Der BGH hat entschieden, dass der wettbewerbsrechtliche Beseitigungsanspruch eines Verbraucherverbandes nicht die Rückzahlung zu Unrecht einbehaltener Geldbeträge an Verbraucher umfasst.
Die Pressemitteilung des BGH: Wettbewerbsrechtlicher Beseitigungsanspruch umfasst nicht die Rückzahlung zu Unrecht einbehaltener Geldbeträge an Verbraucher
Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass ein Verbraucherverband mit dem wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch nicht die Rückzahlung aufgrund unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen einbehaltener Geldbeträge an die betroffenen Verbraucher verlangen kann.
Sachverhalt:
Der Kläger ist der Dachverband deutscher Verbraucherzentralen. Der Beklagte veranstaltete ein Festival. Zur Bezahlung auf dem Festivalgelände konnten die Besucher ein Armband erwerben und mit Geldbeträgen aufladen. Der Beklagte bot eine Rückerstattung nicht verbrauchter Geldbeträge in seinen Nutzungsbedingungen wie folgt an: "Bei der Auszahlung des restlichen Guthabens nach dem Festival durch das Eventportal wird eine Rückerstattungsgebühr von 2,50 € fällig".
Der Kläger hält die Erhebung einer solchen Rückerstattungsgebühr (Payout Fee) für unlauter und nimmt den Beklagten insbesondere auf Rückzahlung der einbehaltenen Beträge an die betroffenen Verbraucher in Anspruch.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die vom Kläger eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Ein Beseitigungsanspruch lässt sich - wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat - nicht aus § 1 UKlaG herleiten. Diese Vorschrift begründet nur einen Anspruch auf Unterlassung, nicht aber auch auf Beseitigung.
Dem Kläger steht gegen den Beklagten auch kein Beseitigungsanspruch auf Rückzahlung der einbehaltenen Payout Fee an die betroffenen Verbraucher gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß §§ 3, 3a UWG in Verbindung mit § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB zu.
Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Nutzungsbedingungen des Beklagten Allgemeine Geschäftsbedingungen sind und die darin enthaltene Klausel über die Erhebung einer Payout Fee in Höhe von 2,50 € bei Auszahlung nicht verbrauchten Guthabens gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist. Denn der Beklagte erbringt mit der Rückerstattung nicht verbrauchter Geldbeträge keine eigenständige vergütungsfähige Leistung, sondern erfüllt eine ohnehin bestehende vertragliche Verpflichtung. Das Berufungsgericht hat ebenso zutreffend gemeint, dass der darin liegende Verstoß gegen §§ 3, 3a UWG geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen, da diese durch die Klausel davon abgehalten werden könnten, Rückzahlungsansprüche gegenüber dem Beklagten geltend zu machen.
Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass der Kläger mit dem wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch vom Beklagten keine Rückzahlung der aufgrund der unwirksamen Klausel einbehaltenen Payout Fee an dessen Kunden verlangen kann. Ein solcher Anspruch steht mit der Systematik des kollektiven Rechtsschutzes nach dem geltenden Recht nicht im Einklang. Der Gesetzgeber hat im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb einen verschuldensabhängigen Gewinnabschöpfungsanspruch zu Gunsten des Bundeshaushalts und einen ebenfalls verschuldensabhängigen Verbraucherschadensersatz vorgesehen. Im Jahr 2023 hat der Gesetzgeber durch das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz die Abhilfeklage eingeführt, mit der qualifizierte Verbraucherverbände gegen Unternehmer gerichtete Ansprüche von Verbrauchern auf Leistung geltend machen können. Das sich daraus ergebende Konzept des kollektiven Rechtsschutzes würde durch einen aus § 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UWG abgeleiteten verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch von qualifizierten Verbraucherverbänden unterlaufen, mit dem ein Unternehmer zur Rückzahlung der von ihm zu Lasten einer Vielzahl von Verbrauchern einbehaltenen Geldbeträge an die betroffenen Verbraucher verpflichtet werden könnte.
Vorinstanzen:
LG Rostock - Urteil vom 15. Dezember 2020 - 3 O 1091/19
OLG Rostock - Urteil vom 15. November 2023 - 2 U 15/21
Wer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen, die nach den §§ 307 bis 309 des Bürgerlichen Gesetzbuchs unwirksam sind, verwendet oder für den rechtsgeschäftlichen Verkehr empfiehlt, kann auf Unterlassung und im Fall des Empfehlens auch auf Widerruf in Anspruch genommen werden.
Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.
(1) Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. […]
(3) Die Ansprüche aus Absatz 1 stehen zu: […]
3. den qualifizierten Verbraucherverbänden, die in der Liste nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen sind, und den qualifizierten Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die in dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 5 Absatz 1 Satz 4 der Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. L 409 vom 4.12.2020, S. 1) eingetragen sind, […]
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist […].
Der BGH hat völlig zutreffend entschieden, dass keine Urheberrechtsverletzung vorliegt und der Fotograf somit keine Ansprüche hat, wenn eine Fototapete auf der Abbildung von Räumlichkeiten im Internet zu sehen ist.
Die Pressemitteilung des BGH: Urheberrechtliche Zulässigkeit der Nutzung von Abbildungen einer Fototapete
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in drei Revisionsverfahren entschieden, dass die Nutzung von Abbildungen einer Fototapete im Internet die nach dem Urheberrechtsgesetz geschützten Rechte an den auf der Tapete abgedruckten Fotografien nicht verletzt.
Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein von einem Berufsfotografen gegründetes Unternehmen, das von dem Fotografen angefertigte Lichtbilder als Fototapeten vermarktet.
Die Beklagte im Verfahren I ZR 139/23 erwarb über eine Internetseite eine Fototapete, auf der eine Fotografie abgedruckt ist, an der die Klägerin Rechte beansprucht. Die Beklagte ließ die Tapete an einer Wand in ihrem Haus anbringen. Die Tapete war in mehreren Videobeiträgen auf ihrem Facebook-Auftritt im Hintergrund zu sehen.
Die Beklagte im Verfahren I ZR 140/23 betreibt eine Web- und Medienagentur. Sie stellte ein Bildschirmfoto der von ihr gestalteten Internetseite eines Tenniscenters auf ihrer eigenen Internetseite ein. Auf dem Bildschirmfoto ist der Gastraum des Tenniscenters mit einer Fototapete zu sehen, an deren Bildmotiv die Klägerin die Urheberrechte beansprucht.
Der Beklagte im Verfahren I ZR 141/23 verwendete eine Fototapete mit einem Bildmotiv, an dem die Klägerin Rechte beansprucht, als Wandtapete in einem Zimmer des von ihm betriebenen Hotels. Die Wandtapete ist auf einem Foto erkennbar, mit dem der Beklagte seine Dienstleistungen im Internet bewarb.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Abbildungen der Fototapeten auf Fotos und Videos im Internet verletze die ihr vom Fotografen eingeräumten Nutzungsrechte an den auf den Tapeten abgedruckten Fotografien. Sie hat die Beklagten in allen Verfahren auf Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten sowie im Verfahren I ZR 141/23 zusätzlich auf Auskunft über den Umfang der Verwendung der Fotografie in Anspruch genommen.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Amtsgericht hat die Klagen abgewiesen. Die Berufungen der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben. Mit den vom Landgericht zugelassenen Revisionen verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs:
Die Revisionen der Klägerin hatten keinen Erfolg.
Die auf § 97 Abs. 1 und 2 UrhG, § 97a Abs. 3 UrhG sowie § 242 BGB gestützten Ansprüche auf Schadensersatz, Erstattung der Abmahnkosten und Auskunftserteilung sind unbegründet, weil der durch die Beklagten jeweils vorgenommene Eingriff in das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung - wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat - aufgrund einer konkludenten Einwilligung des Urhebers gerechtfertigt war.
Ob ein Verhalten des Berechtigten als schlichte Einwilligung in den Eingriff in ein durch das Urheberrechtsgesetz geschütztes Recht anzusehen ist, hängt von dem objektiven Erklärungsinhalt aus der Sicht des Erklärungsempfängers ab. Dabei ist maßgeblich, ob es um nach den Umständen übliche Nutzungshandlungen geht, mit denen der Berechtigte rechnen muss, wenn er sein Werk Nutzern ohne Einschränkungen frei zugänglich macht.
Das Berufungsgericht ist in allen Verfahren in rechtsfehlerfreier tatgerichtlicher Würdigung und im Einklang mit der Lebenserfahrung davon ausgegangen, dass die Vervielfältigung durch Anfertigung von Fotografien und Videoaufnahmen in mit Fototapeten dekorierten Räumen sowie das Einstellen dieser Fotografien und Videos im Internet - sowohl zu privaten als auch zu gewerblichen Zwecken - üblich ist und damit im für den Urheber vorhersehbaren Rahmen der vertragsgemäßen Verwendung der Fototapeten lag. Dem Urheber steht es frei, im Rahmen des Vertriebs vertraglich Einschränkungen der Nutzung zu vereinbaren und auf solche Einschränkungen - etwa durch das Anbringen einer Urheberbezeichnung oder eines Rechtsvorbehalts - auch für Dritte erkennbar hinzuweisen. Daran fehlte es in den Streitfällen.
Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass sich auch die im Verfahren I ZR 140/23 in Anspruch genommene Web- und Medienagentur auf eine wirksame konkludente Einwilligung berufen konnte. Die Wirksamkeit einer Einwilligung setzt nicht voraus, dass sie gegenüber demjenigen erklärt wird, der in Urheberrechte eingreift. Ausreichend ist ein Verhalten des Berechtigten, dem aus der Sicht eines objektiven Dritten die Bedeutung zukommt, dass der Berechtigte den Eingriff in seinen Rechtskreis gestattet. Nicht nur die Käufer von ohne Einschränkungen veräußerten Fototapeten, die ihre Räumlichkeiten damit dekorieren, Fotografien und Videoaufnahmen dieser Räume fertigen und diese im Internet einstellen, können sich auf eine konkludente Einwilligung des Urhebers in die dabei erfolgende Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung der für die Fototapete verwendeten Fotografie berufen. Vielmehr können sich auch Dritte auf eine konkludente Einwilligung des Fotografen stützen, wenn ihre Nutzungshandlungen aus objektiver Sicht als üblich anzusehen sind.
Der Bundesgerichtshof hat außerdem die in allen Verfahren getroffene Annahme des Berufungsgerichts gebilligt, dass Ansprüche wegen Verletzung des Urheberbenennungsrechts gemäß § 13 Satz 2 UrhG nicht bestehen, weil der Urheber im Rahmen des Vertriebs der Fototapeten auf dieses Recht durch schlüssiges Verhalten verzichtet hat.
Der Urheber hat das Recht auf Anerkennung seiner Urheberschaft am Werk. Er kann bestimmen, ob das Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen und welche Bezeichnung zu verwenden ist.
(1) Das Vervielfältigungsrecht ist das Recht, Vervielfältigungsstücke des Werkes herzustellen, gleichviel ob vorübergehend oder dauerhaft, in welchem Verfahren und in welcher Zahl. [...]
Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ist das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.
(1) Wer das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, kann von dem Verletzten auf Beseitigung der Beeinträchtigung, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.
(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. [...]
(3) Soweit die Abmahnung berechtigt ist und Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 4 entspricht, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden. [...]
EuGH
Urteil vom 10.09.2024 C-48/22 P
Google und Alphabet / EU-Kommission (Google Shopping)
Der EuGH hat entschieden, dass die Geldbuße von 2,4 Mrd EURO der EU-Kommission gegen Alphabet / Google wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung im Zusammenhang mit Google-Shopping bzw. Preisvergleichsdiensten rechtmäßig ist.
Die Pressemitteilung des EuGH: Der Gerichtshof bestätigt die Geldbuße von 2,4 Mrd. Euro, die gegen Google wegen Missbrauchs seiner beherrschenden Stellung durch Begünstigung des eigenen Preisvergleichsdiensts verhängt wurde
Das Rechtsmittel von Google und Alphabet wird zurückgewiesen.
2017 verhängte die Kommission eine Geldbuße von etwa 2,4 Mrd. Euro gegen Google, weil das Unternehmen seine beherrschende Stellung auf mehreren nationalen Märkten für Online-Suchdienste missbraucht habe, indem es den eigenen Preisvergleichsdienst gegenüber denjenigen der Wettbewerber begünstigt habe. Da das Gericht diesen Beschluss im Wesentlichen bestätigte, legten Google und Alphabet ein Rechtsmittel beim Gerichtshof ein. Dieser weist das Rechtsmittel zurück und bestätigt damit das Urteil des Gerichts.
Mit Beschluss vom 27. Juni 2017 stellte die Kommission fest, dass Google in 13 Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) auf seiner Seite für allgemeine Suchergebnisse die Ergebnisse seines eigenen Preisvergleichsdienstes gegenüber denjenigen konkurrierender Preisvergleichsdienste bevorzugt habe. Google präsentierte nämlich die Suchergebnisse seines Preisvergleichsdienstes an oberster Stelle und – mit attraktiven Bildund Textinformationen versehen – hervorgehoben in „Boxen“. Die Suchergebnisse konkurrierender Preisvergleichsdienste erschienen dagegen nur an nachrangiger Stelle in Form blauer Links und konnten deshalb – anders als die Ergebnisse des eigenen Preisvergleichsdienstes – von Ranking-Algorithmen auf den allgemeinen Suchergebnisseiten von Google herabgestuft werden.
Die Kommission gelangte zu dem Ergebnis, dass Google seine beherrschende Stellung auf den Märkten für allgemeine Online-Suchdienste und für spezielle Warensuchdienste missbraucht habe, und verhängte daher eine Geldbuße in Höhe von 2 424 495 000 Euro, für die Alphabet als Alleingesellschafterin von Google in Höhe von 523 518 000 Euro gesamtschuldnerisch haftet.
Google und Alphabet fochten den Beschluss der Kommission vor dem Gericht der Europäischen Union an. Mit Urteil vom 10. November 20213 wies das Gericht die Klage im Wesentlichen ab und bestätigte insbesondere die Geldbuße. Das Gericht hielt es dagegen nicht für erwiesen, dass das Verhalten von Google auch nur potenzielle wettbewerbswidrige Auswirkungen auf den Markt für allgemeine Suchdienste hatte. Daher erklärte es den Beschluss für nichtig, soweit die Kommission darin auch in Bezug auf diesen Markt eine Zuwiderhandlung gegen das Verbot des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung festgestellt hatte.
Google und Alphabet haben daraufhin ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt, mit dem sie beantragen, das Urteil des Gerichts aufzuheben, soweit ihre Klage abgewiesen wurde, und den Kommissionsbeschluss für nichtig zu erklären.
Mit seinem Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof das Rechtsmittel zurück und bestätigt damit das Urteil des Gerichts.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass das Unionsrecht4 nicht das Vorliegen einer beherrschenden Stellung selbst beanstandet, sondern nur deren missbräuchliche Ausnutzung. Konkret sind Verhaltensweisen von Unternehmen in beherrschender Stellung verboten, die den Leistungswettbewerb beschränken und somit geeignet sind, einzelnen Unternehmen und Verbrauchern zu schaden. Dazu gehören Verhaltensweisen, die durch den Einsatz anderer Mittel als denen eines Leistungswettbewerbs die Aufrechterhaltung oder die Entwicklung des Wettbewerbs auf einem Markt behindern, auf dem der Grad des Wettbewerbs gerade wegen der Anwesenheit eines oder mehrerer Unternehmen in beherrschender Stellung bereits geschwächt ist.
Zwar kann, so der Gerichtshof, nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein beherrschendes Unternehmen, das seine eigenen Waren oder Dienstleistungen günstiger behandelt als diejenigen seiner Wettbewerber, unabhängig von den Umständen des Einzelfalls ein vom Leistungswettbewerb abweichendes Verhalten an den Tag legt. Im vorliegenden Fall hat das Gericht jedoch zu Recht festgestellt, dass das Verhalten von Google in Anbetracht der Merkmale des Marktes und der spezifischen Umstände des Falles diskriminierend ist und nicht dem Leistungswettbewerb entspricht.
OVG Schleswig-Holstein
Urteil vom 07.08.2024 8 A 159/20
Das OVG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass bei YouTube veröffentlichte Dashcam-Aufnahmen vom Uploader verpixelt werden müssen, so dass Personen und KfZ-Kennzeichen nicht zu erkennen sind.
Aus den Entscheidungsgründen: Rechtsgrundlage für die Anordnung der Beklagten ist Art. 58 Abs. 2 Buchst. d DS-GVO in Verbindung mit Art. 12, 13 Abs. 1 Buchst. d DS-GVO. Gemäß Art. 58 Abs. 2 Buchst. d DS-GVO verfügt jede Aufsichtsbehörde – und damit auch die Beklagte – über sämtliche Abhilfebefugnisse, die es ihr gestatten, den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit dieser Verordnung zu bringen.
Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 DS-GVO trifft der Verantwortliche geeignete Maßnahmen, um der betroffenen Person alle Informationen gemäß den Artikeln 13 und 14 und alle Mitteilungen gemäß den Artikeln 15 bis 22 und Artikel 34, die sich auf die Verarbeitung beziehen, in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zu übermitteln. Die Übermittlung der Informationen erfolgt schriftlich oder in anderer Form, gegebenenfalls auch elektronisch.
Entgegen der Ansicht des Klägers folgen die ihn treffenden Informationspflichten bei der Erstellung von Videoaufnahmen aus Art. 13 DS-GVO und nicht aus Art. 14 DS-GVO. Insoweit besteht zwischen Art. 13 und 14 DS-GVO im Hinblick auf den Zeitpunkt der Informationspflichten ein wesentlicher Unterschied. Bei Art. 13 DS-GVO sind die nach der Vorschrift erforderlichen Informationen der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Daten zu erteilen, während bei Art. 14 DS-GVO die Informationen erst innerhalb einer angemessenen Frist nach Erlangung der personenbezogenen Daten, längstens jedoch innerhalb eines Monats erteilt werden müssen (Art. 14 Abs. 3 DS-GVO).
Art. 13 DS-GVO betrifft die Datenerhebung bei der betroffenen Person, während Art. 14 DS-GVO greift, wenn die Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben wurden. Unter welchen Voraussetzungen von einer Datenerhebung bei der betroffenen Person auszugehen ist, ist Art. 13 und 14 DS-GVO nicht zu entnehmen.
Die Abgrenzung der Datenerhebung nach Art. 13 DS-GVO von derjenigen nach Art. 14 DS-GVO hat nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters nach objektiven Kriterien zu erfolgen, insbesondere anhand des Ortes der Datenerhebung (vgl. Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, 48. Ed., Stand: 1. Mai 2024, Art. 14 Rn. 30) oder der Mitwirkung der betroffenen Person. Einer Abgrenzung nach subjektiven Kriterien, insbesondere der Kenntnis der betroffenen Person von der Datenerhebung (vgl. dazu Franck in: Gola/Heckmann, DS-GVO - BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 13 Rn. 4) stehen einerseits Abgrenzungsschwierigkeiten entgegen und der Umstand, dass der Verantwortliche anderenfalls durch offene oder verdeckte Datenerhebung wählen könnte, ob Art. 13 oder 14 DS-GVO eingreift. Letzteres wiederum hätte zur Folge, dass sich der Verantwortliche den Informationspflichten letztendlich vollständig durch verdeckte Datenerhebungen entziehen könnte, weil die betroffenen Personen dem Verarbeitenden oftmals unbekannt sind mit der Folge, dass Informationen im Nachhinein aus tatsächlichen Gründen nicht mehr erteilt werden können und der Ausschlusstatbestand des Art. 14 Abs. 5 Buchst. b DS-GVO griffe (Bäcker in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 4. Aufl. 2024, Art. 13 Rn. 13 f.). Dies ist mit dem in Erwägungsgrund 6 DS-GVO normierten Ziel der Gewährleistung eines hohen Datenschutzniveaus trotz Zunahme des Datenaustausches nicht zu vereinbaren.
Vor diesem Hintergrund sind Videoaufzeichnungen unabhängig von der Frage, ob es sich um offene (mit Hinweisschild oder ähnlichem Hinweis) oder verdeckte Aufzeichnungen handelt, als Datenerhebung bei der betroffenen Person nach Art. 13 DS-GVO anzusehen (vgl. Bäcker in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 4. Aufl. 2024, Art. 13 Rn. 15; a. A. Paal/Hennemann in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2021, Art. 13 Rn. 11b; Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, 48. Ed., Stand: 1. Mai 2024, Art. 14 DS-GVO Rn. 31.2).
Die Differenzierung nach offenen und verdeckten Videoaufzeichnungen hätte auch hier zur Folge, dass der Verantwortliche im Ergebnis selbst wählen könnte, ob Art. 13 oder 14 DS-GVO einschlägig ist, indem er die Videoaufzeichnung entweder offen oder verdeckt ausführt. Dies hätte wiederum zur Folge, dass bei verdeckten Videoaufzeichnungen letztendlich oft keine Informationspflichten eingehalten werden müssten, weil die aufgezeichneten Personen dem Verantwortlichen unbekannt sind und deshalb der Ausschlusstatbestand des Art. 14 Abs. 5 Buchst. b DS-GVO greift (vgl. Bäcker in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 4. Aufl. 2024, Art. 13 Rn. 13 f.).
Bezogen auf das streitgegenständliche Filmen mittels einer auf das Autodach montierten Kamera hätte die Abgrenzung nach dem subjektiven Merkmal der Kenntnis zudem Abgrenzungsprobleme in der Form zur Folge, dass der Kläger jeweils prüfen müsste, ob die Person die Kamera gesehen und damit Kenntnis von den Videoaufzeichnungen hat. In diesem Fall griffe dann Art. 13 DS-GVO. Im anderen Fall, in dem die betroffene Person die Kamera nicht gesehen hat, griffe Art. 14 DS-GVO ein und der Kläger müsste die darin normierten nachträglichen Informationspflichten erfüllen. Dazu müsste der Kläger bei jeder gefilmten Person prüfen, ob diese die Kamera gesehen beziehungsweise auf irgend eine Art davon Kenntnis erlangt hat. Bei allen anderen Personen müsste er prüfen, ob er die Informationen nachträglich erteilen kann oder der Ausschlusstatbestand des Art. 14 Abs. 5 Buchst. b DS-GVO greift. Diese Vorgehensweise erscheint nicht praxistauglich.
Der Kläger ist ausgehend von diesen Maßstäben nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. d DS-GVO verpflichtet, der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Datenerhebung die berechtigten Interessen mitzuteilen, die von dem Verantwortlichen oder einem Dritten verfolgt werden, wenn die Verarbeitung auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO beruht.
Der Kläger hat sich vorliegend insbesondere auf seine Kunstfreiheit und seine Berufsfreiheit und damit auf berechtigte Interessen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO berufen.
Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO erfolgt die Übermittlung der Informationen schriftlich oder in anderer Form, gegebenenfalls auch elektronisch. Jedenfalls über seine berechtigten Interessen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO kann der Kläger auch in der von ihm gewählten Form informieren, dass sich auf dem Kraftfahrzeug ein Hinweis auf seine Website befindet, auf der dann wiederum die erforderlichen Informationen nachzulesen sind. Insoweit ist ein Medienbruch zulässig (vgl. Bäcker in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 4. Aufl. 2024, Art. 12 Rn. 16). Gewisse Verarbeitungssituationen lassen es schlichtweg nicht zu, sämtliche Transparenzinformationen unmittelbar zur Verfügung zu stellen (vgl. Franck in: Gola/Heckmann, DS-GVO – BDSH, 3. Aufl. 2022, Art. 13 DS-GVO Rn. 43).
So ist auch hier zu berücksichtigen, dass beim Vorbeifahren eines Kraftfahrzeuges nur in begrenztem Umfang auf dem Kraftfahrzeug angebrachte Informationen von den betroffenen Personen wahrgenommen werden können und diese deshalb auf die essentiellen Informationen beschränkt werden müssen. Dazu zählen die berechtigten Interessen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO nicht. Hier ist es ausreichend, wenn die betroffenen Personen die Informationen auf Sekundärebene über eine Website abrufen können.
Vor diesem Hintergrund ist auch Ziffer 4 des Bescheides der Beklagten vom 19. Oktober 2020 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit sich die Nachweispflicht mittels eines Fotos auf die Pflicht bezieht, bei der Anfertigung von personenbezogenen Filmaufnahmen sichtbar darauf hinzuweisen, welche berechtigten Interessen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO durch die Anfertigung der Filmaufnahmen verfolgt werden.
Im Übrigen sind Ziffer 3 und 4 des Bescheides der Beklagten vom 19. Oktober 2020 rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die für die betroffenen Personen essentiellen Informationen nach Art. 13 Abs. 1 DS-GVO müssen ohne Medienbruch bei der Verarbeitung mitgeteilt werden (vgl. Franck in: Gola/Heckmann, DS-GVO – BDSH, 3. Aufl. 2022, Art. 13 DS-GVO Rn. 43). Dazu zählen jedenfalls die von der Beklagten angenommenen Hinweise darauf, dass Filmaufnahmen für den Zweck der Veröffentlichung im Internet erstellt werden (Art. 12 Abs. 1 Buchst. c DS-GVO), wer Verantwortlicher der Verarbeitung ist sowie dessen Kontaktdaten (Art. 12 Abs. 1 Buchst. a DS-GVO).
Diese überschaubare Anzahl an Daten kann bei gefilmten Personen bei einem Hinweis auf dem Kraftfahrzeug des Klägers noch wahrgenommen werden. Gleichzeitig ist die Information über diese Daten für die Wahrung der Rechte der betroffenen Personen notwendig, damit auch Personen mit wenig Medienkompetenz hinreichend informiert sind und ihre Rechte möglichst umfassend ausüben können.
Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides ist hinsichtlich der nicht zu beanstandenden Informationspflichten nach Ziffer 3 des Bescheides ebenfalls nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist Art. 58 Abs. 1 Buchst. a DS-GVO. Danach verfügt Jede Aufsichtsbehörde über sämtliche Untersuchungsbefugnisse, die es ihr gestatten, unter anderem den Verantwortliche anzuweisen, alle Informationen bereitzustellen, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind.
Das von der Beklagten geforderte Foto ist notwendig, um überprüfen zu können, ob der Kläger die von der Beklagten geforderten Informationspflichten nach Art. 13 DS-GVO beachtet. Dazu ist die Beklagte nach Art. 57 Abs. 1 Buchst. a DS-GVO verpflichtet. Ermessensfehler sind insoweit weder vorgetragen noch ersichtlich. An der Verhältnismäßigkeit bestehen keine Zweifel.
Im Übrigen ist der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2020 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Zunächst leidet der Bescheid nicht an fehlender Bestimmtheit. Gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das bedeutet zum einen, dass der Adressat in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Zum anderen muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts (BVerwG, Urt. v. 15. Februar 1990 – 4 C 41.87 – juris Rn. 29).
Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Bei der Ermittlung dieses objektiven Erklärungswertes sind alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen, insbesondere auch die Begründung des Verwaltungsakts. Die Begründung hat einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Regelungsgehalt. Sie ist die Erläuterung der Behörde, warum sie den verfügenden Teil ihres Verwaltungsakts so und nicht anders erlassen hat. Die Begründung bestimmt damit den Inhalt der getroffenen Regelung mit, sodass sie in aller Regel unverzichtbares Auslegungskriterium ist (BVerwG, Urt. v. 16. Oktober 2013 – 8 C 21.12 – juris Rn. 14).
Gemessen an diesen Maßstäben ist der Bescheid hinreichend bestimmt. Für den Kläger ist unter Berücksichtigung von Tenor und Begründung des Bescheides hinreichend klar, unter welchen Voraussetzungen die Aufnahmen so verändert werden müssen, dass Personen, nicht mehr anhand ihrer äußerlichen Erscheinung identifiziert werden können (Ziffer 1 und 2 des Bescheides) und was für ein Foto er einreichen soll (Ziffer 4 des Bescheides).
Dies ist bei Auslegung des Bescheides aus dem objektiven Empfängerhorizont immer dann der Fall, wenn aufgrund besonderer Umstände des Straßenverkehrs nicht mehr die Straße und die sie umgebende Landschaft die Aufnahme prägt. In den vom Kläger bislang veröffentlichten Aufnahmen prägt – im fließenden Verkehr – ganz überwiegend die Straße und die sie umgebende Straßenlandschaft das Bild. Gelegentlich passiert der Kläger dabei Personen, die jedoch im Hintergrund bleiben und kaum zu erkennen sind.
Anders verhält es sich unterdessen, wenn Personen aufgrund der äußeren Umstände der Verkehrssituation dicht an die auf dem Fahrzeugdach montierte Kamera herantreten, insbesondere an Ampeln, bei Verkehrsüberwegen und an Kreuzungen. In diesem Fall gerät die Person – angesichts der geringen Geschwindigkeit eines Fußgängers, Fahrradfahrers etc. über einen längeren Zeitraum – in den Fokus der Aufnahme mit der Folge, dass die Straße und die Straßenlandschaft verdeckt wird und in den Hintergrund gerät.
Zugegebenermaßen verbleiben dabei Abgrenzungsschwierigkeiten, weil nicht anhand fester Kriterien vom Kläger oder einem eingesetzten Algorithmus festgestellt werden kann, wie lange etwa eine Person aufgezeichnet werden muss, welchen Anteil sie vom Bildausschnitt ausfüllen muss beziehungsweise ab welcher Entfernung zur Kamera eine Anonymisierung zu erfolgen hat. Derartige feste Kriterien sind jedoch für die Abgrenzung nicht geeignet, weil anhand festgelegter Werte die Umstände der jeweils gegebenen konkreten Situation der Aufnahme nicht hinreichend gewürdigt werden können. Verbleibende Abgrenzungsschwierigkeiten sind in Kauf zu nehmen.
Dies vorangestellt hat die Beklagte zu Recht die Abgrenzungskriterien der sogenannten Beiwerk-Rechtsprechung zu § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG entsprechend herangezogen.
Nach dieser Vorschrift dürfen ohne die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung verbreitet und zur Schau gestellt werden Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen. Auch hier ist die Abgrenzung zwischen Haupt- und Beiwerk schwierig.
Die Vorschrift stellt in erster Linie auf das Verhältnis des Abgebildeten zu der übrigen Aussage des Bildes, auf seinen Stellenwert im Gesamteindruck des Bildes, nicht auf den Grad seiner Erkennbarkeit ab. Von einem Beiwerk in diesem Sinn kann grundsätzlich dann keine Rede sein, wenn die Person das Bild fast ganz ausfüllt (BGH, Urt. v. 26. Juni 1979 – VI ZR 108/78 – juris Rn. 18). Maßgeblich ist, ob entsprechend dem Gesamteindruck der Veröffentlichung die Landschaft oder die sonstige Örtlichkeit Abbildungsgegenstand ist und die einzelnen Abgebildeten nur "bei Gelegenheit" erscheinen oder ob einzelne aus der Anonymität herausgelöst werden (LG Oldenburg, Beschl. v. 23. uar 1986 – 5 O 3667/85 – GRUR 1986, 464, 465). Voraussetzung hierfür ist, dass nach dem Gesamteindruck der Veröffentlichung die Landschaft der den Gesamtcharakter des Bildes prägende Abbildungsgegenstand ist und die auf dem Bild erkennbaren Personen derart untergeordnetes Beiwerk darstellen, dass sie auch entfallen könnten, ohne dass Inhalt und Charakter des Bildes sich veränderten (OLG Oldenburg (Oldenburg), Urt. v. 14. November 1988 – 13 U 72/88 – juris Rn. 28). Die Personenabbildung muss derart untergeordnet sein, dass sie auch entfallen könnte, ohne dass Gegenstand und Charakter des Bildes sich verändern. Wesentlich ist damit, dass die Personendarstellung untergeordnet und nicht selbst Thema des Bildes ist (OLG Karlsruhe, Urt. v. 18. August 1989 – 14 U 105/88 – juris Rn. 27). Der Stellenwert der Personen entsprechend dem Gesamteindruck des Bildes muss gegenüber dem Stellenwert der Landschaft erheblich niedriger sein (OLG München, Urt. v. 13. November 1987 – 21 U 2979/87 – juris Rn. 31).
Ausgehend von dieser Rechtsprechung hat die Beklagte zu Recht für maßgeblich im Hinblick auf die Pflicht zur Anonymisierung darauf abgestellt, ob sich eine Person nach dem Gesamteindruck im Vordergrund des Bildausschnitts befindet.
In Bezug auf die in Ziffer 4 des Bescheides angeordnete Verpflichtung, durch Übersendung eines Fotos die Erfüllung der Informationspflichten nach Ziffer 3 des Bescheides nachzuweisen, bestehen im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz keine Bedenken. Es ist ohne weiteres verständlich, dass ein Foto des klägerischen Kraftfahrzeuges mit den nach Ziffer 3 des Bescheides geforderten Informationen einzureichen ist.
Rechtsgrundlage für Ziffer 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides ist Art. 58 Abs. 2 Buchst. f DS-GVO. Danach verfügt jede Aufsichtsbehörde über Abhilfebefugnisse, die es ihr gestatten, eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, zu verhängen.
Tatbestandsvoraussetzung für die Abhilfemaßnahmen des Art. 58 Abs. 2 DS-GVO ist das Vorliegen eines Verstoßes gegen die DS-GVO. Ein solcher Verstoß liegt insbesondere dann vor, wenn Daten ohne entsprechende Rechtsgrundlage verarbeitet werden. Dies war vorliegend der Fall.
Das Veröffentlichen von Aufnahmen, bei denen Personen, soweit sie sich nach dem Gesamteindruck im Vordergrund des Bildausschnitts befinden und Kraftfahrzeug-Kennzeichen gelesen werden können, stellt eine rechtswidrige Datenverarbeitung dar.
Bei der Veröffentlichung von Filmen, auf denen betroffene Personen zu erkennen sind, handelt es sich um personenbezogene Daten. Dazu zählen nach Art. 4 Nr. 1 Hs. 1 DS-GVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Als identifizierbar wird nach Art. 4 Nr. 1 Hs. 2 DS-GVO eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann.
Das von einer Kamera aufgezeichnete Bild einer Person fällt daher unter den Begriff der personenbezogenen Daten, sofern es die Identifikation der betroffenen Person ermöglicht (vgl. EuGH, Urt. v. 11. Dezember 2014 – C-212/13 – juris Rn. 22). Dies ist jedenfalls für Personen anzunehmen, die sich nach dem Gesamteindruck im Vordergrund des Bildausschnitts befinden. Anhand ihrer äußeren Erscheinung können sie zumindest über Fotos sowie durch Personen, denen die äußere Erscheinung bekannt ist, identifiziert werden.
Auch Kraftfahrzeug-Kennzeichen stellen personenbezogene Daten dar, weil sie einem Halter und gegebenenfalls auch einem Fahrer zurechenbar sind (vgl. Schild in: BeckOK Datenschutzrecht, 48. Ed., Stand: 1. Mai 2024, Art. 4 DS-GVO Rn. 21). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Halterabfragen beim Kraftfahrt Bundesamt nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind.
Dies gilt uneingeschränkt für alle Kennzeichen, unabhängig davon, ob das Fahrzeug auf eine natürliche oder juristische Person zugelassen ist, weil die Kennzeichen auch bei auf juristische Personen zugelassenen Kraftfahrzeugen Rückschlüsse auf die Fahrer vermitteln können. Die DS-GVO findet nach Erwägungsgrund 14 auf juristische Personen keine Anwendung. Die hinter der juristischen Person stehenden natürliche Personen sind jedoch geschützt, wenn sich die Daten der juristischen Person auch auf sie beziehen (vgl. Gola in: Gola/Heckmann, DS-GVO - BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 4 Rn. 28). Jedenfalls Mitarbeiter oder anderweitig informierte Personen können ein Kraftfahrzeug einer juristischen Person über das Kennzeichen einer natürlichen Person als Fahrer zuordnen. So könnte etwa festgestellt werden, dass der Fahrer eines Fahrzeugs seines Arbeitsgebers (juristische Person) bei einer Dienstfahrt von der vorgegebenen Route abgewichen und in seiner Dienstzeit einer privaten Tätigkeit nachgegangen ist.
Im Einzelfall mag bei auf juristische Personen zugelassenen Fahrzeugen eine Identifizierung des Fahrers selbst unter Auswertung sämtlicher Datenquellen nicht möglich sein. Unter dem Aspekt einer praxistauglichen datenschutzrechtlichen Verfügung ist es jedoch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte in Ziffer 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides diese Fälle nicht vom Anwendungsbereich ihrer Anordnung ausgenommen hat. Es ist in tatsächlicher Hinsicht nicht möglich, zu erkennen, ob ein Kraftfahrzeug auf eine juristische oder eine natürliche Person zugelassen und deshalb dem Anwendungsbereich der DS-GVO unterfällt oder nicht. Dies ließe sich allenfalls durch eine Halterauskunft ermitteln. Auch Werbeaufschriften oder Ähnliches auf Fahrzeugen lassen keinen sicheren Schluss auf den Halter des Fahrzeugs zu, weil jeder Halter beziehungsweise Eigentümer eines Kraftfahrzeuges grundsätzlich frei über die äußere Gestaltung seines Fahrzeugs entscheiden kann. Zudem kann der Verantwortliche nicht erkennen, ob über das Kennzeichen etwa mittels eines Fahrtenbuches möglicherweise Rückschlüsse auf den Fahrer als natürliche Person gezogen werden können.
Das von dem Bescheid der Beklagten erfasste Veröffentlichen der Filme auf der Website Youtube stellt eine Datenverarbeitung dar. Nach Art. 4 Nr. 2 DS-GVO bezeichnet „Verarbeitung“ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie unter anderem die Speicherung und die Offenlegung durch Verbreitung.
Die Datenverarbeitung ist nach Art. 6 Abs. 1 DS-GVO nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der unter den Buchst. a bis f aufgeführten Bedingungen erfüllt ist.
Insbesondere eine Einwilligung der gefilmten Personen liegt nicht vor. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO ist die Datenverarbeitung rechtmäßig, wenn die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.
Das Filmen und die Veröffentlichung der Aufnahmen ohne Anonymisierung ist zunächst als Betätigung der von Art. 13 GRCh geschützten Kunstfreiheit, der von Art. 15 Abs. 1 GRCh geschützten Berufsfreiheit und der von Art. 16 GRCh geschützten Unternehmerischen Freiheit einzuordnen und stellt damit ein berechtigtes Interesse dar.
Die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen auch erforderlich. Dieses Tatbestandsmerkmal ist erfüllt, wenn kein anderes, gleich effektives Mittel ersichtlich ist (VG Ansbach, Urt. v. 23. Februar 2022 – AN 14 K 20.00083 – juris Rn. 40). Die Anonymisierung stellt kein gleich effektives Mittel dar, weil sie den Kläger in seiner Kunstfreiheit, Berufsfreiheit und der Unternehmerischen Freiheit beeinträchtigt.
Die Beklagte ist jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass die Abwägung hier zu Lasten des Klägers ausfällt.
Abzuwiegen sind hier die berechtigten Interessen des Klägers als Verantwortlichen einerseits und die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, andererseits. Erfasst – wie hier – derselbe Sachverhalt eine Vielzahl von betroffenen Personen, erfolgt die Abwägung anhand einer summarischen Prüfung der Belange der betroffenen Personen unter Zugrundelegung von Erfahrungswerten (Schulz in: Gola/Heckmann, DS-GVO – BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 63).
Maßgeblich ist insoweit insbesondere die Eingriffsintensität, die Art der betroffenen Personen, die Zwecke der Datenverarbeitung sowie die Sphäre, in die eingegriffen wird (vgl. Schulz in: Gola/Heckmann, DS-GVO – BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 63).
Die gefilmten Personen sind in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie des Rechts am eigenen Bild als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG berührt und zwar in erheblicher Weise.
Zunächst handelt es sich angesichts der Vielzahl an veröffentlichten Videos um eine erhebliche Vielzahl an betroffenen Personen, auch wenn je Video abhängig von der gefilmten Straßenlandschaft teilweise nur vereinzelt Personen in den Vordergrund des Bildausschnitts geraten. Die zufällig gefilmten Personen können sich dem Filmen zudem kaum beziehungsweise nur dann entziehen, wenn sie die Kamera bemerkt haben. Dies ist gerade bei größeren Kreuzungen oder unübersichtlicheren Verkehrssituationen oder wenn die gefilmten Personen durch Gespräche, Telefonate etc. abgelenkt sind nicht unbedingt der Fall.
Eingriffsmindernd ist auf der anderen Seite zu berücksichtigen, dass die Personen lediglich in ihrer Sozialsphäre betroffen sind. Die belastenden Auswirkungen der Verarbeitung auf die betroffenen Personen stellen sich zudem nach allgemeiner Lebenserfahrung und mangels entgegenstehender Anhaltspunkte als eher gering dar.
Dennoch überwiegen diese Interessen der betroffenen Personen die berechtigten Interessen des Klägers. Die Verpflichtung des Klägers, die veröffentlichten Filmaufnahmen aus dem öffentlichen Straßenverkehr so zu verändern, dass Personen, soweit sie sich nach dem Gesamteindruck im Vordergrund des Bildausschnitts befinden, nicht mehr anhand ihrer äußerlichen Erscheinung identifiziert werden können und Kraftfahrzeug-Kennzeichen nicht gelesen werden können, stellt nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters einen Eingriff von geringer Intensität dar. Betroffen sind zunächst nur besondere Situationen, in denen Personen – anders als im fließenden Verkehr – in den Vordergrund geraten. Der ganz überwiegende Anteil der Aufnahmen ist nicht von der Pflicht zur Anonymisierung betroffen. Unter Würdigung der Gesamtumstände werden die vom Kläger erstellten und veröffentlichten Aufnahmen von Straßenlandschaften in ihrer Darstellung und Wirkung durch die Anonymisierung der Personen, die sich nach dem Gesamteindruck im Vordergrund des Bildausschnitts befinden, lediglich geringfügig beeinträchtigt, weil sich der Eindruck der Straßenlandschaft durch die Anonymisierung kaum verändert. Die abgebildete Person ist lediglich nicht mehr zu erkennen.
Erwägungsgrund 47 Satz 4 DS-GVO sieht zudem vor, dass insbesondere dann, wenn personenbezogene Daten in Situationen verarbeitet werden, in denen eine betroffene Person vernünftigerweise nicht mit einer weiteren Verarbeitung rechnen muss, die Interessen und Grundrechte der betroffenen Person das Interesse des Verantwortlichen überwiegen könnten.
Im öffentlichen Straßenverkehr können betroffene Personen grundsätzlich davon ausgehen, dass sie nicht gefilmt werden. Da vorliegend nichts dafür spricht, von diesem Grundsatz abzuweichen, führt auch dies zu einem Überwiegen der Interessen der betroffenen Personen.
Diese Wertung muss erst Recht für Kraftfahrzeug-Kennzeichen gelten. Es mag für den Kläger zusätzlichen Aufwand bedeuten, die Kennzeichen etwa durch eine Verpixelung zu anonymisieren. Im Übrigen werden die Aufnahmen der Straßenlandschaften durch die Anonymisierung der Kennzeichen jedoch nur sehr geringfügig verändert, so dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das Recht am eigenen Bild als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG der Halter beziehungsweise Fahrer der gefilmten Kraftfahrzeuge überwiegt.
Rechtsfolge von Art. 58 Abs. 2 Buchst. f DS-GVO ist, dass der Aufsichtsbehörde bezüglich der Wahl der konkreten Abhilfemaßnahme ein Ermessen zusteht (vgl. dazu Erwägungsgrund 129 DS-GVO), welches gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist, § 114 VwGO. Vorliegend sind Ermessensfehler nicht ersichtlich. Die Beklage hat ihr Ermessen ausgeübt, indem sie unter den verschiedenen Möglichkeiten die aus ihrer Sicht am wenigsten einschränkende, lediglich punktuelle Veränderung der Aufnahmen angeordnet hat (vgl. S. 8 des Bescheides).
Das LG Hamburg hat entschieden, dass die New York Times keine Ansprüche wegen bösgläubiger Markenanmeldung gegen den Inhaber der deutschen Marke "Wordle" hat.
Aus den Entscheidungsgründen: Der Klägerin stehen der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten weder unter dem Gesichtspunkt des Werktitelschutzes noch aus ihrer Unionswortmarke „WORDLE“ zu (dazu unten I.). Ein Anspruch auf Einwilligung in die Löschung der deutschen Wortmarke „Wordle“ des Beklagten steht ihr nicht unter dem vorrangig geltend gemachten Aspekt der Markenanmeldung in Behinderungsabsicht und auch nicht aufgrund eines prioritätsbesseren Werktitelrechts zu (dazu unten II.). Schließlich stehen ihr auch die geltend gemachten Annexansprüche auf Auskunftserteilung, Schadensersatzfeststellung und Rückruf entsprechend gekennzeichneter Ware gegen den Beklagten nicht zu (dazu III.).
I. Der Klägerin steht kein Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten wegen Nutzung des Zeichens „W.“ in der aus den Einblendungen in den Klagantrag ersichtlichen Weise zu.
1. Sie kann sich nicht mit Erfolg auf einen Unterlassungsanspruch aus § 15 Abs. 2, Abs. 4 MarkenG i. V. m. § 5 Abs. 1, Abs. 3 MarkenG gegen den Beklagten berufen. Ihr steht nämlich kein gegenüber der deutschen Wortmarke „Wordle“ des Beklagten prioritätsbesseres Recht am Werktitel „WORDLE“ zu (a.) und dem Beklagten ist es nicht aus lauterkeitsrechtlichen Gründen oder unter dem Gesichtspunkt der bösgläubigen Markenanmeldung verwehrt, sich auf sein Markenrecht zu berufen (b.).
a. Der Klägerin steht kein deutsches Werktitelrecht zu, das vor dem Zeitpunkt der Anmeldung der deutschen Wortmarke „Wordle“ durch den Beklagten am 1. Februar 2022 entstanden wäre. Sie selbst hat das Zeichen „WORDLE“ erst im Laufe des Februars 2022 auf ihrer Webseite genutzt. Ihr stehen aber auch keine Werktitelrechte zu, welche durch die Vereinbarung mit J. W. vom 31. Januar 2022 auf sie übergegangen wären. J. W. hat nämlich zu diesem Zeitpunkt selbst kein Recht an einem Werktitel im Sinne von § 5 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 3 MarkenG erworben, über das er mit der Vereinbarung vom 31. Januar 2022 verfügen konnte.
aa. Der Werktitelschutz als geschäftliche Bezeichnung im Sinne von § 5 Abs. 1 Alt. 2 MarkenG entsteht grundsätzlich mit der Aufnahme der Benutzung eines unterscheidungskräftigen Titels im geschäftlichen Verkehr im Inland (BGH, GRUR 2019, 535 Rn. 17 – Das Omen; GRUR 2009, 1055 Rn. 41 – airdsl; GRUR 2000, 70, 72, juris-Rn. 28 – SZENE; GRUR 1998, 1010, 1012, juris-Rn. 23 – WINCAD). Es kommt auf die Wahrnehmbarkeit des Werks auf dem Markt an (BeckOK MarkenR/Weiler, 36. Ed. 1.1.2024, MarkenG, § 5 Rn. 220). Das setzt grundsätzlich eine Veröffentlichung voraus. Es spielt keine Rolle, ob der Bezug für den Verkehr mit Entgelten verbunden ist, solange sich der Vertrieb an die Öffentlichkeit richtet (Ingerl/Rohnke/Nordemann/J. B. Nordemann, 4. Aufl. 2023, MarkenG § 5 Rn. 95).
Die Rechtsprechung legt an das Vorliegen eines Handelns im geschäftlichen Verkehr regelmäßig großzügige Maßstäbe an. Der Begriff ist weit auszulegen und umfasst jede wirtschaftliche Betätigung, mit der in Wahrnehmung oder Förderung eigener oder fremder Geschäftsinteressen am Erwerbsleben teilgenommen wird. Eine Gewinnerzielungsabsicht oder Entgeltlichkeit der Handlung ist nicht erforderlich. Nicht erfasst werden demgegenüber lediglich rein private, wissenschaftliche, politische und amtliche Handlungen. Für das Handeln im geschäftlichen Verkehr kommt es auf die erkennbar nach außen tretende Zielrichtung des Handelnden an. Ein Handeln im geschäftlichen Verkehr ist stets gegeben, wenn juristische Personen handeln. Bei Privatpersonen, Idealvereinen und hoheitlichem Handeln bedarf es dagegen der positiven Feststellung eines Handelns im geschäftlichen Verkehr (BeckOGK/B. Koch, 1.8.2023, BGB § 12 Rn. 529 m. w. Nachw.).
Die Frage, wann Werktitel im geschäftlichen Verkehr genutzt werden, ist – soweit ersichtlich – bislang weder von der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch von der Kommentarliteratur in den Blick genommen worden. Für den aus Sicht der Kammer vergleichbaren Fall der Nutzung von Internetdomains wird angenommen, dass es einer positiven Feststellung bedarf, dass die Domain im geschäftlichen Verkehr benutzt wird, wobei im Zweifel von einer rein privaten Nutzung auszugehen ist (BGH GRUR 2008, 1099, 1100 – afilias.de). Sind unter der Domain bereits Inhalte hinterlegt, kommt es bei der Beurteilung eines Handelns im geschäftlichen Verkehr maßgeblich auf den Inhalt der Webseite an. Ein Handeln im geschäftlichen Verkehr liegt jedenfalls dann vor, wenn unter der Domain kommerzielle Angebote unterbreitet werden bzw. die Domain zu einem solchen kommerziellen Angebot führt (BGH GRUR 2009, 1055, 1059 – airdsl). Bietet der Domaininhaber dem Inhaber des vermeintlich besseren Rechts die Domain zum Kauf an, begründet dies alleine noch kein Handeln im geschäftlichen Verkehr (BGH, GRUR 2016, 810 Rn. 25 – profitbricks.es). Dementsprechend liegt eine Benutzung im geschäftlichen Verkehr ebenfalls noch nicht vor, wenn ein Interessent an den Inhaber eines Domainnamens herantritt und ein Kaufangebot unterbreitet. Wird die Registrierung allerdings bereits mit dem Willen vorgenommen, die Domain zu lizenzieren oder zu veräußern, liegt im Zweifel ein Handeln im geschäftlichen Verkehr vor Ingerl/Rohnke/Nordemann/A. Nordemann, MarkenG § 14 Rn. 85).
Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Nutzung des Werktitels „WORDLE“ durch J. W. auf dessen privater Website nicht im geschäftlichen Verkehr erfolgt ist. Die Website wies unstreitig keinerlei kommerzielle Inhalte auf. Weder fanden sich allgemeine werbliche Inhalte noch konnten irgendwelche Waren oder Dienstleistungen über diese Website bezogen werden. Die gesamte Aufmachung der Website wies den gesamten Januar 2022 hindurch einen unzweifelhaften privaten Charakter auf, wie sich schon der Überschrift „Hi, I am J..“ entnehmen lässt. Auch der verwendete Domainname „www. p..co.uk“ lässt keinen kommerziellen Inhalt erkennen. Schließlich wurde auch das streitgegenständliche Spiel „Wordle“ auf der Seite kostenfrei angeboten. An diesen nach außen erkennbaren Umständen änderte sich bis zum Abschluss der Vereinbarung am 31. Januar 2022 und auch in den Tagen bis zum Umzug auf die Website der Klägerin nichts. Auch die immer stärker steigende Nutzerzahl der Website sowie die Berichterstattung darüber führt nicht dazu, dass sich der Charakter der nach außen unverändert gebliebenen Website geändert hätte. Dass sich viele Menschen für den Inhalt einer Website oder hier für ein dort abrufbares kostenloses Spiel interessieren, führt nicht dazu, dass dessen Titel im geschäftlichen Verkehr genutzt wird, solange der erhöhte Traffic auf der Seite auch weiterhin nicht – etwa durch das Schalten von Werbung – kommerziell genutzt wird.
Es ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht davon auszugehen, dass durch die Gespräche, die J. W. im Laufe des Januars mit verschiedenen Interessenten über den Verkauf des Rätselspiels und der damit zusammenhängenden Rechte führte, der Titel „WORDLE“ ab Mitte Januar 2022 im geschäftlichen Verkehr genutzt worden wäre. Der bloße Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt die hohe Aufmerksamkeit, welche dem Rätselspiel mit dem Titel „WORDLE“ zuteil wurde, den Kauf des Spiels und der damit zusammenhängenden Rechte für Interessenten attraktiver machte und dadurch die Verhandlungsposition von J. W. stärkte, führt nicht dazu, dass sich zu dieser Zeit das rechtliche Gepräge der Titelnutzung änderte. Dadurch, dass die Website aus der Sicht des angesprochenen Verkehrs ihren privaten Charakter durchgehend beibehielt, zumal dort nicht über die bereits laufenden Verhandlungen berichtet wurde, erfolgte die Titelnutzung von „WORDLE“ weiterhin privat und nicht im geschäftlichen Verkehr. Wie dies auch bei Internetdomains der Fall ist, führt die bloße Aufnahme von Verkaufsgesprächen noch nicht zu einer kommerziellen Nutzung (vgl. BGH, GRUR 2016, 810 Rn. 25 – profitbricks.es).
bb. Offen bleiben kann deshalb die Frage, ob – eine Aufnahme der Werktitelnutzung bereits im Januar 2022 durch J. W. unterstellt – diese einen hinreichenden Inlandsbezug in der Bundesrepublik Deutschland aufgewiesen hätte. Insoweit dürfte zu fordern sein, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Titelnutzung in Deutschland nicht nur als völlig untergeordnet einzustufen sind, vielmehr von einem „commercial effect“ der Titelnutzung auch in Deutschland auszugehen wäre. An diesem dürfte es aufgrund der fehlenden Kommerzialisierung der Website vor dem 1. Februar 2022 ebenfalls fehlen.
2. Auch der hilfsweise geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus Art. 9 Abs. 2 lit. a), lit. b) UMV in Verbindung mit der Unionsmarke... „WORDLE“ steht der Klägerin nicht zu. Da sowohl die Unionsmarke der Klägerin als auch die deutsche Wortmarke des Beklagten eine Priorität vom 1. Februar 2022 in Anspruch nehmen, führt dies nach § 6 Abs. 4 MarkenG i. V. m. Art. 36, 37 UMV dazu, dass aus diesen gleichrangigen Kennzeichenrechten gegeneinander keine Ansprüche begründet werden können.
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Beklagte gehindert sei, sein Markenrecht geltend zu machen, weil die Markenanmeldung gemäß § 4 Nr. 4 UWG in Behinderungsabsicht erfolgt sei.
Die markenrechtlichen Bestimmungen der § 8 Abs. 2 Nr. 14 und § 50 Abs. 1 MarkenG, Art. 59 Abs. 1 lit. b UMV zur bösgläubigen Markenanmeldung schließen die Anwendung des UWG nicht aus (vgl. Köhler/Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Auflage 2024, § 4 Rn. 4.84 m. w. Nachw.). Erste Voraussetzung der Unlauterkeit der Markenanmeldung ist insoweit, dass der Anmelder weiß oder wissen muss, dass der Mitbewerber ein gleiches oder ein ähnliches Kennzeichen im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat für gleiche oder verwechselbar ähnliche Waren benutzt oder benutzen möchte, ohne hierfür einen formalen Kennzeichenschutz erworben zu haben (EuGH, GRUR 2009, 763 Rn. 34–53 – Lindt & Sprüngli; BGH, GRUR 2004, 790 (793) – Gegenabmahnung; BGH, GRUR 2005, 581, 582 – The Colour of Elégance). Als zweite Voraussetzung müssen besondere Umstände hinzukommen, die das Verhalten des Anmelders als wettbewerbswidrig erscheinen lassen (BGH, GRUR 2008, 160 Rn. 19 – CORDARONE; GRUR 2008, 917 Rn. 20 – EROS; WRP 2010, 764 Rn. 51 – WM-Marken). Letzteres ist etwa der Fall, wenn die Anmeldung ohne ausreichenden sachlichen Grund mit dem Ziel der Störung eines schutzwürdigen inländischen Besitzstandes des Vorbenutzers geschieht oder sie in der Absicht erfolgt, für den Vorbenutzer den Gebrauch der Bezeichnung zu sperren oder damit das Ziel verfolgt wird, die kraft Eintragung entstehende und lauterkeitsrechtlich an sich unbedenkliche Sperrwirkung der Marke ohne sachlichen Grund und damit zweckfremd als Mittel des Wettbewerbskampfes einzusetzen (Köhler/Alexander a. a. O., § 4 UWG Rn. 4.84b mit umfangreichen Nachw.). Ein schutzwürdiger Besitzstand des Vorbenutzers setzt dabei eine gewisse Bekanntheit im Prioritätszeitpunkt entweder auf Grund einer im Inland erfolgten Nutzung oder einer überragenden Verkehrsgeltung im Ausland voraus (BGH, GRUR 2008, 621 Rn. 21 – AKADEMIKS). Um festzustellen, ob der Markenanmelder in Behinderungsabsicht gehandelt hat, ist eine Gesamtabwägung aller relevanten Umstände erforderlich (Köhler/Alexander a. a. O.).
Vorliegend kann nach Abwägung aller relevanten Umstände nicht festgestellt werden, dass der Beklagte die Anmeldung der deutschen Wortmarke „Wordle“ am 1. Februar 2022 in Behinderungsabsicht vorgenommen hat. Es ist zwar davon auszugehen, dass er zu diesem Zeitpunkt sowohl davon wusste, dass J. W. den Titel „WORDLE“ bereits Ende 2021 für sein Rätselspiel genutzt hatte, als auch, dass die Klägerin am 31. Januar 2022 – also am Vortag der Markenanmeldung – die Rechte an diesem Spiel erworben hatte. Dies reicht aber für sich genommen nicht aus, um von einer unlauteren Markenanmeldung auszugehen. Insoweit ist insbesondere von Bedeutung, dass die Klägerin am 1. Februar noch keinen schutzwürdigen Besitzstand im Inland, also in der Bundesrepublik Deutschland, erworben hatte. Da J. W. nicht im geschäftlichen Verkehr gehandelt hat, ist ein Werktitelrecht zu diesem Zeitpunkt noch nicht begründet worden (s.o. I.1.a). Die Klägerin konnte deshalb am 31. Januar 2022 auch kein bereits entstandenes Werktitelrecht erwerben. Aufgrund der rein privaten Nutzung ist auch nicht von einer überragenden Verkehrsgeltung des Titels im geschäftlichen Verkehr der USA auszugehen. Auch für den Kläger war aufgrund der Webseitengestaltung von J. W. klar erkennbar, dass insoweit eine rein private Nutzung erfolgt ist, was gegen eine Markenanmeldung in Behinderungsabsicht spricht. Hinzu kommt, dass der Beklagte die Absicht verfolgte, dass Zeichen „Wordle“ selbst für eine deutschsprachige Version des Rätselspiels zu nutzen und insoweit bereits im Dezember 2021 mit der Programmierung begann. Vor diesem Hintergrund kommt auch dem Umstand, dass sich der Beklagte in gestalterischer Hinsicht für sein Spiel an dem englischsprachigen Vorbild orientierte, keine entscheidende Rolle zu. Er führt insbesondere nicht dazu, dass anzunehmen wäre, dass die Sperrabsicht ein wesentliches Motiv bei der Markenanmeldung gewesen ist. Schließlich musste der Beklagte auch in Kenntnis des Rechteerwerbs durch die Klägerin nicht davon ausgehen, dass diese beabsichtigte, sich ihrerseits zeitnah Kennzeichenrechte in Europa und damit auch in Deutschland an dem Zeichen „WORDLE“ zu sichern. Entsprechende hinreichende Anhaltspunkte waren für den Beklagten nicht erkennbar.
II.
Randnummer68
Der Klägerin steht auch kein Anspruch gegen den Beklagten auf Löschung der deutschen Wortmarke des Beklagten zu. Soweit sie diesen Anspruch vorrangig unter dem Gesichtspunkt der gezielten Mitbewerberbehinderung gemäß §§ 3, 4 Nr. 4, 8 Abs. 1 UWG geltend macht, fehlt es an einer Markenanmeldung in Behinderungsabsicht. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen unter I.2 verwiesen werden. Soweit sich die Klägerin insoweit hilfsweise auf ihr Werktitelrecht an dem Zeichen „Wordle“ gemäß §§ 12, 15 Abs. 2, Abs. 4, 51 Abs. 1 MarkenG stützt, steht ihr der geltend gemachte Anspruch ebenfalls nicht zu. Wie bereits ausgeführt steht der Klägerin kein gegenüber der deutschen Wortmarke des Beklagten „Wordle“ prioritätsbesseres Werktitelrecht zu (vgl. oben I.1.a).
III. Mangels Hauptanspruchs stehen der Klägerin auch nicht die geltend gemachten Annexansprüche auf Auskunftserteilung, Schadensersatzfeststellung und Rückruf entsprechend gekennzeichneter Ware gegen den Beklagten zu.
BGH
Urteil vom 25.06.2024 VI ZR 64/23
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1
Der BGH hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch wegen Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens nur bei vorherigem Opt-Out des Presseunternehmens bestehen kann.
Leitsatz des BGH:
Die Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens an ein Presseunternehmen stellt grundsätzlich nur dann einen unmittelbaren Eingriff in dessen Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, wenn es zuvor durch ein sogenanntes Opt-Out zu verstehen gegeben hat, dass es die Zusendung solcher Schreiben nicht wünscht (Weiterführung Senatsurteil vom 15. Januar 2019 - VI ZR 506/17, AfP 2019, 40).
BGH, Urteil vom 25. Juni 2024 - VI ZR 64/23 - OLG München - LG München I
EuGH-Generalanwältin
Schlussanträge vom 05.09.2024 C-233/23
Alphabet u. a.
Die EuGH-Generalanwältin kommt in ihren Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass Google / Alphabet verpflichtet sein kann, anderen Unternehmen Zugang zur Plattform Android Auto zu gewähren
Die Pressemitteilung des EuGH: Generalanwältin Medina: Die Weigerung von Google, Dritten Zugang zur Plattform Android Auto zu gewähren, verstößt möglicherweise gegen das Wettbewerbsrecht
Google ist Urheberin und Entwicklerin von Android OS, eines Open-Source-Betriebssystems für AndroidMobilgeräte. 2015 brachte sie Android Auto auf den Markt, eine App für Mobilgeräte mit dem Betriebssystem Android, mit dem es Benutzern möglich ist, über einen in das Fahrzeug integrierten Bildschirm auf bestimmte Apps auf ihrem Smartphone zuzugreifen. Drittentwickler können mit Hilfe von Templates, die Google bereitstellt, Versionen eigener Apps erstellen, die mit Android Auto kompatibel sind.
Enel X, die zur Enel Group gehört, erbringt Dienstleistungen für das Laden von Elektrofahrzeugen. Im Mai 2018 brachte sie die App JuicePass auf den Markt, die eine Reihe von Funktionen für das Laden von Elektrofahrzeugen anbietet. Im September 2018 ersuchte Enel X Google, JuicePass mit Android Auto kompatibel zu machen. Google lehnte dies mit der Begründung ab, dass in Ermangelung eines speziellen Templates Medien- und Messaging-Apps die einzigen Apps von Drittanbietern seien, die mit Android Auto kompatibel seien. Sie rechtfertigte ihre Weigerung mit Sicherheitserwägungen und der Notwendigkeit, die für die Entwicklung eines neuen Templates notwendigen Ressourcen bereitzustellen
Die italienische Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass das Verhalten von Google gegen das Wettbewerbsrecht der Union verstoße. Mit der Behinderung und Verzögerung der Veröffentlichung der JuicePass-App auf der Plattform Android Auto habe Google ihre beherrschende Stellung missbraucht. Google focht diese Entscheidung vor dem italienischen Staatsrat an, der den Gerichtshof mit dem Fall befasst hat.
In ihren Schlussanträgen vom heutigen Tag prüft Generalanwältin Laila Medina, ob in dieser Rechtssache die ständige Rechtsprechung zur Zugangsverweigerung durch ein beherrschendes Unternehmen einschlägig ist, d. h., ob die sogenannten Bronner-Voraussetzungen2 gelten. Anschließend untersucht sie, ob Zugangsverpflichtungen im Hinblick auf die Interoperabilität für beherrschende Unternehmen bedeuten, dass sie ein aktives Verhalten an den Tag legen, also z. B. die erforderliche Software entwickeln müssen.
Generalanwältin Medina gelangt zu dem Schluss, dass die Bronner-Voraussetzungen nicht anwendbar seien, wenn die Plattform, zu der Zugang gefordert werde, von dem beherrschenden Unternehmen nicht zu dessen ausschließlicher Nutzung entwickelt, sondern so konzipiert und gestaltet worden sei, dass sie die Apps von Drittentwicklern aufnehme. In einem solchen Fall sei es nicht erforderlich, nachzuweisen, dass diese Plattform für den benachbarten Markt unentbehrlich sei. Dagegen missbrauche ein Unternehmen seine beherrschende Stellung, wenn es mit seinem Verhalten den Zugang einer von einem Drittanbieter entwickelten App zur Plattform ausschließe, behindere oder verzögere, vorausgesetzt, dass sein Verhalten geeignet sei, wettbewerbswidrige Wirkungen zum Nachteil der Verbraucher zu entfalten, und nicht objektiv gerechtfertigt sei.
Die Weigerung eines beherrschenden Unternehmens, einem Drittanbieter Zugang zu einer Plattform wie der in der vorliegenden Rechtssache fraglichen zu gewähren, könne objektiv gerechtfertigt sein, wenn der geforderte Zugang technisch nicht möglich sei oder wenn er in technischer Hinsicht die Leistung der Plattform beeinträchtigen könnte oder deren wirtschaftlichem Modell oder Zweck zuwiderlaufen würde. Der bloße Umstand, dass das beherrschende Unternehmen, um Zugang zu der Plattform zu gewähren, über die Erteilung der Einwilligung hinaus ein Software-Template entwickeln müsste, das den spezifischen Bedürfnissen des um Zugang ersuchenden Anbieters Rechnung trage, könne als solcher eine Zugangsverweigerung dann nicht rechtfertigen, wenn für die Entwicklung ein angemessener Zeitrahmen zur Verfügung stehe und dem beherrschenden Unternehmen eine angemessene Vergütung geleistet werde. Das beherrschende Unternehmen müsse dem um Zugang ersuchenden Anbieter auf das Ersuchen hin diese beiden Aspekte mitteilen.
Das Wettbewerbsrecht der Union erlege nicht ohne Weiteres eine Verpflichtung auf, objektive Kriterien für die Prüfung von Ersuchen um Zugang zu einer Plattform aufzustellen. Nur in dem Fall, dass gleichzeitig mehrere Ersuchen gestellt würden, könne das Fehlen solcher Kriterien einen Gesichtspunkt darstellen, der bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit des dem beherrschenden Unternehmen vorgeworfenen Verhaltens zu berücksichtigen ist, wenn dieses zu übermäßigen Verzögerungen bei der Zugangsgewährung oder zu einer diskriminierenden Behandlung der konkurrierenden, um Zugang ersuchenden Anbieter führe.
BGH
Urteil vom 11.07.2024 I ZR 164/23
nikotinhaltige Liquids
Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 Art. 32 Abs. 1, Art. 35 Abs. 2 Unterabsatz 1 Halbsatz 1
Der BGH hat entschieden, dass der Begriff der "breiten Öffentlichkeit" in der CLP-Verordnung nicht "jedermann" meint, sondern der Abgrenzung von den Fachkreisen dient.
Leitsätze des BGH:
a) Nach dem Gebot des Art. 32 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP-Verordnung), die Gefahrenpiktogramme, Signalwörter, Gefahrenhinweise und Sicherheitshinweise auf dem Kennzeichnungsetikett zusammen anzuordnen, muss zwischen diesen einzelnen Kennzeichnungselementen ein Kennzeichnungszusammenhang dergestalt hergestellt werden, dass sie in einem unmittelbaren visuellen Zusammenhang stehen.
b) Der in der CLP-Verordnung verwendete Begriff der breiten Öffentlichkeit ist nicht im Sinn von "jedermann", sondern in Abgrenzung von den Fachkreisen zu verstehen.
BGH, Urteil vom 11. Juli 2024 - I ZR 164/23 - OLG Hamm - LG Essen
Das OLG Frankfurt hat sich mit der Frage befasst, wann Kerngleichheit und ein Verstoß gegen einen Unterlassungstitel vorliegen kann, wenn die untersagte Werbung vom Wortlaut her und inhaltlich geändert wurde.
Aus den Entscheidungsgründen: Die gemäß § 793 ZPO i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und gemäß §§ 569, 571 ZPO auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Gläubigerin, über die der Senat zu entscheiden hat, da der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen kein Einzelrichter im Sinne von § 568 Satz 1 ZPO ist (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 20.10.2003 - II ZB 27/02, juris Rn. 10 ff.), ist unbegründet.
Das Landgericht hat den Ordnungsmittelantrag zu Recht zurückgewiesen. Zwar erstreckt sich ein tituliertes Verbot auf kerngleiche Verletzungshandlungen (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 26.09.2023 - VI ZB 79/21, GRUR 2023, 1788 Rn. 19 f. mwN - Reichweite eines Unterlassungstitels, DREAM TEAM). Allerdings fällt die mit dem Ordnungsmittelantrag beanstandete Werbung nach zutreffender Auffassung des Landgerichts nicht mehr in den Kernbereich des Unterlassungstitels.
1. Nach der sog. Kerntheorie umfasst das in einem Unterlassungstitel ausgesprochene Verbot über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der ursprünglichen Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt. Dies gilt auch dann, wenn das Verbot - wie im Streitfall - auf die konkrete Verletzungsform beschränkt ist. Kern der konkreten Verletzungsform sind dabei die Elemente, die eine Verhaltensweise zur Verletzungshandlung machen, also das, was für den Unrechtsgehalt der konkreten Verletzungsform rechtlich charakteristisch ist und ihre Rechtswidrigkeit begründet (vgl. z.B. BGH, GRUR 2023, 1788 Rn. 20 mwN - Reichweite eines Unterlassungstitels, DREAM TEAM).
Das Charakteristische der Verletzungshandlung, das für die Bestimmung des Kerns der verbotenen Handlung maßgeblich ist, ist allerdings auf das beschränkt, was bereits Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren gewesen und in die Verurteilung einbezogen worden ist. Fehlt es hieran, muss die Zuordnung einer Handlung zum Kernbereich des Verbots unterbleiben. Die Kerntheorie beschränkt sich darauf, ein im Kern feststehendes und bei dessen sachgerechter Auslegung auch eine abweichende Handlung bereits umfassendes Verbot auf Letztere anzuwenden. Eine weitergehende Titelauslegung ist im Hinblick auf den Sanktionscharakter der Ordnungsmittel des § 890 ZPO und das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot unstatthaft (vgl. z.B. BGH, GRUR 2023, 1788 Rn. 21 mwN. - Reichweite eines Unterlassungstitels, DREAM TEAM).
2. Nach diesen Maßstäben fällt die im Ordnungsmittelverfahren streitgegenständliche Werbung nach zutreffender Ansicht des Landgerichts nicht mehr in den Kernbereich des Verbotstitels.
a) Die im Ausgangsverfahren beanstandeten drei Äußerungen in Anlage K4 zeichnen sich dadurch aus, dass sie den - nach dem Ausgangsurteil irreführenden - Eindruck eines sicher zu erwartenden Krankenkassenanteils erwecken („Jetzt Krankenkassenanteil sichern!“; „Fragen Sie hier direkt ihren Krankenkassenanteil an!“; „Sichern Sie sich hier schnell Ihren Krankenkassenanteil für bestes Hören“). Der angesprochene Verkehr geht insofern nicht nur wegen der Angabe „Deutschlands 1- Online-Hörakustiker“ unterhalb des weiß-roten Logos „X“, sondern auch wegen des Hinweises unter dem Foto in dem weiß umrandeten Kästchen auf grünem Grund:
„Perfekt in der aktuellen Corona-Situation: komplette Online-Abwicklung und Online-Service oder Rundum-Service vor Ort“
davon aus, dass der Krankenkassenanteil in gleicher Weise wie bei einem Präsenzerwerb gewährt wird, wenn eine „komplette[n] Online-Abwicklung“, einschließlich Hörakustik, erfolgt. Ein Hinweis auf das (mögliche) Erfordernis eines Ortstermins ist in Anlage K4 nicht enthalten. Die Werbung hat unter anderem wegen des Verweises auf die „Corona-Situation“, in der aus Infektionsschutzgründen Abstand gehalten werden sollte, den Eindruck erweckt, die Hörtechnologie und der Service der Schuldnerin sei in vollem Umfang online zu haben, ohne dass dies Auswirkungen auf den Krankenkassenanteil habe.
b) Davon unterscheidet sich die Werbung, die Gegenstand des Ordnungsmittelverfahrens ist.
Zwar wirbt die Schuldnerin weiterhin mit „Deutschlands 1. Online-Hörakustiker“. Bereits die Aufschrift auf dem anklickbaren dunkelblauen Kästchen „Jetzt Krankenkassenzuschlag anfragen“ deutet aber nicht darauf hin, dass ein Krankenkassenzuschuss sicher zu erwarten ist. Dieser Eindruck wird auch nicht durch den durch Fettdruck und große Schrift hervorgehobenen Hinweis erweckt: „Bis zu 1.690 Euro Zuschuss bekommen“, zumal nachfolgend in kleinerer Schrift lediglich die Rede davon ist, dass Krankenkassen bei der Anschaffung und dem Service der Hörgeräte „bis zu 1.690 Euro“ übernehmen „können“.
Ob jedenfalls ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs angesichts der abgebildeten Krankenkassen-Logos, dem Verweis der Schuldnerin auf die Zusammenarbeit mit den führenden Krankenkassen und ihres Angebots, von Montag bis Freitag von 08:00 Uhr bis 17:00 Uhr bei Fragen zur Krankenkasse des jeweiligen Adressaten und zu den notwendigen Unterlagen Hilfe zu leisten, gefolgt von einem anklickbaren Link auf blauem Grund mit der Aufschrift: „Wir helfen Ihnen beim Zuschuss“, dennoch annimmt, jedenfalls für die konkret abgebildeten Krankenkassen sei mit einem Zuschuss zu rechnen, kann nach zutreffender Ansicht des Landgerichts dahingestellt bleiben. Letzteres gilt auch für die Frage, ob jedenfalls ein erheblicher Teil des angesprochenen Adressatenkreises den oben wiedergegebenen Hinweis auf hellblauem Grund in kleiner Schrift am unteren rechten Rand der Internetseite der Schuldnerin zur Kenntnis nimmt.
Aufgrund der nicht nur im Wortlaut, sondern auch inhaltlich nicht übereinstimmenden Aussagen in der geänderten Online-Werbung der Schuldnerin kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass diese bereits - zumindest gedanklich - Gegenstand des ursprünglichen Erkenntnisverfahren waren und daher in die Ausgangsverbote einbezogen sind. Ob die geänderten Aussagen irreführend sind, kann daher nicht im Ordnungsmittelverfahren entschieden werden, sondern bleibt einer Prüfung im Erkenntnisverfahren vorbehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Der Festsetzung eines Streitwerts für die Gerichtskosten bedarf es nicht, da im Beschwerdeverfahren nach Nr. 2121 VV GKG eine Festgebühr anfällt.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO besteht kein Anlass (zur Statthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde im Ordnungsmittelverfahren, vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 21.12.2023 - I ZB 42/23, GRUR 2024, 486 Rn. 10). Die streitentscheidenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Vorliegend geht es nur um deren Anwendung auf den konkreten Fall.
Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass ein Anspruch auf Rückzahlung der Vergütung aus § 812 Abs. 1 BGB besteht, wenn ein Online-Coaching-Vertrag wegen fehlender Zulassung nach § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig ist. Im vorliegenden Fall hat das Gericht eine Zulassungspflicht und damit die Nichtigkeit des Vertrages bejaht.
Aus den Entscheidungdgründen: Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der zwischen den Parteien abgeschlossene Dienstvertrag nichtig, sodass die Beklagte die geleistete Zahlung in Höhe von 23.800,00 € rechtsgrundlos erlangt hat und der Kläger diese aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückverlangen kann. Die Nichtigkeit folgt aus § 7 Abs. 1 FernUSG i.V.m. § 12 Abs. 1 FernUSG.
a) Der Kläger macht zu Recht geltend, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 FernUSG vorliegen.
aa) Die Parteien haben eine entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten vereinbart. Dies folgt bereits aus der Seite 7 der beklagtenseits als Anlage B7 vorgelegten Programmbeschreibung, in der es u.a. heißt, dass die Teilnehmer bis zum Ende des Programms Wissen aus den dort dann nachfolgend aufgeführten Bereichen abrufen und aneignen können werden. Auch auf den Seiten 1 und 5 der Programmbeschreibung wird der Aufbau bzw. die Vermittlung von Wissen bzw. „Know-How“ als ein wesentlicher Teil und Ziel des Programms hervorgehoben.
bb) Es ist auch das Merkmal der überwiegenden räumlichen Trennung gegeben.
(1) Diese Voraussetzung ist schon deshalb erfüllt, weil nach der Programmbeschreibung zweiwöchig online-meetings stattfinden und Präsenzveranstaltungen eine allenfalls untergeordnete Rolle spielen. Außerdem werden den Teilnehmern Lehrvideos mit Lektionen zum Durcharbeiten zur Verfügung gestellt (vgl. Anl. B2 sowie die Einlassung des Gesellschafters und früheren Geschäftsführers der Beklagten F. A. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 11.07.2024, Sitzungsprotokoll S. 2). Entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung (Faix, MMR 2023, 821, 824, Vennemann, FernUSG, 2. Aufl., § 1 Rn. 10) ist auch bei einem Online-Unterricht eine räumliche Trennung gegeben. Hierfür spricht schon der Wortlaut der Bestimmung. Eine einschränkende Auslegung des Wortsinns nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist nicht angezeigt. Zwar gab es zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 1976 noch keine Videokonferenzen. Der Gesetzgeber hat aber ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drs. 7/4245, S. 14) die Möglichkeit gesehen, dass der Unterricht in einen anderen Raum übertragen werden kann und hat auch diesen Sachverhalt unter den Begriff der räumlichen Trennung gefasst. Damit hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass alle Unterrichtsformen, die nicht in Präsenz stattfinden, unter das Fernunterrichtsschutzgesetz fallen sollen. Auch der Umstand, dass bei Videokonferenzen eine synchrone Kommunikation wie bei Präsenzveranstaltungen möglich ist, kann eine einschränkende Auslegung des insoweit klaren Wortlauts nicht begründen. Ziel des Gesetzes ist eine umfassende Ordnung des Fernunterrichtsmarktes zum Schutz der Teilnehmerinteressen, nachdem Angebote von geringer methodischer und fachlicher Qualität auf dem Markt waren (BT-Drs. 7/4245, S. 12). Dieser Schutzzweck führt dazu, dass die Tatbestandsmerkmale weit und nicht restriktiv auszulegen sind (BGH v. 15.10.2009 - III ZR 310/08 - juris Rn. 16 ff.). Ausgehend hiervon gibt es für eine einschränkende Auslegung bei Videokonferenzen keinen Anlass. Dies gilt umso mehr, als das Bedürfnis, die Teilnehmer vor unseriösen Anbietern zu schützen, bei Videokonferenzen deutlich größer als bei Präsenzveranstaltungen ist, nachdem für Präsenzveranstaltungen Investitionen in die Räume erforderlich sind, was unseriöse Anbieter abschrecken kann. Hinzukommt, dass bei Präsenzveranstaltungen eine stärkere soziale Kontrolle stattfindet, da im Falle einer geringen Qualität des Unterrichts die Lehrenden unmittelbar mit dem Unmut der Teilnehmer konfrontiert werden und die Teilnehmer sich - unter anderem hierüber - auch unmittelbar austauschen können.
(2) Auf die Frage, ob das Merkmal der überwiegenden räumlichen Trennung jedenfalls dann erfüllt ist, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Online-Seminare aufgezeichnet und von den Teilnehmern nachträglich abgerufen werden können (vgl. hierzu OLG Celle v. 29.05.2024 - 13 U 8/24 - juris Rn. 9; OLG Köln v. 06.12.2013 - 2 U 24/23 - juris Rn. 50), kommt es daher nicht mehr an.
cc) Entgegen der Auffassung des Landgerichts findet im vorliegenden Fall auch eine Überwachung des Lernerfolgs statt.
(1) Nach der Rechtsprechung des BGH ist bei der Beurteilung ein weites Verständnis des Merkmals zu Grunde zu legen (BGH v. 15.10.2009 – III ZR 310/08 - juris Rn. 20 ff.). Danach ist eine Überwachung des Lernerfolgs nach §1 Abs.1 Nr.2 FernUSG bereits dann gegeben, wenn der Lernende nach dem Vertrag den Anspruch hat, z.B. in einer begleitenden Unterrichtsveranstaltung durch mündliche Fragen zum erlernten Stoff eine individuelle Kontrolle des Lernerfolgs durch den Lehrenden oder seinen Beauftragten zu erhalten. Ausreichend ist insoweit, wenn der Lernende in den Informationsveranstaltungen eine individuelle Anleitung erhält und Fragen zum eigenen Verständnis des bisher Erlernten an den jeweiligen Dozenten stellen kann, um insoweit eine persönliche Lernkontrolle herbeizuführen, ob das bisher Erlernte richtig verstanden wurde und "sitzt".
(2) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Möglichkeit, Fragen zu stellen, sieht bereits die Programmbeschreibung (Anlage B7) auf Seite 6 ausdrücklich vor, als es darin heißt, dass Fragen in den Meetings und per Mail, oder in der Facebook-Gruppe geklärt werden. Dies dient auch der persönlichen Lernkontrolle. Der frühere Geschäftsführer der Beklagten hat dies im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat bestätigt, indem er angegeben hat, dass in den Meetings die Fragen der Teilnehmer geklärt würden; natürlich hätten nicht alle Teilnehmer jede Woche eine Frage, die Sitzungen gingen aber immer so lange, bis alle ihre Fragen beantwortet bekommen hätten. Weiter hat der Vertreter der Beklagten im Rahmen der Parteianhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, dass der Kunde nach Erfassung der Grundlagen erst einmal mit Spielgeld agiere und anhand konkreter Investitionsentscheidungen Fragen stellen könne, die dann in Live-Calls geklärt würden. Erst wenn er stabil 3 bis 5 % Rendite pro Woche erreiche, könne er ins Echtgeldkonto wechseln und Echtgelt investieren. Soweit er dabei Verluste erwirtschafte, würden die Fehler analysiert und aufgezeigt, was man hätte besser machen können. Ausgehend hiervon findet auch insoweit eine Kontrolle der Lernenden durch die Lehrenden statt. Dies alles wird schließlich dadurch bestätigt, dass in der Programmbeschreibung (Anl. B7) an mehreren Stellen hervorgehoben wird, dass es nicht nur um die Vermittlung von Wissen, sondern - mithilfe einer intensiven Betreuung - auch um die Gewährleistung einer „erfolgreichen Umsetzung“ des Erlernten und die Erzielung bestimmter „Ergebnisse“ geht (vgl. etwa S. 5 und S. 8).
(3) Die Frage, ob die bloße Möglichkeit Fragen zu stellen, ausreicht, oder ob die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG voraussetzt, dass auch eine weitergehende Lernkontrolle durch den Lehrenden stattfindet (so OLG Hamburg v. 20.02.2024 – 10 U 44/23 - juris Rn. 29; OLG Köln v. 06.12.2023 – 2 U 24/23 - juris Rn. 56; vgl. zu dieser Diskussion auch OLG Celle v. 29.05.2024 - 13 U 8/24), kann daher offenbleiben.
b) Die Beklagte verfügt unstreitig nicht über eine Zulassung i.S.v. § 12 Abs. 1 FernUSG, sodass der Vertrag nach § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig ist.
c) Demnach hat die Beklagte nach § 818 Abs. 2 BGB Anspruch auf Rückerstattung der geleisteten Zahlung in Höhe von 23.800,00 €. Der Wert der beklagtenseits erbrachten Leistungen ist im Rahmen der Saldotheorie (vgl. für den Fall des Verstoßes gegen § 3 RDG BGH v. 03.07.2008 – III ZR 260/07 – juris Rn. 25) nicht zu berücksichtigen. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat zum Wert der erbrachten Leistung keinen Vortrag gehalten, obwohl sie auf die Möglichkeit, dass der Senat von der Nichtigkeit des Vertrages nach § 7 Abs. 1 FernUSG ausgeht, bereits durch die Terminsverfügung vom 19.03.2024 hingewiesen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war.
d) Auf die Frage, ob der Vertrag auch wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist oder wirksam gekündigt wurde, kommt es nicht mehr an.
Das OLG München hat entschieden, dass die Weiterleitung geschäftlicher E-Mails an einen privaten E-Mail-Account gegen die DSGVO verstößt und eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.
Aus den Entscheidungsgründen: 2. Die Weiterleitung der streitgegenständlichen Emails auf den privaten Account des Klägers ist auch ein wichtiger Grund iSd § 626 Abs. 1 BGB.
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Dienstverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
a. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist (vgl. BGH, Urteil vom 29.01.2001 – II ZR 360/99, Rdnr. 9 zum Vorstand einer Genossenschaft, BGH, Urteil vom 02.06.1997 – II ZR 101 /96, Rdnr. 6 zum Geschäftsführer einer GmbH, zu Arbeitnehmern vgl. auch BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 186/11, Rdnr. 20, Weidenkaff in Grüneberg, BGB, 83. Auflage, München 2024, Rdnr. 38 zu § 626 BGB). Als wichtiger Grund ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung dabei neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG, Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rdnr. 19).
aa. Zur Begründung eines wichtigen Grundes „an sich“ kann im vorliegenden Fall jedoch nicht auf § 10 Abs. 1 DV abgestellt werden.
Nach § 10 Abs. 1 UA 1 DV ist der Vorstand verpflichtet, „alle betrieblichen Angelegenheiten und Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse“, die ihm während seiner Tätigkeit bekannt wurden, vertraulich zu behandeln. Insbesondere ist er verpflichtet, „vertrauliche Informationen dieser Art“ streng geheim zu halten, sie nicht zu verbreiten oder zu kommunizieren und sie auch nicht zu verwerten. Bei der Auslegung des § 10 Abs. 1 DV ist zu beachten, dass mit dieser Regelung der Umfang der Verschwiegenheitsverpflichtung des Vorstands bestimmt werden soll.
Die Verschwiegenheitsverpflichtung des Vorstands wird in § 93 Abs. 1 S. 3 AktG geregelt, der stipuliert, dass Vorstandsmitglieder über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu bewahren haben. Da diese Vorschrift zwingendes Recht ist, kann sie nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Die in § 93 Abs. 1 S. 3 AktG normierte Verschwiegenheitsverpflichtung kann aber auch nicht durch Satzung, Geschäftsordnung oder Anstellungsvertrag erweitert werden, wie sich aus § 23 Abs. 5 AktG ergibt (vgl. Fleischer in BeckOGK AktG, Stand 01.02.2024, Rdnr. 202 zu § 93 AktG; Spindler in Münchener Kommentar zum AktG, 6. Auflage, München 2023, Rdnr. 143 zu § 93 AktG; Schmidt in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Auflage, München 2020, Rdnr. 62 zu § 93 AktG; vgl. auch BGH, Urteil vom 05.06.1975 – II ZR 156/73, Rdnrn 8 f. zur Verschwiegenheitspflicht eines Aufsichtsrats nach § 116 iVm. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG a.F.). Stellt also die Weiterleitung der streitgegenständlichen Emails an den privaten Email-Account des Klägers keine Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des Vorstands nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG dar, so ist unbeachtlich, wenn der Kläger gegen etwaig weitergehende Verpflichtungen aus § 10 Abs. 1 DV verstoßen haben sollte.
Nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei „vertrauliche(n) Angaben und Geheimnisse(n) der Gesellschaft“ iSd. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG um nicht allgemein bekannte (offenkundige) Tatsachen, an deren Geheimhaltung ein objektives Interesse des Unternehmens besteht (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2016 – IX ZR 108/15, Rdnr. 31).
Alle vom Kläger weitergeleiteten streitgegenständlichen Emails bezogen sich auf „betriebliche Angelegenheiten“ iSd. § 10 Abs. 1 UA 1 DV und beinhalteten keine offenkundigen Tatsachen. So betraf die Email vom 23.04.2021, 16:27 Uhr laut Anl. B 8 das Verhalten u.a. des Mitvorstands … bezüglich der Behandlung von Gehaltsabrechnungen nicht nur des Klägers, sondern auch des früheren Vorstandsvorsitzenden der Beklagten … . In der Email vom 10.05.2012 laut Anl. B 7 ging es um die Behandlung von Forderungen des Klägers gegen die Beklagte, um Schriftwechsel mit der Steuerberatungsgesellschaft der Beklagten sowie um Kompetenzstreitigkeiten mit dem Mitvorstand … Gegenstand der Email vom 31.05.2021, 12:10 Uhr (Anl. B 2) war eine Anfrage der … AG nach dem Geldwäschegesetz und eventuell drohende Maßnahmen der BAFIN gegen die Beklagte. Die Email vom 31.05.2021, 17:47 Uhr (Anl. B 9) bezog sich auf eine Zuständigkeitsstreitigkeit zwischen dem Kläger und Mitarbeitern der …-Gruppe sowie die Provisionsplanung für 2021. Letztere war auch Thema der am 16.06.2021 um 11:13 Uhr vom Kläger versandten Email (Anlage B 5), der u.a. eine als „confidentiel“ überschriebene Präsentation betreffend Fragen zur Provisionierung sowie das Protokoll eines internen Meetings vom 07.06.2021 zu dieser Problematik beigefügt war. Die Emails vom 18.06.2021, 17.17 Uhr (Anl. B 3) und vom 21.06.2021, 12:34 Uhr laut Anl. B 6 betrafen den von einem Mitarbeiter der Beklagten (…) gegen diese geltend gemachten Anspruch auf Provisionszahlungen. In der Email vom 24.06.2021, 11:51 Uhr (Anlage B 1) waren wiederum Umsatzerlöse und Bonifizierungsgrundlagen für diesen Mitarbeiter thematisiert. Dieser Email beigefügt waren Email-Verkehr des Klägers mit Mitarbeitern der Beklagten sowie die Kopie eines Lizenzvertrages mit dem Kundenunternehmen … GmbH. Gegenstand der am 28.06.2021 um 13:26 Uhr versandten Email laut Anl. B 4 an … und … von der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft … GmbH waren Spesenzahlungen der Beklagten an den Kläger.
Ob auch ein objektives Geheimhaltungsinteresse der Beklagten an diesen Tatsachen bestand, kann dahinstehen, da es jedenfalls an einer Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG durch den Kläger fehlt. Wann eine Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG vorliegt, ergibt sich aus dem objektiven Tatbestand des § 404 AktG, der Verletzungen der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG sanktioniert. Demzufolge ist die Verschwiegenheitsverpflichtung verletzt, wenn ein Geheimnis der Gesellschaft unbefugt offenbart (§ 404 Abs. 1 AktG) oder verwertet (§ 404 Abs. 2 S. 2 AktG) wird. Offenbart wiederum wird ein Geheimnis, wenn es jemandem, der dieses Wissen noch nicht hat (Unbefugter), mitgeteilt oder sonst in einer Weise zugänglich gemacht wird und er somit die Möglichkeit der Kenntnisnahme erhält. Die Art und Weise der Preisgabe ist irrelevant. Es kommt allein darauf an, dass der Adressat die nicht mehr abschirmbare Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (vgl. Hefendehl in BeckOGK AktG, Stand 01.06.2024, Rdnr. 54 zu § 404 AktG). Diese Voraussetzungen sind im streitgegenständlichen Fall durch die Weiterleitung der Emails an den privaten Email-Account des Klägers nicht erfüllt, da der Kläger den Inhalt der Emails unstreitig keinem Dritten mitgeteilt oder zugänglich gemacht hat. Die Speicherung auf einem Freemail-Server reicht hierfür nicht aus. Auch eine Verwertung der Geheimnisse durch den Kläger ist unstreitig nicht erfolgt.
In Ermangelung einer Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG kommt es daher nicht mehr darauf an, ob der Kläger die in § 10 Abs. 1 UA 3 lit a DV stipulierte Pflicht zur strengen Geheimhaltung vertraulicher Informationen verletzt hat, da eine Erweiterung der Geheimhaltungsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG durch den Vorstandsdienstvertrag nicht möglich ist.
bb. Auch wenn der Kläger nach alledem nicht gegen die ihm als Vorstand obliegende aktienrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtung aus § 93 Abs. 1 S. 3 AktG verstieß, so hat er doch durch die Weiterleitung der streitgegenständlichen Emails gegen seine sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 AktG ergebende Sorgfaltspflicht, die in Gestalt der Legalitätspflicht vom Vorstand eigene Regeltreue fordert, verstoßen. Denn wie das Landgericht richtig annahm (LGU S. 14), stellt die Weiterleitung der Emails auf den privaten Account des Klägers und die dortige Speicherung eine Verarbeitung iSd. Art. 4 Nr. 2 DSGVO dar, die nicht durch eine Einwilligung der betroffenen Personen gedeckt war (Art. 6 Abs. 1 lit a DSGVO). Diese Weiterleitung war auch nicht zur Wahrung der berechtigten Interessen des Klägers erforderlich (Art. 6 Abs. 1 lit f DSGVO). Gegen diese zutreffende rechtliche Wertung des Landgerichts hat die Berufung nichts erinnert, vielmehr hat der Kläger in seiner Berufungserwiderung/Anschlussberufungsbegründung (dort S. 13, Bl. 32 d.A.) sogar selbst eingeräumt, dass ihm nunmehr bewusst sei, dass eine Weiterleitung von dienstlichen Emails auf seinen privaten Email-Account nicht zulässig sei.
(1) Zwar ist nicht jeder Regelverstoß und damit auch nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung schon „an sich“ als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Dies ist jedoch zumindest dann der Fall, wenn – wie streitgegenständlich – die unter Missachtung der Regelungen der DSGVO erfolgte Weiterleitung der Emails an den privaten Email-Account des Klägers sensible Daten der Beklagten und anderer Dritter betrifft. Um solche sensiblen Daten handelte es sich vorliegend, da es in den Emails unter anderem um eine geldwäscherechtliche Bankanfrage, Provisisonsansprüche von Mitarbeitern (…), Gehaltsabrechnungen eines früheren Vorstandsvorsitzenden (…), Planungen der Beklagten zur Verprovisionierung ihrer Mitarbeiter und Zuständigkeitsstreitigkeiten im Vorstand der Beklagten ging. Zu berücksichtigen war darüber hinaus, dass die Weiterleitung nicht ein singulärer Vorfall war, sondern neun Emails weitergeleitet wurden.
(2) Die Weiterleitung der Emails wird auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Kläger – jedenfalls seiner Vorstellung nach – „nur solche Emails weiterleitete, die aufgrund der besorgniserregenden Veränderungen im Betrieb der Beklagten (…) unentbehrlich waren, um später beweisen zu können, dass er selbst keine zur Haftung führenden Fehler begangen hat“ (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 02.05.2022, S. 7, Bl. 31 d.A.). Denn für eine solche prophylaktische Selbsthilfe bestand – wie das Landgericht richtig ausführte (LGU S. 14 f.) – keine Veranlassung. Solange der Kläger noch Vorstand war, hatte er qua Amt Zugriff auf die Unterlagen der Beklagten. Nach seiner Abberufung als Vorstand hat er dagegen einen Einsichtsanspruch aus § 810 BGB, soweit er Unterlagen der Beklagten für seine Verteidigung benötigen sollte, wobei der Kläger durch die die Beklagte treffenden handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungspflichten auch vor unzeitiger Vernichtung der Unterlagen hinreichend geschützt ist (zur fehlenden Rechtfertigung prophylaktischer Selbsthilfe in einem vergleichbaren Fall eines Arbeitnehmers vgl. auch BAG, Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rdnr. 33 und LArbG Hamm, Urteil vom 28.05.2020 – 15 Sa 2008/19, Rdnr. 63).
Nach alledem kann in der streitgegenständlichen Weiterleitung der Emails ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ liegen. Ein Vorstand ist demnach nicht anders zu beurteilen als ein Arbeitnehmer, dem es ohne Einverständnis des Arbeitgebers ebenso verwehrt ist, sich betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen (vgl. BAG Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rdnr. 32).
b. Nach Feststellung, dass der streitgegenständliche Sachverhalt „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist, bedarf es der Prüfung, ob der Gesellschaft die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 29.01.2001 – II ZR 360/99, Rdnr. 9 zum Vorstand einer Genossenschaft, BGH, Urteil vom 02.06.1997 – II ZR 101 /96, Rdnr. 6 zum Geschäftsführer einer GmbH, zu Arbeitnehmern BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 186/11, Rdnr. 20, Weidenkaff in Grüneberg, BGB, 83. Auflage, München 2024, Rdnr. 38 zu § 626 BGB). Dabei ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse der Gesellschaft an der sofortigen Beendigung des Vorstandsanstellungsvertrages gegen das Interesse des Vorstands an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind dabei u.a. regelmäßig die Schwere der Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Vorstands, das Ausmaß des Schadens, eine mögliche Wiederholungsgefahr, die Dauer des Vorstandsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf sowie die sozialen Folgen für das Vorstandsmitglied (vgl. Fleischer in BeckOGK AktG, Stand 01.02.2024, Rdnr. 187 zu § 84 AktG).