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LG Bochum: Abmahnfähiger Wettbewerbsverstoß wenn Online-Händler alkoholische Getränke Jugendlichen unter Verstoß gegen § 9 Abs. 1 JSchG ohne Altersverifikation anbietet oder verkauft

LG Bochum
Urteil vom 23.01.2019
13 O 1/19


Das LG Bochum hat entschieden, dass ein abmahnfähiger Wettbewerbsverstoß vorliegt, wenn Online-Händler alkoholische Getränke unter Verstoß gegen § 9 Abs. 1 JuSchG ohne Altersverifikation anbietet oder verkauft.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Verfügungsklägerin kann von den Verfügungsbeklagten Unterlassung des beanstanden Verhaltens verlangen. Der Unterlassungsanspruch ist aus §§ 8 Abs. 1, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Jugendschutzgesetz begründet. Die Verfügungsklägerin und die Verfügungsbeklagte zu 1.) sind Mitbewerber im Sinne des § 2 Nr. 3 UWG. Denn beide Parteien suchen gleichartige Waren –alkoholische Getränke- innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen. Dem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht hierbei nach Auffassung der Kammer nicht entgegen, dass die Verfügungsklägerin im Zeitpunkt der Abmahnung vom 24.12.2018 in ihrem Onlineshop die ausdrückliche Bewerbung von alkoholischen Getränken unter der Rubrik „I“ eingestellt und bis zur mündlichen Verhandlung nicht wieder aufgenommen wird. Unstreitig hatte die Verfügungsklägerin seit Oktober 2018 bis zur 51. Kalenderwoche 2018 alkoholische Getränke unter dieser Rubrik angeboten. Die Gesamtumstände sprechen nicht dafür, dass die Verfügungsklägerin den Absatz alkoholischer Getränke vollständig aufgegeben hat. Vielmehr können Verbraucher zurzeit Jack Daniels bei der Verfügungsklägerin erwerben, auch wenn dieses Produkt nicht ausdrücklich beworben wird, sondern nur über die Suchfunktion auffindbar ist. Die Verfügungsklägerin hat glaubhaft gemacht, dass sie in der Zeit von Oktober bis zum 19./20.122018 mit alkoholischen Getränken einen erheblichen Umsatz gemacht hat und dass sie –wie sich aus der eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers der Verfügungsklägerin vom 22.01.2019 ergibt, über einen erheblichen Warenbestand, nämlich 669 Flaschen K, 348 Flaschen K1, 414 Falschen T und 221 Flaschen D verfügt. Der Geschäftsführer der Verfügungsklägerin hat im Termin vom 23.01.2019 glaubhaft versichert, dass die Verfügungsklägerin in diesen zwei Monaten einen Umsatz von 2 Millionen Euro mit alkoholischen Getränken erzielt habe und dass es aufgrund des starken Andrangs zu Verzögerungen in der Belieferung der Endkunden, zu Einbehalten von Zahlungen durch Zahlungsanbieter und in der Folge zu Liquiditätsengpässen gekommen ist. Er hat ferner eidesstattlich versichert und dadurch glaubhaft gemacht, dass die Verfügungsklägerin derzeit dabei ist, die notwendige Liquidität wieder herzustellen und vorhat, ab Mitte Februar 2019 alkoholische Getränke wieder zu bewerben. Bei dieser Sachlage und angesichts der im Raum stehenden Umsatzzahlen führt die zeitliche Unterbrechung der aktiven Werbung für alkoholische Getränke in der Zeit vom 19/20.12.2018 bis jetzt nicht dazu, dass von einer endgültigen Einstellung des Betriebs von alkoholischen Getränken auszugehen sein könnte. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine Pause in der aktiven Bewerbung, die ein konkretes Wettbewerbsverhältnis nicht ausschließt.

Die Verfügungsbeklagte zu 1.) verstößt durch die Abgabe von alkoholischen Getränken ohne Durchführung der Überprüfung des Alters der Endkunden gegen § 9 Abs. 1 Jugendschutzgesetz. § 9 Abs. 1 Jugendschutzgesetz verbietet die Abgabe von Bier, Wein, weinähnlichen Getränken oder Schaumwein an Kinder oder Jugendliche unter 16 Jahren und die Abgabe anderer alkoholischer Getränke an Kinder und Jugendliche, also an Personen unter 18 Jahren in der Öffentlichkeit. Unter dem Begriff „Öffentlichkeit“ fällt auch eine Abgabe im Fernabsatz (vgl. Härting, Internetrecht, 6. Aufl., 2017, Wettbewerbsrecht Rdnr. 1891; Liesching, Jugendschutzgesetz, 1. Onlineauflage 2018, § 10 Rdnr. 5; Erbs/Kohlhaas, strafrechtliche Nebengesetze, 221. EL August 2018, § 9 Jugendschutzgesetz, Rdnr. 2; Kosmides/Schneider, Handbuch EDV-Recht, 5. Aufl. 2017 B.E-Business:–E-Commerce-E-Werbung, Providerhaftung, Rdnr. 892). Entscheidend für das Vorliegen einer „Abgabe“ im Sinne des § 9 Abs. 1 Jugendschutzgesetz ist, dass der Minderjährige die tatsächliche Gewalt über die Substanz erhält, zum Beispiel durch Versand nach Bestellung im Internet (vgl. Liesching, Jugendschutzgesetz, 1. Onlineauflage 2018, Rdnr. 5). Das Merkmal „in der Öffentlichkeit“ ist erfüllt, wenn die Ware für eine Mehrzahl von Personen, die nicht durch persönliche Beziehungen untereinander oder mit den Anbietern verbunden sind, zugänglich ist (vgl. Vollzugshinweise zum Jugendschutzgesetz „Anlage 1: Rechtsauffassung und Praxishinweise der Obersten Landesjugendbehörden zum (Online)-Versandhandel gemäß dem Jugendschutzgesetz Ziff. 6.1.) Beim Internet handelt es sich um einen virtuellen „öffentlichen Raum“, der einer Mehrzahl von Personen zugänglich ist (vgl. Liesching, Anmerkung zum Beschluss des LG Koblenz vom 13.08.2007, MMR 2007, 726).

Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung der Kammer auch nicht etwa daraus, dass der Gesetzgeber im Jugendschutzgesetz den Onlinehandel mit Alkohol nicht ausdrücklich geregelt hat, während er das ausdrückliche Verbot des Vertriebs von jugendgefährdenden Trägermedien im Versandhandel in § 15 Nr. 5, § 12 Abs. 3 Nr. 3 Jugendschutzgesetz und seit der Änderung durch Gesetz vom 10.03.2017 für Tabakwaren und andere nikotinhaltige Erzeugnisse in § 10 Abs. 3 Jugendschutzgesetz ausdrücklich geregelt hat. Der abweichenden Auffassung der Verfügungsbeklagten und der vom Landgericht Koblenz im Beschluss vom 13.08.2007 -4 HKO 120/07- vertretenen Auffassung, wonach der Onlinehandel mit alkoholischen Getränken ohne Durchführung einer Alterskontrolle für Kinder und Jugendliche durchgeführt könne, vermag das Gericht nicht zu folgen. Denn § 9 Abs. 1 JugendSchG –das Verbot der Abgabe von alkoholischen Getränken an Jugendliche unter 18 bzw. 16 Jahren- greift nach seinem Wortlaut auch für den Internethandel mit Alkohol ein. Dass keine ausdrücklichen Vorschriften für den Online-Versand mit Alkohol in das Jugendschutzgesetz aufgenommen worden sind, besagt nicht, dass der Gesetzgeber den Onlinehandel mit Alkohol von den in § 9 Jugendschutzgesetz bestehenden Beschränkungen bei der Abgabe von alkoholischen Getränken an Kinder und Jugendliche hat ausnehmen wollen. Die gegenteilige Auffassung wäre mit der Intention des Jugendschutzgesetzes, Kinder und Jugendliche vor den Gefahren des Alkohols zu schützen, nicht in Einklang zu bringen. Es wäre absurd, wenn an die Internetwerbung für Alkohol (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19.10.2006 – 4 U 83/06-) strengere Anforderungen gestellt würden, als bei der Abgabe von Alkohol selbst (vgl. Liesching MMR 2007, 725; Kosmides, a. a. O., Rdnr. 893). Dem Gesetzgeber bleibt es unbenommen, mehrere untersagte Betriebswege bei bestimmten Waren durch eine weitere Formulierung zusammenzufassen und nicht einzelne Unterarten wie z. B. die Abgabe über Versandunternehmen zu erwähnen (so auch die Vollzugshinweise zum Jugendschutzgesetz Ziffer 6.1.) Daher sind auch Onlinehändler genauso wie Verkäufer in Gaststätten und Verkaufsstellen verpflichtet, Bier, Wein und ähnliche Getränke nicht an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren und sonstige alkoholische Getränke nicht an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren abzugeben. Hieraus folgt die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass keine Auslieferung an Minderjährige erfolgt, wie die Vollzugshinweise zum Jugendschutzgesetz in Ziffer 6.1. zutreffend ausführen.

Aus der Anwendbarkeit des § 9 Jugendschutzgesetz auf den Onlinehandel mit alkoholischen Getränken ergibt sich, dass die Verfügungsbeklagte als Versandhändlerin zum einen sicherstellen muss, dass die Kunden bei der Bestellung das erforderliche Alter haben und ferner Sorge dafür tragen muss, dass die altersbeschränkten Produkte nur an Erwachsene bzw. über 16-jährige Personen ausgehändigt werden. Die von der Verfügungsbeklagten zu 1.) ergriffenen Maßnahmen sind hierfür ausreichend. Der bloße Hinweis in ihrem Onlineshop, dass der Vertrieb von alkoholischen Getränken nur an volljährige Personen erfolge, ist nicht geeignet, ohne weitere Überprüfung Kinder und Jugendliche von der Bestellung abzuhalten. Dies gilt auch für ihre Behauptung, dass sie grundsätzlich alkoholische Getränke nur in einem Paket mit einem Hinweisaufkleber,dass der Inhalt nur für über 18-jährige Personen bestimmt ist, versendet. Selbst wenn diese Behauptung zuträfe, wäre damit nicht sichergestellt, dass minderjährige Kunden nicht in den Besitz von bestellten alkoholischen Getränken gelangen. Wie sie die Altersüberprüfung bewerkstelligen, bleibt den Händlern überlassen, weil der Gesetzgeber insofern keine konkreten Anforderungen gestellt hat. Ob die Versandhändler sich hierbei des Verfahrens Post Ident der Deutschen Post oder der Zusatzleistung „persönliche Übergabe“ bedienen oder andere geeignete Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass alkoholhaltige Getränke nur an Personen abgegeben werden, die über das erforderliche Mindestalter verfügen, bleibt ihnen überlassen.

Bei den Vorschriften zum Schutz der Jugend in § 9 Jugendschutzgesetz handelt es sich um Markverhaltensregelungen zum Schutz der Verbraucher (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19.10.2006 – 4 U 63/06; Köhler/Bornkam/Federsen, 37. Aufl., 2019, § 3 a Rdnr. 1.335). Der Auffassung der Verfügungsbeklagten, dass es sich jedenfalls nicht um einen spürbaren Verstoß handele, vermag das Gericht gerade im Hinblick auf den übereinstimmenden Vortrag der Parteien, dass die Altersverifikation erhebliche Mehrkosten für Onlinehändler mit sich bringt, nicht zu folgen.

Auch ein Unterlassungsanspruch der Verfügungsklägerin gegen den Verfügungsbeklagten zu 2.) ist zu bejahen. Da es bei der Frage, wie die Verfügungsbeklagte zu 1. sicherstellt, dass bei dem Versandhandel mit Alkohol die Bestimmungen des § 9 Jugendschutzgesetz eingehalten werden, um eine grundsätzliche Frage der Unternehmensorganisation handelt, ist der Verfügungsbeklagte zu 2.) hierfür persönlich verantwortlich.

Auch ein Verfügungsgrund ist gegeben. Die Dringlichkeitsvermutung ist nicht widerlegt. Nach Durchführung des Testkaufs durch den Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin am 21.12.2018 hat die Verfügungsklägerin binnen Monatsfrist den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt. Dass die Verfügungsklägerin zuvor bereits einen Testkauf durchgeführt hatte, ist hierbei unbeachtlich, da die Verfügungsklägerin zurecht darauf hinweist, dass unklar war, ob gegebenenfalls die Prüfung lediglich bei Firmenbestellungen unterblieb


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

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