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LG Köln: Haribo Goldbären nach § 4 Nr. 3 b UWG wettbewerbsrechtlich vor Nachahmungen geschützt

LG Köln
Urteil vom 23.08.2016
33 O 82/16


Das LG Köln hat entschieden, dass Haribo Goldbären nach § 4 Nr. 3 b UWG wettbewerbsrechtlich vor Nachahmungen geschützt sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Verfügungsanspruch folgt aus §§ 3, 4 Nr. 3 b), 8 UWG. Die Antragstellerin kann von der Antragsgegnerin gem. § 8 Abs. 1 UWG Unterlassung des Vertriebs von Fruchtgummiprodukten in der im Tenor der Beschlussverfügung vom 01.06.2016 wiedergegebenen Gestaltung verlangen, wenn dies in der dort ebenfalls wiedergegebenen Verpackung geschieht, da die Antragsgegnerin damit § 3 Abs. 1 UWG zuwidergehandelt hat. Danach sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig, wenn sie geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Unlauter im Sinne des § 3 UWG handelt gem. § 4 Nr. 3 b) UWG insbesondere, wer Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er die Wertschätzung der nachgeahmten Waren unangemessen ausnutzt.

Gem. § 4 Nr. 3 UWG kann der Vertrieb eines nachahmenden Erzeugnisses wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt über wettbewerbliche Eigenart verfügt und besondere Umstände hinzutreten, die die Nachahmung unlauter erscheinen lassen. So verhält es sich, wenn der Mitbewerber mit der Nachahmung die Wertschätzung der nachgeahmten Waren unangemessen ausnutzt , § 4 Nr. 3 lit. b) UWG. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen, so dass bei einer größeren wettbewerblichen Eigenart und einem höheren Grad der Übernahme geringere Anforderungen an die besonderen Umstände zu stellen sind, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. nur BGH GRUR 2010, 80 Tz. 21 - LiKEaBIKE).

Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich der Vertrieb der angegriffenen Fruchtgummiprodukte in der verfahrensgegenständlichen Verpackung als wettbewerbswidrig.

Die von der Antragstellerin unter der Bezeichnung „H“ vertriebenen Fruchtgummiprodukte sind wettbewerblich eigenartig. Wettbewerbliche Eigenart weist ein Erzeugnis auf, dessen konkrete Ausgestaltung oder bestimmte – auch technische - Merkmale geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten des Erzeugnisses hinzuweisen. Für das Vorliegen der wettbewerblichen Eigenart ist eine Bekanntheit des betreffenden Erzeugnisses nicht Voraussetzung (vgl. BGH GRUR 2010, 80 Tz. 23 – LIKEaBIKE; BGH GRUR 2007, 984, 986 Tz. 24 – Gartenliege).

Zur Bestimmung des Grades der wettbewerblichen Eigenart ist auf den Gesamteindruck abzustellen, den die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des nachgeahmten Erzeugnisses vermitteln. Dieser Gesamteindruck eines Erzeugnisses kann dabei auch durch Gestaltungsmerkmale bestimmt oder mitbestimmt werden, die für sich genommen nicht geeignet sind, im Verkehr auf dessen Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen. Derartige Gestaltungsmerkmale können nämlich in ihrem Zusammenwirken eine wettbewerbliche Eigenart verstärken oder begründen (vgl. BGH GRUR 2010, 80 Tz. 34 – LIKEaBIKE).

Dabei ist zu beachten, dass eine wettbewerbliche Eigenart eines Produkts nicht voraussetzt, dass die zu seiner Gestaltung verwendeten Einzelmerkmale originell sind. Auch ein zurückhaltendes, puristisches Design kann geeignet sein, die Aufmerksamkeit des Verkehrs zu erwecken und sich als Hinweis auf die betriebliche Herkunft des Produkts einzuprägen (OLG Köln, GRUR-RR 2003, 183). Es entspricht der Lebenserfahrung, dass der Verkehr unter Umständen gerade durch die Verwendung eines schlichten, an der Grundform eines Produkts orientierten Designs auf die Herkunft oder die Besonderheiten eines Erzeugnisses hingewiesen wird. In diesem Fall kann von einem Allerweltserzeugnis oder Dutzendware, bei denen der Verkehr auf die betriebliche Herkunft oder Qualität keinen Wert legt, keine Rede sein (BGH GRUR 2012, 1155, Tz. 34 – Sandmalkasten).

Insoweit gilt bezüglich der von der Antragstellerin vertriebenen Gummibärchen Folgendes:

Der Gesamteindruck dieser Produkte wird geprägt durch das Zusammenwirken folgender Gestaltungselemente:

spitz nach vorn zulaufende und geradlinig nach vorn weisende Extremitäten, die vor dem Körper bzw. sich seitlich unmittelbar an den Körper anschließend angeordnet sind;
eine spitz nach vorne zulaufende Nase;
spitz und vom Kopf nach oben diagonal weg laufende Ohren;
durch ovale Einkerbungen angedeutete Brusthaare.

Dies führt zu einer charakteristischen Formgebung der H unabhängig von Farbe bzw. Geschmacksrichtungen, bei der die Bärendarstellung stark abstrahiert ist und die das Vorbild in der Natur nur noch andeutungsweise erkennen läßt. Zugleich bewirken die schemenhafte Darstellung und die stark reduzierten Außenformen, dass das Produkt einen eher kantigen und kompakten Eindruck vermittelt. Dabei wird das Produkt stets in sechs verschiedenen Farben angeboten (Dunkelrot, Gelb, Grün, Orange, Hellrot, Weiß), die jeweils einer bestimmten Geschmacksrichtung zugeordnet sind (Himbeere, Zitrone, Apfel, Orange Erdbeere, Ananas).

Dass im Produktumfeld Fruchtgummiprodukte in Form sog. Gummibärchen vertrieben werden, die diese wettbewerbliche Eigenart schmälern könnten, hat die insoweit darlegungspflichtige Antragsgegnerin nicht dargetan. Zwar hat sie vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass es im Umfeld zahlreiche weitere Angebote von Gummibärchen gibt. Die Kammer vermag allerdings nicht der Einschätzung der Antragsgegnerin zu folgen, dass diese sich in der Formgebung praktisch nicht von den H der Antragstellerin unterscheiden lassen. Nach den vorgelegten Abbildungen ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Sämtliche Konkurrenzprodukte – mit Ausnahme des vorliegend beanstandeten Produkts - weisen nämlich deutlich ausgeprägtere Körperformen insbesondere im Bereich des Kopfes und der Ohren auf, wodurch diese dem Vorbild in der Natur näher kommen. Dabei wird durch die betonten Rundungen die Figürlichkeit des stilisierten Bärchens erkennbar herausgearbeitet. Dies ist bei allen vorgestellten Umfeldprodukten derart signifikant, dass sich nach Auffassung der Kammer eine Erörterung jedes einzelnen dieser Produkte erübrigt.

Die Kammer vermag auch nicht der von der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung nochmals vertieften Auffassung zu folgen, dass der Verkehr angesichts der geringen Größe des einzelnen Produktes und der Verzehrgewohnheiten („mehrere Gummibärchen gleichzeitig“) die Formgebung nicht wahrnimmt bzw. hierauf keinen Wert legt. Insoweit verkennt die Antragsgegnerin, dass gerade im Bereich der Nahrungsmittel der Verkehr daran gewöhnt ist, aus der individuellen Formgebung von Produkten auch auf die Herkunft aus einem bestimmten Betrieb zu schließen. Denn an solchen individuellen Erkennungsmerkmalen werden regelmäßig Güte- und Qualitätsvorstellungen angeknüpft, die wiederum häufig auch mit bestimmten Geschmackserwartungen verbunden sind. Erst recht gilt dies für den sog. Süsswarenbereich, in dem die Formgebung sehr oft vom Hersteller nahezu frei wählbar ist. Jedenfalls hat die Antragsgegnerin keinen Anhaltspunkt dafür aufgezeigt, dass der Verkehr bei Gummibärchen regelmäßig von einem Allerweltserzeugnis oder von Dutzendware ausgeht, bei denen er auf die betriebliche Herkunft oder Qualität der Ware keinen Wert legt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: