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VGH München: Airbnb muss Behörde Vermieterdaten nur im Einzelfall bei einem konkreten personenbezogenen oder objektbezogenen Anfangsverdacht herausgeben

VGH München
Beschluss vom 20.05.2020
12 B 19.1648

Der VGH München hat entschieden, dass Airbnb den Behörden Vermieterdaten nur im Einzelfall bei einem konkreten personenbezogenen oder objektbezogenen Anfangsverdacht herausgeben muss.

Leitsätze des Gerichts:

1. Bei der Regelung eines Datenaustauschs zur staatlichen Aufgabenwahrnehmung ist streng zwischen der Datenübermittlung seitens der auskunftserteilenden Stelle und dem Datenabruf durch die auskunftsersuchende Stelle zu unterscheiden. Der Datenaustausch vollzieht sich durch die einander korrespondierenden Eingriffe von Abfrage und Übermittlung, die jeweils einer eigenen Rechtsgrundlage bedürfen. Der (jeweilige) Gesetzgeber muss deshalb, bildlich gesprochen, nicht nur die Tür zur Übermittlung von Daten öffnen, sondern zugleich auch die Tür zu deren Abfrage. Erst beide Rechtsgrundlagen gemeinsam, die gleichsam wie eine „Doppeltür“ zusammenwirken und ineinandergreifen müssen, vermögen einen Austausch personenbezogener Daten zu legitimieren (im Anschluss an BVerfGE 130, 151 [184]).

2. § 14 Abs. 2 und § 15 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 14 Abs. 2 TMG bilden insoweit keine eigene Ermächtigungsgrundlage für Auskünfte, sondern lediglich die „datenschutzrechtliche Öffnungsklausel“ für den Diensteanbieter, überhaupt Auskünfte zu erteilen, wenn die anfragende Behörde aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage - Art. 3 Abs. 1 Sätze 1, 3 und 5 ZwEWG; § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Satz 2 und Satz 4 ZeS - Auskunft begehrt.

3. Der Diensteanbieter muss und darf auf der Grundlage von § 14 Abs. 2 TMG nur dann Auskunft erteilen, wenn er durch diese Vorschrift selbst zur Auskunftserteilung berechtigt wird und zusätzlich die anfragende Behörde eine korrespondierende, passgenaue spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für den Auskunftsanspruch, die Übermittlung und den Empfang der Daten ins Feld führen kann. Liegen diese Voraussetzungen nicht kumulativ vor, so kommt eine Auskunftserteilung durch den Diensteanbieter nicht in Betracht.

4. Die bundesrechtlich konturierte „datenschutzrechtliche Öffnungsklausel“ des § 14 Abs. 2 TMG gestattet dem Diensteanbieter eine Erteilung von Auskünften ausdrücklich nur „im Einzelfall". Unter der Geltung des Grundgesetzes verpflichtet das Rechtsstaatsprinzip alle rechtssetzenden Organe des Bundes und der Länder, ihre Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, dass die Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen. Konzeptionelle Entscheidungen des zuständigen Bundesgesetzgebers dürfen auch durch auf Spezialzuständigkeiten gründende Entscheidungen eines Landesgesetzgebers nicht verfälscht oder gar unterlaufen werden. Die landesrechtlichen Regelungen der Art. 3 Abs. 1 Sätze 1, 3 und 5 ZwEWG; § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 und Satz 4 ZeS sind deshalb zur Vermeidung eines Normwiderspruchs - korrespondierend mit der höherrangigen bundesrechtlichen Vorschrift des § 14 Abs. 2 TMG - dergestalt auszulegen und anzuwenden, dass sie eine Abfrage von personenbezogenen Daten ebenfalls nur „im Einzelfall“ ermöglichen.

5. Durch die Verwendung des Tatbestandsmerkmals „im Einzelfall“ hat der (Bundes-) Gesetzgeber eine anlasslose, auf bloße Mutmaßungen gestützte, generelle und flächendeckende Verpflichtung zur Auskunftserteilung nachhaltig ausgeschlossen und die Eingriffsschwelle bewusst hoch angesetzt, denn zum Inbegriff eines freiheitlichen Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger - auch im Internet - grundsätzlich frei bewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Zeugnis ablegen zu müssen und dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt zu sein.

6. Die Beklagte muss sich deshalb auf eine Anwendung von Art. 3 Abs. 1 Sätze 1, 3 und 5 ZwEWG; § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Satz 2 und Satz 4 ZeS und § 14 Abs. 2 TMG „im Einzelfall" beschränken, was jeweils einen konkreten personen- oder objektbezogenen Anfangsverdacht voraussetzt. Eine generelle und flächendeckende „Datenerhebung auf Vorrat“ kommt nicht in Betracht. Weder das Grundgesetz noch einfaches Bundes- oder Landesrecht geben der Beklagten eine Befugnis, die Rechtstreue ihrer Bürgerinnen und Bürger ohne Vorliegen eines konkreten personen- oder objektbezogenen Anfangsverdachts einer allgemeinen Kontrolle „ins Blaue hinein“ zu unterziehen.

7. Allein die Tatsache einer gelegentlichen, ggf. auch mehrfachen, kurz- oder auch längerfristigen Vermietung oder Gebrauchsüberlassung - und sei es auch unter der ausschließlichen Verwendung eines Vornamens oder Pseudonyms ohne weitere Anschrift oder Adresse - reicht angesichts der mannigfaltigen Möglichkeiten einer vollkommen legalen (genehmigten) Nutzung ohne das Hinzutreten weiterer, eindeutig auf eine Zweckentfremdung hinweisender Umstände regelmäßig nicht aus, die Annahme eines konkreten Anfangsverdachts zu rechtfertigen. In tatsächlicher Hinsicht wird es deshalb stets eines von der Beklagten zu benennenden, konkreten objektbezogenen Anknüpfungspunktes (bestimmte Wohnung) bedürfen, um nach vorheriger Prüfung des Nichtvorliegens eines Genehmigungstatbestandes ein Auskunftsersuchen im Einzelfall zu legitimieren.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



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