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OLG Köln: Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG über 3,7 Millionen Euro gegen Telekommunikationsunternehmen wegen überhöhter Pauschalen für Mahnkosten und Rücklastschriften

OLG Köln
Urteil vom 01.12.2023
6 U 73/23


Das OLG Köln hat im vorliegenden Fall einen Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG über mehr als 3,7 Millionen Euro zzgl. Zinsen gegen ein Telekommunikationsunternehmen wegen überhöhter Pauschalen für Mahnkosten und Rücklastschriften bejaht.

Aus den Entscheidungsgründen:
3. Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung dem Grunde nach einen Abschöpfungsanspruch aus § 10 UWG festgestellt. Danach kann derjenige, der vorsätzlich eine nach §§ 3 oder 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt und hierdurch zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern einen Gewinn erzielt, von den gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG Berechtigten auf Herausgabe dieses Gewinns an den Bundeshaushalt in Anspruch genommen werden.

a. Die Aktivlegitimation des Klägers nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG als einer in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragenen Einrichtung steht außer Frage. Gemäß dem im Verfahren 26 O 74/16 LG Köln erlassenen Anerkenntnisurteils ist auch unstreitig, dass die Beklagte von 2013 bis einschließlich Juni 2016 in ihren AGB zu hohe Schadenspauschalen für Mahnungen und Rücklastschriften in Ansatz gebracht und insoweit eine nach § 3 UWG i.V.m. § 4 Nr. 11 a.F. / § 3a n.F. UWG § 309 Nr. 5a BGB unzulässige weil unlautere geschäftliche Handlung vorgenommen hat. Dass sie hierdurch zu Lasten einer Vielzahl ihrer Kunden einen Gewinn erzielt hat, stellt die Beklagte ebenfalls nicht in Abrede. Sie wendet sich mit ihrer Berufung nur gegen den Vorwurf eines vorsätzlichen Verhaltens und die vom Landgericht vorgenommene Berechnung des Gewinns.

b. Die Beklagte handelte vorsätzlich. Sie muss sich als juristische Person das Verschulden ihrer Organe nach § 31 BGB und ein etwaiges Organisationsverschulden zurechnen lassen. Dafür, dass wirtschaftlich so wesentliche Entscheidungen wie die Festsetzung von Kosten-Pauschalen in AGB auf der Geschäftsführungsebene getroffen werden, spricht eine tatsächliche Vermutung.

Eine vorsätzliche Begehung ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn der Täter sein Handeln nach einer Abmahnung fortsetzt (KBF/Köhler, UWG, 41. Aufl., § 10 Rn. 6, m.w.N.). Vor dem Hintergrund, dass die Beklagte an ihren rechtswidrigen AGB nicht nur nach der Abmahnung vom 23.11.2015, sondern auch noch nach Zustellung der Unterlassungsklage im März 2015 und selbst nach dem Anerkennen des Unterlassungsanspruchs im Mai festgehalten und erst ab Juli 2016 die Pauschalen herabgesetzt hat, bestehen angesichts der Offenkundigkeit des Wettbewerbsverstoßes keine Zweifel daran, dass die Beklagte auch schon vor Erhalt der Abmahnung die überhöhten Beträge billigend in Kauf genommen hat.

Dass die Beklagte bzw. ihre Geschäftsführung bereits ab Februar 2013 bedingt vorsätzlich gehandelt hat, folgt aus den vom Senat bereits im Verfahren 6 U 26/18 mit Urteil vom 20.067.2018 angeführten Umständen. Auf die angefochtenen Entscheidung, in der aus diesem Urteil zitiert wird, wird Bezug genommen. Die Beklagte wusste, dass in ihren Pauschalen Kosten eingerechnet gewesen waren, die nach der gefestigten und in den gängigen Kommentaren angeführten Rechtsprechung des BGH nicht berücksichtigt werden durften. Die Rechtswidrigkeit der Pauschalen der Beklagten von 5 € bzw. 9 €, die das der Beklagten bekannte Preisniveau der Wettbewerber deutlich überstiegen, lag insoweit auf der Hand. Die Beklagte verfügt über eine Rechtsabteilung. Dafür, dass dieser die eindeutige Rechtslage bekannt gewesen war, spricht eine tatsächliche Vermutung. Sollte die Geschäftsführung die Pauschalen ohne Einschaltung der Rechtsabteilung festgesetzt habe, wäre von einem Organisationsverschulden auszugehen.

Soweit die Beklagte Beweis für die Tatsache ihrer Unkenntnis von der Wettbewerbswidrigkeit der Pauschalbeträge durch Vernehmung des Zeugen N.N. angeboten hat, ist diesem ungeeigneten Beweisantritt nicht nachzugehen. Darauf, ein Zeuge namentlich zu benennen ist, muss eine anwaltlich vertretene Partei nicht hingewiesen werden. Im Übrigen hat die Beklagte auch im Berufungsverfahren weder Tatsachen dargetan, aus denen gefolgert werden könnte, dass ihr - trotz der evidenten Wettbewerbswidrigkeit der Pauschalen - das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit fehlte, noch den Zeugen N.N. namhaft gemacht.

Die Darstellung der Beklagten, es habe "offenbar" zunächst die Rechtsüberzeugung bestanden, dass die Pauschalen zulässig seien, und das spätere Anerkenntnis zeige, dass es eine Änderung in der Bewertung gegeben habe, ist nicht nachvollziehbar. Den in Ansatz gebrachten Pauschalen stand - entgegen der Darstellung der Beklagten - die Rechtswidrigkeit gleichsam "auf der Stirn geschrieben". Die Ansicht, die Klauseln seien rechtmäßig, weil sie im Wesentlichen zur Kostendeckung eingesetzt würde und auch nötig seien, war und ist nicht vertretbar. Die Rechtswidrigkeit der alten Schadenspauschalen konnte der Beklagten unmöglich erst sieben Monate nach der Abmahnung und vier Monate nach der Klageerhebung aufgefallen sein.

4. Den nach § 10 UWG abzuschöpfenden Gewinn hat das Landgericht nicht zu hoch, sondern zu niedrig bemessen.

Ein Gewinn liegt vor, wenn sich die Vermögenslage des Unternehmens durch die Zuwiderhandlung verbessert hat. Der Gewinn errechnet sich im Grundsatz aus den Umsatzerlösen abzüglich der Kosten. Zu den abzugsfähigen Kosten gehören die Kosten für die Anschaffung oder Herstellung der Waren oder Dienstleistungen und die darauf entfallenden Betriebskosten. Gemeinkosten und sonstige betriebliche Aufwendungen, die auch ohne das wettbewerbswidrige Verhalten angefallen wären, sind nicht abzugsfähig. Ist die Höhe des Gewinns streitig, ist er nach § 287 ZPO zu schätzen (KBF/Köhler, UWG, 41. Aufl., § 10 Rn. 7).

a. Hier hat sich die Vermögenslage der Beklagten durch die Berechnung der überhöhten Kostenpauschalen in Höhe von insgesamt 3.740.579 € verbessert. Dies ergibt sich aus der von der Beklagten erteilten Auskunft, die dem Kläger gerade ermöglichen soll, den Anspruch aus § 10 UWG zu beziffern. Dass das Landgericht die Berechnung des Gewinns an diese Auskunft anknüpft, ist nicht zu beanstanden. Es ist nunmehr Sache der Beklagten, zumindest im Rahmen einer sekundären Darlegungslast substantiiert vorzutragen, dass sie tatsächlich geringere Einnahmen erzielt hat, als sich aus den Buchungspositionen ergibt. Ihre allgemeinen Ausführungen dazu, dass aus gebuchten Einnahmen nicht geschlossen werden könne, dass diese auch vereinnahmt wurden, genügt insoweit nicht.

In welcher Höhe die geltend gemachten Forderungen nicht realisiert werden konnten, hat die Beklagte - auch nach einem entsprechenden Hinweis der Kammer - nicht schlüssig dargetan. Sie trägt selbst vor, dass sie die Höhe der tatsächlichen Einnahmen derzeit nicht ermitteln könne. Ihr vager Vortrag zu Forderungsausfällen zwischen 860.000 € und 1.000.000 € ist weder für den Kläger einlassungsfähig, noch als Tatsachenvortrag für eine Beweisaufnahme ausreichend noch als Grundlage für die Schätzung eines tatsächlichen Forderungsausfalles geeignet. Die Beklagte müsste, will sie nach Auskunftserteilung für die Gewinnermittlung von den gebuchten Beträgen abweichen, schon nachvollziehbar darlegen, welche konkreten Erlöse sie sonst erzielt haben will. Dies hat sie nicht getan. Sie hat in zweiter Instanz nicht einmal die vom Landgericht in der angefochtenen Entscheidung aufgeworfene Frage zum Nichterfolg des Inkassos beantwortet.

b. Abzugsfähige Kosten hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht schlüssig dargetan. Sie beruft sich in zweiter Instanz weiterhin auf Kosten für die Einforderung der Pauschalen, u.a. Druck, Versand und Porto, sowie Personal- und IT-Kosten.

aa. Da allgemeine Vorhaltekosten wie Personalkosten und IT-Kosten nicht als Verzugskosten geltend gemacht werden können und deshalb auch nicht in AGB-Schadenspauschalen eingepreist werden dürfen, kann die Beklagte solche Positionen bei der Berechnung des abzuschöpfenden Betrages ebenfalls nicht in Ansatz bringen. Andernfalls stünde sie nach der Gewinnabschöpfung wirtschaftlich noch immer besser dar, als sie stehen würde, wenn sie sich rechtmäßig verhalten und die Gemeinkosten nicht in ihre Pauschale eingerechnet hätte.

Außerdem ist der Vortrag der Beklagten zu den Personal- und IT-Kosten inhaltlich nicht nachvollziehbar. Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, kann die Einsparung von Personalkosten - und damit verbunden auch von IT-Lizenzen - auf zahlreichen Ursachen beruhen. Die Beklagte hat keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die ihre pauschale Behauptung stützen könnten, dass sie den kostenintensiven Betrieb nur und allein wegen der hohen Pauschalen überhaupt vorgehalten habe. Eine ausforschende Beweisaufnahme kommt nicht in Betracht.

bb. Die Behauptung der Beklagten, dass die Kosten für Mahnungen wie Druck, Versand und Porto auf den überhöhten Pauschalen beruhten und durch die überhöhten Pauschalen auch Kosten für zusätzliche Rechnungen (Druck, Versand und Porto) angefallen seien, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Tatsachen, die diese Behauptung stützen könnten, sind nicht dargetan, eine ausforschende Beweisaufnahme ist unzulässig. Für die Geltendmachung von überhöhten Pauschalen fallen im Regelfall keine zusätzlichen Kosten an. Mahnkosten werden regelmäßig bereits durch den Ausfall der Hauptforderung verursacht, ohne die es der Mahnung nicht bedurft hätte. Bestreit der Kunde den Erhalt der Rechnung, muss eine zusätzliche Rechnung erstellt werden, die unabhängig von den Pauschalen Kosten auslöst.

cc. Warum die Ausführungen des Landgerichts zu den Rücklastschriftgebühren, die auch ohne die unwirksamen Pauschalen angefallen wären, unrichtig sein sollen, trägt die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung nicht vor.

dd. Die vom Landgericht geschätzten Steuern sind nicht von dem Gewinn in Abzug zu bringen. Insoweit hat die Berufung des Klägers Erfolg.

Die Beklagte hat bereits nicht schlüssig dargelegt, dass sie auf den - nach ihrer Berechnung bilanziell nicht vorhandenen - Gewinn durch die Pauschalen überhaupt Steuern gezahlt hat.

Außerdem kommt eine Berücksichtigung etwa gezahlter Steuern auf den Abschöpfungsbetrag nicht in Betracht, weil dies im Ergebnis zu einer steuerlichen Begünstigung des Abschöpfungsschuldners führen würde, der tatsächlich keinen Steuernachteil erleidet (ebenso Hoof, Anmerkung zu OLG Schleswig, 2 U 5/17, in: jurisPR-WettbR 10/2018, Anm. 5, unter C.). Dass der Schuldner den Abschöpfungsbetrag im Jahr der Abführung als Betriebsausgaben verbuchen kann, stellt die Beklagte nicht in Abrede. Der Schuldner erhält daher etwa gezahlte Steuern vom Finanzamt zurück. Könnten die gezahlten Steuern bei der Gewinnabschöpfung gewinnmindernd berücksichtigt werden, bliebe dem Schuldner aus der vorsätzlichen Rechtsverletzung ein ungerechtfertigter wirtschaftlicher Vorteil in Höhe ersparter Steuern (s. die Beispielsrechnung Bl. 310 f. eA), was in Widerspruch zu Sinn und Zweck der Gewinnabschöpfung stünde.

Die vom Landgericht angeführte Literaturansicht, nach der es sich bei gezahlten Steuern um eine abzugsfähige Position handelt (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewich/Goldmann, UWG, § 10 Rn. 150) überzeugt nicht. Die Kommentierung verweist ohne nähere Begründung auf die Entscheidung des OLG Schleswig (Urteil vom 07.06.2018, 2 U 5/17, GRUR 2018, 1071), das jedoch über die Frage der Abzugsfähigkeit von Steuern bei einem Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG nicht entschieden hatte, weil der dortige Kläger den Steuerabzug bereits selbst vorgenommen und nicht mit eingeklagt hatte.

5. Zinsen kann der Kläger bereits ab Rechtshängigkeit der Stufenklage (08.03.2017) verlangen, nicht erst ab Rechtshängigkeit des vorliegenden Verfahrens. Durch die Erhebung der Stufenklage ist auch der noch nicht bezifferte Zahlungsanspruch rechtshängig geworden und insoweit Verzug eingetreten. Gemäß § 286 Abs. 1 BGB steht die Erhebung der Klage auf Leistung der Mahnung gleich. Eine Stufenklage genügt, vorausgesetzt, der Auskunftsanspruch besteht und ist fällig (Grüneberg/Grüeberg, BGB, 81. Aufl., § 286 Rn. 21; MüKo/Ernst, BGB, 9. Aufl., § 286 Rn. 71). Dass die Rechtshängigkeit der Zahlungsklage durch die Teilklagerücknahme rückwirkend entfallen ist, § 269 Abs. 3 ZPO, ist ohne Belang. Der Kläger hat damit nicht zu erkennen gegeben, den Zahlungsanspruch nicht mehr weiter geltend machen zu wollen. Die von der Beklagten herangezogene Parallele zur Beendigung des Verzuges durch Rücknahme der Mahnung unter Verweis auf MüKo/Ernst, BGB, 9. Aufl., § 268 Rn. 120, überzeugt insoweit nicht. Aus der angeführten Fundstelle ergibt sich zur Beendigung des Verzuges durch teilweise Rücknahme einer Stufenklage nichts.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Nürnberg: Einmaliges Fordern einer überhöhten Vertragsstrafe führt nicht zum Rechtsmissbrauch nach § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG

OLG Nürnberg
Urteil vom 18.07.2023
3 U 1092/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass das einmalige Fordern einer überhöhten Vertragsstrafe nicht zum Rechtsmissbrauch nach § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG führt.

Aus den Entscheidungsgründen:
b) Es liegt auch keine Vereinbarung oder Forderung überhöhter Vertragsstrafen i.S.v. § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG vor.

aa) Nach der bisherigen Rechtsprechung lag ein starkes Indiz für einen Missbrauch im Sinne einer im Vordergrund stehenden Einnahmeerzielungsabsicht vor, wenn der Abmahnende systematisch überhöhte Vertragsstrafen verlangt (BGH, GRUR 2012, 286 Rn. 13 – Falsche Suchrubrik; BGH, GRUR 2016, 961 Rn. 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon). Das Regelbeispiel übernimmt die Forderung nach „systematisch“ überhöhten Vertragsstrafen zwar nicht. Nach dem Wortlaut müssen aber (mehrere) „offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen“ vereinbart oder gefordert werden. Es bleibt also unter Geltung des neuen § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG dabei, dass eine einzige offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe einen Missbrauch nicht indiziert (Goldmann, in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 8c Rn. 192).

Durch den in § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG verwendeten Begriff „offensichtlich“ soll verdeutlicht werden, dass nur eindeutige und ohne Weiteres erkennbare Fälle erfasst werden sollen und nicht Konstellationen, in denen dem Abmahnenden bloße Flüchtigkeitsfehler unterlaufen sind oder seine Forderung sich aus der Sicht e. noch im üblichen Rahmen hielt (Beschlussempfehlung, BT-Drs. 19/22238, S. 17).

bb) Im vorliegenden Fall fügte die Verfügungsklägerin der Abmahnung zum einen eine vorformulierte Unterlassungserklärung bei, durch welche sich die Verfügungsbeklagte zur Zahlung einer Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung zum einen unter Ausschluss der Einrede der natürlichen Handlungseinheit verpflichtete. Bei Vorliegen von natürlicher Handlungseinheit werden mehrere Verhaltensweisen zusammengefasst, die auf Grund ihres räumlich-zeitlichen Zusammenhangs so eng miteinander verbunden sind, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen (BGH, GRUR 2009, 427 Rn. 13 – Mehrfachverstoß gegen Unterlassungstitel).

In Allgemeinen Geschäftsbedingungen wäre eine Vertragsklausel, nach der eine Zusammenfassung einer Vielzahl von Einzelverstößen von vornherein ausgeschlossen wird, nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB grundsätzlich unwirksam, falls nicht besondere Umstände vorliegen, die die Unangemessenheit der Benachteiligung ausschließen (Bornkamm/Feddersen a.a.O. § 13a Rn. 27). Dagegen können die Parteien in einer Individualabrede vereinbaren, dass eine Zusammenfassung mehrerer oder aller Verstöße zu einer einzigen Zuwiderhandlung nach den Grundsätzen der natürlichen Handlungseinheit oder einer Handlung im Rechtssinne nicht erfolgen soll (BGH, GRUR 2009, 181 Rn. 39 – Kinderwärmekissen).

Vor diesem Hintergrund kann das Begehren der Verfügungsklägerin in der Abmahnung, dass die Verfügungsbeklagte auf die Einrede der natürlichen Handlungseinheit verzichten solle, nicht ein Indiz für die Rechtsmissbräuchlichkeit darstellen. Zwar mag dieses Ansinnen dazu führen, dass die Verfügungsbeklagte eine derartige Vertragsstrafe gemäß § 13a Abs. 4 UWG nicht schulden würde. Die Schwelle zur Offensichtlichkeit einer überhöhten Vertragsstrafe ist hingegen nicht überschritten, da eine Individualvereinbarung, wonach mehrere Verstöße nicht zu einer Einheit zusammengefasst werden sollen, nicht per se unzulässig ist, zumal es nach der neueren Rechtsprechung für sich allein nicht ausreicht, wenn der Abmahnende einen Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs fordert (BGH, GRUR 2012, 286 Rn. 15 – Falsche Suchrubrik; a.A. BGH, NJW 1993, 721 – Fortsetzungszusammenhang).

cc) Darüber hinaus hat die Verfügungsklägerin im Streitfall gefordert, dass im Fall von Dauerhandlungen, etwa durch eine Zuwiderhandlung im Internet, jede angefangene Woche der Zuwiderhandlung als einzelner Verstoß gilt.

(1) Für Rechtsmissbräuchlichkeit spricht, dass diese Forderung über den Verzicht auf die Einrede der natürlichen Handlungseinheit deutlich hinaus geht und einen erheblichen Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken des Vertragsstrafenrechts darstellt. Denn in der Regel ist eine einheitliche Handlung anzunehmen, wenn dem Schuldner eine Handlung vorgeworfen wird, wie etwa das Einstellen einer Werbung in das Internet (OLG Köln, GRUR-RR 2020, 224 Rn. 78 – Arzneimittelfamilie). Durch die ausdrückliche Vereinbarung, dass Dauerhandlungen als ein Verstoß pro Woche anzusehen sein sollen, kann ein potenziell mit leichter Fahrlässigkeit begangener Verstoß – z B. wegen einer versehentlich nicht gelöschten Werbeaussage – als eine Vielzahl von Verstößen mit einer Aufsummierung zu erheblichen Vertragsstrafen geahndet werden.

(2) Gegen Rechtsmissbrauch spricht hingegen, dass nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UWG bei der Festlegung der Angemessenheit einer Vertragsstrafe die Art und das Ausmaß der Zuwiderhandlung maßgeblich sein sollen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch die Dauer der Verletzungshandlung, weshalb bei einer längeren Zuwiderhandlung im Internet die Vertragsstrafe höher angesetzt werden kann als bei nur kurzen Verstößen von lediglich einer Woche.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei der vorliegenden Vertragsstrafenvereinbarung gemäß § 315 Abs. 1 BGB der Verfügungsklägerin für den Fall einer künftigen Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht die Bestimmung der Strafhöhe nach ihrem billigen Ermessen überlassen bleiben sollte („Hamburger Brauch”) und nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB eine gerichtliche Überprüfung der von der Verfügungsklägerin vorgenommenen Bestimmung der Vertragsstrafenhöhe in der Vereinbarung vorgesehen war (vgl. BGH, GRUR 2010, 355 Rn. 30 – Testfundstelle). Ihre Festsetzung muss daher insgesamt billigem Ermessen entsprechen (§ 315, § 316 BGB). Ist das nicht der Fall, ist die Festsetzung nicht verbindlich und unterliegt dann der gerichtlichen Bestimmung (§ 315 Abs. 3, § 319 BGB). Diese Art der Vertragsstrafenbestimmung kompensiert in einem gewissen Umfang die willkürliche Aufspaltung von Dauerverstößen pro Woche.

(3) Der Senat kann im Streitfall offenlassen, ob die Aufspaltung einer Dauerhandlung in einzelne Zuwiderhandlungen pro Wocheneinheit den Rechtsmissbrauch indizieren kann. Denn der Verfügungsklägerin kann vorliegend allenfalls ein Fall der Forderung einer überhöhten Vertragsstrafe vorgeworfen werden kann. Und eine einzige (offensichtlich) überhöhte Vertragsstrafe ist kein Indiz für einen Missbrauch i.S.v. § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Celle: Rechtsmissbrauch nach § 8c UWG liegt nicht automatisch vor wenn Abmahnung entgegen § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG einen überhöhten Streitwert annimmt

OLG Celle
Beschluss vom 31.05.2021
13 U 23/21


Das OLG Celle hat entschieden, dass Rechtsmissbrauch nach § 8c UWG nicht automatisch vorliegt, wenn der Abmahner in der Abmahnung entgegen § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG einen überhöhten Streitwert zur Berechnung der Abmahnkosten ansetzt. Vielmehr ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände erforderlich.

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs ist nicht gemäß § 8c UWG wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig.

In dem neuen § 8c Absatz 2 UWG sollten die Fallgruppen der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen weiter konkretisiert und für die Praxis besser handhabbar gemacht werden (BT-Drucksache 19/22238, S. 17). Mit der Formulierung des Einleitungssatzes „ist im Zweifel anzunehmen“ wird klargestellt, dass eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände erforderlich ist. Die Erfüllung einer der genannten Konstellationen kommt lediglich eine Indizwirkung für einen Missbrauch zu. Der Abmahnende kann diese Indizien erschüttern (aaO).

Danach ist im Streitfall unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände nicht von einem Rechtsmissbrauch auszugehen. Zwar hält auch der Senat den bei der Abmahnung in Ansatz gebrachten Gegenstandswert von 82.500 € (11 Verstöße à 7.500 €) für übersetzt. Der Verfügungskläger hat jedoch nachvollziehbar dargetan, welche Überlegungen sein Prozessbevollmächtigter bei der Bemessung des Streitwerts angestellt hat (Bl. 7 f. d.A). Dabei ist der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers zutreffend davon ausgegangen, dass die einzelnen Werbeangaben jeweils gesonderte Unterlassungsansprüche begründen können und daher grundsätzlich eine Wertaddition vorgenommen werden kann. Zwar könnte es sich teilweise um kerngleiche Verstöße handeln, was bei der Bemessung des Gesamtwerts zu berücksichtigen wäre. Diese Frage ist jedoch nicht einfach zu beantworten, weil sich die Aussagen - soweit sie gleichgerichtet sind - auf unterschiedliche Bestandteile („Komponenten“) des Eiweiß-Produkts beziehen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass für die Bemessung der Gegenstandswerte von lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsansprüchen keine feststehenden Kriterien existieren und auch in der Rechtsprechung im Einzelfall ganz erhebliche Unterschiede zu verzeichnen sind, genügen die vorliegenden Umstände jedenfalls nicht für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - unstreitig - der Verfügungsbeklagte in einer Abmahnung des Verfügungsklägers für einen einzigen Health Claim bereits einen Wert von 20.000 € zugrunde gelegt hat (Bl. 7, 43 d.A).

Es ist auch nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen, dass der Verfügungskläger ein weiteres Verfügungsverfahren gegen ein mit dem Verfügungsbeklagten wirtschaftlich verbundenes Unternehmen, die … Service GmbH, - ebenfalls wegen Werbeangaben für das Produkt „…“ - betreibt (vgl. Abmahnung vom 3. Februar 2021, Bl. 15 ff. d.A). Es handelt sich um einen anderen Internetauftritt eines anderen Unternehmens. Der Verfügungskläger hat zudem dargetan, dass er diesen Verstoß erst am 3. Februar 2021 - nach der Antwort des Verfügungsbeklagten auf dessen Abmahnung - festgestellt hat. Der Verfügungskläger war nicht gehalten, die Unterlassungsansprüche gegen ein anderes Unternehmen - im Wege einer subjektiven Antragserweiterung - noch in dem vorliegenden Verfahren geltend zu machen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein solches Vorgehen unter Berücksichtigung der Ladungsfristen die Gefahr von Verzögerungen mit sich gebracht hätte und sich in dem vorliegenden Verfahren der Streitwert entsprechend erhöht hätte (lediglich abgemildert durch die Gebührendegression).

2. Die Parteien sind auch Mitbewerber gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG in Bezug auf die mit der streitgegenständlichen Werbung angebotenen Produkte.

Die Eigenschaft als Mitbewerber gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG erfordert ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG. Das ist gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und daher das Wettbewerbsverhalten des einen den anderen beeinträchtigen, das heißt im Absatz behindern oder stören kann (BGH GRUR 2019, 970 Rn. 23, mwN).

Hiervon ist im Streitfall auszugehen. Die Verfügungsbeklagte hat nicht in Abrede genommen, dass die Verfügungsklägerin gleichartige Nahrungsergänzungsmittel- Eiweißpulver bzw. L-Carnitin - anbietet. Die Angebote richten sich auch jeweils an die gleichen Endverbraucherkreise, nämlich Personen, die - insbesondere bei sportlicher Betätigung - den Muskelaufbau fördern und Trainingseffekte verstärken wollen. Dem steht es nicht entgegen, dass der Verfügungsbeklagte eine Internet-apotheke betreibt. Die angesprochenen Verbraucher wissen, dass Apotheken in großem Umfang nicht nur Arzneimittel, sondern auch eine Vielzahl anderer Produkte, insbesondere aus dem Bereich der Nahrungsergänzungsmittel anbieten. Verbraucher, die im Zusammenhang mit einer sportlichen Betätigung Nahrungsergänzungsmittel einnehmen wollen, werden daher auch das Angebot einer Internetapotheke in Betracht ziehen. Hierauf zielt die Werbung des Verfügungsbeklagten auch ersichtlich ab. Er spricht mit der Werbung gezielt Sportler an, die ihre Trainingsleistung fördern bzw. mit „eiweiß power“ ihre Muskeln regenerieren und aufbauen und Muskelkater reduzieren wollen. Die in dem Urteil des Senats vom9. Juli 2019 – 13 U 31/19 – an dem Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses geäußerten Zweifel stehen dieser Beurteilung nicht entgegen; dieses Verfahren betraf einen anderen Sachverhalt, bei dem das Produkt vom Beklagten nicht für den Sportbereich, sondern als „idealer Begleiter im Alltag und Unterstützer bei zu einseitiger, eiweißarmer Ernährung“ beworben wurde. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Verfügungskläger die Nahrungsergänzungsmittel ausschließlich an bestimmte „Kraftsportler“ verkauft, die einen Einkauf dieser Produkte in einer Internetapotheke nicht in Betracht ziehen würden.

3. Das Landgericht hat auch zu Recht sämtliche Werbeaussagen - auch die Angabe „zur Förderung der Trainingsleistung“ - als gesundheitsbezogene Angaben im Sinne von Art. 10 HCVO (Verordnung (EG) Nr. 1924/2006) angesehen.

Gemäß Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO ist „gesundheitsbezogene Angabe“ jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmitteloder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht.

Dies ist auch in Bezug auf die Angabe „zur Förderung der Trainingsleistung“ der Fall; diese suggeriert im maßgeblichen Kontext der konkreten Verletzungsform, dass das Mittel die positive gesundheitliche Wirkung von Sport-Training verstärkt. Zwar handelt es sich lediglich um eine nicht-spezifische gesundheitsbezogene Angabe im Sinne von Art. 10 Abs. 3 HCVO. Diese ist jedoch gemäß Art. 10 Abs. 3 HCVO unzulässig, weil ihr keine nach Art. 10 Abs. 1 HCVO zulässige spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Düsseldorf: Pauschale Kosten für Rücklastschrift in Höhe von 13 EURO bzw. für Mahnkosten in Höhe von 9 EURO durch Telekommunikations- und DSL-Anbieter unangemessen

OLG Düsseldorf
Urteil vom 13.02.2014
I-6 U 84/13

Das OLG Düsseldorf hat völlig zu Recht entschieden, dass pauschale Kosten für Rücklastschriften in Höhe von 13 EURO bzw. für Mahnkosten in Höhe von 9 EURO durch Telekommunikations- und DSL-Anbieter überhöht und unangemessen sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Das Landgericht hat zutreffend begründet, dass (bereits) eine Pauschale von 13,00 € für Rücklastschriften und von 9,00 € für Mahnkosten überhöht im Sinne des § 309 Nr. 5 a BGB ist, weil sie höher ist, als der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartende Schaden der Verfügungsbeklagten (UA S. 7 f, GA 157 f.). Dass üblicherweise ein höherer Schaden entsteht, hat die Verfügungsbeklagte nicht hinreichend dargelegt. Hiergegen wendet sich die Verfügungsbeklagte mit ihrer Berufung auch nicht. Daraus, dass diese Pauschalen überhöht sind, folgt zugleich, dass auch höhere Pauschalen überhöht wären.

Zudem verstößt diese Abrechnungspraxis auch gegen § 309 Nr. 5 b BGB, weil den Kunden eine Pauschale in Rechnung gestellt wird, ohne ihnen den Nachweis eines geringeren Schadens vorzubehalten, wie es in der Preisliste Stand 12.05.2009 für Rücklastschriften noch vorgesehen war."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: