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OLG Frankfurt: AGB-Klausel der Deutschen Bahn wonach die Kündigung der Probe-Bahncard der Schriftform bedarf ist unzulässig

OLG Frankfurt
Urteil vom 18.12.2024,
6 U 206/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die AGB-Klausel der Deutschen Bahn, wonach die Kündigung der Probe-Bahncard der Schriftform bedarf, unzulässig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Sechswöchige Kündigungsfrist der Probe BahnCard rechtmäßig

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat gestern entschieden, dass die sechswöchige Kündigungsfrist der Probe BahnCard rechtmäßig war. Unzulässig sei es jedoch, die Kündigung an die Schriftform zu binden. Kraft Gesetzes reiche die Textform.

Der Kläger ist eine Verbraucherschutzorganisation. Er macht gegen das für den Fernverkehr zuständige Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG Unterlassungsansprüche wegen der früheren Verwendung seiner Ansicht nach unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Fernverkehr geltend. Die Beklagte bot Verbrauchern über ihre Webseite den Abschluss von Verträgen zum Erwerb einer Probe BahnCard an. Dort wies sie bis zum 9.2.2023 darauf hin, dass die Probe BahnCard mit einer Frist von sechs Wochen kündbar ist und sich ohne Kündigung in ein unbefristetes Abo der regulären BahnCard mit einer Mindestlaufzeit von einem Jahr verlängert. Im Rahmen der Rubrik „Häufig gestellte Fragen“ erschien bei der Frage, wie lange eine BahnCard 25 gültig ist, die Antwort, dass sie 12 Monate gültig sei und sich automatisch verlängert, wenn sie nicht sechs Wochen vor Laufzeitende schriftlich gekündigt wird. Der Kläger ist der Ansicht, diese Regelungen benachteiligten die Verbraucher unangemessen und seien deshalb unwirksam.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat auf die erstinstanzlich beim OLG eingereichte Klage hin der Klage nur zum Teil stattgegeben.

Ohne Erfolg beanstande der Kläger die sechswöchige Kündigungsfrist, entschied der zuständige 6. Zivilsenat. Diese Regelung sei rechtmäßig. Es handele sich bei der BahnCard insbesondere nicht um einen Vertrag über die regelmäßige Lieferung von Waren oder die regelmäßige Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen, bei denen gesetzlich eine vierwöchige Kündigungsfrist vorgesehen sei (§ 309 Nr. 9 c BGB). Die BahnCard stelle vielmehr lediglich einen Rahmenvertrag ohne regelmäßigen Leistungsaustausch dar. Sie vermittele den Kunden nur einen Anspruch darauf, während ihrer Laufzeit ermäßigte Preise für Dienstleistungen zahlen zu müssen.

Eine unangemessene Benachteiligung liege bei Abwägung der für und gegen eine sechswöchige Kündigungsfrist sprechenden Umstände ebenfalls nicht vor. Insbesondere werde das Dispositionsinteresse der Inhaber einer Probe BahnCard hinreichend gewahrt.

Die Beklagte müsse es aber unterlassen, unter der Rubrik „Häufig gestellte Fragen“ darauf hinzuweisen, dass die Kündigung schriftlich erfolgen müsse, entschied der Senat. Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, in der Erklärungen gegenüber dem Verwender (hier der Beklagten) an eine strengere Form als die Textform gebunden werden, unterfielen dem Klauselverbot nach § 309 Nr. 13 b BGB und seien unwirksam. Hier verlange die Beklagte mit der Schriftform eine eigenhändige Namensunterschrift und gehe damit über die Textform hinaus.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 18.12.2024, Az. 6 U 206/23

Erläuterungen
Gemäß dem am 8.10.2023 geänderten § 6 Abs. 1 UKlG ist für Unterlassungsklageverfahren nach §§ 1 - 2b UKlaG - wie hier - ausschließlich das OLG zuständig. Es entscheidet nach den für die erstinstanzlichen Verfahren geltenden Regeln.

§ 309 BGB Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit
Auch soweit eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften zulässig ist, ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam
(...)

9. bei einem Vertragsverhältnis, das die regelmäßige Lieferung von Waren oder die regelmäßige Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen durch den Verwender zum Gegenstand hat,

(...)
c) eine zu Lasten des anderen Vertragsteils längere Kündigungsfrist als einen Monat vor Ablauf der zunächst vorgesehenen Vertragsdauer;
(...)
13. (Form von Anzeigen und Erklärungen)
eine Bestimmung, durch die Anzeigen oder Erklärungen, die dem Verwender oder einem Dritten gegenüber abzugeben sind, gebunden werden
(...)
b) an eine strengere Form als die Textform in anderen als den in Buch-stabe a genannten Verträgen oder
(...)

§ 126b BGB Textform
Ist durch Gesetz Textform vorgeschrieben, so muss eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden. Ein dauerhafter Datenträger ist jedes Medium, das

es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist, und
geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben.
(...)
§ 126 BGB Schriftform
(1) Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden.
(...)



OLG Frankfurt: Unterlassungsanspruch und 1.000 EURO Entschädigung für Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit gegen Deutsche Bahn wegen Diskriminierung durch Anreden "Herr" oder "Frau"

OLG Frankfurt
Urteil vom 21.06.2022
9 U 92/20


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch und ein Anspruch auf 1.000 EURO Entschädigung für eine Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit gegen die Deutsche Bahn wegen Diskriminierung durch Anreden "Herr" oder "Frau" besteht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Unterlassungs- und Entschädigungsanspruch einer Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat mit heute verkündeter Entscheidung die Vertriebstochter des größten deutschen Eisenbahnkonzerns verpflichtet, es ab dem 01.01.2023 zu unterlassen, die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit dadurch zu diskriminieren, dass diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als „Herr“ oder „Frau“ angeben muss. Bezüglich der Ausstellung von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherter personenbezogener Daten gilt das Unterlassungsgebot ohne Umstellungsfrist sofort. Zudem hat das Unternehmen an die klagende Person eine Entschädigung i.H.v. 1.000 € zu zahlen.

Die Beklagte ist Vertriebstochter des größten deutschen Eisenbahnkonzerns. Die klagende Person besitzt eine nicht-binäre Geschlechtsidentität. Die Person ist Inhaberin einer BahnCard und wird in diesbezüglichen Schreiben sowie Newslettern der Beklagten mit der unzutreffenden Bezeichnung „Herr“ adressiert. Auch beim Online-Fahrkartenverkauf der Beklagten ist es zwingend erforderlich, zwischen einer Anrede als „Frau“ oder „Herr“ auszuwählen. Die klagende Person ist der Ansicht, ihr stünden Unterlassungsansprüche sowie ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von € 5.000 gegen die Beklagte zu, da deren Verhalten diskriminierend sei.

Das Landgericht hatte den Unterlassungsansprüchen der klagenden Person stattgegeben und Entschädigungsansprüche abgewiesen.

Auf die Berufungen der Parteien hin hat das OLG die Unterlassungsansprüche der klagenden Person bestätigt, dabei allerdings der Beklagten hinsichtlich des Unterlassungsgebots bezüglich der Nutzung von Angeboten der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende eingeräumt. Zudem hat es eine Entschädigung i.H.v. 1.000 € zugesprochen. Die klagende Person könne wegen einer unmittelbaren Benachteiligung im Sinne der §§ 3, 19 AGG aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung und Durchführung von zivilrechtlichen Schuldverhältnissen im Massenverkehr Unterlassung verlangen, begründete das OLG seine Entscheidung. Das Merkmal der Begründung eines Schuldverhältnisses sei dabei weit auszulegen und nicht nur auf konkrete Vertragsanbahnungen zu beziehen. Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn Menschen mit nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auszuwählen.

Allerdings hat das OLG der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende von gut sechs Monaten eingeräumt. Dies bezieht sich insbesondere auf die Nutzung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten allgemeinen Buchungssystems für Online-Fahrkarten, das sich nicht nur an die klagende Person richtet. Das OLG hat die gewährte Umstellungsfrist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit im Hinblick auf den für die Anpassung erforderlichen erheblichen Aufwand bemessen.

Keine Umstellungsfrist hat das OLG der Beklagten dagegen gewährt, soweit sich der Unterlassungsanspruch der klagenden Person auf die Ausstellung von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherte personenbezogene Daten bezieht. In der diesbezüglichen individuellen Kommunikation sei es für die Beklagte technisch realisierbar und auch im Hinblick auf den finanziellen und personellen Aufwand zumutbar, dem Unterlassungsanspruch ohne Übergangsfrist zu entsprechen.

Das OLG hat der klagenden Person zudem wegen der Verletzung des Benachteiligungsverbots eine Geldentschädigung in Höhe von 1.000 € zugesprochen. Die klagende Person habe infolge der Verletzung des Benachteiligungsverbots einen immateriellen Schaden erlitten, begründet das OLG. Sie erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, welche zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Die Entschädigung in Geld sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe. Abzuwägen seien dabei die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die klagende Person einerseits und die Beweggründe der Beklagten andererseits. Die Benachteiligungen für die klagende Person sei hier als so massiv zu bewerten, dass sie nicht auf andere Weise als durch Geldzahlung befriedigend ausgeglichen werden könnten. Zu Gunsten der Beklagten sei aber zu berücksichtigen, dass keine individuell gegen die Beklagte gerichteten Benachteiligungshandlungen erfolgt seien. Zudem handele es sich bei der Frage der Anerkennung der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität um eine neuere gesellschaftliche Entwicklung, welche selbst in der Gleichbehandlungsrichtlinie aus dem Jahr 2004 (RL 2004/11/EG) noch keinen Niederschlag gefunden habe. So sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Einführung ihrer Software in Bezug auf den Online-Ticketkauf bewusst oder absichtlich zur Benachteiligung nicht-binärer Personen eine geschlechtsneutrale Erwerbsoption ausgespart habe. Allerdings habe die Beklagte ihre IT-Systeme im Unterschied zu anderen großen Unternehmen bislang nicht angepasst. Zudem sei ihr vorzuhalten, dass sie gerade in der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person - so etwa hinsichtlich der BahnCard - nach wie vor eine unzutreffende männliche Anrede verwende.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 21.06.2022, Az. 9 U 92/20

(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Schlussurteil vom 03.12.2020, Az. 2-13 O 131/20)

Die Entscheidung ist in Kürze im Volltext unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abrufbar.

Erläuterungen:
Das OLG hat den Anspruch unmittelbar aus dem AGG hergeleitet, so dass es – anders als die angefochtene Entscheidung - keines Rückgriffs auf §§ 823 Abs. 1, 1004 Ab. 1 S. 2 BGB i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bedurfte.

§ 3 AGG Begriffsbestimmungen
(1) 1Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § AGG § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. 2Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § AGG § 2 Abs. AGG § 2 Absatz 1 Nr. AGG § 2 Absatz 1 Nummer 1 bis AGG § 2 Absatz 1 Nummer 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § AGG § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

...

§ 19 AGG Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot
(1) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die

1.typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen oder
2.eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben,
ist unzulässig.

...

§ 21 AGG Ansprüche

(1) 1Der Benachteiligte kann bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot unbeschadet weiterer Ansprüche die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. 2Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann er auf Unterlassung klagen.

(2) 1Bei einer Verletzung des Benachteiligungsverbots ist der Benachteiligende verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. 2Dies gilt nicht, wenn der Benachteiligende die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. 3Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der Benachteiligte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.

(3) Ansprüche aus unerlaubter Handlung bleiben unberührt.