Skip to content

AG Berlin-Mitte: Bundesminister darf Nutzer bei Twitter / X und anderen sozialen Netzwerken jedenfalls dann blockieren wenn es sich nach den Gesamtumständen um ein Privat-Account handelt

AG Berlin-Mitte
Beschluss vom 19.10.2023
151 V 167/23 eV


Das AG Berlin-Mitte hat entschieden, dass ein Bundesminister Nutzer bei Twitter / X und anderen sozialen Netzwerken jedenfalls dann blockieren darf, wenn es sich nach den Gesamtumständen um ein Privat-Account handelt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der zulässige, auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auszulegende, Antrag des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg.

1.) Dem Antragsteller steht der gegen den Antragsgegner geltend gemachte materiell-rechtliche (Verfügungs-)Anspruch auf Zugang zu dessen Account bzw. Unterlassung der fortwährenden Blockade seines eigenen Accounts nicht zu.

a.) Ein solcher Zugangsanspruch ergibt sich insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt eines diskriminierungsfreien Zugangs zu sog. öffentlichen Einrichtungen. Eine solche öffentliche Einrichtung wird gemeinhin definiert, als eine Zusammenfassung personeller und sachlicher Mittel, die ein Träger öffentlicher Verwaltung in Erfüllung einer in seinen Wirkungskreis fallenden Aufgabe einem bestimmten Kreis der Öffentlichkeit durch (ausdrückliche oder schlüssige) Widmung im Rahmen ihres Nutzungszwecks zur Benutzung zur Verfügung stellt. Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur erfüllen etwa von Behörden betriebene, staatliche Social Media-Accounts diese Anforderungen (vgl. VG Hamburg,Urt.v.28.04.2021-3K5339/19,juris;VGMainz,Urt.v.13.04.2018-4K762/17,juris; VGMünchen,Urt.v.27.10.2017-M26K16.5928,juris;Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Einzelfragen zu hoheitlichen Social-Media-Accounts, WD 10 - 3000 - 033/22; Kalscheuer/Jacobsen, NVwZ 2020, 370; Milker, NVwZ 2018, 1751; zu im Internet betriebenen Datenbanken vgl. auch BVerwG, Urt. v. 19.02.2015 - 1 C 13/14).

Entgegen der Ansicht des Antragstellers handelt es sich beim Account des Antragsgegners indes nicht um einen hoheitlichen Account i.S.e. öffentlichen Einrichtung. Dem steht aus Sicht des Gerichts bereits entgegen, dass dieser ausdrücklich nicht dahingehend gewidmet wurde, sondern der Antragssteller gerade nicht ausschließlich in seiner Eigenschaft als Bundesminister, sondern zumindest auch als Bundestagsabgeordneter, Universitätsprofessor, Wissenschaftler und eben Privatmann „selbst und privat tweetet“ (vgl. Profil-Biografie des Antragsgegners). Der Account des Antragsgegners ist auch nicht seinem Inhalt nach als hoheitlich zu qualifizieren - und damit ggf. konkludent durch rein tatsächliches Bereitstellen dahingehend gewidmet worden.

Wohingegen die äußerungsrechtliche Zulässigkeit einer konkreten Äußerung auch auf Social Media-Accounts in der Rechtsprechung bereits weitgehend geklärt zu sein scheint (vgl. etwa VerfGH Berlin, Urt. v. 20. 2. 2019 - VerfGH 80/18; VG Berlin, Beschluss v. 21.02.2022 - 6 L 17/22), trifft dies auf die rechtliche Einordnung ganzer Social Media-Accounts als privat oder hoheitlich noch nicht zu; in der Praxis im Zusammenhang im Gegensatz zu Behörden mit konkreten Amtsträgern aufgetretene Fälle konnten bisher - soweit erkennbar - keiner gerichtlichen Klärung in der Sache zugeführt werden. Klare Vorgaben des Gesetzgebers wären zwar äußerst wünschenswert, liegen bisher jedoch nicht vor. Ausgangspunkt der Einordnung muss nach Ansicht des Gerichts - wie auch beim Äußerungsrecht von Amtsträgern - die sog. Sprecherrollentheorie des Bundesverfassungsgerichts sein (vgl. zum Ganzen etwa BVerfG, Urt. v. 27.02.2018 - 2 BvE 1/16, juris; BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14, juris; Milker, JA 2017, 647; Barczak, NVwZ 2015, 1014; Gusy, NVwZ 2015, 700). Während sich Handlungen und Äußerungen von Privatpersonen auf Freiheitsgrundrechte stützen lassen, kann der Staat sich auf solche nicht berufen. Jedoch ist es für die hinter einem Hoheitsträger stehende Privatperson möglich, sich am politischen Wettbewerb zu beteiligen und sich diesbezüglich auf die Meinungsfreiheit zu berufen, sofern sie nicht in der Funktion als Hoheitsträger auftritt; ein Amtsträger kann also in verschiedenen Sprecherrollen auftreten: Als Amtswalter oder Privatperson (insb. Parteipolitiker). Auch wenn diese Rollen schon in der “analogen Welt“ nicht immer trennscharf abgegrenzt werden können (m.w.N. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14, juris, Rn. 54), gilt nichts abweichendes für Accounts auf Social Media-Plattformen.

Zudem kommt es, anders als für die Frage nach der äußerungsrechtlichen Zulässigkeit einzelner Beiträge, für die Frage nach der Qualifizierung als öffentliche Einrichtung nach Ansicht des Gerichts auf das Gesamtgepräge des ganzen Social Media-Accounts an (a.A. und bereits bei einzelnen hoheitlichen Beiträgen bejahend Reinhard, Die Follower, die ich rief …, 27.06.2019, verfügbar unter: https://verfassungsblog.de/die-follower-die-ich-rief/, zuletzt abgerufen am 18.10.2023); dies ergibt sich schon aus dem Wesen der Widmung als einheitlichem Rechtsakt sowie der Möglichkeit einer entsprechenden Entwidmung. Es würde zu einer künstlichen Aufspaltung eines einheitlichen digitalen Auftritts führen, wenn ein Bundesminister mit jedem Beitrag unter Nennung seiner Funktion einen konkludenten Widmungsakt vornimmt und diesen im nächsten Beitrag mit Urlaubsbildern zugleich widerruft; vor allem dann, wenn - wie hier - in der Profil-Biografie ein ausdrücklich entgegenstehender Wille des Accountbetreibers erkennbar ist. Ferner muss für den potenziellen Abonnenten bereits im Vorwege eines möglichen Abonnierens feststehen, ob es sich um einen staatlichen oder privaten Account handelt (so Harding, NJW 2019, 1910, 1913).

Erforderlich ist also eine umfassende Würdigung des konkreten Social Media-Accounts im Rahmen einer Gesamtschau, wobei insbesondere dessen Inhalt, Form und der äußere Zusammenhang der auf ihm getätigten Äußerung abzustellen ist (zu den herangezogenen Abgrenzungskriterien und ihren Anpassungen an den digitalen Raum m.w.N. Harding, NJW 2019, 1910, 1912; Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Einzelfragen zu hoheitlichen Social-Media-Accounts, WD 10 - 3000 - 033/22, S. 5 ff.). Entscheidend ist, ob der Amtswalter aus Sicht eines objektiven bzw. unvoreingenommenen Beobachters in spezifischer Weise staatliche Autorität in Anspruch nimmt.

Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass allein die Verwendung der Amtsbezeichnung den privaten Charakter einer Verlautbarung noch nicht aufzuheben vermag, da durch ihn amtliche Autorität nicht in spezifischer Weise in Anspruch genommen wird. Vielmehr gestatten es die Beamtengesetze des Bundes und der Länder einem Hoheitsträger ausdrücklich, die Amtsbezeichnung auch außerhalb des Dienstes zu führen (vgl. bspw. § 86 Abs. 2 S. 2 BBG). Damit sich allein aus dem Hinweis auf die Amtsträgereigenschaft der hoheitliche Charakter einer Äußerung ergibt, muss der Amtsträger seine Stellung derart in den Vordergrund rücken, dass der objektive Beobachter davon ausgehen muss, es komme dem Amtsträger gerade darauf an, in amtlicher Funktion aufzutreten und amtliche Autorität auszunutzen. Dies kann den vom Antragssteller in Bezug genommenen Beiträgen des Antragsgegners nicht entnommen werden. Der bloße Hinweis auf eine Dienstreise unter Verwendung eines sog. Selfies vermag bei unbefangenen Bürgern ebenso wenig den Eindruck einer hoheitlichen Verlautbarung eines Bundesministers und Ausnutzung seiner amtlichen Autorität erwecken, wie das Teilen eines geschenkten Jutebeutels nebst Trophäe unter offensichtlich (weil mit aus Symbolen erstelltem Gesichtsausdruck versehen, sog. Emoticon bzw. Smiley) auch satirisch gemeinter Verwendung der Worte „So spannend können Meldungen eines Ministers sein ;)“. Das Teilen des Accounts des Antragsgegners durch unzweifelhaft hoheitliche Accounts wie dem offiziellen Account eines Bundesministeriums wiederum vermag an der Qualifizierung des “privaten“ Accounts nichts zu ändern. Ferner muss die Verwendung der Bezeichnung „Bundestagsabgeordneter“ in diesem Kontext von vornherein ohne Auswirkung auf die Abgrenzung von privat und hoheitlich bleiben. Denn die Differenzierung zwischen hoheitlichen und parteipolitischen Accounts von Abgeordneten würde grundlegend ihren Zweck verfehlen, da nicht der einzelne Abgeordnete, sondern das Parlament in der Gesamtheit seiner Mitglieder Hoheitsgewalt ausübt (vgl. BVerfG, Urt. v. 21.07.2000 - 2 BvH 3/91, juris, Rn. 51; BVerfG, Urt. v. 13.06.1989 - 2 BvE 1/88, juris, Rn. 102; BVerfG, Beschluss v. 10.05.1977 - 2 BvR 705/75, juris, Rn. 27).

Der Antragsgegner greift auch auf keine ihm allein wegen der Eigenschaft als Bundesminister zur Verfügung stehenden Ressourcen zurück, sodass er unter dem Gesichtspunkt der Umstände seiner Verlautbarungen hoheitliche Autorität nicht in spezifischer Weise in Anspruch nimmt. Dabei steht der Möglichkeit, nach außen sichtbar auf staatliche Ressourcen zurückzugreifen auch nicht entgegen, dass die Aufmachung von Profilen auf der Social Media-Plattform X im Wesentlichen identisch ist und nur begrenzt zur Disposition der einzelnen Accountbetreiber steht. Denn der Accountbetreiber kann insbesondere durch seinen Nutzernamen, die Bilder seines Profils, der Biografie seines Accounts sowie einem Impressum ausreichend auf die äußere Gestaltung des Profils Einfluss nehmen. Deswegen ist es - soweit ersichtlich - weitgehende Praxis, dass sich Nutzernamen staatlicher Accounts ausschließlich aus dem Namen bzw. der Abkürzung des jeweiligen Ressorts speisen und nicht aus Amtsbezeichnungen des jeweiligen Ministers. Das soll gerade dazu dienen, mögliche Verwechslungen mit persönlichen Accounts von Amtsinhabern zu vermeiden (vgl. bspw. Landesregierung Nordrhein-Westfalen, Handreichung für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen zur Kommunikation und Information in Sozialen Medien, November 2018, S. 6). Die Nutzung spezieller hoheitlicher Ressourcen durch den Antragsgegner ist jedoch nicht erkennbar, insbesondere erfolgte keine Verwendung des Bundeswappens oder ähnlicher nach außen erkennbar hoheitlicher Zeichen. Auch lautet der Name des Accounts schlicht „@[…]“ bzw. „Prof. Dr. […]“ und eben nicht „Bundesminister der Gesundheit Prof. Dr. […]“. Evtl. verbleibende Unsicherheiten können letztlich nur durch den Accountbetreiber selbst überwunden werden. Wenn - wie hier - ein expliziter Hinweis erfolgt, dass das Profil ausschließlich zur privaten Kommunikation dienen soll, bleibt dies zumindest solange maßgeblich, wie staatliche Öffentlichkeitsarbeit nicht quasi rechtsmissbräuchlich unter dem Deckmantel privater Äußerungen betrieben wird (Harding, NJW 2019, 1910, 1914).

Aber auch aus der Materie der Verlautbarung kann im konkreten Fall nicht darauf geschlossen werden, dass der Antragsgegner amtliche Autorität auf spezifische Weise in Anspruch genommen hat, etwa weil er überwiegend Aussagen trifft, die er allein aufgrund eines mit seinem Amt zusammenhängenden Informationsvorsprungs treffen konnte oder die Äußerungen im privaten Kontext schlichtweg sinnlos erscheinen. Das Teilen eines Selfies vor einem Regierungsflieger mag zwar (zeitlich und örtlich) mit der hoheitlichen Tätigkeit des Antragsgegners zusammenhängen. Ein mit dem Amt zusammenhängender Informationsvorsprung ist bei dem schlichten Hinweis auf offizielle Dienstreisen, bei denen regelmäßig auch Pressevertreter zugegen sind, indes nicht erkennbar. Ebenso erweist sich auch der vom Antragsteller in Bezug genommene Beitrag im Zusammenhang mit der Verleihung des Preises „Goldener Blogger 2022“ als reine Privatsache. Es handelt sich hierbei um einen Preis, der jährlich im Rahmen einer Gala für besondere Leistungen im Bereich der Sozialen Medien vergeben wird. Im Falle des Antragsgegners wurde dieser gerade nicht für seine (gesellschafts-)politischen Leistungen oder seiner Tätigkeit als Bundesminister der Gesundheit, sondern für den „Twitter-Account des Jahres“ vergeben. Hieran vermag auch der Hinweis auf das eigene Ministeramt nichts ändern (siehe oben). Dass der Antragsgegner auf seinem Account - wie der Antragsteller meint - ausschließlich für seine (politische) Regierungsarbeit und “sein“ Bundesministerium wirbt, hat der Antragsteller folglich nicht ausreichend dargelegt.

Schließlich vermag auch der Verweis des Antragsstellers auf die Verifizierung des Accounts des Antragsstellers, „weil es sich um einen staatlichen Account oder den einer multilateralen Organisation handelt“, dem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Zum einen erfolgte diese Verifizierung nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragsgegners ohne sein Zutun und zum anderen steht diese Möglichkeit gerade nicht nur Trägern hoheitlicher Gewalt bzw. Mitgliedern der Exekutive in gerade dieser Funktion, sondern auch jedem “einfachen“ Mitglied des Deutschen Bundestages offen.

b.) Weitere mögliche Anspruchsgrundlagen sind weder vom Antragssteller vorgetragen, noch für das Gericht ersichtlich. Etwaige vertragliche Ansprüche scheitern bereits an der fehlenden vertraglichen Beziehung zwischen privaten Nutzern eines sozialen Netzwerks; eine solche besteht allein im Verhältnis zum Netzwerkbetreiber. Wer etwa eine Facebook-Freundschaft abschließt, eine Fanpage liked oder eine Facebook-Gruppe gründet, gibt gerade keine Erklärung mit Rechtsbindungswillen ab (vgl. Friehe, NJW 2020, 1697, 1701). Umgekehrt geben die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von X jedoch jedem Nutzer das Recht, durch vielfältige Maßnahmen auf unerwünschte Nutzerinhalte reagieren zu dürfen. Diese Nutzungsbedingungen sind bei der erstmaligen Benutzung der Plattform einsehbar und müssen auch von jedermann akzeptiert werden.

Auch kann sich der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner als Privatperson nicht direkt auf die Grundrechte berufen, welche unmittelbare Wirkungen nur gegenüber Hoheitsträgern entfalten. In Bezug auf Privatrechtsbeziehungen besteht nach herrschender Meinung nur eine abgeschwächte Wirkung, die sog. mittelbare Drittwirkung. Der Regelungsgehalt der Grundrechte fließt dabei (nur) über die Auslegung des einfachen Rechts in das Privatrecht ein, insbesondere über die Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln (vgl. instruktiv zur mittelbaren Drittwirkung BVerfG, Urt. v. 11.04.2018 - 1 BvR 3080/09, juris, Rn. 31 ff.). Soweit ersichtlich nicht eingehend in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur besprochen, wäre eine etwaige mittelbare Drittwirkung bezüglich einer nutzerveranlassten Löschung nur über die Generalklauseln der §§ 242, 826, 1004 BGB denkbar (wohl ablehnend Friehe, NJW 2020, 1967, 1701). Soweit dies überhaupt angenommen werden kann, wären die Grenzen einer solchen mittelbaren Grundrechtswirkung jedenfalls sehr eng zu ziehen.

Soweit dies für Netzwerkbetreiber ggf. noch denkbar erscheint, kann individuellen Privatnutzern gerade kein staatsgleiches Pflichtenprogramm auferlegt werden. Vielmehr lassen sich das Entfernen unliebsamer Kommentare Dritter sowie das Blockieren anderer Nutzer seinerseits auf Art. 2 Abs. 1 GG (ggf. i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als Ausformung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung) zurückführen und genießen daher im Fall eines privaten Accounts grundrechtlichen Schutz (zutreffend Harding, NJW 2019, 1910, 1911). Zudem enthält die Meinungsfreiheit des Antragsgegners auch das spiegelbildliche Recht, eine bestimmte Meinung eben nicht bzw. nicht uneingeschränkt jeder Person gegenüber äußern zu müssen (sog. negative Meinungsfreiheit, vgl. m.w.N. zur Rspr des BVerfG unter vielen Degenhart in Kahl/Waldhoff/Walter, BonnerKomm GG, 220. EL, 2023, Art. 5, Rn. 145; Bethge in Sachs, GG, 9. Aufl., 2021, Art. 5, Rn. 38a; Schemmer in BeckOK GG, 56. Edition, 2023, Art. 5, Rn. 16). Es ist also nicht so, dass der Antragsgegner seine Auffassungen nur dann verbreiten dürfte, wenn er etwaige Gegenmeinung zugleich quasi mit anheftet; auch wenn solche Gegenmeinungen im Falle von Kommentaren und Retweets sicherlich eindeutig als Meinungsäußerung eines Anderen erkennbar bleiben.

Schließlich sind auch die auf ein digitales Hausverbot entsprechend anwendbaren Grundsätze des öffentlich-rechtlichen Hausrechts, insbesondere deren Voraussetzungen und Einschränkungen, auf privat geführte Accounts im virtuellen Raum nicht anwendbar (m.w.N. zum virtuellen Hausrecht BVerwG, Beschluss v. 09.04.2019 - 6 B 162/18, juris; Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Einzelfragen zu hoheitlichen Social-Media-Accounts, WD 10 - 3000 - 033/22, S. 10 ff.; Milker, NVwZ 2018, 1751, 1754; Kalscheuer/Jacobsen, NVwZ 2020, 371; Kalscheuer/Jacobsen, NJW 2018, 2358, 2359 ff.). Dessen Voraussetzungen können im hiesigen Falle mithin dahinstehen.

2.) Darüber hinaus hat der Antragsteller aber auch weder einen Verfügungsgrund dargelegt, noch ist ein solcher für das Gericht hinreichend ersichtlich.

Der - neben dem Vorliegen eines Verfügungsanspruchs - für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Grundsatz stets erforderlicher Verfügungsgrund besteht nach §§ 935, 940 ZPO in der objektiv begründeten Besorgnis, durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes werde die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert, so dass dieser aufgrund einer besonderen Dringlichkeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache einer einstweiligen Sicherung seines Anspruchs bedarf (vgl. zum Ganzen m.w.N. Drescher in MünchKomm ZPO, 6. Aufl., 2020, § 935, Rn. 15 ff.; Mayer in BeckOK ZPO, 50. Edition, 2023, § 935, Rn. 11 ff.; Volkommer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., 2022, § 935, Rn. 10 ff.).

Auf eine besondere Dringlichkeit gerichtete Ausführungen lässt der ansonsten durchaus umfangreiche Vortrag des Antragsstellers vermissen. Welche unzumutbaren Nachteile dem Antragssteller durch die nunmehr immerhin schon neun Monate andauernde Blockade seines Accounts drohen sollen, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten, legt er in keiner Weise dar. Jedenfalls sein als Pressevertreter nachvollziehbares Informationsbedürfnis kann - zumindest vorübergehend - ausreichend durch Zugriff auf die Website des Antragsgegners befriedigt werden, welche wiederum dessen Beiträge auf der Social Media-Plattform X einbettet (ebenso VG Köln, Beschluss v. 01.02.2023 - 6 L 1923/22). Daneben sind die Beiträge auf der Social Media-Plattform X auch ohne eigenen Account bzw. Zugriff durch den eigenen Account online frei aufrufbar. Soweit der Antragsteller ausführt, ihm seien bestimmte Interaktionsmöglichkeiten etwa in Form des Kommentierens, Retweetens und/oder Zitierens genommen worden, bleibt schon unklar, warum es gerade die fehlende Möglichkeit dieser konkreten Art der Interaktion sein soll, die ihm ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens unzumutbar machen würden. Jedenfalls bleibt ihm eine direkte Kontaktaufnahme über die sonst üblichen Pressekanäle sowie eine Berichterstattung über Beiträge des Antragsgegners - auch ohne direktes retweeten - ohne Weiteres möglich.

Vor diesem Hintergrund letztlich dahinstehen kann damit die Frage, ob die Dringlichkeit durch nachlässige Verfahrensbetreibung des Antragstellers - etwa im Zusammenhang mit in seinem Bereich liegenden Zustellungsproblemen - bereits selbst widerlegt sein könnte. Jedenfalls die nicht mehr nur unerhebliche Verzögerung des Hauptsacheverfahrens ist dem Antragsteller mangels bisher erfolgter Einzahlung des Kostenvorschusses anzulasten, was wiederum auch als Indiz für die Dringlichkeit des hiesigen Verfahrens herangezogen werden kann.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

AG Berlin-Mitte: Macht ein Anwalt für Mandanten Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO geltend muss eine Originalvollmacht vorgelegt werden

AG Berlin-Mitte
Urteil vom 29.07.2019
7 C 185/18

Das AG Berlin-Mitte hat entschieden, dass ein Anwalt, der für seinen Mandanten einen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO geltend macht, eine Originalvollmacht vorlegen muss. Erst nach Vorlage der Vollmacht beginnt der Lauf der Frist nach Art. 12 Abs. 3 S. 1 DSGVO.