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LG Verden: Widerrufsrecht nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen wenn Produkt nach Bestellung On-Demand in Standardgröße hergestellt wird

LG Verden
Urteil vom 03.07.2023
10 O 13/23


Das LG Verden hat entschieden, dass das Widerrufsrecht bei Fernabsatzgeschäften nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen ist, wenn ein Produkt nach der Bestellung On-Demand in einer von mehreren angebotenen Standardgrößen hergestellt wird.

Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

§ 312g Widerrufsrecht
(1) [...]
(2) Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:
1.Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind,
[...]


LG Cottbus: Widerrufsrecht ist nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen wenn sich Personalisierung des Produkts ohne Substanzeinbuße entfernen lässt

LG Cottbus
Urteil vom 29.09.2022
2 O 223/21


Das LG Cottbus hat entschieden, dass das Widerrufsrecht nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen ist, wenn sich eine Personalisierung des Produkts ohne Substanzeinbuße entfernen lässt.
.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Faksimiles aus §§ 357 Abs. 1, 355 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312b, 312 BGB.

a) Dem Kläger stand gemäß § 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu. Der Kläger hat mit der Beklagten einen Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB über die Lieferung eines Faksimiles „Liber Scivias – Die göttlichen Visionen der Hildegard von Bingen“ geschlossen und sich zur Zahlung eines Kaufpreises i.H.v. 7.920,00 € verpflichtet. Für eine Einschränkung des Anwendungsbereiches der Widerrufsvorschriften nach § 312 Abs. 2 bis 6 BGB bestehen keine Anhaltspunkte. Es handelt sich um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag im Sinne des § 312b BGB, denn jedenfalls hat der Kläger hat sein Kaufangebot bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit eines Vertreters der Beklagten in seiner Wohnung abgegeben, was gem. § 312b Abs. 1 Nr. 2 BGB ausreichend ist. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte das Angebot sogleich in der Wohnung des Klägers durch ihren Vertreter oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durch die Lieferung des Faksimiles angenommen hat.

b) Das Widerrufsrecht war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(1) Auf die handschriftliche Eintragung des Namens des Klägers in die eingeklebte „Notarielle Beurkundung“ kommt es nicht an, denn eine derartige Individualisierung des Faksimiles hat der Kläger nicht bestellt. Vielmehr ist in der Bestellurkunde eine Individualisierung durch ein Messingschild angekreuzt. Zwar hat die Beklagte behauptet, dass der Kläger eine Individualisierung durch eine notarielle Beurkundung gewünscht habe. Für diese – vom Inhalt der Bestellurkunde abweichende – Behauptung hat die Beklagte jedoch keinen Beweis angetreten. Durch eine ohne ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers vom Unternehmer vorgenommene und damit aufgedrängte Individualisierung wird das Widerrufsrecht nicht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(2) Das Widerrufsrecht war jedoch auch nicht durch die vom Kläger bestellte Individualisierung in Form der Anbringung eines Messingschildes mit seinem Namen gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(i) Das Widerrufsrecht war schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil die Beklagte ein Faksimile mit der bestellten Individualisierung durch ein Messingschild nicht geliefert hat.

Zwar ist es für das Eingreifen des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB – anders als der Kläger meint – grundsätzlich unerheblich, ob der Unternehmer die vereinbarte Individualisierung im Zeitpunkt des Widerrufs bereits vorgenommen hat. Insofern ist allein entscheidend, ob sich die Parteien über eine tatbestandsmäßige Individualisierung der Kaufsache geeinigt haben. Wann der Unternehmer diese Individualisierung vornimmt, spielt keine Rolle (EuGH, Urt. v. 21.10.2020 – C-529/19 – Juris, Rn. 15 ff.).

Vorliegend kann sich die Beklagte auf einen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB vor der Lieferung eines entsprechend personalisierten Faksimiles jedoch nach Treu und Glauben aus § 242 BGB nicht berufen, denn sie hat den Kläger in der Bestellurkunde über einen Ausschluss des Widerrufsrechts irreführend belehrt, indem sie dort darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle der Personalisierung „nach Lieferung“ ausgeschlossen sei. Der durchschnittliche Adressat der Bestellurkunde ohne besondere Rechtskenntnisse konnte diesen Hinweis ohne Weiteres dahingehend verstehen, dass ein Widerrufsrecht vor der Lieferung des entsprechend personalisierten Faksimile noch nicht ausgeschlossen ist. An diesem von ihr unmittelbar durch die Gestaltung der Bestellurkunde vermittelten (rechtlich unzutreffenden) Eindruck muss sich die Beklagte unbeschadet des Umstandes festhalten lassen, dass sie in der Widerrufsbelehrung (rechtlich zutreffend aber abstrakt) darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle einer Individualisierung der Ware generell ausgeschlossen ist.

Die Beklagte hat das bestellte Faksimile mit einer Personalisierung durch ein Messingschild mit dem Namen des Klägers nicht geliefert. Sie kann sich somit auf einen etwaigen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB aus Treu und Glauben nicht berufen.

(ii) Unbeschadet dessen wäre das Widerrufsrecht jedoch auch ohne den rechtlich unzutreffenden Hinweis auf der Bestellurkunde nicht ausgeschlossen, weil sich das vom Kläger bestellte Messingschild nach seinem unbestrittenen Vortrag ohne Einbuße an der Substanz des Faksimiles wieder entfernen und durch ein anderes gleich großes Messingschild ersetzen ließe.

Nach dem Sinn und Zweck des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB soll ein Widerruf in Fällen ausgeschlossen sein, in denen die Angaben des Verbrauchers, nach denen die Ware angefertigt wird, die Sache so individualisieren, dass diese für den Unternehmer im Falle ihrer Rücknahme wirtschaftlich wertlos ist, weil er sie wegen ihrer vom Verbraucher veranlassten besonderen Gestalt anderweitig nicht mehr oder allenfalls noch unter erhöhten Schwierigkeiten und mit erheblichem Preisnachlass absetzen kann. Entscheidend ist, ob die Anfertigung der Ware bzw. deren Zuschnitt auf die Bedürfnisse des Verbrauchers nicht ohne Einbuße an Substanz und Funktionsfähigkeit ihrer Bestandteile bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand wieder rückgängig zu machen ist (BGH, Urt. v. 19.03.2003 – VIII ZR 295/01 – Juris, Rn 15). Rückbaukosten jedenfalls unter 5 % des Warenwerts sind dabei als noch verhältnismäßig anzusehen (BGH, a.a.O., Rn. 19). An dieser Rechtsauffassung ist auch nach Inkrafttreten der Verbraucherrechterichtlinie vom 25.10.2011 (Richtlinie 2011/83/EU) unverändert festzuhalten (vgl. Buchmann, Das neue Fernabsatzrecht 2014 (Teil 3), in: K&R 2014, S. 369 (372); Wendehorst, in: MüKo-BGB, 9. Auflage 2022, § 312g Rn. 17).

Auf dieser Grundlage sind die Voraussetzungen eines Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB durch die Vereinbarung der Anbringung eines Messingschildes mit dem Namen des Klägers nicht gegeben. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers ließe sich das Messingschild problemlos wieder entfernen und durch ein anderes, gleich großes Messingschild mit dem Namen eines anderen Käufers ersetzen. Der Wert des Messingschildes liegt unbestritten unter 20,00 € und damit weit unter 1 % des vereinbarten Kaufpreises. Die Beklagte könnte ein durch ein Messingschild für den Kläger personalisiertes Faksimile daher ohne Überschreiten der Opfergrenze wieder verkehrsfähig machen und erneut zum Kauf anbieten.

c) Der Kläger hat das Widerrufsrecht auch ordnungsgemäß, insbesondere fristgemäß ausgeübt.

(1) In seiner Erklärung vom 21.01.2021 hat der Kläger zwar nicht das Wort „Widerruf", sondern das Wort „Widerspruch" verwendet. Aus den Umständen konnte die Beklagte jedoch ohne Weiteres entnehmen, dass ein Widerruf gemeint war. Schließlich hat die Beklagte die Erklärung ausweislich ihres Antwortschreibens vom 04.02.2021 auch in diesem Sinne verstanden (falsa demonstratio non nocet).

(2) Die Widerrufsfrist war am 21.01.2021 noch nicht abgelaufen.

(i) Die allgemeine Widerrufsfrist von 14 Tagen (§§ 355 Abs. 2 Satz 1, 312g Abs. 1 BGB) hatte gem. § 356 Abs. 3 S. 1 BGB noch nicht zu laufen begonnen, weil die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht unterrichtet hatte.

Grundvoraussetzung für eine ordnungsgemäße Belehrung über die Bedingungen für die Ausübung des Widerrufsrechts gem. Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB ist die Belehrung darüber, dass ein Widerrufsrecht überhaupt besteht. Die Beklagte hat durch die Gestaltung des Bestellformulars, wonach bei Ankreuzung des Kästchens zur Personalisierung durch das Messingschild ein Widerrufsrecht nach Lieferung ausgeschlossen sei, jedoch den unzutreffenden Eindruck erweckt, dass ein Widerrufsrecht im konkreten Fall jedenfalls nach Lieferung nicht mehr bestehe. Dieser unmittelbar durch die Bestellurkunde erweckte unzutreffende Eindruck wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass die Voraussetzungen eines Ausschlusses des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB in der Widerrufsbelehrung in abstrakter Weise korrekt dargestellt worden sind.

Darüber hinaus ist die Widerrufsbelehrung jedoch auch deshalb fehlerhaft, weil entgegen Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EBGBG die Anschrift der Beklagten nicht angegeben ist. Insofern weicht die Widerrufsbelehrung auch von dem Muster nach Anlage 1 zu Artikel 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB ab, nach dessen Gestaltungshinweis Nr. 2 in die Widerrufsbelehrung den Namen, die Anschrift, die Telefonnummer und die E-Mail-Adresse des Unternehmers einzutragen sind.

(ii) Die Ausschlussfrist gem. §§ 356 Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 lit. a BGB von zwölf Monaten und 14 Tagen ab Lieferung war zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung im Januar 2021 noch nicht verstrichen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamm: Rügepflicht für offensichtliche Mängel gegenüber Verbrauchern wettbewerbswidrig - abweichende Widerrufsbelehrungen wettbewerbswidrig

OLG Hamm
Urteil vom 24.05.2012
I-4 U 48/12


Das OLG Hamm hat entschieden, dass die Vereinbarung einer Rügepflicht auch für offensichtliche Mängel gegenüber Vebrauchern wettbewerbswidrig ist. Dies folgt - so das OLG Hamm zutreffend - aus § 475 BGB.

Der Online-Händler hatte folgende Klausel in seinen AGB verwendet:
„Etwaige offensichtliche Mängel sind unverzüglich spätestens jedoch 2 Wochen nach Übergabe des Kaufgegenstandes dem Anbieter gegenüber schriftlich anzuzeigen“.

Aus den Entscheidungsgründen:
"Da eine vereinbarte Rügepflicht zu Lasten des Verbrauchers vom geltenden Recht abweicht und die Mängelrechte zumindest faktisch zum Nachteil des Verbrauchers einschränkt, ist eine solche Vereinbarung nach § 475 BGB nicht zulässig (Münchener Kommentar-Wurmnest, Band 2, 6. Auflage 2012, § 309 Nr. 8 Rdn. 62; a.A. Palandt-Grüneberg, 71. Auflage, § 309 BGB Rdn. 78). Die Verbraucherschutznorm des § 309 BGB soll und kann insoweit die speziell für den Verbrauchsgüterkauf geltende Schutznorm des § 475 BGB nicht einschränken"

Ferner hat das OLG Hamm entschieden, dass die Verwendung von zwei unterschiedlichen Widerrufsbelehrungen ebenfalls wettbewerbswidrig ist. So befand sich an gesonderter Stelle eine Widerrufsbelehrung mit der dem aktuellen Verweis auf 312 g Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 246, § 3 EGBGB". In den AGB war noch der alte Verweis auf 312 e Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 246, § 3 EGBGB" in der Widerrufsbelehrung enthalten.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Es liegt auch im Hinblick auf die Verwendung der zwei unterschiedlichen Widerrufsbelehrungen ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 312 c Abs. 1, Art. 246 § 1 Abs. 1 Nr. 10 EGBGB vor. Denn eine Widerrufsbelehrung ist nur dann ordnungsgemäß, wenn sie für den Verbraucher eindeutig klarstellt, welche einzelnen Bedingungen für die Ausübung des Rechts gelten und welche Folgen die Ausübung des Rechts hat. Es dürfen somit grundsätzlich keine unterschiedlichen Belehrungen erteilt werden, weil der Verbraucher dadurch irritiert wird und letztlich nicht weiß, welche der Belehrungen richtig ist und gelten soll (vgl. Senatsurteil vom 26. Mai 2011 – I-4 U 35 / 11). "


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: