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Volltext LG München liegt vor: Mittelbare Patentverletzung von Blackberry-Patent durch Facebook, WhatsApp und Instagram - Benutzerschnittstelle für Nachrichtendienstanwendungen

LG München
Urteil vom 05.12.2019
7 O 5314/18
Benutzerschnittstelle für Nachrichtendienstanwendungen


Das LG München hat entschieden, dass eine mittelbare Patentverletzung eines Blackberry-Patent durch die Apps von Facebook, WhatsApp und Instagram vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Klage ist auch begründet.
I. Das Klagepatent betrifft eine Benutzerschnittstelle für Nachrichtendienstanwendungen, insbesondere ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Umschalten zwischen mehreren Nachrichtensitzungen. Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 ist das Verfahren und gemäß Patentanspruch 11 die entsprechende elektronische Vorrichtung.

1. Der Gegenstand des Klagepatents betrifft die Umschaltmöglichkeit zwischen mehreren Nachrichtensitzungen. Die rechts eingebildete Abbildung 11 zeigt ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung:
[...]
Die patentgemäße Benutzerschnittstelle umfasst zwei Teile. In einem ersten Teil wird eine erste Kommunikation geführt (hier zwischen Mike und John). In einem zweiten Teil werden eingehende Nachrichten aus einer zweiten Kommunikation angezeigt (hier „Rob says…“). Diese Nachrichten enthalten einen Kontaktteil und einen Aktivitätsteil. Der Kontaktteil (in Figur 11 „Rob“) dient der Identifizierung des Absenders, der Aktivitätsteil (in Figur 11 „says…“) dient der Identifizierung der Aktivität des Absenders. Anspruchsgemäß ist vorausgesetzt, dass der Aktivitätsteil einen Teil der Nachricht umfasst. Der zweite Teil stellt die Möglichkeit bereit, auf entsprechende Nutzereingabe hin zu der zweiten Kommunikation zu wechseln. Erfindungsgemäß soll der Nutzer in einer ersten Konversation mithin in dem zweiten Teil über eine eingehende Nachricht aus einer zweiten Konversation informiert werden, und die Möglichkeit erhalten, in diese zweite Konversation zu wechseln.
[...]
Die angegriffene Ausführungsform verletzt das Klagepatent, weil eine mittelbare Patentverletzung nach § 10 Abs. 1 PatG vorliegt.

1. Eine angegriffene Ausführungsform ist z. B. die Anwendung „GI“.

2. Die Voraussetzungen der mittelbaren Patentverletzung sind gemäß § 10 Abs. 1 PatG erfüllt. Der Gefährdungstatbestand nach § 10 PatG wird objektiv und subjektiv verwirklicht.

a) Mittel ist die angegriffene Ausführungsform (Anwendung „GI “) als Software, weil sie ein Gegenstand ist, der selbst noch nicht die Lehre des Patentanspruchs (wortsinngemäß oder äquivalent) verwirklicht, aber geeignet ist, zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung (in wortsinngemäßer oder äquivalenter Form) verwendet zu werden. Mittel können auch nicht körperliche Gegenstände sein, eine Beschränkung auf körperliche Gegenstände ist nicht gerechtfertigt.

b) Dieses Mittel bezieht sich auf ein wesentliches Element der Erfindung. Die Anwendung „GI “ steuert eine ihn nutzende elektronische Vorrichtung, und lässt sie den beanspruchten Gegenstand ausführen. Da die in den geltend gemachten Ansprüchen enthaltenen Merkmale maßgeblich durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht werden, trägt die angegriffene Ausführungsform damit zum erfindungsgemäßen Leistungsergebnis maßgeblich bei.

c) Die angegriffene Ausführungsform „GI “ ist objektiv zur unmittelbaren Patentbenutzung geeignet. Wird die angegriffene Ausführungsform von dritter Seite bestimmungsgemäß auf einem elektronischen Gerät genutzt, sind die Voraussetzungen zur Anwendung des Verfahrens nach Anspruch 1 und der geschützten Vorrichtung nach Anspruch 11 hergestellt. Das angegriffene Mittel ist geeignet, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Nach der objektiven Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform und seiner Einbindung in iOS ist dies der Fall, weil eine unmittelbare wortsinngemäße Benutzung der geschützten Lehre mit allen ihren Merkmalen durch die Nutzer möglich ist. Diese Benutzung durch die Nutzer ist auch unstreitig bereits erfolgt.

Patentanspruch 1 wird durch die Nutzer wortsinngemäß benutzt. Auch hinsichtlich der streitigen Merkmale 1.3/11.3.3, 1.2.1.2/11.3.2.1.2, 11.2.1/11.3.1.2.1 verwirklicht die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent. Die Benutzung der übrigen Merkmale der geltend gemachten Patentansprüche 1 und 11 sind zu Recht unstreitig.

aa) Soweit dies mit Blick auf Merkmal 1.3/ 11.3.3 streitig ist, ist das Merkmal gleichwohl verwirklicht.

Unstreitig löst der Nutzer das Umschalten zu einer parallelen Chat-Session aus, indem er unmittelbar und in einem einschrittigen Prozess das Benachrichtigungsbanner anklickt oder -tippt. Nach der oben dargelegten Auslegung ist dieser einschrittige Wechselprozess, ausgelöst durch eine Nutzereingabe, zur Verwirklichung des Merkmals ausreichend.

bb) Auch Merkmal 1.2.1.2/ 11.3.2.1.2 ist verwirklicht. Soweit - für sich gesehen unstreitig - die bei Eingehen einer Nachricht aus der zweiten Nachrichtensitzung eingehende Mitteilung nicht explizit eine Aktivität angibt, insbesondere kein Verb zur Aktivitätsidentifzierung verwendet, ist dies nach oben dargelegter Auslegung entbehrlich. Ein Teil der eingehenden Nachricht wird angezeigt, was zur Verwirklichung bereits ausreicht.

cc) Schließlich ist auch Merkmal 1.1.2.1 (nach klägerischer Diktion 1.4) erfüllt. Auch wenn unstreitig das Mitteilungsbanner nach 5 Sekunden wieder ausgeblendet wird, unabhängig davon, ob die neue Nachricht bereits gelesen wurde, und der freiwerdende Platz hauptsächlich dem Informationsbalken zugutekommt, ist dies nach obiger Lesart für die Verwirklichung ausreichend. Im Übrigen hat die Beklagtenseite nicht bestritten, dass der freiwerdende Platz in irgendeiner Form dem ersten Teil zugutekommt, wie die Klägerin unterstreicht.

d) Das Angebot oder die Lieferung im Inland zur Benutzung der Erfindung im Inland ist erfolgt.

Das Programm „GI “ wird im Inland zur Benutzung im Inland unstreitig angeboten, indem zum Beispiel im App-Store von Apple die Anwendung „GI “ zum Herunterladen und zur Installation auf iOS-Geräten angeboten wird.

aa) Dass die Beklagte zu 1) als Entität, in deren Eigentum bzw. Kontrolle die Anwendung steht, hierfür verantwortlich ist, ist unstreitig.

bb) Auch die Beklagte zu 3) ist hierfür mit verantwortlich. Denn beide Gesellschaften handeln als Mittäter und die Beklagte zu 3) muss sich das Handeln ihrer Mittäterin zurechnen lassen.

(A) Mittäterschaft besteht, weil ein arbeitsteiliges Vorgehen aufgrund eines gemeinsamen Tatplans (nämlich: die Anwendung „GI “ auch in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreiben) vorliegt.

(B) Die Beklagte zu 1) als Tochtergesellschaft der Beklagten zu 3) ist eine weisungsgebundene Gesellschaft und wird von der Mutter, der hiesigen Beklagten zu 3), kontrolliert und beherrscht. Hierin liegt ihr Tatbeitrag.

Dass die Beklagte zu 1) weisungsgebunden gegenüber der Beklagten zu 3) ist, bestreitet die Beklagtenseite nicht hinreichend substantiiert. Sie zieht sich allgemein darauf zurück, dass die Klägerin ihrerseits nur pauschal vorgetragen habe, wenn sie unter anderem Strategieaussagen aus einem Jahresbericht vorlegt, der bei der US-Börsenaufsichtsbehörde eingereicht worden ist. Aus diesem ergibt sich unstreitig, dass die Beklagte zu 3) die angegriffene Anwendung „GI “ als „ihr Produkt“ bezeichnet und Einnahmen hieraus als „ihre Einnahmen“ bewertet. In diesem Sinne liest sich auch der Vortrag der Beklagtenseite im Rahmen des Vollstreckungsschutzantrags, wonach der Konzern der Beklagtenseite durch die Vollstreckung eines Unterlassungstitels wirtschaftlich belastet würde. Die Beklagtenseite trifft eine sekundäre Darlegungslast, weil die Klägerin alle ihr zur Verfügung stehenden - öffentlich verfügbaren - Erkenntnismöglichkeiten über die rechtliche und tatsächliche Einbindung der Beklagten zu 3) in die Handlungen der Beklagten zu 1) sowie über eine entsprechende Weisungsgebundenheit dieser Gesellschaft gegenüber der Beklagten zu 3) ausgeschöpft hat. Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die von der Klägerin vorgelegten Informationen nicht ausdrücklich die Bundesrepublik Deutschland betreffen. Im Rahmen dieser sekundären Darlegungslast wären nach Überzeugung der Kammer der Beklagtenseite nähere Angaben zu den genannten Umständen ohne weiteres möglich und auch zumutbar gewesen.
[...]
e) Auch der subjektive Tatbestand ist (unstreitig) gegeben.

Die subjektive Bestimmung des Abnehmers zur unmittelbaren patentverletzenden Verwendung ist offensichtlich, weil die angegriffene Ausführungsform die patentverletzende Funktionalität vorsieht und davon auszugehen ist, dass sie entsprechend ausgeführt wird, auch weil sie entsprechend beworben wird. Die objektive Eignung und die Verwendungsbestimmung der Abnehmer sind für die Beklagtenseite offensichtlich. Die „GI “-Anwendung ist von der Beklagtenseite auf die patentgemäße Benutzung zugeschnitten und wird hierfür explizit angeboten.

III. Die Beklagten sind passivlegitimiert (s.o.).

IV. Wegen der Patentverletzung hat die Klägerin die folgenden Ansprüche:

1. Der Anspruch auf Unterlassung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG. Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform besteht Wiederholungsgefahr mit Blick auf die Tathandlungen „anbieten“ und „liefern“. Denn die Wiederholungsgefahr wird durch die festgestellten rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert.

Ein Schlechthinverbot ist gerechtfertigt. Die angegriffene Ausführungsform kann technisch und wirtschaftlich sinnvoll nur in patentverletzender Weise verwendet werden. Die Anwendung „GI “ ohne die patentverletzende Verwirklichung der Anspruchsmerkmale zu verwenden, scheidet aus.

2. Der Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB.

Die Beklagten sind auch verpflichtet, über die Nutzungshandlungen der Beklagten zu 1) Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen. Es ist davon auszugehen, dass auch die Beklagte zu 3) die Möglichkeit hat, über Nutzungshandlungen der Beklagten zu 1) Auskunft zu erteilen. Die (insoweit darlegungs- und beweisbelastete) Beklagte zu 3) hat jedenfalls nicht dargetan, dass ihr eine solche Auskunft unmöglich ist, § 275 BGB. Sie hat auch die mittels des Jahresberichtes K-B-4 substantiierte Behauptung der Klägerin, die Beklagte zu 3) kontrolliere die Beklagte zu 1), nicht substantiiert bestritten (s.o.).

3. Der Schadensersatzanspruch folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.

Die Gesamtschuldnerstellung der Beklagten folgt aus § 840 Abs. 1 BGB.
C. Eine Aussetzung mit Blick auf die von der Beklagtenseite erhobene Nichtigkeitsklage nach § 148 ZPO ist nicht veranlasst."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: