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LG Köln: Urheberrechtsverletzung durch Aufbereitung und Übernahme einer Kurzgeschichte von Heinrich Böll in einem YouTube-Lehrvideo

LG Köln
Teilurteil vom 28.03.2024
14 O 181/22


Das LG Köln hat entschieden, dass eine Urheberrechtsverletzung durch Aufbereitung und Übernahme einer Kurzgeschichte von Heinrich Böll in einem YouTube-Lehrvideo vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten den aus dem Tenor ersichtlichen Unterlassungsanspruch aus §§ 97 Abs. 1 S. 1, 15, 19a UrhG.

a) Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach dem Sach- und Streitstand fest und folgt maßgeblich aus dem von der Klägerin als Anlage K9 vorgelegten Generalvertrag vom 02.12.1999, mit dem sämtliche Herrn N. C. als Erben von Heinrich Böll zustehenden Verlagsrechte auf die Klägerin übertragen wurden.

Unstreitig ist das streitgegenständliche Werk „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ des Autors Heinrich Böll in der im Verlag der Klägerin herausgegebenen Textsammlung „Heinrich Böll Werke, Kölner Ausgabe, Band 12: 1959– 1963“ (ISBN 978-3-462-03286-4), von M. C. E. erschienen.

Damit ist von der Aktivlegitimation der Klägerin auszugehen.

Dem ist der Beklagte auch nicht mehr entgegengetreten.

b) Die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll ist ein Sprachwerk gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG.

Sprachliche Mitteilungen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützt, wenn sie entweder ihrer Darstellungsform nach oder wegen ihres Inhaltes eine persönliche geistige Schöpfung beinhalten (Wandtke/Bullinger/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 2 Rn. 48, mit weiteren Nachweisen).

Bei einem Sprachwerk kann die urheberrechtlich geschützte, individuelle geistige Schöpfung sowohl in der von der Gedankenführung geprägten Gestaltung der Sprache als auch in der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffes zum Ausdruck kommen. Soweit die schöpferische Kraft eines Schriftwerkes dagegen allein im innovativen Charakter seines Inhalts liegt, kommt ein Urheberrechtsschutz nicht in Betracht. Der gedankliche Inhalt eines Schriftwerkes muss einer freien geistigen Auseinandersetzung zugänglich sein. Die einem Schriftwerk zugrunde liegende Idee ist daher urheberrechtlich grundsätzlich nicht geschützt.

Anders kann es sich verhalten, wenn diese Idee eine individuelle Gestalt angenommen hat, wie dies beispielsweise bei der eigenschöpferischen Gestaltung eines Romanstoffs der Fall ist. Dann kann die auf der individuellen Phantasie des Dichters beruhende Fabel wie etwa der Gang der Handlung, die Charakteristik der Personen oder die Ausgestaltung von Szenen urheberrechtlich geschützt sein (BGHZ 141, 267, 279 - Laras Tochter; zitiert nach: BGH, Urteil vom 1. Dezember 2010 – I ZR 12/08 – Perlentaucher, Rn. 36, juris; mit weiteren Nachweisen).

So ist bei einem Roman – oder, wie hier, bei der „Anekdote“ von Heinrich Böll – als Werk der Literatur im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG nicht nur die konkrete Textfassung oder die unmittelbare Formgebung eines Gedankens urheberrechtlich schutzfähig. Auch eigenpersönlich geprägte Bestandteile und formbildende Elemente des Werkes, die im Gang der Handlung, in der Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Personen, der Ausgestaltung von Szenen und in der "Szenerie" des Romans liegen, genießen Urheberrechtsschutz (vgl. BGH, Urteil vom 29.04. 1999 – I ZR 65/96 – Laras Tochter – Beck online; mit weiteren Nachweisen).

aa) Unabhängig davon, dass die Kammer ohne weiteres die Voraussetzungen eines Sprachwerkes bei der „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ infolge der durch die individuelle Gedankenführung geprägten sprachliche Gestaltung annimmt, geht sie auch davon aus, dass der Autor Heinrich Böll eine Fabel im vorstehenden Sinne durch eine individuelle Auswahl und Darstellung des Inhalts seiner Anekdote geschaffen hat. Dabei teilt die Kammer die Auffassung der Klägerin, dass die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll auch durch eine urheberrechtlich geschützte Fabel geprägt ist. Der Autor Heinrich Böll lässt die sich gegenüberstehenden Positionen, ob man ein glückliches und/oder erfülltes Leben aufgrund einer arbeitsreichen und auf wirtschaftliche Erfolge ausgerichteten Lebensweise führen kann oder ob man dies auch mit wenig Aufwand erreichen kann, pointiert aufeinanderstoßen. Diese grundlegend unterschiedliche Lebenseinstellung, nämlich ob der Mensch arbeitet, um zu leben, und nicht lebt, um zu arbeiten, oder andersherum, greift Heinrich Böll in der Form der klassischen Anekdote und damit in der kurzen und prägnanten Schilderung einer Begebenheit auf, die diesen Grundkonflikt plastisch darstellt.

Dies hat Heinrich Böll dergestalt in eine konkrete Form umgesetzt, dass in einer idyllischen und sonnigen Umgebung an einer Küste am Meer ein Fischer den Ort und die Situation genießt, als ihn ein Fremder (Tourist) anspricht und beide in ein Gespräch kommen, wobei der Fremde dem Fischer die Möglichkeiten aufzeigt, durch fleißige Arbeit sein Fischerei-Geschäft auszuweiten, während der Fischer mit dem zufrieden ist, was er hat, insbesondere betreffend den am selben Tag bereits von ihm gemachten guten Fang. Als der Fremde dem Fischer darlegt, dass er bei Erfolg seines Unternehmens sich zur Ruhe setzen und die schöne Umgebung genießen könne, weist ihn der Fischer darauf hin, dass er das ja bereits jetzt tue, was Böll dahin auflöst, dass der Fremde nachdenklich von dannen zieht.

Mit dieser konkreten Geschichte des Fischers und des Fremden in der konkreten örtlichen Umgebung hat Heinrich Böll seine Gedanken zu dem Gegensatz: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, konkret körperlich festgelegt.

bb) Dem urheberrechtlichen Schutz als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG steht nicht entgegen, dass von Heinrich Böll gemeinfreie Elemente bzw. Elemente aus dem vorbekannten Formenschatz in seiner Anekdote übernommen worden wären.

Dabei ist zunächst richtig, dass der sowohl der Anekdote von Heinrich Böll als auch dem Video von dem Beklagten zugrunde liegende Grundgedanke des Gegensatzes: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, als solcher nicht geschützt ist.

Die konkrete Geschichte des Fischers und des Fremden sowie ihre Diskussion betreffend diesen Gegensatz ist jedoch nicht vorbekannt. Insbesondere enthält die Anekdote von Heinrich Böll nach dem Sach- und Streitstand auch nicht ganz oder teilweise Elemente, die zum sogenannten vorbekannten Formenschatz gehören. Dieser Einwand des Beklagten bleibt insgesamt vage; zur Begründung verweist der Beklagte darauf, dass „selbst der satirische Einfall in der Anekdote“ nicht von Böll selbst stamme, sondern er hier einen Anfang der 1960er Jahre kursierenden anekdotischen Witz aufgegriffen habe.

Bei diesem Einwand bleibt schon unklar, was genau nach Auffassung des Beklagten zum vorbekannten Formenschatz bzw. zu vorbekannten Ausdrucksformen gehören soll.

Jedenfalls hätte nach dem diesbezüglichen Bestreiten der Klägerin und des dazu erfolgten klägerischen Vortrags, die Klägerin habe die von dem Beklagten angeführte Fundstelle nicht nachvollziehen können, der Beklagte weiter vortragen und (vor allem) Beweis anbieten müssen.

Grundsätzlich muss der Verletzer durch Vorlage von konkreten Entgegenhaltungen darlegen und beweisen, dass der Urheber bei der Erschaffung seines Werkes auf Vorbekanntes zurückgegriffen habe (BGH GRUR 2002, 958, 960 – Technische Lieferbedingungen). Wer behauptet, eine Formgestaltung beruhe auf dem vorbekannten Formenschatz, muss dies beweisen (OLG Düsseldorf ZUM-RD 2002, 419, 424 – Breuer-Hocker; zitiert nach: Dreier/Schulze/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 2 Rn. 73).

Daran fehlt es vorliegend schon mit Blick auf die hinreichend substantiierte Darlegung.

c) Der Beklagte hat mit seinem Video „Der weise Fischer/Anekdote zur Arbeitsmoral/Böll“ in den Schutzbereich der Anekdote eingegriffen, indem er das Video öffentlich zugänglich gemacht hat, und damit eine Urheberrechtsverletzung gemäß §§ 97 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 15 Abs. 2, 19 a UrhG begangen.

aa) Entgegen der Auffassung des Beklagten bezieht sich der Klageantrag zu 1) auch nicht auf das falsche Werk. Die Klägerin hat Rechte (nur) an der Anekdote von Heinrich Böll, nicht aber an dem vom Beklagten erstellten Video.

Eine Verletzung des Urheberrechts gemäß § 97 UrhG liegt indes nicht nur bei einer identischen widerrechtlichen Nachbildung eines Werks vor. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, nach der Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werks nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden dürfen, ergibt sich, dass der Schutzbereich des Veröffentlichungsrechts im Sinne von § 12 UrhG und der Verwertungsrechte gemäß § 15 UrhG sich - bis zu einer gewissen Grenze - auch auf vom Original abweichende Gestaltungen erstreckt (BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 55] - Porsche 911, mwN; BGH, Urteil vom 15.12.2022 – I ZR 173/21 – Rn. 27 – Vitrinenleuchte).

Bei der Prüfung, ob eine Veränderung eines Werks in den Schutzbereich des Urheberrechts fällt, ist zu berücksichtigen, dass jede Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, soweit sie körperlich festgelegt ist, zugleich eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellt. Zu den Vervielfältigungen zählen nicht nur Nachbildungen, die mit dem Original identisch sind; vom Vervielfältigungsrecht des Urhebers werden vielmehr auch - sogar in einem weiteren Abstand vom Original liegende - Werkumgestaltungen erfasst, wenn die Eigenart des Originals in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN). Allerdings führt nicht jede Veränderung eines Werks zu einer Bearbeitung oder anderen Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG. In einer nur unwesentlichen Veränderung einer benutzten Vorlage ist nicht mehr als eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG zu sehen. Eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG setzt daher eine wesentliche Veränderung der benutzten Vorlage voraus. Ist die Veränderung der benutzten Vorlage indessen so weitreichend, dass die Nachbildung über eine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügt und die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG und keine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG, sondern ein selbständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN).

Aus diesen Grundsätzen ergibt sich folgende Prüfungsfolge: Zunächst ist im Einzelnen festzustellen, welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werks bestimmen. Sodann ist durch Vergleich der einander gegenüberstehenden Gestaltungen zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang in der neuen Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werks übernommen worden sind. Maßgebend für die Entscheidung ist letztlich ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind. Stimmt danach der jeweilige Gesamteindruck überein, handelt es sich bei der neuen Gestaltung um eine Vervielfältigung des älteren Werks (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 – Porsche 911, mwN). Weicht hingegen der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise ab, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind, greift die neue Gestaltung nicht in den Schutzbereich des älteren Werks ein (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 58 – Porsche 911, mwN). Bei der Feststellung des Gesamteindrucks sowie der Feststellung, in welchem Umfang eigenschöpferische Züge eines Werks übernommen worden sind, handelt es sich um Tatfragen (BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 31 – Vitrinenleuchte).

Eine neue Gestaltung greift danach schon dann nicht in den Schutzbereich eines älteren Werks ein, wenn ihr Gesamteindruck vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht mehr darauf an, ob die neue Gestaltung die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt. Selbst wenn mit der neuen Gestaltung unter Benutzung des älteren Werks ein neues Werk geschaffen worden sein sollte, könnte dieser Umstand für sich genommen einen Eingriff in die Urheberrechte am älteren Werk nicht rechtfertigen. Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann eine Einschränkung des Schutzbereichs außerhalb der Schranken nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass kulturelles Schaffen nicht ohne ein Aufbauen auf früheren Leistungen anderer Urheber denkbar ist (EuGH, GRUR 2019, 929 Rn. 56 bis 65 - Pelham u.a; BGH, Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 222/20 – Porsche 911).

Die Kammer interpretiert dabei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so, dass – ungeachtet des Wortlauts von § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG n.F. – ein Bereich existiert, der außerhalb des Schutzbereichs des älteren Werks liegt, obwohl die neue Gestaltung ihrerseits nicht die Anforderungen an ein urheberrechtliches Werk erfüllt. Dann liegt weder eine Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG, noch eine (unfreie) Bearbeitung im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG vor. Maßgeblich ist allein, ob der jeweilige Gesamteindruck voneinander abweicht. Eine hinreichende Abweichung liegt dann vor, wenn der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, ohne dass es noch auf die Werkqualität der neuen Gestaltung ankäme (kritisch: Peifer, GRUR 2022, 967, 969; Stieper, GRUR 2023, 575, 576 f., der zutreffend darauf hinweist, dass die Formulierungen in BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 f. – Porsche 911, einerseits und BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 28 f. – Vitrinenleuchte, andererseits voneinander abweichen).

bb) In Anwendung dieser Grundsätze hat der Beklagte eine Urheberrechtsverletzung zulasten der Klägerin begangen.

(1) Dem steht zunächst nicht entgegen, dass der Beklagte das Sprachwerk von Heinrich Böll, das hier in der Form eines Schriftwerkes vorliegt, in ein anderes Medium, nämlich in einen Film, eingebunden hat. Entgegen der Auffassung des Beklagten trifft es – jedenfalls in dieser generellen Form – nicht zu, dass allein die Übertragung in eine andere Kunstform einen Eingriff in den Schutzbereich des älteren Werkes ausscheiden lässt. Dies ergibt sich so schon auch nicht aus der von dem Beklagten dazu angeführten Fundstelle im Kommentar zum Urheberrecht von Wandtke/Bullinger. Maßgeblich ist auch nach der dort genannten Auffassung, ob und inwieweit die den Urheberrechtsschutz auslösenden Gestaltungsmerkmale des älteren Werkes übernommen worden sind. Nur dann, wenn die neu geschaffene Gestaltung (im dortigen Beispiel die Vertonung eine Sprachwerkes) keine urheberrechtlich geschützten Bestandteile des älteren Werkes, das der anderen Werkgattung angehört, aufweist, liegt ein aus urheberrechtlicher Sicht irrelevanter Fall der Inspiration durch das Werk einer anderen Gattung für ein eigenes Werk vor (vergleiche Wandtke/Bullinger/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 23 Rn. 33).

Werden hingegen die den Urheberrechtsschutz auslösenden Gestaltungsmerkmale übernommen, etwa im Falle der bildhaften Wiedergabe von körperlichen Kunstwerken, liegt eine Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG vor (BGH, Urteil vom 4. Mai 2000 – I ZR 256/97 – Parfumflakon I). Denn grundsätzlich stellt jede körperliche Festlegung eines Werkes, die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Art mittelbar oder unmittelbar wahrnehmbar zu machen, eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 Abs. 1 UrhG dar (vergleiche BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 – I ZR 25/15 – P. of Warcraft I, Rn. 37).

Dies ergibt sich nicht zuletzt auch schon daraus, dass das Gesetz in § 23 Abs. 2 UrhG ausdrücklich die Übertragung in ein anderes Medium als Bearbeitung oder andere Umgestaltung des ursprünglichen Werkes einordnet, insbesondere die Verfilmung eines Werkes gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 1 UrhG, worauf die Klägerin zurecht hinweist.

(2) Die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ ist auch in seiner Fabel urheberrechtlich geschützt. Insofern wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.

(3) Diese Fabel hat der Beklagte in seinem Video übernommen.

Auch in dem Video des Beklagten spielt die Geschichte an einer sonnigen Küste am Meer. Die beiden Akteure sind in gleicher Weise als Fischer einerseits und als Fremder bzw. Besucher (oder Tourist) andererseits ausgewählt. Der Beklagte lässt den Fremden den Fischer darauf ansprechen, dass er die günstige Gelegenheit nutzen könne, durch weitere Arbeit sein Unternehmen vergrößern und schließlich andere für sich arbeiten lassen könne, während er einfach die schöne Umgebung am Wasser genießen könne. Ebenso wie in der Anekdote von Heinrich Böll erhält der Fischer in dem Video des Beklagten dem Fremden entgegen, dass er dies ja schon tue, ohne die von dem Fremden angeregte Mehrarbeit erledigen zu müssen, was den Fremden zum Nachdenken bringt.

Damit sind die maßgeblichen Gestaltungsmerkmale, welche die konkrete Geschichte von Heinrich Böll, mit denen er den Gegensatz: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, beleuchtet und auf seine Art und Weise auflöst, übernommen und stimmt der letztlich maßgebliche Gesamteindruck beider Werke überein.

Insbesondere verblassen die Gestaltungsmerkmale der Anekdote von Heinrich Böll nicht in dem Video des Beklagten. Vielmehr werden sie sämtlich übernommen, wie vorstehend dargelegt. Dass im Detail von dem Beklagten einige Veränderungen vorgenommen worden sind, wie etwa der Dialekt der handelnden Personen, die – nach Meinung des Beklagten modernere – Wortwahl und Teile der Szenerie, ändert nichts daran, dass die in der Anekdote von Heinrich Böll erzählte Fabel in ihren wesentlichen Gestaltungsmerkmalen auch in dem Video des Beklagten wieder zu erkennen ist, worauf der Beklagte nicht zuletzt im Titel seines Videos „Der weise Fischer/Anekdote zur Arbeitsmoral/Böll“ selbst hinweist. Denn auch hier wird der Gegensatz: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, mit den gleichen Gestaltungsmerkmalen des Fischers und des Fremden mit dem jeweils gleichen Ansatz des Fischers einerseits (Arbeiten, um zu leben) und des Fremden (Leben, um zu arbeiten) und der Quintessenz, die der Fremde daraus zieht, gestaltet.

Insofern ergibt sich dies auch aus dem eigenen Vortrag des Beklagten, der dieses Video in den Kontext seiner beruflichen Tätigkeit als Lehrer stellt. Er bereitet den (identischen) Stoff von Böll, der für Schüler ggf. etwas altbacken scheint, mit modernen Mitteln (d.h. Darstellungsform als Video in einem Comicstil, der an die bekannte Sendung „South Park“ erinnert, und Einsatz moderner Sprache und textlicher Bezugnahme auf zeitgenössische Technologie) auf. Bei Lichte betrachtet soll dieses Video aber gerade das Lesen der Anekdote als Text substituieren und den Text damit weitestgehend obsolet machen. Deshalb greift das angegriffene Video nach Ansicht der Kammer offensichtlich in den Schutzbereich des Böllschen Werks ein.

d) Diese oben festgestellte Verwertung durch den Beklagten war auch rechtswidrig. Dabei ist zunächst unstreitig, dass der Beklagte keine Lizenz der Klägerin hatte, es folglich an deren Zustimmung mangelte.

Es greifen zugunsten des Beklagten auch keine Schrankenbestimmungen ein.

Dies gilt maßgeblich für die allenfalls in Betracht kommende Schrankenregelung aus § 51a UrhG. Danach ist die Vervielfältigung, die Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches zulässig.

Indes liegen bei dem Video des Beklagten weder die Voraussetzungen der Karikatur (dazu aa), noch der Parodie (dazu bb) oder des Pastiches (dazu cc) vor. Jedenfalls ist die Nutzung nicht verhältnismäßig im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG (dazu dd).

aa) Die Voraussetzungen einer Karikatur im Sinne von § 51a UrhG werden durch das Video des Beklagten nicht erfüllt.

Der Begriff der Karikatur ist, da die InfoSoc-RL zu dessen Auslegung keinen Verweis auf das nationale Recht enthält, ebenso wie der Parodiebegriff ein autonomer Begriff des Unionsrechts und als solcher in der gesamten Union einheitlich auszulegen (so in seinen Ausführungen zum Begriff der Parodie EuGH C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 15 – Deckmyn und Vrijheidsfonds; zitiert nach: Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 7).

Das wesentliche Merkmal der Karikatur besteht meist in Form einer Zeichnung oder einer bildlichen Darstellung, „die durch satirische Hervorhebung oder überzeichnete Darstellung bestimmter charakteristischer Züge eine Person, eine Sache oder ein Geschehen der Lächerlichkeit preisgibt“. Kennzeichnend ist ein „Ausdruck des Humors beziehungsweise der Verspottung“ zum Zweck der kritisch-humorvollen Auseinandersetzung meist mit Personen oder gesellschaftlich-politischen Zuständen“ (Begr., BT-Drs. 19/27426, 91; zitiert nach: Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 9).

Erforderlich ist also, dass das übernehmende Werk, hier also das Video des Beklagten, sich mit der Anekdote von Heinrich Böll kritisch-humorvoll auseinandersetzt. Daran fehlt es. Weder erhebt der Beklagte die Fabel aus der Anekdote oder Teile davon abweichend von Bölls Original satirisch hervor noch überzeichnet er die Gestaltungsmerkmale der Anekdote auf eine Art und Weise, dass diese der Lächerlichkeit preisgegeben oder verspottet würde. Im Gegenteil erzählt der Beklagte in seinem Video die gleiche Fabel, wie Heinrich Böll sie in seiner Anekdote geschaffen hat, „nur etwas anders erzählt. Etwas moderner erzählt, an die heutige Zeit angepasst“. Dass in die Erzählung der Fabel vermeintlich humorvolle Details eingefügt werden, wonach etwa der Fischer kein Selfie kennt oder die von dem Fremden verwendete Bezeichnung „Marie“ missversteht, dient nicht dazu, die Anekdote von Heinrich Böll und die darin enthaltene Auseinandersetzung mit dem Gegensatz: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, zu karikieren. So mag der Beklagte diese Details als humorvoll empfinden; die Fabel bzw. die Quintessenz aus der Anekdote von Heinrich Böll gibt er damit aber weder der Lächerlichkeit preis noch verspottet er sie. Wie oben dargestellt, versucht er hiermit nach dem Verständnis der Kammer vielmehr ein Publikum zu erreichen, das nicht gerne „Literaturklassiker“ liest, sondern lieber YouTube-Videos konsumiert.

bb) Ebenfalls ist keine Parodie im Sinne von § 51a UrhG anzunehmen.

Auch der Begriff der Parodie ist ein autonomer Begriff des Unionsrechts und als solcher entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch einheitlich auszulegen (EuGH C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 17 – Deckmyn und Vrijheidsfonds; zitiert nach: Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 12).

Nach Auffassung des EuGH bestehen wesentliche Merkmale einer Parodie darin, „zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen. Der Begriff ‚Parodie‘ im Sinne dieser Bestimmung hängt nicht von den Voraussetzungen ab, dass die Parodie einen eigenen ursprünglichen Charakter hat, der nicht nur darin besteht, gegenüber dem parodierten ursprünglichen Werk wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, dass sie vernünftigerweise einer anderen Person als dem Urheber des ursprünglichen Werkes zugeschrieben werden kann, dass sie das ursprüngliche Werk selbst betrifft oder dass sie das parodierte Werk angibt“ (EuGH C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 33 – Deckmyn und Vrijheidsfonds). Nach der Gesetzesbegründung muss sich die humoristische oder verspottende Auseinandersetzung „nicht auf das ursprüngliche Werk selbst beziehen, sondern kann zum Beispiel auch einer dritten Person, einem anderen Werk oder einem gesellschaftlichen Sachverhalt gelten (BT-Drs. 19/27426, 90; zitiert nach: Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 13).

Schon daran fehlt es dem Video des Beklagten. Denn wie bereits ausgeführt, übernimmt der Beklagte die maßgeblichen Gestaltungselemente der Fabel aus der Anekdote von Heinrich Böll und will damit dieselbe Aussage treffen bzw. den Gegensatz: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, herausstellen. Die Kernaussage dieser Fabel trifft der Beklagte in seinem Video im Ergebnis genauso wie es bereits Heinrich Böll in seiner Anekdote getan hat (so ausdrücklich etwa auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 14.12.2023, Bl. 209 der Akte). Nach der eigenen Darstellung im Video wird die Anekdote „nur etwas anders erzählt. Etwas moderner erzählt, an die heutige Zeit angepasst“. Somit wird die Fabel in ihren wesentlichen Gestaltungsmerkmalen von dem Beklagten ohne wahrnehmbare Unterschiede übernommen. Einen wie auch immer gearteten Ausdruck von Humor oder gar eine Verspottung in dem vorstehenden Sinne bringt der Beklagte in seinem Video gegenüber der Anekdote von Heinrich Böll nicht zum Ausdruck, sondern allenfalls in der Wahl der Sprache der Protagonisten, auf die es vorliegend aber nicht ankommt.

cc) Schließlich liegt auch kein Pastiche im Sinne von § 51a UrhG war. Dies gilt obwohl der Begriff des Pastiches gemeinschaftsrechtlich noch nicht abschließend geklärt ist (vergleiche dazu BGH, EuGH-Vorlage mit Beschluss vom 14.09.2023 – I ZR 74/22 – Metall auf Metall V).

Denn unabhängig davon, ob die Schrankenregelung der Nutzung zum Zwecke von Pastiches im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ein Auffangtatbestand jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand einschließlich des Sampling ist und ob für den Begriff des Pastiche einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage gelten (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 – Metall auf Metall V, Rn. 23, juris), und wann eine Nutzung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG "zum Zwecke" eines Pastiche erfolgt (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 41, juris), sind vorliegend die Voraussetzungen für ein Pastiche nicht erfüllt.

Denn § 51a UrhG, der der Umsetzung von des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG dient, schränkt die Rechte des Urhebers zur Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches ein. Die Schranke (auch) des Pastiches unterliegt jedoch jedenfalls der Bindung an diesen Zweck, die hier überschritten ist: Selbst wenn die Zweckbindung es erlauben mag, Teile des Werks – ggf. künstlerisch abgewandelt – wiederzugeben, ist eine alleinige Nutzung des fremden Werkes ausgeschlossen (in diesem Sinne auch LG Berlin Urt. v. 19.10.2021 – 15 O 361/20, GRUR-RS 2021, 45895 Rn. 27, beck-online). Eine solche Nutzung ist vorliegend gegeben, weil das Video des Klägers die Fabel von Heinrich Bölls Anekdote vollständig wiedergibt; und zwar nur diese, ohne dass eigene Zusätze des Beklagten erfolgen würden. Lediglich die äußere Darstellung als Video hat der Beklagte gewählt, gibt die von Heinrich Böll geschaffene Fabel wie aufgezeigt jedoch unverändert wieder, ohne darüber hinauszugehen.

dd) Das Verfahren war auch nicht etwa mit Blick auf die EuGH Vorlage durch den Beschluss des BGH vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 – Metall auf Metall V – auszusetzen, bis über die Vorlagefragen entschieden ist.

Denn unabhängig davon erfüllt die Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung der Anekdote von Heinrich Böll durch den Beklagten in dem streitgegenständlichen Video nicht die Anforderungen des "Drei-Stufen-Tests" gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG.

Dem Ziel des angemessenen Ausgleichs von Rechten und Interessen trägt Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG Rechnung (vgl. EuGH, GRUR 2019, 929 [juris Rn. 62] - Pelham u.a.; GRUR 2019, 934 [juris Rn. 61] - Funke Medien NRW). Danach dürfen die in Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden ("Drei-Stufen-Test"). Hierin liegt zum einen eine Gestaltungsanordnung gegenüber dem nationalen Gesetzgeber in Bezug auf die Konkretisierung der Schranken des Urheberrechts, zum anderen ist Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG aber auch Maßstab für die Rechtsanwendung im Einzelfall (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 139/15, GRUR 2020, 853 [juris Rn. 57] = WRP 2020, 1043 - Afghanistan-Papiere II, mwN; zitiert nach: BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 47, juris).

(1) Zwar mag der ersten Voraussetzung des im vorliegenden Einzelfall durchzuführenden Drei-Stufen-Tests gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG durch die Einführung der Pastiche-Schranke in § 51a UrhG genügt sein, weil es sich um einen gesetzlich geregelten Sonderfall handelt (so BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 48, juris).

(2) Demgegenüber ist davon auszugehen, dass bereits die Kriterien der 2. Stufe nicht erfüllt sind.

Bei der auf zweiter Stufe vorzunehmenden Prüfung, ob die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird, ist in den Blick zu nehmen, ob durch die beanstandete Verwendung die Möglichkeiten des Rechtsinhabers zum rechtmäßigen Absatz verringert werden (vgl. EuGH, Urteil vom 26. April 2017 - C-527/15, GRUR 2017, 610 [juris Rn. 70] = WRP 2017, 677 - Stichting Brein; zitiert nach: BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 49, juris).

Von einer in diesem Sinne verringerten Möglichkeit des rechtmäßigen Absatzes durch die Klägerin ist im vorliegenden Fall auszugehen.

Maßgeblich ist, dass - wie sich aus dem 31. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29/EG ergibt - mit den in Art. 5 der Richtlinie enthaltenen Ausnahmen von den in Art. 2 und 3 der Richtlinie vorgesehenen Rechten ein "angemessener Ausgleich" von Rechten und Interessen insbesondere zwischen den Urhebern und den Nutzern von Schutzgegenständen gesichert werden soll. Folglich muss bei der Anwendung der Ausnahmen gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG in einem konkreten Fall ein angemessener Ausgleich zwischen den Grundrechten der in den Art. 2 und 3 der Richtlinie genannten Personen auf der einen und den Grundrechten des Nutzers eines geschützten Werks, der sich auf die Ausnahme im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie beruft, auf der anderen Seite gewahrt werden (vgl. EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 26 f.] - Deckmyn und Vrijheidsfonds; EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 - C-469/17, GRUR 2019, 934 [juris Rn. 70] = WRP 2019, 1170 - Funke Medien NRW; EuGH, GRUR 2022, 820 [juris Rn. 87] - Polen/Parlament und Rat; zitiert nach: BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 36, juris).

Vorliegend ist kein derartiger „angemessener Ausgleich“ zwischen den Interessen des Urhebers bzw. der Klägerin als Rechteinhaberin und den Interessen des Beklagten als Werknutzer zu erkennen. Vielmehr ginge die hiesige Werknutzung durch den Beklagten einseitig zulasten der Klägerin. Denn die Kammer hält es für eine naheliegende Folge der öffentlichen Zugänglichmachung des Videos des Beklagten, dass die Rezipienten des Videos gerade nicht mehr den ursprünglichen Text der Anekdote lesen werden. Folglich werden sie auch keine von der Klägerin verlegten Bücher kaufen und damit das Verwertungsrecht der Klägerin aushöhlen. Zwar mag auch denkbar sein, dass es Rezipienten gibt, die sich von dem Video anregen lassen, das Werk Bölls tiefergehend zu studieren und deshalb Bücher der Klägerin zu kaufen. Die Kammer hält diesen Fall aber eher für die Ausnahme. Im Übrigen stünde es dem Beklagten frei, bei der Klägerin eine Lizenz für diese Nutzung nachzufragen bzw. umgekehrt der Klägerin als Rechteinhaberin frei, für diese Nutzung eine Lizenz zu erteilen. Wenn aber wie hier die Klägerin sich bewusst dagegen entscheidet, entsprechende Lizenzen zu erteilen, kann diese dem Rechteinhaber zustehende Entscheidung nicht durch die Anwendung der Schrankenregelung unterlaufen werden.

(3) Schließlich genügt das Video des Beklagten auch nicht den Anforderungen der 3. Stufe.

Auf dritter Stufe ist eine ungebührliche Verletzung der Interessen des Rechtsinhabers zu prüfen. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise der kommerzielle oder nicht-kommerzielle Charakter der Nutzung, der Umfang der Entlehnung, der Grad der Umgestaltung und eine etwaige Verwechslungsgefahr, die Frage, ob eine Auseinandersetzung mit dem Werk oder mit anderen Themen vorliegt, und das Gewicht der betroffenen Grundrechte zu berücksichtigen (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 51, juris, m.w.N.).

Wie ausgeführt, hat der Beklagte die vollständige Fabel aus der Anekdote von Heinrich Böll übernommen, mithin in erheblichem Umfang das vorbestehende Werk übernommen. Eine Auseinandersetzung mit dem Werk oder mit anderen Themen erfolgt in dem Video des Beklagten nicht; wie ebenfalls bereits ausgeführt, wird die Fabel vielmehr in dem Video des Beklagten genauso wie in der Anekdote von Heinrich Böll erzählt.

Nicht zuletzt führt auch die Abwägung der betroffenen Grundrechte dazu, dass eine Verletzung der Interessen der Klägerin gegeben ist, die diese nicht hinnehmen muss. So stellt sich schon die Frage, welches Grundrecht zugunsten des Beklagten in die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Abwägung im vorliegenden Fall überhaupt zur Anwendung kommen könnte. Hingegen genießen die Rechte von Heinrich Böll als Urheber der Anekdote und die der Klägerin als Inhaber der Verlagsrechte an der Anekdote den Schutz des geistigen Eigentums gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta (vergleiche BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 38, juris).

Zwar kann eine Nutzung von Werken oder anderen Schutzgegenständen zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches in den Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 11 EU-Grundrechtecharta) oder der Kunstfreiheit (Art. 13 EU-Grundrechtecharta) fallen (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 38, juris). Eine Meinungsäußerung ist mit der Erstellung des Videos nicht verbunden, zumal es gerade das Besondere der Anekdote ist, dass sie keiner der beiden „Philosophien“ den Vorzug gibt. Etwas anderes bringt auch das Video des Beklagten nicht zum Ausdruck.

Nach Auffassung der Kammer ist aber auch bereits zweifelhaft, ob die Übernahme der im Kern unveränderten Fabel aus der Anekdote von Heinrich Böll in das Video des Beklagten von dem Grundrecht der Kunstfreiheit überhaupt geschützt ist. Denn eine wie auch immer geartete künstlerische Auseinandersetzung erscheint vor diesem Hintergrund wie oben wiederholt ausgeführt zweifelhaft. Für die Kammer steht die Aufbereitung des Stoffs der Anekdote für ein an neue Medien gewöhntes Publikum im Vordergrund.

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das Video durchaus eigene individuelle Züge enthält, namentlich was die Auswahl der gesprochenen Worte oder die bildliche Darstellung von Personen, Landschaft und Requisiten betrifft. Mit Blick auf diese hier nicht entscheidungserheblichen Umstände könnte sich der Beklagte in anderem Kontext ggf. auf die Kunstfreiheit berufen. Im Verhältnis zur Klägerin handelt es sich aber primär um einen Eingriff in deren absolute Verwertungsrechte, der nicht von der Kunstfreiheit gedeckt ist. Aus der Sicht der Klägerin besteht damit die Gefahr, dass die Rezipienten des Videos das im Kern übernommene Werk Heinrich Bölls über das Video konsumieren, von einem Erwerb der von der Klägerin verlegten Anekdote jedoch absehen. Auch wenn der Beklagte – nach seinem Vortrag – das Video nicht gegen Entgelt anbietet, richtet sich sein Angebot auf dem YouTube Kanal auch nach seiner Darstellung aber gezielt an Schüler, die sich unter anderem mit dem Werk von Heinrich Böll auseinandersetzen (müssen), und damit potentielle Kunden der Klägerin sind.

Damit liegt eine ungebührliche Verletzung der Interessen der Klägerin im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG vor.


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OLG Frankfurt: Urheberrechtsverletzung durch Lichtbildnutzung - Keine nach § 51a UrhG zulässige Parodie wenn sich Beitrag auf bloße Kritik an abgebildeter Person beschränkt

OLG Frankfurt
Urteil vom 02.02.2023
11 U 101/22

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass kein nach § 51a UrhG zulässige Parodie vorliegt, wenn sich der Beitrag auf bloße Kritik an abgebildeter Person beschränkt und somit eine Urheberrechtsverletzung durch Verwendung eines Lichtbilds vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 511 I, II, 517, 519, 520 ZPO.

2. In der Sache hat sie teilweise Erfolg.

a) Die Verfügungsklage ist zulässig.

aa) Zunächst ist insbesondere der Streitgegenstand hinreichend bestimmt. Zwar könnte die erstinstanzliche möglicherweise gleichrangige Geltendmachung der Unterlassungsverpflichtungen sowohl aus originär fremdem (Urheber-) Recht, als auch aus originär eigenem (Persönlichkeits-) Recht nicht hinreichend bestimmt gewesen sein. Nachdem das Landgericht sein Verfügungsurteil jedoch ausschließlich auf das Urheberrecht gestützt hat und der Kläger vorrangig das angefochtene Urteil verteidigt, stellt sich die weitere Geltendmachung des Verfügungsanspruchs aus dem Recht am eigenen Bild als nur noch hilfsweise bzw. nachrangig erfolgend dar.

bb) Unterstellt man das Vorbringen des Klägers zum Verfügungsanspruch als schlüssig und wahr, ist auch ein Verfügungsgrund gegeben. Er ergibt sich dann aus der für die Verletzungszeit endgültigen Verletzung der Nutzungsrechte bzw. des Rechts am eigenen Bild.

b) Die Verfügungsklage ist nur teilweise begründet.

aa) Der Kläger kann vom Beklagten nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 97 I UrhG Unterlassung verlangen. Hinsichtlich der Verwendung des Fotos im Rahmen des zweiten Bildes der Story besteht kein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch.

(1) Der Kläger hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass die streitgegenständliche Fotografie von Herrn A angefertigt worden ist und dieser ihm die urheberrechtlichen Nutzungsrechte eingeräumt hat. Für die Anfertigung des Fotos und den Bezug zu dem vorgelegten Fotovertrag folgt dies aus der mit der Berufungserwiderung vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Klägers Anlage ASt 16, Bl. 453 d.A., für den Umfang der Rechteübertragung aus dem mit den Anlagen ASt 9, Bl. 77 f. d.A. und ASt 17, Bl. 454 f. d.A., vorgelegten Fotovertrag.

Dem steht nicht entgegen, dass der Fotovertrag die vertraglichen Abreden nur unvollständig wiedergibt, weil er sich nicht zur Vergütung Herrn As verhält. Denn der schriftliche Vertrag dient insbesondere der Absicherung des Klägers und der Geltendmachung der Rechte gegenüber Dritten. Wie im Beschluss des Senats vom 15.08.2022, Bl. 457 d.A., ausgeführt, berücksichtigt der Senat dabei, dass sich das Fotostudio unter der in Anlage ASt9 genannten Adresse befindet und sich auch der Beklagte von Herrn A hat fotografieren lassen. Wegen letzterem überzeugt die Rüge des Beklagten nicht, der Vertrag nenne nicht den Namen des Fotografen, sondern nur ein Fotostudio X, die dem Fotografen zugeordnete Unterschrift verdiene diese Bezeichnung nicht und sei nicht ansatzweise als Namensangabe entzifferbar (Bl. 160 d.A.). Denn es wäre zu erwarten, dass der Beklagte konkretere Einwendungen erheben kann, sollten die Urheberschaft an dem Foto und/oder die Rechtsübertragung tatsächlich zweifelhaft sein.

Mangels Vorlage einer Abbildung des Originallichtbilds und Vortrags zur Schöpfungshöhe kann das Foto allerdings nur als Lichtbild nach § 71 UrhG in entsprechender Anwendung der für Lichtbildwerke geltenden Vorschriften und nicht unmittelbar als Lichtbildwerk geschützt angenommen werden.

(2) Das Landgericht hat hinsichtlich der urheberrechtlichen Ansprüche zutreffend angenommen, dass der Beklagte im Zuge der Instagram-Story und des Videobeitrags das Foto vervielfältigt (§ 19 UrhG) und öffentlich zugänglich gemacht hat (§ 19a UrhG).

Letzterem steht nicht entgegen, dass der Kläger das Lichtbild schon zuvor auf seiner eigenen Seite öffentlich zugänglich gemacht hatte (vgl. BGH GRUR 2010, 616 - „marions-kochbuch.de“, Rn. 21); das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung kennt, anders als das Verbreitungsrechts bei körperlichen Werkexemplaren, keine Erschöpfung (Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 19a Rn. 11). Es genügt, dass der Kläger - anders als in Fällen des Framings - keine Kontrolle über die weitere Zugänglichmachung durch den Beklagten hat.

Hinsichtlich der Story, in der die Lichtbilder wie im Tenor der Beschlussverfügung wiedergegeben mit Text überlagert sind, liegt auch eine Bearbeitung oder Umgestaltung (§ 23 UrhG) vor. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass der Kläger keine Kopie der Originalfotografie, sondern nur deren möglicherweise bereits veränderte und erkennbar in neuen Kontext gesetzte Wiedergabe auf seiner Homepage vorgelegt hat; die im Klageantrag „wiedergegebene Fotografie“ ist eine Abbildung der Homepage des Klägers nebst eingeblendeter Texte, nicht der von Herrn A gefertigten Fotografie. In dem unstreitig von dem Beklagten zugesetzten Text liegt unabhängig davon eine Bearbeitung (auch) des Originals.

Hinsichtlich des Videobeitrags macht der Kläger eine Verletzung des § 23 UrhG nicht geltend (Berufungserwiderung S. 3 f., Bl. 438 f. d.A.).

(3) Die Übernahme des Fotos ist nicht nach § 51 UrhG (Zitatrecht) rechtmäßig.

Sowohl hinsichtlich der Instagram-Story, als auch des Videobeitrags ist die Übernahme nicht gem. § 51 UrhG zulässig, weil der Beklagte die Quelle und den Urheber/Fotografen, also Herrn A, nicht angegeben hat. Der Zitatbegriff des § 51 UrhG ist unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit Art. 5 III lit. d der „Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ dahin auszulegen, dass es dieser Angabe bedarf. Denn nach Art. 3 III dieser Richtlinie dürfen die Mitgliedsstaaten Ausnahmen von in den Art. 2, 3 der Richtlinie gewährten Rechten (Vervielfältigungsrecht, Recht der öffentlichen Wiedergabe und der öffentlichen Zugänglichmachung) für Zitate nur unter u.a. dieser Voraussetzung vorsehen. Eine Quellenangabe war auch möglich, die Angabe hätte eingeblendet werden oder mündlich erfolgen können.

Hinsichtlich der Instagram-Story scheidet die Annahme eines Zitats außerdem deshalb aus, weil das Foto vom Beklagten bearbeitet wiedergegeben worden ist (vgl. Dreier in dies./Schulze, UrhG, 7. Auflage, § 51 Rn. 7).

Unabhängig davon ist eine Verwendung der Fotografie im Rahmen des Zitatrechts auch deshalb zu verneinen, weil der Beklagte keine hinreichende innere Verbindung zwischen dem zitierten Foto und seinen eigenen Gedanken hergestellt hat und das Foto des Klägers stattdessen nur zur Illustration verwendet worden ist (vgl dazu BGH, Urt. v. 17.12.2015 - I ZR 69/14, GRUR 2016,368 Rn, 25 - „Exklusivinterview“). Die Äußerungen des Beklagten hinsichtlich des Fotos beschränken sich - überdies nur im Videobeitrag - auf die Bemerkung

„(...)“,

wobei der Kläger auf dem Foto allerdings nicht mit der Verteidigung des ... befasst ist - es handelt sich um keine Aufnahme aus dem Gerichtssaal oder im Zuge von den ... betreffenden Interviews. Darauf, dass der Kläger, worauf der Beklagte im Verfügungsverfahren als „berichtenswerten Umstand“ meint abstellen zu können (Bl. 181 d.A.), in seiner „optischen Erscheinung gewissermaßen dem unauffälligen Normalbild entspricht“, obwohl er mit seinen „moralischen Wertvorstellungen“ und den innerhalb seiner „beruflichen Tätigkeit vertretenen Werten von weiten Teilen der Gesellschaft abweicht“ (Schriftsatz vom 17.06.2021, S. 33, Bl. 181 d.A.), beziehen sich Videobeitrag und Story des Beklagten nicht. Erst recht setzt sich der Beklagte nicht mit der Fotografie selbst auseinander. Vielmehr geht es um das Verhalten des ... und des Klägers, dem der Beklagte über die Fotografie nur zu Illustrationszwecken „ein Gesicht zuordnet“.

(4) Die Übernahme des Fotos ist auch nicht nach § 50 UrhG (Berichterstattung über Tagesereignisse) rechtmäßig.

Das Landgericht hat insoweit angenommen, eine Rechtmäßigkeit nach § 50 UrhG scheide aus, weil das Foto während der den tagesaktuellen Vorgang bildenden Ereignisse nicht wahrnehmbar geworden sei. Dieser Ansatz (vgl. insoweit Dreier in dies./Schulze aaO § 50 Rn. 7) ist vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zweifelhaft. Danach genügt es, dass das fragliche Werk erst durch die Berichterstattung über das Tagesereignis im Zusammenhang mit diesem wahrnehmbar wird (siehe BGH, Urteil vom 30.04.2020 - I ZR 139/15 „Afghanistan Papiere II“, juris Rn. 43 f.; BeckOK-UrheberR/Engels, 36. Ed., Stand: 15.10.2022, § 50 UrhG, Rn. 11a).

Eine Rechtmäßigkeit nach § 50 UrhG scheidet jedoch unabhängig davon aus.

Für den dauerhaft zugänglich gehaltenen Videobeitrag folgt dies schon daraus, dass es sich bei der Ende April 2021 erfolgten Verurteilung des ... bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht über ein Jahr später - und nunmehr vor dem Senat - um kein aktuelles Tagesereignis mehr handelte. Bei einer Einstellung ins Internet muss die Tagesaktualität während der gesamten Dauer des Bereithaltens im Internet fortbestehen (BGH, GRUR 2011, 415 Rn. 13 - „Kunstausstellung im Online-Archiv“).

Für die Instagram-Story scheidet eine Rechtmäßigkeit nach § 50 UrhG deshalb aus, weil der Beklagte das Foto bei der Veröffentlichung durch die Textzusätze entgegen §§ 62 I, 39 UrhG verändert hat, ohne dass der Urheber nach Treu und Glauben gehindert gewesen wäre, seine Einwilligung hierzu zu versagen. Die insoweit vorzunehmende Interessenabwägung muss unter dem Gesichtspunkt der §§ 50, 62 I, 39 UrhG zu Lasten des Beklagten ausfallen. Der Urheber - Herr A - kann nicht nach Treu und Glauben gehalten sein, sein für den Kläger erstelltes Lichtbild entgegen der ursprünglichen Intention nicht zu dessen positiver, sondern zu dessen negativer öffentlichen Darstellung verwenden zu lassen und sich durch die Zustimmung vertraglichen Ersatzansprüchen des Klägers auszusetzen. Der Kläger als urheberrechtlich Nutzungsberechtigter ist nicht nach Treu und Glauben verpflichtet, an seiner eigenen negativen Darstellung in der Öffentlichkeit mitzuwirken.

(5) Dem Unterlassungsanspruch, für den (abgesehen von der Erstbegehung) auf das bei Schluss der mündlichen Verhandlung geltende Recht abzustellen ist, steht jedoch hinsichtlich der Verwendung des Fotos im Rahmen des zweiten Bildes der Story die mit Wirkung vom 07.06.2021 in Kraft getretene Regelung der §§ 51a, 62 IVa UrhG entgegen. Im Übrigen greifen die §§ 51a, 62 IVa UrhG nicht ein.

(a) Bei Prüfung des § 51a UrhG kommt unter den nicht trennscharf abzugrenzenden Varianten der Norm (Karikatur, Parodie, Pastiche) im Streitfall nur eine Einordnung als Parodie in Betracht. Da die zu prüfenden Beiträge durch sprachliche Äußerungen und nicht bildliche Darstellungen geprägt sind, handelt es sich nicht um Karikaturen (vgl. insoweit Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 9; BeckOK UrhR/Lauber-Rönsberg, 36. Ed. 15.10.2022, UrhG § 51a Rn. 14; Wandtke/Bullinger/Lüft/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 10). Ein Pastiche (vgl. dazu BeckOK UrhR/Lauber-Rönsberg, 36. Ed. 15.10.2022, UrhG § 51a Rn. 17; Wandtke/Bullinger/Lüft/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 14) setzt ein derivates Schaffen voraus, das sich in irgendeiner Weise an ein Werk anlehnt, wofür die bildliche Wiedergabe und sprachliche Begleitung eines Werks allein nicht ausreichen.

(b) Während dem Videobeitrag der Charakter als Parodie fehlt, ist die Fotowiedergabe im Zuge der Story - jedenfalls zum Teil - im Rahmen einer Parodie erfolgt.

(aa) Der Parodie-Begriff des § 51a UrhG entspricht demjenigen des Art. 5 III lit. k der Richtlinie 2001/29/EG; es handelt sich daher um einen autonomen Begriff des Unionsrechts.

Danach bestehen die wesentlichen Merkmale einer Parodie zum einen darin, an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen.

Demgegenüber setzt eine Parodie nicht voraus, dass es sich um eine antithematische Darstellung handelt. Die Absicht, sich einen „Jux“ auf Kosten einer abgebildeten Person zu machen, genügt schon. Die Parodie muss keinen eigenen ursprünglichen Charakter aufweisen, der über wahrnehmbare Unterschiede zum parodierten ursprünglichen Werk hinausgeht. Sie muss weder das ursprüngliche Werk selbst betreffen, noch das parodierte Werk angeben oder so gestaltet sein, dass sie nicht dem Urheber des parodierten Werkes zugeschrieben werden kann (siehe zum Parodiebegriff EuGH, Urteil vom 3. September 2014 - C-201/13, juris, Rn. 33 „Deckmyn und Vrijheidsfonds“; BGH, GRUR 2016, 1157 Rn. 25 ff. - „auf fett getrimmt“; Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 13 ). Letztlich kann im Rahmen der Parodie jedes Werk zu jedem humoristischen Zweck genutzt werden (Lüft/Bullinger in Wandtke/Bullinger, UrhR, 6. Auflage, § 51a Rn. 12 aE).

(bb) Die Benutzung der Fotografie in dem Videobeitrag ist nicht im Rahmen einer so verstandenen Parodie erfolgt. Die Bemerkung des Beklagten,

„(...)“,

lässt keinen Humor erkennen. Sie stellt auch keine Verspottung dar, sondern ist nur - gemeinsam mit den sonstigen Äußerungen des Beklagten über den Kläger - Ausdruck der Kritik am Kläger. Dabei kann dahinstehen, ob eine Verspottung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einen Unterfall des Humors darstellt. Dagegen spricht die alternative Verknüpfung von „Humor oder Verspottung“ in der Entscheidung „Deckmyn und Vrijheidsfonds“ aaO Rn. 20, die allerdings in der Vorlagefrage angelegt war (EuGH aaO Rn. 13: „Belustigung oder Verspottung“) und vom Gerichtshof nicht erörtert worden ist. Jedenfalls zeichnet sich eine Verspottung dadurch aus, dass es sich um Äußerungen handelt, die mit einer Herabsetzung des Verspotteten einhergehen, Schadenfreude oder Verachtung bekunden oder hervorrufen oder verletzend oder boshaft sind. Das lässt sich weder den einzelnen Elementen der Äußerung des Beklagten über den Kläger (...) noch ihrer Kombination entnehmen. Die Beschreibung des Klägers durch den Beklagten ist auch nicht ironisch. Die Ausführungen gehen nicht dahin, der Kläger stehe gar nicht cool da und sei bei der Verteidigung nicht ganz lässig. Vielmehr beschränkt sich die Äußerung des Beklagten auf die Kritik an diesem Verhalten und darauf, dass das coole und lässige Auftreten des Klägers unangemessen sei, weil er nicht die nach Auffassung des Beklagten gebotenen Skrupel an den Tag legt.

Auch aus dem Zusammenhang des Videos ergibt sich keine andere Bewertung. Die Fotografie wird nicht im Zusammenhang mit einer andere Personen oder Geschehnisse betreffenden Parodie, sondern ausschließlich im Rahmen der Kritik am Kläger verwendet.

(cc) Demgegenüber ist die Verwendung der Fotografie in der Instagram-Story jedenfalls hinsichtlich des unteren Bildes im Rahmen einer Parodie erfolgt. Insoweit ist die als Text hinzugesetzte Wendung „Endlich mal wieder Post vom Anwalt!“ ironisch zu verstehen und damit humorvoll.

Ob dies auch für das erste Bild der Instagram-Story gilt, bei dem der eingeblendete Text

„Vorschläge für einen Anwalt, der einen zu mild verurteilten Kinderporno Besitzer und Versender verteidigt und noch die Zeugin versucht zu verunglimpfen? Diesen Anwalt finde ich...“,

der vom Betrachter im Geiste - möglicherweise humorvoll oder verspottend - zu ergänzen ist, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob die beiden Bilder hinsichtlich der Frage der Parodie gemeinsam oder getrennt zu bewerten sind. Denn insoweit scheidet eine Zulässigkeit der Verwendung jedenfalls aufgrund der Abwägung der berechtigten Interessen des urheberrechtlich berechtigten Klägers und des Beklagten aus.

(c) Allein die Einordnung der Instagram-Story als Parodie führt nicht zur Rechtmäßigkeit der Verwendung des Fotos. Vielmehr bedarf es einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte. Insoweit sind auch außerhalb des Urheberrechts liegende Rechte Dritter zu beachten, jedoch nur, soweit der Urheber ein berechtigtes Interesse daran hat, dass sein Werk nicht mit einer solchen Verletzung in Verbindung gebracht werde. Dabei ist wegen der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit, der insbesondere Karikatur und Parodie dienen, nicht jede Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen von Bedeutung. Die Interessenabwägung darf nicht im Sinne einer „Political-Correctness-Kontrolle“ missverstanden werden (BGH, „auf fett getrimmt“, aaO, Rn. 39).

Bei der auf dieser Grundlage vorzunehmenden Interessenabwägung erscheint die Verwendung in dem zweiten Bild der Story („Endlich mal wieder Post vom Anwalt...“) zulässig, in dem ersten Bild der Story („Diesen Anwalt finde ich...“) aber unzulässig.

(aa) Die urheberrechtlichen Interessen Herrn As und des Klägers stehen der Verwendung des Fotos im Rahmen des zweiten Bildes der Story („Endlich mal wieder Post vom Anwalt...“) nicht entgegen.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte mit der Story am öffentlichen Diskurs über das Verhalten des ..., über die Frage, ob ein Rechtswalt „Leute wie ihn“ vertreten sollte und darüber, wie die Gesellschaft strafrechtlich und allgemein mit Fällen des Besitzes von Kinderpornografie einschließlich dem Vertreten von Täterinteressen durch Dritte, insbesondere Rechtsanwälte, umgehen solle, teilnimmt, mithin die politische Meinungsäußerung und Meinungsbildung betroffen sind. Dass das inhaltliche Niveau der Kritik des Beklagten die Ebene emotionaler Empörung kaum verlässt, lässt die grundsätzliche Schutzwürdigkeit nicht entfallen. Die Privilegierung der Parodien, die sich nicht zwingend durch besondere Tiefsinnigkeit auszeichnen müssen, dient gerade der Gewährleistung der Meinungsfreiheit.

Besondere urheberrechtliche Interessen Herrn As und des Klägers werden demgegenüber im Rahmen des zweiten Bildes nicht verletzt. Die Verwertung und Nutzung der Fotografie für ihren ursprünglichen Zweck - Werbung für den Kläger - wird durch die Verwendung des Bildes durch den Beklagten nicht vereitelt. Der nutzungsberechtigte Kläger hat das Foto durch die Verwendung auf seiner Homepage selbst für jedermann sichtbar gemacht und es dient gerade seiner Identifikation und dem Zweck, mit „dem Namen ein Gesicht zu verbinden“. Damit, dass ein zur (positiven) Werbung dienendes Foto im Wege der Parodie oder Karikatur genutzt wird, um sich über eine beworbene Person (oder ein beworbenes Produkt) lustig zu machen, müssen Urheber, Werbender und Dargestellter immer rechnen. Zugleich ist die Schutzintensität hinsichtlich des streitgegenständlichen Lichtbildes auf Grundlage des Parteivorbringens eher gering einzustufen, weil es für eine Einordnung als Lichtbildwerk und nicht nur als bloß nach § 71 UrhG entsprechend geschütztes Lichtbild am notwendigen Sachvortrag fehlt.

Der Kläger macht als außerhalb des Urheberrechts liegendem rechtlich geschützten Interesse nur sein Recht am eigenen Bild geltend. Er stützt dies darauf, dass er selbst die abgebildete Person (und nicht nur der urheberrechtlich Berechtigte) ist. Daran, nicht mit einer solchen Verletzung in Verbindung gebracht zu werden, hat der Urheber aber kein besonderes Interesse, denn dies ist bei jeder Karikatur und jeder Parodie eines eine bestimmte Person abbildenden Werkes zu befürchten.

(bb) Demgegenüber ist die Verwendung des Fotos im Rahmen des ersten Bildes („Diesen Anwalt finde ich ...“) aufgrund schützenswerter urheberrechtlicher Interessen Herrn As und des Klägers unzulässig.

Zwar gelten die vorgenannten Erwägungen zum zweiten Bild zunächst auch hinsichtlich des ersten Bildes.

Die Unzulässigkeit der Verwendung der Fotografie für das erste Bild der Story folgt jedoch daraus, dass der Lückentext „Diesen Anwalt finde ich ...einen die Auffassung des Beklagten teilenden Betrachter zu einer Schmähkritik geradezu einlädt. Denn sie geht in der Formulierung dahin, den Kläger als Person und nicht nur seine Tätigkeit für den ... zu beurteilen, legt eine Unterstützung von Kinderpornografie durch den Kläger nahe und insinuiert damit eine abfällige Beurteilung seiner Persönlichkeit. Sie lädt dazu ein, dem Kläger seinen sozialen oder ethischen Wert abzusprechen und die Grenzen des - auch nach §§ 185, 196 StGB - bei öffentlichen Äußerungen Vertretbaren bei der (nicht öffentlichen) Vervollständigung im Geiste zu überschreiten.

Der Senat verkennt dabei nicht, dass Meinungsäußerungen im Lichte des Art. 5 GG im Zweifel so auszulegen sind, dass sie noch zulässig erscheinen. Es geht vorliegend aber nicht um die Zulässigkeit der Meinungsäußerung des Beklagten, sondern darum, ob er dabei das urheberrechtlich geschützte Foto verwenden darf oder die Interessen der urheberrechtlich Berechtigten dem entgegenstehen. Herr A als Urheber und der Kläger als Nutzungsberechtigter haben jedoch ein berechtigtes Interesse, dass das Lichtbild nicht in einer Weise genutzt wird, die Schmähungen des Klägers durch Dritte fördert, weil der typische Betrachter die Äußerung wie soeben dargestellt auffassen wird.

bb) Hinsichtlich des zweiten Bildes der Instagram-Story („...“) ist auch kein - hilfsweise geltend gemachter - quasinegatorischer Unterlassungsanspruch analog § 1004 I 2 BGB aus originär eigenem Recht des Klägers gegeben.

Denn eine Verletzung des Rechts des Klägers an seinem eigenen Bilde gem. § 22 S. 1 des Kunsturhebergesetzes (KUG), dessen einschlägige Regelungen den Rückgriff auf die Rechtsfigur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Streitfall ausschließen, ist nicht gegeben. Die Verbreitung des Bildes ist nach § 23 I Nr. 1 KUG gerechtfertigt.

(1) Der Prozess gegen den ... ist ein Ereignis der Zeitgeschichte. Zu diesem gehört auch das Auftreten seiner Verteidiger und damit des Klägers, der an dem Strafverfahren in dieser prozessualen Rolle als Medienanwalt des Angeklagten teilgenommen hat. Dabei ist der Kläger öffentlich sichtbar in Erscheinung getreten; er wurde auch im Zuge der allgemeinen Berichterstattung abgebildet.

(2) Es wird kein berechtigtes Interesse des abgebildeten Klägers gem. § 23 II KUG verletzt. Die insoweit vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu seinen Lasten aus.

Zum einen dienen die Beiträge des Beklagten der Meinungsbildung und damit dem Informationsinteresse der Allgemeinheit. Zum anderen hat sich der Kläger mit dem verwendeten Foto auf seiner Homepage selbst der Öffentlichkeit präsentiert; er wird auf ihm also in bildlicher Hinsicht genau so dargestellt, wie er dargestellt sein möchte. Zudem hat er sich im Zuge der Verteidigung des ... selbst in die Öffentlichkeit begeben und ist er unstreitig auch bereits zuvor im Zuge der allgemeinen Berichterstattung über den Prozess abgebildet worden. Der Kläger ist also nicht erst durch die Verwendung des streitgegenständlichen Fotos über seinen Namen hinaus für die breite Öffentlichkeit als anwaltlicher Vertreter des ... erkennbar geworden.

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