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LG Bonn: Keine Schadensersatzansprüche der Kernkraftwerkbetreiber wegen des Atomausstiegs - Klage von EnBW Baden-Württemberg AG gegen Bundesrepublik Deutschland und Baden-Württemberg abgewiesen

LG Bonn
Urteil vom 06.04.2016
1 O 457/14


Das LG Bonn hat entschieden, dass keine Schadensersatzansprüche der Kernkraftwerkbetreiber wegen des Atomausstiegs besthen. Das Gericht wies die Klage von EnBW Baden-Württemberg AG gegen die Bundesrepublik Deutschland und Baden-Württemberg wegen der Abschaltung der Kernkraftwerke Neckarwestheim I und Philippsburg I ab.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Kammer weist Schadensersatzklage der EnBW Baden-Württemberg AG ab

Mit Urteil vom heutigen Tag hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn die Klage der EnBW Energie Baden-Württemberg AG gegen das Land Baden-Württemberg und die Bundesrepublik Deutschland abgewiesen (Az.: 1 O 458/14). Die Klägerin hatte 261.191.024,49 EUR Schadensersatz gefordert für die Abschaltung ihrer Kernkraftwerke Neckarwestheim I und Philippsburg I im Zeitraum vom 16. / 17.03.2011 bis zum 06.08.2011 nach der Katastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi am 11.03.2011. Der heutigen Entscheidung der 1. Zivilkammer ging die mündliche Verhandlung am 03.02.2016 voraus.

Hintergrund der Klage ist, dass sich bereits wenige Tage nach den Ereignissen von Fukushima führende Bundes- und Landespolitiker darauf verständigt hatten, dass zum einen ein Moratorium im Hinblick auf die 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung gelten soll und zum anderen die sieben deutschen Kernkraftwerke, die vor 1980 in Betrieb genommen worden sind (u.a. Neckarwestheim I und Philippsburg I), vorübergehend abgeschaltet werden sollen. Die Klägerin gab daraufhin bekannt, Neckarwestheim I freiwillig abschalten zu wollen. Mit Schreiben vom 16.03.2011 teilte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) den zuständigen Landesministerien den Beschluss der Bundesregierung und der beteiligten Ministerpräsidenten mit, wonach die ältesten sieben Kernkraftwerke gemäß § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG für mindestens drei Monate vom Netz zu nehmen sind, weil im Hinblick auf deren Alter und der Ereignisse in Japan ein Gefahrenverdacht vorläge. Die Landesministerien wurden darum gebeten, mit dieser Begründung die Einstellung der betroffenen Kernkraftwerke anzuordnen. Mit Schreiben vom selben Tag ordnete das zuständige baden-württembergische Ministerium dies bezüglich der Kernkraftwerke Neckarwestheim I und Philippsburg I an, wobei das Schreiben weitgehend dem Schreiben des BMU entsprach und den Zusatz enthielt, dass die Anordnung auf Bitten und in Abstimmung mit dem Bundesumweltministerium ergehe. Die Klägerin nahm die beiden Kernkraftwerke am 16. / 17.03.2011 vom Netz. Von einer Klage gegen die Anordnung sah die Klägerin ab. Mit Pressemitteilung vom 13.04.2011 erklärte sie hierzu, dass sie zwar erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anordnungen habe, dagegen jedoch wegen des langfristigen Erhalts der Kundenbeziehungen und der Akzeptanz des Unternehmens in Gesellschaft und Politik nicht vorgehen wolle. Mit derselben Begründung sah die Klägerin davon ab, die beiden Kernkraftwerke nach Ablauf der Anordnung am 17.06.2011 wieder hochzufahren. Mit Inkrafttreten des 13. Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes am 06.08.2011 erlosch die Betriebserlaubnis u.a. für die beiden genannten Kernkraftwerke.

Soweit die Klägerin die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz in Anspruch genommen hat, hat die Kammer die Klage abgewiesen, weil die Einstellungsanordnungen nicht durch die Bundesrepublik Deutschland erlassen wurden, sondern durch das Land Baden-Württemberg. Hierbei kann es – so die Kammer – dahinstehen, ob die Anordnungen des Bundeslands auf eine Weisung des Bundes beruhen, da im Falle der Bundesauftragsverwaltung im Sinne des Art. 85 GG nach außen stets das jeweilige Bundesland verantwortlich ist und haftet. Führt das Bundesland eine rechtswidrige Weisung aus und wird es insoweit auf Schadensersatz in Anspruch genommen, kann es diesen Schaden im Innenverhältnis dem Bund gegenüber gelten machen.

Laut Urteil besteht auch der Amtshaftungsanspruch gegen das Land Baden-Württemberg aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG im Ergebnis nicht, weil es die Klägerin schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch die Einlegung eines Rechtsmittels abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB). Gegen die Einstellungsanordnungen hätte die Klägerin Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erheben können, habe hierauf jedoch verzichtet. Diese Klage hätte nach Auffassung der 1. Zivilkammer auch Aussicht auf Erfolg gehabt, denn eine Risikoneubestimmung nach den Ereignissen von Fukushima und das Alter der Kernkraftwerke alleine begründeten keinen Gefahrenverdacht (konkrete Schadensmöglichkeit aufgrund des Betriebs der Kernkraftwerke für Leben, Gesundheit oder Sachgüter). Ohne konkrete Anhaltspunkte für etwaige Gefahren sei die Anordnung der Abschaltung nach dem Gesetz nicht gerechtfertigt. Auch habe das Land Baden-Württemberg das ihm zustehende Ermessen nicht ausgeübt, sondern lediglich die Entscheidung anderer ohne eigene Abwägung übernommen. Die Einlegung der Anfechtungsklage durch die Klägerin hätte aufschiebende Wirkung gehabt, so dass sie damit das Abschalten der beiden Kernkraftwerke ab dem 16.03.2011 und die daraus resultierenden Schäden hätte vermeiden können. Die Kammer ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einlegung dieser Klage für die Klägerin auch zumutbar gewesen wäre. Drohende Konsequenzen wie Kundenverlust und Imageschäden seien unternehmenspolitische und strategische Gründe, die eine Unzumutbarkeit der Klageerhebung im rechtlichen Sinne nicht begründen könnten. Soweit die Klägerin Schäden geltend macht, die aus dem Zeitraum nach dem 16.06.2011 herrühren, fehlt es laut Kammer an der Kausalität der Anordnungen des Landes Baden-Württemberg, die für drei Monate befristet waren und diesen Zeitraum daher nicht betreffen.

Gegen das heutige Urteil der 1. Zivilkammer kann die Klägerin innerhalb eines Monats das Rechtsmittel der Berufung einlegen.


BGH: Zur Amtshaftung bei Vertrauen auf einen rechswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt

BGH
Urteil vom 10.12.2015
III ZR 27/14
BGB § 839; VermG § 3 Abs. 3, 5, § 31 Abs. 2 Satz 1

Leitsätze des BGH:


a) Ob ein (rechtswidriger) begünstigender Verwaltungsakt haftungsrechtlich schutzwürdiges Vertrauen begründet oder ob einer entsprechenden Vertrauensgrundlage objektive Umstände oder subjektive Kenntnisse beziehungsweise sich aufdrängende Erkenntnismöglichkeiten des Empfängers entgegenstehen, ist nicht erst eine Frage des mitwirkenden Verschuldens im Sinne des § 254 BGB, sondern bereits eine solche der objektiven Reichweite des dem Betroffenen durch das Amtshaftungsrecht gewährten Vermögensschutzes.

Ob die Grundlage für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Geschädigten nachträglich entfallen ist, lässt sich nur aufgrund einer alle relevanten objektiven und subjektiven Umstände einbeziehenden umfassenden Würdigung des Sachverhalts feststellen (Fortführung Senat, Urteil vom 11. Oktober 2007 - III ZR 301/06, MDR 2008, 22, 23 f mwN).

b) Die Vergewisserungspflicht nach § 3 Abs. 5 VermG entfällt nicht deshalb, weil die Behörde nach § 31 Abs. 2 Satz 1 VermG verpflichtet ist, Dritte, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, über die Antragstellung zu informieren.

c) Ein Verstoß des Verfügungsberechtigten gegen die Vergewisserungspflicht nach § 3 Abs. 5 VermG kann ein Mitverschulden im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB begründen (Bestätigung Senat, Urteil vom 21. Oktober 1999 - III ZR 130/98, BGHZ 143, 18, 31 f).

BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015 - III ZR 27/14 - Brandenburgisches OLG - LG Frankfurt (Oder)

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Celle: Land haftet für Urheberrechtsverletzung durch Lehrer auf Schulwebseite - Amtshaftung

OLG Celle
Beschluss vom 09.11.2015
13 U 95/15


Das OLG Celle hat entschieden, dass das jeweilige Bundesland für Urheberrechtsverletzungen haftet, wenn ein Lehrer auf einer Schulwebseite Bilder ohne entsprechende Lizenzen veröffentlicht.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die widerrechtliche und schuldhafte Verletzung der Urheberrechte des Klägers nach §§ 13, 15, 72 UrhG durch den Schulleiter des …-Gymnasiums G. oder durch eine von diesem beauftragte Lehrkraft steht außer Streit. Die - implizite - Feststellung dieser Urheberrechtsverletzung durch das Landgericht ist nicht angegriffen und begegnet keinen Bedenken.

2. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass das beklagte Land nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG passivlegitimiert ist.

Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Dabei trifft die Verantwortlichkeit nach Art. 34 Satz 1 GG grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Diensten er steht, wenn er die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes verletzt. Dieser Anspruchsübergang erfasst auch den urheberrechtlichen Schadensersatzanspruch nach § 97 Abs. 2 UrhG (BGH, Urteil vom 16. Januar 1992 - I ZR 36/90, juris Tz. 17 ff.; Urteil vom 20. Mai 2009 - I ZR 239/06, juris Tz. 10 ff.; von Wolff in: Wandtke/Bullinger, UrhR, 4. Aufl., § 97 UrhG Rn. 20).

Das beklagte Land räumt ein, dass die Gestaltung der schulischen Homepage von dem Schulleiter im Regelfall an eine oder mehrere Lehrkräfte delegiert wird. Dass dies vorliegend anders gewesen wäre, macht es nicht geltend. Bei dem Schulleiter und den Lehrkräften des …-Gymnasiums G. handelt es sich um Beamte im staatsrechtlichen, jedenfalls aber im haftungsrechtlichen Sinn, deren Anstellungskörperschaft das beklagte Land ist.

Das Landgericht hat weiter zutreffend erkannt, dass der jeweilige Beamte, der das von dem Kläger gefertigte Lichtbild zur Bewerbung der an dem …-Gymnasium G. angebotenen Fremdsprache Spanisch auf die Internet-Seiten dieser Schule eingestellt hat, dabei in Ausübung seines öffentlichen Amtes gehandelt hat.

Ob ein bestimmtes Verhalten einer Person als Ausübung eines öffentlichen Amtes anzusehen ist, bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinne die Person tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist, und ob bejahendenfalls zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls noch als dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dementsprechend handelt in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes jeder, der ihm übertragene Aufgaben der gesetzgebenden und rechtsprechenden Gewalt oder Hoheitsaufgaben auf dem Gebiet der vollziehenden Gewalt wahrnimmt. Wahrnehmung von Hoheitsaufgaben der vollziehenden Gewalt sind alle dienstlichen Tätigkeiten auf diesem Gebiet mit Ausnahme der Wahrnehmung bürgerlich-rechtlicher (fiskalischer) Belange auf dem Boden des bürgerlichen Rechts (BGH, Urteil vom 16. Januar 1992 - I ZR 36/90, juris Tz. 20 m. w. N.; Wöstmann in: Staudinger [Neubearb. 2013], § 839 Rn. 80 f. m. w. N.). Insbesondere bei behördlichen Realakten ist in erster Linie auf die Zielsetzung der betreffenden Tätigkeit abzustellen. Erforderlich ist insoweit eine Diensthandlung des Beamten, die mit der hoheitlichen Zielsetzung in einem so engen äußeren und inneren Zusammenhang steht, dass sie aus dem Bereich der hoheitlichen Betätigung nicht herausgelöst werden kann (Wöstmann, a. a. O. Rn. 83). Ist die eigentliche Zielsetzung, in deren Dienst der Beamte tätig wurde, eine hoheitliche, so ist „Ausübung eines öffentlichen Amtes“ nicht nur die unmittelbare Verwirklichung, sondern auch eine entferntere (vorangehende, begleitende oder nachfolgende) dienstliche Betätigung, wenn ein solcher Zusammenhang besteht, dass die vorangehende oder nachfolgende Tätigkeit ebenfalls noch als dem Bereich der hoheitlichen Betätigung zugehörend anzusehen ist (Wöstmann, a. a. O. Rn. 85 m. w. N.).

Der hiernach erforderliche enge Bezug der Nutzung des Lichtbildes des Klägers auf den Internet-Seiten der Schule zum Zwecke der Werbung für deren Fremdsprachenangebot mit einer hoheitlichen Tätigkeit besteht. Der Schulbetrieb an öffentlichen Schulen ist eine hoheitliche Aufgabe und für Lehrer die Ausübung eines vom Staat anvertrauten öffentlichen Amtes (Wöstmann a. a. O. Rn. 778 m. w. N.). Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Werbung für das Fremdsprachenangebot der Schule im vorliegenden Fall weder eine Lehrtätigkeit als solche darstellte, die den Kernbereich des hoheitlichen Schulbetriebs darstellt, noch vergleichbar eng mit dieser Lehrtätigkeit verbunden war, wie beispielsweise die Zurverfügungstellung von Lehrmaterialien oder Computerprogrammen zur Nutzung während des Studiums, die Gegenstand der vorzitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 16. Januar 1992 und vom 20. Mai 2009 waren. Dennoch besteht der erforderliche enge Zusammenhang. Die als hoheitlich einzuordnende Tätigkeit von Lehrkräften und Beamten der Schulverwaltung geht über den eigentlichen Lehrbetrieb hinaus und umfasst den gesamten Schulbetrieb. Die Bewerbung eines Fremdsprachenangebots stellt sowohl formal als auch materiell Teil des Schulbetriebes dar. Sie soll einerseits die Nachfrage nach entsprechenden Fremdsprachenkursen steigern und damit deren Angebot ermöglichen. Als dergestalt der eigentlichen Lehrtätigkeit vorgelagerte Handlung steht sie weiter auch in der Sache mit dieser im engen Zusammenhang, weil sie auf die in der Lehrveranstaltung zu vermittelnden Inhalte bezogen ist. Sie ist insbesondere nicht mit Fiskalmaßnahmen wie der Beschaffung von Verwaltungshilfsmitteln (z. B. Schreibmaterial) vergleichbar, die nicht Ausübung öffentlicher Gewalt sind (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 16. Januar 1992, a. a. O., Tz. 20 a. E.). Solche nicht als hoheitlich einzuordnenden Fiskalmaßnahmen sind regelmäßig Maßnahmen, die nur die wirtschaftlichen oder technischen Voraussetzungen für die eigentliche hoheitliche Tätigkeit schaffen (BGH, Urteil vom 4. März 1982 - III ZR 150/80, juris Tz. 8). Hierüber geht die Bewerbung des fachlichen Angebots einer Schule aus den vorgenannten Gründen hinaus.

Das Landgericht hat weiter zutreffend erkannt, dass ein Beamter, der in Ausübung seines öffentlichen Amtes eine unerlaubte Handlung auch i. S. d. § 97 UrhG begeht, dadurch zugleich eine ihm dem Träger des Rechts oder Rechtsguts gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 1992, a. a. O. Tz. 21).

Dass Diensteanbieter nach dem Telemediengesetz nicht die Anstellungskörperschaft, sondern der Schulträger ist, ist für die Beurteilung des Anspruchsübergangs nach § 839 BGB, Art. 34 GG unerheblich."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: 15.000 EURO Schmerzensgeld für vorverurteilende und sachlich falsche öffentliche Äußerungen der Staatsanwaltschaft - Amtspflichtverletzung

OLG Frankfurt
Urteil vom 03.06.2015
10 O 80/12


Das OLG Frankfurt hat entschieden, das vorverurteilende und sachlich falsche öffentliche Äußerungen der Staatsanwaltschaft eine Amtspflichtverletzung darstellt und dem Betroffenen 15.000 EURO Schmerzensgeld zugesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:

"I., II. Der Klageantrag zu I., mit dem der Kläger Geldentschädigung wegen Amtspflichtverletzung durch Äußerungen der Staatsanwaltschaft gegenüber Medienvertretern und Feststellung der Schadensersatzpflicht geltend macht, hat teilweise Erfolg. Das beklagte Land ist nach Art. 34 GG i.V.m. §§ 839, 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 15.000,- € verpflichtet.

Nach den genannten Vorschriften haftet der Staat (bzw. eine andere Körperschaft) dann, wenn ein Beamter in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt und eine sich daraus ergebende drittschützende Amtspflicht jedenfalls fahrlässig verletzt hat. Ein Schadensersatzanspruch besteht, wenn hierdurch adäquat kausal ein Schaden verursacht wurde. Ein Anspruch auf Geldentschädigung setzt nach der ständigen presserechtlichen Rechtsprechung eine besonders schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung voraus, die nur ausnahmsweise bejaht wird. Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, ist aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also von dem Ausmaß der Verbreitung der rechtswidrig verursachten Veröffentlichung, der Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung des Verletzten, ferner vom Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGHZ 78, 274, 280 m.w.N.; BGH NJW 1985,1617,1619).

Die Staatsanwälte der Staatsanwaltschaft Wiesbaden sind Beamte im staatsrechtlichen wie auch im haftungsrechtlichen Sinn (Art. 34 GG, § 839 BGB). Sie haben bei der Information der Medien jeweils in ihrer Funktion als Staatsanwalt und damit in Ausübung ihres öffentlichen Amtes gehandelt. Ob Staatsanwälte durch Äußerungen gegenüber der Presse ihre Amtspflicht verletzen, kann allein aufgrund einer umfassenden Abwägung festgestellt werden. Da jede staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit und auch jede staatsanwaltschaftliche Presseinformation in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift, bedarf sie der Rechtfertigung und erfordert eine Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und der Öffentlichkeit einerseits (Art. 5 Abs. 1 GG, § 3 HessPresseG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des jeweils Betroffenen andererseits (Art. 1 Abs. 1,2 Abs. 1GG) abzuwägen (BGH, Urteil vom 17.3.1994, III ZR 15/93). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Staatsanwaltschaft prinzipiell kein eigenes, geschütztes Recht auf Öffentlichkeitsarbeit zusteht. Allerdings ist anerkannt, dass die Staatsanwaltschaft in engen Grenzen über Ermittlungen berichten darf und muss (Verdachtsberichterstattung, vgl. BGH NJW 1994, 1950 ff.), um den berechtigten Informationsinteressen der Medien und der Öffentlichkeit aus Art. 5 Abs. 1 GG zu genügen. Dies spiegelt sich auch im HessPresseG wider, wonach die Staatsanwaltschaft nach § 3 Abs. 1 HessPresseG die Pflicht hat, den Medien bestimmte Auskünfte zu erteilen, hierbei jedoch nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 HessPresseG die Rechte des Betroffenen zu berücksichtigen hat.

Das Persönlichkeitsrecht gewährt dem einzelnen ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dieses Recht umfasst auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, also das Recht zu bestimmen, welche Informationen über die eigene Persönlichkeit bekannt gegeben werden und das Recht zu entscheiden, inwieweit die eigene Persönlichkeit zum Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit gemacht wird. Die staatsanwaltschaftliche Berichterstattung muss durch ein berechtigtes öffentliches Interesse legitimiert sein. Ob dies der Fall ist, hängt entscheidend von Art und Bedeutung der infrage stehenden Straftat sowie die von der Person des Verdächtigen ab. Zur Rechtfertigung der Berichterstattung bedarf es eines Mindestbestandes an Beweistatsachen. Aus der Abwägung der entgegenstehenden Interessen hat die Rechtsprechung, wie bereits für den Fall der Medienberichterstattung, Tatbestandsmerkmale entwickelt, die den Ermittlungsbehörden eine Berichterstattung ermöglichen, gleichzeitig dabei aber auch dem berechtigten Interesse des Betroffenen Rechnung tragen. Zunächst hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsergebnis und ggfls. den Gegenstand der Anklage selbstverständlich zutreffend darzustellen (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 14.11.2014, Az.: I-11 U 129/13, zitiert nach juris). Der Vorläufigkeit des Verdachtes (Unschuldsvermutung) hat die Staatsanwaltschaft dadurch Rechnung zu tragen, dass sie den mit der Verdachtsberichterstattung zwangsläufig verbundenen Eingriff nicht durch Vorverurteilungen oder Indiskretionen verstärkt. Hiernach sind die Verpflichtungen der Staatsanwaltschaft auf folgende Verhaltensweisen ausgerichtet: eine noch offene Verdachtslage ist distanzierend darzustellen; vorverurteilende Äußerungen haben zu unterbleiben ebenso wie unnötige Bloßstellungen (BGH Urteil v. 17.3.1994, Az.: III ZR 15/93, zitiert nach juris, m.w.N.). Der Betroffene ist zudem rechtzeitig über den gegen ihn bestehenden Verdacht zu informieren. Die Öffentlichkeit ist erst über die Anklageerhebung und Einzelheiten der Anklage zu unterrichten, wenn die Anklageschrift dem Beschuldigten zugestellt oder anderweitig bekannt gemacht worden ist (vgl. dazu Lehr NStZ 2009, 412 f.).

Gegen diese Grundsätze hat die Staatsanwaltschaft durch Äußerungen über die gegen den Kläger eingeleiteten Ermittlungen mehrfach verstoßen und hierdurch den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Keine Amtshaftung und keine Schadensersatzansprüche wegen europarechtswidriger Untersagung von Sportwettenvermittlung

BGH
Urteile vom 16.04.2015
III ZR 204/13
III ZR 333/13


Der BGH hat entschieden, dass keine Amtshaftungs- und keine Schadensersatzansprüche wegen der europarechtswidrigen Untersagung von Sportwettenvermittlung in den Jahren 2006 und 2007.

Die Pressemitteilung des BGH:

"Keine Schadensersatzansprüche wegen der Untersagung der Sportwettenvermittlung

Der unter anderem für Ersatzansprüche gegen die öffentliche Hand zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Abweisung der Klagen von zwei Gewerbetreibenden bestätigt, denen in den Jahren 2006 und 2007 auf der Grundlage des seinerzeit geltenden Lotteriestaatsvertrags die Vermittlung von Sportwetten untersagt worden war. Beklagte waren zwei nordrhein-westfälische Städte, die entsprechende Verbote ausgesprochen hatten, und das Land Nordrhein-Westfalen, dessen Innenministerium nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 mit einem an die Bezirksregierungen gerichteten Erlass vom 31. März 2006 um die konsequente Durchsetzung des seinerzeitigen staatlichen Sportwettenmonopols ersucht hatte. Die Kläger haben Ersatzansprüche mit der Begründung geltend gemacht, das Monopol habe gegen europäisches Recht verstoßen, so dass die Untersagungsverfügungen rechtswidrig gewesen seien.

Der III. Zivilsenat hat entschieden, dass die Klagen unbegründet sind. Zwar haben sich die Verfügungen als rechtswidrig herausgestellt, weil das Sportwettenmonopol gegen das Recht der Europäischen Union verstieß. Jedoch war die Rechtslage bis zu den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 8. September 2010 unklar. Erst aus diesen Entscheidungen ergab die Unzulässigkeit des deutschen staatlichen Sportwettenmonopols zweifelsfrei. Deshalb fiel den Behörden weder ein für einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch notwendiger qualifizierter Rechtsverstoß noch ein für einen Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 Abs. BGB, Art. 34 Satz 1 GG notwendiges Verschulden zur Last. Für die Zeit danach kam ein Ersatzanspruch nicht in Betracht, weil nicht festgestellt werden konnte, dass die Kläger die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis für ihr Gewerbe erfüllten, und es nach den Entscheidungen des EuGH weiterhin zulässig ist, die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten unter einen Erlaubnisvorbehalt zu stellen.

Der Senat hat auch einen verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch aus § 39 Abs. 1 Buchst. b des Ordnungsbehördengesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen verneint. Diese Vorschrift erfasst nach gefestigter Rechtsprechung nicht Schäden, die durch mit der Verfassung unvereinbare Gesetze und deren Vollzug verursacht werden (legislatives Unrecht). Dies gilt, wie der Senat in seinen heutigen Entscheidungen ausgeführt hat, gleichermaßen, wenn nationale Gesetze (hier die Bestimmungen über das Sportwettenmonopol) gegen Unionsrecht verstoßen. Auch das Unionsrecht fordert keine verschuldensunabhängige Haftung für legislatives Unrecht. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass auch in diesen Fällen eine Haftung nur unter den – hier nicht erfüllten – Voraussetzungen eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen EU-Recht geboten ist.

BVerfGE 115, 276 ff.

Carmen Media (NVwZ 2010, 1422), Stoß u.a. (NVwZ 2010, 1409) und Winner Wetten (NVwZ 2010, 1419).

"Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen."

""Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht."

""Ein Schaden, den jemand durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden erleidet, ist zu ersetzen, wenn er



b) durch rechtswidrige Maßnahmen, gleichgültig, ob die Ordnungsbehörden ein Verschulden trifft oder nicht, entstanden ist."

Urteile vom 16. April 2015

III ZR 204/13

LG Bochum - 5 O 5/11 – Entscheidung vom 9. September 2011

OLG Hamm - I-11 U 88/11 – Entscheidung vom 3. Mai 2013

und

III ZR 333/13

LG Bochum - 5 O 156/10 – Entscheidung vom 9. September 2011

OLG Hamm - I-11 U 89/11 – Entscheidung vom 14. Juni 2013"



LG Magdeburg: Bundesland haftet für illegale DVD-Kopien eines Lehrers nach Grundsätzen der Amtshaftung als Anstellungskörperschaft

LG Magdeburg
Urteil vom 30.04.2014
7 O 1088/13


Das LG Magdeburg hat entschieden, dass das Bundesland Sachsen-Anhalt für illegale DVD-Kopien eines Lehrers nach Grundsätzen der Amtshaftung als Anstellungskörperschaft auf Schadensersatz haftet. Der Lehrer hatte mehrere DVDs für den Schulbetrieb zu Ansicht erhalten und diese dann für Unterrichtszwecke rechtswidrig kopiert.

LG Braunschweig: EHEC-Warnung vor Sprossen durch Bundesamt für Verbraucherschutz zulässig - Kein Schadensersatz für Unternehmen, die Sprossen und Sprossenprodukte vertreiben

LG Braunschweig
Urteil vom 20.05.2014
7 O 372/12


Das LG Braunschweig hat entschieden, dass die EHEC-Warnungen vor Sprossen durch das Bundesamt für Verbraucherschutz zulässig war. Das Gericht wies die Klage eines Unternehmens, welches Sprossen und Sprossenprodukte vertreibt, ab.

Dies Pressemitteilung des LG Braunschweig:

"Urteil im sogenannten Sprossenprozess

Ein Hamburger Unternehmen, das die Anzucht und den Vertrieb von Sprossen betreibt, verklagt vor dem Landgericht Braunschweig die Bundesrepublik, vertreten durch das Amt für Verbraucherschutz auf einen hohen sechsstelligen Betrag im Wege einer Staatshaftungsklage (7 O 372/12).

Hintergrund der Klage ist eine Verbraucherwarnung, die im Jahre 2011 durch das Bundesamt für Verbraucherschutz im Benehmen mit verschiedenen anderen Behörden veröffentlicht worden ist. Es war zu Keimbefall von Sprossenprodukten gekommen. Verschiedene Verbraucher erlitten teilweise sehr schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen. Ein wissenschaftlich exakter Zusammenhang zwischen Keimbefall und Erkrankung war im Zeitpunkt der Warnmeldung nicht sicher festzustellen. Es lag aber nach Auffassung des Bundesamtes eine hinlängliche Verdachtslage vor.

Das Hamburger Unternehmen sieht seine wirtschaftlichen Belange bei der Veröffentlichung der Warnmeldung nicht ausreichend beachtet und begehrt für erlittenen Gewinnendgang vom Bund Schadenersatz.

Die Kammer hat die Klage abgewiesen. Bei der Prüfung hat die Kammer im vorliegenden Einzelfall die Verbraucherbelange höher bewertet und auch in dem Fall, in dem ein wissenschaftlich exakter Zusammenhang zwischen Erkrankung und Produktbeschaffenheit nicht sicher festzustellen ist, angenommen, dass das Bundesamt für Verbraucherschutz berechtigt gewesen ist, eine Verbraucherwarnung herauszugeben. Darüber hinaus hat die Kammer zur Begründung der Klagabweisung angeführt, dass der kausale Zusammenhang zwischen dem geltend gemacht entgangenen Gewinn und der Verbraucherwarnung nicht hinlänglich festzustellen gewesen wäre."