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AG Lörrach: DSGVO gewährt dem Betroffenen keinen Anspruch auf Nachweis der Löschung rechtswidrig erhobener Daten

AG Lörrach
Urteil vom 03.03.2025
3 C 1099/24


Das AG Lörrach hat entschieden, das die DSGVO dem Betroffenen keinen Anspruch auf Nachweis der Löschung rechtswidrig erhobener Daten gewährt.

Aus den Entscheidungsgründen:
7) Einen Nachweis der Löschung kann der Kläger dagegen nicht verlangen.

a) Aus Art. 5 Abs. 2 DSGVO ergibt sich lediglich eine abstrakte Nachweispflicht und kein Anspruch des Klägers. Sie bürdet dem Verantwortlichen (hier dem Beklagten) auch die Darlegungs- und Beweislast in Streitfällen auf (BeckOK DatenschutzR/Schantz, 50. Ed. 1.11.2021, DS-GVO Art. 5 Rn. 39, beck-online; gegen die Auslegung als Beweislastregel: Veil: Accountability – Wie weit reicht die Rechenschaftspflicht der DS-GVO?, ZD 2018, 9; Sydow/Marsch DS-GVO/BDSG/Reimer, 3. Aufl. 2022, DS GVO Art. 5 Rn. 56). Daraus ergibt sich aber noch kein Anspruch den Nachweis ohne einen Streitfall vorzulegen. Ein Gläubiger der Rechenschaftspflicht ist zumindest nicht vorgesehen. (Sydow/Marsch DS-GVO/BDSG/Reimer, 3. Aufl. 2022, DS GVO Art. 5 Rn. 58, beck-online; BeckOK DatenschutzR/Worms, 50. Ed. 1.11.2024, DS-GVO Art. 17 Rn. 90)

b) Soweit die Löschung selbst eine Datenverarbeitung nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO darstellt und dahingehend ein Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO besteht, würde das dazu führen, dass die Daten nicht rückstandslos gelöscht werden, da noch ein Löschnachweis verbleiben muss. Das widerspricht aber der Löschung. (BeckOK DatenschutzR/Worms, 50. Ed. 1.11.2024, DS-GVO Art. 17 Rn. 89) Es ist noch nicht absehbar, dass nach einer Löschung der Daten durch den Beklagten, Daten verbleiben, die die konkrete Löschung nachweisen oder der Beklagte anderweitig plant seiner Rechenschaftspflicht nach Art. 5 Abs. 2 DSGVO nachzukommen. Dem Beklagten bleibt auch die Möglichkeit die Löschung durch eidesstattliche Versicherung nach den §§ 259 Abs. 2; 260 Abs. 2 BGB glaubhaft zu machen (BeckOK DatenschutzR/Worms, 50. Ed. 1.11.2024, DS-GVO Art. 17 Rn. 90). Damit steht noch nicht fest, dass über eine erfolgte Löschung überhaupt ein Nachweis bestehen wird, über den ein Auskunftsanspruch bestehen könnte. Wenn das der Fall ist, kann es sich aber nur um einen künftigen Anspruch handeln, was aber so nicht geltend gemacht wird.

c) Soweit diese Rechtsfrage keinen acte clair darstellt, die weiter, soweit ersichtlich, noch nicht durch den EuGH entschieden ist (kein acte eclairé), sieht das Gericht von einer Vorlage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV ab. Nach Art. 267 Abs. 2 AEUV steht dies im Ermessen des nicht letztinstanzlichen Gerichts. Es handelt sich nur um einen untergeordneten Nebenanspruch. Das Gericht hält es für unzweckmäßig das Verfahren für (aus Erfahrung des Gerichts) zwei Jahre auszusetzen, was wohl auch nicht den klägerischen Interessen entsprechen dürfte.

III) Soweit der Kläger Löschung nach Art. 17 DSGVO verlangen kann, kann er auch Unterlassung verlangen, dass die unrechtmäßige Datenverarbeitung in Zukunft unterbleibt. Das in Art. 17 Abs. 1 DSGVO niedergelegte „Recht auf Löschung“ ist schon aufgrund der für den Betroffenen letztlich unwägbaren und zudem stetem Entwicklungsfortschritt unterworfenen technischen Voraussetzungen der beanstandeten Datenverarbeitung nicht auf das schlichte Löschen von Daten zu verengen (Senat BGHZ 226, 285 Rn. 17 = NJW 2020, 3436), sondern umfasst unabhängig von der technischen Umsetzung auch das Begehren, eine entsprechende Unterlassung zu verlangen. (BGHZ 237, 137 m. w. N.) Sollte diese Rechtsauffassung falsch sein (vgl. BeckOK DatenschutzR/Worms, 50. Ed. 1.11.2024, DS-GVO Art. 17 Rn. 57), bestünde zumindest ein Unterlassungsanspruch aus den §§ 1004; 823 BGB i. V. m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

Das die Bild- und Videoaufnahmen unrechtmäßig sind und der Beklagte Störer ist, wurde bereits oben dargelegt. Es besteht auch eine Wiederholungsgefahr. Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass ihm das Recht zustehe, den Kläger im Hof seiner Wohnanschrift abzulichten. Dies ergibt sich zumindest aus den Aussagen der mündlichen Verhandlung, dass die streitgegenständlichen Bilder gespeichert bleiben dürften. Daraus ergibt sich auch die Gefahr, dass in Zukunft weitere Aufnahme gefertigt werden, um noch weiteres Bildmaterial zu sammeln. Zumindest lässt sich aus der wiederholten Begehung der unrechtmäßigen Bildaufnahmen, sogar noch während der Rechtshängigkeit der Klage zuletzt am 03.01.2025 (AS 100 bis 102), auf eine Wiederholungsgefahr schließen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Verdachtsberichterstattung nur nach vorheriger Anhörung des Betroffenen hinsichtlich des konkreten Sachverhalts zulässig

OLG Frankfurt
Urteil vom 20.03.2025
16 U 42/24


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass Verdachtsberichterstattung nur nach vorheriger Anhörung des Betroffenen hinsichtlich des konkreten Sachverhalts zulässig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Geheimagent - Konkrete Anhörung ist Voraussetzung

Die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung setzt grundsätzlich voraus, dass der Betroffene zu den Grundlagen und Zusammenhängen der beabsichtigten Berichterstattung angehört wird. Der Umstand, dass der Betroffene ohne Kenntnis des Inhalts eines erst geplanten Films erklärt hat, keine Stellungnahme abzugeben, lässt die Anhörungspflicht nicht entfallen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) verpflichtete mit heute veröffentlichter Entscheidung die Beklagten, es zu unterlassen, den Verdacht einer Beteiligung des Klägers am Tod von Uwe Barschel zu erwecken.

Der Kläger war als Geheimagent für deutsche und ausländische Sicherheitsbehörden tätig. Die Beklagten befassten sich im Rahmen einer vierteiligen „Doku-Reihe“ mit dem Tod von Uwe Barschel in Genf. Ziel der Serie war es, Theorien und Indizien zu den Umständen und Hintergründen des Todes zu verfilmen. Der Kläger nimmt die Beklagten u.a. auf Unterlassung in Anspruch, durch bestimmte Passagen des Films den Verdacht eines Zusammenhangs zwischen dem Tod von Uwe Barschel und ihm zu erwecken.

Das Landgericht hatte seinem Antrag insoweit stattgegeben. Die hiergegen von den Beklagten eingelegte Berufung hatte vor dem Pressesenat des OLG keinen Erfolg.

Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der in der Berufung noch angegriffenen Aussagen zu, bestätigte das OLG die angefochtene Entscheidung. Die Beklagten erweckten mit den angegriffenen Passagen u.a. den Verdacht, dass der Kläger am Tod von Uwe Barschel beteiligt gewesen sei. Dieser Verdacht werde zwar nicht ausdrücklich erhoben, ergebe sich aber aus dem Gesamtkontext mehrerer für sich genommen wahrer Tatsachen. Der Zuschauer folgere aus der Zusammenstellung und Anordnung von Angaben von „Zeitzeugen“ mit Zwischentexten eine eigene Äußerung der Beklagten.

Die Beklagten seien nicht berechtigt, diesen Verdacht aufzustellen und zu verbreiten. Die Voraussetzungen für eine zulässige Verdachtsberichterstattung seien nicht eingehalten worden. Die Beklagten hätten dem Kläger nicht ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Grundlagen und Zusammenhängen der hier streitigen Verdachtsäußerung eingeräumt. Der Kläger sei zu den näheren konkreten Inhalten des Berichts nicht angehört worden.

Diese Anhörung sei hier auch nicht entbehrlich gewesen. Zwar habe der Kläger im Vorstadium des Filmes ein Interview mit dem Journalisten der Serie abgelehnt und bekundet, „jede Stellungnahme“ abzulehnen. Daraus hätten die Beklagten haben nicht schließen dürfen, dass er auch auf eine Stellungnahme zu Inhalten verzichte, die er noch nicht kenne. Der Filmbeitrag sei zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht fertig konzipiert gewesen. Das Interview habe ersichtlich der Informations- und Materialsammlung für den beabsichtigten Bericht gedient.

Der Umstand, dass der Kläger gegen einen Wikipedia-Artikel zu „Uwe Barschel“ nicht vorgegangen sei, in dem seine Rolle beleuchtet werde, lasse die Anhörungspflicht ebenfalls nicht entfallen. Der Artikel weise vielmehr maßgebliche inhaltliche Unterschiede zum hiesigen Fernseh-Bericht auf. Auch der öffentlich zugängliche Gesamtbericht der Staatsanwaltschaft Lübeck über das Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen eines Tötungsdelikts an Uwe Barschel weiche maßgeblich von dem hiesigen Bericht ab.

Soweit die Beklagten auf andere Berichte verwiesen mit inhaltsgleichen Äußerungen, habe der Kläger bekundet, diese nicht zu kennen.

Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 20.3.2025, Az. 16 U 42/24
(vorgehend LG Frankfurt am Main, Urteil vom 23.2.2024, Az. 2-03 O 654/23)



OLG München: Ansprüche wegen Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens nur bei vorherigem Opt-Out des Presseunternehmens

OLG München
Urteil vom 18.03.2025
18 U 4493/22 Pre


Das OLG München hat entschieden, dass Ansprüche eines Presseunternehmens wegen Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens nur bei vorherigem Opt-Out des Presseunternehmens bestehen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die in eine rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung umzudeutende Anschlussberufung der Beklagten zu 3) ist zulässig und in der Sache begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1 BGB auf Unterlassung der Übermittlung von presserechtlichen Informationsschreiben, wie geschehen mit Schreiben vom 21.10.2020, nicht zu. Denn sie hat vor der Übersendung des streitgegenständlichen presserechtlichen Informationsschreibens nicht wirksam gegenüber der Beklagten zu 3) erklärt, Schreiben dieser Art nicht mehr erhalten zu wollen (sog. Opt-Out).

1. Zwar hat der Bundesgerichtshof in Übereinstimmung mit dem Senat entschieden, dass das streitgegenständliche Schreiben der Beklagten zu 1) und zu 2) von vorneherein ungeeignet ist, präventiven Rechtsschutz zu bewirken, weil es keine Informationen enthält, die der Klägerin die Beurteilung erlauben, ob Persönlichkeitsrechte durch eine etwaige Berichterstattung verletzt würden.

2. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 25.06.2024 – VI ZR 64/23 – Rn. 20 ff. jedoch darüber hinaus ausgeführt:

Die Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens an ein Presseunternehmen stellt grundsätzlich nur dann einen unmittelbaren Eingriff in dessen Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, wenn es zuvor durch ein sogenanntes Opt-Out zu verstehen gegeben hat, dass es die Zusendung solcher Schreiben nicht wünscht.

Der Schutz des § 823 Abs. 1 BGB wird gegen jede Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährt, wenn die Störung einen unmittelbaren Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt. Durch den dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährten Schutz soll das Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und in seinem Funktionieren vor widerrechtlichen Eingriffen bewahrt bleiben. Die Verletzungshandlung muss sich gerade gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten und über eine bloße Belästigung oder eine sozial übliche Behinderung hinausgehen (vgl. Senat NJW 2020, 1587 Rn. 35; NJW 2020, 770 Rn. 47; NJW 2019, 781 Rn. 16; BGHZ 138, 311 (317 f.) Rn. 17 = NJW 1998, 2141; BGH NJW-RR 2014, 1508 Rn. 12 – Aufruf zur Kontokündigung; BGH NJW 2013, 2760 Rn. 16 – Vorbeugende Unterwerfungserklärung). Bei Presseunternehmen sind dabei durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG grundrechtlich gewährte Rechtspositionen zu berücksichtigen (Senat NJW 2019, 781 Rn. 16 mwN).

Die Übermittlung sogenannter presserechtlicher Informationsschreiben ist normalerweise betriebsbezogen, weil sie unmittelbar auf eine Beeinflussung der redaktionellen Tätigkeit des Presseunternehmens abzielt. Sie führt in der Regel auch nicht nur zu einer bloßen Belästigung, weil bereits die Sichtung des Schreibens unmittelbar nach dem Eingang und die Weiterleitung innerhalb des Verlags zusätzlichen Arbeitsaufwand verursachen kann und darüber hinaus nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist und daher der Prüfung bedarf, was Inhalt und Gegenstand des Schriftstücks ist (vgl. Senat NJW 2019, 781 Rn. 17). Für die Annahme eines unmittelbaren Eingriffs in den gewerblichen Tätigkeitskreis eines Presseunternehmens reicht dies jedoch nicht aus. Erforderlich ist vielmehr grundsätzlich zusätzlich, dass das Presseunternehmen zuvor erklärt hat, keine Schreiben dieser Art (mehr) erhalten zu wollen (sog. Opt-Out), so dass die Behinderung auch keine sozial übliche mehr ist.

Damit hat der Bundesgerichtshof gegenüber seiner früheren Rechtsprechung (Urteil vom 15.01.2019 – VI ZR 506/17) präzisiert, dass die Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens als solches selbst dann noch nicht stets allein deshalb einen Unterlassungsanspruch begründet, wenn das Schreiben wie das streitgegenständliche inhaltlich nicht die vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 15.01.2019 aufgestellten Anforderungen erfüllt.

3. Dies zugrunde gelegt lässt sich ein rechtswidriger Eingriff der Beklagten zu 3) in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht feststellen.

Die Klägerin hat mit dem Schreiben des Klägervertreters vom 27.09.2018 nicht wirksam gegenüber der Beklagten zu 3) erklärt, keine dem streitgegenständlichen presserechtlichen Informationsschreiben vergleichbaren Schreiben (mehr) erhalten zu wollen. Der Inhalt des als Anlage K5 vorgelegten Schreibens ist hierfür zu unbestimmt.

Eine empfangsbedürftige Willenserklärung – wie hier das sog. Opt-Out – ist gemäß §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste. Der Erklärungsempfänger ist verpflichtet, unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände zu prüfen, was der Erklärende gemeint hat. Entscheidend ist dabei der durch normative Auslegung zu ermittelnde objektive Erklärungswert des Verhaltens des Erklärenden (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. bspw. Urteil vom 10.12.2014 – VIII ZR 25/14 m.w.N.).

a) Dies zugrunde gelegt lässt sich dem Schreiben vom 27.09.2018 schon nicht entnehmen, für welchen Erklärenden es Wirksamkeit beansprucht. Damit bleibt auch unklar, ob das Schreiben für die Klägerin gelten soll. Die Klägerin selbst hat das Schreiben nicht gefertigt. Es enthält auch keinen Hinweis darauf, dass es im Namen der Klägerin an die Beklagte zu 1) übermittelt wurde. Legt man den Wortlaut des Schreibens zugrunde, wird untersagt, „namens und im Auftrag unserer Mandantschaft“ sogenannte presserechtliche Informationsschreiben „an unsere Mandantin“ zu versenden. Ein Hinweis darauf, wer die „Mandantschaft“ bzw. die „Mandantin“ ist, findet sich in dem Schreiben an keiner Stelle. Eine Klarstellung ergibt sich vorliegend auch nicht aus den als Anlagen beigefügten presserechtlichen Informationsschreiben zu Joachim Löw vom 01.10.2018, die an die M. GmbH bzw. an die S. Verlags GmbH & Co KG (die ehemalige Klägerin zu 2) adressiert waren. Denn diese Schreiben richteten sich an mindestens zwei Verlagsgesellschaften, die Formulierung „Mandantin“ im Schreiben vom 27.09.2018 deutet dagegen durch die Verwendung des Singulars auf die Vertretung nur einer bestimmten Gesellschaft hin. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann selbst aus der Zusammenschau des Schreibens vom 27.09.2018 und der beigefügten Anlagen nicht geschlossen werden, dass mit „Mandantschaft“ bzw. „Mandantin“ sämtliche Verlagsgesellschaften des Medienhauses X., die von presserechtlichen Informationsschreiben der Beklagtenseite betroffen waren, und damit auch die ehemaligen Klägerinnen zu 1) und 2) gemeint waren. Selbst wenn man unterstellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) Kenntnis davon hatten, dass das Medienhaus X. im Jahr 2018 exklusiv durch die Kanzlei Y. vertreten wurde, war für sie nicht hinreichend bestimmbar, welche der Verlagsgesellschaften von dem Begriff der „Mandantschaft“ bzw. „Mandantin“ erfasst sein sollten. Die Beklagte zu 3) weist in ihrem Schriftsatz vom 03.01.2025 (dort Seite 3) zu Recht darauf hin, dass im vorliegenden Gesamtkontext eine Vielzahl möglicher Deutungen in Betracht kommt, ohne dass einzelne Deutungen von vorneherein als fernliegend ausgeschieden werden könnten.

b) Dem Schreiben vom 27.09.2018 lässt sich darüber hinaus nicht mit ausreichender Bestimmtheit entnehmen, dass es in Bezug auf die Beklagte zu 3) Wirkung entfalten sollte. Ausweislich des Adressfeldes ist es an die Beklagte zu 1) zu Händen Herrn RA S2. B. gerichtet, an den sich der Klägervertreter in der Folge mit der Formulierung „untersagen wir Ihnen hiermit“ auch direkt richtet. Auch im abschließenden Absatz richtet sich der Appell „Wir haben Sie also anzuhalten“ unmittelbar an die Beklagte zu 1) bzw. an Rechtsanwalt B.. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund verständlich, dass die Beklagte zu 1) im Vorfeld der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15.01.2019 – VI ZR 506/17 unabhängig von einer Vertretung eines bestimmten Mandanten für sich selbst in Anspruch genommen hatte, in der von der Klägerin beanstandeten Weise vorgehen zu dürfen, sie hatte sogar ausdrücklich angeregt, nicht einen konkreten Mandanten, sondern sie selbst zu verklagen (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2019 – VI ZR 506/17 Rn. 25). Von daher war es aus Sicht der Beklagten zu 1) und 2) durchaus nicht fernliegend, das Schreiben nur auf sich selbst zu beziehen, zumal an keiner Stelle die Geltung gegenüber irgendeinem Mandanten der Beklagten zu 1) zum Ausdruck gebracht wird. Dass das Schreiben auch gegenüber der Beklagten zu 3) Wirkung haben soll, lässt sich auch den als Anlagen beigefügten presserechtlichen Informationsschreiben vom 01.10.2018 nicht entnehmen. Denn diese betrafen beide den Fall „Joachim Löw“, so dass beim Empfänger des Schreibens durchaus der Eindruck entstehen konnte, dass das sog. Opt-Out allenfalls zusätzlich gegenüber diesem Mandanten der Beklagten zu 1) erfolgen sollte. Eine allgemeine Geltung dahingehend, dass die Beklagten zu 1) und 2) die ausgesprochene Untersagung allen gegenwärtigen und künftigen Mandanten und damit auch der Beklagten zu 3) zur Kenntnis bringen sollten, kann dem Schreiben vom 27.09.2018 entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zugemessen werden.

4. Mangels Erstverstoßes gegen ein absolut geschütztes Recht der Klägerin fehlt es damit auch an der nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB notwendigen Wiederholungsgefahr.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerwG legt EuGH Fragen zur Kennzeichnung von Arzneimitteln beim Parallelimport zur Vorabentscheidung vor

BVerwG
Beschluss vom 20.03.2025
3 C 9.23


Das BVerwG hat dem EuGH Fragen zur Kennzeichnung von Arzneimitteln beim Parallelimport zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Parallelimport von Arzneimitteln: Gerichtshof der Europäischen Union soll Fragen zur Kennzeichnung der Behältnisse des Arzneimittels klären

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig holt eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu der Frage ein, unter welchen Voraussetzungen Abweichungen von den Vorschriften über die Kennzeichnung von Arzneimitteln insbesondere beim Parallelimport von Arzneimitteln nach Unionsrecht möglich sind.

Die Klägerin ist Inhaberin einer Zulassung zum Inverkehrbringen eines Arzneimittels in Deutschland, das zur Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms dient. Es besteht aus zwei Fertigspritzen, die jeweils in einer durch Folie verschlossenen Schalenverpackung liegen. Nach dem Öffnen der Schalenverpackung sollen die Spritzen sofort zubereitet und verwendet werden.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilte der Beigeladenen im Jahr 2010 – unter Bezug auf die Zulassung der Klägerin – eine Zulassung für den Parallelimport des Arzneimittels aus Italien und verlängerte diese im Jahr 2014 unter Erweiterung auf Importe aus Rumänien und Polen. Der Verlängerungsbescheid weist darauf hin, dass die Schalenverpackung des Arzneimittels nicht geöffnet werden solle, um die Spritzen – wie von § 10 Abs. 1 und Abs. 8 Satz 3 des Arzneimittelgesetzes (AMG) verlangt – in deutscher Sprache unter anderem mit der Angabe "subkutane Anwendung" zu kennzeichnen, da hierdurch die Haltbarkeit des Medikaments beeinträchtigt würde. Die Beigeladene müsse aber sicherstellen, dass bestimmte Mindestangaben in lateinischer Schrift auf den Spritzen vorhanden seien. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage der Klägerin blieb vor dem Verwaltungsgericht und in der Berufungsinstanz erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass die Frage, ob die Zulassung des Parallelimports unter Abweichung von den Kennzeichnungsvorschriften des Arzneimittelgesetzes rechtswidrig sei, dahinstehen könne, weil die Klägerin hierdurch jedenfalls nicht in eigenen Rechten verletzt werde.


Auf die Revision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt. Dem liegt zugrunde, dass die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Klägerin könne bei einem Verstoß gegen § 10 Abs. 1 und Abs. 8 Satz 3 AMG nicht in eigenen Rechten verletzt sein, gegen Bundesrecht verstößt. Die Vorschriften über die Zulassung eines Arzneimittels sind in Verbindung mit den Kennzeichnungsvorgaben in § 10 Abs. 1 und Abs. 8 Satz 3 AMG auch dazu bestimmt, den Inhaber einer Arzneimittelzulassung davor zu schützen, dass unter Bezugnahme auf seine Zulassung das Inverkehrbringen eines parallel importierten Arzneimittels gestattet wird, dessen Primärverpackung nicht den Vorschriften entsprechend in deutscher Sprache gekennzeichnet ist. Zur Beurteilung, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt, kommt es daher darauf an, ob die Beklagte bei der Erteilung der Zulassung von den Kennzeichnungsvorgaben des Arzneimittelgesetzes abweichen durfte. Während das nationale Recht hierfür keine Möglichkeit vorsieht, könnte sich eine Abweichungsmöglichkeit aus Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (in der Fassung der Richtlinie 2012/26/EU vom 25. Oktober 2012) ergeben. Hiernach können die nationalen Behörden für Arzneimittel, die nicht dazu bestimmt sind, direkt an den Patienten abgegeben zu werden, von bestimmten Kennzeichnungsvorschriften absehen, unter anderem von der Verwendung der Sprache des Mitgliedstaats, in dem das Arzneimittel in Verkehr gebracht werden soll. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht den Gerichtshof der Europäischen Union um Klärung folgender Fragen gebeten:


1. Finden die Kennzeichnungsvorgaben der Art. 54, 55 Abs. 3 und Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG auf ein Arzneimittel Anwendung, für das in einem Mitgliedstaat eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde und dessen Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat im Verhältnis zu einem in diesem zweiten Mitgliedstaat bereits zugelassenen Arzneimittel einen Parallelimport darstellt?


2. Ist Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG dahingehend auszulegen, dass ein Arzneimittel nicht dazu bestimmt ist, direkt an den Patienten abgegeben zu werden, wenn es als Arzneimittel eingestuft ist, das der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegt?


3. Kommt Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG unmittelbare Wirkung zu, so dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer, der ein Arzneimittel aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland importieren möchte, vor den deutschen Gerichten gegenüber der beklagten Bundesrepublik Deutschland, die die Vorschrift nicht bzw. nicht vollständig in ihr nationales Recht umgesetzt hat, auf die Vorschrift berufen kann?


4. Stehen Art. 34 und 36 AEUV der Anwendung von Vorschriften des nationalen Rechts und des Unionsrechts, die die Kennzeichnung von Primärverpackungen mit bestimmten Mindestangaben in der Sprache des Einfuhrmitgliedstaats verlangen, auf ein parallel importiertes Arzneimittel entgegen, wenn eine zur Erfüllung dieser Kennzeichnungsvorgaben erforderliche Umetikettierung der Primärverpackung des parallel importierten Arzneimittels wegen einer damit einhergehenden wesentlichen Beeinträchtigung seiner Haltbarkeit nicht möglich ist?

BVerwG 3 C 9.23 - Beschluss vom 20. März 2025

Vorinstanzen:

VG Köln, VG 7 K 3695/15 - Urteil vom 31. Mai 2016 -

OVG Münster, OVG 9 A 1531/16 - Urteil vom 14. Dezember 2021 -


BVerwG: Sperranordnungen der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder wegen unerlaubter Online-Glückspiele gegen Provider ohne eigene Netzinfrastruktur rechtswidrig

BVerwG
Urteil vom 19.03.2025
8 C 3.24


Das BVerwG hat entschieden, dass Sperranordnungen der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder wegen unerlaubter Online-Glückspiele gegen Provider ohne eigene Netzinfrastruktur rechtswidrig sind.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Anforderungen an glücksspielrechtliche Sperranordnungen

Nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 (GlüStV) kann ein Internetzugangsvermittler nur bei Verantwortlichkeit nach § 8 des Telemediengesetzes (TMG) verpflichtet werden, den Zugang zu Internetseiten zu sperren, auf denen in Deutschland unerlaubtes Glücksspiel angeboten wird. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Die Klägerin vermittelt für ihre Kunden den Zugang zum Internet. Die beigeladenen Unternehmen mit Sitz in der Republik Malta betreiben mehrere Internetseiten, auf denen in Deutschland nicht erlaubte Glücksspiele angeboten werden. Im Oktober 2022 verfügte die beklagte Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder gegenüber der Klägerin, die näher bezeichneten Internetseiten der Beigeladenen im Rahmen ihrer technischen Möglichkeiten als Zugangsvermittler zu sperren. Die dagegen gerichtete Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Sperranordnungen dürften nur gegenüber Zugangsvermittlern ergehen, die nach § 8 TMG verantwortlich seien. Daran fehle es hier.

Die Revision der Beklagten ist erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die einschlägige Ermächtigung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV auf die Verantwortlichkeit nach § 8 TMG verweist. Die zwischenzeitliche Aufhebung des Telemediengesetzes ändert hieran nichts, da die Verweisung die bei Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags geltende Fassung des § 8 TMG in Bezug nimmt. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV dürfen Sperranordnungen ausdrücklich nur gegen "im Sinne der §§ 8 bis 10 des Telemediengesetzes verantwortliche Diensteanbieter" gerichtet werden; für Zugangsvermittler ist § 8 TMG einschlägig. Die Entstehungsgeschichte des Glücksspielstaatsvertrags zeigt, dass die Staatsvertragsparteien auf das im Telemediengesetz normierte System abgestufter Verantwortlichkeit verschiedener Arten von Diensteanbietern zurückgreifen wollten. Aus dem Regelungszusammenhang ergibt sich nichts anderes. Der Sinn und Zweck der Vorschrift rechtfertigt keine Auslegung gegen den Wortlaut. Unionsrecht steht der Anwendung der Verweisung auf § 8 TMG nicht entgegen. Nach dieser Regelung ist die Klägerin nicht verantwortlich. Weder veranlasst sie die Übermittlung der Glücksspielinhalte, noch wählt sie diese oder deren Adressaten aus. Es liegt auch kein kollusives Zusammenwirken zwischen ihr und den Beigeladenen vor. Andere Ermächtigungsgrundlagen für den Erlass einer Sperranordnung stehen wegen des speziellen, abschließenden Charakters des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV nicht zur Verfügung.

BVerwG 8 C 3.24 - Urteil vom 19. März 2025

Vorinstanzen:

VG Koblenz, VG 2 K 1026/22 - Urteil vom 10. Mai 2023 -

OVG Koblenz, OVG 6 A 10998/23 - Urteil vom 22. April 2024 -



BGH: Apple hat eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb nach § 19a GWB

BGH
Beschluss vom 18.03.2025
KVB 61/23
Apple


Der BGH hat entschieden, dass Apple eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb nach § 19a GWB hat und somit die entsprechende Entscheidung des Bundeskartellamtes bestätigt.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof bestätigt Apples überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat heute die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Apple eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. Er hat damit zum zweiten Mal über eine Beschwerde gegen eine Feststellung nach § 19a Abs. 1 GWB entschieden. Die Regelung des § 19a GWB, die der Modernisierung und Stärkung der wettbewerbsrechtlichen Missbrauchsaufsicht dient, sieht ein zweistufiges Verfahren vor. Danach kann das Bundeskartellamt in einem ersten Schritt die überragende marktübergreifende Bedeutung des Unternehmens für den Wettbewerb feststellen (§ 19a Abs. 1 GWB) und dem betroffenen Unternehmen in einem zweiten Schritt bestimmte Verhaltensweisen untersagen (§ 19a Abs. 2 GWB).

Sachverhalt:

Apple ist ein US-amerikanisches Technologieunternehmen, das insbesondere Computer und Smartphones mit dazugehörigen Betriebssystemen sowie Anwendungssoftware und Unterhaltungselektronik entwickelt und weltweit vertreibt. Mit einer Börsenkapitalisierung von über 3 Billionen USD ist Apple das wertvollste Unternehmen der Welt. Im Geschäftsjahr 2022 lagen der Umsatz des Konzerns bei 394,3 Mrd USD, der Gewinn bei knapp 95 Mrd USD und die liquiden Mittel bei mehr als 180 Mrd USD. Apple beschäftigt rund 150.000 Mitarbeiter und hat in den letzten zehn Jahren weit mehr als 50 Unternehmen übernommen. Zu den von Apple produzierten und vertriebenen Hardwareprodukten gehören insbesondere das iPhone, das iPad, die Mac-Computer und verschiedene Wearables wie die Apple Watch. Mit dem iPhone erzielt der Konzern über die Hälfte seines Umsatzes. Seit der Markteinführung 2007 bis 2021 wurden weltweit mehr als 2 Mrd iPhones verkauft, etwa die Hälfte davon zwischen 2017 und 2021. Für seine Hardware-Produkte hat Apple anderen Geräteherstellern nicht zugängliche und damit "proprietäre" Betriebssysteme entwickelt, die auf den Geräten vorinstalliert und für deren Nutzung grundsätzlich unverzichtbar sind. Desweiteren stellt Apple den Nutzern seiner Geräte eine Vielzahl selbstentwickelter und in der Regel vorinstallierter Softwareprodukte zur Verfügung. Zudem betreibt Apple den auf den Endgeräten vorinstallierten Apple App Store, die zentrale digitale Vertriebsinfrastruktur für von Dritten entwickelte Anwendungssoftware, und bietet verschiedene Online-Dienste an, unter anderem den Musik-Streamingdienst Apple Music, den Video-Streamingdienst Apple TV+ und den Bezahldienst Apple Pay.

Das Bundeskartellamt hat mit Beschluss vom 3. April 2023 (B 9-67/21) festgestellt, dass der Apple Inc. einschließlich aller mit ihr verbundenen Unternehmen (Apple) eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb im Sinn des § 19a Abs. 1 GWB zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben die Apple Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Beschwerde, über die der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs in erster und letzter Instanz zu entscheiden hatte (§ 73 Abs. 5 Nr. 1 GWB), hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat zu Recht gemäß § 19a Abs. 1 GWB festgestellt, dass Apple in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten im Sinn des § 18 Abs. 3a GWB tätig ist und dem Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.

Mit dem Betrieb des App Store und mit seinen mobilen Betriebssystemen wie iOS für das iPhone und iPadOS für das iPad ist Apple in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig. Mehrseitige Märkte im Sinn des § 18 Abs. 3a GWB sind nicht nur Plattformen, auf denen Geschäftsabschlüsse zwischen verschiedenen Nutzergruppen stattfinden oder vermittelt werden. Es genügt, dass durch die Plattform die Aufmerksamkeit einer Nutzergruppe auf die andere gelenkt oder eine Interaktion zwischen unterschiedlichen Nutzergruppen technisch ermöglicht wird. Der Umfang von Apples Tätigkeit auf solchen Plattformen ist auch erheblich. Im Geschäftsjahr 2020 waren im Apple App Store rund 1,7 Mio Apps verfügbar, die 2020 über 30 Mrd mal heruntergeladen wurden. Mit den im Apple App Store verfügbaren Apps und angebotenen Leistungen wurden im Jahr 2020 insgesamt mehr als 640 Mrd USD umgesetzt. Apple erzielte im Geschäftsjahr 2021 allein durch den App Store einen Nettoerlös von über 15 Mrd USD.

Apple kommt eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb gemäß § 19a Abs. 1 GWB zu. Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 23. April 2024 (KVB 56/22, BGHZ 240, 227 - Amazon) entschieden hat, muss für eine solche Feststellung weder eine konkrete Gefahr für den Wettbewerb bestehen oder dieser bereits beeinträchtigt sein, noch setzt sie voraus, dass das adressierte Unternehmen sein wettbewerbliches Potential ausnutzt. Die Norm will dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen potentiell erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen. Daher reicht es aus, dass dem Unternehmen die strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten offenstehen, deren abstraktes Gefährdungspotential durch § 19a Abs. 1 GWB adressiert wird. Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Apple über solche strategischen und wettbewerblichen Potentiale verfügt. Apple zählt zu den größten, umsatzstärksten und profitabelsten Unternehmen weltweit; ihm stehen außerordentliche finanzielle und sonstige Ressourcen zur Verfügung. Ausgehend von seinen hochwertigen und hochpreisigen Hardwaregeräten, insbesondere dem iPhone, von denen weltweit mehr als eine Milliarde in Gebrauch sind und die beständig sehr hohe Absatzzahlen aufweisen, sowie den dafür entwickelten proprietären Betriebssystemen erstreckt Apple seine geschäftlichen Aktivitäten in diverse weitere Bereiche. Die Produkte und Dienstleistungen, die Apple den Nutzern seiner Geräte anbietet, sind in hohem Maß vertikal integriert und untereinander eng miteinander verbunden sowie in weiten Teilen den Nutzern von Apple-Geräten vorbehalten. Dies bildet die Grundlage für das - vom Unternehmen selbst so bezeichnete - "Apple-Ökosystem". Zwar ist davon auszugehen, dass Apple beispielsweise keinen Zugang zu Nutzerdaten hat, die nur auf den Geräten gespeichert oder verschlüsselt zwischen Geräten oder zwischen einem Gerät und der iCloud übertragen werden, da das Unternehmen darauf nach eigenen Angaben tatsächlich und rechtlich nicht zugreifen kann. Apple verfügt dennoch im Ergebnis über einen breiten und tiefen Zugang zu Daten. Das ergibt sich bereits aus der Datenschutzrichtlinie des Unternehmens, wonach die Nutzer in vielen Fällen der Freigabe von Daten zustimmen müssen, wenn sie die Produkte und Dienste von Apple in bestimmter Weise nutzen wollen. Selbst unterstellt, dass nur ein geringer Teil der Nutzer eine solche Freigabe erteilt, bleiben wegen der großen weltweiten Nutzerbasis von Apple dem Unternehmen Daten in sehr großem Umfang zugänglich. Da Apples Tätigkeit große Bedeutung für den Zugang Dritter zu Beschaffungs- und Absatzmärkten hat, verfügt Apple über erheblichen Einfluss auf deren Geschäftstätigkeit. So sind externe App-Entwickler und weitere Drittunternehmen auf Apples Unterstützung angewiesen, um Zugang zu der großen Zahl von Apple-Gerätenutzern zu erhalten. Verbunden mit der äußerst marktstarken Stellung des Konzerns in dem gesamtwirtschaftlich bedeutenden Bereich der Smartphones nebst Betriebssystem und Softwareanwendungen einschließlich App Store eröffnet dies Apple die von § 19a Abs. 1 GWB adressierten wettbewerblichen und strategischen Möglichkeiten.

Wie der Kartellsenat bereits entschieden hat (BGHZ 240, 227 - Amazon), stehen § 19a Abs. 1 GWB und einer darauf beruhenden Feststellungsverfügung weder verfassungs- noch unionsrechtliche Gründe entgegen. Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung Apples für den Wettbewerb nach § 19a Abs. 1 GWB wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass Apple während des Beschwerdeverfahrens mit seinen mobilen Betriebssystemen und App Stores von der Europäischen Kommission als Torwächter gemäß Art. 3 Digital Markets Act (DMA) benannt wurde und in der Europäischen Union seit dem 7. März 2024 dessen Regelungen unterworfen ist. Es ist bisher nicht ersichtlich, dass darauf beruhende Veränderungen in Apples Geschäftspraktiken in einer für § 19a Abs. 1 GWB relevanten Weise Stellung und Potentiale des Unternehmens im Wettbewerb verändert hätten. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union war auch vor dem Hintergrund neuerer Äußerungen in der Literatur nicht veranlasst.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

§ 18 Marktbeherrschung

(1) Ein Unternehmen ist marktbeherrschend, soweit es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt

1. ohne Wettbewerber ist,

2. keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder

3. eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat.

[…]

(3a) Insbesondere bei mehrseitigen Märkten und Netzwerken sind bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens auch zu berücksichtigen:

1. direkte und indirekte Netzwerkeffekte,

2. die parallele Nutzung mehrerer Dienste und der Wechselaufwand für die Nutzer,

3. seine Größenvorteile im Zusammenhang mit Netzwerkeffekten,

4. sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten,

5. innovationsgetriebener Wettbewerbsdruck.

[…]

§ 19a Missbräuchliches Verhalten von Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb

(1) Das Bundeskartellamt kann durch Verfügung feststellen, dass einem Unternehmen, das in erheblichem Umfang auf Märkten im Sinne des § 18 Absatz 3a tätig ist, eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Bei der Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung eines Unternehmens für den Wettbewerb sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. seine marktbeherrschende Stellung auf einem oder mehreren Märkten,

2. seine Finanzkraft oder sein Zugang zu sonstigen Ressourcen,

3. seine vertikale Integration und seine Tätigkeit auf in sonstiger Weise miteinander verbundenen Märkten,

4. sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten,

5. die Bedeutung seiner Tätigkeit für den Zugang Dritter zu Beschaffungs- und Absatzmärkten sowie sein damit verbundener Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter.

Die Verfügung nach Satz 1 ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft zu befristen.

(2) Das Bundeskartellamt kann im Falle einer Feststellung nach Absatz 1 dem Unternehmen untersagen,

1. beim Vermitteln des Zugangs zu Beschaffungs- und Absatzmärkten die eigenen Angebote gegenüber denen von Wettbewerbern bevorzugt zu behandeln, insbesondere

a) die eigenen Angebote bei der Darstellung zu bevorzugen;

b) ausschließlich eigene Angebote auf Geräten vorzuinstallieren oder in anderer Weise in Angebote des Unternehmens zu integrieren;

2. Maßnahmen zu ergreifen, die andere Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit auf Beschaffungs- oder Absatzmärkten behindern, wenn die Tätigkeit des Unternehmens für den Zugang zu diesen Märkten Bedeutung hat, insbesondere

a) Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer ausschließlichen Vorinstallation oder Integration von Angeboten des Unternehmens führen;

b) andere Unternehmen daran zu hindern oder es ihnen zu erschweren, ihre eigenen Angebote zu bewerben oder Abnehmer auch über andere als die von dem Unternehmen bereitgestellten oder vermittelten Zugänge zu erreichen;

3. Wettbewerber auf einem Markt, auf dem das Unternehmen seine Stellung, auch ohne marktbeherrschend zu sein, schnell ausbauen kann, unmittelbar oder mittelbar zu behindern, insbesondere

a) die Nutzung eines Angebots des Unternehmens mit einer dafür nicht erforderlichen automatischen Nutzung eines weiteren Angebots des Unternehmens zu verbinden, ohne dem Nutzer des Angebots ausreichende Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Umstands und der Art und Weise der Nutzung des anderen Angebots einzuräumen;

b) die Nutzung eines Angebots des Unternehmens von der Nutzung eines anderen Angebots des Unternehmens abhängig zu machen;

4. durch die Verarbeitung wettbewerbsrelevanter Daten, die das Unternehmen gesammelt hat, Marktzutrittsschranken zu errichten oder spürbar zu erhöhen, oder andere Unternehmen in sonstiger Weise zu behindern, oder Geschäftsbedingungen zu fordern, die eine solche Verarbeitung zulassen, insbesondere

a) die Nutzung von Diensten davon abhängig zu machen, dass Nutzer der Verarbeitung von Daten aus anderen Diensten des Unternehmens oder eines Drittanbieters zustimmen, ohne den Nutzern eine ausreichende Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Umstands, des Zwecks und der Art und Weise der Verarbeitung einzuräumen;

b) von anderen Unternehmen erhaltene wettbewerbsrelevante Daten zu anderen als für die Erbringung der eigenen Dienste gegenüber diesen Unternehmen erforderlichen Zwecken zu verarbeiten, ohne diesen Unternehmen eine ausreichende Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Umstands, des Zwecks und der Art und Weise der Verarbeitung einzuräumen;

5. die Interoperabilität von Produkten oder Leistungen oder die Portabilität von Daten zu verweigern oder zu erschweren und damit den Wettbewerb zu behindern;

6. andere Unternehmen unzureichend über den Umfang, die Qualität oder den Erfolg der erbrachten oder beauftragten Leistung zu informieren oder ihnen in anderer Weise eine Beurteilung des Wertes dieser Leistung zu erschweren;

7. für die Behandlung von Angeboten eines anderen Unternehmens Vorteile zu fordern, die in keinem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung stehen, insbesondere

a) für deren Darstellung die Übertragung von Daten oder Rechten zu fordern, die dafür nicht zwingend erforderlich sind;

b) die Qualität der Darstellung dieser Angebote von der Übertragung von Daten oder Rechten abhängig zu machen, die hierzu in keinem angemessenen Verhältnis stehen. Dies gilt nicht, soweit die jeweilige Verhaltensweise sachlich gerechtfertigt ist. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt insoweit dem Unternehmen. § 32 Absatz 2 und 3, die §§ 32a und 32b gelten entsprechend. Die Verfügung nach Absatz 2 kann mit der Feststellung nach Absatz 1 verbunden werden.

[….]

§ 73 Zulässigkeit, Zuständigkeit

[…]

(5) Der Bundesgerichtshof entscheidet als Beschwerdegericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten gegen Verfügungen des Bundeskartellamts

1. nach § 19a, auch in Verbindung mit §§ 19, 20 und Artikel 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie § 32 Absatz 1, 2 und 3,

2. […],

jeweils einschließlich aller selbständig anfechtbaren Verfahrenshandlungen.

Verordnung (EU) 2022/1925 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2022 über bestreitbare und faire Märkte im digitalen Sektor und zur Änderung der Richtlinien (EU) 2019/1937 und (EU) 2020/1828 (Gesetz über digitale Märkte/Digital Markets Act)

Artikel 1 Gegenstand und Anwendungsbereich

[…]

(5) Um eine Fragmentierung des Binnenmarkts zu vermeiden, erlegen die Mitgliedstaaten Torwächtern keine weiteren Verpflichtungen im Wege von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auf, um bestreitbare und faire Märkte zu gewährleisten. Diese Verordnung hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, Unternehmen - einschließlich solcher, die zentrale Plattformdienste bereitstellen - für Angelegenheiten, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, Verpflichtungen aufzuerlegen, sofern diese Verpflichtungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind und nicht darauf zurückzuführen sind, dass die betreffenden Unternehmen den Status eines Torwächters im Sinne dieser Verordnung haben.

(6) Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV. Sie lässt auch die Anwendung der folgenden Vorschriften unberührt:

a) […]

b) nationaler Wettbewerbsvorschriften, mit denen andere Formen einseitiger Verhaltensweisen verboten werden, soweit sie auf andere Unternehmen als Torwächter angewandt werden oder Torwächtern damit weitere Verpflichtungen auferlegt werden, […]

Artikel 3 Benennung von Torwächtern

(1) Ein Unternehmen wird als Torwächter benannt, wenn es

a) erheblichen Einfluss auf den Binnenmarkt hat,

b) einen zentralen Plattformdienst bereitstellt, der gewerblichen Nutzern als wichtiges Zugangstor zu Endnutzern dient, und

c) hinsichtlich seiner Tätigkeiten eine gefestigte und dauerhafte Position innehat oder absehbar ist, dass es eine solche Position in naher Zukunft erlangen wird.

(2) Es wird davon ausgegangen, dass ein Unternehmen die jeweiligen Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt, wenn es

a) in Bezug auf Absatz 1 Buchstabe a in jedem der vergangenen drei Geschäftsjahre in der Union einen Jahresumsatz von mindestens 7,5 Mrd. EUR erzielt hat oder wenn seine durchschnittliche Marktkapitalisierung oder sein entsprechender Marktwert im vergangenen Geschäftsjahr mindestens 75 Mrd. EUR betrug und es in mindestens drei Mitgliedstaaten denselben zentralen Plattformdienst bereitstellt;

b) in Bezug auf Absatz 1 Buchstabe b einen zentralen Plattformdienst bereitstellt, der im vergangenen Geschäftsjahr mindestens 45 Millionen in der Union niedergelassene oder aufhältige monatlich aktive Endnutzer und mindestens 10 000 in der Union niedergelassene jährlich aktive gewerbliche Nutzer hatte, wobei die Ermittlung und Berechnung gemäß der Methode und den Indikatoren im Anhang erfolgt;

c) in Bezug auf Absatz 1 Buchstabe c die unter Buchstabe b des vorliegenden Absatzes genannten Schwellenwerte in jedem der vergangenen drei Geschäftsjahre erreicht hat.


BAG: Einlieferungsbeleg und Sendungsstatus "zugestellt" eines Einwurf-Einschreibens genügt nicht zum Beweis des Zugangs einer Kündigung

BAG
Urteil vom 30.01.2025
2 AZR 68/24


Das BAG hat entschieden, dass der Einlieferungsbeleg und der Sendungsstatus "zugestellt" eines Einwurf-Einschreibens nicht genügt, um den Zugang einer Kündigung zu beweisen.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte für den von der Klägerin bestrittenen Zugang der Kündigung beweisfällig geblieben ist.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 20. Juni 2024 – 2 AZR 213/23 – Rn. 10 mwN) und des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21 – Rn. 16 mwN, BGHZ 234, 316) geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten.

2. Die Beklagte trägt für den ihr günstigen Umstand des Zugangs des Kündigungsschreibens die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BAG 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 30).

3. Die Beklagte hat für den von ihr behaupteten Einwurf des Kündigungsschreibens am 28. Juli 2022 in den Hausbriefkasten der Klägerin keinen Beweis angeboten, insbesondere keinen Zeugenbeweis der Person, die den Einwurf vorgenommen haben soll.

4. Es besteht auch kein Anscheinsbeweis zugunsten der Beklagten, dass ein Zugang des Kündigungsschreibens vom 26. Juli 2022 bei der Klägerin erfolgt ist.

a) Dabei kann es dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt einen ausreichenden Vortrag dazu gehalten hat, dass sie ein an die Klägerin adressiertes Schreiben bei der Deutschen Post AG eingeliefert hat. Insoweit ist insbesondere nicht ersichtlich, ob sich die Beklagte berühmt, einen Fensterbriefumschlag benutzt zu haben, der dieselbe Adresse wie das vermeintlich zugestellte Kündigungsschreiben hat erkennen lassen, oder ob sie einen fensterlosen Umschlag mit der zutreffenden Anschrift der Klägerin versehen hat.

b) Jedenfalls genügt der von der Beklagten im vorliegenden Verfahren vorgelegte Einlieferungsbeleg eines Einwurf-Einschreibens, aus dem neben dem Datum und der Uhrzeit der Einlieferung die jeweilige Postfiliale und die Sendungsnummer ersichtlich sind, zusammen mit einem von der Beklagten im Internet abgefragten Sendungsstatus („Die Sendung wurde am 28.07.2022 zugestellt.“) nicht für einen Beweis des ersten Anscheins, dass das Schreiben der Klägerin tatsächlich zugegangen ist.

aa) Die Frage, ob ein Anscheinsbeweis eingreift, unterliegt der Prüfung durch das Revisionsgericht. Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer Tatsache für den Erfolg bei allen Sachverhalten der Fallgruppe immer vorhanden sein muss; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (vgl. BAG 20. Juni 2024 – 2 AZR 213/23 – Rn. 13; BGH 3. Dezember 2024 – VI ZR 18/24 – Rn. 19).

bb) Der Bundesgerichtshof hat angenommen, dass für den Absender eines Einwurf-Einschreibens bei Vorlage des Einlieferungsbelegs zusammen mit einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs der Beweis des ersten Anscheins streitet, dass die Sendung durch Einlegen in den Briefkasten bzw. das Postfach zugegangen ist, wenn ein näher beschriebenes Verfahren eingehalten wurde (vgl. BGH 11. Mai 2023 – V ZR 203/22 – Rn. 8; 27. September 2016 – II ZR 299/15 – Rn. 33, BGHZ 212, 104). Der Bundesgerichtshof hatte in seinen Entscheidungen ein Zustellverfahren zu beurteilen, bei dem die Ablieferung der Sendung durch deren Einwurf in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers erfolgt ist. Unmittelbar vor dem Einwurf wurde das sog. „Peel-off-Label“ (Abziehetikett), das zur Identifizierung der Sendung dient, von dem zustellenden Postangestellten abgezogen und auf einen vorbereiteten, auf die eingeworfene Sendung bezogenen Auslieferungsbeleg aufgeklebt. Auf diesem Beleg bestätigte der Postangestellte nach dem Einwurf mit seiner Unterschrift und der Datumsangabe die Zustellung. Bei Einhaltung dieses Verfahrens sei der Schluss gerechtfertigt, dass die eingelieferte Sendung tatsächlich in den Briefkasten des Empfängers gelangt ist (vgl. BGH 27. September 2016 – II ZR 299/15 – aaO).

cc) Der Senat muss nicht entscheiden, ob er dieser Rechtsprechung folgt und bei Einhaltung des vorbezeichneten oder eines anderen, von der Deutschen Post AG angewandten Verfahrens vom Vorliegen eines Anscheinsbeweises für den Zugang der im Einschreiben enthaltenen Willenserklärung ausgeht. Es ist weder von der Beklagten vorgetragen noch vom Landesarbeitsgericht festgestellt, welches Verfahren der Deutschen Post AG für die Zustellung des Einwurf-Einschreibens zur Anwendung gekommen ist. Einer hierauf gestützten Zurückverweisung bedarf es indes nicht. Die Beklagte hat den Auslieferungsbeleg für die von ihr am 26. Juli 2022 eingelieferte Postsendung nicht vorgelegt und ist hierzu wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Fristablaufs nicht mehr in der Lage. Die Vorlage des Einlieferungsbelegs eines Einwurf-Einschreibens und die Darstellung seines Sendungsverlaufs begründen ohne die Vorlage einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger (vgl. ErfK/Müller-Glöge 25. Aufl. BGB § 620 Rn. 54). Es fehlt an Angaben über die Person des den Einwurf bewirkenden Postbediensteten sowie über weitere Einzelheiten der Zustellung.

(1) Die Vorlage des Einlieferungsbelegs begründet keine gegenüber einfachen Briefen – bei denen kein Anscheinsbeweis für den Zugang der Sendung besteht (st. Rspr., vgl. BGH 19. Mai 2022 – V ZB 66/21 – Rn. 10; 21. Januar 2009 – VIII ZR 107/08 – Rn. 11) – signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Zugang der Sendung beim gewollten Empfänger des Einwurf-Einschreibens. Da durch die Absendung eines Schreibens nicht der Nachweis seines Zugangs erbracht werden kann, ist der Einlieferungsbeleg für die Frage des Zugangs ohne Bedeutung (vgl. BGH 27. September 2016 – II ZR 299/15 – Rn. 32, BGHZ 212, 104).

(2) Der Ausdruck des Sendungsstatus, auf dem dieselbe Sendungsnummer wie auf dem Einlieferungsbeleg sowie das Zustelldatum vermerkt sind, bietet ebenfalls keine ausreichende Gewähr für einen Zugang. In diesem Fall lässt sich weder feststellen, wer die Sendung zugestellt hat noch gibt es ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass das vom Bundesgerichtshof beschriebene oder das jeweils gültige Verfahren der Deutschen Post AG für die Zustellung der eingelieferten Postsendung tatsächlich eingehalten wurde. Der Sendungsstatus ist kein Ersatz für den Auslieferungsbeleg. Er sagt nichts darüber aus, ob der Zusteller tatsächlich eine besondere Aufmerksamkeit auf die konkrete Zustellung gerichtet hat, die den Schluss rechtfertigen würde, dass die eingelieferte Sendung in den Briefkasten des Empfängers gelangt ist.

(3) Für dieses Ergebnis spricht ferner, dass der von der Beklagten vorgelegte Sendungsstatus weder erkennen lässt, an wen die Zustellung erfolgt sein soll (persönlich an den Empfänger, an eine andere Person in dessen Haushalt oder Einwurf in den Hausbriefkasten), noch zu welcher Uhrzeit, unter welcher Adresse oder zumindest in welchem Zustellbezirk. Würde ein solcher Sendungsstatus, der auch die Person des Zustellers in keiner Weise kenntlich macht, für einen Anscheinsbeweis genügen, hätte der vermeintliche Empfänger der Sendung – anders als bei dem Einwurf eines Schreibens in den Hausbriefkasten durch einen Boten – praktisch keine Möglichkeit, ihn zu erschüttern oder gar einen Gegenbeweis anzutreten. Demgegenüber hatte die Beklagte als Absenderin die Möglichkeit, die Reproduktion eines Auslieferungsbelegs anzufordern. Hierzu bestand innerhalb der von ihr angegebenen Frist von 15 Monaten, in denen die Deutsche Post AG die Kopien speichert, auch genügend Anlass, nachdem die Klägerin bereits erstinstanzlich den Zugang des Kündigungsschreibens bestritten hatte und ausweislich des angefochtenen Berufungsurteils im Urteil des Arbeitsgerichts auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. September 2016 (- II ZR 299/15 – Rn. 33, BGHZ 212, 104) Bezug genommen wurde.

(4) Die Ausführungen der Beklagten zum „Vertrauensvorschuss“ eines Sendungsstatus stellen bloße Mutmaßungen und Annahmen dar, die nichts über den konkreten Ablauf des Zustellverfahrens aussagen.

dd) Soweit die Beklagte meint, ein Anscheinsbeweis sei aufgrund von Besonderheiten des Falls wegen „vieler positiver Indizien“ (in Bezug auf die fehlende Glaubwürdigkeit der Angaben der Klägerin) gegeben, zeigt sie damit keinen Rechtsfehler im Berufungsurteil auf. Eine konkrete Verfahrensrüge ist damit nicht verbunden. Im Ergebnis setzt die Beklagte lediglich ihre eigene Bewertung an die Stelle der Bewertung durch das Landesarbeitsgericht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH liegt vor: Unwirksame Negativzinsen-Klauseln (Verwahrentgelt für Guthaben) in AGB von Banken und Sparkassen

BGH
Urteil vom 04.02.2025
XI ZR 65/23
BGB § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 und 2


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Unwirksame Negativzinsen-Klauseln (Verwahrentgelt für Guthaben) in AGB von Banken und Sparkassen - Klausel zu Entgelt für Ersatz-BankCard und Ersatz-PIN ebenfalls unwirksam über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:
a) Die von einer Bank für eine Vielzahl von Giroverträgen in dem vorformulierten Preis und Leistungsverzeichnis enthaltene Klausel zu einem "Verwahrentgelt"
"Privatkonten
[…]
Entgelt für die Verwahrung von
Einlagen über 10.000 EUR pro Jahr 0,50 % p.a.
Freibetrag¹⁴

¹⁴ Vom Kunden zu zahlendes Verwahrentgelt bei Neuanlage/Neuvereinbarung ab 01.04.2020 für Einlagen über 10.000 EUR
Freibetrag auf das auf dem Konto verwahrte Guthaben, das den aktuellen Freibetrag übersteigt."

unterliegt keiner richterlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB. Sie verstößt aber gegen das Transparenzgebot und ist im Verkehr mit Verbrauchern gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB unwirksam.

b) Die Einführung eines Verwahrentgelts für Guthaben auf Girokonten, die im Rahmen bestehender Giroverträge geführt werden, erfordert einen den Erfordernissen der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB genügenden Änderungsvertrag (Anschluss an Senatsurteil vom 27. April 2021 - XI ZR 26/20, BGHZ 229, 344 Rn. 38).

BGH, Urteil vom 4. Februar 2025 - XI ZR 65/23 - OLG Düsseldorf - LG Düsseldorf

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Arzneimittel-Lieferdienst einer Apotheke an Sonntagen und Feiertagen verstößt gegen 7 Abs. 2 Satz 1 LÖG NRW

BGH
Urteil vom 06.03.2025
I ZR 20/24
Sonntäglicher Apotheken-Lieferservice
GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 19; ZPO § 160 Abs. 3 Nr. 7, § 310 Abs. 1 Satz 1; ApBetrO § 23 Abs. 1 Satz 1; LÖG NRW § 7 Abs. 2 Satz 1


Der BGH hat entschieden, dass der Arzneimittel-Lieferdienst einer Apotheke an Sonntagen und Feiertagen gegen 7 Abs. 2 Satz 1 LÖG NRW verstößt.

Leitsätze des BGH:
a) Ist im Protokoll des zur Verkündung einer Entscheidung anberaumten Termins nicht festgehalten, dass ein Urteil verkündet wurde, ist die Verkündung nicht bewiesen. Wird das erstinstanzliche Urteil weder durch Verkündung noch in anderer Weise wirksam verlautbart, handelt es sich dabei lediglich um einen Urteilsentwurf, mit dem das erstinstanzliche Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.

b) Der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen ist berechtigt, in § 7 Abs. 2 Satz 1 LÖG NRW Apothekenschließungen an Sonn- und Feiertagen anzuordnen, die durch Verbotsverfügungen der Apothekerkammern konkretisiert werden. Er ist hieran nicht durch die bundesrechtliche Regelung der Verpflichtung der Apotheker zur Dienstbereitschaft in § 23 Abs. 1 Satz 1 ApBetrO gehindert.

c) Ein Apotheker, der bei Vorliegen einer solchen seine Apotheke betreffenden Verbotsverfügung der Apothekerkammer seine Kunden an Sonn- und Feiertagen durch einen Lieferdienst mit Arzneimitteln beliefern lässt, die er in den Räumen seiner Apotheke zum Versand vorbereitet und von dort aus an den Lieferdienst übergibt, verstößt gegen § 7 Abs. 2 Satz 1 LÖG NRW, auch wenn er die Verkaufsstelle seiner Apotheke geschlossen hält.

BGH, Urteil vom 6. März 2025 - I ZR 20/24 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Verletzung eines inländischen Urheberrechts durch Verhalten mit Schwerpunkt im Ausland setzt hinreichenden Inlandsbezug voraus

BGH
Urteil vom 05.12.2024
I ZR 50/24
Produktfotografien
UrhG § 15 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, § 19a


Der BGH hat entschieden, dass die Verletzung eines inländischen Urheberrechts durch Verhalten mit Schwerpunkt im Ausland einen hinreichenden Inlandsbezug voraussetzt.

Leitsatz des BGH:
Die Verletzung eines inländischen Urheberrechts durch ein Verhalten, das seinen
Schwerpunkt im Ausland hat, setzt voraus, dass das Verhalten einen hinreichenden Inlandsbezug aufweist (Fortführung von BGH, Urteil vom 16. Juni 1994 - I ZR 24/92, BGHZ 126, 252 [juris Rn. 17 bis 20] - Folgerecht bei Auslandsbezug; Urteil vom 15. Februar 2007 - I ZR 114/04, BGHZ 171, 151 [juris Rn. 31] - Wagenfeld-Leuchte I).

BGH, Urteil vom 5. Dezember 2024 - I ZR 50/24 - OLG Hamburg - LG Hamburg

OVG Münster: Behörden sind nicht verpflichtet Daten mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu versenden

OVG Münster
Beschluss vom 20.02.2025
16 B 288/23


Das OVG Münster hat entschieden, dass Behörden nicht verpflichtet sind, Daten mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu versenden.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Der Antragsteller stellt die Annahme des Verwaltungsgerichts, er habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, mit seinem Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Frage.

1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d DSGVO keine Anspruchsgrundlage für das Begehren des Antragstellers darstellt. Nach dieser Vorschrift hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen die Einschränkung der Verarbeitung zu verlangen, wenn die betroffene Person Widerspruch gegen die Verarbeitung gemäß Art. 21 Abs. 1 DSGVO eingelegt hat, solange noch nicht feststeht, ob die berechtigten Gründe des Verantwortlichen gegenüber denen der betroffenen Person überwiegen. Wurde die Verarbeitung gemäß Absatz 1 eingeschränkt, so dürfen diese personenbezogenen Daten – von ihrer Speicherung abgesehen – nur mit Einwilligung der betroffenen Person oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder zum Schutz der Rechte einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats verarbeitet werden (Art. 18 Abs. 2 DSGVO). Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, dem Antragsteller gehe es nicht nur um die Einschränkung der Datenverarbeitung für die Dauer des bereits abgeschlossenen Überprüfungsverfahrens, sondern um eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, zukünftig eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bei der Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Antragstellers zu verwenden.

Dem setzt der Antragsteller ohne Erfolg den Hinweis entgegen, der Betroffene könne ausdrücklich auf Basis einer Einwilligung die Einschränkung der Verarbeitung teilweise aufheben und damit sei nach Art. 18 Abs. 2 DSGVO jede Verarbeitung auch solcher Daten zulässig, deren Verarbeitung nach Art. 18 Abs. 1 DSGVO eingeschränkt worden sei. Dieses Vorbringen versteht der Senat dahingehend, dass der Antragsteller meint, aufgrund seines Widerspruchs gegen die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten durch die Antragsgegnerin sei die Datenverarbeitung mit der in Art. 18 Abs. 2 DSGVO beschriebenen Rechtsfolge eingeschränkt und er könne diese Einschränkung dadurch wieder teilweise aufheben, dass er in eine Übermittlung unter den in seinem Antrag genannten Voraussetzungen (Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bzw. eine dem Stand der Technik und dem Risiko entsprechende Verschlüsselung) einwillige.


Unabhängig vom Stand des in Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d DSGVO i. V. m. Art. 21 Abs. 1 DSGVO vorgesehenen Überprüfungsverfahrens bleibt dieses Vorbringen ohne Erfolg. Die Einschränkungen für die Datenverarbeitung unter den in Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d DSGVO genannten Voraussetzungen gelten nach dem Wortlaut der Vorschrift in zeitlicher Hinsicht nur, „solange noch nicht feststeht, ob die berechtigten Gründe des Verantwortlichen gegenüber denen der betroffenen Person überwiegen“. Dem Antragsteller geht es im vorliegenden Verfahren jedoch nicht um den Zeitraum während des Überprüfungsverfahrens nach Art. 21 DSGVO, sondern um eine von diesem Zeitraum unabhängige Regelung für die Übermittlung seiner personenbezogenen Daten. Dem steht nicht entgegen, dass er seinen Antrag im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zeitlich „bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache“ begrenzt hat. Diese zeitliche Begrenzung ist lediglich dem Charakter des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes geschuldet.

Da der Antragsteller die geltend gemachten Ansprüche nicht aus Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d DSGVO herleiten kann und es nicht auf das in dieser Vorschrift in Bezug genommene Überprüfungsverfahren gemäß Art. 21 Abs. 1 DSGVO ankommt, musste das Verwaltungsgericht dem Antrag auch nicht deswegen stattgeben, weil nach Ansicht des Antragstellers nicht ersichtlich sei, welche in Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DSGVO angeführten zwingenden Gründe hier gegen eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sprächen.

2. Der Antragsteller stellt weiter die Annahme des Verwaltungsgerichts, er könne einen Anspruch auf Datenübermittlung im Wege einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung oder einer sonstigen Verschlüsselung, die über die von der Antragsgegnerin verwendete hinausgehe, nicht aus Art. 32 DSGVO herleiten, nicht durchgreifend in Frage.

Das Verwaltungsgericht hat diese Ansicht mit einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der in Art. 32 Abs. 1 DSGVO genannten Kriterien begründet. Es hat ausgeführt, nach dieser Vorschrift sei die Antragsgegnerin bei der Verarbeitung personenbezogener Daten verpflichtet, unter Berücksichtigung des Stands der Technik, der Implementierungskosten und der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und der Schwere des Risikos für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten. Erforderlich seien eine Risikoeinschätzung und darauf basierend die Feststellung des Schutzbedarfs der Daten. Die in Art. 32 Abs. 1 Buchstabe a DSGVO genannte Maßnahme der Verschlüsselung personenbezogener Daten müsse den in Art. 5 Abs. 1 Buchstabe f DSGVO genannten Zielsetzungen der Integrität und Vertraulichkeit genügen sowie dem Stand der Technik entsprechen; darüber hinausgehende spezifische Anforderungen für das einzusetzende Verschlüsselungsverfahren ließen sich Art. 32 DSGVO aber nicht entnehmen. Der Antragsteller habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Datenverarbeitung der Antragsgegnerin für ihn ein besonderes Risiko darstelle. Seinen Ausführungen lasse sich nicht entnehmen, dass ein erhöhtes Risiko mit Blick auf die Datenverarbeitung der Antragsgegnerin bestehe, diese etwa einem gesteigerten Risiko ausgesetzt sei, Opfer von Hackerangriffen zu werden. Ebenso wenig sei die Antragsgegnerin in der Vergangenheit durch Sicherheitslücken aufgefallen. Vielmehr erfolge die Datenübertragung bei der Antragsgegnerin stets unter TLS-Verschlüsselung und werde im Kommunikationsprozess mit anderen staatlichen Stellen zusätzlich gesichert (SINA-Box, Client-Zertifikate). Zudem hat das Verwaltungsgericht auf das von der Antragsgegnerin vorgelegte (und bei positivem Abschluss der jährlichen Überwachungsaudits bis zum 17. Juni 2025 gültige) IT-Sicherheitszertifikat des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik vom 18. Juni 2022 Bezug genommen und ausgeführt, es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ihr IT-Sicherheitskonzept nicht oder nicht hinreichend umsetze.

Die gegen diese Ausführungen gerichteten Einwände des Antragstellers betreffen einzelne Aspekte der Gesamtbetrachtung. Sie führen auch bei gemeinsamer Würdigung nicht zum Erfolg der Beschwerde. Dies liegt insbesondere daran, dass der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen die für die Gesamtbetrachtung nach Art. 32 Abs. 1 DSGVO wesentliche Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Zweifel zieht, wonach er das von der Datenverarbeitung der Antragsgegnerin für ihn ausgehende besondere Risiko nicht glaubhaft gemacht habe, und sich die von ihm begehrte Art der Datenübermittlung jedenfalls ohne ein solches erhöhtes Risiko nicht aus Art. 32 Abs. 1 DSGVO ableiten lasse. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass es sich bei den in Rede stehenden Daten des Antragstellers nicht um personenbezogene Daten i. S. v. Art. 9 und 10 DSGVO handelt.

a) Das Verwaltungsgericht hat zu der behaupteten Gefährdung für Leib, Leben und Freiheit des Antragstellers ausgeführt, dessen Hinweis auf den ihn betreffenden Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juni 2021 ‑ 3 B 19.20 ‑ genüge nicht, um einen derart erhöhten Schutzbedarf glaubhaft zu machen, der eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gebiete, weil es sich bei der vom Antragsteller in Bezug genommenen Passage lediglich um eine Wiedergabe der Ausführungen des Berufungsgerichts handele. Die dort wiedergegebene Einschätzung des Berufungsgerichts beruhe auf konkreten und durch Belege gestützten Angaben des Antragstellers im dortigen Verfahren sowie ergänzend auf einer im Zusammenhang mit § 41 Abs. 2 StVG stehenden Gefährdungsbewertung der Polizeidirektion. Vorliegend habe der Antragsteller keine konkreten Angaben oder Belege eingereicht, die ein besonderes Risiko für ihn durch die Datenverarbeitung der Antragsgegnerin belegen könnten. Der Umstand, dass der Antragsteller in einem Verfahren zur Eintragung einer Übermittlungssperre erfolgreich dargelegt habe, dass durch die Übermittlung von in das Fahrzeugregister eingetragenen Daten schutzwürdige Interessen beeinträchtigt würden, reiche nicht aus, um dies auch für eine Datenverarbeitung durch die Antragsgegnerin anzunehmen. Gleiches gelte für den Hinweis des Antragstellers auf die zu seiner Person eingetragene Auskunftssperre nach § 51 BMG.

Der dagegen gerichtete Vorwurf des Antragstellers, das Verwaltungsgericht sei rechtswidrig davon ausgegangen, er müsse den erhöhten Schutzbedarf zweifelsfrei nachweisen, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich ausgeführt, der Antragsteller müsse seine Gefährdung glaubhaft machen (Seite 8, 11 des Beschlusses), und näher erläutert, aus welchen Gründen dies nicht erfolgt sei.

Die Einwände des Antragstellers, seine Gefährdung sei in anderen Gerichtsverfahren festgestellt worden und ein individuell-konkreterer Vortrag könne nicht verlangt werden, greifen nicht durch. Sie genügen schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Danach muss der Beschwerdeführer u. a. die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Die – hier erfolgte – bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens reicht dazu grundsätzlich nicht aus; Entsprechendes gilt für die Bezugnahme auf die bereits erstinstanzlich vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom 29. August 2022, in der der Antragsteller geltend macht – allerdings ohne dafür Nachweise vorzulegen –, aufgrund seines beruflichen Umgangs mit […] bestehe für ihn die Gefahr, Opfer einer Entführung oder eines Raubes zu werden […]. Der Antragsteller geht nicht auf die zutreffende Argumentation des Verwaltungsgerichts ein, dass das Bundesverwaltungsgericht in der vom Antragsteller in Bezug genommenen Passage nicht Tatsachen betreffend diesen selbst festgestellt, sondern lediglich Ausführungen der Vorinstanz wiedergegeben hat, und aus welchen Gründen ein Verweis auf Gefährdungseinschätzungen anderer Gerichte oder Behörden in anderen rechtlichen Zusammenhängen (Fahrzeug-, Melderegister) keine belastbaren Rückschlüsse auf die vorliegende Fallkonstellation zulässt. Unabhängig vom Vorstehenden hat der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren keine konkreten Belege für die von ihm geltend gemachte besondere Gefährdung vorgelegt.

b) Aus den vorgenannten Gründen kann der Antragsteller auch nicht mit Erfolg rügen, die Datenverarbeitung der Antragsgegnerin sei im Lichte von Art. 5 DSGVO formell rechtswidrig, weil diese keine Einzelfallprüfung bezogen auf seine besonders schutzbedürftigen personenbezogenen Daten vorgenommen habe. Daher kommt auch die vom Antragsteller thematisierte Sperrung seiner Daten für eine nicht hinreichend verschlüsselte Übermittlung als „Sanktionswirkung für ein Unterlassen nach Art. 5 DSGVO“ nicht in Betracht.

c) Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, wonach für die Antragsgegnerin kein gesteigertes Risiko erkennbar sei, Opfer von Hackerangriffen zu werden, und diese in der Vergangenheit auch nicht durch Sicherheitslücken aufgefallen sei, betreffen der Sache nach den Aspekt „Eintrittswahrscheinlichkeit“ in Art. 32 Abs. 1 DSGVO. Sie werden vom Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen inhaltlich nicht in Frage gestellt. Das Verwaltungsgericht hat mit diesen Ausführungen nicht vom Antragsteller einen Nachweis für das Gegenteil verlangt.

d) Die Rüge des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe keine ausreichende Transportverschlüsselung glaubhaft gemacht, greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zur Transportverschlüsselung ausgeführt, die von der Antragsgegnerin verwendete Transportverschlüsselung sei datenschutzrechtlich ausreichend. Zur Begründung hat es sich u. a. auf das von der Antragsgegnerin vorgelegte IT-Sicherheitszertifikat des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik vom 18. Juni 2022 gestützt. Außerdem hat es die Angaben der Antragsgegnerin angeführt, wonach jede Datenübermittlung verschlüsselt erfolge, etwa durch TLS-Verschlüsselungen, und im Kommunikationsprozess mit anderen staatlichen Stellen zusätzliche Sicherungen beständen (SINA-Box, Client-Zertifikate). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben der Antragsgegnerin nicht zutreffen könnten oder die im IT-Sicherheitszertifikat angeführten Maßnahmen nicht umgesetzt würden, zeigt der Antragsteller nicht auf.


Soweit er die von der Antragsgegnerin verwendete Verschlüsselungstechnik für zu unsicher hält und meint, TLS 1.2 entspreche nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik, vielmehr gebe es bereits seit 2018 TLS 1.3, jedenfalls aber sei jede TLS-Verschlüsselung zu unsicher, führt dies nicht zum Erfolg seiner Beschwerde. Denn die Verschlüsselung über TLS stellt, wie vom Verwaltungsgericht ausgeführt, nicht die einzige Sicherheitsmaßnahme der Antragsgegnerin dar. Im Beschwerdeverfahren hat die Antragsgegnerin zudem ergänzt, die Transportverschlüsselung sei so konzipiert, dass sie vom Browser-Client der Anfragenden bis zur Firewall der Antragsgegnerin reiche; es gebe also keine „Zwischenstationen“, auf denen die Inhalte unverschlüsselt abgelegt wären; die Netzkomponenten auf dem Routing-Weg im Internet könnten keinen Einblick in die Kommunikationsinhalte gewinnen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben wahrheitswidrig sein könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Abgesehen davon kann der Antragsteller im Rahmen der nach Art. 32 Abs. 1 DSGVO erforderlichen Gesamtbetrachtung ohne besondere, in seiner Person liegende Umstände, die hier nicht glaubhaft gemacht sind, nicht von der Antragsgegnerin verlangen, dass die ihn betreffenden personenbezogenen Daten nur unter höheren Sicherheitsanforderungen elektronisch übermittelt werden dürfen, als dies bei personenbezogenen Daten anderer Personen, die bei der Antragsgegnerin gespeichert sind, der Fall ist. Dies gilt auch für etwaige Übermittlungen durch Telefax, E-Mail oder Telefon, die vom Baustein „CON.9 Informationsaustausch“ des IT-Grundschutzes der Antragsgegnerin erfasst werden, der nach seiner Nr. 1.1. unterschiedliche Kommunikationswege wie z. B. persönliche Gespräche, Telefonate, Briefe u. a. in den Blick nimmt.


e) Weiter ohne Erfolg macht der Antragsteller mit seiner Beschwerdebegründung vom 3. April 2023 geltend, den vom Verwaltungsgericht angenommenen Prüfungsmaßstab „sozialadäquat“ kenne die Datenschutz-Grundverordnung nicht. Im Schriftsatz vom 27. Mai 2023 versteht der Antragsteller diesen Begriff dahingehend, dass damit eine Transportverschlüsselung gemeint sei, die dem üblichen Stand der Technik entspreche. In diese Richtung geht auch die Formulierung des Verwaltungsgerichts, das in Anlehnung an die entsprechende Wortwahl des insoweit zitierten Verwaltungsgerichts Mainz,

Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 K 778/19.MZ -, juris, Rn. 40: „Vielmehr ist die Kommunikation mittels (obligatorisch) transportverschlüsselter E-Mails auch im geschäftlichen Verkehr durchaus als sozialadäquat und wohl derzeit noch als (Mindest‑)Stand der Technik einzustufen“,

die von der Antragsgegnerin verwendete Transportverschlüsselung mit diesem Begriff bezeichnet hat. Der Sache nach stellen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in diesem Zusammenhang eine zusammenfassende Bewertung unter Berücksichtigung der in Art. 32 Abs. 1 DSGVO genannten Kriterien dar und ist als solche rechtlich nicht zu beanstanden.

f) Die Ausführungen des Antragstellers dazu, dass Art. 2 Abs. 2 Buchstabe d DSGVO den geltend gemachten Anspruch nicht ausschließe, führen nicht zum Erfolg der Beschwerde, weil auch das Verwaltungsgericht von dieser Rechtsauffassung ausgegangen ist.


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LG München: E-Mail-Anbieter muss nach § 21 Abs. 2 TDDDG Auskunft über Bestandsdaten eines Nutzers geben auch wenn rechtswidrige Inhalte nicht über diesen Dienst verbreitet wurden

LG München
Beschluss vom 19.02.2025
25 O 9210/24


Das LG München hat entschieden, dass ein E-Mail-Anbieter nach § 21 Abs. 2 TDDDG Auskunft über Bestandsdaten eines Nutzers geben muss, auch wenn die streitgegenständlichen rechtswidrigen Inhalte nicht über diesen Dienst verbreitet wurden.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Gericht ist der Ansicht dass § 21 TDDDG auf die Beteiligte und den von ihr betriebenen E-Mail-Dienst „G...“ Anwendung findet. Bei der Beteiligten handelt es sich um einen Anbieter digitaler Dienste im Sinne von § 21 Abs. 2 Satz 1 TDDDG.

Der Begriff „digitaler Dienst“ ist in § 2 Abs. 2 TDDDG selbst nicht definiert. Allerdings finden gemäß § 2 Abs. 1 TDDDG die Bestimmungen des Digitalen-Dienste-Gesetzes (DDG) auch für das TDDDG Anwendung. In § 1 Abs. 4 Nr. 1 DDG findet sich zwar auch keine selbstständige Definition des Begriffs „digitaler Dienst“, es erfolgt aber erneut eine Verweisung dahingehend, dass ein „digitaler Dienst“ ein Dienst im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. L 241 vom 17.9.2015, S. 1) sein soll. In der besagten Richtlinie wird „Dienst“ als eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft definiert, d.h. jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung. Im Sinne dieser Definition bezeichnet der Ausdruck „Dienst“ unter anderem auch eine „elektronisch erbrachte Dienstleistung“, d.h. eine Dienstleistung, die mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen wird und die vollständig über Draht, über Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischem Wege gesendet, weitergeleitet und empfangen wird.

Nach dieser Definition ist auch der Dienst „G...“ zweifellos eine elektronisch erbrachte Dienstleistung. Denn ein E-Mail-Dienst dient naturgemäß dem Empfangen und Versenden von elektronischen Nachrichten, es werden Daten von einem Ausgangspunkt zu einem anderen vollständig elektronisch gesendet bzw. empfangen und dies erfolgt auch ausschließlich mittels Geräten für elektronische Verarbeitung, seien dies normale Computer, Tablets oder Smartphones. Dieser Dienst wird von der Beteiligten auch regelmäßig gegen Entgelt erbracht, was auch von der Beteiligten nicht in Abrede gestellt wird. Es ist allgemein bekannt, dass sämtliche E-Maildienste ihre Leistungen entweder gegen monetäre Bezahlung erbringen (dann zumeist im Rahmen von sog. „Premium-Modellen“, die exklusive Zusatzfunktionen erhalten und zumeist werbefrei sind) oder aber die Nutzer den Dienst dadurch bezahlen, dass sie ihre Daten dem Betreiber zum Zwecke der Auswertung (insbesondere für Werbezwecke) zur Verfügung stellen. Bei dem Dienst der Beteiligten handelt es somit um einen digitalen Dienst im Sinne von § 1 Abs. 4 Nr. 1 DDG und in der Folge auch um einen solchen im Sinne von §§ 2 Abs. 1, 21 Abs. 2 TDDDG. Keiner weiteren Erläuterung bedarf es, dass die Beteiligte in Bezug auf den digitalen Dienst auch Anbieter gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 TDDDG ist, das sie selbst den E-Mail-Dienst betreibt und daher eigene digitale Dienste erbringt.

Das Gericht vermag auch nicht der Ansicht der Beteiligten zu folgen, wonach § 21 TDDDG auf die Beteiligte keine Anwendung finden soll, weil es sich bei ihr um einen „interpersoneller Telekommunikationsdienst“ i.S.d. § 3 Nr. 61 lit. b) TKG i.V.m. § 3 Nr. 24 TKG sowie i.S.d. Art. 2 Nr. 5 Richtlinie (EU) 2018/1972 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (auch EKEK genannt, nachfolgend: „EECC-Richtlinie“) handelt. Es mag sein, dass die Beteiligte auch ein Telekommunikationsdienst in diesem Sinne ist, das Gericht kann aber nicht erkennen, warum ein Telekommunikationsdienst im Sinne des TKG nicht auch gleichzeitig ein Anbieter digitaler Dienste im Sinne des TDDDG sein können solle. Das insoweit von der Beteiligten konstruierte Exklusivverhältnis dieser Begriffe ist weder dem TKG noch dem TDDDG zu entnehmen. Dies erschließt sich auch bereits deswegen unmittelbar, weil beide Gesetze völlig unterschiedliche Regelungsfunktionen haben. Ziel des TKG ist gemäß § 1 Abs. 1 TKG, durch technologieneutrale Regulierung den Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation und leistungsfähige Telekommunikationsinfrastrukturen zu fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten. Das TKG ist mithin ein Aufsichtsgesetz, es dient der Regulierung des Wettbewerbs durch den Hoheitsträger und schafft in diesem Rahmen Regulierungsvorgabe und Rahmenbedingungen zum Schutze der Kunden. Dies deckt sich auch mit dem Auskunftsrecht aus § 174 Abs. 1, 3, TKG, dass ein Auskunftsrecht für Behörden zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten schafft. Demgegenüber enthält das TDDDG nicht nur Aufsichts- und Regulierungsbestimmungen und regelt auch nicht nur Rechte von Kunden der betroffenen digitalen Dienste, sondern schafft durch § 21 TDDDG ein Auskunftsrecht für jede Person, die in einem absolut geschützten Recht verletzt wurde. Es geht dabei nicht um eine Regulierung von Telekommunikationsdiensten, sondern allgemein um die Erleichterung der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche jedes Verletzten, ein Aspekt, der gerade nicht Bestandteil der Regelungen des TKG ist. Ersichtlich handelt es sich bei dem Anspruch aus § 21 TDDDG um einen Hilfsanspruch zur Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche, ein derartiger Anspruch war und ist niemals Gegenstand des TKG gewesen und fügt sich in dieses auch gar nicht ein. Der Gesetzgeber hat vielmehr mit § 21 TDDDG einen weiteren Anspruch geschaffen, der nach Einschätzung des Gerichts selbstständig neben den Bestimmungen des TKG besteht. Es ist auch kein Widerspruch, dass die Beteiligte insofern potentiell zwei Ansprüchen ausgesetzt ist, einmal einem solchen der Strafverfolgungsbehörden aus § 174 TKG und dann einem solchen des Verletzten aus § 21 TDDDG. Vielmehr stehen beide selbstständig nebeneinander, was schon deswegen einleuchtet, weil straf- und zivilrechtliche Verfolgung nicht zwingend parallel erfolgen müssen. So kann es etwa vorkommen, dass die Strafverfolgungsbehörden ein Verfahren wegen bestimmten Delikten aus Opportunitätsgesichtspunkten einstellen, die verletzte Privatperson aber dennoch zivilrechtliche Ansprüche geltend machen kann und will. Insofern vermag sich das Gericht daher auch nicht der von der Beteiligten in Bezug genommenen Rechtsprechung anzuschließen. Dies umso weniger, als diese noch zu dem alten § 21 TTDSG erging, der Gesetzgeber aber nunmehr die Definitionen dahingehend geändert hat, dass nicht mehr jeder „Anbieter von Telemedien“, sondern jeder „Anbieter digitaler Dienste“ verpflichtet wird. Das Gericht geht nicht davon aus, dass hier nur eine „redaktionelle Änderung“ des TDDDG erfolgt ist, sondern vielmehr eine bewusste begriffliche Klarstellung dahingehend, dass die Verbindung zum TKG und zur Telekommunikation bewusst abgeschwächt wurde, um zu verdeutlichen, dass allgemein „digitale Dienste“ verpflichtet werden sollen. Dies ergibt sich gerade auch aus den von der Beteiligten zitierten Ausführungen im Rahmen der Gesetzesbegründung. Es mag sein, dass der Begriff „Telemedien“ in dem Begriff „digitaler Dienst“ aufgeht, dass bedeutet aber nicht, dass damit keine Klarstellung verbunden sein soll, anderenfalls man den alten Begriff auch nicht hätte ersetzen müssen. Im Übrigen hat der Gesetzgeber gerade nicht aufgeführt, dass Telekommunikationsdienste nicht von § 21 TDDDG erfasst sein sollen, wovon aber auszugehen gewesen wäre.

B. Das Gericht folgt auch nicht der Ansicht der Beteiligten, eine Kettenauskunft sei nicht zulässig und ein Auskunftsanspruch gemäß § 21 TDDDG setzte zwingend voraus, dass die Äußerung, die Grundlage für das Auskunftsersuchen ist, über den Dienst der Beteiligten veröffentlicht wurde. Eine solche „Verbindung zwischen dem Anbieter des digitalen Dienstes und der Verbreitung des rechtsverletzenden Inhalts in dem digitalen Dienst“ lässt sich § 21 TDDDG weder dem Wortlaut nach, noch systematisch, noch historisch entnehmen. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass der Gesetzgeber ganz bewusst, gerade keine solche Verbindung aufgenommen hat. Denn Sinn und Zweck des Auskunftsanspruchs ist es, dem Anspruchsteller eine effektive Möglichkeit zur Verfolgung seiner zivilrechtlichen Ansprüche zu schaffen. Es ist aber allgemein bekannt, dass viele Plattformen, auf denen rechtsverletzende Äußerungen getätigt werden, nur rudimentäre Nutzungsdaten erheben, vorrangig mit dem Argument, den Nutzern müsse eine anonyme Äußerung ermöglicht werden. Wollte man, wie die Beteiligte, davon ausgehen, ein Anspruch bestehe nur bei einer Verbindung zwischen Äußerung und Dienst, wäre der Anspruch aus § 21 TDDDG aber regelmäßig wertlos, weil als Nutzerdaten häufig (ganz bewusst) nur Fantasie-Daten hinterlegt sind und einziges weiteres hinterlegte Detail eine zumeist zur Authentifizierung verwendete E-Mail-Adresse ist. Der Verletzte würde also in den meisten Fällen für ihn nutzlose Daten erhalten, die ihm eine Verfolgung seiner Ansprüche gerade nicht ermöglichen. Für eine effektive Verfolgung muss es dem Verletzen daher möglich sein, die Datenkette bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen und die erforderlichen Daten auch von Anbietern zu verlagern, bei denen die maßgeblichen Inhalte nicht unmittelbar verbreitet wurden. Auch diesem Anbieter entstehen hierdurch im Übrigen keine Nachteile, da die Kosten des Auskunftsverfahrens gemäß § 21 Abs. 3 Satz 7 TDDDG in jedem Fall durch den Antragsteller zu tragen sind.

Nicht stichhaltig ist auch der Einwand der Beteiligten, die Antragstellerin sei auf eine Auskunft nicht angewiesen, da sie sich an die Strafverfolgungsbehörden wenden könne, die ihrerseits Auskünfte gemäß § 174 TKG einholen könnten. Es wurde oben bereits ausgeführt, dass straf- und zivilrechtliche Verfolgung nicht notwendigerweise parallel laufen und die Strafverfolgungsbehörden unter bestimmten Umständen (ggf. auch ohne Durchführung weiterer Ermittlungen) von der Verfolgung absehen können, trotzdem aber zivilrechtliche Ansprüche bestehen können.

C. Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 TDDDG sind im Hinblick auf die beiden verfahrensgegenständlichen Bewertungen erfüllt. Es handelt sich um rechtswidrige Inhalte, die den Tatbestand der §§ 185-187 StGB erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.

AA. Die Sternebewertungen als solche stuft das Gericht mit der ganz herrschenden Meinung in der Rechtsprechung nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Meinungsäußerung ein (vgl. hierzu OLG Köln Urt. v. 26.6.2019 – 15 U 91/19, GRUR-RS 2019, 51308 Rn. 25, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Die Bewertung mit Sternen ist ihrer Natur nach von Elementen der Stellungnahme, des Dafürhaltens und Meinens geprägt. Daran ändert sich auch nicht deswegen etwas, wenn die Sternebewertungen, wie hier, in Bezug auf Unterkategorien wie „Karriere/Weiterbildung“, „Arbeitsatmosphäre“, „Work-Life-Balance“ usw. verteilt werden. Denn es bleibt dabei, dass auch hinsichtlich dieser Unterkategorien keine Tatsachen behauptet werden, sondern lediglich eine Meinung geäußert wird. Das wird schon daraus ersichtlich, dass die Einschätzung, wie eine Arbeitsatmosphäre, Arbeitsbedingungen oder der Umgang mit bestimmten Themen zu bewerten sind, der Sache nach höchst subjektiv sind; es gibt diesbezüglich keine allgemeingültigen Parameter, die eines Wahrheitsbeweises zugänglich wären. Entgegenzutreten ist insofern auch der Ansicht der Antragstellerin, die Bewertung mit nur einem Stern bei Unterkategorien wie „Karriere/Weiterbildung“, „Umwelt-/Sozialbewusstsein“, „Vorgesetztenverhalten“, „Kommunikation“ usw. bringe zum Ausdruck, für diese Themen gebe es bei der Antragstellerin generell kein Bewusstsein. Nach dem Verständnis des Gerichts wird damit vielmehr lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Verfasser der Bewertung diese Aspekte für sich (subjektiv) als unzureichend erlebt hat.

Das Gericht verkennt nicht, dass die Sternebewertungen auch einen Tatsachenkern dahingehend enthalten, dass die Ersteller der Bewertungen angeben, sie seien (Ex-) Angestellte/Arbeitnehmer bei der Antragstellerin gewesen und somit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses mit der Antragstellerin in Kontakt gekommen. Dies ändert nach Einschätzung des Gerichts aber nichts daran, dass bei den Bewertungen das Element der Meinungsäußerungen deutlich überwiegt. Das Tatsachenelement tritt hier hinsichtlich die der Meinungsäußerung unterfallende wertende Meinungsäußerung völlig zurück (MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 186 Rn. 13).

BB. Inhaltlich enthalten die beiden Bewertungen Anmerkungen, die zumindest teilweise die Tatbestände der §§ 185, 186 StGB verwirklichen.


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AG Hanau: Antwort per Auto-Responder wonach E-Mail-Adresse nicht mehr verwendet wird steht Zugang der E-Mail nach § 130 BGB nicht entgegen

AG Hanau
Beschluss vom 03.03.2025
32 C 226/24


Das AG Hanau hat entschieden, dass eine Antwort per Auto-Responder, wonach die E-Mail-Adresse nicht mehr verwendet und gelesen wird, dem Zugang der E-Mail nach § 130 BGB nicht entgegen steht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Unstreitig hat der Beklagte die Zustimmung zur Mieterhöhung vor Ablauf der Zustimmungsfrist per E-Mail erklärt.

Die Klägerin beruft sich nunmehr darauf, der Beklagte habe eine automatische Rückantwort erhalten, dass die Adresse von der Klägerin nicht mehr verwendet und die Nachricht auch nicht weitergeleitet werde. Daher sei auf den neueren Schreiben auch eine aktuelle E-Mail-Adresse aufgeführt.

Aufgrund des Vortrags der Klägerin steht fest, dass die E-Mail des Beklagten mit der Zustimmungserklärung bei dieser eingegangen ist, was nach überwiegenden Auffassung auch dazu führt, dass die in ihr enthaltene Erklärung der Klägerin gem. § 130 BGB zugegangen ist. Denn diese war für sie zumindest potenziell abrufbar (BGH, Urteil vom 6.10.2022 – VII ZR 895/21, MMR 2023, 136; OLG Hamm, Urteil vom 22.2.2024 – 22 U 29/23, MMR 2024, 1071; OLG Hamm, Beschluss vom 10.8.2023 – 26 W 13/23, GWR 2024, 162; OLG München, Beschl. v. 15. 3. 2012 − Verg 2/12, NZBau 2012, 460, LAG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 27.11.2012 – 15 Ta 2066/12, BeckRS 2013, 66632; LG Hamburg, Urteil vom 7.7.2009 - 312 O 142/09, MMR 2010, 654; LG Berlin Urt. v. 20.7.2012 – 19 O 334/11, BeckRS 2013, 1463; AG Frankfurt a. M. Urt. v. 23.10.2008 – 30 C 730/08, BeckRS 2009, 5792). Uneinigkeit besteht lediglich hinsichtlich der – hier allerdings nicht relevanten Frage – ob der Zugang bereits mit Eingang der E-Mail oder erst dann eintritt, wenn mit tatsächlicher Kenntnisnahme zu rechnen ist, wobei der Bundesgerichtshof (ebenda) jedenfalls im Geschäftsverkehr auf den Eingang der E-Mail abstellt.

Die Klägerin muss sich diesen Zugang auch zurechnen lassen, weil die E-Mail-Adresse einen von ihr eröffneten Empfangsbereich darstellt, welchen sie zuvor im Rechts- und Geschäftsverkehr angegeben und damit eröffnet hat (Spindler/Schuster/Spindler, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, BGB § 130 Rn. 4).

Hieran ändert auch die Benachrichtigung der Klägerin an den Beklagten dahingehend, dass diese E-Mail-Adresse nicht mehr benutzt werde, nichts. Denn sie hält diese nach wie vor bereit, so dass E-Mails auf dieser eingehen und somit zugehen können. Das kann durch die erst hierauf erfolgte Rückmeldung an den Mieter nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Es kommt hierbei auch nicht darauf an, ob der Zugang sofort oder erst dann eintritt, wenn mit gewöhnlicher Kenntnisnahme zu rechnen ist. Denn diese Unterscheidung stellt nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme ab, sondern allein darauf, wann objektiv und somit auch für den Absender damit zu rechnen ist, dass Kenntnis genommen wird, wobei das in dem Moment des Eingangs der E-Mail, wie auch eines Briefes, bestimmt wird. Die nachträgliche Mitteilung, man werde die E-Mail nicht zur Kenntnis nehmen, kann dem also nicht entgegnen. Im Gegenteil, sie bestätigt gerade den Zugang der E-Mail, weil sie wie eine Abwesenheitsnotiz durch diese ausgelöst wird, und somit einer Lesebestätigung gleichkommt (OLG München, Beschl. v. 15. 3. 2012 − Verg 2/12, NZBau 2012, 460; Spindler/Schuster/Spindler, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, BGB § 130 Rn. 25; zum Zugangsnachweise durch Lesebestätigung, OLG Hamm, Beschluss vom 10.8.2023 – 26 W 13/23, GWR 2024, 162).

Allerdings hätte es dem Beklagten aufgrund seiner vertraglichen Nebenpflichten oblegen, die Zustimmungserklärung auf anderem Weg abzugeben, so dieser zumutbar ist, oder sich sonst mit der Klägerin in Verbindung zu setzen. Denn die Berufung auf den Zugang einer E-Mail bei Rückerhalt einer Abwesenheitsnotiz oder wie hier Erklärung, diese werde nicht weitergeleitet, ist in der Regel treuwidrig gem. § 242 BGB, wenn zwischen den Parteien entsprechende Rücksichtnahmepflichten bestehen (OLG München, Beschl. v. 15. 3. 2012 − Verg 2/12, NZBau 2012, 460; differenzierend Spindler/Schuster/Spindler, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, BGB § 130 Rn. 84).

Ob der Beklagte, wie die Klägerin vorträgt, bereits Schreiben mit der neuen E-Mail-Adresse erhalten hat und ob sich hieraus auch ergibt, dass die bisherige nicht mehr verwendet werden könne, ist derzeit nicht ersichtlich. Der Beklagte war hingegen nicht gehalten, den auf der vorgedruckten Zustimmungserklärung aufgedruckten QR-Code zu benutzen. Unabhängig davon, ob dieser tatsächlich direkt verwendet werden kann, steht über diesem „Mein … App“, was zumindest suggeriert, dass der Mieter eine App der Klägerin installieren muss, was ihm grundsätzlich nicht obliegt.

Der Beklagte hätte jedoch die Zustimmung per Post an die Klägerin versenden müssen, nachdem er erfahren hat, dass die E-Mail auf einem nicht mehr genutzten Account eingegangen ist, was als Nebenpflicht geboten und zumutbar ist.

Das hat der Beklagte mit den Schriftsätzen vom 11.12.2024 auch behauptet, die Klägerin hat dieses jedoch bestritten. Der Beklagte war daher beweispflichtig für den Zugang des Briefs. Er hat zwar kein Beweisangebot erbracht, allerdings hätte das Gericht im weiteren Verfahren hierauf gem. § 139 ZPO hinweisen müssen. Ob und welche Beweise dann ggf. angeboten worden wären und wofür, ist derzeit nicht ersichtlich, ebenso wenig, wie eine sodann ggf. durchzuführende Beweisaufnahme ausgegangen wäre. Das führt im Rahmen der Entscheidung über die Kosten nach billigem Ermessen gem. § 91a ZPO dazu, dass diese gegeneinander aufzuheben sind.


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OLG Frankfurt: Wettbewerbswidrige Werbung für Behandlung mit medizinischem Cannabis durch Online-Portal

OLG Frankfurt
Urteil vom 06.03.2025
6 U 74/24


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die die Werbung für Behandlungen mit medizinischem Cannabis durch ein Online-Portal wettbewerbswidrig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Medizinisches Cannabis - Wettbewerbswidrige Werbung wurde untersagt

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit gestern verkündeter Entscheidung dem beklagten Portalbetreiber u.a. sog. Laienwerbung für medizinisches Cannabis und die Durchführung eines Servicevertrages mit verdeckter Provision für die Vermittlung von Patienten untersagt.

Die Beklagte betreibt im Internet ein Vermittlungsportal, auf dem Kunden ihr Interesse an einer ärztlichen Behandlung mit medizinischem Cannabis anmelden können. Sie präsentiert dort den Kunden Ärzte, mit denen der einzelne Kunde einen Behandlungstermin vereinbaren kann. Die Serviceleistungen der Beklagten wurden von mindestens einem ihrer Kooperationsärzte entsprechend der von ihr vorgegebenen Vergütungsregelung mit einem zu hohen prozentualen Anteil des ärztlichen Honorars vergütet. Schon das Landgericht ging daher von einer verdeckten Vermittlungsprovision aus.

Der Kläger hält die Werbung und das Verhalten der Beklagten unter mehreren Aspekten für wettbewerbswidrig. Das Landgericht hat die Beklagte u.a. verurteilt, es zu unterlassen, bestimmte Werbeaussagen im Zusammenhang mit der medizinischen Cannabis-Behandlung zu tätigen und den Ärzten konkrete Raumnutzungs- und Serviceverträge zur Verfügung zu stellen.

Der Wettbewerbssenat des OLG hat den hiergegen eingelegten wechselseitigen Berufungen teilweise stattgegeben. Zu Recht habe das Landgericht die Beklagte verpflichtet, die Umsetzung von Raumnutzungs- und Serviceleistungsverträgen mit ihren Kooperationsärzten zu unterlassen, nach deren Vergütungsregelung ihr ein prozentualer Anteil am ärztlichen Honorar für die Behandlung jedes einzelnen Patienten zusteht. Da dieser Vergütungsanteil zumindest teilweise als Entgelt für die Zuweisung von Patienten zu den Ärzten über das Portal der Beklagten anzusehen sei, liege ein von der Beklagten unterstützter Verstoß gegen ärztliches Berufsrecht vor.

Das Landgericht habe der Beklagten auch zu Recht untersagt, für eine ärztliche Behandlung mit medizinischem Cannabis mit dem Slogan zu werben: „Ärztliches Erstgespräch vor Ort oder digital“. Diese Werbung verstoße gegen das Werbeverbot für Fernbehandlungen (§ 9 Satz 1 HWG). Sie sei nicht ausnahmsweise zulässig. Ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs verstehe die Werbung dahin, die Erstbehandlung mit medizinischem Cannabis könne alternativ bzw. gleichwertig digital erfolgen. Dies sei zum Zeitpunkt der Werbung nach dem seinerzeit noch geltenden Betäubungsmittelrecht nicht zulässig gewesen. Die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe nicht aufgezeigt, dass ein persönlicher ärztlicher Erstkontakt nach heutigen fachlichen Standards nicht mehr geboten sei.

Schließlich seien - entgegen der Ansicht des Landgerichts - auch Teile der Werbung für eine Behandlung mit medizinischem Cannabis verboten. Zwar liege seit Anfang April 2024 kein Verstoß mehr gegen das Betäubungsmittelgesetz vor. Teile der Werbung verstießen aber gegen das sog. Laienwerbeverbot (§ 10 Abs. 1 HWG). Eine „Werbung für Arzneimittel“ stellten nämlich auch Maßnahmen dar, die die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder Verbrauch von unbestimmten Arzneimitteln fördern sollten. Die Werbung der Beklagten sei insoweit keine bloße Information zu Cannabis oder reine Unternehmenswerbung, sondern produktbezogene Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Dass die Beklagte medizinisches Cannabis dabei nicht selbst anbiete, sei unerheblich. Der Werbende müsse kein unmittelbares Eigeninteresse am Vertrieb des beworbenen Arzneimittels haben. Die Beklagte habe ersichtlich die Absicht gehabt, durch ihre Werbung (zumindest auch) die Verschreibung und den Absatz von medizinischem Cannabis zu fördern. Dass die Entscheidung, Cannabis zu verschreiben, ausschließlich bei den Kooperationsärzten der Beklagten liege, stehe der Annahme unzulässiger Arzneimittelwerbung nicht entgegen. Die Mitgliedstaaten der EU seien grundsätzlich kraft Richtlinie verpflichtet, Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel schlechthin zu verbieten. Außerdem ziele die streitgegenständliche Werbung gerade darauf ab, die Nachfrageentscheidung von Verbrauchern nach medizinischem Cannabis zu beeinflussen.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat hinsichtlich des Verstoßes gegen das Laienwerbeverbot die Revision zugelassen. Im Übrigen besteht ggf. die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 6.3.2025, Az. 6 U 74/24
(vorgehend LG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.2.2024, Az. 3-08 O 540/23)

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Erläuterungen:
§ 31 MBO-Ä Unerlaubte Zuweisung

(1) Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, für die Zuweisung von Patientinnen und Patienten oder Untersuchungsmaterial oder für die Verordnung oder den Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder Medizinprodukten ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern, sich oder Dritten versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren. (2) ...

§ 9 HWG [Werbeverbot für Fernbehandlung]

1Unzulässig ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung). 2Satz 1 ist nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

§ 10 HWG [Werbeverbote für verschreibungspflichtige Arzneimittel und Psychopharmaka]

(1) Für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden.

(2) 1Für Arzneimittel, die psychotrope Wirkstoffe mit der Gefahr der Abhängigkeit enthalten und die dazu bestimmt sind, bei Menschen die Schlaflosigkeit oder psychische Störungen zu beseitigen oder die Stimmungslage zu beeinflussen, darf außerhalb der Fachkreise nicht geworben werden. 2Dies gilt auch für Arzneimittel, die zur Notfallkontrazeption zugelassen sind.

VGH München: Kein Anspruch auf Einsicht in den Auftragsverarbeitungsvertrag zwischen Beitragsservice und Inkassounternehmen

VGH München
Beschluss vom 21.02.2025
7 ZB 24.651


Der VGH München hat entschieden, dass ein Betroffener keinen Anspruch auf Einsicht in den Auftragsverarbeitungsvertrag zwischen dem Beitragsservice und einem Inkassounternehmen hat.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind anzunehmen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10NVwZ 2011, 546/548). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte der Darlegung zu stellen sind, hängt wesentlich von der Intensität ab, mit der die Entscheidung begründet worden ist (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 64 m.w.N.).

Die klägerischen Ausführungen stellen die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich in Frage und zeigen keine Gesichtspunkte auf, die weiterer Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften. Der Kläger begehrt, dies stellt er in seiner Zulassungsbegründung ausdrücklich klar, Einsicht in die Urkunde des Auftragsverarbeitungsvertrags, der zwischen dem Beklagten und der P. GmbH geschlossen wurde, gleichzeitig bezweifelt er deren Existenz.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass sich der Kläger insbesondere nicht auf § 11 Abs. 8 Satz 1 RBStV berufen kann. Der geltend gemachte Einsichtsanspruch ist von dieser Norm nicht erfasst. Auch die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der RL 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung; im Folgenden: DS-GVO) räumt dem Kläger kein solches Einsichtsrecht ein. Der Kläger führt in seiner Zulassungsbegründung selbst aus, ein materielles Gesetz mit einer entsprechenden Anspruchsgrundlage „gebe es bekanntlich nicht“.

Entgegen seinem Vorbringen kann er sich für den geltend gemachten Anspruch auf Einsicht in den Auftragsverarbeitungsvertrag auch nicht auf die von ihm zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 16.9.1980 – 7 C 10.81 – juris; U.v. 5.6.1984 – 5 C 73.82 – juris) stützen. Der Kläger stellt ohne Erfolg auf das sog. ungeschriebene Akteneinsichtsrecht außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 29 BayVwVfG ab. Soweit das in Art. 29 BayVwVfG normierte Recht auf Akteneinsicht durch Beteiligte nicht eingreift und positiv-rechtliche Regelungen nicht bestehen, bleibt der Betroffene nicht schutzlos, wenn und soweit er ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht geltend machen kann. In diesen Fällen steht die Gewährung von Akteneinsicht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 25. Aufl. 2024, § 29 Rn. 10 m.w.N.).

Vorliegend fehlt es hierfür bereits an der Voraussetzung des berechtigten Interesses. Der Kläger weist selbst darauf hin, dass das berechtigte Interesse durch „rechtliche Aspekte bestimmt“ wird. Nicht ausreichend ist insoweit ein schlichtes persönliches Interesse an der begehrten Akteneinsicht. Ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Einsichtnahme in den zwischen dem Beklagten und der P. GmbH gemäß Art. 28 DS-GVO geschlossen Auftragsverarbeitungsvertrag besteht nicht. Ein solches ergibt sich insbesondere nicht – wie der Kläger meint – daraus, dass er selbst in der Lage sein müsse, zu überprüfen, ob ein „wirksamer Auftragsverarbeitungsvertrag“ mit dem nach Art. 28 Abs. 3 DS-GVO „vorgeschriebenen Inhalt“ tatsächlich geschlossen wurde. Denn für die Überwachung der Anwendung der Datenschutz-Grundverordnung ist gemäß Art. 51 Abs. 1 DS-GVO die Aufsichtsbehörde zuständig, nicht Private. Als externe Datenschutzaufsichtsbehörde i.S.v. Art. 51 DS-GVO ist für den Beklagten gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 2 BayRG der Rundfunkdatenschutzbeauftragte bestellt. Zu dessen Aufgaben gehört gemäß Art. 57 Abs. 1 Buchst. a DS-GVO die Überwachung und Durchsetzung der Anwendung der Datenschutz-Grundverordnung. Hierbei hat er als Aufsichtsbehörde gegebenenfalls im Rahmen einer Beschwerde nach Art. 77 DS-GVO die Rechtmäßigkeit einer Auftragsdatenverarbeitung zu prüfen und die ihm hierzu eingeräumten Befugnisse nach Art. 58 DS-GVO zu nutzen (vgl. Art. 21 Abs. 6 BayRG). Dem Betroffenen selbst ist hingegen nach Art. 15 DS-GVO nur ein Auskunftsrecht über die eigenen personenbezogenen Daten eingeräumt (vgl. auch Erwägungsgrund 63 DS-GVO). Ein Recht auf eigenständige Rechtmäßigkeitsüberprüfung steht ihm hingegen nicht zu. Vor diesem Hintergrund hat vorliegend der Kläger kein berechtigtes Interesse, selbst den Abschluss und die Rechtmäßigkeit eines Auftragsverarbeitungsvertrags zu prüfen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: