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OLG Köln: Zulässige Verdachtsberichterstattung des SPIEGEL über heimliche intime Filmaufnahmen von Mitarbeiterinnen durch einen Unternehmer

OLG Köln
Urteil vom 18.08.2022
15 U 258/21


Das OLG Köln hat in diesem Fall entschieden, dass die Verdachtsberichterstattung des Spiegel über heimliche intime Filmaufnahmen von Mitarbeiterinnen durch einen Unternehmer zulässig war.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung ist teilweise begründet. Sie wendet sich mit Erfolg gegen die Verurteilung, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe auf der fraglichen Klausurtagung Kameras in Hotelzimmern angebracht und hiermit heimlich Mitarbeiterinnen gefilmt, und über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe im Badezimmer eines Hotelzimmers einer Mitarbeiterin eine Kamera entfernt. Soweit sich die Berufung darüber hinaus gegen die Verurteilung wendet, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe zu Kollegen gesagt „Fickt ihr die mal alle, das ist nichts mehr für mich“, und es zu unterlassen, das in dem Artikel abgedruckte Foto des Klägers erneut zu veröffentlichen, hat die Berufung keinen Erfolg.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte entgegen der Auffassung des Landgerichts keinen Anspruch darauf, es zu unterlassen, unter namentlicher Nennung des Klägers über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe auf der Klausurtagung Kameras in Hotelzimmern angebracht und hiermit heimlich Mitarbeiterinnen gefilmt (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB). Die entsprechenden Äußerungen der Beklagten, die in dem angegriffenen Beitrag vom 6. beziehungsweise 7. November 2020 unstreitig enthalten sind, verletzen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) des Klägers nach Auffassung des Senats nicht.

a) Sie berühren allerdings dessen Schutzbereich.

Denn die Äußerung des Verdachts, der in der breiten Öffentlichkeit bis dahin unbekannte, im Bericht mit vollem Namen genannte Kläger habe Mitarbeiterinnen in deren Hotelzimmern heimlich gefilmt, ist offensichtlich geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Klägers auszuwirken. Es steht ein Übergriff des Klägers in die Privatsphäre ihm beruflich unterstellter Personen und ein offenbar zumindest beabsichtigter Eingriff auch in die Intimsphäre in Rede.

Hinzukommt, dass in dem Beitrag auch über das gegen den Kläger geführte Strafverfahren, insbesondere über die Wohnungsdurchsuchung, die Anklageschrift und die Einlassung des Klägers im Zwischenverfahren berichtet wird. Die den Beschuldigten identifizierende Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 21 mwN).

Diese Erwägungen gelten unabhängig davon, ob das dem Kläger vorgeworfene, wegen des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Mitarbeiterinnen unzweifelhaft rechtswidrige Verhalten strafbar war. Dies ist rechtlich zweifelhaft, weil eine Strafbarkeit gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB voraussetzt, dass die tatsächlich gefertigten Filmaufnahmen den höchstpersönlichen Lebensbereich der gefilmten Mitarbeiterinnen betreffen, wofür das Filmen einer Mitarbeiterin beim Öffnen des Hosenbundes möglicherweise nicht ausreichen könnte (vgl. dazu etwa Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 201a Rn. 3).

b) Es liegt aber kein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor. Im Rahmen der gebotenen Abwägung dieses Rechts mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit überwiegt das Schutzinteresse des Klägers die schutzwürdigen Belange der anderen Seite nicht.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Verfehlungen - auch konkreter Personen - aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien (zuletzt BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 19; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 25).

Eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, darf nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 22; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 27; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 18).

Diese Maßstäbe gelten im Grundsatz auch für die Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten (§ 157 StPO). In diesem Verfahrensstadium ist nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Zwar gehört es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen - auch konkreter Personen - aufzuzeigen. Im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung ist aber die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder Durchführung eines Strafverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Verfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt" (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 23; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 28; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 19).

Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert" verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 24; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 29; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 20).

bb) Ausgehend von diesen Maßstäben erweist sich die angegriffene Verdachtsberichterstattung als rechtmäßig.

(1) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprachen, vorlag.

Das folgt bereits aus der Anklageerhebung, die nach § 170 Abs. 1 StPO voraussetzt, dass der Beschuldigte aus Sicht der Staatsanwaltschaft einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint, also eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verurteilung besteht (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 28; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 34). Nichts anderes folgt aus dem - im Übrigen erst nach Veröffentlichung des angegriffenen Beitrags ergangenen - Einstellungsbeschluss des Amtsgerichts. Denn auch eine Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO setzt das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts voraus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 1995 - 2 BvR 1732/95, NStZ-RR 1996, 168, 169; BeckOK-StPO/Beukelmann, § 153a Rn. 14 [Stand: 1. Juli 2022]; MüKo-StPO/Peters, § 153a Rn. 8). Einen solchen hat das Amtsgericht in den Gründen des Beschlusses in tatsächlicher Hinsicht auch nicht verneint. Es hat lediglich aus Rechtsgründen Zweifel an der Strafbarkeit des Verhaltens geäußert. Diese Zweifel stehen der Annahme eines Mindestbestandes an Beweistatsachen - also von Anhaltspunkten dafür, dass die als Verdacht geäußerten Tatsachen der Wahrheit entsprechen - nicht entgegen.

Unbeschadet dessen lag ein Mindestbestand an Beweistatsachen auch unabhängig von der Anklageerhebung vor. Denn unstreitig war der Kläger von einer der „Spycams“ in einem später von einer der betroffenen Mitarbeiterinnen bezogenen Hotelzimmer gefilmt worden, was darauf hindeutete, dass er die Kamera dort installiert hatte. Seine diesbezügliche Einlassung, er habe das Zimmer betreten, um die Toilette zu benutzen, war jedenfalls nicht so plausibel, dass die Einlassung bereits der Annahme eines Mindestbestandes an Beweistatsachen entgegenstand. Da die Einlassung nicht auf nahe liegende Fragen einging (Warum hat der in Eile befindliche Kläger keine für alle Hotelgäste zugängliche Toilette - etwa in der Nähe des Tagungsraums - benutzt? Warum hat er, obwohl er das Zimmer als von ihm bezogen angesehen haben will, beim Verlassen des Zimmers die Tür nicht abgeschlossen? Warum hat er das Zimmer so verlassen, dass die betroffene Mitarbeiterin es als noch nicht bezogen angesehen hat? Warum hat er die bereits im Auto ergriffenen Unterlagen und die Powerbar erst im Zimmer in die mitgeführte Tasche gepackt?), durfte die Beklagte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts davon ausgehen, dass die Richtigkeit der Einlassung widerlegt werden könnte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger unmittelbar nach der Entdeckung der ersten „Spycam“ das Gerät gegen den Willen der betroffenen Mitarbeiterin an sich genommen, es als normales Ladegerät bezeichnet und sich einer Herausgabe widersetzt hatte.

(2) Der angegriffene Bericht ist ausgewogen, enthält keine Vorverurteilung des Klägers und erweckt nicht den Eindruck, er sei bereits überführt. Das macht der Kläger auch nicht geltend.

(3) Ferner ist unstreitig, dass die Beklagte vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme des Klägers eingeholt hat, aus der in dem Beitrag auch mehrfach zitiert wird.

(4) Schließlich handelte es sich entgegen der Ansicht des Landgerichts um einen Vorgang von solchem Gewicht, dass eine Mitteilung des Sachverhalts unter namentlicher Nennung des Klägers durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt war.

(a) Denn zwar schützt die Unschuldsvermutung den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist. Ein identifizierender Bericht über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist deshalb auch daraufhin zu überprüfen, ob er geeignet ist, den Beschuldigten an den Pranger zu stellen, ihn zu stigmatisieren oder ihm in sonstiger Weise Nachteile zuzufügen, die einem Schuldspruch oder einer Strafe gleichkommen. Oftmals kann im Hinblick auf die Unschuldsvermutung bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Wortberichterstattung überwiegen. Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn die besonderen Umstände der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat oder dessen herausgehobene Stellung ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit - auch über die Identität des Beschuldigten - begründen, hinter dem das Interesse des Beschuldigten am Schutz seiner Persönlichkeit zurückzutreten hat (BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 41 - Staranwalt).

Im Streitfall ist die Unschuldsvermutung bei der Abwägung unabhängig davon zu berücksichtigen, ob das dem Kläger vorgeworfene Verhalten tatsächlich als Straftat zu werten ist. Maßgeblich ist nur, dass die Staatsanwaltschaft das Verhalten als strafbar angesehen hat, der Kläger deshalb strafrechtlich verfolgt worden ist und die Beklagte - ohne rechtliche Fragen zu thematisieren - über das Strafverfahren berichtet hat.

(b) Gemessen an diesen Grundsätzen war eine Mitteilung des Sachverhalts unter namentlicher Nennung des Klägers durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit aber noch gerechtfertigt. Das Informationsinteresse rührt vor allem aus dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität von Führungskräften öffentlicher Unternehmen (vgl. BGH, Urteile vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 43 - Staranwalt; vom 18. November 2014 - VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 Rn. 24 - Chefjustiziar).

Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Kläger jedenfalls bis zum Erscheinen der angegriffenen Berichte einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt war. Dass in Fachmedien - ohne Mitteilung der Kündigungsgründe - unter Namensnennung über seine Entlassung berichtet worden war, ändert daran nichts. Auch war der zwar nicht in der Überschrift, wohl aber im weiteren Text mit vollem Namen genannte Kläger wegen der Berichterstattung in dem auflagenstarken Nachrichtenmagazin der Beklagten und in ihrem Internetauftritt schon vor einer Verurteilung der Gefahr erheblicher sozialer Missachtung ausgesetzt. Es stand ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre ihm beruflich unterstellter Personen und ein offenbar zumindest beabsichtigter Eingriff auch in die Intimsphäre in Rede. Denn der Kläger soll anlässlich einer dienstlichen Veranstaltung Mitarbeiterinnen des von ihm geführten Unternehmens in deren Hotelzimmern heimlich gefilmt haben.

Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Kläger eine leitende Stellung beim C hatte, einer großen und beitragsfinanzierten öffentlichen Rundfunkanstalt. Als Geschäftsführer einer Enkelgesellschaft hatte er Personalverantwortung für nach seinem eigenen Vortrag etwa 250 Mitarbeiter. Der gegen den Kläger erhobene, seine Sozialsphäre betreffende Vorwurf, heimlich ihm unterstellte Mitarbeiterinnen in zumindest privaten, wenn nicht intimen Situationen gefilmt zu haben, stand, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, mit dieser herausgehobenen Funktion in einem öffentlichen Unternehmen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Angesichts des dadurch begründeten besonderen Informationsinteresses überwogen die durch die Unschuldsvermutung konkretisierten Interessen des Klägers das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung jedenfalls nach der Anklageerhebung nicht mehr.

Die Berufung macht zu Recht geltend, dass es für diese Beurteilung entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass das dem Kläger vorgeworfene Verhalten - sollte es überhaupt strafbar sein - nach § 201a Abs. 1 StGB nur mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Denn das Informationsinteresse folgt - wie ausgeführt - nicht aus der Schwere einer möglicherweise vorliegenden Straftat, sondern aus der Stellung des Klägers und den Besonderheiten des ihm vorgeworfenen - unzweifelhaft rechtswidrigen - Verhaltens. Strafrechtliche Fragen werden in dem Bericht auch nicht angesprochen. Die von der Berufungserwiderung angeführte Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO ist für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung ohnehin ohne Bedeutung, weil sie eine gänzlich andere Fragestellung regelt.

2. Ferner hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch darauf, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe im Badezimmer eines Hotelzimmers einer Mitarbeiterin eine Kamera entfernt. Eine solche Aussage lässt sich dem angegriffenen Bericht schon nicht entnehmen.

In dem Bericht werden lediglich Äußerungen einer „dritte[n] betroffene[n] Kollegin“ wiedergegeben. Danach hat diese Kollegin, nachdem der Kläger und zwei weitere Mitarbeiterinnen ihr erzählt hatten, es seien kleine schwarze Kameras gefunden worden, gesagt, dass sie im Badezimmer „so etwas“ gesehen habe. Der Kläger und eine der weiteren Mitarbeiterinnen seien daraufhin in das Badezimmer „gestürmt“. Als sie herausgekommen seien, habe die Kollegin gemeint, „da sei nichts gewesen.“

Aus diesen Äußerungen kann ein unbefangener Durchschnittsleser zwar den möglichen Schluss ziehen, der Kläger habe auch im Zimmer der dritten Mitarbeiterin eine Kamera installiert und habe diese, um seine Tat zu verdecken, bei der Durchsuchung des Badezimmers wieder entfernt. Unabweisbar nahe gelegt wird dem Leser eine solche Schlussfolgerung aber nicht. Eine eigene Behauptung der Beklagten mit dem aus dem Klageantrag ersichtlichen Inhalt ist deshalb nicht anzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2005 - VI ZR 204/04, NJW 2006, 601 Rn. 17; Senat, Urteil vom 26. November 2020 - 15 U 39/20, GRUR-RS 2020, 38050 Rn. 20).

3. Hingegen hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe zu Kollegen gesagt „Fickt ihr die mal alle, das ist nichts mehr für mich“, im Ergebnis zu Recht bejaht. Es fehlt insoweit jedenfalls an einem Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprachen. Der Kläger hat in seiner von der Beklagten eingeholten Stellungnahme - wie auch im vorliegenden Rechtsstreit - bestritten, sich in der berichteten Weise geäußert zu haben. Angesichts dieser Einlassung durfte die Beklagte sich nicht allein und ausschließlich auf die Angaben einer der von den Filmaufnahmen betroffenen Mitarbeiterinnen verlassen, wonach ein Kollege ihr mitgeteilt habe, der Kläger habe die Äußerung getätigt. Es handelte sich bei dieser Mitarbeiterin lediglich um eine Zeugin vom Hörensagen, die im Übrigen schon wegen des Vorwurfs des heimlichen Filmens dem Kläger gegenüber negativ eingestellt war, deswegen bereits Klage beim Arbeitsgericht erhoben hatte und möglicherweise erhebliche Eigeninteressen verfolgte, was bei der Bewertung der Überzeugungskraft ihrer Bekundungen auch im Rahmen des Mindestbestandes an Beweistatsachen kritisch zu würdigen ist (Senat, Urteil vom 12. November 2020 - 15 U 112/20, BeckRS 2020, 37979 Rn. 39 mwN). Die Beklagte hätte deshalb vor der Verdachtsberichterstattung zumindest den Kollegen, gegenüber dem der Kläger sich geäußert haben soll, selbst befragen müssen. Dass ihr dies nicht möglich oder nicht zumutbar war, ist nicht ersichtlich; auch bei der Erörterung der Frage im Termin wurde dazu nichts geltend gemacht.

4. Schließlich hat der Kläger gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Unterlassung der ihn identifizierenden Bildberichterstattung.

a) Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen, das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben als auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Die - wie vorliegend - nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung seines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild dem Bereich der Zeitgeschichte oder einem der weiteren Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits vorzunehmen (zuletzt etwa BGH, Urteile vom 9. April 2019 - VI ZR 533/16, AfP 2019, 333 Rn. 7 und vom 6. Februar 2018 - VI ZR 76/17, NJW 2018, 1820 Rn. 10 mwN).

Bei einer strafverfahrensbegleitenden Bildberichterstattung hat in der Abwägung der widerstreitenden Interessen bereits bei der Prüfung, ob ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorliegt die Unschuldsvermutung Berücksichtigung zu finden. Sie gebietet eine entsprechende Zurückhaltung und die Berücksichtigung einer möglichen Prangerwirkung. Danach wird oftmals bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Bildberichterstattung überwiegen. Eine individualisierende Bildberichterstattung über den Beschuldigten eines Strafverfahrens scheidet aber nicht in jedem Fall aus. Vielmehr können es die jeweiligen Umstände rechtfertigen, dass sich der Betreffende nicht beziehungsweise nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann. Dies gilt etwa dann, wenn er kraft seines Amtes oder wegen seiner gesellschaftlich hervorgehobenen Verantwortung beziehungsweise Prominenz in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 46 mwN).

b) Gemessen daran handelt es sich bei der im Streitfall zu beurteilenden Abbildung nicht um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Denn nach den Ausführungen unter 1 b bb stand der Kläger gerade nicht im Blickfeld der Öffentlichkeit.

Zwar überwogen seine durch die Unschuldsvermutung konkretisierten Interessen das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Wortberichterstattung jedenfalls nach der Anklageerhebung nicht mehr. Für die angegriffene Veröffentlichung eines Bildes, deren Zulässigkeit nicht nach denselben Maßstäben wie die Zulässigkeit der Wortberichterstattung zu beurteilen ist (vgl. BGH, Urteil vom 29. Mai 2018 - VI ZR 56/17, NJW-RR 2018, 1063 Rn. 28), fehlt es aber an einer Rechtfertigung.

Auch wenn es sich um eine kontextneutrale Aufnahme handelt, die für sich gesehen keinen besonderen Verletzungsgehalt hat, wird die ohnehin bestehende Gefahr erheblicher sozialer Missachtung durch die Bebilderung der Verdachtsberichterstattung mit einem Foto des Klägers noch weiter verstärkt. Während der Leser den Namen des Klägers erst bei einem aufmerksamen Durchlesen des Berichts erfährt, kann er auf das Bild schon bei einem flüchtigen Durchblättern des Magazins aufmerksam werden; entsprechendes gilt für die Internetveröffentlichung. Die Veröffentlichung des Bildes des in der Öffentlichkeit unbekannten Klägers in dem auflagenstarken Nachrichtenmagazin der Beklagten und ihrem Internetauftritt ist deshalb noch deutlich weitgehender als eine reine Namensnennung geeignet, eine besondere öffentliche Aufmerksamkeit hinsichtlich seiner Person zu erregen und damit auch eine gewisse Prangerwirkung zu erzeugen (vgl. Senat, Urteil vom 21. Februar 2019 - 15 U 132/18, juris Rn. 29). Dies ist unter Berücksichtigung der oben (1 b bb) erörterten Abwägungskriterien mit der wegen der Unschuldsvermutung gebotenen Zurückhaltung nicht mehr zu vereinbaren.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: