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EuGH: Wirbt Online-Shop mit "Bequemer Kauf auf Rechnung“ müssen etwaige einschränkende Voraussetzungen für diese Zahlungsmethode angegeben werden

EuGH
Urteil vom 15.05.2025
C-100/24
Bonprix


Der EuGH hat entschieden, dass bei der Werbung eines Online-Shops mit "Bequemer Kauf auf Rechnung“ etwaige einschränkende Voraussetzungen (hier: Bonitätsprüfung) für diese Zahlungsmethode angegeben werden müssen.

Tenor der Entscheidung:
Art. 6 Buchst. c der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) ist dahin auszulegen, dass eine Werbeaussage auf der Website eines im Onlinehandel tätigen Unternehmens, mit der auf eine bestimmte Zahlungsmodalität hingewiesen wird, unter den Begriff „Angebot zur Verkaufsförderung“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, sofern diese Zahlungsmodalität dem Adressaten dieser Aussage einen objektiven und sicheren Vorteil verschafft, der sein Verhalten bei der Entscheidung für eine Ware oder Dienstleistung beeinflussen kann.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EU-Kommission: TikTok / Bytedance verstöß nach vorläufiger Feststellung gegen den Digital Services Act (DSA) - Fehlendes Repository für Werbung

Die EU-Kommission hat entschieden, dass TikTok / Bytedance nach vorläufiger Feststellung gegen den Digital Services Act (DSA) verstößt (hier: Fehlendes Repository für Werbung).

Die Pressmeitteilung der EU_Kommission:
Kommission stellt vorläufig fest, dass das Anzeigenregister von TikTok gegen das Gesetz über digitale Dienste verstößt

Die Kommission hat TikTok heute von ihrer vorläufigen Auffassung in Kenntnis gesetzt, dass das Unternehmen der Verpflichtung des Gesetzes über digitale Dienste (DSA),ein Repository für Werbung zu veröffentlichen, nicht nachkommt. Ein solches Repository für Werbung ist für Forscher und die Zivilgesellschaft von entscheidender Bedeutung, um Betrugsanzeigen, hybride Bedrohungskampagnen sowie koordinierte Informationsoperationen und gefälschte Werbung, auch im Zusammenhang mit Wahlen, zu erkennen.

Die Kommission hat festgestellt, dass TikTok nicht die erforderlichen Informationen über den Inhalt der Anzeigen, die von den Anzeigen angesprochenen Nutzer und die für die Anzeigen bezahlten Nutzer bereitstellt. Darüber hinaus erlaubt das Repository von TikTok der Öffentlichkeit nicht, auf der Grundlage dieser Informationen umfassend nach Werbung zu suchen, wodurch der Nutzen des Tools eingeschränkt wird.

Die vorläufigen Feststellungen der Kommission beruhen auf einer eingehenden Untersuchung, die unter anderem die Analyse interner Unternehmensdokumente, die Erprobung der Tools von TikTok und Interviews mit Experten auf diesem Gebiet umfasste. Mit der Übermittlung vorläufiger Feststellungen teilt die Kommission TikTok ihre vorläufige Auffassung mit, dass sie gegen das Gesetz über digitale Dienste verstößt. Dies gilt unbeschadet des Ergebnisses der Untersuchung.

Die nächsten Schritte
TikTok hat nun die Möglichkeit, seine Verteidigungsrechte auszuüben, indem es die Unterlagen in der Untersuchungsakte der Kommission prüft und schriftlich auf die vorläufigen Feststellungen der Kommission antwortet. Parallel dazu wird das Europäische Gremium für digitale Dienste konsultiert.

Sollte sich die vorläufige Auffassung der Kommission letztlich bestätigen, kann die Kommission eine Entscheidung über die Nichteinhaltung erlassen, die eine Geldbuße von bis zu 6 % des weltweiten Jahresumsatzes des Anbieters sowie einen erweiterten Überwachungszeitraum auslösen kann, um die Einhaltung der Maßnahmen zu gewährleisten, die der Anbieter zur Behebung des Verstoßes zu ergreifen beabsichtigt. Die Kommission kann auch Zwangsgelder verhängen, um eine Plattform zur Einhaltung zu zwingen.

Hintergrund
Am 19. Februar 2024 leitete die Kommission ein förmliches Verfahren ein, um zu prüfen, ob TikTok möglicherweise gegen das Gesetz über digitale Dienste verstoßen hat. Neben der Werbetransparenz betraf die Einleitung des Verfahrens auch die negativen Auswirkungen, die sich aus der Gestaltung der algorithmischen Systeme von TikTok (wie „Hasenlocheffekte“ und Verhaltenssucht), der Alterssicherung, der Verpflichtung zur Gewährleistung eines hohen Maßes an Privatsphäre, Sicherheit und Schutz für Minderjährige und dem Datenzugriff für Forscher ergeben, für die die Untersuchung fortgesetzt wird.

Darüber hinaus hat die Kommission im Dezember 2024 ein förmliches Verfahren gegen TikTok wegen des Risikomanagements im Zusammenhang mit Wahlen und dem zivilgesellschaftlichen Diskurs eingeleitet, für das die Untersuchung fortgesetzt wird. Diese Untersuchungen werden von der Kommission vorrangig durchgeführt.

Die Kommission hat auch ein Hinweisgeber-Tool eingerichtet, das es Mitarbeitern und anderen Personen mit Kenntnissen ermöglicht, sich anonym an die Kommission zu wenden, um zur Überwachung der Einhaltung durch die Kommission durch benannte sehr große Online-Plattformen (VLOPs) und sehr große Online-Suchmaschinen (VLOSEs) beizutragen.


BGH: Bundespatentgericht muss nach Rechtsbeschwerde erneut über Löschung der Farbmarke NJW-Orange des Beck Verlages entscheiden

BGH
Beschluss vom 24.04.2025
I ZB 50/24


Der BGH hat entschieden, dass das BPatG erneut über die Löschung der Farbmarke NJW-Orange des Beck Verlages entscheiden muss.

Aus den Entscheidungsgründen:
aa) Nach der im vorliegenden Verfahren ergangenen Entscheidung des Senats obliegt es dem Markeninhaber, diejenigen Umstände nachzuweisen, aus denen sich der (Fort-)Bestand seiner Marke ergibt (BGH, GRUR 2021, 1526 [juris Rn. 39] - NJW-Orange). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs können bei der Beurteilung der Frage, ob eine Marke infolge Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, die geografische Verbreitung, die Dauer der Benutzung der Marke, der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke sowie Erklärungen von Industrie- und Handelskammern und von anderen Berufsverbänden berücksichtigt werden. Wenn die Beurteilung der Verkehrsdurchsetzung besondere Schwierigkeiten bereitet, verbietet es das Unionsrecht nicht, die Frage der Unterscheidungskraft der Marke durch eine Verbraucherbefragung klären zu lassen, die häufig das zuverlässigste Beweismittel zur Feststellung der Verkehrsdurchsetzung darstellt. Bei der Frage, ob sich eine Farbe im Verkehr als Marke durchgesetzt hat, wird sich die Feststellung der Verkehrsdurchsetzung im Regelfall erst nach Vorlage eines methodisch einwandfreien Parteigutachtens oder eines von Amts wegen einzuholenden gerichtlichen Sachverständigengutachtens treffen lassen (BGH, GRUR 2021, 1526 [juris Rn. 32] - NJW-Orange, mwN). Ein solches Parteigutachten oder gerichtliches Sachverständigengutachten zur Verkehrsdurchsetzung kann nur dann repräsentative Ergebnisse liefern, wenn der Markeninhaber nicht zeitgleich oder in zeitlichem Zusammenhang mit der demoskopischen Befragung Werbekampagnen startet, die die in Rede stehende Marke besonders hervorheben.

bb) Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Bundespatentgericht bei Berücksichtigung des von der Rechtsbeschwerde als übergangen gerügten Vorbringens der Antragstellerin zu der Erkenntnis gelangt wäre, dass der Markeninhaberin der Nachweis der Verkehrsdurchsetzung der angegriffenen Marke nicht gelungen ist.


Den Volltext der Entcheidung finden Sie hier:

OVG Berlin-Brandenburg: Kein Auskunftsanspruch nach Art 15 DSGVO hinsichtlich im Rahmen der Videoüberwachung in S-Bahnen erstellten Aufzeichnungen

OVG Berlin-Brandenburg
Urteil vom 13.05.2025
OVG 12 B 14/23


Das OVG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass kein Auskunftsanspruch nach Art 15 DSGVO hinsichtlich im Rahmen der Videoüberwachung in S-Bahnen erstellten Aufzeichnungen besteht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kein Rechtsanspruch auf Herausgabe von Videoaufnahmen in der S-Bahn

Die Betreiberin des öffentlichen S-Bahn-Netzes in Berlin ist nach der Datenschutz-Grundverordnung nicht dazu verpflichtet, Fahrgästen eine Kopie der Videoaufnahmen über ihre Fahrt in der S-Bahn herauszugeben. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat heute eine entsprechende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (Urteil vom 12. Oktober 2023 – VG 1 K 561/21) im Ergebnis bestätigt.

Der Beigeladene beantragte bei der Klägerin, der S-Bahn Berlin GmbH, die Herausgabe einer Kopie der Videoaufnahmen seiner Fahrt mit der S-Bahn unter Berufung auf das in der Datenschutz-Grundverordnung vorgesehene Auskunftsrecht (Art. 15 Absatz 3 DS-GVO). Die Klägerin verweigerte dies mit Hinweis auf ihr Datenschutzkonzept, das sie mit der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit abgestimmt hatte. Dieses sieht vor, dass die Videoaufnahmen seitens der Klägerin nicht selbst eingesehen werden können und nur bei Auskunftsanfragen der Strafverfolgungsbehörden an diese herausgegeben werden. Im Übrigen erfolgt eine Löschung durch fortlaufende Überschreibung nach 48 Stunden.

Nach Auffassung des 12. Senats handelt es sich bei den Videoaufnahmen um die Verarbeitung personenbezogener Daten. Dennoch durfte die Klägerin die Herausgabe angesichts ihres Datenschutzkonzeptes verweigern. Dieses verfolgt gerade das Ziel, den Wertungen der Datenschutz-Grundverordnung und den Persönlichkeitsrechten der Fahrgäste in größtmöglichem Umfang Rechnung zu tragen. Demgegenüber musste das Interesse des Beigeladenen am Erhalt gerade der Videoaufzeichnung zurücktreten, nachdem er bereits auf sein Gesuch hin von der Klägerin entsprechend Art. 15 Absatz 1 DS-GVO über die Art und Weise sowie Dauer der Datenspeicherung informiert worden war.

Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde zugelassen.

Urteil vom 13. Mai 2025 – OVG 12 B 14/23 –


EuGH-Generalanwalt: Zu den Voraussetzungen der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 08.05.2025
C‑580/23 und C‑795/23

Der EuGH-Generalanwalt hat sich in seinen Schlussanträgen mit den Voraussetzungen der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst befasst.

Ergebnis:
1. Im Unionsrecht besteht zwischen dem geschmacksmusterrechtlichen und dem urheberrechtlichen Schutz kein Regel-Ausnahme-Verhältnis mit der Folge, dass bei der Prüfung der Originalität von Werken der angewandten Kunst höhere Anforderungen zu stellen sind als bei anderen Werkarten.

2. Art. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft sind dahin auszulegen, dass ein Werk im Sinne dieser Bestimmungen ein Gegenstand ist, der die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt (origineller Gegenstand). Nicht kreativ sind nicht nur Entscheidungen, die durch verschiedene Zwänge vorgegeben sind, die den Urheber bei der Schaffung des fraglichen Gegenstands gebunden haben, sondern auch Entscheidungen, die zwar frei, nicht aber Ausdruck der Persönlichkeit des Urhebers sind, indem sie diesem Gegenstand einen einzigartigen Aspekt verleihen. Insbesondere begründet die Möglichkeit, bei der Schaffung freie Entscheidungen zu treffen, keine Vermutung für deren Kreativität. Umstände wie die Absichten des Urhebers beim Schaffensprozess, seine Inspirationsquellen und die Verwendung bekannter Formen, die Wahrscheinlichkeit einer unabhängigen ähnlichen Schöpfung oder die Anerkennung des Gegenstands in Fachkreisen können bei der Beurteilung der Originalität des fraglichen Gegenstands berücksichtigt werden. Diese Umstände sind jedoch keinesfalls entscheidend, da sich das angerufene Gericht selbst davon überzeugen muss, dass ein origineller Gegenstand vorliegt, um ihn für urheberrechtlich geschützt erklären zu können.

3. Art. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 sind dahin auszulegen, dass das angerufene Gericht, um eine Urheberrechtsverletzung feststellen zu können, ermitteln muss, ob kreative Elemente des geschützten Werks wiedererkennbar in den als verletzend beanstandeten Gegenstand übernommen worden sind. Das bloße Fehlen eines anderen Gesamteindrucks zwischen den beiden einander gegenüberstehenden Gegenständen kann für die Feststellung einer solchen Verletzung nicht als ausreichend angesehen werden. Der Begriff „Grad an Originalität“ des geschützten Werks ist für die Zwecke dieser Prüfung irrelevant. Eine unabhängige ähnliche Schöpfung stellt zwar keine Urheberrechtsverletzung dar, doch kann die bloße Möglichkeit einer solchen unabhängigen Schöpfung dann keine Versagung des urheberrechtlichen Schutzes rechtfertigen, wenn eine Vervielfältigung kreativer Elemente des geschützten Werks festgestellt worden ist.

Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

AG München: Kein Schadensersatz nach Phishing-Attacke bei Weitergabe der SMS-TAN an Dritte im Zusammenhang mit dem Mastercard 3D-Secure-Verfahren

AG München
Urteil vom 08.01.2025
271 C 16677/24


Das AG München hat entschieden, dass kein Anspruch auf Schadensersatz nach einer Phishing-Attacke im Zusammenhang mit dem Mastercard 3D-Secure-Verfahren besteht, wenn eine Weitergabe der SMS-Tan an Dritte erfolgte.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Phishing bei Reisebuchung - Kein Anspruch auf Rückzahlung abgebuchter Kreditkartenbeträge

Der Ehemann der Münchner Klägerin wollte am Samstag, den 06.01.2024 für seine Ehefrau und sich eine Reise im Internet buchen. Hierzu gab er auf einer Homepage „Check24“ die Daten der Kreditkarte seiner Ehefrau ein. Kurz darauf erschien eine Mitteilung, dass ein Betrag in Höhe von 318,99 € vorgemerkt sei, ehe weitere Mitteilungen über vergleichbare Vormerkungen erschienen. Die Münchnerin veranlasste noch am selben Abend telefonisch die Sperrung der Kreditkarte. Am Montag, den 08.01.2024 sind sechs unberechtigte Abbuchungen zu je 318,99 € für Giftcards vom Konto der Klägerin erfolgt, insgesamt 1.953,29 €.

Zur Autorisierung der Transaktionen fand das Mastercard 3D-Secure-Verfahren Anwendung. Zur Aktivierung dieses Verfahrens auf einem weiteren Gerät, übersandte die beklagte Bank am 06.01.2024 eine SMS-TAN an die von der Klägerin bei der Beklagten hinterlegte Mobilfunknummer. Die an die Klägerin versandte SMS-TAN wurde dann auf dem weiteren mobilen Endgerät, auf dem auch die Banking-App freigeschaltet wurde, am 06.01.2024 eingegeben und damit das Secure-Verfahren aktiviert.

Die Münchnerin behauptete, dass sie diese Abbuchungen nicht autorisiert habe. Bei der Buchung sei sie nicht nach PIN oder Passwort gefragt worden, sie habe auch nirgendwo eine SMS-Tan eingegeben. Es sei nicht erkannt worden, dass es sich möglicherweise um eine Fake-Website handelte.

Die beklagte Bank ging davon aus, dass die Münchnerin die SMS-Tan an einen Dritten weitergegeben haben muss, da eine Freigabe der Buchungen anders technisch nicht möglich gewesen sei und verweigerte die Zahlung. Die Münchnerin verklagte die Bank daher vor dem Amtsgericht München auf Rückzahlung der 1.953,29 €.

Das Amtsgericht München wies die Klage mit Urteil vom 08.01.2025 ab. Das Gericht ging zwar davon aus, dass die Abbuchungen nicht von der Klägerin autorisiert waren, sondern von Dritten getätigt wurden. Aufgrund der Beweisaufnahme war das Gericht jedoch davon überzeugt, dass die Klägerin die SMS-Tan grob fahrlässig an Dritte weitergegeben haben muss, weshalb ein Schadensersatzanspruch der Bank gegen die Klägerin in gleicher Höhe bestehe, mit dem die Bank aufgerechnet habe. Insoweit führte es u.a. aus:

„Der Vortrag der Beklagten, dass diese in ihren Systemen feststellen konnte, dass das Mastercard 3D-Secure Verfahren per Banking App für die Kreditkarte der Klägerin am 06.01.2024 um 13:30 Uhr aktiviert wurde, und zur Aktivierung dieses Verfahrens auf dem neuen Gerät eine SMS-TAN an die im Vertrag hinterlegte Mobilfunknummer der Klägerin […] versandt wurde, wurde durch Inaugenscheinnahme des Mobiltelefons der Klägerin bestätigt. Dort befindet sich […] eine SMS vom 06.01.2024 13:29 Uhr mit dem Inhalt: „[…] ist Ihre TAN für die Aktivierung von Mastercard Identity Check vom 06.01.2024 13:44 Uhr.“ Der Eingang der SMS um 3:29 Uhr war im eingesehenen Nachrichtenverlauf […] um 13:29 Uhr dokumentiert und wird auch durch das als […] vorgelegte IT-Protokoll belegt. Der Vortrag der Klägerin, keine SMS-TAN erhalten zu haben und dass ihr Mobiltelefon nicht in die Freigabe involviert war, erwies sich damit als widerlegt.

Die Beklagte hat unbestritten vorgetragen, dass aufgrund der manuellen Eingabe einer an die Mobilfunknummer der Klägerin versandten SMS-Tan ein Fremdzugriff technisch ausgeschlossen ist. Es wurde ein neues Gerät im Online-Banking der Klägerin als Freigabeinstrument im Rahmen des 2-Faktor-Authentifizierungsverfahrens hinterlegt. Hierzu war – technisch zwingend – die Eingabe der SMS-Tan erforderlich. […] Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass die Klägerin durch Preisgabe der SMS-Tan Dritten eine Registrierung eines Geräts ermöglicht hat, wobei die Preisgabe persönlicher Sicherheitsmerkmale an Dritte gemäß den vertraglichen Bestimmungen untersagt war. […]

Das Verhalten der Klägerin bewertet das Gericht als grob fahrlässig. Es ist eine Sache, wenn man seine Kreditkartendaten offenbart. Diese werden bei jeder Verwendung offenbart und können auch von der Karte abgelesen werden. […] Die Weitergabe eines im Rahmen einer Zwei-Faktor-Autorisierung erhaltenden Zugangscodes kann nicht damit gleichgesetzt werden. Mit dieser Weitergabe hilft der Nutzer (Kläger) die Sicherheitsarchitektur grundlegend auszuhebeln. Es muss jedem verständigen Nutzer solcher Kreditkarten klar sein, welches Risiko er mit der Weitergabe derartiger Daten schafft. Die Klägerin mag dies nicht bewusst getan haben und es mag […] auch nicht erinnerlich sein. Indessen lässt sich der Vorgang plausibel nicht anders erklären.“

Urteil des Amtsgerichts München vom 08.01.2025
Aktenzeichen: 271 C 16677/24
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.



EuGH: Online-Vergleichsportal das selbst keine Versicherungen anbietet und Versicherer sind keine Mitbewerber - Grundsätze der vergleichenden Werbung nicht anwendbar

EuGH
Urteil vom 08.05.2025
C‑697/23
Check24


Der EuGH hat entschieden, dass ein Online-Vergleichsportal, das selbst keine Versicherungen anbietet, und ein Versicherer keine Mitbewerber sind, so dass die Grundsätze zur Zulässigkeit vergleichender Werbung keine Anwenung finden.

Tenor der Entscheidung:
Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung ist dahin auszulegen, dass

ein Online-Vergleichsdienst für Waren oder Dienstleistungen, der von einem Unternehmen bereitgestellt wird, das kein „Mitbewerber“ im Sinne dieser Bestimmung ist, d. h. die von ihm verglichenen Waren oder Dienstleistungen nicht selbst anbietet und folglich auf einem Markt für unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen tätig ist, nicht unter den Begriff „vergleichende Werbung“ im Sinne dieser Bestimmung fällt. Das Gleiche gilt, wenn dieses Unternehmen als Vermittler auftritt und, ohne selbst auf dem Markt für diese Waren oder Dienstleistungen tätig zu sein, es Verbrauchern ermöglicht, Verträge mit Unternehmen abzuschließen, die die betreffenden Waren oder Dienstleistungen anbieten.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BFH: Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO gegen Finanzbehörde bezieht sich auch auf interne Vermerke, Aktennotizen und interne Kommunikation

BFH
Urteil vom 11.03.2025
IX R 24/22


Der BFH hat entschieden, dass sich ein Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO gegen Finanzbehörden auch auf interne Vermerke, Aktennotizen und interne Kommunikation bezieht, sofern diese personenbezogene Daten enthalten.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Das angefochtene Urteil ist auch insoweit rechtsfehlerhaft, als das FG entschieden hat, dem Kläger stehe dem Grunde nach kein Anspruch auf Auskunftserteilung der ihn betreffenden und vom Beklagten verarbeiteten personenbezogenen Daten zu.

a) Art. 15 Abs. 1 DSGVO gewährt der betroffenen Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden. Ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf die näher in Art. 15 Abs. 1 Buchst. a bis h DSGVO bezeichneten Informationen.

aa) Der Begriff der personenbezogenen Daten bezeichnet gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann.

In der Verwendung der Formulierung "alle Informationen" bei der Bestimmung des Begriffs "personenbezogene Daten" in dieser Vorschrift kommt das Ziel des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, diesem Begriff eine weite Bedeutung beizumessen, die potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen umfasst, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen "über" die in Rede stehende Person handelt (Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- IAB Europe vom 07.03.2024 - C-604/22, EU:C:2024:214, Rz 36; Österreichische Datenschutzbehörde vom 04.05.2023 - C-487/21, EU:C:2023:369, Rz 23, m.w.N.).

Insoweit hat der EuGH entschieden, dass es sich um eine Information über eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person handelt, wenn sie aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer identifizierbaren Person verknüpft ist (EuGH-Urteile IAB Europe vom 07.03.2024 - C-604/22, EU:C:2024:214, Rz 37; Österreichische Datenschutzbehörde vom 04.05.2023 - C-487/21, EU:C:2023:369, Rz 24 und die dort angeführte Rechtsprechung). Weiter weist der EuGH darauf hin, dass die Verwendung des Begriffs "indirekt" durch den Unionsgesetzgeber darauf hindeutet, dass es für die Einstufung einer Information als personenbezogenes Datum nicht erforderlich ist, dass die Information für sich genommen die Identifizierung der betreffenden Person ermöglicht (EuGH-Urteil OC/Kommission vom 07.03.2024 - C-479/22 P, EU:C:2024:215, Rz 47, m.w.N.).

Daraus ergibt sich, dass es für die Qualifikation als auskunftspflichtige personenbezogene Daten abweichend zur Rechtsansicht der Vorinstanz weder eines "Hebens" in Form eines Interpretationsaktes (s. oben) noch der Absicht des Verantwortlichen, eine personenbezogene Angabe in einem spezifischen, personenbezogenen Feld zu speichern, bedarf.

bb) Der Anspruch aus Art. 15 DSGVO bezieht sich auch auf interne Vermerke, Aktennotizen, Bearbeitungs- und Geschäftsgangvermerke und interne Kommunikation. Denn auch diese Unterlagen können personenbezogene Daten enthalten (vgl. dazu BGH-Urteil vom 15.06.2021 - VI ZR 576/19, Rz 24).

b) Das FG ist daher zu Unrecht davon ausgegangen, dass die in den Akten des Beklagten enthaltenen Volltextdokumente nicht dem Schutzbereich der Datenschutz-Grundverordnung unterliegen und die darin enthaltenen personenbezogenen Daten nicht vom Auskunftsanspruch erfasst sind. Entgegen der Auffassung des FG und des Beklagten sind auch interne Vorgänge und sämtlicher Schriftverkehr erfasst, die personenbezogene Daten enthalten. Personenbezogene Daten liegen unabhängig davon vor, ob der Verantwortliche, das heißt der Beklagte, sie "gehoben" oder in einem Dateisystem gespeichert hat. Die Auskunft des Beklagten mit den Schreiben vom 17.12.2019 und vom 16.12.2021 ist daher insoweit unvollständig, als diese ausdrücklich bereits gewechselten Schriftverkehr, interne Vermerke und interne Stellungnahmen sowie Stellungnahmen anderer Steuerpflichtiger ausnimmt.

3. Anknüpfend an den vorgenannten Rechtsfehler hat das FG es ebenso fehlerhaft unterlassen zu prüfen, ob der Kläger einen Anspruch auf Zurverfügungstellung von Kopien personenbezogener Daten gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO hat.

a) Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO gewährt keinen gegenüber Art. 15 Abs. 1 DSGVO eigenständigen Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Zurverfügungstellung von Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO stellt der Verantwortliche der betroffenen Person eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung. Durch die Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass Art. 15 DSGVO nicht dahin auszulegen ist, dass er in seinem Abs. 3 Satz 1 ein anderes Recht als das in seinem Abs. 1 vorgesehene gewährt. Im Übrigen bezieht sich der Begriff "Kopie" nicht auf ein Dokument als solches, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthält und die vollständig sein müssen. Die Kopie muss daher alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind (EuGH-Urteile FT (Copies du dossier médical) vom 26.10.2023 - C-307/22, EU:C:2023:811, Rz 72 und Österreichische Datenschutzbehörde vom 04.05.2023 - C-487/21, EU:C:2023:369, Rz 32). Der Anspruch auf Zurverfügungstellung einer Kopie der personenbezogenen Daten setzt keine Begründung voraus, weshalb es auch nicht entgegensteht, wenn er mit anderen als den in Erwägungsgrund 63 Satz 1 DSGVO genannten Zwecken begründet wird (EuGH-Urteil FT (Copies du dossier médical) vom 26.10.2023 - C-307/22, EU:C:2023:811, Rz 50 und Rz 52).

Nur wenn die Zurverfügungstellung einer Kopie unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch die Datenschutz-Grundverordnung verliehenen Rechte zu ermöglichen, wobei insoweit die Rechte und Freiheiten anderer zu berücksichtigen sind, besteht nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO ein Anspruch darauf, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken zu erhalten (vgl. EuGH-Urteile FT (Copies du dossier médical) vom 26.10.2023 - C-307/22, EU:C:2023:811, Rz 75 und Österreichische Datenschutzbehörde vom 04.05.2023 - C-487/21, EU:C:2023:369, Rz 41 und Rz 45).

Hierfür besteht jedoch keine generelle Vermutung. Vielmehr obliegt es der betroffenen Person, darzulegen, dass die Kopie der personenbezogenen Daten sowie die Mitteilung der Informationen nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. a bis h DSGVO für die Wahrnehmung der ihr durch die Datenschutz-Grundverordnung verliehenen Rechte nicht genügt. Begehrt die betroffene Person die Zurverfügungstellung von Kopien von Dokumenten mit ihren personenbezogenen Daten, muss sie darlegen, welche ihr durch die Datenschutz-Grundverordnung verliehenen Rechte sie auszuüben gedenkt und aus welchen Gründen die Zurverfügungstellung von Kopien von Akten mit personenbezogenen Daten hierfür unerlässlich ist. Andernfalls liefe das durch den EuGH aufgestellte Regel-Ausnahme-Prinzip ins Leere. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Anspruch nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 DSGVO grundsätzlich auf die Zurverfügungstellung einer Kopie der verarbeiteten personenbezogenen Daten der betroffenen Person gerichtet (EuGH-Urteile FT (Copies du dossier médical) vom 26.10.2023 - C-307/22, EU:C:2023:811, Rz 72 und Österreichische Datenschutzbehörde vom 04.05.2023 - C-487/21, EU:C:2023:369, Rz 32). Wenn dies für die Wahrnehmung der Rechte aus der Datenschutz-Grundverordnung nicht genügt, kann ausnahmsweise ein Anspruch auf eine (auszugsweise) Kopie der Quelle, in der die personenbezogenen Daten verarbeitet sind, bestehen (vgl. EuGH-Urteile FT (Copies du dossier médical) vom 26.10.2023 - C-307/22, EU:C:2023:811, Rz 75 und Österreichische Datenschutzbehörde vom 04.05.2023 - C-487/21, EU:C:2023:369, Rz 41 und Rz 45). Einer entsprechenden Vermutung der Unerlässlichkeit bedarf es im Übrigen auch nicht, um einen effektiven Datenschutz zu gewährleisten. Regelmäßig genügt es für die Wahrnehmung der durch die Datenschutz-Grundverordnung verliehenen Rechte, wenn die betroffene Person Kenntnis von den über sie verarbeiteten personenbezogenen Daten erlangt und ihr die Informationen nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. a bis h DSGVO mitgeteilt werden. Insbesondere durch die Mitteilung, welche personenbezogenen Daten verarbeitet werden und zu welchem Zweck diese Verarbeitung erfolgt, ist die betroffene Person bereits regelmäßig in der Lage, die Richtigkeit der personenbezogenen Daten und die Rechtmäßigkeit deren Verarbeitung zu überprüfen (vgl. zum Ganzen Senatsurteil vom 12.03.2024 - IX R 35/21, BFHE 283, 266, BStBl II 2024, 682, Rz 27 f.).

b) Ausgehend von anderen Rechtsgrundsätzen hat es das FG unterlassen, die erforderlichen Feststellungen für eine abschließende Beurteilung zu treffen. Obwohl der Kläger in der Klageschrift vom 13.01.2020 seine Beweggründe für die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs dargelegt hat, fehlt es an Feststellungen des FG dazu, ob und in welchem Umfang die begehrten Kopien für ihn unerlässlich seien, um ihm die wirksame Ausübung der ihm durch die Datenschutz-Grundverordnung verliehenen Rechte zu ermöglichen. Ferner fehlt es an Feststellungen, welche Rechte aus der Datenschutz-Grundverordnung der Kläger überhaupt beabsichtigt geltend zu machen.

4. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Akteneinsicht ergibt sich zwar nicht aus Art. 15 DSGVO (dazu unter a). Das FG hat jedoch rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sich ein Akteneinsichtsrecht aufgrund anderer Rechtsvorschriften ergibt (dazu unter b).

a) Das Auskunftsrecht in Art. 15 DSGVO ist nicht mit dem Akteneinsichtsrecht identisch. Denn die Datenschutz-Grundverordnung sieht keinen Anspruch auf Akteneinsicht vor (so auch Gola/Heckmann/Franck, DS-GVO, 3. Aufl., Art. 15 Rz 33, m.w.N.). Soweit der Kläger einen Anspruch auf Akteneinsicht aus Art. 15 DSGVO herleiten möchte, enthält diese Vorschrift lediglich einen Auskunftsanspruch gegenüber dem für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten Verantwortlichen.

Ebenso beinhaltet Art. 15 DSGVO keinen Anspruch auf Akteneinsicht als "Weniger" zum Anspruch auf Zurverfügungstellung einer Kopie der personenbezogenen Daten beziehungsweise ausnahmsweise unter bestimmten Umständen auf Zurverfügungstellung der Quellen, in denen die personenbezogenen Daten verarbeitet wurden. Vielmehr handelt es sich bei der Gewährung von Akteneinsicht um ein Aliud. Während das Recht auf Akteneinsicht die temporäre Möglichkeit zur Einsicht in die gesamte Verwaltungsakte beinhaltet, betrifft Art. 15 DSGVO nicht die gesamte Verwaltungsakte, sondern ist auf die dauerhafte Überlassung der darin enthaltenen personenbezogenen Daten und nur ausnahmsweise unter bestimmten Umständen auf die Überlassung von Auszügen von Verwaltungsakten gerichtet.

Daran gemessen hat das FG einen Anspruch auf Akteneinsicht aus Art. 15 DSGVO zutreffend verneint. Art. 15 Abs. 1 DSGVO ermöglicht nicht die Einsicht in Verwaltungsakten und damit die in ihnen enthaltenen Verwaltungsdokumente in Abschrift oder im Original. Vielmehr hat der Beklagte als Verantwortlicher lediglich eine (elektronische) Kopie der personenbezogenen Daten und unter gewissen Umständen auch der Quellen, in denen solche Daten verarbeitet wurden, zur Verfügung zu stellen (Senatsurteil vom 12.03.2024 - IX R 35/21, BFHE 283, 266, BStBl II 2024, 682, Rz 36 f.).

b) Das FG hat rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sich ein Akteneinsichtsrecht aufgrund anderer Rechtsvorschriften ergibt.

aa) Die Abgabenordnung enthält zwar --anders als zum Beispiel § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes-- keine Regelung, nach der ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht. Ein solches Einsichtsrecht ist weder aus § 91 Abs. 1 AO noch aus § 364 AO abzuleiten. Allerdings steht dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Finanzbehörde zu, weil diese nicht gehindert ist, in Einzelfällen Akteneinsicht zu gewähren (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23.02.2010 - VII R 19/09, BFHE 228, 139, BStBl II 2010, 729, Rz 11; BFH-Beschluss vom 05.12.2016 - VI B 37/16, Rz 3; Senatsurteil vom 07.05.2024 - IX R 21/22, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 14). Grundlage dieses Anspruchs ist das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Prozessgrundrecht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG (BFH-Urteil vom 19.03.2013 - II R 17/11, BFHE 240, 497, BStBl II 2013, 639, Rz 11; Senatsurteil vom 07.05.2024 - IX R 21/22, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 14). Der fehlende Anspruch auf Akteneinsicht im außergerichtlichen Besteuerungsverfahren und eine insoweit der Finanzverwaltung eingeräumte Ermessensausübung verstoßen nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze (vgl. BFH-Beschluss vom 04.06.2003 - VII B 138/01, BFHE 202, 231, BStBl II 2003, 790, unter II.2.d, m.w.N.).

Dabei ist im Fall eines Antrags auf Akteneinsicht der Adressat des Antrags grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, einen geltend gemachten Anspruch unter allen zumindest denkbaren rechtlichen Aspekten zu prüfen (vgl. Senatsurteil vom 23.01.2024 - IX R 36/21, BFHE 283, 219, Rz 17; BFH-Urteil vom 08.06.2021 - II R 15/20, Rz 16).

bb) Der Kläger hat ausdrücklich Akteneinsicht beantragt. Ausgehend von anderen Rechtsgrundsätzen hat die Vorinstanz es unterlassen, die erforderlichen Feststellungen zu treffen, inwieweit der Beklagte das ihm hinsichtlich der Gewährung der Akteneinsicht zustehende Ermessen ordnungsgemäß nach dem Maßstab des § 102 FGO ausgeübt beziehungsweise eine Interessenabwägung vorgenommen hat.

5. Soweit sich der Kläger mit seinem Auskunftsanspruch auf Akten der Staatsanwaltschaft und der Steuerfahndung bezieht, ist der Beklagte nicht der Verantwortliche im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO. Insoweit ist der Beklagte weder berechtigt noch verpflichtet, Auskunft zu erteilen.

6. Soweit das FG den nationalen Ausschlussgrund des § 32c Abs. 1 Nr. 3 AO geprüft hat, tragen seine Feststellungen das Ergebnis, insbesondere zum Ausschlussgrund des § 32c Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a AO, nicht.

a) Das Recht auf Auskunft der betroffenen Person gegenüber einer Finanzbehörde gemäß Art. 15 DSGVO besteht nach § 32c Abs. 1 Nr. 3 AO nicht, soweit die personenbezogenen Daten nur deshalb gespeichert sind, weil sie aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht werden dürfen (Buchst. a) oder ausschließlich Zwecken der Datensicherung oder der Datenschutzkontrolle dienen (Buchst. b) und die Auskunftserteilung einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde sowie eine Verarbeitung zu anderen Zwecken durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen ausgeschlossen ist.

b) Insoweit prüft das FG nicht, ob die personenbezogenen Daten nur deshalb gespeichert sind, weil sie aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht werden dürfen (s. II.6.a; vgl. dazu BFH-Urteil vom 07.05.2024 - IX R 21/22, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 33) oder die in § 32c Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO genannten Zwecke vorliegen und ob "die Auskunftserteilung einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde". Auch zum Ausschluss einer Verarbeitung durch "geeignete technische und organisatorische Maßnahmen" äußert sich die Ausgangsentscheidung nicht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamburg: Keine Ansprüche wegen nachschaffender Nachahmungen von Modeschmuck mit durchschnittlicher wettbewerblicher Eigenart

OLG Hamburg
Urteil vom 06.02.2025
15 U 43/24

Das OLG Hamburg hat iin diesem Rechtsstreit entschieden, dass keine Ansprüche wegen nachschaffender Nachahmungen von Modeschmuck mit durchschnittlicher wettbewerblicher Eigenart bestehen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Klagemuster besitzt wettbewerbliche Eigenart, allerdings nur in durchschnittlichem Maße (dazu unter 1.). Die Verletzungsmuster stellen nur nachschaffende Nachahmungen des Klagemusters dar (dazu unter 2.). Angesichts dessen fehlt es in der Gesamtabwägung unter Berücksichtigung der Wechselwirkungslehre an den besonderen Umständen, die eine Unlauterkeit wegen vermeidbarer Herkunftstäuschung oder Rufausnutzung bzw. -beeinträchtigung begründen können (dazu unter 3.).Es kann daher offenbleiben, auf welcher rechtlichen Grundlage die Beklagten zu 2) und zu 3) für ein etwa unlauteres Handeln der Beklagten zu 1) verantwortlich wären.

1. Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn seine konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen (BGH, GRUR 2015, 909 Rn. 10 – Exzenterzähne). Der Anspruchsteller trägt nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 3 UWG. Soweit es die wettbewerbliche Eigenart des Produkts betrifft, muss er zu dem Produkt und dessen Merkmalen, die seine wettbewerbliche Eigenart begründen, konkret vortragen. Er muss deshalb das Produkt, für das er Schutz beansprucht, detailliert beschreiben. Hierfür kann er sich Abbildungen bedienen, soweit diese die in Rede stehende Ware und die die wettbewerbliche Eigenart begründenden Merkmale deutlich erkennen lassen. Im Regelfall wird der Anspruchsteller gehalten sein, dem Gericht das Produkt vorzulegen (BGH, GRUR 2021, 1544 Rn. 22 – Kaffeebereiter). Diesen Darlegungserfordernissen ist die Klägerin nachgekommen. Sie hat fotografische Abbildungen der Halsketten (Anlage K1) ebenso wie zwei Originalprodukte (Anlagen K2 und K3) zur Akte gereicht und diese beschrieben.

Der Senat kann die wettbewerbliche Eigenart aus eigener Sachkunde feststellen, denn die Mitglieder des Senats gehören zu dem vom Angebot der Klägerin angesprochenen Verkehrskreis der allgemeinen Verbraucher.

a. Eine wettbewerbliche Eigenart eines Produkts setzt nicht voraus, dass die zu seiner Gestaltung verwendeten Einzelmerkmale originell sind bzw. waren (vgl. BGH, GRUR 2012, 1155 Rn. 34 – Sandmalkasten). Das gilt auch für (Mode-) Schmuckerzeugnisse. Soweit für Modeartikel im Bekleidungsmarkt ein strengerer Maßstab gelten soll (s. dazu Köhler/Alexander in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Auflage 2025, § 4 Rn. 3.43d m.w.N.), gilt das hier jedenfalls nicht. Im Schmuckmarkt ändern sich die Trends und damit die Gestaltungen nicht so schnell und regelmäßig wie bei der Bekleidungsmode.

Für die Bestimmung der wettbewerblichen Eigenart ist auf den Gesamteindruck des nachgeahmten Erzeugnisses abzustellen. Dieser kann durch Gestaltungsmerkmale bestimmt oder mitbestimmt werden, die zwar nicht für sich genommen, aber in ihrer Kombination geeignet sind, im Verkehr auf die Herkunft des nachgeahmten Produkts aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen (BGH, GRUR 2016, 730 Rn. 33 – Herrnhuter Stern). Derartige Gestaltungsmerkmale können in ihrem Zusammenwirken eine wettbewerbliche Eigenart nicht nur verstärken, sondern auch erst begründen (BGH, GRUR 2012, 1155 Rn. 31 – Sandmalkasten).

In diesem Sinne weist hier keines der einzelnen Gestaltungsmerkmale für sich betrachtet (transparente Würfel aus Kristallglas, Würfel aus nicht transparentem Material, quadratische Metallplättchen und Strassrondelle, Zylinder) wettbewerbliche Eigenart auf. Die Verwendung von Würfeln, quadratischen Metallplättchen und Strassrondellen und von dünnen Zylindern als Abstandshaltern für Halsketten ist freihaltungsbedürftig und muss daher außer Betracht bleiben.

Gegenstand des wettbewerbsrechtlichen Nachahmungsschutzes ist der Schutz von Waren und Dienstleistungen in ihrer konkreten Gestaltung, nicht die dahinterstehende abstrakte (Gestaltungs-) Idee bzw. das Konzept (BGH, GRUR 2024, 139 Rn. 23 – Glück). § 4 Nr. 3 UWG darf nicht dazu dienen, Grundgedanken für die Gestaltung von Produkten gegen die Übernahme durch Wettbewerber zu schützen (BGH, GRUR 2005, 166, 168 – Puppenausstattungen). Demnach kann eine gestalterische Grundidee im Interesse des freien Wettbewerbs nicht im Wege des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes für einen Wettbewerber monopolisiert werden (BGH, GRUR 2016, 730 Rn. 37 – Herrnhuter Stern). Das gilt auch dann, wenn ein entsprechendes Erzeugnis eine hohe Verkehrsbekanntheit erlangt hat und vom Verkehr auf Grund der tatsächlichen Marktverhältnisse ohne weiteres einem bestimmten Unternehmen zugerechnet wird (BGH, GRUR 2003, 359, 361 – Pflegebett; Köhler/Alexander in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Auflage 2025, § 4 Rn. 3.23). Herkunftshinweisend kann also nur die konkrete Umsetzung der gestalterischen Grundidee sein (BGH, GRUR 2009, 1069 Rn. 22 – Knoblauchwürste; Köhler/Alexander in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Auflage 2025, § 4 Rn. 3.43a m.w.N.).

Die gestalterische Grundidee, Würfel und quadratische Elemente (hier: Metallplättchen und Strassrondelle) in abwechselnder und stets sich wiederholender Weise auf eine Kette zu ziehen und voneinander mittels dünner Zylinder auf Abstand zu halten, kann demnach nicht geschützt werden; andernfalls würde der Schutzbereich für das Produkt der Klägerin über die konkrete Gestaltung hinaus unzulässig erweitert (vgl. BGH, GRUR 2024, 139 Rn. 23 – Glück).

Allein das prägnante Zusammenwirken der für sich gesehen nicht schutzfähigen Gestaltungsmerkmale in der im Klagemuster anzutreffenden konkreten Ausformung führt dazu, dass der angesprochene Verkehr mit dem so gestalteten Produkt eine Herkunftsvorstellung verbindet. Die wettbewerbliche Eigenart ergibt sich aufgrund der besonderen Art der Kombination der unterschiedlichen geometrischen Elemente und der Auswahl der hochwertigen Materialien sowie der damit einhergehenden Farbgebung in ihrer Varianz.

Die freizuhaltende gestalterische Idee einer sich stets wiederholenden Abwechslung von Elementen, die ihrerseits aus quadratischen bzw. würfelförmigen Einzelelementen gleichen Ausmaßes bestehen, und der Trennung dieser Elemente durch dünne Zylinder als Abstandshalter ist im Klagemuster wie folgt konkret umgesetzt: Es wechseln sich stets ein Einzelwürfel und ein Elementenensemble ab, wobei letzteres in der stets gleichen Anordnung aus einem Würfel, einem Metallplättchen, einem Strassrondell und einem weiteren Metallplättchen besteht. Die beiden Elemente „Einzelwürfel“ und „Elementenensemble“ werden stets durch (nur) einen dünnen, die Kette umschließenden Zylinder voneinander getrennt. Alle Einzelelemente werden mittig von der Kette durchlaufen.

Maßgeblich für die Begründung der wettbewerblichen Eigenart ist der durch die stets gleiche Abfolge von Einzelwürfel, nur einem und stets gleich langen Zylinder und Elementenensemble entstehende streng symmetrische, dennoch Leichtigkeit vermittelnde Gesamteindruck. Der Eindruck strenger Symmetrie wir dabei erstens durch die sich immer wiederholende Abwechselung von Einzelwürfel und Elementenensemble bei immer demselben Abstand dazwischen, zweitens durch die immer gleiche Anordnung der Einzelelemente innerhalb des Elementenensembles und drittens auch und vor allem durch das Vorhandensein der jeweils prägenden Würfelform in den beiden Elementen „Einzelwürfel“ und „Elementenensemble“ hervorgerufen. Unterstützend kommt hinzu, dass die einzelnen Elemente in einheitlichen Maßen bzw. denselben Größen (Kantenlänge 6 Millimeter) verwendet werden. Der Eindruck gewisser Leichtigkeit entsteht vor allem durch den insbesondere im Vergleich zur Größe des Einzelwürfels recht großen Abstand, den die in ihrem Durchmesser einer Kette ähnlichen Zylinder herstellen.

Außerdem spielen die Materialauswahl und die damit in Zusammenhang stehende Farbgebung eine Rolle. Die konkrete Farbgebung einzelner Geo-Cube-Kernmodelle muss allerdings außer Betracht bleiben, da die Klägerin nicht eine oder mehrere bestimmte farbliche Gestaltungen zur Grundlage ihres Anspruchs macht, sondern vielmehr ausdrücklich die unterschiedlichen farblichen Gestaltungen bzw. die farbliche Variabilität der Geo-Cube-Kernmodelle als ein die wettbewerbliche Eigenart begründendes Merkmal ansieht. Daher kann nur „übergreifend“ auf solche farblichen Aspekte abgestellt werden, die sämtliche Klagemuster aufweisen. Aufgrund der erkennbar hochwertigen, nämlich akkurat gearbeiteten und besonders brillanten bzw. farbenprächtigen Einzelelemente macht das Klagemuster einen besonders wertigen Eindruck. Der Einzelwürfel besteht aus farbigem oder farblosem, transparentem Kristallglas von besonderer Brillanz, der besonders farbenprächtige Würfel des Elementenensembles hingegen ist nicht transparent und tritt mit den glänzenden Metallplättchen und dem glitzernden Strassrondell in Kontrast. Schließlich wirken auch die Bezeichnung „Geo-Cube“ und das an ein einem Extra-Kettchen befestigte Signet herkunftshinweisend und tragen so zur wettbewerblichen Eigenart bei.

b.Der Grad der wettbewerblichen Eigenart des Klagemusters ist als durchschnittlich einzustufen.

aa. Klagemuster um ein Erzeugnis handelt, das lediglich eine gestalterische Grundidee umsetzt, kommt ihm von Haus aus nur geringe wettbewerbliche Eigenart zu (vgl. BGH, GRUR 2016, 730 Rn. 43 – Herrnhuter Stern; Köhler/Alexander in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Auflage 2025, § 4 Rn. 3.43a).

bb. Eine Steigerung der wettbewerblichen Eigenart ergibt sich entgegen der Annahme der Klägerin nicht aus einem großen Abstand des Klagemusters zu seinem Marktumfeld (im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.03.2024, Az. 6 U 52/23, S. 18 ff. unter dd)). Zwar ist richtig, dass ein deutlicher Abstand zum Marktumfeld herkunftshinweisend wirken und daher für den Grad der wettbewerblichen Eigenart eines Produkts bzw. seiner Verpackung relevant sein kann (vgl. OLG Hamburg, GRUR-RS 2024, 25421 Rn. 30 – Glück, insoweit nicht beanstandet durch BGH, GRUR 2024, 139 Rn. 17 f. – Glück s. auch OLG Hamburg, GRUR-RR 2023, 296 Rn. 71 – Grübchenflasche und OLG Hamburg, GRUR-RR 2018, 363 Rn. 30 – Spiralschneider). Es kann im Streitfall aber nicht festgestellt werden, dass das Klagemuster einen deutlichen Abstand zu seinem Marktumfeld hat.

Für das Bestehen und den Grad der wettbewerblichen Eigenart ist nicht auf den Zeitpunkt der Markteinführung des Originals, sondern auf den Kollisionszeitpunkt mit der Nachahmung abzustellen; eine etwa erhöhte wettbewerbliche Eigenart muss daher auch in diesem Zeitpunkt noch bestehen (vgl. OLG Hamburg, GRUR-RS 2024, 25421 Rn. 35 – Glück; BGH, GRUR 2021, 1544 Rn. 48 m.w.N. – Kaffeebereiter). Daher ist an dieser Stelle unerheblich, ob das Klagemuster bei seiner Markteinführung im Jahr 2005 „völlig neu“ war, wie die Klägerin behauptet. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 37 – LIKEaBIKE) kann der Umstand, dass der Originalhersteller eine Pionierleistung erbracht hat, jedoch bei der Frage eine Rolle spielen, ob der Grad wettbewerblicher Eigenart wegen der gesteigerten Bekanntheit des Produkts erhöht ist (dazu noch unter dd.).

Der von der Klägerin behauptete große Abstand zum Marktumfeld lässt sich für den Kollisionszeitpunkt im März 2022 (s. Anlage K25: 09.03.2022) nicht feststellen.

Es kann insofern nicht nur auf die Angebote der direkten Wettbewerber der Klägerin wie Swarovski, Thomas Sabo, Pandora oder Leonardo (s. Anlage K18) sowie auf die Angebote von Juweliergeschäften bzw. in gehobenen Vertriebskanälen wie etwa Christ und Manufactum (s. Anlagen K19a und K38) abgestellt werden. Vielmehr ist der gesamte Schmuckmarkt und damit auch der einfache Modeschmuckmarkt in den Blick zu nehmen. Daher spielen auch die von den Beklagten vorgelegten eigenen Angebote sowie diejenigen auf Plattformen wie ebay und etsy ebenso wie die Ergebnisse von Internetsuchmaschinen zu angebotenen Produkten eine Rolle (ebenso OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.03.2024, Az. 6 U 52/23, S. 20). In diesem Sinne hat die Klägerin auch selbst als Anlage K41 einen „Querschnitt des aktuellen Angebots an Halsketten bei eBay“ vorgelegt, wenn dieser auch aufgrund seines Datums aus September 2023 für den Kollisionszeitpunkt im März 2022 nicht relevant ist und offenbar auch nicht auf einer Suche nach Würfelketten o.ä. beruht, sondern lediglich eine allgemeine Übersicht darstellt. Schließlich ist auch die von den Beklagten als Anlage B22 eingereichte Designeintragung von Relevanz.

Würfelketten für sich gesehen sind und waren im Markt durchaus verbreitet. Die Klägerin hat dementsprechend selbst mehrere Gestaltungen von Würfelketten als Anlagen K19a-c vorgelegt, von denen zumindest eine nicht nur aus Würfeln, sondern aus sich abwechselnden unterschiedlichen Elementen besteht (Anlage K19b). Unstreitig ergab eine Suche bei der Suchmaschine Bing mit den Wörtern „Halskette Cube-Strass“ über 2,2 Millionen und bei der Suchmaschine google mit dem Begriff „Würfelkette“ am 03.05.2022 mehr als 53.000 Ergebnisse. Auch wenn zahlreiche dieser Ergebnisse zur Klägerin bzw. den Klagemustern und längst nicht alle der anderen Ergebnisse zu Gestaltungen führen, die dem Klagemuster gleichen oder ihm auch nur ähnlich sind, macht allein die sehr große Zahl an Ergebnissen deutlich, dass Würfelketten für sich gesehen alltäglich sind und waren. Das entspricht auch der Erfahrung der Senatsmitglieder als Mitglieder des vom (Mode-) Schmuckangebot angesprochenem Verkehrskreises.

Auch Würfelketten, die in ähnlicher Weise gestaltet sind wie das Klagemuster, waren bereits vor dem Kollisionszeitpunkt im Markt vorhanden und sind es im Kollisionszeitpunkt auch weiterhin. Die Beklagten haben als Anlage B8 ihren Produktkatalog der Kollektion 2013/2014 vorgelegt, aus dem sich eine Vielzahl von Würfelkettengestaltungen ergibt, bei denen die einzelnen würfelförmigen Elemente durch dünne Zylinder voneinander auf Abstand gehalten werden. Teilweise werden dabei neben Würfeln auch Metallplättchen und Strassrondelle verwendet, und teilweise findet sich neben einem Einzelwürfel auch ein Elementenensemble, wenn auch in anderer Weise als beim Klagemuster, etwa wie in der nachfolgend eingeblendeten Gestaltung (S. 3 oben in Anlage B8):

[...]

Die drei Verletzungsmuster stellen nur nachschaffende Nachahmungen des Klagemusters dar.

a. Eine identische Nachahmung steht nicht in Rede, denn die Klägerin geht selbst nur von einer nahezu identischen Nachahmung aus (s. Seiten 15 und 19 der Klageschrift). Aber auch eine solche liegt nicht vor. In diesem Sinne hat auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main jüngst für zahlreiche dort streitige Verletzungsmuster, die den dort wie hier streitgegenständlichen Kernmodellen der Geo-Cube-Serie erheblich näher sind als die hiesigen Verletzungsmuster, nur eine nachschaffende Nachahmung angenommen, etwa für dieses:

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.03.2024, Az. 6 U 52/23 S. 22 ff. i.V.m. dem dortigen Anlagenkonvolut K1 S. 136; s. dazu auch OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.12.2018, Az. 11 U 12/18 Rn. 47 – juris und hier eingereicht als Anlage K21).

Eine Nachahmung setzt voraus, dass das Produkt oder ein Teil davon mit dem Originalprodukt übereinstimmt oder ihm zumindest so ähnlich ist, dass es sich nach dem jeweiligen Gesamteindruck in ihm wiedererkennen lässt. Dabei müssen die übernommenen Gestaltungsmittel diejenigen sein, die die wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Produkts begründen. Aufgrund der Merkmale, die die wettbewerbliche Eigenart ausmachen, muss der Grad der Nachahmung festgestellt werden (BGH, GRUR 2024, 139 Rn. 29 – Glück). Eine nahezu identische Nachahmung liegt vor, wenn nach dem Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse die Nachahmung nur geringfügige Abweichungen vom Original aufweist. Eine nachschaffende Übernahme ist demgegenüber gegeben, wenn die fremde Leistung lediglich als Vorbild genutzt wird und eine bloße Annäherung an das Originalprodukt festzustellen ist (BGH, GRUR 2024, 139 Rn. 29 m.w.N. – Glück).

Bei der Beurteilung der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit ist auf die Sichtweise des durchschnittlich informierten und situationsadäquat aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers abzustellen, der die betreffenden Produkte nicht nebeneinander sieht und unmittelbar miteinander vergleicht, sondern auf Grund seiner Erinnerung in Beziehung zueinander setzt, wobei erfahrungsgemäß die Unterschiede gegenüber den Gemeinsamkeiten der Produkte in den Hintergrund treten (BGH, GRUR 2017, 1135 Rn. 29 – Leuchtballon). Dabei ist auf den Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Produkte abzustellen, denn der Verkehr nimmt ein Produkt in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen wahr, ohne es einer analysierenden Betrachtung zu unterziehen (st. Rspr., s. nur BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 39 – LIKEaBIKE). Das Originalprodukt muss nicht in allen seinen Gestaltungsmerkmalen übernommen worden sein. Bei einer nur teilweisen Übernahme muss sich die wettbewerbliche Eigenart des Originals aber gerade aus dem übernommenen Teil ergeben: Die übernommenen Gestaltungsmittel müssen diejenigen sein, die die wettbewerbliche Eigenart des Originals begründen (BGH, GRUR 2024, 139 Rn. 29 – Glück; Köhler/Alexander in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Auflage 2025, § 4 Rn. 3.34).

Da demnach für die Frage der Nachahmung nur auf die Merkmale abgestellt werden darf, die die wettbewerbliche Eigenart des Originals ausmachen, muss die Verwendung von dünnen Zylindern als Abstandhalter, von Würfeln sowie quadratischen Metallplättchen und Strassrondellen für sich gesehen auch hier vollständig außer Betracht bleiben. Denn die Verwendung dieser Elemente ist freihaltungsbedürftig und begründet die wettbewerbliche Eigenart des Klagemusters nicht. Wie oben bereits ausgeführt, beruht die wettbewerbliche Eigenart des Klagemusters allein auf der konkreten Umsetzung der gestalterischen Idee, diese Elemente in der oben beschriebenen wiederholenden Weise auf eine Halskette aufzuziehen. Grundlage der Betrachtung ist daher nur diese sich stets wiederholende Abwechslung von Einzelwürfel und Elementenensemble, die Trennung dieser Elemente durch stets einen dünnen Zylinder als Abstandshalter und die stets gleiche Anordnung des aus Würfel, Metallplättchen, Strassrondell und weiterem Metallplättchen bestehenden Elementenensembles. Außerdem spielen der hochwertige Eindruck des Klagemusters aufgrund der Materialauswahl und damit in gewissem Maße auch die Farbgebung eine Rolle, nämlich dahingehend, dass der Einzelwürfel aus farbigem oder farblosem, besonders brillantem transparentem Kristallglas besteht, der farbige Würfel des Elementenensembles hingegen nicht transparent ist und dass die trennenden Zylinder glänzen, weil sie aus Glas oder Edelstahl bestehen. Maßgeblich für die Begründung der wettbewerblichen Eigenart ist der streng symmetrische, dennoch Leichtigkeit vermittelnde hochwertige Gesamteindruck, der durch die Verwendung der Würfelform sowohl im Einzelwürfel als auch im stets gleich aufgebauten Elementenensemble, durch die stets gleiche Abfolge dieser beiden Elemente, ihre Trennung durch (nur) einen stets gleich langen Zylinder sowie die gleichen Außenmaße der geometrischen Einzelelemente und die hochwertigen Materialien entsteht.

Das findet sich jedoch in den Verletzungsmustern so nicht wieder. Zwar bestehen auch diese aus unterschiedlichen geometrischen Elementen, die stets gleich aufgebaut und (nahezu) gleich groß sind, sich abwechseln und immer durch (nur) einen gleich langen dünnen Zylinder voneinander auf Abstand gehalten werden. Zudem finden sich sowohl ein Einzelwürfel aus transparentem Kristallglas als auch ein dem Elementenensemble des Klagemusters entsprechendes Elementenensemble. Ferner sind alle Elemente in ihren Außenmaßen aufeinander abgestimmt (wenn auch nicht ganz so exakt wie beim Klagemuster) und werden mittig von der Kette durchlaufen. Aber daneben gibt es noch ein drittes, andersartiges Element, aufgrund dessen die Verletzungsmuster gegenüber den Klagemustern eine in doppelter Hinsicht gesteigerte geometrische Formenvielfalt aufweisen, so dass sich der gleichzeitig streng geometrische, aber dennoch leichte Gesamteindruck des Klagemusters hier nicht einstellt. Das in seinen Proportionen dem ersten Elementenensemble gleichkommende zweite Elementenensemble („Elementenensemble II“) besteht aus einem Metallquader, einem Rondell, wobei es sich dabei offenbar nur bei den Verletzungsmustern 1 und 3 um ein Strassrondell handelt, und einem weiteren Metallquader. Mit dem Elementenensemble II ist nicht nur ein weiteres, drittes Element gegenüber den nur zwei Elementen des Klagemusters vorhanden, sondern es weist zudem einen Bestandteil auf, den das Klagemuster nicht kennt, und es fehlt der prägende Würfel. Zwar bedient es sich im Grundsatz einer ähnlichen Formensprache, weil alle verwendeten Einzelelemente ebenfalls eine quadratische Grundfläche haben und – zumindest nahezu – die gleichen Ausmaße aufweisen. Aber die Metallquader finden sich im Klagemuster nicht. Aufgrund ihrer Größe dominieren sie das Elementenensemble II. Hier ist also die das Ensemble prägende Einzelform kein Würfel, sondern es sind die beiden Metallquader. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass die beiden Metallquader letztlich ein „durchgeschnittener“ Würfel seien, ändert dies nichts daran, dass hier kein Würfel vorhanden ist und wahrgenommen wird, sondern – im Kontrast zum daneben vorhandenen Einzelwürfel und dem Elementenensemble I – zwei Metallquader.

Dieser Unterschied ist von erheblichem Gewicht, denn er führt zu einem anderen Gesamteindruck. Die sich in jedem Element des Klagemusters wiederholenden Würfel sind dessen prägendes Element, was sich nicht zuletzt in der Bezeichnung „Geo-Cube“ niederschlägt. Der Einzelwürfel besteht nur aus einem Würfel, und das Elementenensemble wird von dem darin enthaltenen Würfel schon aufgrund seiner Größe gegenüber den anderen Einzelelementen dominiert. Außerdem kontrastiert sein farbiges mattes Material mit dem Material der beiden weiteren Elemente, nämlich den glänzenden Metallplättchen und den funkelnden Strassrondellen. Demgegenüber weist das Elementenensemble II überhaupt keine und schon gar keine dominante Würfelform auf, und auch der geschilderte Materialkontrast fehlt, da die beiden dicken Quader nicht aus Stein oder synthetischem Material bestehen, sondern – wie die Metallplättchen – aus Metall. Aufgrund dieser Unterschiede ergibt sich ein abweichender Gesamteindruck. Das gilt auch in Anbetracht des Umstands, dass bei der Frage der Nachahmung auf den Erinnerungseindruck und deswegen mehr auf die Gemeinsamkeiten als auf die Unterschiede abzustellen ist. Der Gesamteindruck der Verletzungsmuster unterscheidet sich von dem des Klagemusters, weil es an den sich in jedem Element wiederfindenden Würfeln fehlt. Dadurch fehlt es an der geometrischen Strenge, die das Klagemuster auszeichnet. Dazu trägt auch bei, dass mit dem Elementenensemble II ein drittes sich abwechselndes Element verwendet wird, wodurch die Verletzungsmuster gegenüber dem Klagemuster mit nur zwei geometrischen Elementen deutlich unruhiger wirken. Schließlich wirken die Verletzungsmuster aufgrund des massiveren Eindrucks des Elementenensembles II auch schwerer als das Klagemuster. Es fehlt daher auch an dem das Klagemuster auszeichnenden Eindruck einer gewissen Leichtigkeit. Daneben fehlt es den Verletzungsmustern an dem die wettbewerbliche Eigenart des Klagemusters mitbegründenden hochwertigen Eindruck, denn sie bleiben in Brillanz und Farbpracht der einzelnen Elemente deutlich hinter dem Klagemuster zurück. Schließlich findet sich kein auf den Hersteller hinweisendes Signet an einem Extra-Kettchen. Insgesamt ergibt sich damit auch im Erinnerungseindruck ein mehr als nur geringfügig abweichender Gesamteindruck.

Da jedoch in den Verletzungsmustern der Einzelwürfel und das Elementensemble in zumindest ähnlichen Materialien übernommen wurden, die drei geometrischen Elemente sich in stets gleicher Reihenfolge miteinander abwechseln und stets durch nur einen dünnen Zylinder stets gleicher Länge getrennt werden, lässt sich das Klagemuster in den Verletzungsmustern als Vorbild wiedererkennen, so dass eine nachschaffende Nachahmung vorliegt.


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LG Hamburg: Kostenlose Rechtsprechungsdatenbank openJur haftet nicht für vom Gericht unzureichend anonymisierte Gerichtsentscheidungen

LG Hamburg
Urteil vom 09.05.2025
324 O 278/23


Das LG Hamburg hat entschieden, dass die kostenlose Rechtsprechungsdatenbank openJur nicht für vom Gericht unzureichend anonymisierte Gerichtsentscheidungen haftet.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu, und zwar weder aus Art. 17 DSGVO noch aus nationalem Recht.

1. Ein Unterlassungsanspruch aus Art. 17 DSGVO besteht nicht.

Die Tätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen in der von der Beklagten betriebenen Rechtsprechungsdatenbank unterfällt der Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO. Dies hat zur Folge, dass sich die Frage, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch zusteht, nicht nach den Regelungen der DSGVO, sondern nach dem einschlägigen nationalen Recht richtet.

a) Gemäß Art. 85 Abs. 2 DSGVO sehen die Mitgliedsstaaten für die Verarbeitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), Kapitel IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), Kapitel V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), Kapitel VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), Kapitel VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und Kapitel IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.

Der Begriff des journalistischen Zwecks ist unionsrechtsautonom auszulegen. Er ist weit zu verstehen. Dies ergibt sich aus Erwägungsgrund 153, S. 7 der DSGVO, der lautet: "Um der Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft Rechnung zu tragen, müssen Begriffe wie Journalismus, die sich auf diese Freiheit beziehen, weit ausgelegt werden."

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist vor allem das Ziel der Veröffentlichung maßgeblich. Es kommt darauf an, ob die Veröffentlichung zum Ziel hat, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Allerdings hält auch der EuGH fest, dass nicht jegliche im Internet veröffentlichte Information unter den Begriff der journalistischen Tätigkeit falle (EuGH GRUR 2019, 760 Rn. 59 – Buivids). Auf eine berufliche Ausübung der Tätigkeit (Berufsjournalist) kommt es allerdings ebenso wenig an wie auf eine Anbindung an eine Zeitungs- oder Rundfunkredaktion (BeckOK InfoMedienR/Cornils, 47. Ed. 1.2.2021, Art. 85 DSGVO Rn. 70, beck-online).

Die Einordnung von Intermediären, die keine eigenen Texte oder Inhalte veröffentlichen, sondern Inhalte Dritter verbreiten, wird differenziert beurteilt: Im Falle eines Ärztebewertungsportals hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Medienprivileg aus Art. 85 Abs. 2 DSGVO nicht eingreife, weil es an einer journalistisch-redaktionelle Bearbeitung der Bewertungen fehle (BGHZ 202, 242 Rn. 13 – Ärztebewertung II; BGHZ 217, 340 Rn. 10 – Ärztebewertung III). Dies begegnete Kritik, weil der Portalbetreiber im Fall Ärztebewertung III durchaus in die Präsentation der Arztprofile eingegriffen hatte (vgl. BGHZ 217, 340 Rn. 18) und damit gerade seine Stellung als neutraler Informationsmittler verlassen habe (BeckOK InfoMedienR/Cornils, 47. Ed. 1.2.2021, Art. 85 DSGVO Rn. 75.1, beck-online). Eine Privilegierung von Informationsintermediären wird dann für möglich gehalten, wenn diese ein Mindestmaß an Bearbeitung leisten (BeckOK DatenschutzR/Lauber-Rönsberg, 50. Ed. 1.11.2024, Art. 85 DSGVO Rn. 21, beck-online).

b) Die Voraussetzungen der Bereichsausnahme für journalistische Zwecke liegen nach diesem Maßstab hier vor, denn die Beklagte ist im Zusammenhang mit dem Betrieb der Rechtsprechungsdatenbank in einer Weise tätig, die eine Einordnung als redaktionelle Tätigkeit rechtfertigt.

So fordert die Beklagte zuvor unveröffentlichte Entscheidungen von Gerichten gezielt zur Veröffentlichung an. Dies gilt etwa für den in den Medien viel diskutierten Beschluss des Kammergerichts vom 06.12.2021, Az. 3 Ws 250/21 zur Einstellung des datenschutzrechtlichen Bußgeldverfahrens gegen das Unternehmen Deutsche Wohnen oder das historische Urteil im Frankfurter Auschwitz-Prozess. Im Jahr 2023 wurden auf diese Weise rund 300 Entscheidungen von Gerichten angefordert und erstveröffentlicht (vgl. Auswahl in Anlage B 8). Außerdem fordert die Beklagte auch Entscheidungen von Dritten an. Dies gilt etwa für das Urteil des Landgerichts München I im sogenannten Badewannen-Prozess, das die Beklagte von den Prozessbevollmächtigten des dortigen Verfahrens angefragt und erhalten hat, nachdem ihr Antrag auf Übersendung vom Präsidenten des Landgerichts abgelehnt wurde. Die Beklagte beschreitet auch den Rechtsweg, um Entscheidungen zu erhalten, etwa wenn Gerichte die Zusendung von Entscheidungen verweigern oder für die Zusendung Gebühren verlangen. Soweit Dritte Entscheidungen einsenden, wählt die Beklagte aus, welche dieser Entscheidung sie veröffentlicht. Die Beklagte verfasst eigene Orientierungssätze zu Entscheidungen und verschlagwortet Entscheidungen. Sie hebt Entscheidungen auf der Startseite und über die Social Media-Auftritte der Beklagten hervor und stellt auf ihrer Startseite unter der Überschrift "Aktuell" individuell ausgewählte, besonders relevante und neu veröffentliche Rechtsprechung vor.

Diese Tätigkeit unterscheidet sich maßgeblich von einem bloßen Datensammeln oder einem bloßen Verbreiten von Inhalten Dritter, wie es etwa auf Bewertungsportalen geschieht. Ein wesentlicher Unterschied liegt schon darin, dass die Beklagte Gerichtsentscheidungen auch gezielt anfordert, wodurch ihre Tätigkeit einen redaktionellen und auch meinungsbildenden Charakter erhält. Darüber hinaus leistet die Beklagte ein Mindestmaß an Bearbeitung auch dadurch, dass sie Entscheidungen für eine hervorgehobene Veröffentlichung auswählt und Entscheidungen mit einer Beschreibung versieht.

c) Die Tätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit der von ihrer betriebenen Rechtsprechungsdatenbank unterfällt auch insgesamt der Bereichsausnahme. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass es sich bei der streitgegenständlichen Urteilsveröffentlichung – wie bei vielen anderen Urteilsveröffentlichungen der Beklagten – um eine automatisiert und ohne Änderungen aus Rechtsprechungsdatenbanken übernommene Entscheidungen handelt.

Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass sich in der Entscheidungsdatenbank der Beklagten, die im Zentrum der Tätigkeit der Beklagten steht, Entscheidungen, die die Beklagte aktiv anfordert, Entscheidungen, die die Beklagte mit eigenen Orientierungssätzen versieht und auch Entscheidungen, die – wie die streitgegenständliche – von der Beklagten nicht bearbeitet wurden, vermengen. Da die Tätigkeit der Beklagten gerade darin besteht, die Datenbank als Ganzes bereitzuhalten, muss sich die anzuerkennende Bereichsausnahme auf die Veröffentlichung aller Inhalte beziehen und nicht nur auf solche Beiträge in der Datenbank, die bereits bei isolierter Betrachtung, etwa aufgrund einer Formulierung eines Orientierungssatzes oder einer aktiven Recherche nach der Entscheidung, als redaktionelle Tätigkeit einzustufen sind.

Daran ändert sich auch dann nichts, wenn - worauf der Kläger hinweist - die Mehrzahl der Entscheidungen, die die Beklagte in ihre Datenbank aufnimmt, in automatisierter Weise übernommen werden und die Entscheidungen, die die Beklagte individuell bearbeitet oder besonderen Rechercheaufwand für ihren Erhalt betreibt, demgegenüber nur in geringerer Anzahl vorhanden sind. Soweit der BGH davon spricht, dass die meinungsbildende Wirkung prägender Bestandteil des Angebots und nicht nur "schmückendes Beiwerk" sein dürfe (BGH, Urt. v. 23.06.2009 – VI ZR 196/08 –, BGHZ 181, 328-345, Rn. 21 – spickmich.de, noch zur Bereichsausnahme im BDSG), stellen die von der Beklagten vorgenommenen redaktionellen Bearbeitungen hier nicht nur "schmückendes Beiwerk" dar. Sie sind im Rahmen der einheitlich angebotenen Datenbank vielmehr untrennbar mit den übrigen, automatisiert vorgenommenen Abläufen verbunden. Es verhält sich daher nicht so, dass die Beklagte ihr Angebot lediglich mit einem "schmückenden Beiwerk" von solchen Zusatzinformationen, aktuellen Meldungen oder Meinungsäußerungen Dritter versieht, die gerade in der Online-Welt dank einfacher Programmiertechnik und Verlinkungsmöglichkeiten regelmäßig ohne größeren Aufwand möglich sind (vgl. Kühling/Buchner/Buchner/Tinnefeld, 4. Aufl. 2024, Art. 85 DSGVO Rn. 25, beck-online). Vielmehr ist der redaktionelle Aufwand der Beklagten prägender Bestandteil im Rahmen der Vervollständigungen der von ihr betriebenen Entscheidungsdatenbank, so dass es weder auf das konkrete Verhältnis zwischen automatisierter und "händischer" Tätigkeit ankommt, noch darauf, ob die einzelne, hier die konkret streitige Entscheidung automatisiert abgerufen oder inhaltlich bearbeitet wurde. Auch wenn es sich so verhalten sollte, dass der überwiegende Teil der in der Datenbank bereitgehaltenen Entscheidungen automatisiert abgerufen wurde, tritt die Bedeutung der redaktionellen Tätigkeit der Beklagten für die Bereithaltung der Rechtsprechungsdatenbank keineswegs völlig in den Hintergrund.

d) Ohne dass es hierauf noch ankäme, dürfte auch die Bereichsausnahme für eine Verarbeitung zu wissenschaftlichen Zwecken vorliegen. Der Begriff der wissenschaftlichen Forschung umfasst jede wissenschaftliche Tätigkeit und damit eine solche Tätigkeit, die nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist (Kühling/Buchner/Buchner/Tinnefeld, 4. Aufl. 2024, Art. 85 DSGVO Rn. 21, beck-online m.w.N.).

Im vorliegenden Fall spricht einiges dafür, dass die Beklagten wissenschaftliche Zwecke für sich in Anspruch nehmen kann. Dies gilt etwa im Hinblick darauf, dass rechtswissenschaftliche Veröffentlichungen häufig Gerichtsentscheidungen über die Datenbank der Beklagten zitieren (vgl. zu einer Literatursuche nach dem Stichwort "openjur" in der Datenbank Beck-Online Anlage B 12). Zudem ist die Beklagte auch Partnerin der Initiative "OpenRewi", eines Zusammenschlusses von Rechtswissenschaftlern, der sich der Nutzung frei zugänglicher Informationen für die rechtswissenschaftliche Forschung verschrieben hat.

2. Bleibt es danach für die Beurteilung des Unterlassungsbegehrens des Klägers bei der Anwendbarkeit des nationalen Rechts, das aufgrund der Bereichsausnahme anstelle der Regelungen der DSGVO Geltung beansprucht, steht dem Kläger auch insoweit kein Unterlassungsanspruch zu. Insbesondere besteht kein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.

a) Zwar beeinträchtigt die Veröffentlichung der Entscheidung mit dem Klarnamen des Klägers als Ergebnis der Abwägung mit der Informations- und Medienfreiheit der Beklagten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, weil kein überwiegendes öffentliches Interesse an der beruflichen und finanziellen Situation des Klägers und daran, dass das Versorgungswerk der Rechtsanwälte gegen ihn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen betrieben hat, besteht. Das gilt auch, soweit man berücksichtigt, dass diese Umstände (nur) die Sozialsphäre des Klägers betreffen. Denn es handelt sich um Informationen, die geeignet sind, dem beruflichen Fortkommen des Klägers zu schaden. Es sind keine Gründe ersichtlich, die für ein überwiegendes öffentliches Interesse gerade an der Person des Klägers sprechen. Am Ergebnis dieser Abwägung ändert sich auch dann nichts, wenn, wie die Beklagte vorträgt, der Beschluss in dem den Kläger betreffenden verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren öffentlich verkündet worden sein sollte. Dies gilt bereits deswegen, weil die Gerichtsöffentlichkeit eine andere ist als die Internetöffentlichkeit.

b) Allerdings hat die Beklagte bei der Veröffentlichung des Beschlusses in Wahrnehmung berechtigter Interessen und damit gerechtfertigt gehandelt.

Die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Zusammenhang mit einer Äußerung stellt einen Rechtfertigungsgrund nach § 193 StGB dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB als eine Ausprägung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berücksichtigt und ist im Hinblick auf die Funktion der Presse im demokratischen Staat anerkannt (BGH, Urt. v. 22.12.1959 – VI ZR 175/58 –, BGHZ 31, 308-321, Rn. 9).

Einen Anwendungsfall der Wahrnehmung berechtigter Interessen stellen sog. privilegierte Quellen dar. Verlautbarung von privilegierten Quellen darf ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden (BGH NJW 2014, 2029 Rn. 30, beck-online). Neben dem Umstand, dass amtliche Stellen an die Grundrechte gebunden sind und damit schon ihrerseits vor einer Verlautbarung eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen habe, liegt die Sonderbehandlung privilegierter Quellen auch darin begründet, dass Medienanbieter im Interesse der Gewährleistung einer möglichst breiten Pluralität in die Lage versetzt werden sollen, auch über solche Themen zu berichten, die – gemessen an den zur Verfügung stehenden personellen und wirtschaftlichen Ressourcen – jenseits ihres eigenen "Rechercheradius" liegen (vgl. Korte PresseR, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 241).

Die von der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin veröffentlichten Entscheidungen stellen eine solche privilegierte Quelle dar. Solange für die Beklagte keine konkreten Zweifel daran bestanden, dass eine Veröffentlichung einer Entscheidung in ihrer Datenbank in der identischen Form, wie sie bereits in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin veröffentlicht wurde, Rechte Dritter verletzt, handelte die Beklagte gerechtfertigt und unterlag auch keiner Pflicht zur Nachrecherche (vgl. Korte aaO Rn. 244). Solche Zweifel mussten bei der Beklagten erst mit der Anfrage durch den Kläger entstehen. Hierauf ist die Beklagte unverzüglich tätig geworden und hat den Namen des Klägers aus der Entscheidung entfernt.

II. Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf die Verarbeitung der persönlichen Daten durch die Veröffentlichung des Namens des Klägers zu.

1. Ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO kommt nicht in Betracht. Insoweit ist Art. 82 DSGVO schon nicht anwendbar, weil die in Kapitel II der DSGVO geregelten Grundsätze der Datenverarbeitung und die in Kapitel III der DSGVO geregelten Rechte der betroffenen Person aufgrund der Bereichsausnahme des Art. 85 DSGVO für den vorliegenden Fall nicht anwendbar sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es "auf der Hand, dass ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht auf die Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen durch eine journalistische Tätigkeit gestützt werden kann, wenn die Bestimmungen für die Tätigkeit gar nicht gelten". Dabei spiele auch keine Rolle, dass die Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO die in Kapitel VIII der Verordnung enthaltene Vorschrift des Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht ausdrücklich erfasse (BGH GRUR 2022, 735 Rn. 18, beck-online).

2. Da sich die Veröffentlichung des Namens nach nationalem Recht aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen als gerechtfertigt darstellt, kommt auch ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.

III. Auch im Hinblick auf die vom Kläger als zu spät gerügte Auskunft steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch nicht zu.

1. Art. 82 DSGVO ist insoweit allerdings anwendbar. Denn wenn ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO grundsätzlich besteht, kann im Falle einer Verletzung dieses Auskunftsanspruchs auch ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO bestehen. Der Auskunftsanspruch beurteilt sich vorliegend auch in Ansehung der Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO nach Art. 15 DSGVO. Denn es ist nicht ersichtlich, dass nach nationalem Recht eine Regelung eingreift, die einen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO deswegen ausschließen könnte, weil dies, wie es Art. 85 Abs. 2 DSGVO verlangt, erforderlich wäre, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.

2. Dem Kläger stand ursprünglich ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO zu, denn die Beklagte hat durch die Veröffentlichung des Beschlusses mit dem darin enthaltenen Namen des Klägers und den ihn betreffenden Informationen personenbezogene Daten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO verarbeitet.

3. Im vorliegenden Fall dürfte die Auskunft auch verspätet erteilt worden sein. Gemäß Art. 12 Abs. 3 DSGVO stellt der Verantwortliche der betroffenen Person Informationen über die auf Antrag gemäß den Artikeln 15 bis 22 ergriffenen Maßnahmen unverzüglich, in jedem Fall aber innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zur Verfügung; diese Frist kann um weitere zwei Monate verlängert werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Komplexität und der Anzahl von Anträgen erforderlich ist. Hier hat der Kläger am 05.05.2023 Auskunft verlangt. Die Beklagte hat zwar noch am gleichen Tag geantwortet und die Auskunft auch teilweise erteilt – etwa im Hinblick auf die Herkunft der Daten mitgeteilt, dass die Entscheidung automatisiert aus der amtlichen Datenbank des Landes Berlin übernommen worden sei –, im Übrigen aber auf die allgemeinen Datenschutzinformationen verwiesen. Eine weitergehende und nach Ansicht der Beklagten vollständige Auskunft hat die Beklagte erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens mit der Klagerwiderung vom 20.10.2023 (dort Anlage B 4) erteilt, somit rund 5 Monate nach dem Auskunftsbegehren.

In rechtlicher Hinsicht umstritten ist, ob der Umstand, dass eine Auskunft verspätet erteilt wird, überhaupt einen Schadensersatzanspruch begründen kann. Teilweise wird dagegen eingewandt, dass von Art. 82 DSGVO nur solche Schäden erfasst seien, die "durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung" entstanden sind und dass damit Verstöße gegen Auskunftspflichten aus Art. 12 Abs. 3 bzw. Art. 15 DSGVO nicht als Grundlage für einen Ersatzanspruch dienen können (LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.11.2023 – 3 Sa 285/23 –, Rn. 31, juris; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2021 – 16 O 128/20; aA OLG Köln NJW-RR 2023, 564 Rn. 14, beck-online).

4. Ob die Auskunft verspätet war und eine solche Verspätung einen Schadensersatzanspruch begründen kann, kann hier aber offen bleiben. Denn es fehlt an der schlüssigen Darlegung eines (immateriellen) Schadens, den der Kläger gerade durch die verspätete Auskunft erlitten habe.

Der Begriff des immateriellen Schadens ist autonom unionsrechtlich zu definieren. Der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung reicht nach der Rechtsprechung des EuGH nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen (vgl. EuGH, Urt. v. 20.06.2024 – C-590/22 –, Rn. 24, juris). Allerdings muss ein Schaden nicht einen bestimmten Grad an Schwere oder Erheblichkeit erreichen (vgl. EuGH, Urt. v. 20.06.2024 – C-590/22 –, Rn. 26, juris). Schon der – selbst kurzzeitige – Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten kann einen immateriellen Schaden darstellen, ohne dass dieser Begriff des "immateriellen Schadens" den Nachweis zusätzlicher spürbarer negativer Folgen erfordert (EuGH, Urt. v. 04.10.2024 – C-200/23 –, Rn. 145, 156 i.V.m. 137, juris). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt der bloße Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO dar (BGH, Urt. v. 18.11.2024, VI ZR 10/24, Rn. 27-45).

Der Kläger hat vorgetragen, dass ihm durch die versagte Auskunft ein immaterieller Schaden entstanden sei, da er sich im Ungewissen darüber befinde, welche und wie konkret seine personenbezogenen Daten von der Beklagten verarbeitet wurden und werden. Der hiermit verbundene, sich noch weiter vertiefende Kontrollverlust des Klägers im Hinblick auf den Umgang mit seinen persönlichen Daten sowie die konkrete Gefahr einer Rufschädigung und der Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens sei für den Kläger unzumutbar, spürbar unangenehm und emotional stark belastend. Nachdem die Beklagte mit der Klageerwiderung weitergehende Auskunft erteilt hat, hat der Kläger vorgetragen, ihm sei durch die monatelang versagte Auskunft ein konkreter immaterieller Schaden entstanden, da er sich stets im Ungewissen darüber befunden habe, welche und wie konkret seine personenbezogenen Daten von der Beklagten verarbeitet wurden und werden. Der hiermit verbundene Kontrollverlust des Klägers im Hinblick auf den Umgang mit seinen persönlichen Daten sowie die konkrete Gefahr einer Rufschädigung und der Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens sei für den Kläger unzumutbar, enorm unangenehm und emotional stark belastend.

Dem Vortrag ist nicht zu entnehmen, inwiefern der Kläger allein durch den Umstand, dass die Auskunft verspätet erteilt worden sei, einen immateriellen Schaden erlitten habe. Dies gilt umso mehr, als ein ganz maßgeblicher Bestandteil der Auskunft – nämlich zur Herkunft der Daten – bereits am Tag des Auskunftsbegehrens beantwortet und dem Kläger mit E-Mail vom 05.05.2024 mitgeteilt wurde, dass die Entscheidung in dieser Form aus der amtlichen Entscheidungsdatenbank des Landes Berlin übernommen wurde. Auch war für den Kläger erkennbar, welche personenbezogene Daten die Beklagte veröffentlicht hatte und an wen sie sich mit dieser Veröffentlichung wandte, nämlich an die gesamte Internetöffentlichkeit. Insofern liegt in der bloß zeitlich verzögerten vollständigen Auskunftserteilung auch kein weitergehender Kontrollverlust als der, der bereits durch die nicht hinreichend anonymisierte Veröffentlichung der Entscheidung eingetreten war.

Der Fall liegt auch ganz maßgeblich anders als die vom Kläger angeführte Entscheidung des OLG Köln, worin eine Entschädigung in Höhe von 500 € wegen einer verspäteten Auskunftserteilung zugesprochen wurden. Im dortigen Fall hat die Klägerin von einem Rechtsanwalt die Herausgabe der Handakten zu ihrem Mandat verlangt. Die dortige Klägerin war für eine nicht unerhebliche Dauer vom Rechtsanwalt über das weitere Schicksal des Mandates im Unklaren gelassen worden und war über Monate nicht in der Lage, auf die Handakte zuzugreifen, Kenntnis über den Inhalt der dort gespeicherten Daten zu erlangen und das sie betreffende Verfahren mit dem neuen Prozessbevollmächtigten voran zu treiben (OLG Köln, Urt. v. 14.07.2022 – I-15 U 137/21 –, Rn. 26, juris).

IV. Es besteht auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsverfolgungskosten aus § 823 Abs. 1 BGB. Soweit der Kläger die Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigen mit Schreiben vom 05.05.2023 zur Unterlassung, zur Auskunft sowie zur Zahlung eines Schadensersatzes auffordern ließ, bestehen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nicht, so dass insoweit auch kein Anspruch auf Ersatz von Rechtsverfolgungskosten vorliegen kann. Hinsichtlich der Aufforderung zur Auskunft bestand zum Zeitpunkt des anwaltlichen Tätigwerdens mangels einer vorherigen Aufforderung kein Verzug der Beklagten mit der Auskunft, der für eine Erstattungsfähigkeit – auch in Ermangelung einer vertraglichen Verbindung zwischen den Parteien – aber erforderlich ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BAG: 200 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wenn Arbeitgeber datenschutzwidrig personenbezogene Echtdaten an eine Konzerngesellschaft für die Personalverwaltung überträgt

BAG
Urteil vom 08.05.2025
8 AZR 209/21

Das BAG hat entschieden, dass dem Betroffenen im vorliegenden Fall 200 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO zusteht, da der Arbeitgeber datenschutzwidrig personenbezogene Echtdaten an eine Konzerngesellschaft für die Personalverwaltung übertragen hatte. Insbesondere war die Datenweitergabe nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit.. f DSGVO nicht zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Schadenersatz nach Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) - Betriebsvereinbarung - Workday

Ein Arbeitnehmer kann einen Anspruch auf Schadenersatz wegen einer Verletzung der Datenschutz-Grundverordnung haben, wenn der Arbeitgeber personenbezogene Echtdaten innerhalb des Konzerns an eine andere Gesellschaft überträgt, um die cloudbasierte Software für Personalverwaltung „Workday“ zu testen.

Die Beklagte verarbeitete personenbezogene Daten ihrer Beschäftigten ua. zu Abrechnungszwecken mit einer Personalverwaltungs-Software. Im Jahr 2017 gab es Planungen, konzernweit Workday als einheitliches Personal-Informationsmanagementsystem einzuführen. Die Beklagte übertrug personenbezogene Daten des Klägers aus der bisher genutzten Software an die Konzernobergesellschaft, um damit Workday zu Testzwecken zu befüllen. Der vorläufige Testbetrieb von Workday war in einer Betriebsvereinbarung geregelt. Danach sollte es der Beklagten erlaubt sein, ua. den Namen, das Eintrittsdatum, den Arbeitsort, die Firma sowie die geschäftliche Telefonnummer und E-Mail-Adresse zu übermitteln. Die Beklagte übermittelte darüber hinaus weitere Daten des Klägers wie Gehaltsinformationen, die private Wohnanschrift, das Geburtsdatum, den Familienstand, die Sozialversicherungsnummer und die Steuer-ID.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO ein immaterieller Schadenersatz wegen einer Verletzung der ab dem 25. Mai 2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung iHv. 3.000,00 Euro zu. Die Beklagte habe die Grenzen der Betriebsvereinbarung überschritten.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit Beschluss vom 22. September 2022 (- 8 AZR 209/21 (A) – BAGE 179, 120) hatte der Senat das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Beantwortung von Rechtsfragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts ersucht. Der EuGH hat diese mit Urteil vom 19. Dezember 2024 (- C-65/23 – [K GmbH]) beantwortet.

Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts teilweise Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadenersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO iHv. 200,00 Euro. Soweit die Beklagte andere als die nach der Betriebsvereinbarung erlaubten personenbezogenen Daten an die Konzernobergesellschaft übertragen hat, war dies nicht erforderlich iSv. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO und verstieß damit gegen die Datenschutz-Grundverordnung. Der immaterielle Schaden des Klägers liegt in dem durch die Überlassung der personenbezogenen Daten an die Konzernobergesellschaft verursachten Kontrollverlust. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt, dass er sich nicht weiter darauf beruft, auch die Übertragung der von der Betriebsvereinbarung erfassten Daten sei nicht erforderlich gewesen. Der Senat hatte daher nicht zu prüfen, ob die Betriebsvereinbarung so ausgestaltet war, dass die Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung erfüllt wurden.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Mai 2025 – 8 AZR 209/21
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Februar 2021 – 17 Sa 37/20

Hinweise:

Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO lautet:

Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:



f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

Art. 82 Abs. 1 DSGVO lautet:

(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.


BGH: Mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren gemäß § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten wenn erstinstanzlich nach Richterwechsel nicht erneut mündlich verhandelt wurde

BGH
Beschluss vom 16.04.2025
VII ZR 126/23
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 309, § 522 Abs. 2 Nr. 4


Der BGH hat entschieden, dass im Berufungsverfahren gemäß § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO eine mündliche Verhandlung geboten ist, wenn erstinstanzlich nach einem Richterwechsel entgegen § 309 ZPO nicht erneut mündlich verhandelt wurde.

Leitsatz:
In Fällen, in denen das mit der Berufung angefochtene Urteil durch einen Richter gefällt worden ist, der entgegen § 309 ZPO der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht beigewohnt hat, ist eine mündliche Verhandlung im Sinne von § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten.

BGH, Beschluss vom 16. April 2025 - VII ZR 126/23 - OLG München - LG Augsburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Frankenthal: Handwerker hat bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und unterbliebener Widerrufsbelehrung keinen Anspruch auf seine Vergütung

LG Frankenthal
Urteil vom 15.04.2025
8 O 214/24


Das LG Frankenthal hat entschieden, dass ein Handwerker bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und unterbliebener Widerrufsbelehrung keinen Anspruch auf seine Vergütung hat.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Fehlende Widerrufsbelehrung kostet Gartenbauer den gesamten Lohn

Die 8. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal hatte kürzlich über einen Fall zu entscheiden, der in manchem Handwerksbetrieb für Aufsehen sorgen dürfte. Einem Handwerker, der einen Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht belehrt, steht im Fall des Widerrufs auch nach vollständig erbrachter Arbeit kein Geld zu. Die für Bausachen zuständige Kammer hat deshalb die Klage eines Gartenbauers auf Zahlung des kompletten Werklohns abgewiesen.

Im April 2024 bestellte der Besitzer eines im Landkreis Bad Dürkheim gelegenen großen Gartens den Gartenbauer auf sein Grundstück. Vor Ort gab der Gartenbesitzer umfangreiche Arbeiten an dem völlig verwilderten Gelände in Auftrag. Nach Abschluss der Arbeiten stellte der Gartenbauer seine Rechnung in Höhe von knapp 19.000 Euro. Es kam aber zum Streit über den vereinbarten Stundensatz sowie die Frage, ob die erstellte Rechnung prüffähig sei. Der Gartenbesitzer verweigerte schließlich die Zahlung und widerrief den Vertrag im September 2024.

Die Kammer gab dem Gartenbesitzer vollumfänglich recht. Da er als Verbraucher anzusehen sei und sämtliche Arbeiten außerhalb von Geschäftsräumen in Auftrag gegeben wurden, stehe ihm ein gesetzliches Widerrufsrecht zu. Die grundsätzlich mit Vertragsschluss beginnende vierzehntägige Widerrufsfrist habe nicht zu laufen begonnen, weil der Gartenbauer den Verbraucher nicht darüber belehrt habe. Es gelte in diesem Fall eine Höchstfrist von einem Jahr und vierzehn Tagen für den Widerruf, die vorliegend eingehalten worden sei. Der Anspruch des Werkunternehmers auf Werklohn sei dadurch vollständig entfallen. Wegen der unterlassenen Belehrung könne er auch keinen Wertersatz oder einen sonstigen Ausgleich für seine Arbeit verlangen. Denn das europäische Verbraucherschutzrecht verlange bei einer unterlassenen Widerrufsbelehrung eine Sanktion von Unternehmern, um sie zur ordnungsgemäßen Belehrung anzuhalten, so die Kammer unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 17. Mai 2023, Az. C-91/22).

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Es ist Berufung zum Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken möglich.

Landgericht Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 15.04.2025, Az. 8 O 214/24


BVerwG: Nicht essbare Wursthüllen und Verschlussclips gehören nicht zur Füllmenge fertigverpackter Wurstwaren und dürfen nicht miteinberechnet werden

BVerwG
Urteil vom 06. Mai 2025
8 C 4.24


Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass nicht essbare Wursthüllen und Verschlussclips nicht zur Füllmenge fertigverpackter Wurstwaren gehören und daher nicht miteinberechnet werden dürfen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Nicht verzehrbare Wursthüllen und Wurstclips müssen austariert werden

Das Gewicht nicht verzehrbarer Wursthüllen und Wurstclips darf bei der Bestimmung der Füllmenge von vorverpackten Lebensmitteln nicht berücksichtigt werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Die Klägerin stellt Fertigpackungen mit Würsten zur Abgabe an Endverbraucher her. Die Würste sind mit nicht essbaren Wursthüllen und Wurstclips umschlossen. Nach der Produktion werden sie auf eine Plastikschale gelegt und in Plastikfolie eingeschweißt. Bei zwei Kontrollen im Jahr 2019 beanstandete das Eichamt des Beklagten, dass die Klägerin das Gewicht nicht essbarer Wursthüllen und Wurstclips zur Füllmenge der von ihr hergestellten Fertigpackungen rechne. Die Klägerin berief sich auf die bisherige Praxis. Daraufhin untersagte der Beklagte ihr, Wurstfertigpackungen in den Verkehr zu bringen, bei denen nicht verzehrbare Wursthüllen und Wurstclips nicht austariert wurden.

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Klägerin stattgegeben und die Verbotsverfügung aufgehoben. Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Er durfte der Klägerin das Inverkehrbringen der Wurstfertigpackungen untersagen, weil diese nicht den gesetzlichen Anforderungen genügten. Sie ergeben sich aus dem Mess- und Eichgesetz in Verbindung mit speziellen Vorschriften der Fertigpackungsverordnung, die für vorverpackte Lebensmittel auf die europäische Lebensmittelinformationsverordnung verweisen. Danach ist auf vorverpackten Lebensmitteln die Nettofüllmenge des Lebensmittels anzugeben. Bei Fertigpackungen mit gleicher Mengenangabe muss die Nettofüllmenge der enthaltenen Lebensmittel im Durchschnitt dieser Angabe entsprechen. Entgegen dem Berufungsurteil ergibt sich aus der Fertigpackungsrichtlinie keine Ausnahme. Die späteren Spezialregelungen gehen ihr vor. Zur Nettofüllmenge des Lebensmittels zählt bei den beanstandeten Wurstfertigpackungen nur das Wurstbrät. Nicht verzehrbare Wursthüllen und Wurstclips gehören zur Verpackung. Ihr Gewicht darf deshalb bei der Bestimmung der Füllmenge nicht berücksichtigt werden. Die gegenteilige Praxis der Klägerin führte zu einer Unterschreitung der erforderlichen Füllmenge.

Vorinstanzen:

VG Münster, VG 9 K 2549/19 - Urteil vom 28. März 2023 -

OVG Münster, OVG 4 A 779/23 - Urteil vom 23. Mai 2024 -


BVerwG: Betroffener Mitbewerber hat nach § 56 Abs. 5 GWB Anspruch auf Einsicht in die nichtöffentliche Fassung eines Beschlusses des Bundeskartellamtes zu Entgelten für electronic cash-Zahlungen

BVerwG
Urteil vom 30. 04.2025
10 C 2.24


Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass ein betroffener Mitbewerber (hier: Tankstellenbetreiber) nach § 56 Abs. 5 GWB Anspruch auf Einsicht in die nichtöffentliche Fassung eines Beschlusses des Bundeskartellamtes zu Entgelten für electronic cash-Zahlungen hat.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Einsicht in Unterlagen des Bundeskartellamts zu Entgelten für electronic cash-Zahlungen

Das Bundeskartellamt ist verpflichtet, der Klägerin Einsicht in die nichtöffentliche Fassung eines kartellrechtlichen Beschlusses zu gewähren. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Die Klägerin betreibt bundesweit Tankstellen, an denen ihre Kunden mit der Girocard bargeldlos bezahlen können. Für die Autorisierung dieser Zahlungen erheben die kartenausgebenden Banken ein Entgelt. Dessen Höhe wurde bis 2014 durch eine Preisvereinbarung mehrerer Beigeladener festgelegt. Wegen dieser Absprache leitete das Bundeskartellamt ein Kartellverfahren gegen diese Beigeladenen ein. Das Verfahren endete mit ihren Verpflichtungserklärungen, die Entgelte für electronic cash-Zahlungen künftig individuell auszuhandeln. Die Verpflichtungserklärungen erklärte das Bundeskartellamt mit dem verfahrensgegenständlichen Beschluss vom 8. April 2014 für verbindlich.

Die Klägerin beantragte ohne Erfolg beim Bundeskartellamt, ihr vollständige Einsicht in den Beschluss des Bundeskartellamts sowie verschiedene Dokumente aus den ihm zugrundeliegenden und weiteren Kartellverwaltungsverfahren zu gewähren, und erhob beim Verwaltungsgericht Klage. Außerdem macht die Klägerin in einem zivilgerichtlichen Verfahren Schadensersatzansprüche gegen mehrere Beigeladene geltend, weil sie aufgrund kartellrechtswidriger Preisabsprachen überhöhte Entgelte für die Zahlungen mit der Girocard habe entrichten müssen. Das Landgericht wies diese Klage ab. Die Berufung ist beim Kammergericht anhängig. Das Verwaltungsgericht hat der Klage auf Informationszugang nach Maßgabe des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) überwiegend stattgegeben. Unter Abänderung dieses Urteils hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, der Klägerin gemäß dem zwischenzeitlich geänderten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) unter teilweiser Auslassung von Angaben und unter Schwärzung von personenbezogenen Daten Einsicht in die sonst ungeschwärzte nichtöffentliche Fassung des Beschlusses des Bundeskartellamts zu gewähren; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen zu 3. gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen. Als Rechtsmittelgericht war dem Senat die Prüfung des von dem Beigeladenen zu 3. bestrittenen verwaltungsgerichtlichen Rechtswegs verwehrt. Ein Anspruch der Klägerin auf Informationszugang folgt aus § 56 Abs. 5 GWB als vorrangiger Regelung zum IFG. Diese während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene bereichsspezifische Regelung zum Informationszugang, die die Einsicht bei Vorliegen eines berechtigten Interesses in das Ermessen des Bundeskartellamts stellt, verstößt weder gegen Vorschriften der Europäischen Union noch gegen nationales Verfassungsrecht. Der Anspruch nach § 56 Abs. 5 GWB besteht neben Offenlegungsansprüchen, die im Rahmen gerichtlicher Verfahren zur Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen vorgesehen sind. Für die Beurteilung des Anspruchs ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz maßgeblich. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse für die Einsicht in den Beschluss des Bundeskartellamts dargelegt. Sie möchte den Bescheid für das von ihr betriebene zivilrechtliche Schadensersatzverfahren nutzen. Die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, ein Grund für die Versagung der Einsicht in den Beschluss bestehe nur hinsichtlich der Angaben zu Sicherheitsvorkehrungen während der electronic cash-Transaktion, sind nicht zu beanstanden. Auch die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, nur die Gewährung der Einsicht im Übrigen erweise sich als eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, begegnet keinen bundesrechtlichen Bedenken. Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht den geltend gemachten Anspruch auf Einsicht in verschiedene weitere Dokumente aus Kartellverwaltungsverfahren ohne Verstoß gegen revisibles Recht verneint. Soll die Akteneinsicht der Erhebung eines Schadensersatzanspruchs wegen eines kartellrechtlichen Verstoßes dienen, begrenzt § 56 Abs. 5 Satz 3 GWB die Einsicht auf bestimmte Entscheidungen des Bundeskartellamts, hier den Beschluss vom 8. April 2014.

BVerwG 10 C 2.24 - Urteil vom 30. April 2025

Vorinstanzen:

VG Köln, VG 13 K 10050/17 - Urteil vom 09. Juli 2020 -

OVG Münster, OVG 15 A 2286/20 - Urteil vom 08. Januar 2024 -