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Generalanwalt EuGH: Bußgeld gegen Intel von über 1 Mrd Euro wegen Missbrauchs marktbeherrschender Stellung muss neu verhandelt werden

Der Generalanwalt beim EUGH hat in der Rechtssache C-413/14 P Intel Corporation Inc. / Kommission in seinem Schlussantrag ausgeführt, dass das Bußgeld gegen Intel von über 1 Mrd Euro wegen Missbrauchs marktbeherrschenden Stellung neu verhandelt werden muss.

Die Pressemitteilung des EuGH:

"Generalanwalt Wahl hält das Rechtsmittel von Intel gegen die Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von 1,06 Mrd. € wegen Missbrauchs ihrer marktbeherrschenden Stellung für begründet

Die Rechtssache sollte zur erneuten Prüfung an das Gericht zurückverwiesen werden

Mit Entscheidung vom 13. Mai 2009 verhängte die Kommission gegen den amerikanischen Mikroprozessorhersteller Intel eine Geldbuße in Höhe von 1,06 Mrd. €, weil dieses Unternehmen seine beherrschende Stellung auf dem Markt für x862
-Prozessoren unter Verletzung der Wettbewerbsregeln der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) missbräuchlich ausgenutzt habe. Die Kommission gab Intel zudem auf, die Zuwiderhandlung, falls nicht bereits geschehen, sofort abzustellen. Nach Ansicht der Kommission nutzte Intel ihre beherrschende Stellung auf dem Weltmarkt für x86- Prozessoren von Oktober 2002 bis Dezember 2007 missbräuchlich aus, indem das Unternehmen eine Strategie zum Marktausschluss des einzigen ernsthaften Wettbewerbers, der Advanced Micro Devices, Inc. (AMD), umgesetzt habe.

Intel habe eine beherrschende Stellung innegehabt, weil ihr Marktanteil ungefähr 70 % oder mehr betragen habe und es für die Wettbewerber wegen der Nichtamortisierbarkeit der Investitionen in Forschung und Entwicklung, gewerblichen Rechtsschutz und Produktionsanlagen äußerst schwierig gewesen sei, in den Markt einzutreten und sich dort zu behaupten. Die missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung sei durch mehrere Maßnahmen
gekennzeichnet gewesen, die Intel gegenüber ihren Kunden (Computerherstellern) und dem europäischen Einzelhandelsunternehmen für Mikroelektronikgeräte Media-Saturn-Holding getroffen habe.

Intel habe vier führenden Computerherstellern (Dell, Lenovo, HP und NEC) Rabatte gewährt, die an die Bedingung geknüpft gewesen seien, dass sie alle oder nahezu alle x86-Prozessoren bei Intel kauften. Ebenso habe Intel Zahlungen an Media-Saturn geleistet, die an die Bedingung geknüpft gewesen seien, dass Media-Saturn nur Computer mit x86-Prozessoren von Intel verkaufe. Diese Rabatte und Zahlungen hätten die Treue dieser vier Hersteller und von MediaSaturn sichergestellt und dadurch die Fähigkeit der Wettbewerber von Intel, einen auf den Vorzügen ihrer x86-Prozessoren basierenden Wettbewerb zu führen, erheblich verringert. Das wettbewerbswidrige Verhalten von Intel habe mithin dazu beigetragen, die Wahlmöglichkeit der Verbraucher und die Anreize für Innovationen zu mindern.

Die Kommission setzte die gegen Intel verhängte Geldbuße anhand der Leitlinien von 2006 auf 1,06 Mrd. € fest. Intel erhob beim Gericht Klage, mit der sie die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission, zumindest aber eine erhebliche Herabsetzung der Geldbuße begehrte.

Am 12. Juni 20147 wies das Gericht die Klage von Intel in vollem Umfang ab. Intel hat ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichts eingelegt, da es Rechtsfehler begangen habe (i) bei der rechtlichen Einordnung von Rabatten als „Ausschließlichkeitsrabatte“, (ii) bei der Feststellung, dass in den Jahren 2006 und 2007 eine Zuwiderhandlung vorgelegen habe, und der Beurteilung der Relevanz der Markterfassung, (iii) bei der Einstufung bestimmter Rabattabsprachen, die eine Minderheit der von den Kunden getätigten Einkäufe betroffen hätten, als „Ausschließlichkeitsrabatte“, (iv) bei der Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf das Fehlen einer Pflicht der Kommission zur Aufzeichnung der Befragung eines Mitglieds der Geschäftsleitung von Dell, (v) bezüglich der Zuständigkeit der Kommission für die Absprachen von Intel mit Lenovo in China und (vi) bei der Höhe der Geldbuße und der rückwirkenden Anwendung der Leitlinien von 2006 zur Festsetzung von Geldbußen.

Zum ersten Rechtsmittelgrund führt Generalanwalt Nils Wahl in seinen heutigen Schlussanträgen aus, das Gericht habe festgestellt, dass die Dell, HP, NEC und Lenovo gewährten Rabatte „Ausschließlichkeitsrabatte“ seien, und habe es aufgrund dieser Einstufung nicht für erforderlich gehalten, zu prüfen, ob ein solcher Rabatt geeignet sei, den Wettbewerb zu beschränken. Der Generalanwalt verweist auf den der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entnehmenden Grundsatz bezüglich der Missbrauchsvermutung bei Treuerabattregelungen, weist aber darauf hin, dass der Gerichtshof in der Praxis stets „sämtliche Umstände“ bei der Prüfung berücksichtigt habe, ob das gerügte Verhalten eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung darstelle. Durch die Beurteilung des Kontexts des gerügten Verhaltens solle ermittelt werden, ob rechtlich hinreichend nachgewiesen worden sei, dass ein Unternehmen seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt habe. Andernfalls könnte ein Verhalten, das gar nicht geeignet sei, den Wettbewerb zu beschränken, von einem Pauschalverbot erfasst werden. Bei einem solchen Pauschalverbot bestünde außerdem die Gefahr, dass auch wettbewerbsförderndes Verhalten erfasst und mit Sanktionen belegt werde.

Der Generalanwalt kommt daher zu dem Ergebnis, dass das Gericht zu Unrecht befunden habe, dass Ausschließlichkeitsrabatte“ eine besondere und eigenständige Kategorie von Rabatten darstellten, bei denen für die Entscheidung, ob eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung vorliege, die Beurteilung sämtlicher Umstände nicht erforderlich sei.

Der Generalanwalt stellt ferner fest, dass dem Gericht bei seiner ergänzenden Beurteilung der Eignung ein Rechtsfehler unterlaufen sei, weil es auf der Grundlage sämtlicher Umstände nicht erkannt habe, dass die von der Rechtsmittelführerin gewährten Rabatte und Zahlungen aller Wahrscheinlichkeit nach eine wettbewerbswidrige Verdrängungswirkung gehabt hätten.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund weist der Generalanwalt darauf hin, dass das Gericht eine Gesamtwürdigung des von 2002 bis 2007 im Durchschnitt abgeschotteten Teils des Marktes für ausreichend gehalten habe. Infolgedessen habe das Gericht es für unerheblich erachtet, das die Markterfassung in den Jahren 2006 und 2007 erheblich geringer gewesen sei.

Mit dieser Vorgehensweise habe das Gericht das Kriterium der „hinreichenden Markterfassung“ aufgegeben und sei daher nicht zu der Feststellung gelangt, dass das fragliche Verhalten geeignet gewesen sei, den Wettbewerb in den Jahren 2006 und 2007 zu beschränken. Hätte es dies nicht versäumt, hätte es zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass ein so geringer gebundener Marktanteil nicht den Schluss auf eine Wettbewerbsbeschränkung zulasse; diesem Mangel lasse sich nicht durch Heranziehung des Begriffs der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung abhelfen. Jede Handlung müsse selbst bereits eine Zuwiderhandlung sein. Damit greife auch der zweite Rechtsmittelgrund durch.

In Bezug auf den dritten Rechtsmittelgrund wiederholt der Generalanwalt, dass es keine eigenständige Kategorie von „Ausschließlichkeitsrabatten“ gebe. Sollte der Gerichtshof dieser Auslegung jedoch nicht folgen, sei diesem Rechtsmittelgrund deshalb stattzugeben, weil „Ausschließlichkeitsrabatte“ an die Bedingung anknüpften, dass der Abnehmer seinen
Bedarf „vollständig oder zu einem beträchtlichen Teil“ bei dem Unternehmen in beherrschender Stellung decke. Diese Bedingung sei unter den vorliegenden Umständen nicht erfüllt, denn HP und Lenovo seien noch in der Lage gewesen, signifikante Mengen von x86- Prozessoren bei AMD zu kaufen.

Zum vierten Rechtsmittelgrund weist der Generalanwalt darauf hin, dass die Kommission nach den Rechtsvorschriften der Union verpflichtet sei, Befragungen aufzuzeichnen, um sicherzustellen, dass Unternehmen, die eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union verdächtigt würden, ihre Verteidigung vorbereiten könnten, und dass die Unionsgerichte kontrollieren könnten, ob die Kommission ihre Ermittlungsbefugnisse innerhalb der rechtlichen Grenzen ausgeübt habe.
Folglich habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen, als es entschieden habe, dass die Kommission dadurch, dass sie ein Treffen nicht im Einklang mit den geltenden Vorschriften durchgeführt und aufgezeichnet habe, nicht gegen das Unionsrecht verstoßen habe. Ein solcher Verfahrensfehler könne nämlich nicht durch den von der Kommission später zur Verfügung gestellten Aktenvermerk geheilt werden, da dieser Vermerk nicht den Inhalt der Befragung des Mitglieds der Geschäftsleitung von Dell durch die Kommission wiedergebe. Daher sei auch dem vierten Rechtsmittelgrund stattzugeben.

Was den fünften Rechtsmittelgrund und die Frage anbelangt, ob die Kommission völkerrechtlich zuständig war, ein Verfahren gegen Intel wegen dessen wettbewerbswidrigen Verhaltens einzuleiten, ist der Generalanwalt nicht davon überzeugt, dass davon ausgegangen werden kann, dass das Intel zur Last gelegte missbräuchliche Verhalten im EWR durchgeführt wurde. Das
Gericht habe nicht geprüft, ob die wettbewerbswidrigen Wirkungen bestimmter Absprachen zwischen Intel und Lenovo geeignet gewesen seien, im EWR unmittelbare, wesentliche und vorhersehbare wettbewerbswidrige Wirkungen hervorzurufen. Daher habe es das Kriterium der Durchführung und das Kriterium der „qualifizierten“ Auswirkungen zu Unrecht herangezogen,
um das Vorbringen von Intel zur fehlenden Zuständigkeit der Kommission zurückzuweisen.

Schließlich begründe der Umstand, dass die festgesetzte Geldbuße seinerzeit Rekordhöhe gehabt habe, für sich allein noch nicht ihre Unverhältnismäßigkeit, und Intel habe dem Gericht keinen Rechtsfehler vorgeworfen, der es dem Gerichtshof ermöglichen würde, die Verhältnismäßigkeit der Geldbuße zu beurteilen.

Hinsichtlich der rückwirkenden Anwendung der Leitlinien der Kommission von 2006 zur Festsetzung von Geldbußen auf ein Verhalten, das zum Teil zeitlich vor ihrem Erlass stattgefunden hatte, ist der Generalanwalt der Ansicht, dass die Grenzen, die dem Ermessen der Kommission bei der Festsetzung einer Geldbuße wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union gesetzt seien, durch das Unionsrecht und nicht durch die Leitlinien zur Festsetzung von
Geldbußen festgelegt würden. Sofern sich die verhängte Geldbuße in den Grenzen des Unionsrechts halte, könne sich Intel nicht mit Erfolg auf das Rückwirkungsverbot berufen, um die verhängte Geldbuße anzufechten.

Da die Rechtsmittelgründe 1 bis 5 durchgreifen, kommt der Generalanwalt zu dem Ergebnis, dass das Urteil des Gerichts aufzuheben sei. Seines Erachtens sollte die Rechtssache jedoch an das Gericht zurückverwiesen werden, damit es sämtliche Umstände des Einzelfalls und gegebenenfalls die tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen des Verhaltens von Intel auf den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts prüft. Das impliziere eine Beurteilung des Sachverhalts, zu der das Gericht besser in der Lage sei.




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