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LAG Baden-Württemberg: Unzulässige Altersdiskriminierung durch Stellenanzeige mit Suche nach "Digital Native" - Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs.2 AGG

LAG Baden-Württemberg
Urteil vom 07.11.2024
17 Sa 2/24


Das LAG Baden-Württemberg hat entschieden, dass eine unzulässige Altersdiskriminierung durch eine Stellenanzeige mit der Suche nach einem "Digital Native" vorliegt. Das Gericht hat dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 7.500 EURO zugesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 7.500,00 € nebst Verzugszinsen zu.

1. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet ist. Der Kläger fällt nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis unter den persönlichen Anwendungsbereich des AGG. Die Beklagte ist Arbeitgeberin i.S.v. § 6 Abs. 2 AGG.

2. Der Kläger hat den Entschädigungsanspruch auch frist- und formgerecht geltend gemacht und eingeklagt (§ 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG).

3. Der Kläger ist wegen seines Alters und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nach § 7 Abs. 1 AGG unmittelbar benachteiligt worden.

a) Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist, dass der abgelehnte Bewerber entgegen § 7 Abs. 1 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt wurde.

aa) Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen des Alters. § 7 Abs. 1 AGG verbietet sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

bb) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst allerdings nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund bzw. zwischen der Benachteiligung und dem Alter muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen (st. Rspr., z.B. BAG 14. Juni 2023 – 8 AZR 136/22; BAG 19. Januar 2023 - 8 AZR 437/21). Soweit es - wie vorliegend - um eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG geht, ist hierfür nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt (st. Rspr., z.B. BAG 2. Juni 2022 – 8 AZR 191/21; BAG 1. Juli 2021 - 8 AZR 297/20).

cc) § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 25. November 2021 – 8 AZR 313/20). Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (BAG 1. Juli 2021 - 8 AZR 297/20; 17. Dezember 2020 – 8 AZR 171/20).

dd) Nach § 11 AGG darf ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden. Eine Ausschreibung verstößt gegen § 7 Abs. 1 AGG, wenn Menschen, die ein in § 1 AGG genanntes Merkmal aufweisen, vom Kreis der für die zu besetzende Stelle in Betracht kommenden Personen ausgeschlossen werden (BAG 19. August 2010 – 8 AZR 530/09). Verstößt eine Stellenausschreibung gegen § 11 AGG, dann besteht die Vermutung, die Benachteiligung sei wegen des in der Ausschreibung bezeichneten verbotenen Merkmals erfolgt (BAG 19. Mai 2016 – 8 AZR 583/14; BAG 24. Januar 2013 – 8 AZR 429/11). Dies ist indes selbst bei Formulierungen, insb. Anforderungen in Stellenausschreibungen, die eine unmittelbare Benachteiligung wegen eines § 1 AGG genannten Grundes bewirken, dann nicht der Fall, wenn die Diskriminierung nach §§ 8, 9 oder § 10 AGG zulässig ist (so schon BAG 19. Mai.2016 – 8 AZR 583/14).

ee) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (BAG 19 Mai 2016 – 8 AZR 583/14; BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12). Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises (BAG 18. September 2014 - 8 AZR 753/13). Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG 19 Mai 2016 – 8 AZR 583/14; BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10; BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08).

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend von einer unmittelbaren Benachteiligung des Klägers iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seines Alters auszugehen.

aa) Der Kläger wurde dadurch, dass er von der Beklagten nicht eingestellt wurde, unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt. Er hat eine ungünstigere Behandlung erfahren als der letztlich von der Beklagten eingestellte Bewerber.

bb) Mit dem Arbeitsgericht geht die Kammer davon aus, dass der Kläger hinreichend Indizien vorgetragen hat, die eine unzulässige Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters vermuten lassen.

(1) Anknüpfungspunkt für die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Alters ist im vorliegenden Fall der Text der Stellenausschreibung. Diese enthält neben Anforderungen wie „abgeschlossenes Hochschulstudium im Bereich PR, Journalistik, Kommunikations-/Medien- oder Wirtschaftswissenschaften“, „Mehrjährige, fundierte Berufserfahrung im Bereich Print- und Onlineredaktion“, „Profi im Thema Kommunikation“, „Leidenschaft für Sprache und Digitale Formate“ auch das Kriterium „Digital Native“. Konkret lautet die diesbezügliche Formulierung in der Stellenausschreibung: „Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Daten-getriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause“.

Nach Auffassung der Berufungskammer wird mit dem Begriff „Digital Native“ unmittelbar an das Lebensalter angeknüpft. Auf Deutsch übersetzt heißt der Begriff „digitaler Eingeborener“ bzw. „digitaler Ureinwohner“. Der Begriff wurde von Marc Prensky im Jahr 2001 geprägt, um die Generation von Menschen zu beschreiben, die mit digitalen Technologien wie Computern, dem Internet und anderen mobilen Geräten aufgewachsen sind, und sie der Generation der „Digital Immigrants“ gegenüberzustellen, der älteren Generation, die nicht mit diesen Technologien groß geworden ist (Prensky, M., 2001, „Digital Natives, Digital Immigrants“). Laut Duden ist ein „Digital Native“ eine „Person, die mit digitalen Technologien aufgewachsen ist und in ihrer Benutzung geübt ist“. Ähnlich wird der Begriff in Wikipedia umschrieben. Dort heißt es: „Als digital native (deutsch „digitaler Eingeborener, Plural digital natives) wird eine Person der gesellschaftlichen Generation bezeichnet, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist. Im Gegensatz dazu stehen die Begriffe des „Digital Immigrant“ (deutsch „digitaler Einwanderer“ oder „digitaler Immigrant“) für jemanden, der diese Welt erst im Erwachsenenalter kennengelernt hat, …“. Insgesamt ist daher festzustellen, dass sowohl Prensky bei der Verwendung des Begriffs „Digital Native“ als auch Duden und Wikipedia bei der Definition des Begriffs eben nicht nur auf die besonderen Fähigkeiten eines „Digital Native“ im Umgang mit digitalen Technologien wie Computer, Internet, etc. abstellen, sondern vor allem darauf, dass der „Digital Native“ von klein auf mit den digitalen Medien vertraut ist, weil er in die digitale Welt hineingeboren wurde. Damit kann dem Begriff „Digital Native“ ein Alters- bzw. Generationenbezug nicht abgesprochen werden.

Nichts anderes ergibt sich aus der konkreten Formulierung in der streitgegenständlichen Stellenausschreibung der Beklagten. Stellenausschreibungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen potentiellen Bewerbern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Bewerbers zugrunde zu legen sind (BAG 11. August 2016 – 8 AZR 406/14). Bei dem durchschnittlichen Bewerber für die Stelle eines „Manager Corporate Communications“ dürfte es sich – entsprechend der in der Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen – um einen Hochschulabsolventen handeln, der sich „in der Welt der Social Media, der Daten-getriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause fühlt“. Bei einem derart qualifizierten Bewerberkreis sollte man davon ausgehen können, dass sowohl die englische Sprache als auch Begrifflichkeiten wie „Digital Native“ und „Digital Immigrant“ bekannt sind und im üblichen, d.h. wie von Duden und Wikipedia wiedergegebenen Sinne verstanden werden. Nachdem in der Stellenausschreibung auch nicht etwa eine Person gesucht wurde, die sich „wie ein Digital Native“ in der Welt der Social Media …. wohl fühlt, sondern „als Digital Native“ über zahlreiche im Einzelnen dann noch aufgeführte digitale Fähigkeiten und Eigenschaften verfügt, liegt die Vermutung nahe, dass die Beklagte Bewerber/innen ansprechen wollte, die mit digitalen Technologien wie Computern, dem Internet und Smartphones aufgewachsen sind und diese von klein auf in ihren Alltag integriert haben.

(2) Verstärkt wird die Bezugnahme auf das Alter durch die weiteren Passagen in der Stellenausschreibung, in welcher der/die gesuchte Bewerber/in als „absoluter Teambuddy“ bezeichnet und ihm/ihr Aufgaben in einem „dynamischen Team“ geboten werden. Die Ansprache als „Teambuddy“ richtet sich aus Sicht eines objektiven Lesers des Stellenprofils eher an einen/eine jüngeren/jüngere als einen/eine älteren/ältere Bewerber/in. Und auch der Begriff „dynamisch“ beschreibt eine Eigenschaft, die im Allgemeinen eher jüngeren als älteren Menschen zugeschrieben wird (so zutreffend BAG 11. August 2016 – 8 AZR 406/14; BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14). Wird in einer Stellenausschreibung – wie hier – darauf hingewiesen, dass ein „dynamisches Team“ geboten wird, enthält dieser Hinweis regelmäßig nicht nur die Botschaft an potentielle Stellenbewerber/innen, dass die Mitglieder des Teams dynamisch sind, sondern der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer/eine Arbeitnehmerin sucht, der/die in das Team passt, weil er/sie ebenso dynamisch ist wie die Mitglieder des vorhandenen Teams (BAG 11. August 2016 – 8 AZR 406/14; BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14).

(3) Der im Jahr 1972 geborene Kläger ist kein „Digital Native“ im obigen Sinne. Dabei kann offengelassen werden, ob der Jahrgang 1981 als Beginn der „Digital Natives“ anzunehmen ist (so zahlreiche Autoren wie John Palfrey und Urs Gasser in ihrem Buch „Born Digital: Understanding the First Generation of Digital Natives“, 2008; Anderson, C., & Rainie, L., 2008, „The future of the internet III“, Studie des PEW Research Centers; vgl. https://www.personal-wissen.de/8819/digital-natives-die-generation-internet-und-neue-medien-aus-arbeitgebersicht) oder erst deutlich spätere Geburtenjahrgänge zu den „Digital Natives“ gehören. Soweit ersichtlich finden sich jedenfalls keine ernst zu nehmenden Vertreter der Ansicht, dass bereits Jahrgänge vor 1980 zu den Digital Natives gehören. Letzteres lässt sich ohne Weiteres nachvollziehen, wenn man sich vor Augen führt, dass beispielsweise das Softwareunternehmen Microsoft überhaupt erst im Jahr 1975 gegründet wurde, der MITS Altair 8800 von 1975 als der erste Personal Computer gilt und der Apple I erst 1976 entwickelt wurde.

(4) Die mit den Formulierungen in der Stellenausschreibung verbundene unmittelbare Diskriminierung des Klägers wegen seines Alters ist nicht nach §§ 8, 10 AGG gerechtfertigt. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat zu einer Rechtfertigung nach §§ 8, 10 AGG keinen Vortrag geleistet und behauptet eine solche auch nicht.

cc) Der Beklagten ist es nicht gelungen, die nach § 22 AGG bestehende Vermutung einer unmittelbaren Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters zu widerlegen.

(1) Die Kausalitätsvermutung kann im Einzelfall nach § 22 AGG widerlegt sein, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass der/die erfolglose Bewerber/in eine formale Qualifikation nicht aufweist oder eine formale Anforderung nicht erfüllt, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit/den Beruf an sich ist. (BAG 14. Juni 2023 – 8 AZR 136/22).

Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass der Kläger sämtliche in der Stellenausschreibung formulierten Anforderungen/Qualifikationen aufweist. Im Gegenteil ist die Beklagte sogar der Ansicht, der Kläger sei für die ausgeschriebene Stelle eines Manager Corporate Communications überqualifiziert gewesen.

(2) Der Arbeitgeber kann die Vermutung, er habe die klagende Partei wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt, beispielsweise auch dadurch widerlegen, indem er substantiiert dazu vorträgt und im Bestreitensfall beweist, dass er bei der Behandlung aller Bewerbungen nach einem bestimmten Verfahren vorgegangen ist, das eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ausschließt. Dies kann zum Beispiel anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber ausnahmslos alle Bewerbungen in einem ersten Schritt darauf hin sichtet, ob die Bewerber/innen eine zulässigerweise gestellte Anforderung erfüllen und er all die Bewerbungen von vornherein aus dem weiteren Auswahlverfahren ausscheidet, bei denen dies nicht der Fall ist. Der Arbeitgeber, der sich hierauf beruft, muss dann allerdings nicht nur darlegen und ggf. beweisen, dass ein solches Verfahren praktiziert wurde, sondern auch, dass er das Verfahren konsequent zu Ende geführt hat. Deshalb muss er auch substantiiert dartun und im Bestreitensfall beweisen, wie viele Bewerbungen eingegangen sind, welche Bewerber/innen aus demselben Grund ebenso aus dem Auswahlverfahren ausgenommen wurden, welche Bewerber/innen, weil sie die Anforderung erfüllten, im weiteren Auswahlverfahren verblieben sind und dass der/die letztlich ausgewählte Bewerber/in die Anforderung, wegen deren Fehlens die klagende Partei aus dem weiteren Auswahlverfahren vorab ausgenommen wurde, erfüllt (BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14; BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08).

Einen solchen Vortrag hat die Beklagte auch im Berufungsverfahren nicht ansatzweise geleistet. Zwar hat sie behauptet, die - aus ihrer Sicht – deutliche Überqualifizierung des Klägers, seine – wiederum aus Sicht der Beklagten - zu hohe Gehaltsvorstellung und das Fehlen eines Hinweises auf eine bestehende Sportaffinität des Klägers in seinem Bewerbungsschreiben hätten die Beklagte dazu veranlasst, die Bewerbung des Klägers bei einer Zahl von ca. 130 Bewerbungen nicht weiter zu berücksichtigen. Ein substantiierter Vortrag zu den Einzelheiten des Auswahlverfahrens, insbesondere dazu, wann welche Bewerber/innen aus denselben Gründen aus dem Auswahlverfahren ausgenommen wurden, fehlt jedoch gänzlich, obwohl bereits im erstinstanzlichen Urteil auf die Erforderlichkeit eines solchen Vortrags hingewiesen wurde (vgl. hierzu die Ausführungen des Arbeitsgerichts Heilbronn in den Entscheidungsgründen auf Seiten 8 und 9. unter II.4.e)).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LAG Mecklenburg-Vorpommern: Keine Altersdiskriminierung im Sinne von § 1 AGG, § 7 AGG durch Formulierung "Junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut" in Stellenanzeige

LAG Mecklenburg-Vorpommern
Urteil vom 17.10.2023
2 Sa 61/23


Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat entschieden, dass keine unzulässige Altersdiskriminierung im Sinne von § 1 AGG, § 7 AGG, vorliegt, wenn in einer Stellenanzeige die Formulierung "Junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut" verwendet wird. Es handelt sich vielmehr - so das Gericht .- um eine überspitzte und ironische Beschreibung des Arbeitsumfelds.

LG Frankfurt: Altersgrenze von 47 Jahren für Schiedsrichter im Profifußball ist unzulässige Altersdiskriminierung - Manuel Gräfe gegen DFB - 48.500 Euro Entschädigung aus § 15 AGG

LG Frankfurt
Urteil vom 25.01.2023
2-16 O 22/21

Das LG Frankfurt hat im Rechtsstreit zwischen Manuel Gräfe gegen den DFB entschieden, dass die Altersgrenze von 47 Jahren für Schiedsrichter im Profifußball einer unzulässige Altersdiskriminierung darstellt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Altersdiskriminierung - Altersgrenze von Schiedsrichtern im Profifußball

Einem Schiedsrichter steht eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung zu, wenn er aufgrund des Erreichens der Altersgrenze von 47 Jahren nicht mehr in die Schiedsrichterliste des Deutschen Fußballbundes (DFB) aufgenommen worden ist. Das hat das Landgericht Frankfurt am Main heute entschieden.

Der DFB hat die Hoheit über den Arbeitsmarkt und den Einsatz von Schiedsrichtern im deutschen Fußball (sog. „Ein-Platz-Prinzip“). In seinen Regularien ist eine Altersgrenze für die Aufnahme in die Schiedsrichterlisten im Profifußball nicht vorgesehen. Jedoch scheiden Elite-Schiedsrichter regelmäßig im Alter von 47 Jahren aus. Davon wurde in den letzten fast vier Jahrzehnten keine Ausnahme gemacht.

Der Kläger war seit vielen Jahren Schiedsrichter im Auftrag des DFB. Seit 2004 leitete er Spiele der ersten Bundesliga. Nachdem der Kläger 47 Jahre alt geworden war, nahm ihn der DFB ab der Saison 2021/2022 nicht mehr in seine Schiedsrichterliste auf. Vor dem Landgericht Frankfurt am Main hat der Kläger von dem DFB eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung und den potentiellen Verdienstausfall für die Saison 2021/2022 verlangt sowie die Feststellung, dass der DFB auch künftige Schäden (z.B. Verdienstausfall) zu ersetzen habe.

In einem heute verkündeten Urteil hat die 16. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 48.500 Euro wegen einer Diskriminierung aufgrund seines Alters nach dem sog. Antidiskriminierungsgesetz zugesprochen. Für diesen Entschädigungsanspruch sei es ausreichend, wenn das Alter mitursächlich für die Beendigung der Schiedsrichterlaufbahn war. Ob auch andere Gründe eine Rolle spielten, sei rechtlich nicht maßgeblich.

Wenngleich in den Regelwerken des DFB eine Altersgrenze für Schiedsrichter nicht schriftlich fixiert sei, bestehe aber tatsächlich eine praktizierte Altersgrenze von 47 Jahren. Denn die Bewerber würden ab diesem Lebensjahr nahezu ausnahmslos nicht mehr berücksichtigt und der DFB habe die Bedeutung dieses Alters für das Ende einer Schiedsrichtertätigkeit auch öffentlich bekundet.

Es sei im Ergebnis willkürlich und daher nach den Regeln des Antidiskriminierungsgesetzes nicht gerechtfertigt, auf eine feste Altersgrenze von 47 Jahren abzustellen. „Zwar hat das Alter aus biologischen Gründen eine statistische Relevanz für die Eignung als Schiedsrichter, weil mit ihm die Leistungsfähigkeit nachlässt und das Verletzungsrisiko steigt“, so die Kammer. „Warum gerade das Alter von 47 Jahren für die Leistungsfähigkeit eines Elite-Schiedsrichters ausschlaggebend sein soll, wurde nicht dargelegt, etwa durch einen wissenschaftlichen Nachweis oder einen näher begründeten Erfahrungswert.“ Und weiter: „Es ist nicht ersichtlich, weshalb die individuelle Tauglichkeit der relativ geringen Anzahl von Bundesligaschiedsrichtern nicht in einem an Leistungskriterien orientierten transparenten Bewerbungsverfahren festgestellt werden könnte.“ Adäquate und gegebenenfalls wiederholte Leistungstests und -nachweise seien gegenüber einer starren Altersgrenze vorzugswürdig.

Für die Höhe der Entschädigung war nach der Urteilsbegründung unter anderem maßgeblich, dass das Antidiskriminierungsgesetz Sanktionscharakter hat. Die Richter bzw. die Richterin befanden zudem: „Die Benachteiligung des Klägers wiegt grundsätzlich schwer, weil sie von dem wirtschaftsstarken und eine Monopolstellung innehabenden Beklagten bewusst, (…) und ohne Rechtfertigungsansatz erfolgte.“

Ohne Erfolg blieb jedoch die Forderung des Klägers auf Ersatz von materiellen Schäden, insbesondere auf Zahlung von Verdienstausfall. Insoweit wurde seine Klage gegen den DFB abgewiesen. „Der Kläger hat nicht dargetan, dass er ohne die Altersgrenze tatsächlich bei der Listenaufstellung berücksichtigt worden wäre“, befanden die Richter. Dafür hätte er nicht nur erklären und unter Umständen beweisen müssen, „dass er nicht nur für die Stelle geeignet, sondern vielmehr der ,bestgeeignetste‘ Bewerber war.“ Diesen Nachweis habe der Kläger nicht erbracht.

Das heutige Urteil (Az.: 2-16 O 22/21) ist nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main angefochten werden. Die Entscheidung wird in Kürze unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abrufbar sein.

Auszug aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 1 AGG
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

§ 15 Abs. 1 und 2 AGG
(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. (…)

§ 8 Abs. 1 AGG
(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

§ 10 AGG
Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein (…)



LAG Schleswig-Holstein: Schadensersatz aus § 15 Abs. 2 AGG wegen diskriminierender Stellenanzeige bei Ebay-Kleinanzeigen nach Bewerbung über Chatfunktion - Sekretärin gesucht

LAG Schleswig-Holstein
Urteil vom 21.06.2022
2 Sa 21/22


Das LAG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass einem Bewerber Schadensersatz aus § 15 Abs. 2 AGG wegen einer diskriminierender Stellenanzeige bei Ebay-Kleinanzeigen zusteht, auch wenn eine formlose Bewerbung über die Chatfunktion des Internetportals erfolgt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Schadensersatz wegen diskriminierender Stellenanzeige in Ebay-Kleinanzeigen - Bewerbung über das Internetportal reicht aus, um als Bewerber im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu gelten

Wer sich auf eine Stellenanzeige im Internetportal „Ebay-Kleinanzeigen“ über die dortige Chat-Funktion bewirbt, genießt den Status eines Bewerbers. Das Einreichen weiterer Unterlagen ist nicht erforderlich. Angesichts des Anzeigentextes und der Antwort der Arbeitgeberin im Chat war klar, dass der Kläger aufgrund seines Geschlechts benachteiligt worden ist. Deshalb steht ihm eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern zu. Dies hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein am 21. Juni 2022 entschieden (2 Sa 21/22) und damit eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Elmshorn abgeändert, die dem Kläger keinen Bewerberstatus eingeräumt und damit auch keine Entschädigung zugesprochen hatte (4 Ca 592 a/21, Urteil vom 16. Dezember 2021).

Der in Nordrhein-Westfalen wohnende Kläger hatte sich auf die in Ebay-Kleinanzeigen veröffentliche Stellenanzeige des im Kreis Steinburg ansässigen Unternehmens beworben. In dessen Anzeige heißt es wörtlich:

„Sekretärin gesucht!

Beschreibung:
Wir suchen eine Sekretärin ab sofort.

Vollzeit/Teilzeit
Es wäre super, wenn sie Erfahrung mitbringen. …“

Der Kläger antwortete dem Unternehmen über die Chat-Funktion u.a. mit folgenden Worten:

„Hallo, ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen. Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die sie fordern.

Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle. …“

Das Unternehmen antwortete schließlich mit folgenden Worten:

„…vielen Dank für Interesse in unserem Hause. Wir suchen eine Dame als Sekretärin. Wir wünschen Ihnen alles Gute Vielen Dank. …“

Der Kläger machte gegenüber dem Unternehmen eine Entschädigung von drei Bruttomonatsgehältern geltend und war damit vor dem Landesarbeitsgericht erfolgreich.

Das Landesarbeitsgericht hält den für die Geltendmachung von Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG erforderlichen Bewerberstatus für gegeben. Wer eine Stellenanzeige in Ebay Kleinanzeigen veröffentlicht, muss damit rechnen, dass sich die Bewerber über die Ebay-Kleinanzeigen-Chatfunktion bewerben und nicht auf klassische Weise schriftlich unter Beifügung von Bewerbungsunterlagen. Ein inhaltliches Mindestmaß an Angaben zur Person des Bewerbers wird gesetzlich nicht gefordert. Die Person des Bewerbers muss identifizierbar sein.

Die Bewerbung des Klägers war nicht rechtsmissbräuchlich. An eine solche Annahme werden hohe Anforderungen gestellt: Es müssen im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten rechtfertigen. Das von der Beklagten Vorgetragene reichte dafür nicht aus.

Im Hamburger Umland ist unter Beachtung der laufenden Stellenangebote für eine Sekretärin in Vollzeit ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von EUR 2.700,00 zu zahlen, sodass die Klage in Höhe von EUR 7.800,00 (drei Gehälter á EUR 2.600,00) nicht überzogen war.

Die Revision ist nicht zugelassen worden.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.