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BAG: 1.000 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen verspäteter Auskunft nach Art. 15 DSGVO nicht zu niedrig

BAG
Urteil vom 05.05.2022
2 AZR 363/21

Das BAG hat entschieden, dass 1.000 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen verspäteter Auskunft nach Art. 15 DSGVO nicht zu niedrig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Landesarbeitsgericht hat die Höhe des immateriellen Schadenersatzes mit 1.000,00 Euro nicht ermessensfehlerhaft zu niedrig festgesetzt.

a) Bei der Bemessung der Höhe eines Schadenersatzanspruchs nach § 287 Abs. 1 ZPO steht den Tatsachengerichten ein weiter Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen sie die Besonderheiten jedes einzelnen Falls zu berücksichtigen haben. Die Festsetzung unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Sie kann von diesem nur darauf überprüft werden, ob die Rechtsnorm zutreffend ausgelegt, ein Ermessen ausgeübt, die Ermessensgrenze nicht überschritten wurde und ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen einen fehlerfreien Gebrauch gemacht hat, indem es sich mit allen für die Bemessung der Entschädigung maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und nicht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (vgl. BAG 28. Mai 2020 - 8 AZR 170/19 - Rn. 28, BAGE 170, 340; BGH 23. April 2012 - II ZR 163/10 - Rn. 68, BGHZ 193, 110).

b) Danach ist die Bemessung der Höhe des Schadenersatzes durch das Landesarbeitsgericht revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ob die vom Berufungsgericht als „naheliegend“ erachtete Orientierung am Kriterienkatalog in Art. 83 Abs. 2 Satz 2 DSGVO möglich oder sogar geboten ist, kann dahinstehen. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, hätte sich das Landesarbeitsgericht nicht von sachfremden Erwägungen zulasten der Klägerin leiten lassen.

aa) Es hat zunächst zugunsten der Klägerin in Rechnung gestellt, dass die Beklagte eine vollständige Auskunft nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO bis zuletzt nicht erteilt und ihre Verpflichtung jedenfalls grob fahrlässig verkannt habe. Selbst wenn das Berufungsgericht einen dieser Gesichtspunkte zu Unrecht in seine Erwägungen eingestellt hätte, wäre die Klägerin dadurch nicht beschwert.

bb) Das Landesarbeitsgericht hat ferner ohne Rechtsfehler in seine Würdigung einbezogen, dass die persönliche Betroffenheit der Klägerin durch die nicht vollständige Erfüllung ihres Auskunftsanspruchs in Anbetracht des maßgeblichen Anliegens ihres Auskunftsbegehrens „überschaubar“ gewesen sei.

(1) Es hat das Auskunftsbegehren dahin ausgelegt, dass es der Klägerin maßgeblich um die Arbeitszeitaufzeichnungen gegangen sei. Diese habe ihr die Beklagte mit Schreiben vom 13. August 2020 aber übersandt. Damit hat das Landesarbeitsgericht eine Gewichtung des konkreten Ausmaßes der Beeinträchtigung der Klägerin durch die nicht vollständige Erfüllung ihres Auskunftsanspruchs vorgenommen und dieser eine relativ geringere Bedeutung beigemessen, als wenn es der Klägerin ebenso maßgeblich um Auskunft über ihre übrigen bei der Beklagten gespeicherten personenbezogenen Daten gegangen wäre.

(2) Das lässt keinen Ermessensfehlgebrauch erkennen. Wenn die Erlangung von Kontrolle über ihre übrigen personenbezogenen Daten nicht das primäre Ziel der Klägerin war, wiegt auch die Beeinträchtigung durch das Vorenthalten dieses Teils der begehrten Auskunft weniger schwer. Einen Rechtsfehler zeigt insoweit auch die Revision nicht auf. Sie beanstandet zwar, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigen dürfen, dass die Klägerin den Auskunftsanspruch gerichtlich nicht weiterverfolgt habe. Das Berufungsgericht hat dies aber nicht für sich genommen als einen die Beklagte entlastenden Umstand bewertet, wie die Klägerin meint, sondern lediglich als - weiteren - Beleg für sein Verständnis des primären Ziels des Auskunftsverlangens. Dass dieses Verständnis unzutreffend sei, macht auch die Klägerin nicht geltend.

cc) Andere Aspekte hat das Landesarbeitsgericht nicht zulasten der Klägerin gewürdigt.

dd) Soweit das Berufungsgericht bei der Anspruchsbemessung nicht ausdrücklich problematisiert hat, ob der Schadenersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO auch einen präventiven Charakter hat und damit auch eine Abschreckungsfunktion erfüllen muss (vgl. auch zu dieser Fragestellung das Vorabentscheidungsersuchen BAG 26. August 2021 - 8 AZR 253/20 (A) -, vor dem EuGH anhängig unter - C-667/21 - [Krankenversicherung Nordrhein]), ist dies im Ergebnis ebenfalls ohne Rechtsfehler. Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass dem Anspruch ein solcher Präventionscharakter zukommt. Seine vom Berufungsgericht festgesetzte Höhe hat hinreichend abschreckende Wirkung.

(1) Der Betrag von 1.000,00 Euro ist fühlbar und hat nicht nur symbolischen Charakter (vgl. zur nicht ausreichenden Umsetzung der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG bei einer nur symbolischen Sanktion EuGH 15. April 2021 - C-30/19 - [Braathens Regional Aviation] Rn. 39; 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociaţia Accept] Rn. 64). Bloß symbolisch wäre es etwa, die Entschädigung einer Person, die Opfer einer Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung wurde, auf die Erstattung ihrer Bewerbungskosten zu beschränken (EuGH 10. April 1984 - C-14/83 - [von Colson] Rn. 24). Darüber geht der hier zugesprochene Schadenersatz deutlich hinaus.

(2) Ebenfalls eine Präventionsfunktion hat eine wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschuldete Entschädigung; auch diese kann mit einem Betrag in Höhe von 1.000,00 Euro ausreichend bemessen sein, wie etwa im Falle einer datenschutzwidrigen Observation mit heimlichen Videoaufnahmen durch einen Detektiv (BAG 19. Februar 2015 - 8 AZR 1007/13 - Rn. 14 und 33).

(3) Der immaterielle Schaden nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat - anders als eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG (dazu BAG 28. Mai 2020 - 8 AZR 170/19 - Rn. 17 ff., BAGE 170, 340) - keinen erkennbaren Bezug zur Höhe eines dem Gläubiger zustehenden Arbeitsentgelts, so dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es sich dabei um ein relevantes Bemessungskriterium für die Höhe des Schadenersatzes handeln könnte. Selbst wenn dies anders zu sehen sein sollte, entspräche der hier festgesetzte Betrag mehr als dem zweifachen der zwischen den Parteien vereinbarten monatlichen Vergütung. Für eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, die ebenfalls eine Abschreckungsfunktion erfüllen muss, ist bereits ein Betrag in Höhe des 1,5-fachen des auf einer Stelle erzielbaren Entgelts als ausreichend anzusehen, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen (BAG 28. Mai 2020 - 8 AZR 170/19 - Rn. 39, aaO).

(4) Entgegen der Auffassung der Klägerin musste das Landesarbeitsgericht dem Umstand, dass die Beklagte anwaltlich vertreten war, auch unter dem Gesichtspunkt der Prävention keine den Schadenersatzanspruch erhöhende Bedeutung beimessen. Die Abschreckungsfunktion kann sich nur auf die Vermeidung künftiger Verstöße gegen die DSGVO beziehen, nicht aber darauf, ob sich eine Partei bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen nach der DSGVO anwaltlich hat vertreten lassen. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ist weder allgemein noch nach der DSGVO verpönt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


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