EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 20.09.2022
Facebook Inc., Facebook Ireland Ltd, Facebook Deutschland GmbH ./. Bundeskartellamt C-252/21
Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass das Bundeskartellamt DSGVO-Verstöße durch Geschäftspraktiken im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereichs verfolgen und ahnden darf (hier: Facebook / Meta). Dabei müssen allerdings Entscheidungen der datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden beachtet werden.
Die Pressemitteilung des EuGH:
Generalanwalt Rantos ist der Auffassung, dass eine Wettbewerbsbehörde in Ausübung ihrer Zuständigkeiten die Vereinbarkeit einer Geschäftspraxis mit der Datenschutzgrundverordnung prüfen kann
Sie muss jedoch jede Entscheidung oder Untersuchung der nach dieser Verordnung zuständigen Aufsichtsbehörde berücksichtigen.
Meta Platforms ist der Eigentümer des sozialen Online-Netzwerks „Facebook“. Die Nutzer dieses sozialen Netzwerks müssen die Nutzungsbedingungen von Facebook akzeptieren, die auf die Praxis der Nutzung dieser Daten und von Cookies durch Meta Platforms verweisen. Mit den Cookies erfasst Meta Platforms Daten, die aus anderen Diensten des Konzerns Meta Platforms wie Instagram oder WhatsApp stammen sowie aus Websites und Apps Dritter über in diese eingebundene Schnittstellen oder über auf dem Computer oder mobilen Endgerät des Nutzers gespeicherte Cookies. Diese Daten verknüpft Meta Platforms mit dem Facebook-Konto des betreffenden Nutzers und verwertet sie u. a. zu Werbezwecken.
Das deutsche Bundeskartellamt untersagte Meta Platforms die in den Nutzungsbedingungen von Facebook vorgesehene Datenverarbeitung sowie die Durchführung dieser Nutzungsbedingungen und erlegte dem Unternehmen Maßnahmen zur Abstellung dieses Verhaltens auf. Das Bundeskartellamt war der Auffassung, dass die in Rede stehende Verarbeitung eine missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung von Meta Platforms auf dem Markt für soziale Netzwerke für private Nutzer in Deutschland darstelle. Meta Platforms legte gegen den Beschluss des Bundeskartellamts Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein. Dieses fragt den Gerichtshof, ob die nationalen Wettbewerbsbehörden befugt sind, die Vereinbarkeit einer Datenverarbeitung mit der DSGVO zu prüfen. Außerdem stellt das Oberlandesgericht dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung und Anwendung bestimmter Vorschriften der DSGVO.
In seinen Schlussanträgen vom heutigen Tag vertritt Generalanwalt Athanasios Rantos erstens die Auffassung, dass eine Wettbewerbsbehörde zwar nicht befugt ist, einen Verstoß gegen die DSGVO festzustellen, sie jedoch in Ausübung ihrer eigenen Zuständigkeiten berücksichtigen kann, ob eine Geschäftspraxis mit der DSGVO vereinbar ist. Insoweit unterstreicht der Generalanwalt, dass die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit einer Praxis mit der DSGVO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein wichtiges Indiz für die Feststellung sein kann, ob diese Praxis einen Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften darstellt.
Der Generalanwalt stellt jedoch klar, dass eine Wettbewerbsbehörde die Einhaltung der DSGVO nur inzident prüfen kann und dies die Anwendung dieser Verordnung durch die nach der Verordnung zuständige Aufsichtsbehörde nicht präjudiziert. Folglich muss die Wettbewerbsbehörde alle Entscheidungen oder Untersuchungen der zuständigen Aufsichtsbehörde berücksichtigen, diese über jedes sachdienliche Detail informieren und sich gegebenenfalls mit ihr abstimmen.
Zweitens ist der Generalanwalt der Ansicht, dass der bloße Umstand, dass ein Unternehmen, das ein soziales Netzwerk betreibt, auf dem nationalen Markt für soziale Netzwerke für private Nutzer eine beherrschende Stellung innehat, der Einwilligung des Nutzers dieses Netzwerks in die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten nicht ihre Wirksamkeit nehmen kann. Ein solcher Umstand spielt jedoch eine Rolle bei der Beurteilung der Freiwilligkeit der Einwilligung, die der für die Verarbeitung Verantwortliche nachzuweisen hat.
Drittens ist der Generalanwalt der Ansicht, dass die streitige Praxis von Meta Platforms oder bestimmte Tätigkeiten, aus denen sie sich zusammensetzt, unter in der DSGVO vorgesehene Ausnahmen fallen können, sofern die betreffenden Tätigkeiten dieser Praxis für die Erbringung der Dienstleistungen in Bezug auf das Facebook-Konto objektiv erforderlich sind. Auch wenn die Personalisierung der Inhalte sowie die durchgängige und nahtlose Nutzung der Dienste des Konzerns Meta Platforms, die Netzwerksicherheit und die Produktverbesserung im Interesse des Nutzers oder des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen erfolgen können, erscheinen diese Tätigkeiten allerdings nach Auffassung des Generalanwalts nicht für die Erbringung der genannten Dienstleistungen erforderlich.
Viertens stellt der Generalanwalt fest, dass das Verbot der Verarbeitung sensibler personenbezogener Daten, die beispielsweise die rassische oder ethnische Herkunft, die Gesundheit oder die sexuelle Orientierung der betroffenen Person betreffen, auch die Verarbeitung der streitigen Daten umfassen kann. Dies ist dann der Fall, wenn die verarbeiteten Informationen, einzeln oder aggregiert betrachtet, die Erstellung eines Profils des Nutzers im Hinblick auf die in der DSGVO genannten sensiblen Merkmale ermöglichen.
In diesem Zusammenhang weist der Generalanwalt darauf hin, dass der Nutzer sich voll bewusst sein muss, dass er durch eine ausdrückliche Handlung personenbezogene Daten öffentlich macht, damit die Ausnahme von diesem Verbot, die beinhaltet, dass die betroffene Person die Daten offensichtlich öffentlich gemacht hat, greifen kann. Nach Ansicht des Generalanwalts kann ein Verhalten, das im Aufruf von Websites und Apps, der Eingabe von Daten in diese Websites und Apps sowie in der Betätigung von in diese eingebundenen Schaltflächen besteht, grundsätzlich nicht einem Verhalten gleichgestellt werden, das die sensiblen personenbezogenen Daten des Nutzers offensichtlich öffentlich macht.
Das Bundeskartellamt hate einen Diskussionsbericht für den Bereich der nicht-suchgebundenen Online-Werbung im Rahmen der entsprechenden Sektorenuntersuchung veröffentlicht.
Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes: Bundeskartellamt veröffentlicht Diskussionsbericht zum Bereich der nicht-suchgebundenen Online-Werbung
Im Rahmen seiner Sektoruntersuchung zum Bereich der nicht-suchgebundenen Online-Werbung hat das Bundeskartellamt heute einen Diskussionsbericht veröffentlicht.
Online-Werbung ist kein einheitliches Produkt. In der kartellrechtlichen Praxis der letzten Jahre hat sich gezeigt, dass sich in den verschiedenen Teilbereichen jeweils unterschiedliche wettbewerbliche Fragen stellen. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf die Marktverhältnisse und Funktionsmechanismen im Bereich der nicht-suchgebundenen Online-Werbung und hier vor allem auf die verschiedenen, im Hintergrund wirkenden technischen Dienste (sog. AdTech). Nicht Gegenstand der Untersuchung ist hingegen Werbung, die in Reaktion auf eine Anfrage an eine Suchmaschine erscheint (suchgebundene Werbung), da sich hier andere wettbewerbliche Fragen rund um die große Marktbedeutung der Google-Suchmaschine stellen.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Online-Werbung hat über die letzten 25 Jahre einen beeindruckenden Aufstieg erlebt – aus dem Nichts zu einer Milliardenindustrie. In allen Bereichen der Online-Werbung stellen sich vor allem aufgrund der herausragenden Bedeutung der großen Internetplattformen wichtige wettbewerbliche Fragen. Neben der suchgebundenen Online-Werbung und den eigenen Werbeflächenangeboten von beispielsweise Meta oder Google, hat die sonstige nicht-suchgebundene Online-Werbung ebenfalls eine immense wirtschaftliche Bedeutung. Es ist nicht zuletzt diese Werbung, die eine Vielzahl von Medienangeboten und Dienstleistungen jenseits der Angebote der großen Digitalkonzerne mitfinanziert. Dahinter steckt ein hochkomplexes, für viele recht intransparentes System des automatisierten Handels mit Online-Werbeplätzen. Mit unserer Untersuchung wollen wir mehr Licht in diese Black-Box bringen. Google hat auch in diesem technischen Teilbereich der Online-Werbung auf nahezu allen Stufen der Wertschöpfungskette eine starke Marktposition. Es stellen sich nicht zuletzt deshalb zahlreiche wettbewerbliche Fragen.“
Nach aktuellem Stand der Schätzungen hat der gesamte Bereich der Online-Werbung in Deutschland ein Volumen von zehn bis elf Mrd. Euro erreicht. Davon entfallen vier bis fünf Mrd. Euro auf suchgebundene Online-Werbung. Umsätze in derselben Größenordnung entfallen auf sonstige Werbeflächen, wie Werbebanner aller Art und Video-Werbung, die nicht suchgebunden sind. Darüber hinaus werden mit Online-Kleinanzeigen und Rubrikenanzeigen – im weiteren Sinne auch eine Form von Online-Werbung – gut eine Mrd. Euro umgesetzt.
AdTech, gewissermaßen der „Maschinenraum“ der nicht-suchgebundenen Online-Werbung, ermöglicht den heutigen, hochgradig komplexen und stark automatisierten Handel mit den Werbeflächen und die daran anschließende, ebenso automatisierte Ausspielung und Messung der Werbung überhaupt erst. Im Zentrum steht hierbei ein Geflecht verschiedener Käufer- und Verkäufer-seitiger Dienste, die sich rund um virtuelle Marktplätze für Werbeflächen (AdExchanges) gruppieren. Dieses wird insgesamt auch als Programmatic Advertising (PA) bezeichnet. Daneben existieren verschiedene integrierte Systeme, die vor allem auch von großen Werbeflächen-Anbietern dafür verwendet werden, die Vermarktung ihrer Werbeplätze ein-schließlich aller dafür notwendigen technischen Leistungen selbst vorzunehmen. Sie werden teilweise jedoch auch Dritten für die Vermarktung ihrer Werbeflächen an-geboten und weisen Berührungspunkte zum System des PA auf.
Im Rahmen der Untersuchung hat sich die Annahme bestätigt, dass einzelne Marktteilnehmer – und hier insbesondere Google – erheblichen Einfluss auf das Gesamtsystem des PA haben. Google ist auf nahezu allen Stufen der Wertschöpfungskette und bei praktisch allen relevanten Dienstleistungen vertreten und hat dabei in den meisten Fällen eine sehr starke Marktposition inne. Das Unternehmen kontrolliert wichtige Teile der nutzerseitigen Software-Infrastruktur wie den Browser Chrome und das mobile Betriebssystem Android, die letztlich darüber mitbestimmen, welche technischen Möglichkeiten für die Realisierung nicht- suchgebundener Online-Werbung zur Verfügung stehen. Im Zusammenspiel mit dem Befund, dass die Funktionsweise des Systems im Detail von außen nur schwer nachvollziehbar ist, kommt Google damit eine erhebliche Regelsetzungsmacht zu.
Die mangelnde Transparenz des Systems spielt in mehrfacher Hinsicht eine Rolle. Das gilt sowohl für die Publisher, die Werbeplätze über das System vermarkten, als auch für Werbetreibende, die Werbeplätze einkaufen. Dies gilt darüber hinaus aber auch für viele kleinere Anbieter einzelner technischer Dienstleistungen innerhalb des PA. Das System wird von vielen Marktteilnehmern als „Black Box“ bezeichnet, in der viele Parameter, die für den Markterfolg relevant sind, unbekannt seien.
Auch die Nutzerinnen und Nutzer als Datensubjekte und Werbeadressaten sind überwiegend nicht in der Lage, den Umfang und die möglichen Konsequenzen der Datensammlung zu überblicken, die letztlich die derzeit wichtigste Grundlage für die nicht-suchgebundene Online-Werbung ist. Die aus den aktuellen Datenverarbeitungspraktiken resultierenden Gefahren haben dazu beigetragen, dass seit einigen Jahren verstärkt eine rechtspolitische Diskussion darüber geführt wird, die Datenerhebung und -verwendung für Werbezwecke einzuschränken. Der Bericht beleuchtet daher, welche Konsequenzen solche Maßnahmen aus wettbewerblicher Sicht haben können und wie mit diesen umgegangen werden könnte.
Andreas Mundt: „Das Kartellrecht setzt traditionell bei einzelnen Verhaltensweisen von Unternehmen an, um Wettbewerbsprobleme zu lösen. Mit dem § 19a GWB in Deutschland und dem DMA auf europäischer Ebene haben die Wettbewerbsbehörden neue vielversprechende Instrumente an die Hand bekommen, die wir gut nutzen sollten. Für den von uns untersuchten Bereich der Online-Werbung müssen wir künftig vielleicht auch über grundsätzlichere Ansätze nachdenken. Google hat aufgrund seiner herausragenden Position in Verbindung mit der technisch bedingten Undurch-schaubarkeit des Systems ungewöhnlich viel Spielraum, den Wettbewerbsprozess zu seinen Gunsten zu gestalten.“
Das Bundeskartellamt ermöglicht es Marktteilnehmern und interessierten Kreisen zum jetzt veröffentlichten Diskussionsbericht bis zum 28. Oktober 2022 Stellung zu nehmen.
Der Diskussionsbericht sowie eine Zusammenfassung des Diskussionsberichts sind auf der Website des Bundeskartellamtes abrufbar.
Den vollständigen Diskussionsbericht finden Sie hier:
OLG Frankfurt
Urteil vom 30.11.2021 11 U 172/19 (Kart)
Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass das Reglement für Spielervermittler (RfSV) des DFB teilweise kartellrechtswidrig und unwirksam ist.
Die Pressemitteilung des Gerichts:
Reglement für Spielervermittlung des Deutschen Fußball Bundes (DFB) teilweise für unwirksam erklärt
Der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) hat heute einige Regelungen des DFB - Reglements für Spielervermittler (RfSV) für unwirksam erklärt. Das Reglement ist als sportliches Regelwerk am Prüfungsmaßstab der sog. Meca-Medina-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu messen. Auf dieser Grundlage sind zwar die Registrierungspflicht, die Verpflichtung der Bekanntgabe von Vergütungen und Zahlungen und das Verbot der Honorarzahlung an Spielervermittler für die Vermittlung von Minderjährigen gerechtfertigt. Dagegen können die Verpflichtung der Spielervermittler, sich allen Regelungen der FIFA und des DFB zu unterwerfen und das Verbot der prozentualen Beteiligung des Spielervermittlers an einem Weitertransfer bei bestimmten Vertragskonstellationen aus kartellrechtlicher Sicht nicht gebilligt werden.
Die Kläger sind im Bereich der Vermittlung von Profi-Fußballern tätig. Sie wenden sich gegen verschiedene Regelungen des vom beklagten DFB herausgegebenen Reglements für Spielervermittlung (RfSV). Das RfSV richtet sich an die Vereine und Spieler, die sich gegenüber dem Beklagten verpflichten müssen, diese Regeln einzuhalten. Streitgegenständlich sind u.a. Regelungen zur Registrierungs- und Offenlegungspflicht für Vermittler, zur Beschränkung von Honoraransprüchen der Vermittler im Fall des Weitertransfers und zum Verbot von Honoraransprüchen bei der Vermittlung Minderjähriger.
Das Landgericht hatte der Klage teilweise stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger hatte teilweise Erfolg; die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.
Das Oberlandesgericht hat zunächst ausgeführt, dass die streitigen Regelungen grundsätzlich am Maßstab des europäischen Wettbewerbsrechts zu prüfen seien. Da es sich um ein sportliches Regelwerk handele, seien die Grundsätze der sog. Meca-Medina-Entscheidung des EuGH anzuwenden (Urteil vom 18.7.2006 - C 519/04). Regelungen des RfSV, die einem legitimen Zweck im Zusammenhang mit der Organisation und dem Ablauf sportlicher Wettkämpfe dienten, führten nicht zu einem Kartellverstoß, wenn sie zur Erreichung dieses Zweckes geeignet, erforderlich und verhältnismäßig seien.
Anhand dieses Maßstabes sei es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte eine gewisse Kontrolle über die Aktivitäten von Spielervermittlern ausüben wolle und verlange, dass diese bereits im Zuge der erstmaligen Vermittlung namentlich registriert werden müssten, und dass die Vereine verpflichtet würden, die vereinbarten Vergütungen und Zahlungen gegenüber dem Beklagten offenzulegen. Auch das Verbot der Honorarzahlung an Spielervermittler im Fall der Vermittlung Minderjähriger sei nach diesen Maßstäben gerechtfertigt. Der Beklagte wolle die Minderjährigen als besonders vulnerable Gruppe vor einer nicht an sportlichen, sondern finanziellen Anreizen motivierten Einflussnahme auf ihre Spielerkarrieren schützen.
Dagegen sei es aus kartellrechtlicher Sicht nicht hinnehmbar, wenn der Verband den außenstehenden Spielervermittlern auferlege, alle Bestimmungen der FIFA und des Beklagten anerkennen und sich der Verbandsgerichtsbarkeit unterwerfen zu müssen. Der Umfang und Inhalt dieser zahlreichen Bestimmungen sei für die Spielervermittler nicht hinreichend bestimmbar. Eine Unterwerfung unter die Verbandsgerichtsbarkeit sei nicht erforderlich.
Kartellrechtswidrig seien teilweise auch die Regelungen der Beklagten und der Deutschen Fußball Liga (DFL) im Zusammenhang mit Honoraransprüchen beim Weitertransfer von Spielern. Der Beklagte verfolge grundsätzlich legitime Ziele, soweit er die Transferautomomie der Vereine sicherstellen und sie vor einer an rein finanziellen Interessen ausgerichteten Einflussnahme der Spielervermittler beim Transfer sportlich attraktiver Spieler schützen wolle. Die zudem bezweckte Vertragsstabilität bewirke Konstanz der Kader und fördere die Qualität der Mannschaften. Es liege daher im gerechtfertigten Verbandsinteresse, zu verhindern, dass sich Spielervermittler bereits bei der Hinvermittlung eines Spielers zu einem Verein für den Fall eines - auch ohne seine Beteiligung erfolgenden - Weitertransfers eine Beteiligung am Transfererlös versprechen
lassen dürften. Der Beklagte habe andererseits nicht überzeugend darlegen können, warum Spielervermittler bei einem Weitertransfer, der im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zu einer Hinvermittlung stehe, keine prozentuale Beteiligung an der Transfersumme erhalten dürften, obwohl eine pauschale Vergütung ausdrücklich zugelassen werde.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 30.11.2021, Az. 11 U 172/19 (Kart)
Das Bundeskartellamt hat Bußgelder gegen Hersteller und Händler von Musikinstrumenten in Höhe von ca. 21 Mio. EURO wegen unzulässiger vertikaler Preisbindung und horizontaler Preisabsprachenverhängt.
Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:
Bundeskartellamt verhängt Bußgelder gegen Hersteller und Händler von Musikinstrumenten
Das Bundeskartellamt hat Geldbußen gegen drei Hersteller und zwei Händler von Musikinstrumenten sowie gegen verantwortlich handelnde Mitarbeiter in Höhe von insgesamt rd. 21 Mio. Euro verhängt. Den Herstellern und Händlern wird vertikale Preisbindung vorgeworfen, den Händlern untereinander daneben horizontale Preisabsprachen in mehreren Fällen.
Bei den Herstellern (bzw. deren Vertriebsgesellschaften) handelt es sich um die Yamaha Music Europe GmbH, Rellingen, die Roland Germany GmbH, Rüsselsheim und die Fender Musical Instruments GmbH, Düsseldorf. Die Händler sind die Thomann GmbH, Burgebrach und die MUSIC STORE professional GmbH, Köln.
Eingeleitet wurde das Verfahren nach Hinweisen aus dem Markt mit einer Durchsuchung im April 2018.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Hersteller und Händler von Musikinstrumenten haben über Jahre hinweg systematisch darauf hingewirkt, den Preiswettbewerb gegenüber den Endverbrauchern einzuschränken. Die Hersteller haben zumindest die führenden Fachhändler Thomann und MUSIC Store dazu angehalten, festgesetzte Mindestverkaufspreise nicht zu unterschreiten, was diese in vielen Fällen auch taten. Darüber hinaus haben die Händler untereinander in Einzelfällen Absprachen über Preiserhöhungen einzelner Produkte getroffenen. Das Bundeskartellamt sendet mit den verhängten Bußgeldern nicht nur an die betroffenen Unternehmen, sondern auch an die gesamte Musikinstrumente-Branche das klare Signal, dass Verstöße gegen das Verbot der Preisbindung und von Preisabsprachen nicht toleriert werden.“
Zwischen Herstellern und Händlern bestand das Einvernehmen, die Mindestpreis-Vorgaben der Hersteller umzusetzen. Bei Unterschreiten der Mindestverkaufspreise kontaktierten die verantwortlich handelnden Mitarbeiter von Yamaha, Roland und Fender mehrfach Thomann und Music Store und forderten diese Händler auf, ihre Verkaufspreise anzupassen, was in vielen Fällen auch geschah. Yamaha und Roland setzten zur Überwachung der Endverbraucherpreise teilweise auch Price-Tracking-Software ein. In vereinzelten Fällen wurden Sanktionen wie Lieferstopp oder Konditionenkürzung angedroht bzw. verhängt. Für einen Teil der Produkte erfolgte hingegen keine oder nur eine sporadische Durchsetzung bzw. Überwachung der vorgegebenen Mindestpreise. Oft hielten sich die Händler nicht an die Vorgaben, indem diese nicht umgesetzt oder umgangen wurden, z.B. durch Bündelung mehrerer Produkte zu einem Gesamtpreis. Gleichwohl haben Thomann und Music Store durch Beschwerden bei Yamaha, Roland und Fender die Einhaltung von Mindestpreisen durch andere Musikinstrumentenfachhändler gefordert. Zum Teil erfolgte dies als Reaktion auf Beschwerden über zu niedrige eigene Preise.
Im Laufe des Verfahrens wegen vertikaler Preisbindung haben sich Hinweise auf horizontale Preisabsprachen zwischen den Musikinstrumentenfachhändlern Thomann und Music Store ergeben. Diese haben zwischen dem 21. Dezember 2014 und dem 27. April 2018 in dreizehn Fällen Absprachen über Preiserhöhungen für einzelne Musikinstrumente bzw. ergänzende Produkte getroffen.
Bei der Bußgeldfestsetzung wurde berücksichtigt, dass die Unternehmen Yamaha, Roland, Fender, Thomann und Music Store bei der Aufklärung der Absprachen mit dem Bundeskartellamt umfassend kooperiert haben (Music Store nur im Verfahren wegen vertikaler Preisbindung) und das Verfahren im Wege der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (sog. Settlement) abgeschlossen werden konnte. Die Bußgeldbescheide sind rechtskräftig.
Das Bundeskartellamt hat eine Bußgeld von rund 2 Millionen Euro egen kartellrechtswidriger vertikaler Preisbindung gegen einen Hersteller von Schulrucksäcken und Schultaschen verhängt.
Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:
Bundeskartellamt verhängt Bußgeld gegen das Kölner Unternehmen Fond Of GmbH
Das Bundeskartellamt hat gegen die Fond Of GmbH mit Sitz in Köln eine Geldbuße in Höhe von insgesamt rd. 2 Mio. Euro wegen vertikaler Preisbindung verhängt. Fond Of ist insbesondere im Bereich der Entwicklung und Herstellung von Schulrucksäcken und Schultaschen der Marken „ergobag“ und „Satch“ tätig. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, mit ihm kooperierende Händler beim Vertrieb von Schulranzen und Rucksäcken in ihrer Preissetzung eingeschränkt zu haben. Eingeleitet wurde das Verfahren im Zusammenhang mit einem Amtshilfeersuchen der österreichischen Wettbewerbsbehörde, die ebenfalls gegen das Unternehmen ermittelt hat und einer Durchsuchungsaktion im Januar 2019.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Das Unternehmen Fond Of hat über Jahre hinweg Mindestpreise für seine Schulrucksäcke und -taschen vorgegeben und dafür gesorgt, dass die beteiligten Händler diese Preise nicht unterschreiten. Fond Of hat die Preissetzung systematisch kontrolliert und die Einhaltung der Mindestpreise auch mit Sanktionen gegen die Händler durchgesetzt. Hersteller dürfen aus gutem Grund schon seit den 70er Jahren nur unverbindliche Preisempfehlungen machen. Vertikale Preisbindungen gehen häufig zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher und können dazu führen, dass diese im Ergebnis höhere Preise zahlen müssen. Gerade bei Schulrucksäcken und Schultaschen ist die Zahlungsbereitschaft der Eltern zum Schutz der Kinder relativ groß. Hier noch zusätzlich eine Preisbindung durchzusetzen, ist in keiner Weise akzeptabel.“
Das Unternehmen Fond Of und die beteiligten Händler waren sich darin einig, dass Fond Of-Produkte grundsätzlich zu dem Preis verkauft werden sollten, der von Fond Of als unverbindliche Preisempfehlung vorgegeben wurde. Darüber hinaus war der Online-Handel jedenfalls bis zum Jahr 2016 nur einigen wenigen Händlern vorbehalten. Die Einhaltung der Preise und der Vorgaben für den Online-Vertrieb wurde von der Fond Of GmbH als auch von den beteiligten Händlern seit der Frühphase ihrer jeweiligen Geschäftsbeziehungen (beginnend mit März 2010) bis August 2018 regelmäßig kontrolliert und angemahnt, zum Teil noch bis zum Zeitpunkt der Durchsuchung im Januar 2019. Bei Abweichungen intervenierte Fond Of und die angesprochenen Händler stellten das beanstandete Verhalten teilweise ab.
Bei der Bußgeldfestsetzung wurde berücksichtigt, dass das Unternehmen mit dem Bundeskartellamt umfassend kooperiert hat und das Verfahren im Wege der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (sog. Settlement) abgeschlossen werden konnte. Der Bußgeldbescheid ist rechtskräftig. Gegen die beteiligten Händler und gegen die für Fond Of handelnden Personen wurde das Verfahren eingestellt.
Ein Fallbericht mit den Inhalten nach § 53 Abs. 5 GWB wird in Kürze auf der Internetseite des Bundeskartellamts veröffentlicht.
Das Bundeskartellamt hat mitgeilt, dass die 50+1-Regel der Deutschen Fußball Liga (DFL) nach vorläufiger Einschätzung kartellrechtlich zulässig ist.
Die Pressemitteilung des Bundeskartelamtes:
Vorläufige Einschätzung des Bundeskartellamtes zur 50+1-Regel der DFL
Das Bundeskartellamt hat der Deutschen Fußball Liga (DFL) heute seine vorläufige kartellrechtliche Einschätzung zur sog. 50+1-Regel mitgeteilt. Nach Auffassung des Amtes kann die Grundregel aufgrund der damit verfolgten sportpolitischen Ziele kartellrechtlich unbedenklich sein. Für problematisch hält das Amt hingegen, dass die einheitliche Anwendung und Durchsetzung der Regel in ihrer jetzigen Fassung nicht sichergestellt ist.
Die 50+1-Regel wurde 1999 eingeführt, um einerseits den Vereinen der Bundesliga und der 2. Bundesliga neue Finanzierungsmöglichkeiten zu eröffnen aber andererseits den Einfluss von Investoren zu begrenzen und den vereinsgeprägten Charakter zu erhalten. Die in der Satzung der DFL festgelegte Regel besagt, dass bei einer Ausgliederung der Profi-Fußballabteilung in eine Kapitalgesellschaft, der Mutterverein grundsätzlich die Stimmrechtsmehrheit an dieser Gesellschaft halten muss (Grundregel). Das Präsidium der DFL kann von dieser Grundregel u.a. dann eine Ausnahme bewilligen, wenn ein Investor den Fußballsport des Muttervereins seit mehr als 20 Jahren ununterbrochen und erheblich gefördert hat (Förderausnahme).
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Das Kartellrecht steht den sportpolitischen Zielen, die mit der 50+1-Regel verfolgt werden, nicht im Wege. Die DFL muss aber eine einheitliche Anwendung und Durchsetzung für alle Vereine gewährleisten. Auch für den Profisport gelten aus guten Gründen die Regeln des Kartellrechts. Die wirtschaftlichen Aktivitäten von Verbänden und Vereinen unterliegen deutschem und europäischem Wettbewerbsrecht. Die Begrenzung der Liga-Teilnahme auf vereinsgeprägte Klubs ist unzweifelhaft eine Wettbewerbsbeschränkung. Allerdings können Beschränkungen des Wettbewerbs auch in bestimmten Fällen vom Kartellverbot ausgenommen sein. Mit der 50+1-Regel will die DFL für eine Vereinsprägung und eine gewisse Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs sorgen. Diese sportpolitischen Ziele können auch im Rahmen des Kartellrechts anerkannt werden. In ihrer Grundform erscheint die 50+1-Regel auch geeignet und angemessen. In der Kombination mit der derzeitigen Förderausnahme haben wir daran hingegen Zweifel. Ausnahmen von der Grundregel sind grundsätzlich möglich. Solche Ausnahmen müssen eindeutig ausgestaltet sein, und sie dürfen nicht dazu führen, dass die eigenen sportpolitischen Zielsetzungen, die die DFL mit der 50+1-Regel verfolgt, konterkariert werden.“
Die Bewertung der 50+1-Regel durch das Bundeskartellamt geht zurück auf eine entsprechende Initiative der DFL. Die von der DFL beantragte Entscheidung, dass für das Bundeskartellamt in dieser Sache kein Anlass zum Tätigwerden besteht (§32c GWB), kann derzeit nicht ergehen. Die DFL hat nun Gelegenheit, zu der vorläufigen Einschätzung des Bundeskartellamtes Stellung zu nehmen. Auch die beigeladenen Klubs und Investoren können sich äußern.
Das Bundeskartellamt geht derzeit davon aus, dass die 50+1-Grundregel von den kartellrechtlichen Verbotstatbeständen ausgenommen sein kann.
Zwar stellt die Regel eine Wettbewerbsbeschränkung dar, indem sie bestimmte Bedingungen für die Teilnahme an der Bundesliga und der 2. Bundesliga aufstellt. Mit dieser Beschränkung verfolgt die DFL allerdings legitime Ziele, nämlich die Organisation eines vereinsgeprägten Wettbewerbs sicherzustellen und für die Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs zu sorgen. Das Kartellrecht steht Anforderungen von Sportverbänden an die Teilnehmer eines Wettbewerbes nicht entgegen, wenn diese zur Verfolgung bestimmter wettkampfbezogener, aber auch ethisch-sozialer Ziele dienen.
Die von der DFL angeführte Vereinsprägung kann ein solches Ziel darstellen: Sie eröffnet breiten Bevölkerungsschichten die Möglichkeit, durch die Mitgliedschaft in einem Verein dessen Geschicke mitzubestimmen und somit am Bundesligageschehen auch über die Stellung als Konsument hinaus teilzuhaben.
Die DFL will mit der 50+1-Regel auch einen Beitrag zur Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs in den Bundesligen leisten. Auch dies ist ein kartellrechtlich anerkennenswertes Ziel, für das die 50+1-Regel grundsätzlich geeignet erscheint.
In ihrer Grundform verhindert die Regel, dass Vereine durch die Abgabe der Kontrolle über ihre Lizenzspielerabteilung an Investoren größere Mittel für den Einsatz im sportlichen Wettbewerb einwerben können als Vereine, die insofern an der Gestaltungsmacht ihrer Mitglieder festhalten.
Nach vorläufiger Einschätzung hat das Bundeskartellamt aber in der Gesamtschau Bedenken gegenüber der derzeitigen Fassung von Grundregel in Kombination mit der Förderausnahme.
Bezieht man die Förderausnahme in ihrer derzeitigen Fassung in die Betrachtung mit ein, so stellt sich die Wettbewerbsbeschränkung als unverhältnismäßig dar. Es bestehen dann Zweifel an der Eignung zur Verfolgung der mit der 50+1-Grundregel verfolgten Zielsetzung. Denn durch die Gewährung der Förderausnahme wird in den betroffenen Klubs der beherrschende Einfluss des Muttervereins ausgeschaltet und damit das sportliche Geschehen insoweit von der Vereinsprägung abgekoppelt. Es besteht die Gefahr, dass prägende Charakteristika wie Mitgliederpartizipation im Verein und Transparenz gegenüber den Mitgliedern hierbei verloren gehen. Vereinsgeprägter Fußball und Ausgeglichenheit des Wettbewerbs, wie es sich die DFL mit der Regelung zum Ziel gesetzt hat, sind so nicht mehr einheitlich gegenüber sämtlichen Klubs gesichert. Dies hat auch einen Wettbewerbsnachteil für die von der Ausnahme nicht profitierenden Klubs zur Folge. Vereinsgeprägte und Investoren-finanzierte Klubs treten nebeneinander an. Hierdurch entstehen Zweifel an der Eignung der Gesamtregelung zur Organisation eines sportlich fairen, vereinsgeprägten Wettbewerbs. Wenn einigen Klubs größere Möglichkeiten zur Einwerbung von Eigenkapital zur Verfügung stehen als anderen, dürfte dies nicht zur Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs beitragen, sondern ihn eher verzerren.
Die 50+1-Regel wurde im Jahr 1999 in Verbindung mit der Möglichkeit, die Profi-Fußballmannschaft in eine Kapitalgesellschaft auszugliedern, in die Satzung des Deutschen Fußball Bunds (in Bezug auf die Bundesliga und 2. Bundesliga als Vorgänger der heutigen DFL) aufgenommen. Bis dahin konnten ausschließlich Vereinsmannschaften an der Bundesliga und 2. Bundesliga teilnehmen. Von den derzeitigen 18 Bundesliga-Klubs hat die Mehrheit die Profi-Fußballabteilung in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert, auf die der Verein weiterhin bestimmenden Einfluss ausübt. Lediglich vier Klubs sind weiterhin einschließlich ihrer Profi-Fußballabteilungen als eingetragener Verein organisiert (Mainz 05, Schalke 04, SC Freiburg, Union Berlin). Drei Klubs haben eine Förderausnahme erhalten (Bayer Leverkusen, TSG Hoffenheim, VfL Wolfsburg).
OLG Düsseldorf
Beschluss vom 24.03.2021
VI-Kart 2/19 (V)
Das OLG Düsseldorf hat dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt, ob Facebook seine marktbeherrschende Stellung durch die rechtswidrige Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten missbraucht.
Die Pressemitteilung des Gerichts:
Facebook gegen Bundeskartellamt: Ergebnisse des Verhandlungstermins
Der 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat heute unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Jürgen Kühnen über die Beschwerden von Facebook gegen die Abstellungsverfügung des Bundeskartellamts vom 6. Februar 2019 (B6 – 22/16) verhandelt (vgl. die ankündigende Pressemitteilung).
Das Amt hatte der irischen Facebook-Gesellschaft, welche die für kartellrechtswidrig erachtete Datenerhebung und Datenverwendung vornimmt, ferner deren deutschen Schwestergesellschaft, zudem der amerikanischen Muttergesellschaft des Facebook-Konzern sowie schließlich allen mit den drei genannten Gesellschaften "verbundenen Unternehmen" untersagt, nutzer- und gerätebezogene Daten der Facebook-Nutzer, die bei der gleichzeitigen Nutzung von WhatsApp, Instagram und Oculus erhoben und gespeichert werden, mit den Facebook-Daten zu verknüpfen und zu verwenden, ferner die geräte- und nutzerbezogenen Daten, die bei dem Besuch dritter Webseiten oder der Nutzung mobiler Apps dritter Anbieter generiert werden (Facebook Business Tools), zu verknüpfen und zu verwenden, sofern der Facebook-Nutzer in diese Datenerhebung und Datenverwendung nicht zuvor nach den Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eingewilligt hat.
Der Senat hat in der Verhandlung im Einzelnen zur Sach- und Rechtslage Stellung genommen.
1.
Hinsichtlich der Erwägungen, mit denen das Amt seine Entscheidung in der angefochtenen Verfügung begründet hatte, ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass über die Facebook-Beschwerden erst nach Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) entschieden werden kann. Die Frage, ob Facebook seine marktbeherrschende Stellung als Anbieter auf dem bundesdeutschen Markt für soziale Netzwerke deshalb missbräuchlich ausnutzt, weil es die Daten seiner Nutzer unter Verstoß gegen die DSGVO erhebt und verwendet, kann ohne Anrufung des EuGH nicht entschieden werden. Denn zur Auslegung europäischen Rechts ist der EuGH berufen. Der Senat folgt mit einer Vorlage der Anregung, die das Bundeskartellamt selbst im Eilverfahren gegen die angefochtene Amtsentscheidung geäußert hatte.
2.
Zu den Ausführungen, mit denen der Bundesgerichtshof im Eilverfahren das einstweilige Rechtsschutzbegehren von Facebook zurückgewiesen hatte und auf welche sich das Amt im Beschwerdeverfahren ergänzend stützt, hat der Senat auf mehrere rechtliche Gesichtspunkte hingewiesen.
Der Bundesgerichtshof hatte angenommen, dass sich die Amtsverfügung aus dem Gesichtspunkt der aufgedrängten Leistungserweiterung rechtfertige. Facebook sei vorzuwerfen, dass die Nutzer ihres sozialen Netzwerks keine Wahlmöglichkeit zwischen einer Nutzung des Netzwerks nur aufgrund ihrer dem Netzwerk Facebook.com selbst überlassenen Daten (kleine Datenmenge) und einer Nutzung des Netzwerks auch aufgrund ihrer außerhalb des Netzwerks, d.h. u.a. bei WhatsApp, Instagram und Oculus sowie auf dritten Webseiten und Apps hinterlassenen Daten (große Datenmenge) eingeräumt werde. Dadurch, so der Bundesgerichtshof, werde den Facebook-Nutzern eine Leistungserweiterung aufgezwungen.
Der Senat hat ausgeführt, dass ein Kartellgericht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht befugt ist, die Begründung der Amtsverfügung in einem Umfang auszuwechseln, dass sich das Wesen der kartellbehördlichen Entscheidung ändert, und dass unter Berücksichtigung der dazu bislang ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts vieles dafür spricht, dass es sich bei dem Vorwurf der aufgedrängten Leistungserweiterung um einen gänzlich anderen, wesensverschiedenen Kartellverstoß handelt.
Der Senat hat ferner die Frage aufgeworfen, ob der Kartellverstoß einer fehlenden Wahlmöglichkeit des Facebook-Nutzers überhaupt vom Verbotsausspruch des Amtes umfasst wird. Er hat in diesem Zusammenhang ferner darauf verwiesen, dass sich eine "aufgedrängte" Leistungserweiterung möglicherweise auch dadurch verhindern lässt, dass der Facebook-Nutzer in die streitbefangene Datenerhebung und Datenverwendung "eingewilligt" haben muss. Daneben kommen weitere Möglichkeiten in Betracht, mit denen Facebook den in Rede stehenden Kartellverstoß abstellen kann. Facebook kann nicht nur sein soziales Netzwerk in Deutschland schließen, sondern – wie der Bundesgerichtshof meint – in seinen Nutzungsbedingungen auch eine Wahlmöglichkeit zwischen der Erhebung und Verwendung einer erlaubten kleinen Datenmenge und der unerlaubten großen Datenmenge einräumen. Die Auswahl unter diesen Abstellungsalternativen wird Facebook unter Verstoß gegen § 32 GWB womöglich genommen, wenn ihm aufgegeben wird, einen kartellrechtmäßigen Zustand dadurch herzustellen, dass der Facebook-Nutzer vor einer Datenerhebung und Datenverwendung eingewilligt haben muss.
Darüber hinaus hat der Senat näher dargelegt, dass sich jedenfalls für einen Teil der streitbefangenen Nutzerdaten, nämlich insbesondere für diejenigen von Instagram und Oculus, keine tragfähigen Feststellungen zu den vom Bundesgerichtshof für relevant erachteten Fragen treffen lassen, ob den Facebook-Nutzern eine Leistung aufgedrängt werde, die sie möglicherweise nicht wollen und die im Wettbewerb nicht zu erwarten gewesen wäre, und ob durch diese Leistungserweiterung die Facebook-Konkurrenten im Wettbewerb behindert werden.
3.
Abschließend hat der Senat begründet, dass der Verbotsausspruch des Amtes fehlerhaft ist, soweit die verbundenen Unternehmen der drei verfahrensbeteiligten Facebook-Gesellschaften in die Pflicht genommen werden, und ferner auch, soweit das Amt die deutsche Schwestergesellschaft der datenerhebenden irischen Facebook-Gesellschaft und die amerikanische Muttergesellschaft des Facebook-Konzerns in Anspruch genommen hat. Den verbundenen Unternehmen ist vor Erlass der angefochtenen Amtsentscheidung schon kein rechtliches Gehör gewährt worden. Die Inanspruchnahme der deutschen Schwestergesellschaft ist fehlerhaft, weil diese keinen bestimmenden Einfluss auf ihr irisches Schwesterunternehmen besitzt und deshalb zur Abstellung des Kartellverstoßes nicht maßgeblich beitragen kann. Der Verfügungserlass gegen die Facebook-Muttergesellschaft ist rechtswidrig, weil sie im Ermessen des Amtes steht und das Amt keinerlei Ermessenserwägungen angestellt hat. Das Amt hat überdies keine Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass die irische Facebook-Gesellschaft dem kartellbehördlichen Gebot keine Folge leisten wird und aus diesem Grund auch das Mutterunternehmen in die Pflicht genommen werden muss.
Der Senat hat am Ende der mündlichen Verhandlung zur Auslegung von Bestimmungen der DSGVO einen Vorlagebeschluss an den EuGH seinem wesentlichen Inhalt nach verkündet. Der Beschluss wird in den nächsten Wochen schriftlich abgesetzt und den Verfahrensbeteiligten zugestellt werden.
Die dazugehörige Pressemitteilung des Bundeskartellamts:
Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Die 10. GWB Novelle unter dem Namen "Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen" ("GWB-Digitalisierungsgesetz") ist am 19.01.2021 in Kraft getreten.
Wichtige Änderungen für den Wettbewerbsschutz in der Digitalwirtschaft
Ein zentraler Bestandteil der Novelle ist die Modernisierung der Missbrauchsaufsicht. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: "Die klassische Missbrauchsaufsicht der Wettbewerbsbehörden ist darauf ausgerichtet, vorhandenes wettbewerbsfeindliches Verhalten von marktmächtigen Unternehmen im Nachhinein abzustellen oder zu sanktionieren. Auf dieser Basis haben wir in den vergangenen Jahren auch als nationale Wettbewerbsbehörde wichtige Erfolge erzielt, wie zum Beispiel in unseren Verfahren gegen Amazon oder Facebook. Die große Dynamik der Digitalwirtschaft und das rasante Wachstum der großen Plattformen machen es aber notwendig, schneller und noch effektiver einschreiten zu können. Hier bringt uns die Novelle einen großen Schritt voran. Wir werden künftig bestimmte Verhaltensweisen der Big-Tech-Unternehmen schon früher untersagen können, also quasi bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wir werden die Möglichkeit bekommen, vorbeugend einzuschreiten. Das kann ganz entscheidend dazu beitragen, die Marktmacht der großen Plattformen einzubremsen. Der deutsche Gesetzgeber ist hier international Vorreiter. Ähnliche Instrumente werden zwar auch auf europäischer Ebene diskutiert, aber der Gesetzgebungsprozess steht dort noch ganz am Anfang."
Die wohl bedeutendste Änderung erfolgt durch den neu eingeführten § 19a GWB. Er ermöglicht dem Bundeskartellamt erstmals ein frühzeitiges Eingreifen bei Wettbewerbsgefährdungen durch bestimmte große Digitalkonzerne. Unternehmen, denen aufgrund ihrer strategischen Stellung und ihrer Ressourcen eine besondere marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt, kann das Bundeskartellamt bestimmte Verhaltensweisen vorbeugend untersagen. Beispiele für solche Verhaltensweisen sind die Selbstbevorzugung von konzerneigenen Diensten oder die Behinderung des Marktzutritts von Dritten durch das Vorenthalten bestimmter Daten.
Die Schlagkraft der neuen Vorschrift untermauert der Gesetzgeber außerdem durch eine Verkürzung des Rechtsweges. Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundeskartellamtes, die auf der Basis von § 19a GWB getroffen wurden, werden künftig direkt vom BGH entschieden. Das Überspringen der in allen sonstigen Kartellrechtsverfahren ersten Instanz, dem OLG Düsseldorf, wird mit einer erheblichen Zeitersparnis in den Verfahren einhergehen.
Darüber hinaus hat der Gesetzgeber Vorschriften der klassischen Missbrauchsaufsicht konkretisiert und um internetspezifische Kriterien erweitert. Bei der Bemessung von Marktmacht ist nun auch gesetzlich vorgesehen, dass der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und die Frage, ob eine Plattform über eine sog. Intermediationsmacht verfügt, zu berücksichtigen sind. Eine solche Schlüsselposition bei der Vermittlung von Dienstleistungen kann eine kartellrechtlich relevante Abhängigkeit begründen.
Hinsichtlich der Regelungen für Unternehmen mit relativer oder überlegener Marktmacht gilt nun, dass der Schutzbereich der Norm nicht mehr auf kleine und mittlere Unternehmen begrenzt ist. Eine wichtige Neuerung ist auch, dass das Bundeskartellamt zugunsten abhängiger Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen anordnen kann, dass ein Datenzugang gegen angemessenes Entgelt gewährt wird. Darüber hinaus sind spezielle Eingriffsmöglichkeiten für den Fall vorgesehen, dass ein Plattformmarkt in Richtung eines großen Anbieters zu "kippen" droht (sog. "tipping" eines Marktes).
Änderungen in der Fusionskontrolle
Eine bürokratische Entlastung für die Unternehmen soll mit einer Neujustierung der Umsatzschwellen in der Fusionskontrolle erreicht werden. Die meisten Zusammenschlussvorhaben sind in Deutschland erst anmeldepflichtig, wenn die beteiligten Unternehmen weltweit bzw. im Inland bestimmte Mindestumsätze erzielen. Künftig unterliegen Zusammenschlüsse nur dann der Kontrolle, wenn u.a. ein beteiligtes Unternehmen in Deutschland mindestens einen Jahresumsatz von 50 Mio. Euro macht, statt bisher 25 Mio. Euro und außerdem ein anderes beteiligtes Unternehmen einen Jahresumsatz in Deutschland von mindestens 17,5 Mio. Euro erzielt, statt bisher 5 Mio. Euro.
Das Bundeskartellamt kann künftig außerdem Unternehmen in bestimmten Wirtschaftszweigen auch unterhalb der Umsatzschwellen dazu verpflichten, Zusammenschlüsse anzumelden. Dafür müssen bestimmte Voraussetzungen, u.a. Schwellenwerte, erfüllt sein und das Bundeskartellamt muss zunächst in einem der betroffenen Wirtschaftszweige eine Sektoruntersuchung durchgeführt haben.
Umsetzung der ECNplus-Richtlinie
Durch die Umsetzung der sog. ECNplus-Richtlinie soll die Effektivität der Kartellverfolgung gestärkt werden. In Angleichung an das auf EU-Ebene bestehende System sind Unternehmen und ihre Mitarbeiter künftig verpflichtet, in einem gewissen Rahmen an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken.
Ein wichtiger Schritt ist zudem die Stärkung der Kartellbehörden im gerichtlichen Bußgeldverfahren, wonach das Bundeskartellamt auch nach Einspruch gegen eine Bußgeldentscheidung – statt wie bisher nur die Generalstaatsanwaltschaft – zuständige Verfolgungsbehörde bleibt und im gerichtlichen Bußgeldverfahren künftig über dieselben Rechte wie die Staatsanwaltschaft verfügt.
Auch im Bereich der Bußgeldvorschriften enthält die Novelle verschiedene Neuerungen. So sind neue Regeln in Bezug auf Geldbußen gegen Unternehmensvereinigungen vorgesehen. Außerdem hat das Kronzeugenprogramm nun eine gesetzliche Verankerung erfahren. Das Bundeskartellamt wird seine diesbezüglichen Bekanntmachungen anpassen. Kronzeugenanträge können natürlich weiterhin jederzeit eingereicht werden.
Änderungen im Verwaltungsverfahren
Mit der Novelle werden die Voraussetzungen für einstweilige Maßnahmen des Bundeskartellamtes abgesenkt, um auch so die Möglichkeit für ein schnelleres und effizienteres Eingreifen in gefährdeten Märkten zu verbessern.
Auch die Änderungen bei der Akteneinsicht sind zu begrüßen. Während die Anhörung in Kartellverwaltungsverfahren künftig auch mündlich erfolgen kann, sorgen konkretisierte Bestimmungen zur Akteneinsicht von Verfahrensbeteiligten und Dritten für Rechtsklarheit in Verfahren.
Leitsatz des BGH:
Gegen eine Zwischenentscheidung des Kartellbeschwerdegerichts in einem anhängigen Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz, die bis zur endgültigen Entscheidung über den Eilantrag die aufschiebende Wirkung der Beschwerde anordnet ("Hängebeschluss"), ist die Rechtsbeschwerde statthaft.
BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - KVZ 90/20 - OLG Düsseldorf
Das Bundeskartellamt hat seinen Jahresrückblick 2020 veröffentlicht.
Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:
Bundeskartellamt – Jahresrückblick 2020
Das Bundeskartellamt hat im Jahr 2020 Bußgelder in Höhe von rund 358 Mio. Euro wegen verbotener Kartellabsprachen verhängt, rund 1.200 Zusammenschlüsse von Unternehmen geprüft, über 120 Nachprüfungsanträge in Vergabesachen erhalten und bedeutende Missbrauchsverfahren geführt. Das Amt hat zudem eine Vielzahl von Anfragen für Kooperationen bearbeitet, die Unternehmen angesichts der Corona-Krise kurzfristig gestellt hatten. Im Rahmen seiner Kompetenzen im Verbraucherschutz hat das Bundeskartellamt verbraucherunfreundliche Praktiken in den Bereichen Smart-TVs und Nutzerbewertungen im Internet offengelegt.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Auch der Wettbewerbsschutz musste in diesem Jahr auf außergewöhnliche Rahmenbedingungen reagieren. Krisenbedingt gab es in vielen Branchen den Bedarf, übergangsweise enger zusammenzuarbeiten als das normalerweise der Fall ist. Wir haben Unternehmen und Verbände schnell und unbürokratisch beraten und dabei geholfen, Kooperationen zu ermöglichen, um beispielsweise Engpässe bei Produktion, Lagerhaltung und Logistik überwinden zu können.“
Kartellverfolgung
2020 hat das Bundeskartellamt rund 358 Mio. Euro Bußgeld gegen insgesamt 19 Unternehmen und 24 natürliche Personen verhängt. Betroffen waren Branchen wie u.a. Pflanzenschutzmittel, Kfz-Schilder und Aluminium-Schmieden. 13 Unternehmen haben dem Bundeskartellamt über die Bonusregelung („Kronzeugenprogramm“) Informationen über Verstöße in ihrer Branche mitgeteilt, daneben gab es weitere Hinweise aus anderen Quellen.
Andreas Mundt: „Wirtschaftlich schwierige Zeiten sind keine Rechtfertigung für Kartellabsprachen. Wir haben auch in diesem Jahr wichtige Verfahren abgeschlossen und neue Ermittlungen angestoßen. Die Kartellverfolgung bleibt ganz oben auf unserer Agenda. Angesichts rückläufiger Kronzeugenanträge als Folge vermehrter Schadensersatzprozesse erkunden wir innovative Ermittlungsmethoden wie das „Screening“ von Märkten und werden die Möglichkeiten unseres digitalen anonymen Hinweisgebersystems ausbauen.“
Fusionskontrolle
Das Bundeskartellamt hat rund 1.200 angemeldete Vorhaben geprüft. Davon wurden sieben Zusammenschlüsse in der sogenannten zweiten Phase vertieft geprüft: In zwei Fällen (XXXLutz / Tessner, u.a. Roller; Kaufland / Real) wurde die Freigabe nur unter Auflagen erteilt. Drei Fälle wurde nach vertiefter Prüfung ohne Auflagen freigegeben (Allianz / ControlExpert; Malteser Krankenhaus / Diakonissen Flensburg; Belron, Carglass / A.T.U.). In zwei Fällen läuft das Hauptprüfverfahren derzeit noch.
Die Veräußerung der Standorte des Lebensmitteleinzelhändlers Real beschäftigt das Bundeskartellamt bisher in drei verschiedenen Verfahren. Entschieden ist bislang, dass das mittelständische Handelsunternehmen Globus bis zu 24 Standorte übernehmen und Kaufland nur unter Bedingungen bis zu 92 Standorte erwerben darf. Die Übernahmepläne von Edeka werden noch geprüft.
Andreas Mundt: „Im Laufe des Jahres hat sich der Rückgang der Fusionsanmeldungen aufgrund der Corona Pandemie weitgehend ausgeglichen. Es wurden insgesamt rund 1.200 Vorhaben geprüft - das entspricht in der Größenordnung den Zahlen aus den Vorjahren. Fusionskontrolle ist Strukturkontrolle, die auf die Zukunft gerichtet ist. Daher dürfen wir – auch wenn wir im kommenden Jahr mit schwierigen Corona-bedingten Fusionen rechnen – keinen anderen Maßstab als in der Vergangenheit anlegen.“
Digitalwirtschaft
Die Digitalwirtschaft war in 2020 wieder ein Schwerpunkt der Arbeit des Amtes.
Andreas Mundt: „Die Digitalwirtschaft bleibt Top-Priorität des Bundeskartellamtes. Wir prüfen derzeit mögliche Eingriffe seitens Amazons in die Preissetzungsfreiheit der Market-Place-Händler und mögliche Benachteiligungen dieser Händler durch Amazons Zusammenarbeit mit Markenherstellern. Wir hoffen, die konkrete Umsetzung unserer Grundsatzentscheidung zu Facebook aus dem Jahr 2019 wegen der Zusammenführung von Daten in 2021 zu Ende zu bringen. Gegen Facebook haben wir ein zweites Missbrauchsverfahren eingeleitet, das die Verknüpfung von Virtual Reality Produkten des Konzerns mit seinem sozialen Netzwerk betrifft. Wir arbeiten mit Druck an unserer grundlegenden Sektoruntersuchung zur Onlinewerbung. Weitere Fälle sind – auch im Hinblick auf die Umsetzung der GWB-Novelle und unserer neuen Instrumente – in Vorbereitung.“
Bereits 2019 hatte das Bundeskartellamt in seinem damaligen Missbrauchsverfahren Facebook weitreichende Beschränkungen bei der Verarbeitung von Nutzerdaten auferlegt. Dieser Fall befindet sich derzeit noch in der gerichtlichen Klärung.
Im Bereich der digitalen Wirtschaft ist neben den Verfahren sowie informellen Konsultationen etwa zu Kooperations- und Plattformvorhaben auch die Grundsatzarbeit von zentraler Bedeutung. Das Bundeskartellamt bringt seine Expertise in die nationale und internationale Diskussion dringender wettbewerbspolitischer Fragen im Bereich der digitalen Wirtschaft ein. Im Fokus stand in diesem Jahr besonders die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Diese soll insbesondere die Missbrauchsaufsicht über digitale Großkonzerne weiter stärken.
Andreas Mundt: „Wir haben auch mit den geltenden gesetzlichen Vorschriften bereits zahlreiche erfolgreiche Verfahren in der Digitalwirtschaft geführt. Trotzdem ist es wichtig, dass das Wettbewerbsrecht Ergänzungen erfährt, damit wir die wettbewerbsverzerrenden Mechanismen der digitalen Wirtschaft besser erfassen und wettbewerbsrechtlich regulieren können. Im deutschen Kartellrecht werden wir hoffentlich schon bald sehr wichtige Ergänzungen sehen, um den Missbrauch von Marktmacht durch große digitale Plattformen wirksam verhindern zu können. Der Gesetzgebungsprozess zur GWB-Novelle ist weit fortgeschritten und wir bereiten uns auf die Anwendung dieses neuen Instruments ab dem kommenden Jahr vor. Ich begrüße auch die Initiativen der EU-Kommission zum Digital Markets Act (DMA). Im Gleichschritt mit den Fällen der EU-Kommission werden die nationalen Wettbewerbsbehörden durch ihre Fallpraxis die Regeln der Digitalwirtschaft weiter konkretisieren.“
Mit der 10. GWB-Novelle soll das Bundeskartellamt in die Lage versetzt werden, Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb im Kontext der digitalen Wirtschaft bestimmte Verhaltensweisen zu verbieten.
Verbraucherschutz
Im Rahmen seiner Kompetenzen im Verbraucherschutz hat das Bundeskartellamt im Juli 2020 seinen Abschlussbericht der Sektoruntersuchung Smart-TVs und im Oktober 2020 die Ergebnisse seiner Untersuchung zu Nutzerbewertungen im Internet veröffentlicht. Im November wurde eine neue verbraucherrechtliche Sektoruntersuchung zu Messenger-Diensten eingeleitet. Im vergangenen Jahr hatte das Bundeskartellamt bereits eine Untersuchung zu Vergleichsportalen im Internet abgeschlossen.
Andreas Mundt: „Mit unseren Sektoruntersuchungen im Bereich Verbraucherschutz warnen wir vor Fallstricken bei der Nutzung digitaler Angebote und machen so das Internet ein Stück weit sicherer. In diesem Jahr haben wir über die Mängel verschiedener Marktteilnehmer bei Smart-TVs und gefälschte Bewertungen auf Internetportalen aufgeklärt. In beiden Fällen haben wir gravierende Beeinträchtigungen von Verbraucherrechten festgestellt. Aktuell befassen wir uns mit der Interoperabilität von Messenger-Diensten und dem Schutz persönlicher Daten bei deren Nutzung. Unsere Sektoruntersuchungen verfolgen immer zwei Ziele. Wir entwickeln konkrete Verbesserungsvorschläge und wir klären die Verbraucher über den richtigen Umgang mit Produkten und Dienstleistungen im Internet auf. Anders als im Kartellrecht, fehlen uns leider nach wie vor die gesetzlichen Befugnisse, rechtswidrige Praktiken auch wirksam abstellen zu können.“
Vergabekammern und Wettbewerbsregister
Im Jahr 2020 wurden bei den Vergabekammern des Bundes über 120 Anträge auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gestellt. Die Fälle betrafen überwiegend die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen, gefolgt von Bauaufträgen. Schwerpunkte in diesem Jahr bildeten Aufträge aus den Bereichen IT-Hard- und Software, Arbeitsmarktdienstleistungen sowie Verteidigung und Sicherheit.
Den Aufbau des Wettbewerbsregisters des Bundes, das einen Beitrag zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Kartellverstößen leisten soll, treibt das Bundeskartellamt mit Hochdruck voran. Mit einer einzigen elektronischen Abfrage können öffentliche Auftraggeber künftig nachprüfen, ob es bei einem Unternehmen zu relevanten Rechtsverstößen gekommen ist.
Andreas Mundt: „Den absolut widrigen Bedingungen durch die Corona Pandemie zum Trotz liegt das Wettbewerbsregister insgesamt gut im Zeitplan. Allein rund 30.000 externe Vergabestellen gilt es digital anzuschließen, daneben Zoll, Staatsanwaltschaften und andere. Die komplette Digitalisierung dieser Vorgänge ist auch für die Beteiligten eine große Herausforderung. Das Register soll nach der aktuellen Zeitplanung im ersten Quartal 2021 sukzessive seinen Betrieb aufnehmen.“
Vorgesehen ist eine gestaffelte Inbetriebnahme. Der Startschuss wird im kommenden Frühjahr mit dem Beginn der Registrierung der mitteilenden Behörden und der Auftraggeber beim Web-Portal gegeben.
Der BGH hat einer Nichtzulassungsbeschwerde des Bundeskartellamtes in Sachen Facebook stattgegeben und wird nun prüfen unter welchen Voraussetzungen "Hängebeschlüsse" in Kartellverwaltungsverfahren erlassen werden können.
Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof überprüft "Hängebeschluss" des OLG Düsseldorf in Sachen Facebook
Facebook verwendet Nutzungsbedingungen, die auch die Verarbeitung und Verwendung von Nutzerdaten vorsehen, die bei einer von der Facebook-Plattform unabhängigen Internetnutzung erfasst werden. Das Bundeskartellamt hat Facebook mit Beschluss vom 6. Februar 2019 untersagt, solche Daten ohne Einwilligung der privaten Nutzer zu verarbeiten. Hiergegen hat Facebook Beschwerde eingelegt, über die das zuständige Oberlandesgericht Düsseldorf noch nicht entschieden hat.
Das Beschwerdegericht hatte jedoch auf Antrag von Facebook die aufschiebende Wirkung der Beschwerde angeordnet. Diese Anordnung hat der Kartellsenat auf Antrag des Bundeskartellamts mit Beschluss vom 23. Juni 2020 (KVR 69/19, WuW 2020, 525 – Facebook) aufgehoben und den Antrag von Facebook auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde abgelehnt (vgl. Pressemitteilung Nr. 080/2020).
Am 30. November 2020 hat Facebook beim Beschwerdegericht erneut einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gestellt. Das Beschwerdegericht hat mit einem sogenannten "Hängebeschluss" vom selben Tag die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen die Missbrauchsverfügung des Bundeskartellamts vorläufig bis zu seiner Entscheidung über den zweiten Eilantrag angeordnet. Damit hat es die Verpflichtung von Facebook einstweilen ausgesetzt, die Anordnungen des Bundeskartellamtes umzusetzen. Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss hat das Beschwerdegericht nicht zugelassen.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Bundeskartellamtes hat der Kartellsenat die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts zugelassen. Der höchstrichterlich noch nicht geklärten Frage, unter welchen Voraussetzungen "Hängebeschlüsse" im Kartellverwaltungsverfahren erlassen werden können, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf - Beschluss vom 30. November 2020 – VI-Kart 13/20 (V)
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
Relevante Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB):
§ 65 Anordnung der sofortigen Vollziehung
…
(3) 1Auf Antrag kann das Beschwerdegericht die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn
1.die Voraussetzungen für die Anordnung nach Absatz 1 nicht vorgelegen haben oder nicht mehr vorliegen oder
2.ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen oder
3.die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
2In den Fällen, in denen die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat, kann die Kartellbehörde die Vollziehung aussetzen; die Aussetzung soll erfolgen, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 Nummer 3 vorliegen. 3Das Beschwerdegericht kann auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 Nummer 2 oder 3 vorliegen.
...
§ 74 Zulassung, absolute Rechtsbeschwerdegründe
(1) 1Gegen Beschlüsse der Oberlandesgerichte findet die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof statt, wenn das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat.
…
§ 75 Nichtzulassungsbeschwerde
(1) Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde kann selbständig durch Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden.
Der BGH hat im Bierkartell-Verfahren entschieden, dass in Kartellverfahren eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass eine Abstimmung durch Informationsaustausch das Marktverhalten der beteiligten Unternehmen beeinflusst.
Leitsätze des BGH:
a) Der Tatbestand der aufeinander abgestimmten Verhaltensweise ist zweigliedrig; er verlangt neben einem Abstimmungsvorgang (Fühlungnahme) eine tatsächliche Verhaltensweise im Sinne einer praktischen Zusammenarbeit auf dem Markt, das heißt ein konkretes Marktverhalten in Umsetzung der Abstimmung. Typisches Mittel einer verbotenen Abstimmung ist der Austausch von Informationen über wettbewerbsrelevante Parameter mit dem Ziel, die Ungewissheit über das zukünftige Marktverhalten des Mitbewerbers auszuräumen.
b) Im Kartellzivil- und -verwaltungsverfahren spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Abstimmung durch Informationsaustausch das Marktverhalten der beteiligten Unternehmen beeinflusst. Diese Vermutung hat ihren sachlichen Grund in dem Erfahrungssatz, dass ein Unternehmen Kenntnisse über beabsichtigtes oder erwogenes Marktverhalten eines Mitbewerbers regelmäßig bei der Bestimmung des eigenen Marktverhaltens berücksichtigt.
c) Die - potentiell starke - Indizwirkung dieses Erfahrungssatzes ist auch bei der Beweiswürdigung im Kartellbußgeldverfahren zu beachten. Vermag sich das Tatgericht nicht von einem Kausalzusammenhang zwischen Abstimmung und Marktverhalten zu überzeugen, erweist sich die Beweiswürdigung grundsätzlich als lücken- und damit rechtsfehlerhaft, wenn der Erfahrungssatz in den Urteilsgründen nicht erörtert ist.
d) Der Tatbestand der aufeinander abgestimmten Verhaltensweise fasst den Abstimmungsvorgang und die hierauf beruhende Verhaltensweise im Sinne einer praktischen Zusammenarbeit auf dem Markt zu einer Bewertungseinheit als Unterfall der tatbestandlichen Handlungseinheit zusammen. Solange das Marktverhalten fortdauert, ist die Tat nicht im Sinne des § 31 Abs. 3 OWiG beendet.
BGH, Beschluss vom 13. Juli 2020 - KRB 99/19 - OLG Düsseldorf
Das Bundeskartellamt hat den Abschlussbericht der Sektorenuntersuchung im Bereich Nutzerbewertungen, Bewertungsportale und Bewertungssysteme vorgelegt.
Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:
Gefälschte und manipulierte Nutzerbewertungen beim Online-Kauf - Bundeskartellamt zeigt Hintergründe und Lösungsansätze
Das Bundeskartellamt hat heute die Ergebnisse seiner Sektoruntersuchung zu Nutzerbewertungen im Internet vorgestellt. In seinem abschließenden Bericht klärt das Bundeskartellamt über die Hintergründe von Fake-Bewertungen auf und formuliert praktikable Lösungsansätze.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Nutzerbewertungen sind eine ganz zentrale Entscheidungshilfe beim Online-Kauf. Leider sind sogenannte Fake-Bewertungen ein weit verbreitetes Phänomen. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist es sehr schwer, echte von unechten Bewertungen zu unterschieden. Verkaufs-, Buchungs- und Bewertungsportale oder auch Suchmaschinen müssen in Zukunft mehr Verantwortung übernehmen und alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Fake-Bewertungen durch technische Filter- und Analysemethoden aufzuspüren und zu löschen.“
Online verkaufen sich Produkte und Dienstleistungen mit vielen und positiven Bewertungen deutlich besser, als solche mit wenigen oder negativen Bewertungen. Aus diesem Grund ist der Anreiz für Anbieter von Dienstleistungen bzw. für Hersteller und Händler von Produkten entsprechend groß, darauf einzuwirken, dass möglichst viele und positive Bewertungen veröffentlicht werden.
Der Bericht des Bundeskartellamtes beschreibt, welche Praktiken verbreitet sind und wie Fake-Bewertungen zustande kommen können. So gibt es spezialisierte Dienstleister, bei denen positive Bewertungen gekauft werden können. Dabei werden Nutzern häufig kostenlos Produkte überlassen oder andere Belohnungen für positive Bewertungen gewährt. Software, sogenannte Bots, können eingesetzt werden um Bewertungen künstlich zu erzeugen.
Andreas Mundt: „Nutzerbewertungen können sehr hilfreich sein. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich aber bewusst sein, dass es auch viele Fake-Bewertungen gibt. Achten Sie auf mögliche Hinweise wie übertriebene Sprache und wiederkehrende Muster, lesen Sie möglichst viele verschiedene Bewertungen und befassen Sie sich aufmerksam mit den Hinweisen, die manche Portale über die Verfasser der einzelnen Bewertungen machen.“
Tipps für die VerbraucherInnen im Umgang mit Nutzerbewertungen hat das Bundeskartellamt auch in einem kurzen Video zusammengefasst.
Das Bundeskartellamt ist der Auffassung, dass Portale künftig mehr Verantwortung für die Richtigkeit der veröffentlichten Bewertungen übernehmen müssen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass viele Portale deutlich mehr gegen die Veröffentlichung gefälschter Bewertungen tun könnten. Die meisten Portale verwenden bislang lediglich Wortfilter oder verlassen sich auf nachträgliche Meldungen von auffälligen Bewertungen. Nur wenige einzelne Portale nutzen bereits ausgefeilte Methoden des Machine Learning, setzen die Metadaten der Bewertungsverfasser ein oder führen vorab Authentizitätsprüfungen durch, um wirksam gegen gefälschte Bewertungen vorzugehen.
Die Sektoruntersuchung befasst sich auch mit dem grundsätzlichen Problem, dass es in vielen Bereichen zu wenige Bewertungen gibt. Je mehr echte Bewertungen es gibt, umso hilfreicher sind diese für die Entscheidung für oder gegen einen Kauf oder eine Buchung. Mehr Bewertungen könnten dadurch generiert werden, dass Portale und Anbieter die VerbraucherInnen zum Verfassen von Bewertungen motivieren. Dies kann durch Anreize in Form von Gutscheinen, Gewinnspielen oder kleineren Geldbeträgen erfolgen. Gerade für neue Produkte kann auch der Einsatz von kostenfreien Produkttests sinnvoll sein. Solche Anreize und Produkttests sind verbraucherrechtskonform, wenn die betreffenden Bewertungen klar und deutlich gekennzeichnet sind. Allerdings müssten die Portale dafür – anders als bislang üblich – diese Art von Bewertungen auf ihren Seiten zulassen und eine geeignete Kennzeichnung vorsehen.
Das Bundeskartellamt hat die Sektoruntersuchung im Mai 2019 eingeleitet. Im Rahmen der Ermittlungen hat die Behörde über 60 große Internet-Portale befragt, die Nutzerbewertungen aus 16 Branchen anzeigen, sowie zahlreiche andere Marktteilnehmer zu Stellungnahmen aufgefordert. Der jetzt vorgelegte Bericht ist das Ergebnis dieser Ermittlungen sowie einer Konsultation zu den vorläufigen Ergebnissen im Juni 2020.
Verfahren gegen einzelne Unternehmen, bei denen der Verdacht auf Verbraucherrechtsverstöße entstanden ist, kann das Bundeskartellamt nicht einleiten, da es im Gegensatz zu seinen kartellrechtlichen Befugnissen im Bereich Verbraucherschutz nicht über die entsprechenden Durchsetzungsbefugnisse verfügt.
Der vollständige Bericht und das Video mit Verbrauchertipps zum Umgang mit Nutzerbewertungen sind auf der Internetseite des Bundeskartellamtes abrufbar.
Außerdem finden Sie eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse auch in einem neuen Beitrag zur Schriftenreihe „Wettbewerb und Verbraucherschutz in der digitalen Wirtschaft“ des Bundeskartellamtes: „Verbraucherrechtlicher Handlungsbedarf bei Nutzerbewertungen“.
Den vollständigen Abschlussbericht finden Sie hier:
a) Die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung setzt bei einem Konditionenmissbrauch nach § 19 Abs. 1 GWB nicht stets einen Kausalzusammenhang zwischen der Marktbeherrschung und dem missbilligten Verhalten (Verhaltenskausalität) voraus. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Marktbeherrschung und dem Marktergebnis (Ergebniskausalität) kann genügen, wenn aufgrund der besonderen Marktbedingungen das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens zu Marktergebnissen führt, die bei funktionierendem Wettbewerb nicht zu erwarten wären, und zudem das beanstandete Verhalten nicht nur eine Ausbeutung darstellt, sondern gleichzeitig auch geeignet ist, den Wettbewerb zu behindern.
b) Ein solcher kausaler Zusammenhang zwischen Marktbeherrschung und Marktergebnis kann bei zweiseitigen Plattformmärkten insbesondere dann gegeben sein, wenn die Ausbeutung auf der einen Marktseite durch den Intermediär zugleich geeignet ist, den Wettbewerb auf dem beherrschten Markt sowie auf der anderen Marktseite zu beeinträchtigen.
c) Bedingt sich der marktbeherrschende Betreiber eines sozialen Netzwerks in den Nutzungsbedingungen aus, dem Nutzer ein "personalisiertes Erlebnis" bereitzustellen, für dessen Inhalt personenbezogene Daten des Nutzers verwendet werden, die durch die Erfassung des Aufrufs von Internetseiten außerhalb des sozialen Netzwerks gewonnen werden, kann hierin die missbräuchliche Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung liegen.
BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020 - KVR 69/19 - OLG Düsseldorf
Bundeskartellamt fordert im Rahmen seiner Verbraucherschutzbefugnisse bessere Verbraucher-Informationen über die Datenverarbeitung von Smart-TVs
Das Bundeskartellamt hat heute den Abschlussbericht seiner Sektoruntersuchung zu Smart-TVs vorgelegt. Smart-TVs sind internetfähige Fernsehgeräte, mit denen die Verbraucher über das klassische Fernsehprogramm hinaus Internetangebote wie Video-Streaming und viele weitere Informationen und Funktionen nutzen können. Sie stehen stellvertretend für viele Geräte des sog. Internet der Dinge (Internet of Things, kurz IoT).
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Ziel muss es sein, den Nutzern von Smart-TVs – und von IoT-Geräten generell – zu deutlich mehr Souveränität über ihre eigenen Daten zu verhelfen. Fast jedes neu verkaufte Fernsehgerät ist heute ein Smart-TV. Anders als herkömmliche Fernseher bieten Smart-TVs unterschiedlichste Nutzungsmöglichkeiten im digitalen Verbraucheralltag. Bei vielen Smartfunktionen hinterlassen Verbraucher jedoch digitale Spuren. Die Empfänger der Daten nutzen diese geschäftlich und zwar meistens, ohne die Verbraucher vorab ordnungsgemäß über die Datenverarbeitung zu informieren. Das sollte sich ändern.“
Die Sektoruntersuchung hat offen gelegt, dass Smart-TVs über vielfältige Möglichkeiten verfügen, personenbezogene Daten zu erheben. Hiervon machen Unternehmen bislang in unterschiedlichem Ausmaß Gebrauch. So können etwa das generelle Fernsehverhalten einer Person, ihre App-Nutzung, ihr Surf- und Klickverhalten oder auch biometrische Daten wie Stimme oder Cursorbewegungen sowie die im Einzelnen über den Fernseher abgespielten Inhalte erfasst und ausgewertet werden. Die Erhebung solch intimer Nutzungsdaten und ggf. deren Verwendung für personalisierte Werbung kann der Verbraucher zumeist durch Vornahme entsprechender Einstellungen an seinem Fernsehgerät verhindern.
Sich über die einschlägigen Datenschutzbestimmungen bereits vor dem Kauf zu informieren, ist für den Verbraucher nicht oder nur mit großem Aufwand möglich. Ist der Kauf aber erfolgt, fügen sich die Verbraucher regelmäßig in die ihnen bei der Ersteinrichtung des Geräts angezeigten Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen, da sie hierzu keine Alternative sehen.
Das Bundeskartellamt hat festgestellt, dass die Datenschutzbestimmungen der in Deutschland aktiven Smart-TV-Hersteller fast durchgehend schwerwiegende Transparenzmängel aufweisen und damit gegen Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verstoßen. Sie sind vor allem deshalb für die Verbraucher nicht nachvollziehbar, weil sie für eine Vielzahl von Diensten und Nutzungsprozessen gelten sollen. Diese „one fits all“-Architektur führt dazu, dass die Verbraucher nicht zuverlässig erfahren, welche personenbezogenen Daten verarbeitet werden, welche Datenverarbeitungen durch welchen Nutzungsprozess ausgelöst werden, welche Daten an Dritte übermittelt werden und wie lange einzelne Daten gespeichert werden. Die Verbraucher können daher ihr Anwendungsverhalten nicht so steuern, dass sie möglichst wenige private personenbezogene Daten preisgeben.
Daneben hat das Bundeskartellamt auch Datensicherheitsrisiken der Software von Smart-TVs untersucht. Nachdem in der Vergangenheit immer wieder über Mängel berichtet wurde, hat die Sektoruntersuchung deutlich gemacht, dass sich Hersteller mit unterschiedlichem Aufwand um ein hohes Datensicherheitsniveau bemühen. Bei etlichen Herstellern ist nicht gesichert, dass der Sicherheitsstandard der Geräte auch in den Jahren nach dem Kauf durch Software-Aktualisierungen (Updates) aufrechterhalten wird. Kein Unternehmen macht verbindliche Angaben dazu, wie lange seine Produkte mit Sicherheits-Updates versehen werden. Für die Verbraucher ist diese Information jedoch unerlässlich, um einschätzen zu können, wie lange sie das Gerät uneingeschränkt gefahrlos verwenden können. Der Gesetzgeber sollte in Bezug auf die Versorgung mit Software-Updates die Rechtsstellung des Verbrauchers insbesondere gegenüber Herstellern verbessern.
Das Bundeskartellamt hat zudem eine Reihe weiterer Problemfelder rechtlich analysiert, die die Verbraucher bei der Verwendung von IoT-Produkten betreffen, z. B. die Rechtmäßigkeit von Werbeeinblendungen im TV-Portal.
Andreas Mundt weiter: „Datenschutz muss bei Smart-TVs – und auch generell bei kommunikationsfähigen Geräten des Internet of things – zu einem echten Wettbewerbsparameter werden. Wenn Verbraucher effektiv in die Lage versetzt werden, die Datenschutz- und Datensicherheitsqualität eines Produkts zu beurteilen, kann eine bewusste Nachfrage nach datenschutzfreundlichen Geräten entstehen. Das Bundeskartellamt empfiehlt Entscheidern, Unternehmen und Wissenschaft daher, auf Datenschutzinformationen hinzuwirken, die aussagekräftig sind, einfach aufgefasst werden können und bereits vor dem Kauf der Geräte verfügbar sind.“
In Anknüpfung an den Bericht empfiehlt das Bundeskartellamt:
Verbraucher sollten noch besser und zielgerichteter über die Möglichkeit zur extensiven Datensammlung und -verarbeitung von Smart-TVs und Internet of Things-Geräten insgesamt informiert und aufgeklärt werden.
Haftungsfragen beim Zusammenspiel der verschiedenen Akteure im IoT-Bereich sollten durch entsprechende gesetzliche Regelungen geklärt werden.
Es bedarf eines klaren gesetzlich geregelten Anspruchs des Verbrauchers auch gegenüber dem Hersteller auf Software-Updates.
Die verantwortlichen Unternehmen sollten verpflichtet werden, notwendige Informationen (Produktinformationen, Datenschutz, Voreinstellungsmöglichkeiten, etc.) klarer und einfacher zu vermitteln.
Verbrauchern sollte es leichter gemacht werden, Datenschutzstandards bei einer Kaufentscheidung zu berücksichtigen, insbesondere durch eingängige Bildsymbole.
Das Bundeskartellamt kann im Bereich des Verbraucherschutzes Untersuchungen durchführen und so Defizite identifizieren. Über die Befugnis, etwaige Rechtsverstöße per behördlicher Verfügung abzustellen, verfügt das Amt hingegen nicht (vgl. PM vom 12. Juni 2017).
Das Bundeskartellamt hatte die Sektoruntersuchung Smart-TVs im Dezember 2017 auf Basis seiner seit Mitte 2017 bestehenden verbraucherrechtlichen Kompetenzen eingeleitet (vgl. PM vom 13. Dezember 2017). Die Ermittlungen betrafen rund 20 Anbieter, die in Deutschland Smart-TVs unter eigenen Marken absetzen. Außerdem wurden Fachleute aus Praxis und Wissenschaft konsultiert.