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AG Ludwigsburg: Rechtsmissbrauch durch Google Fonts-Abmahnungen - Kein Anspruch auf Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung der Abmahnkosten

AG Ludwigsburg
Urteil vom 28.02.2023
8 C 1361/22

Das AG Ludwigsburg hat zutreffend entschieden, dass die Google Fonts-Abmahnungen eine Serienabmahners rechtsmissbräuchlich waren. Daher besteht auch kein Anspruch auf Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung der Abmahnkosten.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Widerkläger hat gegen die Widerbeklagte keinen Anspruch auf Unterlassung gem. § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog und auf Schadensersatz gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO wegen der dynamischen Einbindung von X. Fonts auf der Webseite der Widerbeklagten.

1. Das Landgericht München I (Urteil vom 20.01.2022 -3017493/20 -, juris) hat entschieden, dass die unerlaubte Weitergabe der IP-Adresse eines Webseitenbesuchers wegen der dynamischen Einbindung von X. Fonts auf der Webseite eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Webseitenbesuchers darstellt und ein Unterlassungsanspruch gem. § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog sowie ein Schadensersatzanspruch gern. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO bestehen, wenn keine Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen.

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Unbestritten hat der Widerkläger am 17.09.2022 die Webseite der Widerbeklagten unter Einsatzes eines Webcrawlers aufgesucht. Ob der Besuch mit der IP-Adresse des Widerklägers (…) erfolgte, ob die Widerbeklagte einen Link zugunsten von X. in den USA zur Weiterleitung der IP-Adresse des Besuchers der Webseite eingerichtet hatte und die IP-Adresse des Widerklägers an einen Server von X. in den USA gesandt wurde, kann dahinstehen. Ebenso kann dahinstehen, ob ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO beim Aufsuchen der Webseite mittels eines Webcrawlers überhaupt in Betracht kommt.

2. Den vom Widerkläger geltend gemachten Ansprüchen steht der Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB entgegen.

Die Rechtsausübung ist rechtsmissbräuchlich, wenn ihr kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., §242 Rn. 50). Das Interesse ist jedenfalls dann nicht schutzwürdig, wenn mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als beherrschendes Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen, wobei eine Gesamtwürdigung aller Umstände zu erfolgen hat (BGH, Urteil vom 28.05.2020 -1 ZR 129/19 -, juris).

In § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG ist geregelt, dass eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen ist, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen. Diese Regelung entspricht im Wesentlichen dem § 8 Abs. 4 Abs. 1 UWG, der allerdings die Vertragsstrafe nicht erwähnte. Der Gesichtspunkt des rechtsmissbräuchlichen Einnahmeerzielungs- und Kostenbelastungsinteresse ist in der Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht seit langem anerkannt (Köhler-Bornkamm-Feddersen, UWG, 41. AufI. § 8c Rn. 14).

Auch wenn diese Vorschrift mangels eines Wettbewersbverhältnisses der Parteien und einer gewerblichen Tätigkeit des Widerklägers keine direkte Anwendung findet, ändert dies nichts daran, dass der Rechtsgedanke des § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG auch im Rahmen des § 242 BGB zu berücksichtigen ist (LG Dresden, Urteil vom 11.01.2019 -1a O 1582/18 -, juris).

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen erscheint die Rechtsausübung des Widerklägers rechtsmissbräuchlich, da nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände beim Widerkläger nicht das Unterlassungsinteresse, sondern das Interesse an einer Einnahmeerzielung im Vordergrund steht.

a. Der Widerkläger hat innerhalb des Zeitraums vom 14.09.2022 bis 20.10.2022 unter Berücksichtigung der nach fortlaufenden Nummern vergebenen Aktenzeichen 217.540 Anschreiben verschickt, welche dem an die Widerbeklagte unter dem Datum vom 20.10.2022 verschickten Anschreiben entsprechen. Dass die Aktenzeichen nach fortlaufenden Nummern vergeben wurden, hat der Widerkläger, der dies vorgerichtlich noch in Abrede gestellt hatte, nicht bestritten.

Bei den verschickten Anschreiben handelt es sich nicht um klassische Abmahnungen, da nicht die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassung verlangt wird. Vielmehr wird zur umfassenden Abgeltung der datenschutzrechtlichen Ansprüche eine Zahlung von 170,00 Euro als Vergleich angeboten. Hätten alle im oben genannten Zeitraum Angeschriebenen den Betrag von 170,00 Euro bezahlt, hätte der Widerkläger einen Betrag in Höhe von 36.981.800,00 Euro eingenommen.

Der Widerkläger selbst hat angegeben, dass es ihm vorrangig darum ging, Aufmerksamkeit für das Thema X. Fonts zu erzeugen, um hierüber eine Änderung des Nutzerverhaltens zu er reichen. Dass dies nur dadurch zu erreichen war, dass eine so große Anzahl von Anschreiben verschickt wird verbunden mit der Aufforderung 170,00 Euro an den Widerkläger zu bezahlen, um die Sache auf sich beruhen zu lassen, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Soweit der Widerkläger vorträgt, dass es sich bei diesem Betrag um eine Schmerzensgeldforderung handle, wird darauf hingewiesen, dass dies dem Anschreiben nicht zu entnehmen ist. In dem Anschreiben wird der Betrag in Höhe von 170,00 Euro vielmehr als Ausgleichszahlung zur Abgeltung der vorgenannten Ansprüche gefordert. Im Abmahnschreiben vom 12.12.2022 hat der Widerkläger dann erstmals einen Betrag in Höhe von 170,00 Euro als Schmerzensgeld gefordert.

b. Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Unterlassungsinteresse des Widerklägers durch Zahlung eines Betrages in Höhe von 170,00 Euro besänftigt hätte werden können.

Mit Abgabe der Unterlassungserklärung soll zukünftigen Rechtsverletzungen vorgebeugt werden. Bereits dadurch, dass der Widerkläger im Anschreiben vom 20.10.2022 angeboten hat, bei Zahlung eines Betrages in Höhe von 170,00 Euro die Sache auf sich beruhen zu lassen, kommt zum Ausdruck, dass es dem Widerkläger nicht vorrangig darum ging, dass weitere datenschutzrechtliche Verstöße unterbleiben, sondern um die Erzielung von Einnahmen. Der Widerkläger selbst hat ausgeführt, dass die Abgabe einer Unterlassungserklärung zwar zielführender gewesen wäre, diese aber im Zweifel nicht notwendig sei. Dies begründet der Widerkläger damit, dass wer auf seiner Webseite X. Fonts einmal zulässig eingestellt hat, dies kaum wieder rückgängig machen wird. Dies mag zwar so sein, ändert jedoch nichts daran, dass jedenfalls eine Wiederholungsgefahr besteht, welche der Widerkläger in Kauf nimmt, wenn er dafür 170,00 Euro erhält.

Darüber hinaus hat der Widerklägervertreter in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass der Widerkläger davon ausgegangen wäre, dass mit der Bezahlung des Betrages von 170,00 Euro durch den Angeschriebenen die Webseite datenschutzkonform ausgerichtet wurde. Dem Vorbringen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass eine Überprüfung stattgefunden hätte, ob tatsächlich eine datenschutzkonforme Ausrichtung erfolgt ist. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass es dem Widerkläger in erster Linie darum ging, von den Angeschriebenen die 170,00 Euro zu erhalten.

Dass es rechtsmissbräuchlich ist, wenn sich der Abmahnende seinen Unterlassungsanspruch vom Abgemahnten abkaufen lässt, ist auch im Wettbewerbsrecht anerkannt (OLG München, Urteil vom 22.12.2011 - 29 U 3463/11-, juris; OLG Hamburg, Urteil vom 07.07.2010 - 5 U 16/10-, juris).

c. Für ein im Vordergrund stehendes Einnahmeerzielungsinteresse spricht auch, dass der Widerkläger bislang nur dann weitere Maßnahmen ergriffen hat, wenn von den Angeschriebenen negative Feststellungsklage erhoben wurde, obwohl nur insgesamt 2.418 Angeschriebene die geforderten 170,00 Euro bezahlt haben. Soweit der Widerklägervertreter ausführt, dass auch im Hinblick auf den hohen Verwaltungsaufwand die Ansprüche bislang nicht weiter verfolgt worden seien, überzeugt dies nicht. Zum einen gab der Widerklägervertreter an, dass dies „auch“ am hohen Verwaltungsaufwand liege, ohne noch einen weiteren Grund zu nennen. Zum anderen ist nicht nachvollziehbar, warum nicht jedenfalls gegen eine gewisse Anzahl der Angeschriebenen, welche nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist die Vergleichssumme nicht bezahlt hat und auch keine negative Feststellungsklage erhoben hat, weiter vorgegangen wurde, zumal dem Anschreiben eindeutig zu entnehmen ist, dass nur bei Bezahlung der Vergleichssumme der Widerkläger die Sache auf sich beruhen lässt. Tatsächlich war es aber so, dass - anstatt die Ansprüche der bereits Angeschriebenen weiterzuverfolgen -immer noch weitere Anschreiben verschickt wurden.

d. Für eine rechtsmissbräuchliche Ausübung spricht auch, dass unter Berücksichtigung des Umfangs der Aktion und des Kostenrisikos sowohl auf Seiten des Widerklägers als auch auf Seiten des Widerklägervertreters anzunehmen ist, dass der Widerkläger mit seinem Bevollmächtigten in kollusiver Weise eine Teilung des erwirtschafteten Gewinns vereinbart hat.

Es oblag dem Widerkläger im Rahmen der sekundären Darlegungslast nachvollziehbar darzulegen, wie das Mandat abgerechnet wird bzw. was er an seinen Bevollmächtigten bezahlt hat. Der Widerkläger hat trotz des Bestreitens der Widerbeklagten, dass überhaupt eine Beauftragung erfolgt ist und, wenn doch, dass der Widerkläger seinen Bevollmächtigten bezahlt hat, dies weder nachvollziehbar dargelegt noch unter Beweis gestellt. Der Widerkläger hat lediglich ausgeführt, dass er den von ihm beauftragten Anwalt für seine Tätigkeit, und zwar für jedes Mandat, gemäß Gesetzeslage bezahlt. Hinsichtlich der Gesetzeslage hat er auf die Novembermann Entscheidung des BGH (BGH, Urteil vom 06.06.2019 -I ZR 150/18-, juris) hingewiesen und dargelegt, dass ein kumulierter Streitwert aller inhaltsgleicher Verfahren zugrunde zu legen sei. Dies führe unter Berücksichtigung von 217.540 Anschreiben zu einem je Angeschriebenen zu zahlenden Betrag in Höhe von brutto 1,89 Euro (Streitwert 36.981.180,00 Euro, 1,3 Geschäftsgebühr 161.185,70 Euro zzgl. Postkosten 184.909,00 Euro zzgl. 19 % MwSt. ergibt 411.852.69 Euro). Dem Rechenmodell liegt eine ex-post-Betrachtung für den Zeitraum 14.09. - 20.10.2022 zugrunde. Insoweit wurden vom Widerkläger die Angaben der Widerbeklagten hinsichtlich der Anzahl der in diesem Zeitraum verschickten Anschreiben übernommen. Unbestritten verschickte der Widerkläger aber entsprechende Anschreiben über mehrere Monate, also über einen längeren Zeitraum als vom 14.09 - 20.10.2022. Unter Berücksichtigung, dass der Widerkläger den Widerklägervertreter in Bezug auf jedes Mandat vergütet haben will, ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht, auf welchen Betrag sich die Vergütung für das Tätigwerden des Widerklägervertreters beläuft. Des Weiteren mag die aufgrund der vorgenommenen Berechnung pro Anschreiben berechnete Vergütung gering sein, in Anbetracht der großen Anzahl von Anschreiben ist die Vergütung aber hoch und es ist nicht plausibel, dass der Widerkläger dieses Kostenrisiko selbst trägt. Es widerspricht aber auch der Lebenserfahrung, dass der Widerklägervertreter tätig wird, obwohl ihm unter Berücksichtigung der von ihm vorgenommenen Berechnung seiner Vergütung für den Zeitraum 14.09 -20.10.2022 bereits unter Berücksichtigung der Portokosten für die Anschreiben keine kostendeckende Vergütung mehr zustehen dürfte.

3. Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren für das Abmahnschreiben vom 12.12.2022 teilt das Schicksal der Hauptforderung.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: