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BVerfG: Verpflichtung zum Abdruck einer nachträglichen Mitteilung bei rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung verfassungswidrig

BVerfG
Beschluss vom 02.05.2018
1 BvR 666/17


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Verpflichtung zum Abdruck einer nachträglichen Mitteilung bei rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung verfassungswidrig ist.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsberichts:

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen Verpflichtung zum Abdruck einer nachträglichen Mitteilung bei rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung

Die Verpflichtung einer Zeitschrift zum Abdruck neu bekanntwerdender Umstände zu einem ursprünglich sachgerechten Bericht über den Verdacht von Straftaten ist etwas anderes als die Verpflichtung zu einer Richtigstellung und unterliegt daher besonderen Anforderungen. Eine Pflicht zum Abdruck einer solchen „nachträglichen Mitteilung“ kommt zwar in Betracht, wenn der Betroffene nachweist, dass ein gegen ihn betriebenes Strafverfahren eingestellt wurde. Sie muss aber inhaltlich darauf beschränkt sein, in knapper Form das Ergebnis der Ermittlungen mitzuteilen und darf dem Presseorgan nicht abverlangen, eine eigene Stellungnahme abzugeben. Sofern in der Mit-teilung weitere Personen erwähnt werden, sind auch deren Rechte zu wahren. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss bekannt gegeben und einer Verfassungsbeschwerde eines Nachrichtenmagazins wegen Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit stattgegeben.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin ist ein wöchentlich erscheinendes Nachrichtenmagazin. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist der frühere Chefjustiziar einer Landesbank. In einer Ausgabe berichtete die Beschwerdeführerin über die internen Zustände der Landesbank und schilderte die Umstände der Entlassung eines ehemaligen Vorstandsmitglieds wegen des Verdachts der Weitergabe von vertraulichem Material an Journalisten. Es sei vorstellbar, dass der Kläger an geheimen Spitzelaktionen gegen das Vorstandsmitglied beteiligt gewesen sei, die zu dessen womöglich auf einer Falschbezichtigung basierenden Entlassung geführt hätten.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger stellte die Staatsanwaltschaft mangels hinreichenden Tatverdachts ein. Landgericht und Oberlandesgericht verurteilten die Beschwerdeführerin daraufhin richtigzustellen, dass der Kläger an den in dem Bericht beschriebenen Vorgängen nicht beteiligt gewesen sei. Nach Aufhebung und Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof verurteilte das Oberlandesgericht die Beschwerdeführerin zum Abdruck einer vom Kläger formulierten Erklärung. Diese Nachtragserklärung müsse eine Passage aus dem ursprünglichen Bericht enthalten und mit dem Satz „Diesen Verdacht halten wir aus heutiger Sicht nicht aufrecht“ enden. Die Überschrift sei von „Richtigstellung“ in „Nachtrag“ zu ändern. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde sowie eine Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin wies der Bundesgerichtshof zurück. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts und die beiden darauffolgenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Sie macht unter anderem eine Verletzung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG geltend, da sie trotz rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung zum Abdruck eines „Nachtrags“ verurteilt worden sei.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

Es bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, aus §§ 823 und 1004 BGB einen äußerungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch abzuleiten. Bei der Berichterstattung über den Verdacht einer Straftat ist zu berücksichtigen, dass diese stets das Risiko der Unrichtigkeit in sich trägt und besonders belastende Auswirkungen auf den Betroffenen haben kann. Zur Abmilderung der Folgen einer solchen Berichterstattung kann es für den Fall, dass ein Ermittlungsverfahren eingestellt oder der Betroffene freigesprochen wird, als Ausgleich zwischen der Pressefreiheit und dem Persönlichkeitsschutz geboten sein, dem Betroffenen das Recht zuzubilligen, eine nachträgliche Mitteilung über den für ihn günstigen Ausgang des Strafverfahrens zu verlangen. Eine solche nachträgliche Mitteilung über erst später bekanntwerdende Umstände unterscheidet sich in ihren Anforderungen jedoch grundsätzlich von einer Richtigstellung gegenüber ursprünglich rechtswidrigen Presseberichten. Denn hier ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die ursprüngliche Berichterstattung verfassungsrechtlich von der Pressefreiheit gedeckt war und die Presseorgane diese grundsätzlich als abgeschlossen betrachten durften. Die Entscheidung, über welche Ereignisse berichtet wird, gehört zum wesentlichen Inhalt der Pressefreiheit, weshalb die Presse nicht einer generellen Pflicht unterworfen werden darf, die Berichterstattung über ein einmal aufgegriffenes Thema bei neuen Entwicklungen fortzusetzen oder im Nachgang zu einer Berichterstattung nachzuforschen, ob sich ein Verdacht bewahrheitet hat oder nicht. Die Pressefreiheit erfordert, dass solche Ansprüche auf nachträgliche Mitteilung in Anschluss an eine ursprünglich rechtmäßige Verdachtsberichterstattung auf Ausnahmefälle begrenzt bleiben. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren die entsprechenden Tatvorwürfe durch Einstellungsbeschluss fallen gelassen werden oder ein Freispruch gegenüber dem Betroffenen ergangen ist. Demgegenüber kann eine nachträgliche Mitteilung nicht unter Berufung auf neue Erkenntnisse und das Verlangen nach einer neuen Würdigung der Verdachtslage begehrt werden. Insoweit unterscheidet sich der Rechtsstreit um den Anspruch auf Abdruck einer nachträglichen Mitteilung seinem Gegenstand nach von dem Rechtstreit um Richtigstellung und ist nicht nur dessen Fortsetzung. Während der Anspruch auf Richtigstellung davon abhängt, ob die Presse in der Würdigung der Verdachtsmomente zum Zeitpunkt der Veröffentlichung den insoweit geltenden Anforderungen genügt, setzt ein Anspruch auf nachträgliche Mitteilung voraus, dass spätere Erkenntnisse zu einer solchen Mitteilung Anlass geben.

Auch hinsichtlich Inhalt, Form und Umfang des abzudruckenden Textes ist bei der Abwägung die ursprüngliche Rechtmäßigkeit des Textes zu berücksichtigen. Insbesondere darf die Presse hierbei nicht zu einer eigenen Bewertung der veränderten Sachlage verpflichtet werden. Die von ihr verlangte Erklärung muss sich auf eine Mitteilung der geänderten Umstände in ihrem objektiven Gehalt beschränken. Soweit im Rahmen einer solchen nachträglichen Mitteilung darüber hinaus dritte Personen Erwähnung finden, sind auch deren Rechte zu wahren.

Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht gerecht.

Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung nicht zwischen der Richtigstellung einer ursprünglich rechtswidrigen Berichterstattung und einer nachträglichen Mitteilung wegen qualifizierter geänderter Umstände unterschieden. Nach der Auffassung des Oberlandesgerichts sind Presseorgane verpflichtet, auch nach Abschluss der Berichterstattung bekanntwerdende Umstände weiter zu verfolgen, von den Betroffenen neu herangebrachte Gesichtspunkte zu berücksichtigen und ihre frühere Berichterstattung mit fremdformulierten Mitteilungen zu ergänzen. Dies ist mit der Pressefreiheit nicht vereinbar.

Der der Beschwerdeführerin durch das Oberlandesgericht auferlegte „Nachtrag“ genügt auch hinsichtlich Inhalt, Form und Umfang nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Eine kurze Zusammenfassung der angegriffenen Berichterstattung und ein Hinweis darauf, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, wären ausreichend gewesen, das Persönlichkeitsrecht des Klägers zu schützen. Mehr hätte von der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit nicht verlangt werden dürfen.

Die Entscheidung greift zudem in die Persönlichkeitsrechte anderer in dem Bericht genannter Personen ein. Durch die Verurteilung zur erneuten Wiedergabe einer Passage aus der ursprünglichen Berichterstattung, in der zwei weitere Personen identifizierbar erwähnt werden, wird der vor Jahren gegen sie geäußerte Verdacht wiederholt und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt. Für den hierin liegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der genannten Personen ist keine Rechtfertigung ersichtlich.



BVerfG: Ungerechtfertigte Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung ist ein rechtswidriger Eingriff in Pressefreiheit

BVerfG
Beschluss vom 07.02.2018
1 BvR 442/15


Das BVerfG hat entschieden, dass die ungerechtfertigte Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung durch eine gerichtliche Entscheidung einen rechtswidrigen Eingriff in die Pressefreiheit darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. Die Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

a) Der Schutzbereich der Pressefreiheit ist betroffen. Im Zentrum des Schutzes des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG steht die Freiheit der Gründung und Gestaltung von Presseerzeugnissen. Die Gestaltungsfreiheit wird sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht gewährleistet und umfasst sowohl die Bestimmung, welche Themen behandelt und welche Beiträge in eine Ausgabe aufgenommen werden sollen, als auch die Entscheidung über die äußere Darbietung der Beiträge sowie ihre Platzierung innerhalb der Ausgabe. Der Schutz der Pressefreiheit erstreckt sich auch auf das Titelblatt einer Publikation (vgl. BVerfGE 97, 125 <144>).

b) Die Verpflichtung zum Abdruck von Gegendarstellungen auf dem Titelblatt der Zeitschrift der Beschwerdeführerin beeinträchtigt diese in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit. Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Titelblatt von Zeitschriften zukommt, ist eine solche Beeinträchtigung regelmäßig als schwerwiegend anzusehen (vgl. BVerfGE 97, 125 <145>). Das Titelblatt prägt die Identität eines Publikationsorgans unter der Vielzahl der Presseerzeugnisse und dient dem Leser als Erkennungsmerkmal. Überdies enthält es diejenigen Mitteilungen, die den für das Presseerzeugnis Verantwortlichen aus publizistischen oder werbestrategischen Gründen besonders wichtig erscheinen. Auf die drucktechnische und grafische Gestaltung des Titelblatts wird deswegen erhöhte Sorgfalt verwandt. Das gilt besonders für Zeitungen und Zeitschriften, die weniger im Abonnement als im freien Verkauf abgesetzt werden und deswegen mit jeder Ausgabe neu um das Interesse des Publikums werben müssen (BVerfGE 97, 125 <144>).


c) Die Beeinträchtigung der Pressefreiheit ist nicht gerechtfertigt. Indem das Oberlandesgericht die Grundrechtsschranke des § 11 LMG Rheinland-Pfalz in einer Weise ausgelegt hat, die dem Verfügungskläger einen Gegendarstellungsanspruch zuspricht, hat es den Anwendungsbereich der Vorschrift überdehnt. Damit hat es Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit nicht hinreichend beachtet.

aa) Gegendarstellungsfähig ist nach § 11 Abs. 1 Satz 1 LMG Rheinland-Pfalz eine Tatsache, die die Presse zuvor behauptet hat. Im Blick auf die Abhängigkeit der Gegendarstellung von der Erstmitteilung verlangt die Pressefreiheit, dass die Erstmitteilung bei Auslegung der Vorschriftin einer den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise gedeutet und eingeordnet wird. Die Pressefreiheit ist verletzt, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden müsste, der keine entsprechende Tatsachenbehauptung vorangegangen ist; ebenso liegt ein Verstoß gegen die Pressefreiheit vor, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden müsste, die von der gesetzlichen Grundlage nicht gedeckt ist, weil es sich bei der Erstmitteilung nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt (vgl. BVerfGE 97, 125 <150 f.>).

bb) Der vom Oberlandesgericht ermittelte Sinngehalt der Titelseitenüberschrift

J. - Sterbedrama um seinen besten Freund - Hätte er ihn damals retten können?

konnte hiernach keinen Gegendarstellungsanspruch begründen. Der Frage fehlt ein hinreichender tatsächlicher Gehalt.

(1) Dem Gegendarstellungsanspruch liegt nach der Entscheidung des Gesetzgebers die Struktur zugrunde, dass derjenige, der von einer Tatsachenbehauptung der Presse betroffen ist, dem Bericht mit einer eigenen Darstellung des tatsächlichen Geschehens entgegentreten kann (vgl. BVerfGE 97, 125 <146>; 63, 131 <142>; BVerfGK 13, 97 <105>). Eine Ausdehnung der Gegendarstellung über diesen Rahmen hinaus - etwa auf die Äußerungen von Meinungen durch die Presse - wird von diesem Recht nicht erfasst (vgl. BVerfGE 97, 125 <147>). Das Gegendarstellungsrecht ist damit vom Gesetzgeber als ein spezifisch begrenztes Instrument ausgestaltet. Es soll Betroffenen die Möglichkeit geben, Tatsachenbehauptungen, die über sie verbreitet werden, unmittelbar inhaltlich entgegen zu treten und damit deren Wahrheitsgehalt in Frage zu ziehen. Dabei handelt es sich um ein Schutzinstrument, das bewusst unabhängig von der Wahrheit der Tatsachenbehauptungen und damit grundsätzlich unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit der Äußerung gewährt wird. Es ist damit nicht als Sanktionsinstrument ausgestaltet, das materiell vor unberechtigten Äußerungen schützen soll, sondern hat die spezifische Funktion, einer Verfestigung von bestimmten inhaltlichen Tatsachenbehauptungen in der Öffentlichkeit dadurch entgegenzuwirken, dass den Betroffenen eine andere Darstellung dieser Tatsachen ermöglicht wird. Der Betroffene soll so die Möglichkeit bekommen, die Frage der Wahrheit vorläufig in die Schwebe zu bringen (vgl. BVerfGE 97, 125 <148>; BVerfGK 13, 97 <105 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2001 - 1 BvQ 35/01 -, NJW 2002, S. 356 <357>). Die Frage, welche Darstellung letztlich die Wahrheit auf ihrer Seite hat und wieweit ein Betroffener erzwingen kann, dass der Äußernde von seiner Äußerung inhaltlich abzurücken oder sie zukünftig zu unterlassen hat, ist dann erforderlichenfalls in anderen Verfahren, etwa im Rahmen einer Unterlassungs- oder Widerrufsklage, zu klären. Aus dieser spezifisch begrenzten Funktion erhält das Darstellungsrecht seine Konturen, von ihr aus ist auch prozessrechtlich dessen Durchsetzung bestimmt.

(2) Diese vom Gesetzgeber vorgegebene Struktur des Gegendarstellungsrechts wird verlassen, wenn das Oberlandesgericht in eine offene Aufmacherfrage die verdeckte Tatsachenbehauptung hineininterpretiert, dass für das Aufwerfen der Frage hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte bestünden. Indem damit die gesetzlichen Grenzen des Gegendarstellungsrechts gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 LMG Rheinland-Pfalz überzogen werden, fehlt es für die Auferlegung des Abdrucks einer Gegendarstellung in Blick auf die Pressefreiheit an einer rechtfertigenden Grundlage.

Allerdings ist von Verfassungs wegen unbedenklich, dass ein Gegendarstellungsverlangen in Anknüpfung an verdeckte Tatsachenbehauptungen gewährt werden kann. Hierzu muss sich die verdeckte Aussage dem verständigen Leser als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängen, die dann gegendarstellungsfähig ist (vgl. BVerfGK 13, 97 <102 ff.>). Ergibt eine den Maßgaben der Pressefreiheit genügende Sinnermittlung der Ausgangsmitteilung, dass sich dem verständigen Empfänger aus dem Gesamtzusammenhang einer Presseberichterstattung ein bestimmter Eindruck unabweisbar aufdrängt, so kann hiergegen auch eine Eindrucksgegendarstellung zulässig sein. Voraussetzung ist freilich, dass sich der Eindruck auf bestimmte Tatsachen bezieht (vgl. HansOLG, Urteil vom 26. September 2000 - 7 U 73/00 -, NJW-RR 2001, S. 186 <187>; OLG München, Beschluss vom 8. März 2017 - 18 W 370/17 -, AfP 2017, S. 322 <323>; OLG Dresden, Beschluss vom 12. Juli 2017 - 4 W 558/17 -, juris, Rn. 6 ff.; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. November 1992 - 1 BvR 708/92 -, NJW 1993, S. 1461 <1462> - zu Art. 103 Abs. 1 GG).

Auch Gegendarstellungen, die an Fragen anknüpfen, sind unter Umständen von Verfassungs wegen nicht ausgeschlossen. Allerdings stehen Fragen unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit in der Regel Werturteilen gleich. Sind sie auf die Ermittlung von Wahrheit oder Unwahrheit gerichtet und offen für verschiedene Antworten (vgl. BVerfGE 85, 23 <32>), sind sie nicht gegendarstellungsfähig, denn Tatsachen werden dann gerade nicht behauptet, sondern allenfalls gesucht. Anders kann dies allerdings dann liegen, wenn mit einer Frage bei verständiger Auslegung eigenständig auch bestimmte Tatsachenbehauptungen verbreitet werden. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG an die Sinnermittlung entsprechen insoweit denen der Eindrucksgegendarstellung.

Allein der Eindruck, dass für das Aufwerfen einer inhaltlich offenen Aufmacherfrage irgendein Anlass bestehen müsse, genügt danach zur Annahme einer gegendarstellungsfähigen Tatsachenbehauptung nicht. Jede Frage enthält, indem sie sich auf einen bestimmten Gegenstand bezieht, kraft ihres Gestelltwerdens ausgesprochen oder unausgesprochen Annahmen tatsächlicher oder wertender Art über ihren Gegenstand (vgl. BVerfGE 85, 23 <32>). Hierzu mag auch die - der Deutung des Oberlandesgerichts zugrunde liegende - Annahme zählen, dass eine Frage nicht sinnfrei gestellt ist. In dem diffusen Hervorrufen einer solchen Annahme liegt jedoch nicht die Verbreitung einer eigenständigen Information mit einem bestimmten Inhalt, dessen Wahrheitsgehalt im Sinne des Gegendarstellungsrechts vorläufig in die Schwebe gebracht werden könnte. Solche Aufmacherfragen können das Problem aufwerfen, ob oder wieweit die betroffenen Personen zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht werden dürfen, nicht aber geht es hierbei um die Frage der Wahrheit oder Unwahrheit bestimmter Aussagen.

Das spiegelt sich auch in der Schwierigkeit, einen als Gegendarstellung kongruenten Text für solche Fälle zu formulieren. Die Gegendarstellung, zu deren Abdruck die Beschwerdeführerin durch das der Kostenentscheidung zugrunde liegende Urteil verpflichtet wurde, verfehlt jedenfalls die diesbezüglichen Anforderungen. Die als Gegendarstellung formulierte Behauptung, dass der Kläger keine Möglichkeit gehabt habe, seinen Freund zu retten, trifft die Aufmacherüberschrift nicht. Denn dass der Kläger eine solche Möglichkeit gehabt habe, hatte die Beschwerdeführerin nie behauptet.

(3) Allerdings kann ein Schutzbedürfnis hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch gegenüber Aufmacherfragen bestehen. Sofern diese - wie hier - keine bestimmten Tatsachenbehauptungen enthalten, ist dem Schutzbedürfnis der Betroffenen durch andere presserechtliche Institute Rechnung zu tragen. Der unberechtigten Erörterung ehrverletzender Fragen oder privater Angelegenheiten, auch in der Einkleidung von Aufmacherfragen, kann insbesondere mit der Unterlassungsklage entgegengetreten werden. Soweit insoweit Äußerungen in Frage stehen, die allein zur Steigerung des Umsatzes bewusst falsch oder bewusst ohne jede Berechtigung auf Kosten Dritter getroffen werden, kommt insoweit auch die Anerkennung einer Entschädigung in Betracht, die auch der Höhe nach so bemessen werden kann, dass diese zu einem wirksamen Schutz führt (vgl. BGHZ 128, 1 <12>; 160, 298 <307>; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. April 2017 - 1 BvR 2194/15 -, NJW-RR 2017, S. 879 <881>).


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