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LG Frankfurt: Auslegung eines Unterlassungstenors - Fehlende deutsche Bedienungsanleitung ist nicht mit unzureichender deutscher Bedienungsanleitung gleichzusetzen

LG Frankfurt
Beschluss vom 11.04.2025
2-06 O 11/25

Das LG Frankfurt hat sich vorliegend mit der Auslegung eines Unterlassungstenors befasst und entschieden, dass eine fehlende deutsche Bedienungsanleitung nicht mit einer unzureichenden deutschen Bedienungsanleitung gleichzusetzen ist. Das Gericht verneint einen kerngleichen Verstoß.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Antrag auf Verhängung eines Ordnungsmittels gemäß § 890 Abs. 1 ZPO ist unbegründet.

1. hat der im der Kammer vom 15.01.2025 auferlegten Unterlassungsverpflichtung nicht – auch nicht unter Einbeziehung ihres Verbotskerns – zuwidergehandelt.

a. Ob ein beanstandetes Verhalten von einem gerichtlichem Unterlassungsgebot erfasst wird, hat das für die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO zuständige Prozessgericht durch Auslegung des Vollstreckungstitels zu beurteilen. Die Auslegung hat vom Tenor der zu vollstreckenden Entscheidung auszugehen. Erforderlichenfalls sind ergänzend die Entscheidungsgründe und die Antrags- oder Klagebegründung heranzuziehen. Umstände, die außerhalb des Titels liegen, sind bei der Auslegung wegen der Formalisierung des Vollstreckungsverfahrens grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Insbesondere ist es ohne Bedeutung, welche sachlich-rechtlichen Ansprüche der Gläubigerin zustehen (BGH, GRUR 2023, 1788 Rn. 14; vgl. BGH, GRUR 2023, 839 Rn. 9; BGH, GRUR 2017, 208 Rn. 35 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BVerfG, GRUR 2022, 1089 Rn. 19; jew. mwN).

Das in einem Unterlassungstitel ausgesprochene Verbot erfasst über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Abwandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die kerngleichen Verletzungshandlungen in das Erkenntnisverfahren und die Verurteilung einbezogen wurden. Die Kerntheorie erlaubt es nicht, die Vollstreckung aus einem Unterlassungstitel auf Umstände zu erstrecken, die nicht Gegenstand des vorhergehenden Erkenntnisverfahrens gewesen sind. Eine weitergehende Titelauslegung ist im Hinblick auf den Sanktionscharakter der Ordnungsmittel des § 890 ZPO und das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot unstatthaft (BGH, GRUR 2023, 1788 Rn. 14, 21 m.w.N.; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 10.05.2024 – 6 W 44/24, GRUR-RS 2024, 19883 Rn. 13). Demgegenüber beschränkt sich die Kerntheorie darauf, ein im „Kern“ feststehendes und bei dessen sachgerechter Auslegung auch eine abweichende Handlung bereits umfassendes Verbot auf Letztere anzuwenden (BGH, GRUR 2014, 706 Rn. 11 ff. – Reichweite des Unterlassungsgebots).

Dies gilt auch dann, wenn das Verbot auf die konkrete Verletzungsform beschränkt ist. Kern der konkreten Verletzungsform sind dabei die Elemente, die eine Verhaltensweise zur Verletzungshandlung machen, also das, was für den Unrechtsgehalt der konkreten Verletzungsform rechtlich charakteristisch ist und ihre Rechtswidrigkeit begründet (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 10.05.2024 – 6 W 44/24, GRUR-RS 2024, 19883 Rn. 12 m.w.N.). Sind in der Entscheidungsformel bestimmte Verletzungsformen angeführt, so sind danach nur solche Handlungen verboten, die auch hinsichtlich ihrer Gestaltung im Kern den aufgeführten Verletzungsformen gleichgesetzt werden können (LG München I, Urt. v. 20.05.2020 – 7 O 1245/20, GRUR-RS 2020, 12124 Rn. 24). Insoweit muss jedenfalls bei einer im Wortlaut und inhaltlich geänderten Werbung, bei der die Frage der Irreführung neu bzw. auf dieser Grundlage erstmals geprüft werden muss und bei der davon auszugehen ist, dass sie nicht – auch nicht gedanklich – Gegenstand des ursprünglichen Erkenntnisverfahrens war, eine Prüfung unterbleiben und dem Erkenntnisverfahren vorbehalten bleiben (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 10.05.2024 – 6 W 44/24, GRUR-RS 2024, 19883 Rn. 17 ff.).

b. Im Streitfall hat die Kammer der Schuldnerin untersagt, Küchenmaschinen auf dem deutschen Markt bereitzustellen und/oder bereitstellen zu lassen, ohne eine Gebrauchs- und Bedienungsanleitung für das Produkt in deutscher Sprache mitzuliefern und/oder mitliefern zu lassen. Zur Begründung der – im Umkehrschluss aus § 922 Abs. 1 S. 2 ZPO grundsätzlich nicht zwingend mit einer Begründung zu versehenden – einstweiligen Verfügung hat die Kammer auf die Begründung der Antragsschrift sowie §§ 3, 3a UWG i.V.m. § 3 Abs. 4, § 6 Abs. 5 ProdSG Bezug genommen.

Gemäß § 3 Abs. 4 ProdSG ist bei der Bereitstellung eines Produkts auf dem Markt eine Gebrauchs- und Bedienungsanleitung für das Produkt in deutscher Sprache mitzuliefern, wenn bei der Verwendung, Ergänzung oder Instandhaltung eines Produkts bestimmte Regeln zu beachten sind, um den Schutz der Sicherheit und Gesundheit von Personen zu gewährleisten. § 6 Abs. 5 ProdSG erstreckt diese Verpflichtung auf den Händler.

c. In Anwendung der oben genannten Grundsätze ist vom Beschluss der Kammer vom 15.01.2025 der Vertrieb von Küchenmaschinen mit einer Bedienungsanleitung wie in Anlage ASt5 zum Ordnungsmittelantrag, die möglicherweise den Anforderungen von § 3 Abs. 4 ProdSG nicht genügt, nicht erfasst.

Wie oben dargestellt, ist bei der Prüfung, ob ein Unterlassungstitel ein Verhalten des Schuldners erfasst oder nicht, gerade nicht darauf abzustellen, ob dem Gläubiger materiell-rechtlich ein Anspruch auf Unterlassung zusteht oder nicht. Es geht vielmehr lediglich darum, ob das mit dem Ordnungsmittelantrag angegriffene Verhalten das Charakteristische der ursprünglich angegriffenen und mittels des Unterlassungstitels untersagten Verhaltens enthält.

Hier wendet sich die Gläubigerin dagegen, dass die Schuldnerin dem Produkt eine Bedienungsanleitung in deutscher Sprache beilegt, die nach ihrer Auffassung den Anforderungen von § 3 Abs. 4 ProdSG inhaltlich nicht genügt. Sie untermauert dies damit, dass eine nicht den Anforderungen des § 3 Abs. 4 ProdSG genügende Bedienungsanleitung lediglich eine „Alibi-Dokumentation“ darstelle (vgl. Klindt, ProdSG, 3. Aufl. 2021, § 3 Rn. 47). § 3 Abs. 4 ProdSG sei nicht schon durch die formale Existenz einer Bedienungsanleitung in deutscher Sprache erfüllt.

Der Gläubigerin ist zuzugeben, dass eine den Anforderungen von § 3 Abs. 4 ProdSG nicht genügende Bedienungsanleitung einen Verstoß gegen diese Norm und damit ein nach §§ 3, 3a UWG unlauteres Verhalten darstellt. Die Kammer hat im hiesigen Eilverfahren vor Erlass der einstweiligen Verfügung vom 15.01.2025 nach dem Vortrag der Gläubigerin, auf die die Kammer Bezug genommen hat, jedoch lediglich geprüft, ob dem Produkt überhaupt eine Bedienungsanleitung in deutscher Sprache beilag. Ob eine solche auch inhaltlich den Anforderungen von § 3 Abs. 4 ProdSG genügte, hat die Kammer hingegen nicht – auch nicht gedanklich – geprüft und auch nicht prüfen können. Dementsprechend stellt das Charakteristische der verbotenen Handlung den Vertrieb ohne Bedienungsanleitung in deutscher Sprache dar.

Es kann – ohne dies unter Zugrundelegung von § 3 Abs. 4 ProdSG inhaltlich näher zu prüfen – im vorliegenden Fall auch nicht davon ausgegangen werden, dass das nunmehr angegriffene Verhalten sich so darstellt, als läge dem Produkt überhaupt keine Bedienungsanleitung bei und es damit vom Verbotskern noch umfasst sei. Die dem Produkt beigefügte Beilage enthält die Überschrift „Deutsche Sicherheitshinweise und Benutzerhandbuch“ und umfasst – jedenfalls formal – „Wichtige Hinweise zur Nutzung der [Name des Herstellers] Original Küchenmaschine“ sowie Angaben zu Aufstellung, Service, Anwendung, Sicherheit, Reinigung und zur Nutzung von Zubehör. Diese Angaben erfolgen jeweils in deutscher Sprache. Ein Verstoß gegen das Charakteristische, vom Unterlassungstenor des Beschlusses erfasste Verhalten, liegt daher nicht vor, unabhängig davon, ob die Beilage gemäß Anlage ASt5 den Anforderungen von § 3 Abs. 4 ProdSG genügt oder nicht.


Den Volltext der Entscheidungf finden Sie hier:


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