH, Urteil vom 17. November 2014 – I ZR 177/13 – Möbelkatalog, Rn. 27, juris). Nach eigenem Vortrag des Beklagten sollen die Fototapeten gerade das Hauptmotiv der Lichtbilder auf der Webseite darstellen. Insofern liegt der hiesige Fall bereits anders als die im früheren Kammerurteil sowie in den oben genannten Urteilen aus Düsseldorf und Stuttgart betroffenen Fällen von Hotels, Ferienhäusern oder SPA-Bereichen einer solchen touristischen Einrichtung. Vorliegend kommt es gerade nicht darauf an, dass der Hotelier o.Ä. primär die Räume darstellen wollte. Vielmehr stellt der Beklagte als Maler und Tapezierer fremde Räume dar, in denen er Werkleistungen erbracht hat, um somit seine handwerklichen Fähigkeiten zu illustrieren.
(3) Soweit in der Literatur, namentlich durch Wypchol (ZUM 2023, 688), eine EuGH-Vorlage zur Frage der Auslegung des Art. 5 Abs. 3 lit. i InfoSocRL angeregt wird, sieht die Kammer vorliegend davon ab. Insofern eignet sich dieser Fall bereits deshalb nicht, weil hier nicht im Ansatz fraglich sein kann, dass die in der Fototapete vervielfältigten Lichtbilder hier im Zentrum der Verwertung durch den Beklagten stehen. Es handelt sich vorliegend weder um ein „unwesentliches Beiwerk“ im Sinne der deutschen Norm, noch um eine „beiläufige Einbeziehung“ im Wortlautsinne der InfoSocRL. Dies könnte in anderen Fallgestaltungen anders sein. Jedenfalls ist die Kammer jedoch der Ansicht, dass angesichts der aktuell beim BGH anhängigen Revisionsverfahren zu ähnlich gelagerten „Fototapeten-Fällen“ (vgl. BGH Pressemitteilung Nr. 051/2024, abrufbar über die Webseite des BGH), es dem BGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV obliegt, zu entscheiden, ob der EuGH anzurufen ist. Die Kammer hält sich nicht dazu berufen, insoweit einer solchen Entscheidung vorzugreifen.
bb) Der Beklagte kann sich auch nicht auf die Einräumung von Nutzungsrechten durch den Fotografen K., ggf. vermittelt durch Dritte, berufen.
Die Darlegungs- und Beweislast für die behauptete Einräumung bzw. deren Umfang und Reichweite der Nutzungsrechte (Spezifizierungslast) trägt hier der Beklagte als Verwerter (BGHZ 131, 8, 14; OLG Hamburg GRUR 1991, 599, 600 – Rundfunkwerbung). Wer sich auf die Nutzungsberechtigung beruft, muss konkret darlegen und beweisen, dass er die hierfür einschlägigen Rechte in dem von ihm behaupteten Umfang erworben hat (BGH, Urteil vom 27. September 1995 – I ZR 215/93, GRUR 1996, 121 – Pauschale Rechtseinräumung; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 – I ZR 18/09 – Der Frosch mit der Maske, Rn. 29 nach juris).
Dies gelingt dem Beklagten nicht.
(1) Eine ausdrückliche, schriftliche oder mündliche Vereinbarung über die Einräumung von Nutzungsrechten ist zwischen den Parteien bzw. zwischen Herrn K. als Fotograf und früherem Rechteinhaber nicht vorgenommen worden (so im Ausgangspunkt auch das Urteil des LG Düsseldorf).
Soweit der Beklagte insgesamt vier Rechnungen über den Kauf von Fototapeten (Anlage B1) vorlegt, scheint dies bereits nicht auf den vorliegenden Fall zu passen, weil nur eine der vier Rechnungen laut Artikelbeschreibung eines der drei hier gegenständlichen Lichtbildmotive betrifft. So wird in der Rechnung der Z. GmbH & Co. KG vom 12.08.2011 das Lichtbild „Stonewall of nature“ benannt, was dem dritten im ursprünglichen Antrag zu 1) dargestellten Lichtbild entspricht. Die anderen drei vorgelegten Rechnungen betreffen offenbar andere Lichtbilder, die hier nicht gegenständlich sind. Insoweit bleibt der Beklagtenvortrag für die beiden Lichtbilder „Pile of wood“ und „Cocktailbar“ mit Blick auf eine mögliche Lizenzkette schon unerheblich, weil hier weder ein konkreter rechtsgeschäftlicher Kontakt mit Herrn K. als Urheber noch mit einer anderen natürlichen oder juristischen Person bzw. rechtsfähigen Personengesellschaft vorgetragen wird, von der der Beklagte überhaupt Nutzungsrechte eingeräumt hätte erhalten können.
Doch auch mit Blick auf die genannte Rechnung liegt hierin jedenfalls keine ausdrückliche Nutzungsrechteeinräumung in Form einer Unterlizenz durch die Z. GmbH & Co. KG an den Beklagten. Wie bereits im früheren Kammerurteil ausgeführt, besagt die Rechnung als solche nichts anderes, als dass der Beklagte eine Fototapete (Maße 360 x 270) zum dort angegebenen Preis (hier: 138,95 €) gekauft hat. Der Vertrag bezieht sich demnach zunächst nur auf die Übertragung des dinglichen Eigentums an dem Vervielfältigungsstück der streitgegenständlichen Fotographie. Durch diesen Verbreitungsakt im Sinne von § 17 UrhG ist betreffend dieses von dem Beklagten erworbenen Vervielfältigungsstück der Tapete Erschöpfung im Sinne von § 17 Abs. 2 UrhG eingetreten.
Von der Übertragung urheberrechtlicher Nutzungsrechte ist hingegen keine Rede in der Rechnung. AGB bzw. sonstige Vertragsinhalte werden vom Beklagten vorliegend nicht vorgetragen.
(2) Es kommt demnach darauf an, ob der Beklagte sich auf eine konkludente Rechteeinräumung berufen kann. Ein solches durch konkludent erklärte Willenserklärungen zu Stande gekommenes Rechtsgeschäft ist zwar grundsätzlich für eine Rechteeinräumung geeignet. Ein solches Rechtsgeschäft ist im hiesigen Fall – genauso wie im Fall des früheren Kammerurteils – jedoch nicht zu Stande gekommen.
(i) Wie bereits zuvor geht die Kammer davon aus, dass ebenso wie der Abschluss des zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäfts die Einräumung von Nutzungsrechten grundsätzlich formfrei möglich ist; sie kann also auch mündlich oder konkludent geschehen. Für die Rechtseinräumung ist nur hinsichtlich Rechten für unbekannte Nutzungsarten Schriftform vorgeschrieben (§ 31a Abs. 1 Satz 1 UrhG). Allerdings ist gerade bei konkludenten Erklärungen Zurückhaltung geboten, damit der Wille des Urhebers nicht lediglich fingiert wird (Ohly, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 6. Auflage 2020, § 31, Rn. 11). Vor allem ist durch Auslegung im Lichte des Übertragungszweckgedankens (§ 31 Abs. 5 UrhG) zu ermitteln, ob die Einräumung eines Nutzungsrechts oder ggf. eine schlichte Einwilligung gewollt ist.
Nutzungsrechte können formlos, also auch mündlich oder stillschweigend (vgl. OLG Frankfurt a. M. ZUM-RD 2015, 100, 104 – Landeswappen) eingeräumt werden (vgl. Ohly, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 6. Auflage 2020, Vor §§ 31 ff. Rn. 30).
Aufgrund des dinglichen Charakters der (einfachen oder ausschließlichen) Rechtseinräumung kommt sie stillschweigend nur dann in Betracht, wenn angesichts der Gesamtumstände nach dem objektiven Inhalt der Erklärung unzweideutig zum Ausdruck gekommen ist, der Erklärende wolle über sein Urheberrecht in der Weise verfügen, dass er einem Dritten daran ein bestimmtes Nutzungsrecht einräume (so BGH, GRUR 2010, 628 Rn. 29 – Vorschaubilder). Das bloße Einstellen von Abbildungen urheberrechtlich geschützter Werke ins Internet genügt hierfür nicht, insbesondere wenn durch Anbringung eines Urhebervermerks urheberrechtliche Befugnisse vorbehalten bleiben sollen (BGH, GRUR 2010, 628 Rn. 30; BGH GRUR 2012, 602 Rn. 15 – Vorschaubilder II).
Sind bei der Einräumung eines Nutzungsrechts die Nutzungsarten nicht ausdrücklich einzeln bezeichnet, so bestimmt sich gemäß § 31 Abs. 5 Satz 1 UrhG nach dem von beiden Parteien zugrunde gelegten Vertragszweck, auf welche Nutzungsarten es sich erstreckt. Entsprechendes gilt nach § 31 Abs. 5 Satz 2 UrhG für die Frage, ob ein Nutzungsrecht eingeräumt wird, ob es sich um ein einfaches oder ausschließliches Nutzungsrecht handelt, wie weit Nutzungsrecht und Verbotsrecht reichen und welchen Einschränkungen das Nutzungsrecht unterliegt. Danach räumt der Urheber Nutzungsrechte im Zweifel nur in dem Umfang ein, den der Vertragszweck unbedingt erfordert (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 - I ZR 25/15, GRUR 2017, 266 [juris Rn. 44] = WRP 2017, 320 - World of Warcraft I; Urteil vom 2. Juni 2022 – I ZR 140/15 – YouTube II, Rn. 50, juris).
(ii) Dem hält das Urteil des LG Düsseldorf wie folgt entgegen:
„(…) Ist deshalb davon auszugehen, dass die Beklagte die Tapete von einem Händler erwarb, der diese wiederum von einem autorisierten Hersteller erworben hatte, so muss von einem Erwerb von Nutzungsrechten ausgegangen werden.
(…)
Bei sachgerechter Würdigung der Gesamtumstände muss davon ausgegangen werden, dass … „autorisierten Herstellern“ die Rechte zur Herstellung der Tapete und die urheberrechtlichen Nutzungsrechte zum Zwecke der Weiterübertragung an die Endkunden, ggf. über Zwischenhändler, übertrug, die zur vertragsgemäßen Nutzung der Tapete erforderlich waren. Weil die vertragsgemäße Nutzung der Tapete eine feste Verbindung der Tapete mit den Räumen vorsieht und eine Beseitigung der Tapete im Rahmen der vertraglich vorausgesetzten Nutzung von vornherein ausscheidet, ist aus Sicht eines redlichen Urhebers anzunehmen, dass autorisierte Hersteller den Abnehmern die Rechte einräumen sollten, die auch urheberrechtlich zu einer vertragsgemäßen Nutzung der Tapete erforderlich waren. Hierzu war – unabhängig von einer Nutzung der Tapete in privaten oder gewerblichen Räumen – das Recht erforderlich, Vervielfältigungen der Tapete im Rahmen der Erstellung von Lichtbildern der Räume zu fertigen sowie diese Lichtbilder zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen bzw. diese Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen. Von dem Erwerber einer Fototapete kann üblicher Weise nicht erwartet werden, dass dieser sicherstellt, dass keine Fotos in den mit der Tapete ausgestatteten Räumen gefertigt werden oder die Tapete jeweils abgedeckt oder retuschiert wird.
Die Kammer teilt die Auffassung des Landgerichts Köln (Urteil vom 18.08.2022, AZ. 14 O 350/21) nicht, wenn es dort in den Entscheidungsgründen heißt, dass für den Verkauf der Fototapete keine Übertragung eines Nutzungsrechts erforderlich sei und sich der Verkauf einer Fototapete auf den Vertragszweck der dinglichen Übereignung der Tapete erstrecke. Es kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Verwendungszweck einer Tapete darin besteht, Räume dauerhaft zu dekorieren, in denen Fotos erstellt werden und unter verschiedensten Umständen hiervon Bilder ins Internet gelangen, die Fototapeten also vervielfältigt und öffentlich zugänglich gemacht werden. Es erscheint unabhängig davon, ob die Fototapete von einem Unternehmer oder einer Privatperson erworben wird, vollkommen fernliegend, dass eine entsprechende Nutzung ausgeschlossen oder von einer weiteren Lizensierung abhängig ist. Sowohl autorisierte Hersteller als auch der Fotograf verschließen ihre Augen unredlich vor dem Offensichtlichen, wenn sie bei dem Verkauf der Fototapete nicht berücksichtigen, dass diese als Teil ihrer ordentlichen Nutzung abfotografiert und ins Internet gestellt wird. Sowohl bei dem Einsatz der Tapete in gewerblich genutzten Räumen als auch bei der Verwendung in Privaträumen kommt es nahezu zwangsläufig dazu, dass Lichtbilder aus unterschiedlichsten Motiven gefertigt werden. So fertigen Hotelbesitzer oder Restaurantbetreiber Fotos von den Räumen, um ihre Räumlichkeiten in einer Online-Werbung, über einen Internetauftritt in Form der eigenen Webseite oder eines Auftritts in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram potentiellen Kunden zu präsentieren. Interessenten sollen sich so einen Gesamteindruck von dem Stil und der Atmosphäre der Räumlichkeiten verschaffen können. Eine Wandtapete prägt den Gesamteindruck eines Raumes maßgeblich. Eine Fotografie eines Raumes ohne Abbildung der Wandtapete führt zu einer verfremdeten und verzerrten Darstellung des jeweiligen Raumes. Würde der Eigentümer einer Räumlichkeit die Fototapete retuschieren, so würde er sich in der Öffentlichkeit zu Recht der Kritik aussetzen, seine Räumlichkeiten anders zu bewerben, als diese sich in der Realität darstellen. Kein Eigentümer eines Cafés oder Restaurants erwirbt eine Tapete und tapeziert damit seinen Gastraum, wenn dies dazu führt, dass er diesen nicht auf Internetauftritten abbilden kann. Auch bei Privatpersonen ist ohne Weiteres vorhersehbar, dass z.B. bei privaten Feiern oder auch bei der Weiterveräußerung des Objektes, in welchem die Fototapete angebracht ist, Lichtbilder erstellt und in sozialen Netzwerken geteilt werden. Niemand kann erwarten, dass im Rahmen von Familienfeiern oder einer Weiterveräußerung Lichtbilder gefertigt werden, auf denen die Fototapete beseitigt, verhängt oder retuschiert ist. Da eine Fototapete regelmäßig das Raumbild bestimmt, wird der dahingehende Konflikt nicht über § 57 UrhG aufgelöst.
Nach Auffassung der Kammer ist es als branchenüblich anzusehen, dass keine gesonderte Vergütung für Rechte an der öffentlichen Zugänglichmachung und Vervielfältigung von Lichtbildern der mit Fototapeten ausgestatteten Räumlichkeiten bezahlt wird. Die Inaugenscheinnahme der Webseiten von Baumärkten (z.B. Hornbach) oder anderen Fototapeten-Vertreibern ergibt, dass keine Branchenübung besteht, die Rechte gegen zusätzliche Vergütung auf dem Markt anzubieten, was dafür spricht, dass Rechte mit der Grundvergütung abgegolten und auch übertragen wurden. Entgegen der Auffassung des Landgerichts Köln im Urteil vom 18.08.2022 (AZ. 14 O 350/21) hat es deshalb nicht nahegelegen, einen entsprechenden Passus in die Rechnung aufzunehmen und dafür einen höheren Preis zu zahlen. Ein solches Angebot findet sich auf dem Markt nicht. Auch die Klägerin, die von … vertreten wird, behauptet nicht, dass sie eine entsprechende Lizensierung angeboten hat.
Neben der Üblichkeit muss sich der Urheber der weitreichenden stillschweigenden Einräumung bewusst gewesen sein (vgl. BGH GRUR 2004, 938, 939). Dies ist vorliegend zu bejahen. Die vorstehenden Begleitumstände sprechen dafür, dass, redliches Verhalten unterstellt, ein entsprechender Wille zur Einräumung von Nutzungsrechten im dargestellten Umfang bestand. Hinzu kommt, dass … geschäftsführender Gesellschafter der … war, es also in der Hand hatte, die Umstände des Vertriebs der Tapeten zu gestalten. Er nahm trotz der sich aufdrängenden urheberrechtlichen Konsequenzen im Rahmen der üblichen Nutzung der Fototapeten keine Hinweise auf ein „Fotografierverbot“ oder die Notwendigkeit einer weiteren Lizensierung auf. Auch trägt er nicht vor, von ihm autorisierte Hersteller zu entsprechenden Hinweisen veranlasst zu haben.
Der Annahme einer konkludenten Rechteeinräumung steht nicht entgegen, dass die Klägerin ausdrücklich vorträgt, dass der Nutzung für Fototapeten lediglich die Einräumung einfacher Nutzungsrechte zu Grunde lag. Die Klägerin, deren gesetzlicher Vertreter der Fotograf ist, stellt den Sachverhalt, der – lauteres Verhalten der Beteiligten unterstellt – aus den vorstehenden Erwägungen aus Sicht der Kammer die Annahme einer konkludenten Rechteübertragung gebietet, nicht in Abrede. Wie vorstehend dargestellt, geht die Kammer auch nicht von einer Übertragung ausschließlicher Nutzungsrechte aus.“
Das Urteil des OLG Düsseldorf stellt dazu fest:
„Denn der Beklagten sind mit Erwerb der streitgegenständlichen Fototapeten konkludent urheberrechtliche Nutzungsrechte an den Tapeten eingeräumt worden. Zur Begründung kann zunächst vollumfänglich auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts Bezug genommen werden, auf die zwecks Vermeidung von Wiederholungen umfassend verwiesen wird und die sich der Senat nach eigener Prüfung zu eigen macht.
(…)
Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die von der Beklagten erworbenen, zur Dekoration der Räumlichkeiten des Hotels „…“ verwendeten und auf den öffentlich zugänglich gemachten Fotografien der Räumlichkeiten sichtbaren Fototapeten mit der Zustimmung und auf Veranlassung von Herrn B. in den Verkehr gelangt sind.
(…)
Die Annahme des Landgerichts, Herr B. habe – über eine seiner Vertriebsgesellschaften für auf der Grundlage seiner Fotografien angefertigten Fototapeten –, z.B. die X. GmbH & Co. KG – den Käufern der Fototapeten konkludent ein einfaches Nutzungsrecht mit dem Inhalt eingeräumt, dass diese zur Ablichtung des Raumes mit der an der Wand angebrachten Fototapete und zum öffentlichen Zugänglichmachung dieser Lichtbilder berechtigt seien, weist keine Rechtsfehler auf.
Die vertragsgemäße Nutzung einer Fototapete sieht ihre untrennbare Verbindung mit dem Raum vor. Nachdem sie mit der Wand verklebt wurde, dient sie zum einen der Dekoration des Raumes. Darüber hinaus gehört zu ihrer bestimmungsgemäßen Nutzung – sowohl in privaten, als auch in gewerblichen Räumen –, dass von dem mit der Fototapete ausgestatteten Raum Lichtbilder gefertigt sowie diese verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Denn bei lebensnaher Betrachtung kann von dem Erwerber einer Fototapete im Rahmen einer vertragsgemäßen Nutzung nicht erwartet werden sicherzustellen, dass keine Lichtbilder in dem mit der Fototapete ausgestattetem Raum gefertigt werden oder die Fototapete abgedeckt oder auf den gefertigten Lichtbildern nachträglich retuschiert wird. Hätte der Erwerber um diese gravierende Einschränkung der bestimmungsgemäßen Nutzung gewusst, so ist zu erwarten, dass er die Fototapete niemals erworben hätte; die Fototapeten wären schlicht unverkäuflich. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich der Fotograf einer stillschweigenden Einräumung einfacher Nutzungsrechte im dargestellten Umfang bewusst war. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist jedenfalls davon auszugehen und Gegenteiliges trägt auch die Klägerin nicht vor, dass der Fotograf ein wirtschaftliches Interesse an dem Verkauf der Rechte an den von ihm gefertigten Fotos und damit letztlich auch an dem Verkauf der Fototapeten hatte. Eine Vertragsauslegung, die faktisch zu einer Unverkäuflichkeit der Fototapeten führt, widerspricht den allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen gemäß §§ 133, 157 BGB, da sie schlicht nicht sach- und interessengerecht ist.“
(iii) Vorab weist die Kammer darauf hin, dass der vorstehend dargelegte Meinungsstreit zwischen der hiesigen Kammer und dem LG sowie OLG Düsseldorf für den hiesigen Fall nur bedingt aussagekräftig ist. Die Kammer kann den Ausführungen der Düsseldorfer Spruchkörper nicht entnehmen, dass die dort geschilderte besondere Interessenlage für diejenigen Personen, in deren Räumen die Fototapete befestigt wird, auch auf Handwerker wie den Beklagten zu übertragen sind. Denn anders als dem Wohnungsbesitzer oder dem Inhaber bzw. Betreiber eines gewerblich genutzten Raumes, in dem eine Fototapete fest verklebt ist, ist der Beklagte nicht auf eine bildliche Darstellung eben dieses Raums angewiesen bzw. kann diese faktisch nicht verhindern. Ganz im Gegenteil, der Beklagte als Tapezierer nutzt hier ein Foto seiner Werkleistung in einem fremden Raum nur und einzig zum Zweck der Darstellung seiner Fähigkeiten, um weitere Kunden zu werben. Es stünde ihm aber frei, andere Referenzarbeiten auf seiner Webseite zu präsentieren. Dies mag zwar dazu führen, dass er Referenzarbeiten mit Fototapeten ggf. überhaupt nicht auf seiner Webseite präsentieren darf. Ihm bleibt es aber frei, urheberrechtlich freie Tapeten zu präsentieren. Insofern kommt es den Kunden wohl auch darauf an, dass die Werkleistung ordentlich erfolgt und nicht auf die konkrete Tapete.
Allein vor diesem Hintergrund erkennt die Kammer auch ohne Konflikt mit der oben dargestellten Rechtsprechung von LG und OLG Düsseldorf keinen Grund, hier von einer konkludenten Nutzungsrechteeinräumung in der Kette von Herrn K. über die Z. Gmbh & Co. KG (siehe Bl. 216 GA) auf den Beklagten (ggf. noch vermittelt durch seinen Auftraggeber als Besitzer des Wohnraums) auszugehen. Nach der Zweifelsregelung bei der Anwendung der Zweckübertragungslehre zugunsten des Urhebers ist in der hiesigen Konstellation erst recht davon auszugehen, dass das Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung der Lichtbilder, die auf der Fototapete zu sehen sind, nicht konkludent an den Beklagten eingeräumt worden ist.
(iv) Im Übrigen überzeugen die Ausführungen des LG und des OLG Düsseldorf in rechtlicher Hinsicht nicht. Sie führen konsequent zu Ende gedacht dazu, dass für eine Vielzahl von urheberrechtlichen Schutzgegenständen vom Urheber bzw. Rechteinhaber allein durch angeblich schlüssiges Verhalten sehr weit reichende Nutzungsrechte eingeräumt werden, die zudem scheinbar beliebig unterlizenziert werden können. Dies ist jedoch weder mit der Rechtsgeschäftslehre noch mit der Zweckübertragungslehre noch mit sonstigen urheberrechtlichen Grundsätzen in Einklang zu bringen.
Das LG Düsseldorf hält es im Vertriebsweg einer Fototapete, d.h. im Verhältnis des Urhebers zum Hersteller und Vertreiber der Fototapeten sowie ggf. einbezogenen Zwischenhändlern für erforderlich, dass dort bereits ein (an den Endkunden unterlizensierbares) Recht eingeräumt wird, wonach „Vervielfältigungen der Tapete im Rahmen der Erstellung von Lichtbildern der Räume“ gefertigt werden dürfen sowie das Recht „diese Lichtbilder zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen bzw. diese Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen“. Von dem Erwerber einer Fototapete könne üblicher Weise nicht erwartet werden, dass dieser sicherstellt, dass keine Fotos in den mit der Tapete ausgestatteten Räumen gefertigt werden oder die Tapete jeweils abgedeckt oder retuschiert wird.
Die Kammer kann diese Erforderlichkeit in dieser Absolutheit bereits nicht nachvollziehen. Zwar mag es sein, dass ein faktisches und rechtliches Bedürfnis der Endkunden von Fototapeten an einem solchen Nutzungsrecht besteht. Ein solches Bedürfnis führt aber nicht bereits dazu, dass ein solches Nutzungsrecht durch den Urheber bzw. Rechteinhaber rechtsgeschäftlich konkludent eingeräumt wird. Ein solches Bedürfnis ist vielmehr die Grundlage für eine Schranke des Urheberrechts, die hier aber nach den obigen Ausführungen nicht eingreift.
Es ist vielmehr zu beachten, dass vorliegend das LG Düsseldorf eine hypothetische Korrektur der Vertragsbeziehungen innerhalb der ersten Glieder der Lizenzkette vornimmt. Es ist dem (streitigen Teil des) Tatbestands des Urteils des LG Düsseldorf zu entnehmen, dass „in der Vergangenheit die Bilder mit Zustimmung von … für Fototapeten genutzt worden [seien]. Dieser Nutzung habe die Einräumung einfacher, für die Herstellung und den Vertrieb von Fototapeten erforderlicher Nutzungsrechte durch … zugrunde gelegen. Autorisierten Herstellern habe er nur gestattet, die Fototapeten zu verkaufen.“ Dies deckt sich mit den Feststellungen der Kammer in ihrem früheren Kammerurteil.
Nach diesem (scheinbar streitigen) Vortrag bestand aber offenbar eine ausdrückliche Regelung zwischen dem Fotografen K. und den Fototapetenherstellern; jedenfalls sind hier wie dort keine Feststellungen zu einer anderweitigen Vereinbarung auf dieser Ebene der Lizenzkette getroffen. Bei gebotener Auslegung nach §§ 133, 157 BGB der Vereinbarung zwischen dem Fotografen und dem Fototapetenhersteller sind hiermit keine unterlizensierbaren Rechte zur öffentlichen Zugänglichmachung der Motive der Fototapeten durch Kunden eingeräumt worden. Das Recht, Unterlizenzen zu gewähren, steht dem Urheber zu, § 35 UrhG, wonach selbst der ausschließliche Lizenznehmer nur mit Zustimmung des Urhebers weitere Unterlizenzen einräumen darf; hier stehen nur einfache Lizenzen an die Tapetenhersteller im Raum, auf § 35 Abs. 2 iVm § 34 Abs. 1 S. 2 UrhG kommt es gar nicht erst an. Dem Urheber – auf dieser ersten Ebene der Lizenzkette – dieses Recht zu beschneiden, steht deshalb nach Auffassung der Kammer die gesetzgeberische Wertung entgegen.
Wenn man nun auf dieser ersten Stufe der Lizenzkette bereits die Zweckübertragungslehre nach § 31 Abs. 5 UrhG anwenden wollte, was nur bei Unklarheiten der Rechteklausel zulässig wäre, müsste man nach der Argumentation des LG Düsseldorf hier bereits fordern, dass der Urheber zeitlich unbeschränkte, beliebig oft und an beliebige Personen unterlizensierbare Nutzungsrechte zur Vervielfältigung und öffentlichen Zugänglichmachung für unüberschaubare Nutzungsarten einräumen müsste. Dies obschon in seinem Vertragsverhältnis allein notwendig ist, dass der Fototapetenhersteller die Lichtbilder in der Nutzungsart „Fototapete“ vervielfältigt gem. § 16 UrhG und sodann vertreibt gem. § 17 UrhG. Dies vermag die Kammer nicht mit der grundsätzlich den Urheber, nicht den Verwerter schützenden Zweckübertragungslehre in Einklang zu bringen.
Sodann folgt aus der Argumentation des LG Düsseldorf, dass auf der nächsten Stufe der Lizenzkette der Fototapetenhersteller an den Käufer ein vom Kaufpreis bereits vollständig abgegoltenes Recht zur Vervielfältigung und öffentlichen Zugänglichmachung als Unterlizenz einräumt. Nach der von der Kammer vertretenen Ansicht hat der Tapetenhersteller bzw. –verkäufer über diese Rechte jedoch nie verfügt. Selbst wenn man also auf dieser Stufe wiederum im Wege der Zweckübertragungslehre diese weitgehenden Rechte einräumen wollte, so würde dies am fehlenden Rechtsbestand beim Tapetenhersteller scheitern. Folge wäre ein „gutgläubiger Erwerb“, der nach allgemeiner Meinung im Urheberrecht nicht existiert (statt aller: Dreier/Schulze/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 31 Rn. 24 mwN: „Niemand kann also mehr Rechte übertragen, als er tatsächlich besitzt.“).
Die EU-Kommission hat ein förmliches Verfahren gegen Meta nach dem Digital Services Act (DSA) wegen möglicherweise unzureichendem Schutz Minderjähriger auf Instagram und Facebook eingeleitet.
Die Pressemitteilung der EU-Kommission: Kommission leitet förmliches Verfahren gegen Meta nach dem Gesetz über digitale Dienste zum Schutz Minderjähriger auf Facebook und Instagram ein
Die Kommission hat heute ein förmliches Verfahren eingeleitet, um zu prüfen, ob Meta, der Anbieter von Facebook und Instagram, in Bereichen im Zusammenhang mit dem Schutz Minderjähriger möglicherweise gegen das Gesetz über digitale Dienste verstoßen hat.
Die Kommission ist besorgt, dass die Systeme sowohl von Facebook als auch von Instagram, einschließlich ihrer Algorithmen, Verhaltensabhängigkeiten bei Kindern stimulieren und so genannte „Rabbit-Out-Effekte“ erzeugen können. Darüber hinaus ist die Kommission besorgt über die Alterssicherungs- und Überprüfungsmethoden, die Meta eingeführt hat.
Die heutige Einleitung des Verfahrens stützt sich auf eine vorläufige Analyse des von Meta im September 2023 übermittelten Risikobewertungsberichts, auf die Antworten von Meta auf die förmlichen Auskunftsersuchen der Kommission (zum Schutz Minderjähriger und zur Methodik der Risikobewertung), auf öffentlich zugängliche Berichte sowie auf die eigene Analyse der Kommission.
Das vorliegende Verfahren betrifft folgende Bereiche:
- Die Einhaltung der Verpflichtungen von Meta im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste zur Bewertung und Minderung von Risiken, die durch die Gestaltung der Online-Schnittstellen von Facebook und Instagram verursacht werden, was die Schwächen und Unerfahrenheit Minderjähriger ausnutzen und zu Suchtverhalten führen und/oder den sogenannten „Rabbit-Locheffekt“ verstärken kann. Eine solche Bewertung ist erforderlich, um potenziellen Risiken für die Ausübung des Grundrechts auf das körperliche und geistige Wohlbefinden von Kindern sowie für die Achtung ihrer Rechte entgegenzuwirken.
- Die Einhaltung der Anforderungen des Gesetzes über digitale Dienste durch Meta in Bezug auf die Risikominderungsmaßnahmen zur Verhinderung des Zugangs Minderjähriger zu unangemessenen Inhalten, insbesondere zu den von Meta verwendeten Instrumenten zur Altersüberprüfung, die möglicherweise nicht angemessen, verhältnismäßig und wirksam sind.
- Die Einhaltung der Verpflichtungen von Meta im Gesetz über digitale Dienste, geeignete und verhältnismäßige Maßnahmen zu ergreifen, um ein hohes Maß an Privatsphäre und Sicherheit für Minderjährige zu gewährleisten, insbesondere im Hinblick auf Standardeinstellungen zum Schutz der Privatsphäre Minderjähriger im Rahmen der Konzeption und Funktionsweise ihrer Empfehlungssysteme.
Sollten diese Verstöße nachgewiesen werden, würden diese Verstöße einen Verstoß gegen die Artikel 28, 34 und 35 des Gesetzes über digitale Dienste darstellen. Die Einleitung eines förmlichen Verfahrens greift dem Ergebnis des Verfahrens nicht vor und lässt andere Verfahren unberührt, die die Kommission in Bezug auf andere Verhaltensweisen einleiten kann, die eine Zuwiderhandlung gegen das Gesetz über digitale Dienste darstellen könnten.
Nächste Schritte
Die Kommission wird nun vorrangig eine eingehende Prüfung durchführen und weiterhin Beweise sammeln, z. B. durch zusätzliche Auskunftsersuchen, Befragungen oder Inspektionen.
Mit der Einleitung eines förmlichen Verfahrens wird die Kommission ermächtigt, weitere Durchsetzungsmaßnahmen wie den Erlass einstweiliger Maßnahmen und Beschlüsse wegen Nichteinhaltung der Vorschriften zu ergreifen. Die Kommission ist ferner befugt, Verpflichtungszusagen von Meta anzunehmen, mit denen die im Verfahren aufgeworfenen Probleme behoben werden sollen.
Die Einleitung dieses förmlichen Verfahrens entbindet die Koordinatoren für digitale Dienste oder jede andere zuständige Behörde der EU-Mitgliedstaaten von ihrer Befugnis, das Gesetz über digitale Dienste im Zusammenhang mit einem mutmaßlichen Verstoß gegen Artikel 28 Absatz 1 zu überwachen und durchzusetzen.
Hintergrund
Facebook und Instagram wurden am 25. April 2023 gemäß dem EU-Gesetz über digitale Dienste als sehr große Online-Plattformen (VLOP) eingestuft, da beide über 45 Millionen monatlich aktive Nutzer in der EU haben. Als sehr große Online-Plattformen mussten Facebook und Instagram vier Monate nach ihrer Benennung, d. h. Ende August 2023, damit beginnen, eine Reihe von Verpflichtungen gemäß dem Gesetz über digitale Dienste zu erfüllen. Seit dem 17. Februar gilt das Gesetz über digitale Dienste für alle Online-Vermittler in der EU.
Am 30. April 2024 hatte die Kommission bereits ein förmliches Verfahren gegen Meta eingeleitet, und zwar sowohl in Bezug auf Facebook als auch in Bezug auf Instagram in Bezug auf irreführende Werbung, politische Inhalte, Melde- und Abhilfemechanismen, den Datenzugang für Forscher sowie die Tatsache, dass im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament kein wirksames Instrument für den Bürgerdiskurs Dritter in Echtzeit zur Verfügung steht.
Der BGH hat entschieden, dass ein in Deutschland wohnhafter Verbraucher ein Widerrufsrecht bei einem über Fernkommunikationsmittel geschlossenen "Teakinvestment"-Vertrag über Teakbäume in Costa Rica mit einem Unternehmen in der Schweiz hat
Die Pressemitteilung des BGH: Zum Widerrufsrecht eines in Deutschland wohnhaften Verbrauchers bei Abschluss von "Kauf- und Dienstleistungsverträgen" über Teakbäume in Costa Rica mit einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen über Fernkommunikationsmittel ohne Widerrufsbelehrung
Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass einem in Deutschland wohnhaften Verbraucher hinsichtlich über Fernkommunikationsmittel mit einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen ohne Widerrufsbelehrung abgeschlossener "Kauf- und Dienstleistungsverträge" über Teakbäume in Costa Rica ein Widerrufsrecht zusteht und dass dieses nicht zeitlich befristet ist.
Sachverhalt:
Die Beklagte, ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen, bot über ihre Internet-Homepage Interessenten den Ankauf von Teakbäumen auf Plantagen in Costa Rica an, um nach Jahren mit dem Verkauf des Holzes dieser Bäume eine Rendite zu erzielen ("Teakinvestment - Das natürliche Kraftpaket für ihr Portfolio"). Zusätzlich offerierte die Beklagte ihren Kunden, die erworbenen Bäume während der Laufzeit des Vertrages zu bewirtschaften, zu verwalten, zu schlagen, auszuforsten, zu ernten und zu verkaufen.
Der in Deutschland wohnhafte Kläger schloss in den Jahren 2010 und 2013 mit der Beklagten über Fernkommunikationsmittel jeweils einen "Kauf- und Dienstleistungsvertrag" über 800 beziehungsweise 600 Teakbäume für 37.200 € beziehungsweise 44.000 € mit einer Laufzeit von 17 beziehungsweise 14 Jahren. In den AGB der Beklagten ist bestimmt, das Vertragswerk unterstehe Schweizer Recht und Streitigkeiten unterstünden einzig der ordentlichen Gerichtsbarkeit am Sitz der Beklagten in der Schweiz; weiterhin wird die Anwendung des Wiener Kaufrechts (CISG) ausdrücklich ausgeschlossen. Über etwaige Widerrufsrechte wurde der Kläger nicht belehrt.
Spätestens mit der Klageschrift vom August 2020 hat der Kläger seine auf die beiden Vertragsabschlüsse gerichteten Willenserklärungen widerrufen.
Bisheriger Prozessverlauf:
Die insbesondere auf die Rückzahlung der Entgelte abzüglich der bereits erhaltenen Holzerlöse (1.604,86 € beziehungsweise 2.467,07 €), insgesamt also auf Zahlung von 35.595,14 € beziehungsweise 41.532,93 €, Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Rechte des Klägers aus den Verträgen, gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen ganz überwiegend Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiterverfolgt.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass dem Kläger ein Anspruch auf Rückzahlung der von ihm gezahlten Entgelte unter Abzug bereits erhaltener Erlöse, Zug um Zug gegen Rückübertragung der Rechte aus den Kauf- und Dienstleistungsverträgen, nach § 312b Abs. 1 Satz 1, § 312d Abs. 1 Satz 1, § 355 Abs. 1, § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (aF) in Verbindung mit § 346 Abs. 1, § 348 Satz 1 BGB zusteht.
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den vorliegenden Rechtsstreit folgt aus Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Art. 16 Abs. 1 Alt. 2 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 30. Oktober 2007 (im Folgenden: LugÜ II). Der Kläger hat in Bezug auf die Verträge vorliegend als Verbraucher gehandelt und die Beklagte hat ihre gewerbliche Tätigkeit auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts auf Deutschland ausgerichtet. Die in den AGB der Beklagten enthaltene Regelung über die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte am Sitz der Beklagten in der Schweiz ist nach Art. 17 LugÜ II unwirksam.
Die streitgegenständlichen Verträge unterliegen gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO dem materiellen deutschen Recht; Art. 6 Abs. 4 Buchst. a und c Rom I-VO sind nicht einschlägig. Der Anwendbarkeit des materiellen deutschen Rechts steht die von den Parteien in Ziffer 27 der AGB gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Rom I-VO getroffene Wahl des Schweizer Rechts nicht entgegen. Dabei kann dahinstehen, ob diese Rechtswahlklausel überhaupt wirksam ist, denn die Anwendbarkeit des deutschen Rechts auf sämtliche im vorliegenden Fall maßgeblichen rechtlichen Fragestellungen ergibt sich unter den hier gegebenen Umständen bereits aus dem in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO verankerten Günstigkeitsprinzip.
Dem Kläger stand nach § 312b Abs. 1 Satz 1, § 312d Abs. 1 Satz 1, § 355 Abs. 1 BGB aF ein Widerrufsrecht zu, das nicht gemäß § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB aF ausgeschlossen ist. Für die Anwendung dieser Ausnahmevorschrift ist maßgeblich, dass der spekulative Charakter den Kern des Geschäfts ausmacht. Vorliegend geht es jedoch um eine langfristige Investition, der nur mittelbar spekulativer Charakter zukommt. Soweit § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB aF auf Preisschwankungen innerhalb der Widerrufsfrist abstellt, richtet sich deren Länge insoweit nach der vom Gesetz für den Regelfall der ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung vorgesehenen Widerrufsfrist von 14 Tagen.
Der Kläger hat das Widerrufsrecht auch wirksam ausgeübt; insbesondere war mangels ordnungsgemäßer Belehrung des Klägers über sein Widerrufsrecht die Widerrufsfrist im Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht abgelaufen.
Bei den vorliegenden Verträgen handelt es sich um Finanzdienstleistungsverträge im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 2 BGB aF. Das Widerrufsrecht des Klägers ist deshalb nicht nach Art. 229 § 32 Abs. 2 (in Verbindung mit Abs. 4) EGBGB zu dem dort genannten Zeitpunkt erloschen. Der Begriff der Finanzdienstleistung ist nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass eine Geldanlage nur vorliegt, wenn Anlageobjekt ausschließlich Finanzinstrumente sind. Der deutsche Gesetzgeber hat die Definition der Finanzdienstleistung aus Art. 2 Buchst. b RL 2002/65/EG (Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie) übernommen, so dass für die Ausfüllung des Begriffs auf das unionsrechtliche Verständnis zurückzugreifen ist. Zwar stellten nach dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission Direktinvestitionen in Sachgüter keine Finanzdienstleistung dar. Im weiteren europäischen Gesetzgebungsverfahren wurde der Begriff der Finanzdienstleistung jedoch bewusst weit gefasst und erstreckt sich nunmehr auch auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Geldanlage.
Ob dabei bereits der reine Verkauf von Sachgütern zum Zweck der Geldanlage als Finanzdienstleistung angesehen werden kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, denn die hier durch die "Kauf- und Dienstleistungsverträge" begründeten Pflichten der Beklagten sowie die zu Grunde liegende Interessenlage der Parteien unterscheiden sich wesentlich von denjenigen eines reinen Verkaufs von Sachgütern und rechtfertigen die Qualifikation des Gesamtvertrags als Finanzdienstleistung.
Zum einen besteht nach der Gesamtkonzeption des von der Beklagten einheitlich angebotenen "Teakinvestments" die aus der Sicht des Verbrauchers wesentliche Leistung der Beklagten ersichtlich nicht in der für einen reinen Erwerb von Sachgütern charakteristischen Verschaffung des Eigentums an den Bäumen, sondern in den zur Realisierung einer Rendite aus dem Investment bei lebensnaher Betrachtung erforderlichen Dienstleistungen der Beklagten, insbesondere der Verwertung der Bäume am Ende der Vertragslaufzeit.
Zum anderen verfolgt die Beklagte als Anbieterin des "Teakinvestments" mit der von ihr angestrebten Bündelung von Anlegerkapital und der jahrelangen Vertragslaufzeit ein Konzept, das über den reinen - auch institutionalisierten - Verkauf von Sachgütern hinaus Parallelen beispielsweise zu einem Sachwertefonds aufweist.
Vorinstanzen:
LG Köln - 21 O 345/20 - Urteil vom 30. November 2021
OLG Köln - 24 U 2/22 - Urteil vom 22. September 2022, veröffentlicht in juris
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
Bürgerliches Gesetzbuch
§ 346 Wirkungen des Rücktritts
(1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.
[…]
§ 312b Fernabsatzverträge (in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung)
(1) Fernabsatzverträge sind Verträge über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Finanzdienstleistungen im Sinne des Satzes 1 sind Bankdienstleistungen sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung.
(2) Fernkommunikationsmittel sind Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien eingesetzt werden können, insbesondere Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails sowie Rundfunk, Tele- und Mediendienste.
[…]
§ 312d Widerrufs- und Rückgaberecht bei Fernabsatzverträgen (in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung)
(1) Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. […]
[…]
(4) Das Widerrufsrecht besteht, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, nicht bei Fernabsatzverträgen
[…]
6. die die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Finanzdienstleistungen zum Gegenstand haben, deren Preis auf dem Finanzmarkt Schwankungen unterliegt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können, insbesondere Dienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien, Anteilen an offenen Investmentvermögen im Sinne von § 1 Absatz 4 des Kapitalanlagegesetzbuchs und anderen handelbaren Wertpapieren, Devisen, Derivaten oder Geldmarktinstrumenten, oder
[…]
§ 355 Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen (in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung)
(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so ist er an seine auf den Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten und ist in Textform oder durch Rücksendung der Sache innerhalb der Widerrufsfrist gegenüber dem Unternehmer zu erklären; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.
(2) Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage, wenn dem Verbraucher spätestens bei Vertragsschluss eine den Anforderungen des § 360 Abs. 1 entsprechende Widerrufsbelehrung in Textform mitgeteilt wird. Bei Fernabsatzverträgen steht eine unverzüglich nach Vertragsschluss in Textform mitgeteilte Widerrufsbelehrung einer solchen bei Vertragsschluss gleich, wenn der Unternehmer den Verbraucher gemäß Artikel 246 § 1 Abs. 1 Nr. 10 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche unterrichtet hat. Wird die Widerrufsbelehrung dem Verbraucher nach dem gemäß Satz 1 oder Satz 2 maßgeblichen Zeitpunkt mitgeteilt, beträgt die Widerrufsfrist einen Monat. Dies gilt auch dann, wenn der Unternehmer den Verbraucher über das Widerrufsrecht gemäß Artikel 246 § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche zu einem späteren als dem in Satz 1 oder Satz 2 genannten Zeitpunkt unterrichten darf.
(3) Die Widerrufsfrist beginnt, wenn dem Verbraucher eine den Anforderungen des § 360 Abs. 1 entsprechende Belehrung über sein Widerrufsrecht in Textform mitgeteilt worden ist. Ist der Vertrag schriftlich abzuschließen, so beginnt die Frist nicht, bevor dem Verbraucher auch eine Vertragsurkunde, der schriftliche Antrag des Verbrauchers oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Antrags zur Verfügung gestellt wird. Ist der Fristbeginn streitig, so trifft die Beweislast den Unternehmer.
(4) Das Widerrufsrecht erlischt spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss. Diese Frist beginnt bei der Lieferung von Waren nicht vor deren Eingang beim Empfänger. Abweichend von Satz 1 erlischt das Widerrufsrecht nicht, wenn der Verbraucher nicht entsprechend den Anforderungen des § 360 Abs. 1 über sein Widerrufsrecht in Textform belehrt worden ist, bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen ferner nicht, wenn der Unternehmer seine Mitteilungspflichten gemäß Artikel 246 § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 Nr. 1 bis 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche nicht ordnungsgemäß erfüllt hat.
§ 357 Rechtsfolgen des Widerrufs und der Rückgabe (in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung)
(1) Auf das Widerrufs- und das Rückgaberecht finden, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entsprechende Anwendung. […]
[…]
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
Artikel 229 § 32 Übergangsvorschrift zum Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung
[…]
(2) Solange der Verbraucher bei einem Fernabsatzvertrag, der vor dem 13. Juni 2014 geschlossen wurde, nicht oder nicht entsprechend den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden gesetzlichen Anforderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist und solange das Widerrufsrecht aus diesem Grunde nicht erloschen ist, erlischt das Widerrufsrecht
[…]
3. bei Dienstleistungen: mit Ablauf des 27. Juni 2015.
(4) Die Absätze 2 und 3 sind nicht anwendbar auf Verträge über Finanzdienstleistungen. […]
Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)
Artikel 6 Verbraucherverträge
(1) Unbeschadet der Artikel 5 und 7 unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann ("Verbraucher"), mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt ("Unternehmer"), dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer
a) seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder
b) eine solche Tätigkeit auf irgend einer Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet
und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.
(2) Ungeachtet des Absatzes 1 können die Parteien das auf einen Vertrag, der die Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt, anzuwendende Recht nach Artikel 3 wählen. Die Rechtswahl darf jedoch nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Absatz 1 mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.
[…]
(4) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für:
a) Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat;
[…]
c) Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben, mit Ausnahme der Verträge über Teilzeitnutzungsrechte an Immobilien im Sinne der Richtlinie 94/47/EG;
[…]
Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG
Artikel 2 Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
[…]
b) "Finanzdienstleistung" jede Bankdienstleistung sowie jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung;
[…]
Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (LugÜ II)
Artikel 15
(1) Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 4 und des Artikels 5 Nummer 5 nach diesem Abschnitt,
[…]
c) in allen anderen Fällen, wenn der andere Vertragspartner in dem durch dieses Übereinkommen gebundenen Staat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.
[…]
Artikel 16
(1) Die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner kann entweder vor den Gerichten des durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.
[…]
Artikel 17
Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden:
1. wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird,
2. wenn sie dem Verbraucher die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen, oder
3. wenn sie zwischen einem Verbraucher und seinem Vertragspartner, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben durch dieses Übereinkommen gebundenen Staat haben, getroffen ist und die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates begründet, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung nach dem Recht dieses Staates nicht zulässig ist.
BGH,
Urteil vom 16.04.2024 VI ZR 223/21
DSGVO Art. 15 Abs. 1, 3
Der BGH hat entschieden, dass der Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO alle Schreiben der betroffenen Person an die verantwortliche Stelle umfasst.
Leitsatz des BGH:
Zum Auskunftsanspruch aus Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO (Anschluss an Senatsurteil vom 5. März 2024 - VI ZR 330/21).
BGH, Urteil vom 16. April 2024 - VI ZR 223/21 - OLG Stuttgart - LG Stuttgart
Aus den Entscheidungsgründen: 1. Die Klägerin hat aus Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 DSGVO einen Anspruch auf Überlassung von Abschriften der bei der Beklagten gespeicherten, von ihr selbst verfassten Erklärungen (Auskunftsbegehren zu a).
a) Art. 15 DSGVO ist in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Die Datenschutz-Grundverordnung bezieht sich auch auf Verarbeitungsvorgänge, die vor dem 25. Mai 2018 als dem Anwendungsdatum der Datenschutz-Grundverordnung (Art. 99 Abs. 2 DSGVO) ausgeführt wurden, wenn das Auskunftsersuchen nach diesem Datum vorgebracht wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Juni 2023 - C-579/21, NJW 2023, 2555 Rn. 36). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin mit Schreiben vom 3. April 2019 von der Beklagten Auskunft und Überlassung von Kopien verlangt.
b) Art. 15 Abs. 1 DSGVO gibt der betroffenen Person gegenüber dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) ein Recht auf Auskunft über die Verarbeitung personenbezogener Daten. Art. 15 Abs. 3 DSGVO legt die praktischen Modalitäten für die Erfüllung der dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen obliegenden Verpflichtung fest, indem er unter anderem die Form bestimmt, in der die personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen sind, nämlich in Form einer "Kopie" der Daten, gewährt aber kein anderes Recht als das in Art. 15 Abs. 1 DSGVO vorgesehene (Senatsurteil vom 5. März 2024 - VI ZR 330/21, juris Rn. 14; vgl. EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 - C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 31 f.).
c) Gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person ("betroffene Person") beziehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff weit zu verstehen. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen über die in Rede stehende Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 - C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 23 f.; Senatsurteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 22 mwN).
Nach diesen Grundsätzen sind Schreiben der betroffenen Person an den Verantwortlichen ihrem gesamten Inhalt nach als personenbezogene Daten einzustufen, da die personenbezogene Information bereits darin besteht, dass die betroffene Person sich dem Schreiben gemäß geäußert hat, umgekehrt aber Schreiben des Verantwortlichen an die betroffene Person nur insoweit, als sie Informationen über die betroffene Person nach den oben genannten Kriterien enthalten (vgl. Senatsurteile vom 5. März 2024 - VI ZR 330/21, juris Rn. 16; vom 6. Februar 2024 - VI ZR 15/23, WM 2024, 555 Rn. 8; vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 25; BGH, Urteil vom 27. September 2023 - IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 48). Dass diese Schreiben der betroffenen Person bereits bekannt sind, schließt den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch nicht aus (vgl. Senatsurteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 25 mwN).
d) Danach handelt es sich bei den von der Klägerin verfassten Erklärungen, die der Beklagten vorliegen (Auskunftsbegehren zu a), ihrem gesamten Inhalt nach um personenbezogene Daten, weshalb die Klägerin im Ergebnis nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO eine Kopie dieser Erklärungen fordern kann, auch wenn sich der Begriff der Kopie in dieser Vorschrift nicht auf ein Dokument als solches bezieht, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthält (vgl. EuGH, Urteile vom 26. Oktober 2023 - C-307/22, NJW 2023, 3481 Rn. 72; vom 4. Mai 2023 - C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 32). Denn die Kopie muss alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind (vgl. EuGH, Urteile vom 26. Oktober 2023 - C-307/22, NJW 2023, 3481 Rn. 73; vom 4. Mai 2023 - C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 32, 39). Der Vollständigkeit der Auskunft kann hier nur durch eine Kopie des gesamten Dokuments genügt werden (Senatsurteil vom 5. März 2024 - VI ZR 330/21, juris Rn. 17).