Skip to content

EuGH: Recht auf Zugang zu Dokumenten die in Akten zu Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln enthalten sind

EuGH
Urteil vom 22.01.2020
C-175/18 PTC Therapeutics International Ltd / Europäische Arzneimittelagentur (EMA)
und
C-178/18 P, MSD Animal Health Innovation und Intervet International / Europäische Arzneimittelagentur (EMA)


Der EuGH hat entschieden, dass ein Recht auf Zugang zu Dokumenten besteht, die in den Akten zu einem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln enthalten sind.

Die Pressemitteilung des EuGH:

"Der Gerichtshof bestätigt das Recht auf Zugang zu Dokumenten, die in den Akten zu einem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln enthalten sind

Ein Widerspruch gegen einen solchen Zugang muss Erläuterungen zu Art, Gegenstand und Tragweite der Daten enthalten, deren Verbreitung geschäftliche Interessen beeinträchtigen würde In den Urteilen PTC Therapeutics International/EMA (C-175/18 P) und MSD Animal Health Innovation und Intervet International/EMA (C-178/18 P) vom 22. Januar 2020 hatte der Gerichtshof erstmals über die Frage des Zugangs zu im Rahmen von Anträgen auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eingereichten Dokumenten der Europäischen Union zu entscheiden. Er hat die Rechtsmittel von zum einen PTC Therapeutics International und zum anderen MSD Animal Health Innovation und Intervet International gegen die Urteile des Gerichts1 zurückgewiesen, mit denen deren Klagen auf Nichtigerklärung von Beschlüssen2 abgewiesen wurden, mit denen die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) Zugang zu Dokumenten gewährt hatte, die Informationen enthielten, die im Rahmen des Verfahrens betreffend Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln vorgelegt worden waren.

Die beiden Rechtssachen betreffen die Rechtmäßigkeit von Beschlüssen der EMA, mit denen gemäß der Verordnung Nr. 1049/20013 Zugang zu mehreren Dokumenten, nämlich Berichten über toxikologische Prüfungen und einem Bericht über eine klinische Prüfung (streitige Berichte) gewährt wurde, die von den Rechtsmittelführerinnen im Rahmen ihrer Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen zweier Arzneimittel – eines davon ein Humanarzneimittel (Rechtssache C-175/18 P), das andere ein Tierarzneimittel (Rechtssache C-178/18 P) – vorgelegt worden waren.

In den vorliegenden Fällen beschloss die EMA, nachdem sie das Inverkehrbringen dieser Arzneimittel genehmigt hatte, den Inhalt dieser Berichte Dritten vorbehaltlich einiger Schwärzungen zugänglich zu machen. Entgegen der Auffassung der Rechtsmittelführerinnen, die argumentierten, dass für diese Berichte in ihrer Gesamtheit eine Vermutung der Vertraulichkeit bestehen müsse, vertrat die EMA die Ansicht, dass die genannten Berichte mit Ausnahme der bereits unkenntlich gemachten Informationen keinen vertraulichen Charakter aufwiesen.

So hat sich der Gerichtshof als Erstes mit der Anwendung einer allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit durch ein Organ, eine Einrichtung oder sonstige Stelle der Union, bei dem bzw. der ein Antrag auf Zugang zu Dokumenten gestellt wird, befasst. Hierzu hat er darauf hingewiesen, dass es dem betreffenden Organ bzw. der betreffenden Einrichtung oder sonstigen Stelle zwar freisteht, sich auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten, um zu entscheiden, ob die Verbreitung dieser Dokumente grundsätzlich das Interesse beeinträchtigt, das durch eine oder mehrere der Ausnahmen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 geschützt wird, dieses Organ bzw. diese Einrichtung oder sonstige Stelle jedoch nicht verpflichtet ist, seine bzw. ihre Entscheidung auf eine solche allgemeine Vermutung zu stützen. Somit stellt der Rückgriff auf eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit eine bloße Option für das betreffende Organ bzw. die betreffende Einrichtung oder sonstige Stelle dar, dem bzw. der stets die Möglichkeit bleibt, eine konkrete und individuelle Prüfung der fraglichen Dokumente vorzunehmen, um festzustellen, ob diese ganz oder teilweise durch eine der Ausnahmen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 geschützt sind. Infolgedessen hat der Gerichtshof den Rechtsmittelgrund, mit dem die Rechtsmittelführerinnen geltend gemacht hatten, dass für die streitigen Berichte eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit gelte, mit dem Hinweis darauf zurückgewiesen, dass die EMA nicht verpflichtet war, eine solche Vermutung auf die genannten Berichte anzuwenden, und eine konkrete und individuelle Prüfung dieser Berichte durchgeführt hatte, die sie dazu veranlasste, bestimmte Passagen dieser Berichte unkenntlich zu machen.

Als Zweites hat sich der Gerichtshof der Frage zugewandt, ob der Beschluss der EMA, Zugang zu den streitigen Berichten zu gewähren, die geschäftlichen Interessen der Rechtsmittelführerinnen beeinträchtigte, und damit die Ausnahme nach Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 geprüft. Zunächst hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass eine Person, die beantragt, dass ein Organ, eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle, auf das bzw. die diese Verordnung Anwendung findet, eine der nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen anwendet, ebenso wie das betreffende Organ bzw. die betreffende Einrichtung oder sonstige Stelle, wenn dieses bzw. diese beabsichtigt, den Zugang zu Dokumenten zu versagen,
erläutern muss, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument das Interesse, das durch eine dieser Ausnahmen geschützt wird, konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte. Sodann hat der Gerichtshof geurteilt, dass das Vorliegen einer Gefahr der missbräuchlichen Verwendung von Daten, die in einem Dokument enthalten sind, zu dem Zugang beantragt wird, nachgewiesen werden muss und dass ein bloßer nicht belegter Hinweis auf ein allgemeines Risiko einer solchen Verwendung nicht dazu führen kann, dass diese Daten als von der Ausnahme zum Schutz geschäftlicher Interessen erfasst angesehen werden, wenn die Person, die die Anwendung dieser
Ausnahme beantragt, nicht, bevor das betreffende Organ bzw. die betreffende Einrichtung oder sonstige Stelle eine Entscheidung hierüber trifft, genauere Angaben zu Art, Gegenstand und Tragweite dieser Daten macht, die den Unionsrichter darüber aufklären können, wie die Verbreitung dieser Daten die geschäftlichen Interessen der Personen, auf die sie sich beziehen, konkret und bei vernünftiger Betrachtung absehbar beeinträchtigen kann. Schließlich hat der Gerichtshof die Erwägungen des Gerichts bestätigt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die
Abschnitte der streitigen Berichte, die verbreitet wurden, keine Daten darstellten, die unter die Ausnahme zum Schutz geschäftlicher Interessen fallen können. Was die Rechtsmittelführerin in der Rechtssache C-175/18 P betrifft, hat der Gerichtshof festgestellt, dass sie zum einen der EMA, bevor diese ihren Beschluss erließ, keine Erläuterungen zu Art, Gegenstand und Tragweite der fraglichen Daten vorgelegt hatte, die auf das Bestehen eines Risikos der missbräuchlichen Verwendung der in den streitigen Berichten enthaltenen Daten schließen ließen, und zum anderen die Passagen nicht ausdrücklich bezeichnet hatte, deren Verbreitung ihre geschäftlichen Interessen beeinträchtigen könnte. Was die Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache C-178/18 P anbelangt, hat der Gerichtshof festgestellt, dass sie vor dem Gericht weder solche Erläuterungen vorgelegt noch konkret und genau die Abschnitte der streitigen Berichte bezeichnet hatten, deren Verbreitung ihre geschäftlichen Interessen beeinträchtigen könnte.

Als Drittes hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass das Gericht bei einem nicht hinreichend klaren und bestimmten Vorbringen einer Partei eine implizite Begründung geben kann. In diesem Sinne hat er hervorgehoben, dass es Sache der Rechtsmittelführerinnen war, der EMA im dortigen Verwaltungsverfahren Art, Gegenstand und Tragweite der Daten zu erläutern, deren Verbreitung ihren geschäftlichen Interessen schaden würde, und dass das Gericht in Ermangelung dieser Erläuterungen implizit, aber notwendigerweise, feststellen durfte, dass die von den
Rechtsmittelführerinnen nach Erlass der Beschlüsse der EMA vorgelegten Zeugenaussagen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Beschlüsse nicht erheblich waren. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Beschlusses zur Verbreitung eines Dokuments kann nämlich nur anhand der Informationen beurteilt werden, die der EMA zur Verfügung standen, als sie den betreffenden Beschluss erließ.

Als Viertes schließlich hat der Gerichtshof die Ausnahme vom Recht auf Dokumentenzugang zum Schutz des Entscheidungsprozesses, wie sie in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehen ist, geprüft. Soweit die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vorhalten, dass die Verbreitung der streitigen Berichte während der Ausschließlichkeitsfrist für die Daten den Entscheidungsprozess hinsichtlich etwaiger Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Generika während dieses Zeitraums ernstlich beeinträchtige, hat der Gerichtshof geurteilt, dass sie auf andere Entscheidungsprozesse Bezug nehmen als auf denjenigen, der die
Genehmigung für das Inverkehrbringen der fraglichen Arzneimittel betrifft, der, wie bereits vom Gericht festgestellt, abgeschlossen war, als der Antrag auf Zugang zu den streitigen Berichten gestellt wurde."

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
C-175/18

C-178/18

Trackbacks

Keine Trackbacks

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Die Kommentarfunktion wurde vom Besitzer dieses Blogs in diesem Eintrag deaktiviert.

Kommentar schreiben

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
Formular-Optionen