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AG Gelnhausen: Unterlassungsanspruch gegen Nachbarn wegen möglicher Videoüberwachung durch schwenkbare Kamera

AG Gelnhausen
Urteil vom 04.03.2024
52 C 76/24


Das AG Gelnhausen hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch gegen Nachbarn bereits wegen möglicher Videoüberwachung durch eine schwenkbare Kamera besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch auf die im Tenor bezeichneten Maßnahmen aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB.

Unerheblich ist, ob in dem Haus des Verfügungsklägers tatsächlich bereits Mieter wohnen. Unstreitig steht dieses im Eigentum des Verfügungsklägers, so dass der Anspruchsgrund bereits in seiner Person selbst liegt. Unabhängig davon ist das Gericht aufgrund der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Mieter des Verfügungsklägers davon überzeugt, dass jedenfalls seit Mitte Dezember 2023 Mieter in dem Objekt wohnen.

Der Anspruch des Verfügungsklägers ist in einer nicht gerechtfertigten Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet, das über §§ 1004 Abs. 1, 823 BGB zu dem im Tenor bezeichneten Anspruch führt.

Soweit zwischen den Parteien streitig ist, ob die Kamera das Grundstück des Klägers erfassen kann oder nicht, kommt es hierauf entscheidungserheblich nicht an.

Nach ständiger Rechtsprechung ist es erforderlich, für einen Unterlassungsanspruch aber auch ausreichend, dass ein sog. Überwachungsdruck erzeugt wird (vgl. hierzu LG Hamburg ZD 2018, 491; OLG Köln NJW 2017, 835; LG Bonn, NJW-RR 2005, 1067; LG Darmstadt, NZM 2000, 360; AG Winsen/Luhe, Urt. v. 30.12.2005 – 16 C 1642/05, BeckRS 2010, 11190; vgl. weiter für das Nachbarrecht AG Brandenburg, ZD 2016, 380; für das Mietrecht LG Berlin, ZD 2016, 189; für das Wohnungseigentumsrecht AG Bergisch Gladbach, NJW 2015, 3729). Maßstab ist, dass dritte Personen eine Überwachung durch die Kamera ernsthaft objektiv befürchten müssen. Dies ist immer bereits dann erfüllt, wenn die Befürchtung einer Überwachung durch vorhandene Kameras aufgrund konkreter Umstände nachvollziehbar und verständlich erscheint. Dafür ist bereits ausreichend, dass ein angespanntes Nachbarschaftsverhältnis besteht und die Kamera eines mittels nach außen nicht wahrnehmbaren elektronischen Steuerungsmechanismus auf das Grundstück des Nachbarn ausgerichtet werden kann. Es kommt dabei lediglich darauf an, dass die Kamera eine solche Funktion besitzt. Ob sie angewendet wird, ist unerheblich. Ein Überwachungsdruck kann nur dann ausscheiden, wenn der Winkel der Kamera nur mit erheblichem und sichtbarem manuellen Aufwand, also eben nicht durch einen elektronischen Steuerungsmechanismus, auf das Nachbargrundstück gerichtet werden kann (BGH NJW 2010, 1533). Dass die Kamera einen elektronischen Steuerungsmechanismus hat, ist zwischen den Parteien allerdings unstreitig. Im Übrigen konnte der Verfügungskläger durch die zur Akte gereichten Lichtbilder auch hinreichend glaubhaft machen, dass die Kamera sich selbstständig drehen kann und das Grundstück des Verfügungsklägers erfassen kann. So zeigt das Lichtbild Anlage AS 7 eindeutig die Balkonbrüstung des benachbarten Hauses, zudem aber ebenso eindeutig die vollständige Kamera.

Ein überwiegendes Interesse der Verfügungsbeklagten an solchen Videoaufnahmen ist nicht erkennbar. Dass die Verfügungsbeklagte ihr Eigentum schützen will, stellt zwar durchaus ein legitimes Interesse dar. Vorliegend geht dieser Zweck aber mit einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verfügungsklägers einher. In Anbetracht des ohnehin schon deutlich angespannten Nachbarschaftsverhältnisses muss ein Anlass für eine weitere Eskalation verhindert werden. Die Verfügungsbeklagte hat die Möglichkeit, eine Videoaufzeichnung ihres Eigentums anhand der Grundsätze des zitierten Urteils des BGH durchzuführen. Sofern die Videoaufzeichnung aber erfolgt wie in diesem Fall, ist dies unzulässig.

Die Androhung von Zwangsgeld hat ihre Grundlage in § 890 Abs. 2 ZPO. Der Antrag ist auch in der gestellten Form begründet. Der Verfügungsbeklagten kann nicht aufgegeben werden, jegliche Kameraüberwachung ihres Grundstücks in aller Zukunft zu unterlassen, allerdings solche, die geeignet ist, das Grundstück des Verfügungsklägers zu erfassen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

AG München: Unterlassungsanspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Wildüberwachungskamera auf Nachbargrundstück wenn Kamera auch Grundstück des Betroffenen filmt

AG München
Urteil vom 01.02.2023
171 C 11188/22


Das AG München hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung besteht, wenn eine Wildüberwachungskamera auf dem Nachbargrundstück auch das Grundstück des Betroffenen filmt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Streit um Kamera auf Nachbargrundstück
In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und bestätigte mit Urteil vom 01.02.2023 eine einstweilige Verfügung, wonach der Antragsgegnerin dies untersagt wurde.

Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u.a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.

Am 12.08.2022 erließ das Amtsgericht München im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es der Antragsgegnerin untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.

Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das Amtsgericht München mit Urteil vom 01.02.2023 die einstweilige Verfügung und begründete dies wie folgt:

„Die vormals aufgestellte Kamera hat die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Die Antragstellerseite verweist insoweit mit Erfolg auf die Entscheidung des BGH vom 16.03.2010 (VI ZR 176/09). Das Gericht darf eine Passage aus dieser Entscheidung zitieren:

„Nach Ansicht des erkennenden Senats kommt es insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie auf Grund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit (vgl. OLG Köln, NJW 2009, 1827 = NZM 2009, 600) oder auf Grund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon auf Grund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. […].“

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs hatte die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder ist das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.

Weiterhin fehlte es auch nicht an einem Verfügungsgrund. Das Gericht schließt sich insoweit der überzeugenden Argumentation der Antragstellerseite an. Die Antragstellerin hatte sich von Anfang an gegen die Kamera zur Wehr gesetzt und die Antragsgegnerin war über diesen Umstand informiert.

Der Sachverhalt hat sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden ist. Weiterhin hat die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand alleine kann aber nicht ausreichen, die indizierte Wiederholungsgefahr aufzuheben.“

Urteil des Amtsgerichts München vom 01.02.2023
Aktenzeichen des AG München: 171 C 11188/22
Das Urteil ist rechtskräftig.



OVG Schleswig-Holstein: Videoüberwachung von Trainingsfläche, Herrenumkleide und Sitzbereich durch Fitnessstudio unzulässig

OVG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 13.07.2022
4 LA 11/20


Das OVG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass die Videoüberwachung von Trainingsfläche, Herrenumkleide und Sitzbereich durch ein Fitnessstudio unzulässig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Ernstliche Zweifel an der angegriffenen Entscheidung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten zumindest insoweit infrage gestellt werden, dass der Erfolg des Rechtsmittels bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg. Ferner ist darzulegen, dass und aus welchen Gründen das verwaltungsgerichtliche Urteil auf diesen – aus Sicht der Klägerin fehlerhaften – Erwägungen beruht, d. h. die dargestellten Zweifel müssen im konkreten Fall entscheidungserheblich sein (stRspr des Senats, vgl. Beschl. v. 11.03.2021 – 4 LA 241/19 –, juris Rn. 4; Beschl. v. 27.01.2021 – 4 LA 165/19 –, juris Rn. 4 m. w. N.). Dies leistet das Zulassungsvorbringen nicht.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Verfügung des Beklagten vom 19. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Oktober 2017, mit dem er der Klägerin aufgab, es zu unterlassen, den Bereich der Herrenumkleide (Kamera CH-02 und CH-03), den Bereich der Trainingsfläche (Kamera CH-05 und CH-06) sowie den Aufenthaltsbereich und die Sitzgelegenheiten bei der Getränkezapfanlage (Kamera CH-07) während der Öffnungszeiten ihres Fitnessstudios in Pinneberg mittels optisch-elektronischer Einrichtungen zu beobachten und Bildaufzeichnungen anzufertigen, sowie gespeicherte Aufzeichnungen zu vernichten, seine rechtliche Grundlage in „§ 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG a.F.“ finde. Nach dieser Vorschrift habe die Aufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, welche Maßnahmen sie ergreift, um den datenschutzrechtlich gebotenen Schutz personenbezogener Daten sicherzustellen. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung sinngemäß ferner zugrunde gelegt, dass die streitbefangene Anfertigung von Videoaufnahmen in den genannten Bereichen gegen § 4 Abs. 1 BDSG a.F. verstoße, wonach die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur zulässig sei, soweit das Bundesdatenschutzgesetz a.F. oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaube oder anordne oder der Betroffene eingewilligt habe. Bei den Videoaufzeichnungen, die hier der Identifikation der Personen dienten, handele es sich um personenbezogene Daten, die durch die Aufzeichnung verarbeitet und ggf. genutzt würden. Eine Einwilligung der Besucher des Fitnessstudios sei nicht gegeben.

Das Verwaltungsgericht hat des Weiteren ausgeführt, dass die hier in Streit stehende Datenverarbeitung auch nicht gemäß § 6b BDSG a.F. zulässig sei. Danach sei die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur zulässig, soweit sie 1. zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, 2. zur Wahrnehmung des Hausrechts oder 3. zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich sei und keine Anhaltspunkte bestünden, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Die sich daraus ergebenden Voraussetzungen für eine zulässige Videoüberwachung lägen nicht vor. Zwar seien hier schutzwürdige Interessen der Klägerin an der Videoüberwachung tangiert. Für den Bereich der Herrenumkleide bestünden allerdings Anhaltspunkte, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwögen. Hier sei die Intimsphäre der Betroffenen berührt. Dies stelle einen besonders intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Die Kameraüberwachung in Umkleidebereichen sei deshalb grundsätzlich unzulässig, weil sich Betroffene hier zum Teil unbekleidet zeigten und durch Kameraaufnahmen das Schamgefühl in erheblicher Weise berührt werde. Aber auch im Bereich der Trainingsfläche überwögen die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen. Hinsichtlich der Überwachung des Aufenthaltsbereichs habe der Beklagte in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Untersagungsverfügung nicht die Videoüberwachung der Automaten und der Getränkezapfanlage umfasse. Betroffen sei allein die Beobachtung des Aufenthaltsbereichs und der Sitzgelegenheiten. Hier ist von der Klägerin schon kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 6b Abs. 2 BDSG a.F. dargelegt worden.

a) Soweit die Klägerin vorträgt, dass sich nicht erschließe, warum die Videoüberwachung in einem Fitnessstudio unzulässig sein solle, weil man sich dort längere Zeit aufhalte, gleichzeitig aber eine ständige Videoüberwachung in einem Verkehrsmittel des Öffentlichen Personennahverkehrs zulässig sein solle, bleibt unklar, auf welche Prüfungspunkte der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sich dieses Vorbringen bezieht. Weder ordnet die Klägerin diesen Vortrag der Prüfung bestimmter Normen oder konkret bezeichneter Tatbestandsvoraussetzungen der herangezogenen Ermächtigungsgrundlage zu, noch lässt sich anderweitig erkennen, welchen tragenden Rechtssatz oder welche entscheidungsrelevante Tatsachenfeststellung sie insoweit beabsichtigt in Frage zu stellen. Das Vorbringen erscheint daher mehr als pauschale Kritik an dem Endergebnis der Entscheidung denn als Darlegung, die aufgrund einer intensiven Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung deren Richtigkeit in Frage zu stellen vermag. Auch im Übrigen fehlt es weitgehend an konkreten Bezugnahmen auf die angegriffene Entscheidung.

b) Es lässt sich insoweit nur vermuten, dass die Klägerin mit ihrem Vortrag zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung der im Rahmen der Prüfung des § 6b BDSG a.F. geäußerten Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen das berechtigte Interesse der Klägerin an der Videoaufzeichnung überwiegen, entgegentritt. Dies bleibt jedoch ohne Erfolg.

aa) Die Klägerin vermag zunächst nicht mit dem sinngemäßen Verweis darauf, dass die Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr zulässig sei, obwohl die Betroffenen dort auch längere Zeit beobachtet würden, dieser Beobachtung nicht ausweichen könnten und auch dort Personal (z.B. der Busfahrer) zur Abwehr von Gefahren zur Verfügung stünde, die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis ernstlich in Zweifel zu ziehen. Denn die Zulässigkeit einer Datenverarbeitung bei anderer Sachlage kann nicht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6b Abs. 1 BDSG a.F. im vorliegenden Fall begründen. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 6b Abs. 1 BDSG a.F. ist auf Seiten der verantwortlichen Stelle insbesondere die Zwecksetzung der Videoüberwachung zu beachten, während auf Seiten der von der Überwachung betroffenen Personen das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung, des Rechtes am eigenen Bild sowie des Schutzes der Privatsphäre von Bedeutung ist. Der Frage der Eingriffsintensität kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Das Gewicht des Eingriffs wird maßgeblich durch Art und Umfang der erfassten Informationen, durch Anlass und Umstände der Erhebung, den betroffenen Personenkreis und die Art und den Umfang der Verwertung der erhobenen Daten bestimmt (OVG Lüneburg, Urt. v. 07.09.2017 – 11 LC 59/16 –, juris Rn. 47 m.w.N.). Die Interessenabwägung ist damit abhängig von den konkreten Gegebenheiten des jeweils zu beurteilenden Falles (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 06.04.2017 – OVG 12 B 7.16 –, juris Rn. 32). Neben dem Umstand, dass die Zulässigkeit der Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr von der Klägerin im Zulassungsverfahren ohnehin nur ohne weitere Darlegungen behauptet wird, ist weder ersichtlich noch dargetan, dass die für eine Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr sprechenden berechtigten Interessen grundsätzlich identisch mit den hier von der Klägerin dargelegten berechtigten Interessen sind oder sein können. Gleiches gilt mit Blick auf die Interessen der Betroffenen. Vielmehr drängt sich hier insbesondere mit Blick auf die Videoüberwachung einer Umkleidekabine ein gewichtiger Unterschied zur Überwachung öffentlicher Verkehrsmittel auf. Daher ist nicht ersichtlich, dass die Interessenabwägung mit Blick auf den Öffentlichen Personennahverkehr zwingend identisch zu der hier vorzunehmenden Interessenabwägung auszufallen hat.

bb) Die Klägerin verweist außerdem darauf, dass das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt habe, dass die Betroffenen ihr Fitnessstudio trotz der Videoüberwachung freiwillig aufsuchten oder die Videoüberwachung möglicherweise gerade in deren Interesse läge, weil diese ihnen ein Gefühl von Sicherheit vermittelte und Straftaten vermeiden könnte. Insoweit kritisiert die Klägerin zwar die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung. Dies jedoch ohne darzulegen, ob und inwieweit die nach ihrer Auffassung begangenen Fehler hier ergebnisrelevant sind, d.h. die Interessenabwägung – trotz der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass hier die Intimsphäre der Besucher betroffen und die Interessen der Klägerin geringer zu bewerten seien bzw. es schon an der Darlegung eines berechtigten Interesses fehle – bei Berücksichtigung der genannten Aspekte zugunsten der Klägerin ausgefallen wäre. Dies ist auch nicht ohne weiteres zu erkennen.

2. Die Klägerin zeigt mit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache nur dann auf, wenn sie voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, d. h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Im Tatsächlichen ist dies besonders bei wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen, im Rechtlichen bei neuartigen oder ausgefallenen Rechtsfragen der Fall (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 14.05.1999 – 2 L 244/98 –, juris Rn. 17; Beschl. d. Senats v. 02.10.2020 – 4 LA 141/18 –, juris Rn. 57). Zur Darlegung genügt nicht allein die Behauptung einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit, die problematischen Rechts- und Tatsachenfragen und die Schwierigkeit müssen vielmehr konkret bezeichnet werden. Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und aus welchen Gründen sie sich qualitativ von denjenigen eines Verwaltungsrechtsstreits „durchschnittlicher“ Schwierigkeit abheben (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 16.06.2021 – 3 LA 56/20 –, juris Rn. 23; Beschl. v. 05.03.2021 – 2 LA 214/17 –, juris Rn. 4, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt das Zulassungsvorbringen nicht.

Die Klägerin meint besondere Schwierigkeiten darin zu erkennen, dass das Verwaltungsgericht angenommen habe, dass ein Fitnessstudio ein „öffentlicher Raum“ im Sinne des § 6b BDSG a.F. sei, ohne sich gegebenenfalls mit den Unterschieden zu beispielsweise einem Bahnhofsplatz auseinanderzusetzen. Außerdem sei schwierig, welche Folgen eine Unanwendbarkeit der herangezogenen Rechtsgrundlage habe und dass das Verwaltungsgericht nicht weiter zwischen den rechtfertigenden Gründen einer Videoüberwachung, nämlich der Wahrnehmung des Hausrechts einerseits und der Wahrnehmung berechtigter Interessen andererseits, differenziert habe. Damit sind besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder gar tatsächlicher Art jedoch nicht dargelegt. In diesem Vorbringen ist lediglich eine Kritik an der rechtlichen Prüfung des Verwaltungsgerichts, insbesondere der Subsumtion des Sachverhalts unter die herangezogenen Vorschriften erkennbar. Dass die an die gerichtliche Prüfung zu stellenden Anforderungen ausgefallen oder neuartig und damit als überdurchschnittlich schwierig zu bewerten sind, ergibt sich daraus jedoch nicht.

3. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht. Eine solche erfordert u.a., dass eine konkrete Rechts-(oder Tatsachenfrage) aufgeworfen wird, die klärungsfähig und -bedürftig ist, mithin für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war und dies auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren sein wird, sowie, dass sie bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt und über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist. Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen, ist u.a. auszuführen, dass die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (stRspr. des Senats, vgl. Beschl. des v. 17.02.2021 – 4 LA 208/19 –, juris Rn. 67 m.w.N.).

Entsprechende Darlegungen lässt der Antrag auf Zulassung der Berufung vollständig vermissen. Es fehlt bereits an der Formulierung einer konkreten, grundsatzbedeutsamen Frage. Der bloße Verweis darauf, dass hier die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der in Streit stehenden Ordnungsverfügung bzw. die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Videoüberwachung im allgemeinen Interesse lägen, genügt insoweit nicht. Daneben ist im Übrigen auch nicht dargelegt, ob und inwieweit bereits Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Videoüberwachung ergangen ist und inwieweit sich die Zulässigkeit einer solchen allgemeingültig, d.h. losgelöst vom jeweiligen konkreten Sachverhalt, beantworten lässt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Saarbrücken: Kein Anspruch auf Entfernung einer Videokamera auf Nachbargrundstück wenn durch Neuausrichtung der Kamera unzulässige Videoüberwachung verhindert werden kann

LG Saarbrücken
Urteil vom 13.10.2023
13 S 32/23


Das LG Saarbrücken hat entschieden,, dass kein Anspruch auf Entfernung einer Videokamera auf einem Nachbargrundstück besteht, wenn durch Neuausrichtung der Kamera eine unzulässige Videoüberwachung verhindert werden kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Kläger steht schon deshalb kein Anspruch auf Entfernung der installierten Kameras aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zu, weil ein Störer nur dann zu einer konkreten Maßnahme verurteilt werden kann, wenn allein diese Maßnahme den Nichteintritt der drohenden Beeinträchtigung gewährleistet (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 98/03 –, juris, Rn. 15 m.w.N.; LG Hamburg, Urteil vom 28. Dezember 2018 – 306 O 95/18 –, juris, Rn. 31). Hier sind neben der Entfernung als einschneidenste Maßnahme auch andere Abhilfemöglichkeiten denkbar, durch die der Kläger in gleicher Weise geschützt werden könnte. Es käme – sofern der klägerische Bereich betroffen wäre – insbesondere eine Neuausrichtung der Kameras dergestalt in Betracht, dass nur noch solche Grundstücksteile betroffen sind, welche nicht zu dem Bereich des Klägers gehören.

Dem Kläger steht auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung der Videoaufzeichnungen, soweit sie sein Grundstück betreffen, aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB nicht zu.

Der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als offenes Rahmenrecht entspricht es, dass sein Inhalt nicht abschließend umschrieben ist, sondern seine Ausprägungen jeweils anhand des zu entscheidenden Falls herausgearbeitet werden müssen (BGH, Urteil vom 26. November 2019 – VI ZR 12/19 –, juris, Rn. 13). In den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällt u.a. das Recht der informationellen Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06 –, juris, Rn. 37 m.w.N.; BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 11 m.w.N.). Die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit wird gefährdet, wenn jederzeit mit der Beobachtung durch Personen gerechnet werden muss, die man selbst nicht sehen kann oder wenn die reproduzierbare Aufzeichnung des eigenen Verhaltens droht. Denn durch eine Video- und Tonaufzeichnung können Lebensvorgänge technisch fixiert und in der Folge abgerufen, aufbereitet und gegebenenfalls ausgewertet werden. Hierdurch können eine Vielzahl von Informationen über die Betroffenen, ihre Familienmitglieder, Freunde und Besucher gewonnen werden. Auch kann das durch die Überwachung gewonnene Material dazu genutzt werden, das Verhalten des Betroffenen zu beeinflussen, indem "belastendes" Material über ihn gesammelt wird (LG Essen, Urteil vom 30. Januar 2019 – 12 O 62/18 –, juris, Rn. 29). Bei der Installation von Anlagen der Videoüberwachung auf einem Privatgrundstück muss deshalb sichergestellt sein, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch benachbarte Privatgrundstücke oder der gemeinsame Zugang zu diesen von den Kameras erfasst werden, sofern nicht ein das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen überwiegendes Interesse des Betreibers der Anlage im Rahmen der Abwägung bejaht werden kann (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 11 m.w.N.).

Vorliegend ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers schon nicht betroffen. Hierbei kommt es jedoch auf die erstinstanzlichen Feststellungen des Amtsgerichts hinsichtlich des Erfassungsbereichs der damaligen Kameras in der Berufungsinstanz nicht mehr an. Demnach spielt es zweitinstanzlich auch keine Rolle, dass eine Verpixelung oder Schwärzung eines Bildausschnitts in einer App grundsätzlich nicht ausreicht, um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu verneinen (vgl. hierzu LG Berlin, Urteil vom 23. Juli 2015 – 57 S 215/14 –, juris, Rn. 5). Denn der Beklagte installierte während des laufenden Berufungsverfahrens zwei neue Kameras, nachdem der Kläger die noch erstinstanzlich vorhandene Kamera mit einem Stock abgeschlagen und beschädigt hat. Die beiden neuen Kameras können nun aber nur noch das eigene Grundstück des Beklagten sowie einen kleinen Teilbereich des Gartens des klägerischen Grundstücks erfassen. Hiervon konnte sich die Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2023 durch Einsichtnahme in die Videoübermittlungen des Beklagten auf dessen Mobiltelefon überzeugen. Da der teilweise erfasste Garten des klägerischen Grundstücks durch die Vermieterin des Klägers nicht an diesen mitvermietet wurde, hat der Kläger aber kein Recht, den von der Kamera betroffenen Bereich zu betreten. Schon deshalb ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers nicht betroffen. Im Übrigen ist die Vermieterin des Klägers unstreitig mit einer etwaigen Aufnahme ihres Gartens einverstanden (vgl. Bl. 19 d.eAkte).

Die erstmals während der Berufung vorgetragenen Tatsachen betreffend den Wirkbereich der beiden neuen Kameras sowie den Umfang des an den Kläger vermieteten Teils des Grundstücks sind in der zweiten Instanz zuzulassen, da diese unstreitig sind. Unstreitige Tatsachen sind unabhängig von den Voraussetzungen des § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 531 Abs. 2 ZPO stets zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 18. November 2004 – IX ZR 229/03 –, juris, Rn. 11 ff. und Beschluss vom 8. Mai 2018 – XI ZR 538/17 –, juris, Rn. 25; Heßler in: Zöller, 34. Auflage 2022, § 531 ZPO Rn. 20).

Auch mit Hilfe der Rechtsfigur des „Überwachungsdruckes“ kann der Kläger keinen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB herleiten. Ein solcher Anspruch kann bestehen, wenn eine Überwachung durch Kameras objektiv ernsthaft befürchtet werden muss (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 13; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Oktober 2011 – V ZR 265/10 –, juris, Rn. 9). Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon aufgrund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. Deshalb ist die Installation einer Überwachungsanlage auf einem privaten Grundstück nicht rechtswidrig, wenn objektiv feststeht, dass dadurch öffentliche und fremde private Flächen nicht erfasst werden, wenn eine solche Erfassung nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage möglich ist und wenn auch sonst Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 14; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Oktober 2011 – V ZR 265/10 –, juris, Rn. 9). Wie oben bereits dargelegt erfassen die neuen Kameras nur Bereiche, welche nicht dem Lebensbereich des Klägers zuzuordnen sind. Zudem hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass die jetzt installierte Kamera nicht per Fernbedienung, sondern nur manuell bewegt werden kann, sodass eine Veränderung des Wirkbereichs der Kamera nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage erfolgen kann. Das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist damit nicht berührt.

Ob die Voraussetzungen für die klägerseits begehrte Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vorliegen, kann aus den oben genannten Gründen dahinstehen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Von Privatperson unter Verstoß gegen DSGVO erstellte Videoaufnahmen sind im Strafverfahren verwertbar

BGH
Beschluss vom 18.08.2021
5 StR 217/21


Der BGH hat entschieden, dass von einer Privatperson unter Verstoß gegen die Vorgaben der DSGVO erstellte Videoaufnahmen im Strafverfahren verwertbar sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass entgegen der Auffassung der Revision keine Bedenken gegen die Verwertbarkeit der Videoaufnahmen von der Tatbegehung bestehen. Selbst wenn diese unter Verstoß gegen die Vorgaben der DSGVO erlangt worden sind, weil der Inhaber eines Ladengeschäfts mit seiner davor angebrachten Videokamera über 50 Meter ins öffentliche Straßenland hineingefilmt hat, würde dies nicht zur Unverwertbarkeit des so erlangten Beweismittels führen. Denn auch rechtswidrig von Privaten erlangte Beweismittel sind grundsätzlich im Strafverfahren verwertbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2010 – 2 BvR 2101/09, NJW 2011, 2417; BGH, Urteile vom 22. Februar 1978 – 2 StR 334/77, BGHSt 27, 355, 357; vom 9. April 1986 – 3 StR 551/85, BGHSt 34, 39, 52; zu Videoaufnahmen auch BGH, Beschluss vom 18. August 2020 – 5 StR 175/20 mwN). Durch das Inkrafttreten der DSGVO hat sich daran nichts geändert.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OVG Rheinland-Pfalz: DSGVO ist nicht auf abgeschaltete Überwachungskameras anzuwenden - Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO keine Befugnisnorm für Abbauanordnung

OVG Rheinland-Pfalz
Urteil vom 25.06.2021
10 A 10302/21


Das OVG Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass die DSGVO nicht auf abgeschaltete Überwachungskameras anzuwenden ist. Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO ist daher keine Befugnisnorm für eine Abbauanordnung.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung ist nicht eröffnet.

Nach Art. 2 Abs.1 DS-GVO gilt die Verordnung für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Dabei bezeichnet „Verarbeitung“ gemäß Art. 4 Nr. 2 DS-GVO jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung. Daran fehlt es vorliegend.

Zwar handelt es sich bei Videoaufnahmen und deren vorläufiger Speicherung durch eine Überwachungskamera um Datenverarbeitungsvorgänge im Sinne von Art. 4 DS-GVO. Jedoch werden von der streitgegenständlichen Kamera 01 keine Daten (mehr) verarbeitet. Denn die in Ziffer 2 des Bescheids vom 23. November 2018 angeordnete Einstellung des Betriebes dieser Kamera ist, nachdem das Verwaltungsgericht die Klage insoweit abgewiesen, der Kläger diesbezüglich die Zulassung der Berufung nicht beantragt und sich auch der Berufung des Beklagten nicht gemäß § 127 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – angeschlossen hat, bestandskräftig geworden. Ist die Kamera ausgeschaltet, findet – da Anhaltspunkte für einen fortdauernden und der Verfügung widersprechenden Betrieb nicht vorliegen und auch vom Beklagte nicht vorgetragen werden – eine Verarbeitung personenbezogener Daten nicht (mehr) statt. Der sachliche Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung gemäß Art. 2 Abs. 1 DS-GVO ist im Hinblick auf die bloß vorhandene, aber deaktivierte Kamera nicht eröffnet (vgl. Polenz in: Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, 1. Auflage 2019, Anhang 1 zu Art. 6 Rn. 43; ebenso: Datenschutzkonferenz, Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen, 17. Juli 2020, Nr. 1.1, S. 5).

2. Ungeachtet dessen ermächtigt Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO nicht zur Anordnung des Abbaus der stillgelegten Kamera; eine erweiternde Auslegung der Vorschrift, wie sie der Beklagte vornimmt, scheidet aus.

a) Nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO verfügt die Aufsichtsbehörde im Fall eines Datenschutzverstoßes über sämtliche Abhilfebefugnisse, die es ihr – lediglich – gestatten, eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, zu verhängen. Von dieser Befugnis hat der Beklagte durch die Anordnung zur Einstellung der Datenverarbeitung durch Kamera 01 Gebrauch gemacht; diese Verfügung ist bestandskräftig. Eine weitergehende Befugnis zur Anordnung auch des Abbaus der Kamera begründet Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO nicht. Vielmehr ermächtigt die Norm die Aufsichtsbehörde ihrem eindeutigen Wortlaut nach allein dazu, die Verarbeitung vorübergehend oder ganz zu beschränken bzw. zu verbieten. Ebenso wie die Untersagung in der Vorgängerregelung des § 38 Abs. 5 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz – BDSG – a.F. bezieht sich die Beschränkung bzw. das Verbot auf ein Verhalten – die Datenverarbei-tung –, erstreckt sich jedoch nicht auf die Beseitigung der zugehörigen Hardware (in diesem Sinne bereits zu § 38 Abs. 5 BDSG a.F.: VG Oldenburg, Urteil vom 12. März 2013 – 1 A 3850/12 –, juris, Rn. 22; Nguyen in: Gola, DS-GVO, a.a.O., Art. 58, Rn. 20).

b) Entgegen der Ansicht des Beklagten lässt sich die Anweisung zum Abbau einer deaktivierten Kamera nicht unter den Begriff des Verbots im Sinne der Vorschrift subsumieren. Gemäß Erwägungsgrund 129 Satz 4 DS-GVO darf ein Verbot nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur verhängt werden, wenn weniger einschneidende Maßnahmen wie die Beschränkung der Verarbeitung keinen Erfolg versprechen. Stellt sich das Verbot damit als ultima ratio der Abhilfemaßnahmen nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO dar (vgl. Simitis/Horn/Spiecker, a.a.O., Art. 58. Rn. 40; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Januar 2020 – 1 S 3001/19 – juris, Rn. 61), scheidet eine erweiternde Auslegung des Verbotsbegriffes im Sinne eines deutlich eingriffsintensiveren Gebots zum Abbau einer deaktivierten Kamera aus. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Verbot nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO im Vergleich zu den anderen Maßnahmen aus dem Katalog des Art. 58 Abs. 2 wie etwa Verwarnungen (vgl. lit. b) und Anweisungen zu künftigem Verhalten (lit. d) ohnehin bereits um eine der belastendsten Maßnahmen für den Datenverarbeiter handelt.

c) Anders als der Beklagte meint, ermächtigt Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO auch nicht zur Anordnung des Abbaus als „technisch-organisatorische Maßnahme im Verarbeitungsumfeld“. Zwar ist der für die Verarbeitung Verantwortliche verpflichtet, durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen u.a. sicherzustellen, dass die Verarbeitung gemäß der Datenschutz-Grundverordnung erfolgt (Art. 24 Abs. 1 DS-GVO), dass die Datenschutzgrundsätze wie etwa Datenminimierung wirksam umgesetzt werden (Art. 25 Abs. 1 DS-GVO) und ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau gewährleistet ist (Art. 32 Abs. 1 DS-GVO). Die Verpflichtung zur Durchführung solcher Maßnahmen, deren Erforderlichkeit sich nach den jeweiligen Risiken der betreffenden Verarbeitung personenbezogener Daten richtet (sog. risikobasierter Ansatz, vgl. Erwägungsgrund 75 und 76 DS-GVO), besteht jedoch nicht isoliert. Vielmehr beziehen sich die vorgegebenen technischen und organisatorischen Maßnahmen ebenso wie die Beschränkungen und Verbote stets auf Datenverarbeitungsvorgänge, deren Vereinbarkeit mit der Datenschutz-Grundverordnung sie gewährleisten sollen. Derartige Verarbeitungsvorgänge finden jedoch bei einer deaktivierten Kamera wie dargelegt nicht statt. In Ermangelung von Datenverarbeitungsvorgängen lässt sich auch ein die Anordnung rechtfertigender mittelbarer Verarbeitungszusammenhang, wie er von der Beklagten behauptet wird, nicht feststellen.

d) Ebenso wenig lässt sich eine Abhilfebefugnis im Sinne einer Beseitigungsanordnung auf den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz stützen, wonach es den Mitgliedstaaten ebenso wie den nationalen Gerichten bei der Anwendung von Unionsrecht obliegt, die volle Wirkung seiner Bestimmungen zu gewährleisten („effet utile“, vgl. EuGH, Urteil vom 17. September 2002 – C-253/00 –, juris, Rn. 28 m.w.N.). Dafür, dass die datenschutzrechtlichen Regelungen zur Entfaltung ihrer vollen Wirksamkeit über das Verarbeitungsverbot des Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO hinaus einer weiteren Absicherung durch eine zusätzliche – nicht normierte – Befugnis zur Anordnung der Deinstallation von Datenverarbeitungsanlagen bedürfen, lässt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm nichts herleiten. Art. 58 DS-GVO hat Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Richtlinie – DS-RL –) abgelöst, der im Vergleich relativ grobe Untersuchungs- und Einwirkungsbefugnisse sowie das Klagerecht und die Anzeigebefugnis der Aufsichtsbehörden normiert hat. Im Gegensatz zu den Befugnissen nach Art. 28 Abs. 3 DS-RL, die in ihrer Reichweite und Wirksamkeit wesentlich von den Vorgaben des nationalen Gesetzgebers in den einzelnen nationalen Umsetzungsgesetzen abhingen und deshalb erheblich zwischen den Mitgliedstaaten divergieren konnten (vgl. Ehmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Auflage 2018, Art. 58, Rn. 1), hat der Verordnungsgeber in Art. 58 DS-GVO die Befugnisse der Aufsichtsbehörde erstmals europaweit einheitlich und mit unmittelbarer Geltung geregelt, um ein einheitliches Datenschutzniveau innerhalb der EU herzustellen (vgl. Gesetzesbegründung der Kommission, KOM (2012) 11, S. 2). Angesichts der gegenüber der Vorgängernorm des § 28 Abs. 3 DS-RL deutlich erweiterten und präzisierten Abhilfebefugnisse – Art. 58 DS-GVO sieht 26 konkrete Untersuchungs-, Abhilfe- und Genehmigungsbefugnisse vor – kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber ein – die vorgesehenen Abhilfebefugnisse in seiner Intensität zudem deutlich übersteigendes – Gebot zur Deinstallation von Hardware versehentlich nicht normiert hat, diese Lücke systemwidrig wäre und nunmehr über den Grundsatz des „effet utile“ geschlossen werden müsste. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Frage, ob die Aufsichtsbehörde auch zur Anordnung des Abbaus einer Kamera ermächtigt ist, bereits unter der Geltung von Art. 28 Abs. 3 DS-RL bzw. § 38 Abs. 5 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) a.F. umstritten war (vgl. Nguyen in Gola, a.a.O., Art. 58, Rn. 20 m.w.N., VG Oldenburg, Urteil vom 12. März 2013 – 1 A 3850/12 –, a.a.O.). Eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für eine Abbauanordnung hat jedoch trotz der bereits bekannten Problematik keinen Eingang in die Datenschutz-Grundverordnung gefunden. Im Gegenteil findet sich in der Gesetzesbegründung zu den Befugnissen der Aufsichtsbehörde (zum Entwurfszeitpunkt noch geregelt in Art. 53 der Verordnung) lediglich, dass Art. 53 – zum Teil gestützt auf die Vorgängerregelung des Art. 28 Abs. 3 DS-RL – die Befugnisse der Aufsichtsbehörde mit „einigen neuen Aspekten, darunter die Befugnis zur Verhängung verwaltungsrechtlicher Sanktionen“, regelt (vgl. Gesetzesbegründung der Kommission, a.a.O., S. 14). Anhaltspunkte dafür, dass zusätzlich zu den bislang ausschließlich als Verbot bzw. Beschränkung vorgesehenen Abhilfebefugnissen eine Abhilfebefugnis in Gestalt eines Handlungsgebotes (zum Abbau einer Datenverarbeitungsanlage) geschaffen werden sollte, fehlen.

e) Schließlich rechtfertigt der Umstand, dass von der abgeschalteten Kamera 01 ebenso wie von einer Attrappe ein sog. Überwachungsdruck ausgeht, nicht die Annahme einer Befugnis des Beklagten zur Anordnung des Abbaus. Soweit eine Videoüberwachung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Einzelnen in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung eingreift, sind evtl. Abwehr-, Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche vom Betroffenen im Zivilrechtsweg geltend zu machen (vgl. Datenschutzkonferenz, Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen vom 17. Juli 2020, a.a.O., Ziffer 1.3 m.w.N. zur zivilgerichtlichen Rechtsprechung; VG Oldenburg, Urteil vom 12. März 2013 – 1 A 3850/12 – juris, Rn. 24; Simitis/Hornung/Spiecker, Datenschutzrecht, a.a.O., Anhang 1 zur Art. 6, Rn. 43).

f) Soweit der Beklagte geltend macht, ein isoliertes Verarbeitungsverbot vermöge Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung nicht wirksam zu begegnen, da der Kläger die Kamera jederzeit wieder in Betrieb nehmen könne, ohne dass die Aufsichtsbehörde dies kontrollieren und der Kläger seiner Rechenschaftspflicht nach Art. 5 Abs. 2 DS-GVO nachkommen könne, ist er angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift auf Art. 58 Abs. 6 Satz 1 DS-GVO zu verweisen, wonach es jedem Mitgliedstaat freisteht, durch Rechtsvorschriften vorzusehen, dass seine Aufsichtsbehörde neben den in den Absätzen 1 bis 3 aufgeführten Befugnissen über zusätzliche Befugnisse verfügt, die allerdings nicht die effektive Durchführung des Kapitels VII der Datenschutz-Grundverordnung beeinträchtigen dürfen (ebenso: Nguyen in: Gola, DS-GVO, a.a.O., Art. 58, Rn. 20 a.E.). Von dieser Öffnungsklausel hat der nationale Gesetzgeber bislang nur in Gestalt von § 40 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 6 Satz 2 BDSG (vgl. Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, a.a.O., Art. 58, Rn. 74), nicht aber im Hinblick auf die Ermächtigung zum Erlass einer Beseitigungsanordnung Gebrauch gemacht.

Scheidet die Anordnung des Abbaus der Kamera auf der Grundlage von Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO aus, kommt es auf die Ausführungen der Beteiligten zur Verhältnismäßigkeit der Abbauanordnung nicht mehr an.


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LG Frankenthal: Überwachungskamera auf Grundstück kann allgemeines Persönlichkeitsrecht Dritter verletzen wenn Überwachung Dritter objektiv ernsthaft zu befürchten ist

LG Frankenthal
Urteil vom 16.12.2020
2 S 195/19


Das LG Frankenthal hat entschieden, dass die Überwachungskamera auf einem Grundstück das allgemeine Persönlichkeitsrecht Dritter verletzen kann, wenn die Überwachung Dritter objektiv ernsthaft zu befürchten ist

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Zutreffend hat das Amtsgericht die Erledigung des Rechtsstreits im Hinblick auf die im Laufe des Verfahrens jeweils abmontierten Kameras an der Giebelwand festgestellt.

Zu Recht hat das Erstgericht angenommen, dass die Kläger einen Anspruch gemäß §§ 823, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auf Beseitigung der unter dem Giebelfenster des Beklagtenanwesens befestigten Kamera hatten - und auch einen Anspruch auf Unterlassung einer Videoüberwachung haben -, da die Installation der Kamera das Persönlichkeitsrecht der Kläger beeinträchtigt hat.

1. Die Herstellung von Bildnissen einer Person, insbesondere die Filmaufzeichnung mittels einer Videokamera, auch in der Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen, kann einen unzulässigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen darstellen, selbst wenn keine Verbreitungsabsicht besteht; dabei kann die Frage, ob ein derartiger rechtswidriger Eingriff anzunehmen ist, nur unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und durch Vornahme einer die (verfassungs-) rechtlich geschützten Positionen der Beteiligten berücksichtigenden Güter- und Interessenabwägung beantwortet werden (BGH, Urt. v. 16.03.2010 - Az. VI ZR 176/09, Rn. 11; Urt. v. 25.04.1995 - VI ZR 272/94, zit. n. Juris).

Grundsätzlich ist eine Überwachung auf das eigene Grundstück zu beschränken. Nur bei das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen überwiegenden Interessen des Betreibers der Videoüberwachungsanlage dürfen auch öffentliche Verkehrsflächen und Zugänge zu fremden Grundstücken erfasst werden (BGH, Urt. v. 16.03.2010 - VI ZR 176/09, Rn. 11, zit. n. Juris).

2. Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht Dritter liegt vor, wenn diese durch die Überwachung tatsächlich betroffen sind. Kann dies festgestellt werden und ergibt die erforderliche Abwägung, dass das Interesse des Betreibers der Anlage das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen nicht überwiegt, ist der Unterlassungsanspruch begründet (BGH, Urt. v. 16.03.2010 - VI ZR 176/09, Rn. 12, zit. n. Juris).

Vorliegend steht allerdings nicht fest, dass der Erfassungswinkel der Kamera in der Vergangenheit tatsächlich auf das Grundstück der Kläger gerichtet war.

3. Allerdings kann auch bei der Ausrichtung von Überwachungskameras allein auf das eigene Grundstück des Grundstückseigentümers das Persönlichkeitsrecht Dritter beeinträchtigt sein. Ein Unterlassungsanspruch kann nämlich, wie das Amtsgericht zutreffend ausführt, auch bestehen, wenn Dritte eine Überwachung durch Überwachungskameras objektiv ernsthaft befürchten müssen ("Überwachungsdruck", vgl. BGH, Urt. v. 16.03.2010 - VI ZR 176/09, Rn. 13, zit. n. Juris).

Eine solche Befürchtung ist dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch eine Videokamera beeinträchtigt das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalles an (BGH, Urt. v. 21.10.2011 - 265/10, Rn. 9 ff.; Urt. v. 16.03.2010 - VI ZR 176/09, Rn. 13, zit. n. Juris).

Selbst wenn sich hier nicht feststellen lässt, dass der Erfassungswinkel der Kamera in der Vergangenheit tatsächlich auf das Grundstück der Kläger gerichtet war, ist mit dem Amtsgericht im konkreten Fall eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zu bejahen. Denn die Kläger mussten aufgrund der Umstände objektiv ernsthaft befürchten, künftig in den Überwachungsbereich der am Giebel des Anwesens der Beklagten einbezogen zu werden.

a) Es bestand zum einen aufgrund der nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 19.09.2018 bei beiden nacheinander am Giebel des Beklagtenanwesens installierten Kameras die Möglichkeit, diese so auszurichten, dass der Erfassungswinkel das gesamte Gartengrundstück der Kläger (erste Kamera) oder einen Teil des Gartens erfasste, und zwar den, in dem die Kläger gewöhnlich ihre Liegestühle aufstellen (zweite Kamera). Der Sachverständige hat dies mit Lichtbildern von den jeweils möglichen Einstellwinkeln und von den Erfassungsbereichen der Kameras, wenn sie zum Klägergrundstück gedreht sind, anschaulich gemacht (zur ursprünglich angebrachten Kamera s. Lichtbild 19 S.12 des Gutachtens, zur später angebrachten Kamera s. Lichtbild 14, S. 10 des Gutachtens).

Dass auch die zunächst angebrachte Kamera zur Seite drehbar war, macht weiter ein von den Klägern mit Schriftsatz vom 24.11.2018 vorgelegtes Lichtbild (Bl. 164 d.A.) deutlich.

Ohne Erfolg rügt der Berufungskläger, dass das Amtsgericht dem erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 13.11.2018 (Bl. 159 d.A.) vorgebrachten Antrag auf mündliche Erläuterung des schriftlichen Sachverständigengutachtens nicht nachgegangen ist.

Zwar ist die mündliche Erläuterung des schriftlichen Gutachtens auf Antrag einer Partei stets geboten nach § 402 i.V.m. § 397 (BGHZ 6, 398; BGH NJW 98, 162; BGH MDR 2019, 1013). Die Nichtbeachtung verletzt grundsätzlich das rechtliche Gehör (BVerfG NJW 98, 2273; NJW 2012, 1346; NJW 2018, 3097). Grundsätzlich gilt, dass der Partei Gelegenheit gegeben werden muss, Fragen zur Erläuterung u Ergänzung zu stellen. Ein Antrag kann jedoch zurückgewiesen werden, wenn das schriftliche Gutachten vollständig und überzeugungsfähig ist, der Antrag aber gleichwohl nicht konkret begründet wird (BGHZ 24, 9, 14; BAG MDR 68, 529; Rixecker NJW 84, 2135, 2137; Ankermann NJW 85, 1204, 1205) oder in seiner Begründung die Ankündigung abwegiger, bereits eindeutig beantworteter oder beweisunerheblicher Fragen enthält (OLGR Saarbrücken 2004, 379; OLGR Oldenburg 98, 17; Hamm MDR 85, 593; Zöller-Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 411 Rn. 5). Vorliegend sind die Fragen des Berufungsklägers bereits im Sachverständigengutachten eindeutig beantwortet worden, sodass es einer Anhörung des Sachverständigen nicht bedurfte. In seinem Gutachten vom 19.09.2018 (Bl. 114 ff. d.A.) hat der Sachverständige genau das festgestellt, was der Berufungskläger behauptet. So ergibt das Gutachten im Hinblick auf die erste, bei Klageerhebung angebrachte Kamera, die im Laufe des Rechtsstreits entfernt wurde, dass, wie auch der Berufungskläger geltend macht, die Kamera ausweislich der Bedienungsanleitung durch eine Schraube fixiert werden konnte. Ausweislich des Gutachtens musste die Schraube an der Seite gelockert werden, um die Halterung um 90° zu schwenken. Hinsichtlich der zweiten, erst im Laufe des Rechtsstreits an der Giebelwand angebrachten und von dem Sachverständigen auch tatsächlich vorgefundenen Kamera, moniert der Berufungskläger, dass der Sachverständige bei der Besichtigung die Kamera zwar auch ohne Lösen der Schraube habe drehen können, dafür sei jedoch ein erheblicher Kraftaufwand erforderlich gewesen, und dies sei nicht bestimmungsgemäß. Hierzu ist festzuhalten, dass der Sachverständige in seinem Gutachten klar festgehalten hat, dass bei der zweiten Kamera ein Schwenken nicht möglich sei. Sie habe aber eine seitliche Drehmöglichkeit nach links und rechts (S. 11 des Gutachtens). Diese ist auf Lichtbild 12 (S. 9 des Gutachtens) gut erkennbar. Der Sachverständige hat zudem ausdrücklich festgestellt, dass er eine Fixierung, die das Drehen verhindere, nicht vorgefunden habe. Damit ist auch die Frage, ob eine Fixierung der zweiten Kamera durch eine Schraube vorhanden war, eindeutig beantwortet. Auf den Lichtbildern im Sachverständigengutachten (s. Lichtbilder 12, 15, 16) ist zudem deutlich erkennbar, dass die Kamera nach rechts und links drehbar war.

b) Vorliegend war darüber hinaus die Befürchtung einer Überwachung durch die Kameras gerechtfertigt, weil sie im Hinblick auf den eskalierenden Nachbarschaftsstreit zwischen den Parteien nachvollziehbar und verständlich erscheint. Es liegen konkrete objektive Umstände vor, die einen entsprechenden Überwachungsverdacht rechtfertigen. Die Parteien sind, wie die Klägerin unbestritten vorgetragen haben, seit Längerem miteinander verfeindet und führen seit geraumer Zeit einen erbitterten Nachbarstreit, der in den Monaten vor Klageerhebung mehr und mehr eskalierte. Dies führte unter anderem dazu, dass die ehemalige Beklagte und ihr Ehemann mit Rechtsanwaltsschreiben vom 08.06.2016 den Klägern jegliche Kontaktaufnahme verbieten ließen. Auch wurde ein Hausverbot gegen über den Klägern ausgesprochen, verbunden mit dem Hinweis, dass bei Nichtbeachtung Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet würde (vgl. Anl. K 3, Bl. 13 d.A.). Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 13.06.2016 erteilten sodann die Kläger der Beklagten und ihrem Ehemann ebenfalls Hausverbot und warfen der ehemaligen Beklagten zugleich einen Überbau vor (vgl. Anl. K 4, Bl. 15 d.A.). Die Beklagtenseite macht die Kläger dafür verantwortlich, dass der Sockelbereich ihres Anwesens Feuchtigkeitsschäden erlitten habe, weil die Kläger an der Außenfassade des Anwesens der Beklagten eine Noppenfolie angebracht hätten (vgl. Anl. K 5, Bl. 18 d.A.), was Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens wurde. Weiter werfen die Kläger der Beklagtenseite vor, unzulässigerweise Niederschlagswasser auf ihr Grundstück abzuleiten (vgl. Anl. K 6, Bl. 20 d.A.). Die Beklagtenseite wirft der Klägerin vor, in den Jahren 1998, 1999 und 2000 mehrfach unberechtigt über den Zaun gestiegen zu sein, um die Beklagte einzuschüchtern. Sie begründet genau damit auch die Anbringung der Überwachungskameras auf ihrem Grundstück.

Bekräftigt wird die Sorge der Kläger vor einer Überwachung zudem dadurch, dass, wie das Erstgericht unangegriffen festgestellt hat, der Beklagte nach Ende der Sitzung in äußerst aggressivem Ton darauf beharrt hat, er müsse sich vor den Klägern schützen, er werfe ihnen Bedrohung und Hausfriedensbruch vor, und er wolle daher sein Grundstück vor Beeinträchtigungen von außen schützen. Nach den Ausführungen des Beklagten in der Berufung haben sich die Parteien seit Jahren zerstritten und es „werde ein begründetes Misstrauen einander entgegengebracht“. Unmittelbar in diesem Zusammenhang führt er weiter an, dass sich immer wieder zerstörte Pflanzen und tote Tiere auf seinem Grundstück befänden und er daher sein Grundstück vor Beeinträchtigungen von außen schützen wolle. Mit einem im Rahmen eines Schiedstermins vom 01.12.2016 erörterten Vorschlag, die Kamera so zu platzieren, dass sie das klägerische Grundstück nicht mehr erfassen könne, war der Beklagte nicht einverstanden.

Aus alledem wird deutlich, dass die Anbringung der Kameras von Anfang an gegen die Kläger gerichtet war und dass der bereits zuvor andauernde Streit zwischen den Parteien und das tiefe Misstrauen, dass der Beklagte mit seinen Äußerungen gegenüber dem Gericht deutlich bekräftigt hat, durchaus die Befürchtung rechtfertigen und von Anfang an gerechtfertigt haben, dass die Beklagtenseite die Kameras zu einer Überwachung der Kläger einsetzen würden.

c) Ein objektiv ernsthafter Überwachungsverdacht ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil der Aufnahmewinkel der beiden Kameras, die unter dem Giebelfenster angebracht waren, nicht ohne einen gewissen Aufwand so ausgerichtet werden konnte, dass jedenfalls teilweise das klägerische Grundstück erfasst wurde.

In der Rechtsprechung wird teilweise ein Anspruch auf Unterlassung des Betriebs solcher Videokameras, die auf das Nachbargrundstück lediglich ausrichtbar sind, verneint, wenn der Nachbar die Anfertigung von Aufnahmen lediglich befürchtet und die Kameras nur mit erheblichem und äußerlich wahrnehmbarem Aufwand, also nicht etwa nur durch das Betätigen einer Steuerungsanlage, auf sein Grundstück gerichtet werden können (vgl. LG Bielefeld, NJW-RR 2008, 327 f.; LG Itzehoe, NJW-RR 1999, 1394 f.). Aus dem Sachverständigengutachten folgt, dass die zuletzt installierte Kamera zwar nicht nach vorne geschwenkt werden konnte, jedoch nach links und rechts zu drehen war. Bei Drehung der Kamera in Richtung des klägerischen Grundstücks konnte ein Teil des Gartens beobachtet werden. Eine entsprechende Drehung der Kamera war auch mit geringem Aufwand möglich. Wie der Sachverständige in seinem Gutachten ausführt, war eine Fixierung, die das Drehen verhinderte, nicht vorhanden.

Aber selbst wenn man das Vorbringen der Beklagtenseite als wahr unterstellt, dass auch diese Kamera nur gedreht werden konnte, wenn man eine Schraube löste, ändert dies nichts daran, dass auch dies nur als geringer Aufwand einzustufen ist. Das Verstellen des Kamerawinkels durch Lösen einer Schraube mag zwar ein äußerlich wahrnehmbarer Vorgang sein. Dies allein rechtfertigt jedoch nicht die Annahme einer lediglich theoretischen Möglichkeit der Veränderung des Kamerawinkels (vergleiche den Fall BGH Urt. v. 21.10.2011 - V ZR 265/10, zit. n. Juris, in dem die Kameras in einer Höhe von sieben und neun Metern an dem Haus angebracht waren und ihr Aufnahmewinkel daher nur unter Zuhilfenahme einer langen Leiter verändert werden konnte. Laut BGH war deshalb ein objektiv ernsthafter Überwachungsverdacht nicht zu verneinen, da es ohne Weiteres möglich sei, die Leiter zu einem Zeitpunkt an das Haus anzustellen, zu dem die beiden Nachbarn gerade nicht zu Hause sind, zumal ein solcher Vorgang nicht sehr zeitaufwendig sei)). Eine entsprechende Veränderung war daher m Falle beider Kameras recht einfach und ohne erheblichen Aufwand möglich. Zudem konnte der Sachverständige im Fall der zuletzt montierten Kamera dies - wenn es auch nicht der Bedienungsanleitung entsprochen haben mag - sogar per Hand und ohne Lösen der Schraube bewerkstelligen.

4. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger ist auch rechtswidrig. Soweit der Beklagte ein berechtigtes Interesse an der Überwachung seines Grundstücks geltend macht, hat dieses Vorbringen keinen Erfolg. Ein berechtigtes Interesse rechtfertigt allenfalls die Überwachung des eigenen Grundstücks, nicht fremder Grundstücksteile (vgl. BGH, a.a.O., Urt. v. 21.10.2011 - V ZR 265/10 Rn. 9,13, zit. n. Juris). Dann nämlich müssen die berechtigten Interessen der von den Videoaufnahmen betroffenen Dritten, hier der Kläger, ebenfalls Berücksichtigung finden. Insofern kann eine Überwachung von Dritten nur ganz ausnahmsweise und bei einer konkreten, schwerwiegenden Rechtsverletzung in Betracht kommen. Soweit sich die Beklagtenseite darauf beruft, die Klägerin sei in den Jahren 1998,1999 und 2000 mehrfach unberechtigt über den Zaun zwischen den Grundstücken gestiegen, um die frühere Beklagte einzuschüchtern, handelt es sich selbst unter Zugrundelegung des Beklagtenvorbringens um Einwirkungen geringerer Qualität, die eine Kameraüberwachung der Kläger nicht rechtfertigen. Auch das Vorbringen des Beklagten in der Berufung, dass sich immer wieder zerstörte Pflanzen und tote Tiere auf seinem Grundstück befänden und er sein Grundstück daher vor Beeinträchtigungen von außen schützen wolle, führt nicht dazu, dass die Kläger die Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts hinnehmen müssten.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Auch Privatpersonen müssen beim Einsatz von Überwachungskameras Vorgaben der EU-Datenschutzrichtlinie beachten

EuGH
Urteil vom 11.12.2014
C-212/13

Der EuGH hat entschieden, dass auch Privatpersonen beim Einsatz von Überwachungskameras die Vorgaben der EU-Datenschutzrichtlinie beachten müssen:

Tenor der Entscheidung:

Art. 3 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass der Betrieb eines von einer natürlichen Person an ihrem Einfamilienhaus zum Zweck des Schutzes des Eigentums, der Gesundheit und des Lebens der Besitzer des Hauses angebrachten Kamerasystems, das Videos von Personen auf einer kontinuierlichen Speichervorrichtung wie einer Festplatte aufzeichnet und dabei auch den öffentlichen Raum überwacht, keine Datenverarbeitung darstellt, die im Sinne dieser Bestimmung zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten vorgenommen wird.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Die Richtlinie zum Schutz personenbezogener Daten ist auf die Videoaufzeichnung mit einer Überwachungskamera anwendbar, die von einer Person an ihrem Einfamilienhaus angebracht wurde und auf den öffentlichen Straßenraum gerichtet ist

Die Richtlinie ermöglicht jedoch die Würdigung des berechtigten Interesses dieser Person, das Eigentum, die Gesundheit und das Leben seiner selbst und seiner Familie zu schützen

Nach der Richtlinie zum Schutz personenbezogener Daten ist die Verarbeitung solcher Daten grundsätzlich nur erlaubt, wenn die betroffene Person ihre Einwilligung gegeben hat. Die Richtlinie findet jedoch keine Anwendung auf die Datenverarbeitung, die von einer natürlichen Person zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten vorgenommen wird.

Herr Ryneš und seine Familie waren wiederholt Ziel von Angriffen eines Unbekannten, und die Fenster ihres Hauses wurden mehrfach eingeschlagen. Als Reaktion auf diese Angriffe brachte Herr Ryneš an dem Haus seiner Familie eine Überwachungskamera an, die den Eingang des Hauses, den öffentlichen Straßenraum sowie den Eingang des gegenüberliegenden Hauses aufzeichnete.

In der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober 2007 wurde eine Fensterscheibe seines Hauses mittels einer Schleuder beschossen und zerstört. Die der Polizei übergebenen Aufzeichnungen der Überwachungskamera ermöglichten die Identifizierung von zwei Verdächtigen, gegen die Strafverfahren eingeleitet wurden.

Einer der Verdächtigen beanstandete jedoch beim tschechischen Amt für den Schutz personenbezogener Daten die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung der von der Überwachungskamera von Herrn Ryneš aufgezeichneten Daten. Das Amt stellte fest, dass Herr Ryneš tatsächlich gegen die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten verstoßen habe, und verhängte eine Geldbuße gegen ihn. Das Amt führte hierzu u. a. aus, dass die Daten des Verdächtigen ohne seine Einwilligung aufgezeichnet worden seien, obwohl er sich im öffentlichen Straßenraum aufgehalten habe, d. h. auf dem Teil der Straße, der sich vor dem Haus von Herrn Ryneš befinde.

Der in der Kassationsbeschwerdeinstanz mit dem Rechtsstreit zwischen Herrn Ryneš und dem Amt befasste Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) möchte vom Gerichtshof wissen, ob die Aufzeichnung, die Herr Ryneš vorgenommen hat, um sein Leben, seine Gesundheit und sein Eigentum zu schützen (d. h. die Aufzeichnung personenbezogener Daten von Personen, die sein Haus vom öffentlichen Straßenraum aus angegriffen haben), eine Datenverarbeitung darstellt, die nicht von der Richtlinie erfasst wird, weil die Aufzeichnung von einer natürlichen Person zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten vorgenommen wurde.

In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof erstens darauf hin, dass sich der Begriff der personenbezogenen Daten im Sinne dieser Richtlinie auf alle Informationen über eine bestimmte 1 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31) oder bestimmbare natürliche Person bezieht. Als bestimmbar wird eine Person angesehen, die durch Zuordnung zu einem oder mehreren spezifischen Elementen, die Ausdruck ihrer physischen Identität sind, direkt oder indirekt identifiziert werden kann. Das von einer Kamera aufgezeichnete Bild einer Person fällt somit unter den Begriff der personenbezogenen Daten, da es die Identifikation der betroffenen Person ermöglicht.

Ebenso fällt die Videoüberwachung, bei der personenbezogene Daten aufgezeichnet und gespeichert werden, in den Anwendungsbereich der Richtlinie, da sie eine automatisierte Verarbeitung dieser Daten darstellt.

Der Gerichtshof stellt zweitens fest, dass die Ausnahme, die in der Richtlinie für die Datenverarbeitung vorgesehen ist, die von einer natürlichen Person zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten vorgenommen wird, eng auszulegen ist. Daher kann eine Videoüberwachung, die sich auf den öffentlichen Raum erstreckt und dadurch auf einen Bereich außerhalb der privaten Sphäre desjenigen gerichtet ist, der die Daten verarbeitet, nicht als eine „ausschließlich persönliche oder familiäre Tätigkeit“ angesehen werden.

Zugleich muss das nationale Gericht bei der Anwendung der Richtlinie berücksichtigen, dass ihre Bestimmungen2 die Möglichkeit eröffnen, das berechtigte Interesse des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen, das Eigentum, die Gesundheit und das Leben seiner selbst und seiner Familie zu schützen, zu würdigen.

Insbesondere darf erstens die Verarbeitung personenbezogener Daten u. a. dann ohne die Einwilligung der betroffenen Person erfolgen, wenn sie zur Verwirklichung des berechtigten Interesses des für die Verarbeitung Verantwortlichen erforderlich ist. Zweitens muss eine Person nicht über die Verarbeitung ihrer Daten informiert werden, wenn dies unmöglich ist oder unverhältnismäßigen Aufwand erfordert. Drittens können die Mitgliedstaaten die in der Richtlinie vorgesehenen Pflichten und Rechte beschränken, sofern eine solche Beschränkung für die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen notwendig ist.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: