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BGH: Zum Ausgleichsanspruch des Komissionsagenten entsprechend § 89b HGB und zum Zugriff auf den Kundenstamm bei einem weitgehend anonymen stationären Massengeschäft

BGH
Urteil vom 21. Juli 2016
I ZR 229/15
HGB §§ 89b, 383 Abs. 1, § 384 Abs. 2, § 392 Abs. 1 und 2, § 396

Leitsätze des BGH:


a) Ein Vertrag ist als Kommissionsagenturvertrag zu qualifizieren, wenn ein Unternehmer einen anderen gegen Zahlung einer Provision damit beauftragt, ständig von ihm gelieferte, jedoch dem Beauftragten nicht übereignete Ware im eigenen Namen auf Rechnung des Unternehmers zu veräußern, und eine Abtretung der Forderungen aus der Veräußerung der Waren an den Unternehmer vereinbart ist.

b) Dem Kommissionsagenten steht bei Beendigung des Kommissionsagenturvertrags in entsprechender Anwendung von § 89b HGB ein Ausgleichsanspruch gegen den Kommittenten zu, wenn er in dessen Absatzorganisation eingebunden ist und ihm bei Beendigung des Vertragsverhältnisses den Kundenstamm zu überlassen hat.

c) Im weitgehend anonymen Massengeschäft in einem stationären Sonderpostenmarkt benötigt der Kommittent für eine Übernahme des Kundenstamms nicht in gleicher Weise wie beim Verkauf hochwertiger Wirtschaftsgüter den Zugang zu vollständigen Kundendaten. Betreibt der Kommissionsagent in von dem Kommittenten angemieteten Räumen einen
filialähnlich organisierten Markt und hat der Kommittent über ein von ihm vorinstalliertes Kassensystem ständigen Zugriff auf Informationen zu allen Verkaufsvorgängen und auf sämtliche von den Kunden im Rahmen des Bezahlvorgangs mitgeteilten personenbezogenen Daten, ist von einer faktischen Kontinuität des Kundenstamms auszugehen, wenn der Kommittent nach Beendigung des Kommissionsagenturverhältnisses den Markt unter derselben Geschäftsbezeichnung in denselben Geschäftsräumen weiterführen kann.

BGH, Urteil vom 21. Juli 2016 - I ZR 229/15 - OLG Oldenburg - LG Osnabrück

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Theater-Besucherring ist auch bei jahrelanger Vermittlung von Karten kein Handelsvertreter des Theaters - kein Anspruch auf Handelsvertreterausgleich

OLG Frankfurt am Main
Urteil vom 29.9.2015
5 U 43/15


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Theater-Besucherring ist auch bei jahrelanger Vermittlung von Karten kein Handelsvertreter des Theaters ( hier: Hessisches Staatstheater Wiesbaden ) ist, da dieser die Interessen der Theaterbesucher vertritt. Es besteht mithin kein Anspruch auf Handelsvertreterausgleich aus § 89b Abs. 1 HGB

Aus den Entscheidungsgründen:

"Dem Kläger steht kein Anspruch auf Handelsvertreterausgleich nach § 89b Abs. 1 HGB zu, da zwischen dem Insolvenzschuldner und der Beklagten weder ein Handelsvertreterverhältnis bestand, noch eine entsprechende Anwendung des § 89b HGB in Betracht kommt.

Dabei kann das zwischen den Parteien umstrittene Problem der Kündigung des Vertragsverhältnisses ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die streitgegenständliche Tätigkeit des beklagten Landes unter den Unternehmerbegriff im Sinne des §§ 89b Abs. 1, 84 Abs. 1 HGB fällt oder das Handeln im Rahmen der Aufgabenerfüllung mangels Gewinnerzielungsabsicht hiervon auszunehmen ist (zur grundsätzlichen Gleichstellung der öffentlichen Hand mit Privaten bei gleichartiger wirtschaftlicher Lage des Dienstverpflichteten BGH, Urteil vom 21.01.1965 - VII ZR 22/63 -, BGHZ 43, 108-115, zitiert nach Juris Tz. 17; vgl. auch Thume in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, § 84 HGB, Rdn. 14).

Unerheblich ist ferner, dass der Kartenverkauf grundsätzlich Gegenstand eines Handelsvertretervertrags sein kann (vgl. dazu BGH, Urteil vom 20.02.1986 - I ZR 105/84, zitiert nach Juris).

Der streitgegenständlichen vertraglichen Beziehung fehlt nämlich das für ein Handelsvertreterverhältnis wesentliche Merkmal des Betrautseins. Der Insolvenzschuldner war nicht im Sinne des § 84 Abs.1 HBG damit betraut, für das beklagte Land Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.

Voraussetzung für ein Betrautsein in diesem Sinne ist mehr als das Bestehen einer dauerhaften Geschäftsverbindung. Handelsvertreter ist nur derjenige, den eine Tätigkeitspflicht trifft; erforderlich ist die Verpflichtung, sich ständig um Geschäfte zu bemühen (BGH, Urteil vom 01.04.1992 - IV ZR 154/91 - zitiert nach Juris Tz. 12). Dagegen ist der Vermittler ohne Tätigkeitspflicht nicht Handelsvertreter; auch die bloße Berechtigung zum Tätigwerden genügt nicht (OLG München, Urteil vom 21.01.2010 - 23 U 4124/09 -, zitiert nach Juris Tz. 13). Betrautsein meint weiter, dass der Unternehmer dem Handelsvertreter die Wahrnehmung seiner Interessen anvertraut. Die allgemeine Interessenwahrungspflicht des Handelsvertreters für den Unternehmer ist dem Handelsvertreterverhältnis immanent (vgl. BGH, Beschluss vom 25.09.1990 - KVR 2/89 -, BGHZ 112, 218-229, zitiert nach Juris Tz. 16). Der Handelsvertreter steht im Lager des Unternehmers und wahrt dessen Belange, nicht diejenigen des Kunden, zu dem der Handelsvertreter selbst im Regelfall nicht in rechtliche Beziehungen tritt (Emde, in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2008, § 84, Rdn. 65).

Ausgehend von diesem Maßstab lässt sich weder der Vereinbarung vom 21.02.1989 (Anlage K2, Bl. 11 ff. d.A.) noch dem übrigen Vorbringen der Parteien entnehmen, dass der Insolvenzschuldner im Sinne des § 84 HGB "ständig damit betraut" war, für das beklagte Land - Hessisches Staatstheater Wiesbaden - Geschäfte zu vermitteln oder in deren Namen abzuschließen.

Schon der Vereinszweck des Insolvenzschuldners spricht gegen seine Tätigkeitspflicht sowie dagegen, dass er bei der Kartenvermittlung und beim Kartenverkauf im Lager der Beklagten stand. Danach hatte der Verein "kulturelle Aufgaben", diente "der Volkserziehung und der Volksbildung". Sein Zweck war die "Förderung des Theaterbesuchs durch die Schaffung von Besucherringen". Dem entsprechend haben sich auch nach dem Vortrag des Klägers die vom Insolvenzschuldner vermittelten Besucher zu regelmäßigen Theaterbesuchen organisiert. Im Hinblick darauf nahm der Insolvenzschuldner als Zusammenschluss dieser Theaterbesucher deren Interessen wahr.

Ein Tätigwerden in erster Linie im eigenen satzungsmäßigen Interesse des Insolvenzschuldners bzw. im Interesse seiner Mitglieder ergibt sich auch aus der Gestaltung des streitgegenständlichen Vertrags. Die dort vorgesehene Übertragung der "Werbung und Kartenvermittlung zu entsprechend ermäßigten Preisen" liegt nicht im unternehmerischen Interesse des beklagten Landes, sondern betrifft allenfalls die öffentliche Aufgabe der Kulturförderung. In erster Linie ermöglichte die dort geregelte Kartenvermittlung jedoch dem Insolvenzschuldner die Verfolgung seines eigenen Satzungszwecks. Dem entsprechend war dem Insolvenzschuldner die Kartenvermittlung - wie es bei einer Vermittlung im Interesse des Theaters zur größtmöglichen Gewinnerzielung nahe gelegen hätte - auch nicht gegenüber jedermann überlassen. Vielmehr soll nach § 1 Ziff. 5 die Heranführung der Besuchergruppen durch den Besucherring nach Möglichkeit in geschlossenen Gruppen vorgenommen werden. Der Verkauf von Karten an Einzelpersonen war nur gestattet, soweit es sich um Mitglieder des Besucherrings handelte, der Insolvenzschuldner also - anders als üblicherweise beim Handelsvertreterverhältnis - zu diesen Personen in rechtlicher Beziehung stand.

Dafür, dass der Kläger zunächst selbst nicht von einem Handelsvertreterverhältnis ausging, streitet schließlich die Veräußerung der Kundendaten. Ein Handelsvertreter bzw. Vertragshändler ist nämlich ohnehin verpflichtet, dem Unternehmer seinen Kundenstamm zu übertragen, so dass sich dieser bei Vertragsende die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann (zu dieser Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung des § 89b HGB auf Vertragshändler BGH, Urteil vom 05.02.2015 - VII ZR 315/13 -, zitiert nach Juris Tz. 11).

Fehlt demnach mangels Betrautseins ein wesentliches Merkmal des Handelsvertreterverhältnisses kommt - mangels vergleichbarer Interessenlage - auch eine analoge Anwendung des § 89b HGB nicht in Betracht."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Zur Aufteilung einer unionsrechtlichen Kartellgeldbuße unter Gesamtschuldnern - Calciumcarbid-Kartell II

BGH
Urteil vom 18.11.2014
KZR 15/12 - Calciumcarbid-Kartell II


Die Pressemitteilung des BGH:

"Bundesgerichtshof zur Aufteilung einer unionsrechtlichen Kartellgeldbuße unter Gesamtschuldnern

Der Bundesgerichtshof hat sich mit der Frage befasst, nach welchem Maßstab eine Geldbuße, die die Europäische Kommission gegen mehrere Gesellschaften als Gesamtschuldner verhängt hat, im Innenverhältnis auf die einzelnen Schuldner zu verteilen ist.

Die Klägerin war alleinige Gesellschafterin der Beklagten zu 2, die im August 2004 sämtliche Anteile an der Beklagten zu 1 erwarb. Zu diesem Zeitpunkt nahmen Beschäftigte der Beklagten zu 1 bereits seit einigen Monaten an Kartellabsprachen zum Vertrieb von Calciumcarbid teil, die sie ab Juli 2005 auf den Vertrieb von Magnesiumgranulat ausweiteten. Ab November 2006 veräußerte die Klägerin ihre Anteile an der Beklagten zu 2, bis sie zum 22. Juli 2007 vollständig ausschied.

Mit Entscheidung vom 22. Juli 2009 verhängte die Europäische Kommission (COMP/39.396, K(2009) 5791 endg) gegen die Klägerin und die Beklagten als Gesamtschuldner eine Geldbuße in Höhe von 13,3 Mio. Euro wegen Zuwiderhandlung gegen das europäische Kartellrecht im Zeitraum vom 22. April 2004 (Beklagte zu 1) bzw. 30. August 2004 (Beklagte zu 2 und Klägerin) bis zum 16. Januar 2007. Die Klägerin und die Beklagten haben die Verhängung der Geldbuße vor dem Gericht der Europäischen Union angefochten, welches - erst nach der Entscheidung des Berufungsgerichts - mit Urteilen vom 23. Januar 2014 (T-395/09 und T-384/09) die Geldbuße der Klägerin auf 12,3 Mio. Euro reduziert und die Nichtigkeitsklagen der Parteien im Übrigen abgewiesen hat. Nur die Beklagten haben dagegen Rechtsmittel zum Gerichtshof der Europäischen Union (C-154/14 P) eingelegt.

Die Klägerin zahlte auf die Geldbuße und angefallene Zinsen etwa 6,8 Mio. Euro. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt sie von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Erstattung dieses Betrags. Sie ist der Ansicht, dass die Geldbußen im Innenverhältnis von den Beklagten zu tragen seien, da sie, die Klägerin, sich nicht selbst an dem Kartell beteiligt habe.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat angenommen, die Klägerin habe als Obergesellschaft die Geldbuße im Innenverhältnis allein zu tragen, weil ihr mögliche wirtschaftliche Erfolge aus dem kartellrechtswidrigen Verhalten - durch Gewinnausschüttungen oder Wertsteigerung der von ihr gehaltenen Geschäftsanteile - zugeflossen seien. Ob das Kartell tatsächlich eine Rendite bewirkt habe, sei unerheblich. Auf Verursachungs- oder Verschuldensbeiträge komme es nicht an. Schadensersatzansprüche der Klägerin bestünden nicht.

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Oberlandesgerichts auf die Revision aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

In seiner Entscheidung hat der Bundesgerichtshof an die im Laufe des Revisionsverfahrens ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union angeknüpft. Danach obliegt die Entscheidung über den Ausgleich im Innenverhältnis grundsätzlich den nationalen Gerichten nach Maßgabe des einzelstaatlichen Rechts. Im vorliegenden Fall führt dies zur Anwendbarkeit des deutschen Rechts und damit des § 426 BGB*.

Auf dieser Grundlage hat der Bundesgerichtshof die vom Oberlandesgericht angestellte Erwägung, die Klägerin müsse die Geldbuße als Obergesellschaft und wirtschaftliche Nutznießerin alleine tragen, als nicht tragfähig erachtet. Entsprechend der Grundregel des § 426 BGB sind vielmehr alle für die Beurteilung des Falles maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen. Ausgleichsansprüche einer Obergesellschaft gegen abhängige Gesellschaften können zwar im Einzelfall ausgeschlossen sein, wenn ein Gewinnabführungsvertrag besteht. Das Bestehen einer solchen Vereinbarung hat das Oberlandesgericht aber nicht festgestellt.

Nach der Zurückverweisung wird das Oberlandesgericht die für den Streitfall relevanten Umstände festzustellen haben. Dazu gehören insbesondere die den Beteiligten anzulastenden Verursachungs- und Verschuldensbeiträge sowie die ihnen aufgrund des Kartellverstoßes zugeflossenen Mehrerlöse oder sonstigen Vorteile.

* § 426 BGB (Ausgleichungspflicht, Forderungsübergang)

(1) Die Gesamtschuldner sind im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Kann von einem Gesamtschuldner der auf ihn entfallende Beitrag nicht erlangt werden, so ist der Ausfall von den übrigen zur Ausgleichung verpflichteten Schuldnern zu tragen.

(2) Soweit ein Gesamtschuldner den Gläubiger befriedigt und von den übrigen Schuldnern Ausgleichung verlangen kann, geht die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner auf ihn über. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden.

Urteil vom 18. November 2014, KZR 15/12 - Calciumcarbid-Kartell II

OLG München - Urteil vom 9. Februar 2012 - U 3283/11 Kart

WuW/E DE-R 3835

LG München I - Urteil vom 13. Juli 2011 - 37 O 20080/10"

BGH: Lizenznehmer einer Marke kann nach Ende des Markenlizenzvertrages ein Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB zustehen

BGH
Urteil vom 29.04.2010
I ZR 3/09
JOOP!
MarkenG § 30; HGB § 89b

Leitsätze des BGH:


a) Dem Lizenznehmer eines Markenlizenzvertrags kann bei Beendigung des Lizenzverhältnisses ein Ausgleichsanspruch nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur entsprechenden Anwendung des § 89b HGB (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2007 - VIII ZR 352/04, NJW-RR 2007, 1327 Rn. 13 f. mwN) zustehen. Eine entsprechende Anwendung des § 89b HGB setzt demnach die Einbindung des Lizenznehmers in die Absatzorganisation des Lizenzgebers sowie die Verpflichtung des Lizenznehmers voraus, dem Lizenzgeber seinen Kundenstamm zu übertragen.

b) Ist der Markeninhaber und Lizenzgeber auf dem Gebiet der vom Lizenznehmer vertriebenen Waren selbst nicht tätig, sind die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung des § 89b HGB im Regelfall nicht gegeben.
BGH, Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 3/09 - OLG Hamburg
LG Hamburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: In einem Geschäft können Kunden die mindestens vier Mal im Jahr dort einkaufen als Stammkunden im Sinne von § 89b HGB angesehen werden

BGH
Urteil vom 21.04.2010
VIII ZR 108/09
HGB § 89b

Leitsatz des BGH:

Auch im Shopgeschäft können als Stammkunden (Mehrfachkunden) eines Tankstellenhalters im Allgemeinen diejenigen Kunden angesehen werden, die mindestens vier Mal im Jahr dort eingekauft haben (im Anschluss an BGH, Urteil vom 12. September 2007 - VIII ZR 194/06, VersR 2008, 214).
BGH, Urteil vom 21. April 2010 - VIII ZR 108/09 - OLG Hamburg
LG Hamburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: