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OLG Hamburg: Es ist nicht dringlichkeitsschädlich wenn ein Markeninhaber bei Markenrechtsverletzungen nicht gegen den Hersteller sondern gegen Händler vorgeht

OLG Hamburg
Urteil vom 08.05.2025
5 U 98/24


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass es nicht dringlichkeitsschädlich ist, wenn ein Markeninhaber bei Markenrechtsverletzungen nicht gegen den Hersteller sondern gegen Händler vorgeht.

Aus den Entscheidungsgründen:
cc. Mit dem Landgericht ist auch ein Verfügungsgrund zu bejahen. Die Dringlichkeitsvermutung gem. § 140 Abs. 3 MarkenG ist im Streitfall nicht widerlegt. Auch aus dem Gesichtspunkt des anhängigen Löschungs- und Verfallsverfahrens gegen die Verfügungsmarke ergibt sich – wie vom Landgericht zu Recht angenommen – kein Fehlen der Dringlichkeit. Das hiergegen gerichtete Berufungsvorbringen bleibt ohne Erfolg.

aaa. Die Antragstellerin hat sich vorliegend nicht dringlichkeitsschädlich verhalten.

Die konkrete Verletzungsform, wie sie im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren angegriffen wird, ist der Antragstellerin unwidersprochen erst am 22.05.2024 bekannt geworden. Der Screenshot Anlage Ast 8 weist dieses Datum aus. Die Antragstellerin hat eine erstmalige Kenntnis am 22.05.2024 behauptet und mit der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers U. R. auch glaubhaft gemacht. Auch im Berufungsverfahren behauptet die Antragsgegnerin (bzw. die Nebenintervenientin, was sich die Antragsgegnerin zu eigen gemacht hat) keine frühere Kenntnis der Antragstellerin von der hier angegriffenen Verkaufsanzeige. Der Verfügungsantrag wurde am 17.06.2024 eingereicht.

Der Einwand der Berufung, die Antragstellerin habe sich dringlichkeitsschädlich verhalten, weil sie nicht (schnell genug) gegen die Nebenintervenientin als Herstellerin der betreffenden Stühle vorgegangen sei, bleibt ohne Erfolg. Die Dringlichkeit ist im Verhältnis der Parteien zueinander zu beurteilen; die Kenntnis von gleichartigen Verletzungshandlungen eines Dritten ist grundsätzlich nicht dringlichkeitsschädlich (Jaworski in Ingerl/Rohnke/Nordemann, MarkenG, 4. Aufl., Vor §§ 14-19d Rn. 259 m.w.N.). Die Dringlichkeit ist im Ausgangspunkt nicht durch die Untätigkeit des Antragstellers berührt, der gegen gleichartige Verstöße Dritter nicht vorgegangen ist. Denn die Entscheidung, ob und gegen welchen Verletzer er vorgeht, liegt allein in der Hand des Antragstellers (OLG Hamburg PharmR 2013, 418, 419; Köhler/Feddersen in Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 12 Rn. 2.19). Dies gilt auch für den Fall, dass der Antragsteller nur gegen den Vertreiber eines Produkts vorgeht, nicht aber gegen dessen Hersteller (Köhler/Feddersen in Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 12 Rn. 2.19).

Im vorliegenden Streitfall kommt hinzu, dass die Antragstellerin gegen die Nebenintervenientin als Herstellerin der Stühle eine einstweilige Verfügung vom 19.07.2024 erwirkt hat. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass ein Antragsteller bei seiner Rechtsverfolgung kein Prozessrisiko eingehen muss. Es kann von ihm nicht verlangt werden, überhastet und ohne ordnungsgemäße Prüfung einen Verfügungsantrag zu stellen. Er muss das Gericht deshalb erst anrufen, wenn er erstens verlässliche Kenntnis all derjenigen Tatsachen hat, die eine Rechtsverfolgung im einstweiligen Verfügungsverfahren erfolgversprechend machen, und wenn er zweitens die betreffenden Tatsachen in einer solchen Weise glaubhaft machen kann, dass sein Obsiegen sicher absehbar ist (Voß in Cepl/Voß, Prozesskommentar, 3. Aufl., § 940 ZPO Rn. 86). Dass die Antragstellerin vorliegend bereits nach der E-Mail vom 03.05.2024 (Anlage NI 26) mit Erfolg einen Verfügungsantrag gegenüber der Nebenintervenientin mit Sitz in Bosnien-Herzogowina hätte stellen können, davon ist im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren nicht überwiegend wahrscheinlich auszugehen. Die Antragstellerin macht insoweit geltend, eine Lieferung der betreffenden Stühle nach Deutschland habe zunächst nicht festgestellt werden können. Das Angebot der Nebenintervenientin selbst habe die Antragstellerin erst am 17.06.2024 festgestellt. Ein erforderliches bewusstes Sich-Verschließen von der Kenntnis vor dem 17.06.2024 betreffend die Inanspruchnahme der Nebenintervenientin als Herstellerin kann im Streitfall nicht festgestellt werden. Es besteht insoweit keine allgemeine Marktbeobachtungobliegenheit oder Obliegenheit zu ständiger Markenüberwachung (Jaworski in Ingerl/Rohnke/Nordemann, MarkenG, 4. Aufl., Vor §§ 14-19d Rn. 258 m.w.N.).

bbb. Auch im Hinblick auf das anhängige Löschungsverfahren betreffend die deutsche Verfügungsmarke ist ein Verfügungsgrund gegeben. Zwar kann ein Verfügungsgrund zu verneinen sein, wenn ein gleichzeitig anhängiger Löschungsantrag nach der Einschätzung des Verletzungsgerichts hohe Erfolgsaussicht hat (Senat GRUR-RS 2020, 33485 Rn. 78 - smartBASE/smartbase m.w.N.). Erforderlich ist nach der Auffassung des Senats jedoch, dass als so gut wie feststehend angenommen werden kann, dass die Marke zu löschen ist. Derartiges ist hier nicht der Fall. Das durch die Antragsgegnerin betriebene Löschungsverfahren wird nach dem im vorliegenden Verfahren gehaltenen und glaubhaft gemachten Vortrag nicht erfolgreich sein.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

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